Deutschland.
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] Köln, 13. April.
(Zur schlesischen Milliarde.) Von den ritterlichen Annehmlichkeiten des Schutzgeldes wenden wir uns zu einer andern, höheren Annehmlichkeit, die
mit einer der nobelsten Passionen der Feudalherren verknüpft, vor Allen denjenigen Theil der ländlichen Bevölkerung angeht, der ein größeres oder kleineres Stück Land besitzt. Wir meinen das
raubritterliche Jagdrecht, wie es bis zum März 1848 durch ganz Schlesien, durch fast ganz Deutschland, mit Ausnahme eines kleinen Theils, durchweg bestand und ausgeübt wurde. Nach dem März 1848
trat eine faktische Aufhebung dieses ritterlichen Vorrechts ein, das nun später durch das bekannte Jagdgesetz der Vereinbarer-Versammlung zu Berlin, unter dem Heulen, Knirschen und Zähnefletschen der
ganzen nobeln Ritterschaft, ohne Entschädigung aufgehoben wurde. Mit all' der Wuth, die bei dem Verlust eines so lieblichen Monopols in den ahnenreichen Herzen aufsteigen mußte, wurde
das Gesetz unterzeichnet und publizirt. Denn noch war die Zeit nicht gekommen, die Maske abzuwerfen und diesen Vereinbarungsplebs aus einander zu sprengen und seine Arbeiten in Fidibus und andere für
„Mein herrliches Kriegsheer“ brauchbare Papiere zu verwandeln. So erließ man das Jagdgesetz mit der tröstlichen Aussicht, die Folgen dieses Attentats auf ein Hauptvergnügen der
Gottbegnadeten durch baldige Octroyirungen abwenden zu können. Nach den Reden der wuthentbrannten Ritterschaft zu urtheilten, war nun die Nähe des jüngsten Tages nicht mehr zu bezweifeln, wenn nicht
statt dessen die jüngste Contrerevolution hereingebrochen wäre. Das kosakisch-ritterschaftliche Organ des Prinzen von Preußen die „Neue Preuß. Zeitung“ erhielt Befehl, auf Rechnung des
neuen Jagdgesetzes täglich eine Masse schrecklicher Erschießungen in ihren Spalten vorzunehmen. Bald wurde der eine Bauer von seinem Nachbar, bald der Bauer von seinem Knecht, auf dem nächsten Felde
von seinem Sohn erschossen; dann erschoß der Vater den Sohn, der Bruder die Schwester, der Knecht die Magd, und schließlich die Magd sich selbst, so daß, nach diesem Blättchen „mit Gott für
König und Junkerschaft“ zu schließen, jetzt wohl nur wenig Landvolk übrig geblieben sein dürfte.
Für die „kommunistische“ Missethat der Vereinbarer ‒ unentgeltliche Aufhebung des ausschließlichen Jagdrechts der Raubritterschaft ‒ wird und muß Rache genommen
werden, wär's vorläufig auch nur durch Wiederherstellung desselben oder durch eine gehörige „Entschädigung“ in der Weise, wie sich die Herrn seit 30 Jahren mittelst des
Gaunergesetzes wegen „Regulirung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse“ zu entschädigen gewußt haben.
Da wir hier abermals auf das ritterliche „Entschädigungsgeschrei“ treffen und in der bisher ermittelten Summe, welche das schlesische Landvolk von seinen Raubrittern als
„Entschädigung“ zurückzufordern hat, der von der nobeln Jagdpassion in den letzten 30 Jahren angerichtete Schaden gar nicht veranschlagt ist: so müssen wir auf die herrliche Zeit des
raubritterlichen Jagdvergnügens einen kurzen Blick zurückwerfen.
Die Heiligsprechung des Wildes brachte es mit sich, daß man lieber eine Kanaille von Bauer erschoß, als einen Hasen, ein Rebhuhn oder ähnliche eximirte Geschöpfe. Beim Jagen mit
„Treibern,“ aus den lieben Dorf-„Unterthanen“ genommen, genirte man sich nicht sehr; wurde auch einer der „Treiber“ angeschossen oder todt niedergestreckt, so
gab's höchstens eine Untersuchung und damit Basta.
Außerdem sind uns aus jener dominialen Glanzperiode mehrere Fälle bekannt, wo der noble Ritter dem oder jenem Treiber eine Ladung Schrot in die Beine oder in den Hintern schoß ‒ zum reinen
ritterlichen Privatvergnügen. Auch außerhalb der eigentlichen Jagd trieben die Herrn Ritter solche Kurzweil mit Passion. Wir erinnern uns bei solcher Gelegenheit stets des Herrn Barons, der einem
Weibe, die gegen sein Verbot auf dem abgeärnteten herrschaftlichen Acker Aehren las, eine Portion Schrot in die Schenkel jagte und dann beim Mittagsmahl in einer auserlesenen raubritterlichen
Gesellschaft seine Heldenthat mit unverkennbarer Selbstbefriedigung erzählte. Einem Plebejer, der bei diesem Bericht zugegen sich eine Bemerkung erlaubte, wurde auf ächt ritterliche Weise das Maul
gestopft.
Doch zum nobeln Jagdvergnügen zurück. Nicht genug, daß der Landmann auf seinem eignen Acker weder schießen noch ein Gewehr sehen lassen durfte ‒ bei harter Leibesstrafe: es war sogar
verpönt, die zur Winterzeit in die Gärten dringenden Hasen, die dort von den jungen Bäumen die Rinde abfraßen, zu fangen oder zu erschlagen, ohne sie an den gnädigen Herrn alsbald abzuliefern. Dagegen
hatten die geliebten Dorf-„Unterthanen“ bei den großherrschaftlichen Treibjagden die Freude, als „Treiber“roboten zu müssen. Jeder Wirth, d. h. jeder Ackerbesitzer und
jeder Häusler ohne Acker, wurde den Abend zuvor durch den Dominialvogt angewiesen, morgen in aller Frühe einen „Treiber“ zu stellen: es sei große herrschaftliche Jagd und werde so und so
viele Tage dauern. Es mußte freilich den Herrn Rittern das Herz vor Wonne klopfen, wenn an kalten, nassen Oktober- und November-Tagen eine Hetze schlechtgekleideter, oft baarfüßiger, hungernder
Dorfinsassen neben ihnen einher trabten. Die Karbatsche ‒ ein knutenähnliches Prügelinstrument ‒ hing an der Jagdtasche zu Nutz und Frommen für Hund und Treiber. Die beste Portion
pflegte letzterer davonzu tragen. Die schlechte Laune oder der Fehlschuß des Raubritters entlud sich mittelst Karbatschenhieben auf den Rücken des Treibers. War andrerseits die Jagd ergiebig und
konnte der Treiber das ihm aufgepackte Wild nicht schnell genug mit fortschleppen: so war die Karbatsche abermals da, um ihm „Beine zu machen.“ So kehrte der „Treiber“ sehr
oft nicht blos von den ihm aufgepackten Hasen etc. sondern von den Karbatschenhieben blutig zur herrschaftlichen Försterei oder zum Schlosse zurück, um sich dann mit dem Bewußtsein nach seiner Hütte
zu begeben, daß er einem vortrefflichen Amusement der Gottbegnadeten ‒ parole d'honneur ‒ beigewohnt.
Andere Ritter legten sich große Fasanerien an. Aus den Gärten verbreiteten sich die Fasanen im Walde weit hin und suchten sich ihren Brüteplatz aus. Wehe der Frau oder der Magd, die unvorsichtig
oder aus Mangel an Jagdhunds-Spürkraft beim Grasen einem solchen Nest zu nahe kam und die Henne störte. Wurde dies der gnädige Herr oder sein Jäger gewahr: dann verblieb ihr die Erinnerung an
herrschaftliche Fasanen ihr Lebelang. Wir sind selbst in unsrer Jugend Augenzeuge gewesen, wie eine Bauersfrau aus besagtem Grunde von einem jungen Raubritter, der als Wirthschafts-Eleve bei einem
andern „Gnädigen“ die Oekonomie erlernte und die angeborne noble Passion ausbildete, aufs Barbarischste, auf's Viehischste mißhandelt und zum Krüppel geschlagen wurde, ohne daß
ein Hahn darnach gekräht. Es waren arme Leute und zum Klagen, d. h. zum Prozessiren, gehört Geld und dann auch einiges Vertrauen zur Justiz, Dinge die bei der Mehrzahl des schlesischen Landvolks
theils spärlich, theils gar nicht anzutreffen. Einem Häusler passirte es, daß er eines Tages in seinem Garten einen aus dem nahen Walde dahin gekommnen Fasanen fing und schlachtete. Für dieses
schauerliche Verbrechen wurde er zur Untersuchung gezogen. In Folge der Kosten und der ihm zudictirten Zuchthausstrafe war er ein ruinirter Mann und ging nebst seiner Familie zu Grunde ‒ von
Rechtswegen, denn er hatte sich an herrschaftlichem Wilde vergriffen.
Doch das sind nur Kleinigkeiten, nur einzelne Züge aus dem raubritterlichen Jagd-Tableau.
Wir kommen zum Hauptpunkte ‒ zum Punkte der „Entschädigung“.
Und hier möge der schlesische Landmann den raubritterlichen Geldsack festpacken und für alle Verwüstungen, die ihm seit 30 Jahren das herrschaftliche Wild angerichtet, volle
„Entschädigung“ fordern.
Knirschend vor Wuth hat es der Landmann ansehen müssen, wie die ritterlichen Herren mit oder ohne ihre Jäger oder wie diese allein über sein mit Noth und Mühe angebautes Feld zertretend und
verwüstend einherjagten, wie sie keine Feldfrucht schonten, ob hoch oder niedrig, ob dick oder dünn. Mitten durch oder drüber hinweg ging's mit Jägern und Hunden. Wagte der Bauer Einsprache, so
war im mildesten Fall Hohnlachen die Antwort; den schlimmeren hat so Mancher an seinem mißhandelten Körper empfunden. Den Kohl auf dem Felde des Bauern suchte sich der gottbegnadete eximirte Hase
‒ und andere gab's nicht zu seiner Aetzung aus, und seine Bäume pflanzte der Landmann, damit der Hase im Winter seinen Hunger stillen konnte. Für den Landmann war's angeblich Ehre
wie Pflicht, solches zu dulden. War er anderer Meinung und schoß etwa den zwar eximirten, aber doch ungebetenen Gast zusammen: so spazierte der Bauer unwiderruflich in's Loch. Dafür war er
Bauer!
So groß nun der Schaden ist, den der Landmann in eben gedachter Weise erlitten hat: so steht er doch in gar keinem Verhältniß zu dem, welchen ihm Schwarz- und Rothwild angerichtet, das zwar nicht
überall, aber doch im größten Theile Schlesiens gehegt wurde. Einzelne Distrikte zeichneten sich in dieser Hinsicht besonders aus und zwar diejenigen, wo die ungeheuern Besitzungen der vielen Fürsten
und Standesherren sind.
Wildschweine, Hirsche und Rehe durchwühlten, fraßen, zertraten oft in Einer Nacht, was dem Bauer oder dem „kleinen Manne“ für's ganze Jahr zum eignen Unterhalt und zur
Bezahlung der Steuern und Abgaben dienen sollte.
Allerdings stand es dem Beschädigten frei, auf Ersatz zu klagen. Es haben's auch Einzelne und ganze Gemeinden versucht. Das Ergebniß solcher Klagen oder Prozesse wird sich Jeder selbst
sagen, der in seinem Leben von dem altpreußischen Beamtenwesen und von dem Richterstande und dem Prozeßverfahren auch nur eine entfernte Idee erlangt hat. Man erkundige sich einmal bei den Bauern oder
Gemeinden, die wegen ihrer verwüsteten Fluren Beschwerde beim Landrath führten oder beim Gericht klagbar wurden und man wird Wunderdinge hören. Vom gnädigen Herrn Landrath, einem höhern oder niedern
Standesgenossen des beschwerdeveranlassenden Ritters, angeschnauzt und ab- und zur Ruhe verwiesen, begab er sich zum Gericht und zahlte den erforderten Vorschuß. Eine meist im raubritterlichen
Interesse zusammengesetzte Kommission traf wo möglich recht spät an Ort und Stelle ein, um den Schaden, dessen Spuren wegen dringender Feldbestellung oder durch Regen etc. zum Theil verwischt worden,
abzuschätzen. Ueber die Abschätzung, wenn überhaupt eine solche stattfand, da der Beweis, daß herrschaftliches Wild die Verwüstung angerichtet, nicht so leicht zu führen war: hatten sich die
„Gnädigen“ selten zu beklagen. Jetzt kamen die Termine. Um auf ihnen zu erscheinen, mußte der Bauer Zeit und Geld opfern, und nahm er einen Advokaten, so kostete ihn das noch mehr. Nach
unendlichem Schreiben und Terminiren erlangte der Bauer, wenn's Glück günstig war, in ein paar Jahren ein Urtheil gegen den „Gnädigen“, und wenn er sich das beim Lichte besah und
Alles nachrechnete, so stand er erst recht als der Geprellte da. Daher auch im Ganzen, im Verhältniß zu dem ungeheuern Wildschaden, den der schlesische Landmann jährlich zu erleiden hatte, wenig
Prozesse.
Die Zahl der Dörfer aber, auf deren Rustikaläckern seit 30 Jahren, und von Jahr zu Jahr ärger, die gottbegnadeten Wildschweine, Hirsche und Rehe verwüstend gehaust, beträgt über 1000. Wir kennen
mehrere derselben (die lange nicht zu den größten gehören), denen bloß das eximirte Hochwild ein Jahr um das andere jährlich 200 bis 300 Thlr. Schaden verursacht hat.
Da nun die Raubritterschaft das neue Jagdgesetz umstoßen will, eventualiter auf Entschädigung für das aufgehobene Jagdvorrecht dringt: so ist es hohe Zeit, daß das schlesische Landvolk auch in
diesem Punkte seine Rechnung aufsetzt. Daß ihm die gnädigen Herren eine hübsche Anzahl von Milliönchen bloß für den in den letzten 30 Jahren erduldeten Wildschaden herauszuzahlen haben, liegt nach dem
eben Gesagten auf der Hand.
Auf dem Banner, welches das Landvolk der ganzen Provinz Schlesien gegenüber den nach „Entschädigung“ brüllenden Rittern zu entfalten hat, muß noch als weitere Inschrift hinzugefügt
werden:
„Volle Entschädigung für allen Wildschaden, für alle Verwüstungen, die seit 30 Jahren von gottbegnadeten Rehen, Hirschen und Wildschweinen und von den Herren Rittern selbst bei Ausübung
ihrer nobeln Passion auf unsern Fluren angerichtet worden ‒ das heißt in runder Zahl:
Eine Entschädigung von mindestens 20 Mill. Thalern!
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X
] Berlin, 11. April.
Während der Osterferien haben fortwährend Sitzungen des Ministerraths stattgefunden, was aber geschehen soll, darüber war man nicht einig. Es muß sich
nun in den nächsten Tagen zeigen, ob man durch Auflösung der Kammern den Beweis zu führen gedenkt, daß es einer kräftigen Regierung unmöglich sei, mit einem solchen Wahlgesetz zu herrschen, oder ob
man anderen Ministern Platz machen will. Herr Camphausen hatte wenigstens vielfach Konferenzen sowohl mit den Ministern und dem König, als auch mit Hrn. v. Vinke. Natürlich ist der Kampf darüber,
welcher Weg einzuschlagen sei, gerade bei Hofe am heftigsten. Auch dort gibt es eine Partei, welche vermitteln und konstitutionell bleiben will, eine andere dagegen, welche Alles auf einen Wurf
setzen, und von der Last des Parlaments sich befreien will.
Am vergangenen Sonnabend, den 7. d. M., reichte das Gesammtministerium, nach dem von uns gemeldeten Kabinetsrathe, seine Entlassung ein. Der König nahm dieselbe nicht an, er wies in seiner Antwort
darauf hin, daß es jetzt ihre Ehre (?!!) erfordere, in schlimmen Zeiten bei ihm auszuharren. Die Minister ließen sich natürlich bald bewegen, auf ihren Sitzen zu bleiben. Nur der arme Rintelen ist von
dem Sturm der letzten Tage gefällt worden. Wir werden nicht mehr Gelegenheit haben, seine geistreichen Auseinandersetzungen zu hören, und der Graf Arnim wird sich bemühen müssen, diesen Verlust
dadurch auszugleichen, daß er uns öfter wie bisher durch die Darlegung seiner diplomatischen Kenntnisse erfreuet.
Daß Preußische Gouvernement hat endlich eingesehen, wie ein
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Fürstenkongreß, so angenehm er auch sein würde, doch zu den Unmöglichkeiten gehört, weil sich die öffentliche Meinung in allen Theilen des Landes und in allen ihren Organen allzu energisch dagegen
aussprach. Man hält indessen an der Vereinbarung der Nationalversammlung mit den Regierungen fest, man will deshalb neben der Nationalversammlung eine ganz eigenthümliche Versammlung nach Frankfurt
berufen. Die Regierungen, sagt man, bestehen einerseits aus den Fürsten, andererseits aus den verschiedenen Vertretungen. Außer den Gesandten der Fürsten sollen nun Gesandtschaften der verschiedenen
Landesvertretungen nach Frankfurt berufen werden, und diese monströse Versammlung sich mit der deutschen Nationalversammlung vereinbaren. So sollen z. B. die beiden hiesigen Kammern die erste fünf,
die zweite zehn Deputirte zu diesem Zweck wählen. Ebenso die Kammern der andern deutschen Staaten. Auf den Einwurf, daß ja die Nationalversammlung schon das deutsche Volk im Ganzen vertrete, wurde die
Antwort gegeben, daß die beabsichtigte zweite Versammlung eben die einzelnen Theile Deutschlands vertreten, und so theils neben, theils über der deutschen Nationalversammlung stehen solle.
Oesterreich, mit dem unser Ministerium Hand in Hand geht, hat bekanntlich seine Abgeordneten aus Frankfurt zurückberufen und wird, sollten dieselben diesem Befehl nicht Folge leisten, mit der
Anklage auf Hochverrath drohen. Unser Ministerium geht von der Ansicht aus, daß die Frankfurter Nationalversammlung rechtlich nicht mehr besteht, sobald die österreichischen Abgeordneten dieselbe
verlassen haben. Es erwartet von derselben, sobald dieser Fall eingetreten ist, die Selbstauflösung. Sollte man darauf in Frankfurt nicht eingehen, so wird beabsichtigt, die preußischen Abgeordneten
zurückzuberufen, und wenn man im Fall ihrer Remitenz auch nicht gleich zu ebenso brusken Mitteln seine Zuflucht nehmen würde, wie sie in Olmütz beliebt werden, so läßt sich doch voraussehen, daß die
Entziehung der Diäten für die preußischen Abgeordneten in Frankfurt nicht lange wird auf sich warten lassen, eine Maßregel, welche bei den Abgeordneten, die wir geschickt haben, sehr wirksam sein
wird. Dann bliebe also der Kongreß von Abgesandten der Fürsten und Einzel-Vertretungen noch übrig, und wir würden eine allergnädigste Octroyirung von dieser Versammlung zu erwarten haben.
Der Bericht des Central-Ausschusses über den Antrag des Abg. Waldeck und Genossen, betreffend die Aufhebung des über Berlin verhängten Belagerungszustandes, liegt vor uns, und wir entnehmen
demselben folgende Stellen:
(Referent Abgeordneter Bucher.)
In seiner am 4. April abgehaltenen Sitzung hat der Central-Ausschuß von zahlreichen Petitionen (darunter namentlich zwei aus Berlin, eine mit 1755 gegen, eine mit 5333 Unterschriften für den
Waldeck'schen Antrag) Kenntniß genommen und einen zur Vertretung des Staatsministeriums abgeordneten Kommissarius gehört.
Auf die Frage nach näherer Auskunft über die bedrohlichen Thatsachen, welche Seite 5 der Denkschrift angedeutet sind, gab der Kommissarius die Erklärung ab:
Durch Mittheilungen in- und ausländischer Behörden, durch gesandtschaftliche Berichte selbst aus außereuropäischen Ländern sei die Regierung unterrichtet, daß weitverzweigte, energische
Bestrebungen auf Errichtung der socialen Republik beständen. Das Ministerium sei im Besitz eines reichen, jedoch nicht des ganzen Materials, da es den zahlreichen gerichtlichen und polizeilichen
Untersuchungen an einem Centralisationspunkt fehle. Auch das bereits Ermittelte dürfe nicht rücksichtslos mitgetheilt werden, da Namen zu compromittiren wären und doch häufig kein juristischer Beweis
vorhanden sei. Gleichwohl würde das Ministerium geneigt sein, dem Ausschusse annähernde Mittheilungen zu machen.
Nach Anhörung dieser Erklärung hat der Ausschuß die aufgeworfene Vorfrage:
ob das Ministerium zuvörderst um diese Mittheilungen anzugehen sei,
mit 6 Stimmen gegen 1 verworfen und den Waldeck'schen Antrag mit 4 gegen 3 angenommen, wahrend die Minorität die Aufhebung des Belagerungszustandes von der Publikation der erwähnten drei
Gesetze abhängig machen will ‥‥
[unleserlicher Text] … Der Central-Ausschuß hat sich zunächst die Frage vorgelegt, ob das Ministerium zur Verhängung solcher außerordentlichen Maßregeln nach der geltenden Gesetzgebung befugt gewesen sei, oder
‒ um mit den Worten der Denkschrift zu reden ‒ sich auf dem Boden des positiven Rechts befunden habe. Diese Frage hat mit Stimmeneinheit verneint werden müssen Es ist davon ausgegangen,
daß die Aufhebung eines Gesetzes, auch wenn sie nur zeit- und distriktsweise erfolgt, keineswegs eine Verwaltungsmaßregel, sondern ein Akt der Gesetzgebung ist, also, insofern nicht eine besondere
Ermächtigung vorhanden ist, den gesetzgebenden Gewalten gebührt. Kein Gesetz ermächtigt das Ministerium, eine Militärdiktatur, die in einer belagerten oder vom Feinde bedrohten Festung nothwendig und
durch die Instruktion vom 30. September 1809 geregelt ist, vermittelst einer Fiktion auf eine offene Stadt im Frieden anzuwenden. Die Denkschrift beruft sich auf die Verfassung; ‒ aber die
Verfassung datirt vom 5. December, der Belagerungszustand vom 12 November. Sie beruft sich ferner auf § 9 der Einleitung zum Strafgesetzbuch für das Heer und § 18 der Militärstrafgerichts-Ordnung;
aber es waren am 12. November keine Kriegszeiten, Berlin war kein Kriegsschauplatz und es ist keine Bekanntmachung im Namen des Königs erfolgt. Eine einzige Bestimmung existirt, welche das Ministerium
zur Suspendirung gewisser Grundrechte ermächtigt, der § 8 des Gesetzes vom 24. September v J. Aber gerade auf diesen Paragraphen will die Denkschrift sich nicht berufen; sie beseitigt ihn durch die
Behauptung, daß eine zeit- und distriktsweise Suspendirung der §§ 1 und 6 des Gesetzes niemals Statt gefunden habe.
[unleserlicher Text] Das Ministerium war also nach positivem Rechte nicht befugt, die Censur einzuführen, das Vereins- und Versammlungsrecht, das Heimathsrecht zu beeinträchtigen. Es ist aber auch überhaupt verfehlt,
ein Unternehmen aus dem positiven Rechte begründen zu wollen, welches gerade in einer Verletzung des positiven Rechtes besteht.
[unleserlicher Text] Der Ausschuß ist deshalb einstimmig der Ansicht, daß es die Pflicht des Ministeriums gewesen wäre, sofort mit einer der Wichtigkeit des Gegenstandes und der Würde der Volksvertretung
entsprechenden Rechtfertigung vor die Kammern zu treten und ihre Genehmigung nachzusuchen, und daß, sobald diese Genehmigung auch nur von Einer Kammer versagt wird, der Belagerungszustand als
ungesetzlich verurtheilt und damit von selbst beseitigt ist.
Anstatt diesen Weg einzuschlagen, hat das Ministerium bei Ueberreichung der drei Gesetzentwürfe erklärt, „daß, wenn dieselben genehmigt wären, der Zeitpunkt näher gerückt sein würde, wo der
Belagerungszustand beseitigt werden könne,“ also Bedingungen gestellt und selbst nach Erfüllung derselben, sich noch eine Entschließung vorbehalten. Der Central-Ausschuß hält in seiner Mehrheit
dafür, daß es, schon um das Recht der Volksvertretung zu konstatiren und zu wahren, unabweisbar sei, die Mißbilligung des Belagerungszustandes auszusprechen, selbst auf die Gefahr hin, daß, wie die
Minorität befürchtet, nachtheilige, lediglich dem Ministerium zur Last fallende Folgen entständen.
Die Minorität nämlich, obwohl mit der oben entwickelten Auffassung des Rechtspunktes einverstanden und durch die Denkschrift keineswegs befriedigt, hat doch aus anderweitigen Erfahrungen und
Anschauungen die Ueberzeugung geschöpft, daß die Verhängung des Belagerungszustandes als ein Akt der Selbsterhaltung nothwendig und daß seine Fortdauer zur Erhaltung der Ruhe, zum Schutz der Kammern
und zur Schirmung der materiellen Interessen bis dahin wünschenswerth sei, daß durch die mehrerwähnten Gesetze dem Mißbrauch der Presse, des Versammlungs- und Vereinsrechts und der davon zu
befürchtenden Wiederkehr anarchischer Zustände vorgebeugt sei.
Dagegen hat die Majorität in Betreff der faktischen Seite der Frage die Ueberzeugung nicht aufzugeben vermocht, daß der Belagerungszustand nicht eine Folge des Konfliktes vom 9. November, sondern
der Konflikt das Mittel zur Herbeiführung des Belagerungszustandes gewesen ist; daß das Ministerium weder durch das, überdies als Parteischrift mit Vorsicht zu benutzende Memoire, noch durch die
Eröffnung des Herrn Kommissarius den ihm obliegenden Beweis über die Nothwendigkeit des Ausnahmezustandes geliefert hat; daß die Regierung jedenfalls stark genug ist, um unter Anwendung der ihr zu
Gebote stehenden gesetzlichen Mittel die Ruhe der Hauptstadt aufrecht zu erhalten: daß die Willkürherrschaft, namentlich die Fesselung der Presse, ein Hemmniß für das geistige Leben des Volkes, für
die erfolgreiche Thätigkeit der Volksvertreter und eine Schmach für das Preußische Volk ist; daß endlich ein Regierungssystem, welches geständlich ohne Militärdiktatur nicht bestehen kann, das
Vertrauen und damit den Wohlstand des Landes aufs Tiefste erschüttert.
Aus diesen Gründen giebt der Central-Ausschuß anheim zu beschließen, d ß das Ministerium aufzufordern, den seit dem 12. Novbr. v. J. über Berlin und dessen zweimeiligen Umkreis verhängten
Belagerungszustand sofort wieder aufzuheben.
Der Central-Ausschuß
Dr. Jacoby. v. Fock. Wiethaus. Pape (Warburg). B[unleserlicher Text]cher. v. Beughem. Mattha[unleserlicher Text]
Sitzung der ersten Kammer.
Nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzungen vom 4. d. M. erhält Abg. Rosenkranz das Wort, um den Bericht der Kommission in der deutschen Frage mitzutheilen.
„Der dringende Antrag des Abg. Kuh und Genossen spricht die Ansicht aus, daß durch die Antwort Sr. Maj. des Königs an die Deputation der Frankfurter National-Versammlung das deutsche
Vaterland in eine drohende Lage gebracht worden und die Ernennung einer Kommission zur Erwägung der dadurch herbeigeführten Lage der Dinge dringend nothwendig erscheine.
Ware diese Ansicht begründet, ware also wirklich durch die Antwort Sr. Maj. eine neue und drohende Lage der Dinge herbeigeführt worden, so könnte dieses nur einen zwiefachen Grund haben:
1. Entweder den, daß jene Antwort eine Abweichung von den bisher von der Regierung des Königs befolgten Grundsätzen in sich schlösse;
2. oder den, daß dadurch die Erwartungen nicht erfüllt werden, die man von den Entschließungen Sr. Maj. zu hegen berechtigt gewesen und deren Erfüllung das Heil des deutschen Vaterlandes
erfordern.
„Diese beiden Punkte waren daher von der Kommission in Erwägung zu ziehen ‥‥
„‥‥ Erwägt man den Inhalt der von Sr. Maj. dem Könige an die Deputation der deutschen National-Versammlung erlassenen Antwort, so stimmt dieselbe theils in der Erklärung der
Bereitwilligkeit für Deutschlands Einheit und Kraft, selbst auf die Gefahr großer Opfer hin, einzutreten, theils in dem Vorbehalte des freien Einverständnisses der deutschen Regierungen zu der von Sr.
Maj. zu fassenden Entschließung, endlich auch in der den Regierungen der einzelnen deutschen Staaten vorbehaltenen Prüfung der zu Frankfurt festgestellten Verfassung, mit der Cirkularnote vom 23.
Januar überein.
„Dagegen fand sie in dem Antrage der deutschen Kaiserwürde keine unmittelbare Veranlassung, sich auch über die unter allen Umstanden festzuhaltende Bildung eines engeren Bundesstaates
auszusprechen. Auch ließ die Art, wie darin die den deutschen Regierungen vorbehaltene Prüfung erwahnt wurde, dem Zweifel Raum, ob nicht dadurch der Fortgang der Verhandlungen bedeutend aufgehalten,
ob nicht etwa dazu die Berufung eines Fürstenkongresses beabsichtigt und ob nicht gar die Endgültigkeit der Verfassung an die Zustimmung sämmtlicher Regierungen gebunden werde. Es ist jedoch
überflussig, in diese Bedenken einzugehen, weil dieselben seitdem durch die Cirkularnote vom 4. April widerlegt sind und dadurch das Beharren der Regierung in den durch die Cirkularnote vom 23. Januar
bezeichneten Grundsätzen klar dargethan ist.
„Nachdem auf diese Weise der eine Grund der durch die Antwort Sr. Maj. bei den Herrn Antragstellern erregten Besorgnisse erledigt ist, so wendet sich die Kommission zu 2, oder mit andern
Worten, zu der Frage:
ob unter den jetzt eingetretenen Umständen die verantwortlichen Räthe der Krone nicht Sr. Maj. dem Könige die unbedingte Annahme der angetragenen Kaiserwürde, als zum Heile des deutschen
Vaterlandes dringend nothwendig, hätten anrathen sollen?
„Um diese Frage richtig zu erwägen muß die Commission vor allem darauf aufmerksam machen, daß die Regierung des Königs in der Circularnote vom 23 Januar ausdrücklich erklärt hat, daß Preußen
keine ihm angebotene Stellung anders als mit freier Zustimmung der verbündeten Regierungen annehmen werde, ja sogar, daß nach der Ansicht Sr. Maj. des Königs und dessen Regierung die Aufrichtung einer
neuen deutschen Kaiserwürde, zu der Erlangung einer wirklichen und umfassenden Einigung nicht nothwendig, vielmehr zu befürchten sei, es werde das ausschließliche Anstreben gerade dieser Form des
Einheitspunktes der Erreichung des Zweckes der Einigung wesentliche und schwer zu überwindende Hindernisse in den Weg legen. Man wird einräumen müssen, daß nach so bestimmten Erklärungen nur die
dringlichsten Gründe des allgemeinen Wohls es rechtfertigen könnten, davon abzuweichen, und dadurch auf die Vortheile zu verzichten, welche eine aufrichtige und konsequente Politik für Se. Maj.
Regierung schon an sich, insbesondere aber bei dieser Angelegenheit mit sich führt, dessen Gelingen ganz vorzüglich durch das Vertrauen der deutschen Stämme und Regierungen zu Preußen bedingt ist.
Schließlich trägt die Kommission einstimmig darauf an:
„Die Kammer wolle die Dringlichkeit des Antrages nicht anerkene nen.“
Kuh spricht für die Dringlichkeit. Er hebt besonders hervor, daß sogar der ehemalige Bundestag als er die Nationalversammlung bei ihrer Constituirung begrüßte, anerkannte, daß sie berufen
sei, die Verfassung festzustellen. Er widerlegt den Kommissionsbericht Satz für Satz. ‒
Nach namentlicher Abstimmung wird die Dringlichkeit mit 75 gegen 38 Stimmen verworfen. ‒