Großbritannien.
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] London, 10. April.
Der „Economist“, in seiner Nummer vom 7. April, führt Buch über die Ereignisse des Jahres 1848, d. h. über den Reinertrag derselben für die
englische Bourgeoisie. Die Rechnung fällt befriedigend aus, und vom augenblicklichen Profit berauscht, erscheint auch die Zukunft den kühlen Denkern Altengland's im Frühlingssonnenschein. Der
vielerfahrene „Economist“ vergißt nur, daß nach den Krisen von 1825, 1830, 1840 nicht mehr und nicht minder Prosperitätszeiten kamen, wie jetzt nach der Krise von 1846/47, daß diesen
Prosperitätszeiten aber immer ausgedehntere und gefahrdrohendere Krisen auf dem Fuße nachfolgten. Und diesmal wird die Krise zusammenfallen mit allgemeinem Krieg nach Außen und offen
entwickeltem Klassenkampf im Innern.
Hören wir einstweilen den kommerziellen Dithyramb des „Economist“. Wir werden uns die große Freiheit nehmen, seine breitspurigen und selbstzufrieden sich ausspinnenden Phrasen auf ein
Minimum zusammenzuziehen.
England, sagte er, hat in der Ueberwindung der Gefahren des verflossenen Jahres die sanguinischsten Hoffnungen übertroffen. Der Friede im eignen Hause gesichert — der Krieg nach Außen
vermieden. Das Kapital, durch die Unsicherheit im Auslande alarmirt, ist in unser Land in einem beständigen Strome das ganze Jahr hindurch zurückgeflossen, die Konsols sind gestiegen von 80 auf 93,
der Geldzug für kommerzielle Unternehmungen ist in 18 Monaten von 8 pCt. auf 2 1/2 pCt. gefallen. Zu keiner andern Periode war unser Land so sehr das Centrum der Industrie und des Handels, nicht
allein wegen der hier gebotenen größern Sicherheit, sondern vielleicht mehr noch (c'est ça) wegen der Leichtigkeit, welche überströmendes und wohlfeiles Kapital den Kaufleuten bietet,
die Vorschüsse zu machen, welche die überseeischen Consignateurs von Europa verlangen. Von der andern Seite hat allerdings die Nachfrage auf dem europäischen Kontinente abgenommen, dagegen eine
ungewöhnliche Ausfuhr von Lebensmitteln nach Großbritannien stattgefunden. Diese Umstände haben großen Ueberfluß und niedrigen Preis der Lebensmittel auf der Insel hervorgerufen. Zu keiner Zeit konnte
dies dem Gemeinwesen gelegener kommen als gerade in diesem revolutionslustigen Jahre. Einzelne Individuen haben allerdings dadurch gelitten. Diese aber mögen bedenken, was aus ihnen geworden wäre,
wenn das Jahr 1848 unter entgegengesetzten Umständen uns überrascht hätte.
Die letzten diplomatischen Phrasen des „Economist“ heißen zu deutsch: Die große Einfuhr von Getreide und Vieh in England und der daher erfolgende niedrige Preis der
Agrikulturprodukte, hat den Landbauinteressen England's einen empfindlichen Stoß versetzt. Die Landlords jedoch und Pächter mögen überlegen, was aus ihnen geworden wäre, wenn das Jahr 1848 mit
Theuerung der Lebensmittel in England zusammengefallen wäre!
Der kaltblütige „Economist“ vergißt nur, daß die Einfuhr von Getreide und Vieh nach Großbritannien, kein ausnahmsweises, auf das Jahr 1848 beschränktes Faktum ist, sondern jetzt nach
Aufhebung der Schutzzölle jährlich zunehmen, den „Sonderinteressen“ der Landlords und der gesammten Landbaubevölkerung jährlich empfindlichere Stöße versetzen und die Wehen der nächsten
kommerziellen Krise in einer bisher ungeahnten Weise erschweren wird.
Kehren wir zum Dithyramb zurück.
Die tropischen Produkte, — Zucker, Kaffee, Thee —, Rohmaterialien jeder Art — Wolle, Baumwolle, Silber, Flachs —, fremde Manufakturwaaren, namentlich französische und
indische Seidenzeuge, das Vieh und Getreide des europäischen Kontinents, — alles hat seinen Weg zu diesem Lande gefunden in Quantitäten, wie sie von keiner früheren Periode erreicht worden
sind. Die folgende Tabelle zeigt die Quantitäten, der tropischen Produkte, die in den zwei ersten Jahren des gegenwärtigen Jahrs eingeführt worden sind in Vergleichung mit dem Import derselben
Produkte der korrespondirenden Perioden in den Jahren 1847 und 1848.
Einfuhr vom 5. Januar bis zum 5. März.
| | 1847. | 1848. | 1849. |
Kaffe | Pfd. | 1,468,395. | 1,145,747. | 4,185,343. |
Cacao | 〃 | 46,282. | 108,052. | 1,114,829. |
Thee | 〃 | 4,880,124. | 6,588,513. | 8,535,259. |
Zucker | Ctr. | 686,331. | 528,152. | 687,626. |
Die Mehr-Einfuhr dieser tropischen Produkte rührt nicht von den englischen Kolonien, sondern von den übrigen Tropenländern her. So der Thee. Die englischen Kolonien haben nur ihr bisheriges Quantum
an Zucker und Kaffee eingeführt. Die Ausfuhr aus Ostindien hat dagegen sehr zugenommen.
Wir geben jetzt die Einfuhrtabelle für die Hauptprodukte in der korrespondirenden Periode der Jahre 1847, 1848 und 1849.
| | 1847. | 1848. | 1849. |
Flachs | Ctr. | 45,282. | 57,109. | 59,231. |
Hanf | 〃 | 28,753. | 64,673. | 47,445. |
Baumwolle | 〃 | 556,791. | 524,132. | 1,063,788. |
Rohseide | Pfd. | 389,162. | 337,254. | 604,375. |
Dublirte Seide | 〃 | 44,191. | 27,152. | 90,994. |
Wolle | 〃 | 3,127,301. | 3,148,765. | 4,173,150. |
Am merkwürdigsten in dieser Tabelle ist, daß die englische Einfuhr gerade in den Rohstoffen den größten Zuwachs zeigt, die man hauptsächlich auf dem Kontinent bearbeitet und speziell in Frankreich.
Z. B. die Seide. Unsere Einfuhr der Rohseide hat zugenommen: von 337,254 Pfd. auf 604,373 Pfd., und die der dublirten Seide von 27,152 auf 90,994 Pfd. Die Dublirfabriken in Frankreich und Italien,
welche früher für kontinentale Manufakturen arbeiteten, arbeiten nun für die unseres Landes. Was nun die Baumwolleinfuhr betrifft, so ist sie von den 524,132 Ctrn. des letzten Jahres auf 2,063,788
Ctr. gewachsen. Durch unsere neuesten Nachrichten aus den Vereinigten Staaten wissen wir, daß während bei dem üppigen Wuchs dieses Jahres im Ganzen 972,000 Ballen exportirt worden sind, während im
vorigen Jahre nur 683,000 exportirt wurden, Frankreich in diesem Jahre nur 155,000 Ballen importirt hat, während es im vorigen Jahre 196,000 Ballen importirte. Unser Land dagegen hat gegen 392,000
Ballen im Jahre 1848, in diesem Jahre (1849) 675,000 Ballen aus den Vereinigten Staaten importirt. Auch die Einfuhr der Seidenwaaren aus Ostindien und Europa hat bedeutend zugenommen.
Die Einfuhr der geistigen Getränke hat sehr gegen das Jahr 1848 zugenommen, obgleich nie mehr davon und zu niedrig. Preisen in England selbst produzirt wurde.
Importirt vom 5. Januar bis zum 5. März.
| | 1847. | 1848. | 1849. |
Rum | Galonen. | 284,546. | 612,227. | 729,042. |
Branntwein | 〃 | 151,473. | 203,313. | 364,052. |
Genever | 〃 | 49,518. | 20,562. | 36,403. |
Totalsumme | in Galonen | 485,537. | 836,102. | 1,129,497. |
Die Einfuhr der Agrikulturprodukte ist verhältnißmäßig noch bedeutender. Einmal hatten wir eine Erndte unter dem Durchschnittsertrag, sowohl der Qualität als Quantität nach, während auswärts Güte
und Ueberfluß zusammenfielen. Dann waren in Folge des Aufhörens der durch das Gesetz von 1846 auferlegten Uebergangszölle große Verschiffungen gemacht worden. Die Einfuhr von Agrikulturprodukten
übersteigt daher bei weitem die jedes frühern Jahres.
Importirt vom 5. Januar bis zum 5. März.
Vieh von allen Sorten.
1847 | 11,243 | Stück. |
1848 | 7,384 | 〃 |
1849 | 12,724 | 〃 |
Mundvorrath in Centnern.
| 1847. | 1848. | 1849. |
Speck | 3,236 | 12,448 | 47,916 |
Gesalzenes Rindfleisch | 24,173 | 22,392 | 63,743 |
Frisches Rindfleisch | 100 | — | 11 |
Schinken | 2,032 | 389 | 1,218 |
Andres Fleisch | 38 | 955 | 141 |
Schweinefleisch | 23,693 | 8,689 | 38,522 |
Totalsumme | Ctr. 53,272. | 44,873 | 151,550 |
Butter, Käse und Eier.
| 1847. | 1848. | 1849. | |
Butter | 24,888 | 21,071 | 30,174 | Ctr. |
Käse | 46,597 | 44,534 | 46,958 | 〃 |
Totalsumme | 71,485 | 65,605 | 77,132 | |
| 1847. | 1848. | 1849. |
Eier (Stück) | 5,076,445 | 2,197,941 | 12,327,152 |
Der Zuwachs im Import des Mundvorraths beträgt das dreifache, der in derselben Periode von 1848 eingeführten Quantität. Die außerordentliche Zunahme in der Einfuhr von Eiern, soll ihren Grund haben
in der verminderten Nachfrage, die nach französischen Eiern in Paris stattfand.
Die Getreideeinfuhr verhält sich, wenn wir das importirte Mehl ebenfalls auf Quarters Getreide reduziren und das aus dem Zollvorschluß auf dem einheimischen Markt eingegangene Getreide
einrechnen:
Importirt vom 5. Januar bis zum 5. März.
Quarter. | 1847. | 1848. | 1849. |
Getreide aller Art | 913,290 | 452,960 | 2,062,972 |
Mehl auf Qu. Getreide red. | 305,961 | 76,778 | 324,881 |
| 1,219,051 | 528,734 | 2,387,853 |
Was die Exportation britischer Manufakturen betrifft, so stellt sich folgendes Verhältniß heraus:
Vom 5. Januar bis zum 5. März ausgeführt:
1847 | Pfd. St. | 6,524,217. |
1848 | Pfd. St. | 6,824,980. |
1849 | Pfd. St. | 7,029,478. |
In den zwei ersten Monaten von 1849 hat also die Ausfuhr englischer Manufakturen um ungefähr 200,000 Pfd. St. zugenommen, verglichen mit Januar und Februar 1848 und um ungefähr 500,000 Pfd. St.
verglichen mit 1847.
Der „Economist“ schließt mit folgenden Ausbrüchen von Bürgerpathos:
„Vertrauen und Kredit sind hier gänzlich wieder hergestellt. Das Kapital hat in diesem Lande seinen Centralsitz aufgeschlagen und mit ihm ein großer Theil der Gesammtproduktion des
Weltmarkts. Ueberfluß und Wohlfeilheit aller Artikel, wie sie zu keiner frühern Periode bekannt waren, resultirten daher. Die unmittelbarsten Bedürfnisse, wie die Comforts und Luxusartikel waren zu
keiner Periode so leicht zu erhalten. Beschäftigung, besonders in allen Hauptsitzen unserer Nationalindustrie, ist leicht zu erhalten. Das, was die besten Männer ein Jahr zuvor am heißesten für
Englands Geschick erfleht, hat sich verwirklicht.“
Die Sprache des Oekonomisten überrascht uns nicht. In allen blühenden Cpochen des englischen Handels hat er eine ähnliche Sprache geführt, oft eine Woche vor dem Ausbruch der neuen Krise.
In seiner eigenen Darstellung zeigen sich allerlei Symptome eines herannahenden Ungewitters. Z. B. das Steigen der englischen Consols von 80 auf 93 beweist nicht nur das Vertrauen auf den
Fortbestand des politischen status quo, sondern eben so sehr die Entwerthung der Ländereien — eine natürliche Folge der freien Einfuhr von Getreide und der sehr erleichterten Einfuhr von Vieh
und Fleisch. Mit dem Preiß der Agrikulturprodukte sinkt die Grundrente und mit ihr der Bodenpreiß.