[1503]
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 267. Köln, Sonntag, den 8. April. 1849.
@typejExpedition
@facs1503
Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. — Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Hovas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.
Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. — Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. — Nur frankirte Briefe werden angenommen. — Expedition in Aachen bei Ernst ter Meer; in Düsseldorf bei F. W. Schmitz, Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro. 17.
@typecontents
@facs1503
Uebersicht.
Deutschland. Köln. (Lohnarbeit und Kapital. [Fortsetzung]). Berlin. (Klatsch. — Kammerdebatten — Briefwechsel zwischen Herrn Brandenburg und der Frankfurter Deputation.) Wien. (Vermischtes.) Kiel. (Blockade. — v. Bülow. — Bonin.) Flensburg. (Die Dänen.) Apenrade. (Beginn des Kampfes.)
Ungarn. Vom Kriegsschauplatze. Ofen, Preßburg. (Verurtheilungen.)
Franz. Republik. Paris. (Faucher. — Changarnier. — Programm der social-demokratischen Presse. — Vermischtes. — National-Versammlung.)
Italien. Genua. (Ferretti arretirt. — Eindruck des Waffenstillstandes. — Der Municipalrath. — Deputation nach Turin. — General Asorta. — Der englische Konsul. — Deputation aus Sarzana. — General Sonnaz.) Turin. (Paretto nach Genua.) Florenz. (Guerrazzi.) Neapel. (Die Blockade Siciliens.) Mailand. (Brescia bezwungen.)
Großbritannien. London. (Parlament.)
Deutschland.
@xml:id#ar267-1_001_c
@typejArticle
@facs1503
Edition: [Karl Marx: Lohnarbeit und Kapital, vorgesehen für: MEGA2, I/9. ]
[ * ] Köln, 7. April.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
@typejFeuilleton
@facs1503
@xml:id#ar267-1_002
@typejArticle
@facs1503
III. Die Güldine Bull von 1356 und das teutsche Reichsgrundtgesätz auffgericht Anno 1848/49.
Freundlich zu lesen.
Sintemalen der eigenthümbliche Schweinslederbands-Styl Doctoris Joannis Noppii einen vornemblich köstlichen Eintruck auff uns hervorgebracht hat, thun wir hierdurch kunt und fügen unsern Lesern zu wissen, daß wir uns inspiriret fühlen, in dem selftigen Style fortzufahren und die Alterthümbliche Außtrucksweiß auch auf die History-Beschreibung der neu Zeit auszutehnen.
Ehe wir indeß, zu Lob, Wolfahrt und Gedeyen unsres Vatterlands, und nicht weniger zu Underweiss- und Nachrichtung derjenigen, so biß daher nicht gewußt, in was vor einer gebenedeyeten Zeitt wir in diesem Jahre 1849 leben, von vielen gedenkwürdigen Dingen zu erzehlen den Anlauff machen, müssen wir unsre ehrbaren Leser zuruckversatzen in das Jahr des Herrn 1356 allwo Kaiser Carolus seines Nahmß der virt, inmitten der Allgemeinen Confusion des heiligen Röm. Reichs die güldine Bull hat auffgericht, zu einem ewigen Gesätz bis an der Welt End, vor alle Walen ains Römischen Königs und Keysers, welche hiernacher in teutschen Landen mögen platz haben.
Also beginnt aber Keiser Carolus der viert:
„In Namen der unzerteylten Dreifaltigkeyt seliglich amen. —“
Wir Carolus der viert von gotts gnaden Römischer Keyser, zu allen Zeitten merer des Reichs, und künig zu Beheimb zu ewiger gedechtnuß der sachen, so eyn jecklich Reich das in ihm selbs geteylt, würdet trostloß, wan die Fürsten solcher tailung sein gesellen der Dieb. Darumb hat Gott enmitten under sie gemüscht den gayst des schwindels, das sie zu mittag irs lichtes gleich als in der Finsternit befinden, und ir leuchter von rechter statt bewegt, das sie plind und der plinden fürer werden, auch die also in der vinster wandeln, die schaden und seynd plinds gemüts volbringen die missetaten so inn der taylung beschehen.
Sag an du hoffahrt, wie woltest in Lucifero geherschet, wa du die hilff der tailung nit gehabt hettest. Sag an du hassiger sathan, wie mögtest du den Adam vom paradyß geworffen, wo du in nit vonn der gehorsam getailt hettest. Sag an du Zorn, wie hettest du den Römischen gemeynen nutz zerstört, wo du Pompeyum und Julium, mit grymmigen schwertern, nit zu innern hefftigen kriegen erweckt hettest. Sag an du unkeuschhait wie du Troy zerstört, du hettest dann Helenam von irm mann getailt. Auch du neidt und haß das Christenlich kayserthumb das von gott, gleich der hayligen und unzertailten Dreifaltigkeyt, mitt den göttlichen tugenden des Glaubens, der hoffnung und lieb in gesterckt, des grundtfest auff das aller Christenlichst Reich seligklich gefestnet ist, mit aller gifft als die schlang in des kayserthums Ast und nächste glider mit ungenötigter missethat verunrainigt, auff das, so die seulen zerschlagen, der gantz pau zu vallen gericht. Also hast du zwischen des hailigen Reichs siben Churfürsten, durch die als sieben leuchter das hailig reich in ainigkeyt, des siebenförmigen Gaistes, solt erleucht werden, mermals in zertailung gestelt. Aber für war, so wir von Ampts wegen den zukünfftigen gebrechen solcher teylung und unainigkait zu begegnen schuldig seyn, haben wir in unserm hochzierlichen Hauß zu Nürmberg, so bei uns sassen alle gaistlich und weltlich Chur, auch ander fürsten, graven, freien, fürtreffend edelen, mannigfaltig der stett bottschafften im kaiserlichen stul, mit derselben unser Maiestet infeln, insignen und kaiserlicher dyadem gekrönet, auß volkommenhait kaiserlichs gewalt gepotten, gesetzt und gefestnet im Jar des Herrn 1356, am 8. Januarii, unsres Reichs des zehenden und kaiserthumbs im ersten, was folgt: —“
Hiermit schließt Keyser Carol IV die Vorrede der güldine Bull und nun kommt, was die Erzbischoffen von Mayntz, Cölln und Trier als geistliche Churfürsten, der König von Beheimb, als des hailigen Reichs Ertzschenken, der Pfaltzgrav bei Rein als des h. R. Ertztruchhessen, der Hertzog von Sachssen, als des h. R. Ertzmarschalck, und der Marggrav von Brandenburg als des h. R. Ertzcamrer, als weltliche Churfürsten bei der wal eines römischen Königs zu thun haben.
Da wir solches aber schon in Capitul II bei Gelegenheit Caroli V Krönung zierlich ausgeführt, so bleibt uns nur zu sagen übrig, daß wie alle Gesätz der Welt nicht bis an das End der Zeitten dauern, so auch die güldine Bull allmehlig vernachlessiget und vergessen worden, und daß endlich bis zum Jar unsres Herrn 1849 eine keyserloß schröckliche Zeit existiret.
Da aber hat sich die Sach gewendt, denn siehe da, im Jar vorher, Anno 1848, ist uns urplötzlich durch die Gottlosigkeit fränkischer Nation eine große Aenderung widerfahren. Ludovicus Philippus, König der Welschen, ist nemblich am 24. Februharii von seinem Volck vom Thron hinuntergezwackt worden und wie niemals ein Ungelück allein kommt, so hat sich das Volck teutscher Nation ein böß Exempel daran nommen und alsofort auch bei sich eine allmächtige Konfusion angericht. Wenig hat gemangelt, daß man Se. Mayst. von Oesterreich bei Ihrer keiserlich langen Nas auß dem Land zog. Der Marggraf von Brandenburg hat sein Birret vor dem Volcke absetzen müssen und auf einem generosen Pferd durch die Strassen reitend, höfliche Reverentz gemacht. Die grewlichen Bierkrawalle in Beyerland sind jedermenniglich bekennt; aber auch in Wirtemberg hat man viel Schlösser verbrannt und dem Hertzog von Nassau das Wildpret geschossen in Dero Forsten und die Krapffen gefangen in den Deichen. Zu Cassel seynd den plinden Hessen plötzlich die Augen aufgangen; in der freien Statt Hampurg hat man eine Barrikadirung verffertigt auff der Mitt des großen Marckts, darüber sich die Oberältesten wunderlich entsatzet. Ein Gleiches ist aber geschehn zu Hildpurghausen, und in Lippe Bückeburg, wo fürstlich Heiterkeit alle Privilegien [Fortsetzung]
[1504]
[Deutschland]
@xml:id#ar267-1_003_c
@typejArticle
@facs1504
Edition: [Karl Marx: Lohnarbeit und Kapital, vorgesehen für: MEGA2, I/9. ]
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
@xml:id#ar267-1_004
@typejArticle
@facs1504
[ * ] Berlin, 5. April.
Das Verhältniß der Parteien zu der deutschen Frage möchte sich in folgender Weise gestaltet haben:
Die äußerste Rechte wünscht den alten Bund zurück, und ist begeistert für die Antwort des Königs. Dazu stimmen die von Ulrich eingebrachte motivirte Tagesordnung und der Jubel der „Neuen Preußischen,“ die dem König endlich seine Schwäche am 19. März 1848 für seine feste Haltung am 3. April 1849 verzeiht.
Die eigentliche Rechte wollte, daß der König vorläufig unbedingt annehme unter Vorbehalt der Zustimmung der deutschen Regierungen. Die Verfassung muß nach ihrer Ansicht allerdings revidirt werden, aber das kommt dem nächsten deutschen Parlament zu. Aber in ihrem Lager ist Zwietracht, Herr von Auerswald möchte gern eine eigene Partei bilden, er würde sich eventuell dem Kirchmann'schen Adreßentwurf anschließen.
— Die Centren sind natürlich am meisten geschlagen, weil sie die größten Anstrengungen für die Einheit gemacht haben.
Die äußerste Linke findet ihren Ausdruck in ihrer motivirten Tagesordnung.
Die Ultramontanen, Bloemer, Schneeweiß, Osterrath etc., sind gegen das protestantische Kaiserthum, von dem sie Gefahren für ihre religiösen Interessen fürchten.
Obgleich Gerüchte verbreitet wurden vom nahen Zurücktritt des Ministeriums, so sah man es den Gesichtern der Herren am grünen Tische an, daß sie sich niemals wohler gefühlt haben. Brandenburg und selbst Manteuffel unterhielten sich, wie es schien, sehr angenehm. Auf dem breiten Gesicht des Ersteren sah man ein gemüthliches, auf dem des Anderen ein höchst satyrisches Lächeln die ganze Sitzung über.
Wir sind glücklich wieder in die alte schöne Zeit zurückgekommen, in der man patriotische Demonstrationen in das Theater verlegt. Vorgestern Abend wurde im Opernhause von einer bezahlten Clique nach dem „deutschen Vaterland“ gerufen. Auf dieses Zeichen regnete es Texte, der Vorhang flog auf und es erschien der ganze Sängerchor in schwarzen Fracks, weißen Glacehandschuhen u. s. w., und erfüllte den Wunsch. Leider hat der teutsche Küstner wenig Dank, man ist bei Hofe sehr empört über diese voreilige Demonstration.
Im „Götz von Berlichingen“ hat man gestern Abend selbst den armen Göthe mit Einschiebseln nicht verschont. Bei der Stelle welche ungefähr heißt: „Es lebe der Kaiser, er möge Ordnung in Deutschland schaffen,“ variirte man: „Er möge mit den deutschen Fürsten Ordnung machen.“
Gestern begab sich der ehemalige Lieutenant v. Mauschewitz in das Redaktionszimmer der N. Pr. Z., um Rechenschaft zu fordern für die gemeinen, schmachvollen und lügenhaften Schmähungen und Verdächtigungen, mit den ihn sonst jede Nummer dieses ehrlosen Blattes überhäufte. Herr Wagner, der Redakteur, verweigerte natürlich, wie sehr er auch sonst die Feigheit der Demokraten zu verhöhnen pflegt, jede Genugthuung. Hierüber erbittert, gab ihm Hr. v. Mauschewitz einen Schlag auf den Kopf.
Als Bodelschwingh mit frecher Verhöhnung des Volkes, welches ihn vom Strange, der ihm von Rechtswegen zukam, zur Verbannung begnadigte, den Kampf der Berliner einen entehrenden Straßenkampf nannte, erhob sich die Linke. „Er ist Verräther, hieß es, „er entehrt die Tribüne“ — „herunter mit dem Schuft!“ — „Er ist ein Schurke!“ — „Es ist eine Schande, mit ihm zusammenzusitzen.“ — Die Sitzung mußte suspendirt werden.“
In der Mitte des Jahres 1844 reisten die beiden Gebrüder v. d. Heydt mit dem nachher bekannten Dr. Schütte mit der Post von Rotterdam nach der preuß. Gränze. In Emmerich wurden sie natürlich von den Zollbeamten angehalten. Bei Dr. Schütte fand sich keine Contrebande, die beiden Brüder aus Elberfeld hatten jeder einen großen englischen Koffer bei sich, der die Aufmerksamkeit der Zollbeamten sogleich erregte. Daniel, der jetzige große Handelsminister, wandte sich an den Steuerbeamten und sagte: „Mein Name ist v. d. Heydt aus Elberfeld, Sie kennen mich?“ „Ja wohl,“ antwortete der Beamte, „Sie sind Banquier.“ „Der andere Herr ist mein Bruder, Kaufmann, August v. d. Heydt, Sie werden meinen Worten glauben, wenn ich Ihnen sage, daß wir nichts Steuerbares bei uns haben. Herr Schütte kann uns das bezeugen, er hat mit uns in einem Gasthofe in Rotterdam gewohnt.“ (Davon war natürlich kein Wort wahr.)
Der Beamte besteht auf die Durchsuchung, weil es seine Pflicht sei. „„Der jetzige Minister Daniel v. d. Heydt gibt sein Ehrenwort, daß nichts Steuerbares in beiden Koffern vorhanden sei.““
Trotz des Ehrenwortes werden die Koffer untersucht. Beide sind voll englischer Schmuggelwaaren. Daniel v. d. Heydt muß drei Tausend Thaler Strafe zahlen, und um abreisen zu können, einen Wechsel auf Elberfeld ausstellen
Trotz seines gebrochenen Ehrenwortes sitzt Daniel v. d. Heydt heute am Ministertische Sr. Majestät des Königs von Preußen.
Die Ablehnung der Kaiserkrone schreibt man unter Anderm besonders dem österreichischen Gesandten, Ritter Prokesch von Osten, zu. Prokesch, einer der feinsten Weltmänner, ausgezeichnet durch einen glänzenden Namen, mit einem großen politisch-romantischen Schimmer, gewann sehr bald einen unbedingten Einfluß bei dem König, der selbst dem Ministerium bedenklich wurde. Der Oestreicher hat seine mittelalterlichen Neigungen zu benutzen gewußt, und ihm die Rolle eines Friedensfürsten, der berufen sei, überall die Anarchie zu unterdrücken, so lockend ausgemalt, daß der König nicht zweifelte, die quasi-revolutionäre Kaiserkrone hinwegzustoßen und mit Oesterreich im besten Einverständniß zu bleiben.
Die Deputation der Paulskirche hat in corpore die Einladung zu einem Diner abgelehnt, welches bei dem Prinzen von Preußen heute ihnen zu Ehren stattfinden sollte.
Die Kammer der Intelligenz, die Kammer der Herren, hat gestern einen Auftritt erlebt, wie dem zwischen Proudhon und Pyat, über den die konstitutionellen Journale so höhnisch die Nase zu rümpfen wußten.
In der Abendsitzung der ersten Kammer wurde bekanntlich nach Verlesung der Note von der Linken der Antrag gestellt, den am Vormittag gefaßten Beschluß wieder umzuwerfen, und morgen eine außerordentliche Sitzung zu halten. Die Rechte, als sie sah, daß sie in der Minorität bleiben würde, war unehrenhaft genug, nach Art ihrer Gesinnungsgenossen in der vormaligen Nationalversammlung, durch Verlassen des Saales die Kammer unbeschlußfähig zu machen. Empört darüber, ruft Fischer aus Breslau im Vorsaal: „Aber, meine Herrn, Sie gehen fort, und wir stehen doch einem gemeinsamen Feinde gegenüber.“ … „Was!“ rief der Graf York ihm zu, faßte ihn heftig an dem Rock und schüttelte ihn, „Sie reden von gemeinschaftlichem Feinde? Wir haben gar keinen Feind…“ Fischer sucht ihn los zu werden. York wirft ihm den Handschuh ins Gesicht, und nun beginnt eine vollständige Prügelei die damit endigt, daß Fischer in die Kammer stürzt und erzählt, daß Ungeziemliches vorgegangen sei, wofür er zur Ordnung gerufen wurde.
So geht es her in der Blüthe preußischer Aristokratie!
@xml:id#ar267-1_005
@typejArticle
@facs1504
[ * ] Berlin, 5. April.
Sitzung der zweiten Kammer.
Nach Verlesung des Protokolls zeigt Abg. Schramm an, daß eine Erklärung der Wahlmänner von Langensalza den vom Minister des Innern bei Gelegenheit der Adreß-Debatte mitgetheilten Bericht des dortigen Landrathsverwesers widerlege, nächstens sei eine ähnliche Erklärung des Magistrats und der Stadtverordneten zu erwarten.
Ueber das gestern angenommene Moritz'sche Amendement (s. unten) wird nochmals namentlich abgestimmt und dasselbe mit 135 gegen 133 Stimmen angenommen.
54 Abg. sind verreist:
Die von den Abg. Jung und Poninski angekündigten Interpellationen werden von den Interpellanten bis zur nächsten Sitzung zurückgezogen.
Pflücker interpellirt den Minister des Handels, der Gewerbe und öffentlichen Arbeiten, was er für Regulirung des Oderflußbettes und der Oderschifffahrt thun wolle.
Der Minister v. d. Heydt erwidert, daß in diesem Jahre noch mehr als gewöhnlich für diesen Zweck geschehen werde.
Hierauf kommt man zur deutschen Frage.
Vinke als Berichterstatter verliest den gestern mitgetheilten Kommissionsbericht und die Adreßentwürfe.
Der Ministerpräsident macht die Mittheilung, daß gestern eine elegraphische Depesche von Frankfurt eingegangen, wonach sich die National-Versammlung bis zum 11. d. M. vertagt habe.
Vor Beginn der Diskussion tragen Schwerin und Genossen auf einfache Tagesordnung an.
Schwerin begründet diesen Antrag. Er spricht davon, daß es einen Standpunkt der Revolution gebe, von dem aus man alles Alte umstoßen wolle. Ein zweiter Standpunkt sei der der Contrerevolution, von dem aus man Alles wieder in das alte Geleise zurückführen wolle. Auf diesen beiden Standpunkten stehe er nicht. Er wolle das Alte mit dem Neuen vermitteln und so die Revolution abschließen. Der Weg, den das Ministerium eingeschlagen, den es sich in der Note vom 23. Januar vorgezeichnet und den es so glänzend durch die gestern mitgetheilte Note fortführe, habe seine ganze Zustimmung Daher sei er für den Uebergang der Tagesordnung.
Moritz: Die Augen ganz Europa's, ganz Deutschland's sind auf uns gerichtet, man will die Ansichten dieser hohen Versammlung erfahren und wir sollen zur Tagesordnung übergehen? Kein Deutscher kann das wollen. Es ist Zeit, daß wir endlich unsre Meinung offen und klar der Welt darlegen. Der vorige Redner sagte, daß er nicht auf dem Standpunkte der Revolution stehe. War das aber nicht revolutionär, als er im vorigen Jahre die dreifarbige Fahne aufpflanzen ließ? (Schwerin vom Platze aus: „Das werde ich heute auch noch thun.“ — Moritz: „Wenn es Wrangel erlaubt!“) Der Redner will durchaus eine Adresse angenommen sehen und wird sich gegen alle Tagesordnungen und motivirte Tagesordnungen erheben.
Der Antrag auf Tagesordnung wird verworfen.
Vinke als Berichterstatter erhält zuerst das Wort und betrachtet die Politik, welches das Ministerium eingeschlagen, als eine entschieden verderbliche. Den Weg, den es einschlagen will, sei ein sehr langweiliger, denn die Zusammenberufung der Bevollmächtigten der deutschen Regierungen nach Frankfurt sei nur der Anfang vom Ende, dann ginge erst die Vereinbarung los. Das Ministerium läßt aber nicht erwarten, daß es seine Politik ändern werde, es wird vielmehr Se. Majestät in die größten Verwicklungen und Unannehmlichkeiten bringen. Daher bin ich jetzt nicht mehr für die von mir vorgeschlagene Adresse, nach der Note vom 3. d. habe ich dem Ministerium ein vollkommenes Mißtrauensvotum geben wollen, welches ich in meiner heutigen motivirten Tagesordnung ausspreche. Wir müssen der Welt zeigen, daß wir Deutsche sind und die deutsche Einheit wollen.
Löher spricht sich entschieden gegen das jetzt befolgte System der Contrerevolution aus. Wenn man nicht durch demokratische Institutionen das Volk beruhige, wenn man es im Gegentheil mit der alten Willkürherrschaft unterdrückt, so wird es sich einst wieder mit aller Kraft erheben. Daher erkenne man die deutsche Reichsverfassung an
Waldeck: Als vor einigen Tagen eine Adresse an Sr. Maj. beschlossen wurde, erklärten sich meine Freunde und ich, gegen jede Adresse. Seitdem hat das Ministerium uns Mittheilungen gemacht, auf die wir nun genöthigt sind, unsere Ansicht auszusprechen. Daß das Ministerium den Panzer der Reaktion, den es schon von seinen Vorgängern geerbt hat und den es noch mehr stählte, nicht ablegen will, darin werden Sie mir beistimmen. Wir haben von diesem Ministerium nichts anders erwartet. Sie m. H. zur Rechten, riefen vorgestern: das Vaterland ist in Gefahr. Sie sind enttäuscht worden. Wir waren es nicht, denn wir hatten uns nicht getäuscht. Schon am 2. November und noch früher riefen wir, das Vaterland ist in Gefahr. Von diesem Ministerium erwarteten wir nichts anderes. Es wird einen Art. 105 in die deutsche Verfassung hinein bringen wollen… Was wir aber wollen? Wir wollen eine unter dem Einfluß des Volkes stehende Regierung. Ist es nicht besser, wenn ein Fürst unter diesem Einfluß steht, als unter dem der Junker, Pfaffen und Pietisten. War etwa Ferdinand VII. freier, weil er von Priester, hohem Adel und Kamarilla gegängelt wurde. Nicht die absoluten Fürsten sind die freien. — Der Redner geht auf das Heer über, wie es jetzt mißbraucht wird, und wie es sein sollte. Seine geistvolle, glänzende Rede, die trotz ihrer ungewöhnlichen Länge bei todtenstillem Hause angehört wurde, wurde nur durch einige Mißfallsbezeigungen der äußersten Rechten und oft wiederholtem langen Beifallklatschen der Linken unterbrochen. Als der Redner von den demokratischen Bestrebungen Dessau's und Mecklenburg's lobend sprach, lachten Bismark und Kleist-Retzow. Da wandte sich Waldeck zu ihnen hin und sprach, daß nur Mitglieder des Junkerparlaments über die Bestrebungen der Mecklenburger sich von der Junkerherrschaft zu befreien, lachen könnten und daß sie einen deutschen Kaiser wünschten, welcher diese Junkerherrschaft wieder herstelle. — Der Redner erklärt sich gegen jede Adresse.
Kirchmann sagt, daß er im Wesentlichen mit den Ansichten Waldeck's übereinstimme, daß er jedoch für eine Adresse und gegen jede motivirte Tagesordnung sich aussprechen musse, da man bestimmt sagen müsse, was wir wollen in der deutschen Frage. Wenn wir Sr. Maj. in einer Adresse erklären, daß wir mit den Grundsätzen Seiner Regierung nicht übereinstimmen, so kann das weiter nichts zur Folge haben, als den Rücktritt des Ministeriums. Die Krone wird dadurch nicht berührt.
Minister Manteuffel: Es ist dem Ministerium von dieser (linken) Seite des Hauses gesagt worden, es werde, wenn es heute ein Mißtrauensvotum erhalte, so wenig zurücktreten, als im November. Das ist insoweit richtig, als das Ministerium damals eine Maßregel durchführte, die ihrer Natur nach von der National-Versammlung gemißbilligt werden mußte. Jetzt sind wir in einem gleichen Fall. Wer auf dem Standpunkt der Volkssouveränetät steht, wird die unbedingte Anerkennung der Frankfurter Beschlüsse verlangen. Wir halten aber die Rechte der Fürsten für gleichberechtigt neben der Volkssouveränetät, deshalb mußten wir die Annahme der Kaiserkrone von der Zustimmung der Fürsten abhängig zu machen. Wir müssen dieses Princip festhalten und werden auch ferner daran halten.
v. Berg: Die Frankfurter Versammlung hat eine Verfassung für ganz Deutschland zu schaffen, das ist ihre Aufgabe. Aber sich mit den einzelnen Fürsten in Unterhandlungen über ihre Partikular-Interessen einzulassen, das ist ihr Beruf nicht. Er theilt die Note mit, welche die Frankfurter Deputation gestern an das Ministerium absandte. Die Note sieht die Antwort des Königs als ablehnend an, weil die National-Versammlung nur nach der Annahme der ganzen Verfassung zur Wahl eines Oberhauptes schritt und nur durch Anerkennung der von der National-Versammlung verkündeten Verfassung könne man die Wahl annehmen. Da aber in der Antwort Sr. Majestät eine Nichtanerkennung der Verfassung liege, so könne diese Antwort auch nur als ablehnend angesehen werden. — Sich gegen Vincke und Genossen wendend: Sie wollen, daß wir dem Ministerium mit Ihnen ein Mißtrauensvotum geben sollen. Aber das thaten wir schon beim Eintritt des Ministeriums. Das Ministerium trat damals nicht zurück. Es erklärte damit, daß es kein Mißtrauensvotum achte. Sie haben das Ministerium bisher gestützt und es für konstitutionell anerkannt. Jetzt wollen Sie ein anderes Ministerium. Was soll uns ein solches, wenn es das Prinzip des vorigen anerkannte.
Manteuffel: Das Ministerium hat gestern von der Frankfurter Deputation die von dem letzten Redner verlesene Note erhalten. Aber die Deputation ist nicht die National-Versammlung und deshalb hat das Ministerium diese Note auch nur mit der Mittheilung der Cirkularnote beantwortet. Der Berichterstatter sagte, Se. Maj. müsse sich ein deutscheres Ministerium schaffen. Wir halten uns für deutsch in alle dem was wir der Krone rathen.
D'Ester: Ich kenne nur zwei Staatsformen, die Demokratie und den Absolutismus. Wenn man wie Graf Schwerin vermitteln will, so betrügt man sich selbst. Denn man steht entweder noch auf dem absoluten Boden und heuchelt Demokratie, oder man steht auf demokratischem Standpunkte und bemüht sich wiederwillen, das soviel wie möglich zu verleugnen. Ich glaube dem Grafen Schwerin, daß er noch so denkt wie in den Märztagen. Das Märzministerium, dessen Mitglied er war, hat ja eben die Vereinbarung erfunden. Hr. v. Vincke, der jetzt seine Adresse zurückzieht und dafür eine motivirte Tagesordnung, welche ein Mißtrauensvotum enthält, [Fortsetzung]
@typejFeuilleton
@facs1504
@xml:id#ar267-1_006
@typejArticle
@facs1504
[Fortsetzung] besessen, seynd die Bauern mit grimmigen Speeren vor das Schloß gezogen und haben deklariret, daß der fürstliche Schnaps unwürdiglich schlecht sei, was Serenissimus geleugnet, aber nichts geholffen, denn alle Vorrechte seynd Ihme genommen und die Privilegien von Lippe Bückeburg gehören an dem Meere der Verflossenheit.
Als die Fürsten aber gesehn, daß es ihnen also hart zu Leibe ging, seynd sie in sich gegangen und haben gute Min zu bößem Spiel gemacht. Haben demnach gepotten, gesetzt und gefestnet, daß gleichsamb zu einem Reichstag wie früher in Nüremberg, in Augspurg und so ferner, jetzt die Statt Frankfurt zu einer großen National Versammlung der Teutschen mit Vertrettern beschickt werde, damit durch Gotts des Allmächtigen Hilf und durch guter Freund Ränk, die Sach in die Läng gezogen und etwan eine andre güldine Bull verffertigt werde zu gemeinem Nutz, vornemblich der Fürsten.
Also seynd denn in Frankfurt arriviret Leut aller Koulören. Da aber dieß Statt ein sehr fröhlicher Ort ist, an frischen Wässern, mit gesunder Lufft, lustigen umbligenden Buschen und fruchtbarem Erdkreis, so hat den wohllöblichen Volksvertrettern solcher Aufenthalt gar wol gefallen. Da sie aber durch des Volcks Gunst nur drey Thaler per diem vor ihr Arbeit und Plansir bezogen, so mögt leicht anzunehmen sein, daß sie nicht stets des besten Weins genossen, was ihnen als teutschen Männern sehr an Geist und Spiritus geschadet und ihre Debatten often seltsam schlimm gemacht.
Haben indeß tapffer diskurirt und seynd gesessen gewesen in Sanct Pauli Kirch, menniglich bekannt und abkonterfeit auf Pfeiffenköpfen und Tassen der Welt zu großer Erlustigung.
Die vornemblichsten dieser teutschen Männer seynd in Reihen abgetheilt und schelten sich aber folgendermassen:
Zum ersten seynd sie separirt nach Rechten, Linken und Mittelpünckten; ein alterthumblich parliamentarisch usus desgleichen wol stammen mag aus Engelland oder Francken. Richtiger seynd sie indeß zu trennen nach jenen locis, id est Wirths-Gast- und übrigen Häußern, darinnen sie zur Sterkung ihres Geists und Leips des kühlen Weins geneußen nebst lieblicher Speißen. Diese Trennung ist originaliter rein teutsch. Zu nennen were in solchem Bezug das Cassino, der Landsperg, die Hall des Westen End's, daß Kaffehauß Milani, der Wirtemperger- der Augspurger- der Teutsche- und der Nüremberger Hof, zusampt dem Tonnersberg, ein untergeordnet, wohlfeil Kneipchen.
Da ist zu sehn von Seiten des Cassino zum Exempel der Staatssecretarius Bassermann, ein länglich Mann mit wenig Stirn so früher in Mannheimb als Antiquarius libraris bankruptiret; der Minister Beckerath, ein Crevelder Wechsler oder Bankir, solcher Geld zu niedrigem Wucherzinß leiht und fromm von Sinnsbildung ist; der gelahrte Professor Dahlmanus, dessen Antlitz gleichet dem Essigschwamb, womit man Christum am Kreuze geträncket; Heckscher, so gen Turin gesendet ward, des Advokaten-handwercks kundig und so schon einmal vom bößen Bolck der Strick den Hals umbgelegt worden. Mevissen, so früherhin in Linnengarn that und sich fast sehr herausgewickelt; Raumer, ein unglücklich Mensch, und als Gesandter nach Parys von keinen Lorbeeren; von Schmerling, Reichsminister, so das ganze Parliament teutscher Nation während sechs Monat an der Nasen herumbgeführet hat. Simbson aus Königsberg, des heiligen römischen Reichs Eselskinnbacken; Soiron, vulgo Auriga cerevisialis. Vom Augspurger Hof ist aber zu melden Biedermannn, ein geringer Litteratus aus Leipzig. Vom Landsberg: Wilhelmus Jordan, ein arm Reimschmied. Aus dem Kaffehauß Milani: der muthig Ritter Finck, Taurus parlamentaris; von Radowitz, ein fein Mann, so die Flöh husten hört. Aus dem Westen-End Raveaux, der bekennt kölnisch Funck; Jacobus Venedey, Lacrima imperialis. Aus dem Teutschen Hof: Rösler, Canarius parlamentaris; aus dem Tonnersberg aber der bärtig Schlöffel, ein grimmig Mann, so von sein Feind Hyäna parlamentaris geheißet ist. Von selbsten versteht es sich, daß in all Separationen viel ehrliche Leut' seynd, womit den überhaupt des heilig römische Reich wunderlich gesegnet. Vatter Jahn bettelt an der Pfordten.
Ueber allen Vertrettern sitzet aber angethan in ein schwartz manierlich Kleit, der President, der edel Gaggern, so die Sage geht, der von Zews stamme, als er reißend ein oberländisch Nympff beschlaffen. Der edel Gaggern leutet mit ein stürmisch Glock und dann schweigt Alles sämptlich und nur ein simpel Mann erhebt sich und hält sein Sermon, je der Weill.
Dieß seynd die teutschen Männer, so gen Frankfurt gesant durch der Fürsten Gunst und für des gemeinen Volcks Gelt, zu retten das teutsche Land aus Konfusion und Zerwürfnuß und wiederumb auf die Bein zu helffen dem heilig römischen Reich. Viel unruhig Leut seynd mit untergeloffen, als man solche Vertretter erwöhlet und wenn sich der edlen Fürsten Freund rechts gesatzt und die Halbmenschen die Mittelpünckt eingenommen, so seynd des Teuffels Böck links erblicket, zur Aergernuß viel Gerechter.
Mittlerweil ist aber bei all dem Reden und Gethön der hailig Geist Gotts über sie kommen, und hat mit ander weltlich Ursach auf sie eingewürckt, daß schlüßlich die eingeborne Sanfftmut teutschen Bluts bei ihnen zum Durchbruch erlangt und der Geist der Versöhnung wundersamb einzig aus der Verwildernuß emporgeschwebet ist. Ausgelassen einig unverbesserlich Böck, seynd daher die meist darin eingekommen, daß dieß Parliament in Frankfurt nichts vorstell als ein Reichstag, wie man sie im teutschen Alterthumb gekennt zu Nüremberg oder zu Augspurg.
Und gleich Keyser Karl IV haben sie den hassigen sathan verfluchet, so Adam vom paradyß geworffen, und den Zorn so Pompeyum und Julium zu hefftigem Streit erwecket, und die unkeuschheit so Troy zerstört, und die Tailung und Unuinigkeit, alls Bösen Kern, so auch das alt teutsch christlich kaiserthumb zernicht hat. Und sind wie Keyser Carol mit sich zu Rath gangen und haben [Fortsetzung]
[1505]
[Deutschland]
@xml:id#ar267-1_007
@typejArticle
@facs1505
[Fortsetzung] eingereicht, kommt mir vor, als ob er um Mitternacht vor einen Spiegel getreten und vor seinem eigenen Schatten zurückbebe. Er will den Rücktritt des Ministeriums wegen der deutschen Frage erzwingen, während er es sonst unterstützte, als wir es mit Grund angriffen. Ich will kein neues Ministerium, wenn es auch konstitutioneller als das gegenwärtige zu werden verspricht. Mir ist der Absolutismus des jetzigen lieber, wie es in dem alten Sprichwort heißt: Der reißende Wolf ist besser, als der listige Fuchs!
Der Schluß der Debatte wird angenommen.
Bodelschwingh erhält das Wort zu einer persönlichen Bemerkung. Er war von einem frühern Redner angegriffen, welcher gesagt hatte, daß er vor einer „sogenannten“ Revolution (Bodelschwingh hatte diesen Ausdruck vor einigen Wochen gebraucht) geflohen sei. Bodelschwingh sagt nun, daß er sich nicht erinnere, diesen Ausdruck gebraucht zu haben, aber wenn es auch der Fall, die Revolution vom 18. März sei nur ein Straßenkrawall gewesen und habe die Hauptstadt und das ganze Land entehrt.
Kaum waren diese Worte gesprochen, so ruft die ganze Linke: „Runter von der Tribüne!“ Empört springen sie alle auf. „Er hat die Tribüne entehrt, runter mit ihm!“
Eine so leidenschaftliche Scene ist hier weder in dieser Kammer noch in der National-Versammlung vorgekommen. Bodelschwingh harrt fünf Minuten auf der Tribüne unter dem fürchterlichsten Toben der Linken aus. Endlich verläßt er sie und der Präsident Lensing suspendirt die Sitzung auf eine Stunde, von 4 3/4 bis 5 3/4 Uhr.
In Erwägung:
1. daß die von der Regierung Sr. Majestät des Königs beschlossene Ablehnung der von der deutschen National-Versammlung Sr. Maj. angetragene Würde eines Oberhauptes des deutschen Reiches das Zustandekommen des deutschen Verfassungswerkes auf eine ferne und ungewisse Zukunft verschiebt, und Deutschland wie Preußen der bedenklichsten Lage entgegenzuführen droht,
2. daß aber, nachdem einmal durch die der Kammer mitgetheilte Cirkularnote vom 3. d. M. die Erklärungen der einzelnen deutschen Regierungen, mit Anberaumung einer Frist von 14 Tagen erfordert sind, der Ablauf dieses Zeitraums zuvörderst abgewartet werden muß, um die durch diese Note jenen Regierungen gegenüber eingegangenen Verbindlichkeiten nicht zu verletzen,
geht die Kammer über den Antrag der Abgeordneten v. Vincke und Genossen für jetzt zur Tagesordnung über.
Berlin, den 5 April 1849.
v. Vincke.
Moritz und Genossen: Die Kammer wolle in Betreff des Parrisius'schen Antrags folgende motivirte Tagesordnung beschließen:
Die Kammer.
indem sie sich ausdrücklich dagegen verwahrt, daß die Verordnungen vom 2. und 3. Januar 1849 ohne Zustimmung der Volksvertretung erlassen werden konnten, und indem sie das Staatsministerium für allen aus diesem verfassungswidrigen Verfahren entstehenden Schaden für verantwortlich erklärt,
geht in Betracht des Umstandes,
daß eine Sistirung der bereits weit vorgeschrittenen Ausführung der gedachten Verordnungen zu neuen Verwickelungen führen würde,
über den Antrag des Abg. Parrisius und Genossen vom 9. März c. zur Tagesordnung über.
Um 6 Uhr eröffnet der Vicepräsident Lensing die Sitzung wieder, indem er Folgendes sagt:
Ich habe vor einer Stunde die Sitzung aufgehoben, weil die Ordnung verschiedentlich gestört wurde. Ich sehe jetzt die Ordnung zurückgekehrt und ertheile dem Abgeordneten Bodelschwingh das Wort zur Fortsetzung seiner persönlichen Bemerkung.
Sogleich verläßt die ganze Linke und das linke Centrum den Saal. Als sie sich entfernt hatten spricht
Bodelschwingh: Ich will meine früher unterbrochene Rede zusammenziehen. Es war am 18. März keine Revolution sondern nur ein Straßenkampf. … Wenn mehrere Redner von einer nahe bevorstehenden neuen Revolution gesprochen haben, so werde ich in diesem Falle wissen, wo meine Stelle ist. Ich werde mit dem Heere, dem ich anzugehören die Ehre habe, alsdann gegen die Anarchie kämpfen.
Als Bodelschwingh geendet hat, trat die Linke wieder ein.
Berends, der allein von der Linken zurückgeblieben war, will dies in einer persönlichen Bemerkung begründen und sagt dabei, Bodelschwingh hätte den Muth nicht gehabt, seine frühern Worte zu wiederholen.
Dies veranlaßt Bodelschwingh, nochmals eine persönliche Bemerkung zu machen. So wie ihm der Präsident das Wort gibt, verläßt die Linke wieder den Saal.
Bodelschwingh sagt, daß ihm der Muth nicht gefehlt, seine Worte zu wiederholen, er habe nur dem Präsidenten versprochen, dies nicht zu thun.
v. Berg meint, daß es Pflicht des Präsidenten gewesen wäre, den Redner darauf aufmerksam zu machen, daß er mit seiner Deduktion der Revolution die Befugniß einer persönlichen Bemerkung überschritten habe. Daß die Tribüne durch jene Worte beleidigt sei, wie viele seiner Freunde meinten könne er nicht zugeben, da die Tribüne kein Mensch sei, nur Mitglieder dieser Versammlung können beleidigt werden. —
Endlich werden die persönlichen Bemerkungen geschlossen. Die Linke ist wieder zurückgekehrt.
Vinke, als Berichterstatter hat das letzte Wort. Er setzt auseinander, wie er konsequent bei seiner Politik geblieben sei. Der König von Preußen habe annehmen müssen auf Grund der Verfassung. Er habe den Anfang machen müssen mit der Anerkennung. — Der Redner vertheidigt alsdann die National Versammlung und erklärt sich sowohl gegen die Octroyirung der Fürsten als Volkskammern … Ob denn die englische Krone schlechter sei, weil das Parlament Wilhelm III. berufen und dieser sich nicht um die Stuarts bekümmert habe. (Beifall zur Linken). Er beklagt tief die Handlungsweise der Regierung und muß deshalb bei seiner motivirten Tagesordnung bestehen. — Endlich kommt man zur Abstimmung.
Die motivirten Tagesordnungen von Waldeck, Vinke, Ulrichs, Wenzel werden der Reihe nach verworfen.
Auch die Frage: beschließt die Versammlung eine Adresse an Se. Maj. zu erlassen? wird verworfen.
— Alles verworfen, keine Adresse, keine motivirten Tagesordnungen. Schluß der Sitzung um 7 Uhr. — Nächste Sitzung Donnerstag den 12 d.
@xml:id#ar267-1_008
@typejArticle
@facs1505
[ * ] Berlin, 4. April.
Die Frankfurter Kaisermacher haben folgenden Brief an das Ministerium geschrieben, das ihnen gebührend geantwortet:
I.
Einem Königl. Staats-Ministerium
beehren wir uns die nachstehende Erklärung ganz ergebenst mitzutheilen.
Die verfassunggebende deutsche Reichsversammlung hatte die unterzeichnete Deputation beauftragt, Se. Majestät den König zu der Annahme der in der deutschen Reichsverfassung begründeten, auf Se. Majestät übertragenen, erblichen Kaiserwürde ehrfurchtsvoll einzuladen.
Se. Majestät der König hat nach den in der Audienz vom gestrigen Tage der Deputation gemachten Eröffnungen dieser ehrfurchtsvollen Einladung keine Folge geben zu dürfen geglaubt, und sich bewogen gefunden, diese Se ne Entschließung durch die inzwischen auch zur öffentlichen Kenntniß gebrachten Gründe näher zu motiviren.
Die deutsche Reichsversammlung hatte am 28. v. Mts. zu der Vollziehung eines Theiles der Verfassung, der Wahl des Reichsoberhauptes, nicht anders als nach Verkündigung der ganzen von ihr beschlossenen Reichsverfassung schreiten können; die Uebertragung der erst in der Verfassung begründeten erblichen Kaiserwürde auf einen der regierenden deutschen Fürsten setzte das zu Recht Bestehen der Verfassung an sich voraus. Die Erklärung Sr. Maj. des Königs sieht dagegen die gedachte Verfassung in keiner Weise als ein bereits geschlossenes, auch nur für einen größeren oder kleineren Theil von Deutschland bereits verbindliches Ganze an. Sie bezeichnet nicht einmal gleich der am 2. April von dem Herrn Ministerpräsidenten den hiesigen Kammern gemachten Eröffnung die Verfassung als für die deutschen Staaten gültig und verbindlich, deren Regierungen derselben von freien Stücken zustimmen möchten. Sie erkennt den einzelnen Regierungen nicht blos, wie jene Eröffnung, das Recht zu, die Verfassung als ein Ganzes anzunehmen und dadurch dem neuen Bundesstaat beizutreten, oder abzulehnen und sich dadurch von dem Bundesstaate auszuschließen.
Indem die Erklärung Se. Majestät sich über diesen Punkt vielmehr folgender Gestalt ausspricht, — „an den Regierungen der einzelnen deutschen Staaten wird es daher jetzt sein, in gemeinsamer Berathung zu prüfen, ob die Mir zugedachten Rechte Mich in den Stand setzen würden, mit starker Hand, wie ein solcher Beruf es von mir fordert, die Geschicke des großen deutschen Vaterlandes zu leiten und die Hoffnungen seiner Völker zu erfüllen“ — macht sie aus der von der deutschen Reichsversammlung verkündigten Verfassung einen, der gemeinsamen Berathung der deutschen Regierungen, also auch deren Beschlußfassung (durch Majoritäten oder Unanimität) zu unterstellenden Entwurf.
Es ist nicht die Aufgabe der Deputation, die Richtigkeit der von dieser Auffassung so durchaus verschiedenen der Reichsversammlung in allen ihren Fraktionen, aus staatsrechtlichen oder andern Gründen zu vertreten. Aber dem Mißverständniß, welches der Deputation in Betreff der Königlichen Erklärung in überraschender Weise mehrfach entgegen getreten ist, als ob mit der in derselben enthaltenen Anschauung des in Frankfurt beschlossenen Verfassungswerkes eine Annahme oder auch nur eine Nichtablehnung der Seitens der Reichsversammlung an Se. Majestät gerichteten Einladung irgendwie zu vereinigen wäre, — diesem Mißverständniß hat sie sich zur Vermeidung fernerer Irrungen ohne Aufschub und vor ihrer Rückkehr nach Frankfurt entgegenzutreten für verpflichtet gehalten.
Die Einladung, auf Grundlage der Reichsverfassung die auf Ihn gefallene Wahl anzunehmen, mußte in dem Augenblick als von dem Könige abgelehnt angesehen werden, in welchem Se. Maj. Ihre Willensmeinung dahin zu erkennen gaben, daß die von der verfassungsgebenden Reichsversammlung in zweimaliger Lesung beschlossene Verfassung überall noch keine rechtliche Existenz und Verbindlichkeit habe, einer solchen vielmehr erst durch gemeinsame Beschlußnahme der deutschen Regierungen theilhaftig werden könne. Unter dieser Voraussetzung wäre die Verfassung zwar wohl die Grundlage fernerer Berathungen der Regierungen, aber unmöglich die der gesetzlichen Gewalt eines Reichsoberhauptes abzugeben im Stande.
Berlin, 4. April 1849.
Die Deputation etc.
II.
Das von der Deputation der Nationalversammlung an uns gerichtete sehr geehrte Schreiben vom gestrigen Tage haben wir erhalten. Die Deputation wird, wie wir nicht zweifeln, mit uns die Ansicht theilen, daß wir uns nicht in der Lage befinden, über den Inhalt dieses Schreibens mit Wohlderselben in nähere Verhandlung zu treten, vielmehr diejenigen Beschlüsse abzuwarten haben, zu denen sich die deutsche Nationalversammlung in Folge der der Deputation derselben von Sr. Majestät dem Könige ertheilten Antwort etwa bewogen finden möchte. —
Schließlich benützen wir gern die Gelegenheit, der Deputation hierbei Abschrift des an die diesseitigen diplomatischen Agenten bei den deutschen Regierungen in Verfolg jener Antwort Sr. Majestät gerichteten Erlasses ganz ergebenst mitzutheilen.
Berlin, 5. April 1849.
Folgen die Unterschriften der Minister.
@xml:id#ar267-1_009
@typejArticle
@facs1505
[ * ] Wien, 3. April.
Die östreichischen Abgeordneten in der Paulskirche haben von ihrer Regierung den Befehl erhalten, sofort von Frankfurt abzureisen. Es sind ihnen zu diesem Zweck die nöthigen Reisediäten angewiesen worden. Die neugewählten Abgeordneten dürfen, wie schon gestern erwähnt, sich nicht erst nach Frankfurt bemühen.
Feldmarschall-Lieutenant Wohlgemuth, der die Depeschen nach Olmütz bringen sollte, ist in Folge einer Erkältung gleich bei seiner Ankunft in Wien schwer erkrankt.
Aus Italien erfahren wir heute, daß die piemontesischen Gefangenen auf ihrem Transporte in Lodi und in Cremona Gegenstand ernstlicher Volksdemonstrationen wurden. Man versuchte an beiden Orten sie zu befreien, was jedoch nicht gelang. Die Gefangenen sind zum größten Theile Kavalleristen.
Bei der gestern und in verflossener Nacht im Weichbilde Wiens vorgenommenen allgemeinen Streifung wurden, 127 ausweislose und bedenkliche Individuen in Verhaft genommen.
Gouverneur Welden ist von Comorn mit der unliebsamen Nachricht zurückgekommen, daß an eine Einnahme der Festung durch Sturm vorerst nicht zu drnken sei. Das Bombardement währt fort.
@xml:id#ar267-1_010
@typejArticle
@facs1505
Kiel, 3. April.
Die Blockade unseres Hafens ist heute durch einen dänischen Officier in Friedrichsort angezeigt worden, und schon sind mehrere Schiffe, welche noch hinaussegeln wollten, zurückgewiesen Man will von Friedrichsort aus drei Kriegsschiffe, darunter ein Dampfschiff, gesehen haben, ein virtes soll signalisirt sein. Der furchtbare Sturm, welcher heute herrscht, läßt nichts recht Gewisses ersehen. Dem Vernehmen nach, hat Hr. v. Bülow dem General Bonin officiell angezeigt, daß heute die Feindseligkeiten beginnen würden. Nach einigen Nachrichten sollen dieselben unsererseits beginnen und will Bonin heute in Jütland einrücken, doch halten wir dies Gerücht noch für verfrüht, wie gern wir auch daran glauben möchten. Mehrere sächsische Bataillone haben ein Lager bei Gettorf (zwischen dem Kieler und Eckenförder Meerbusen) bezogen, um das südöstliche Schleswig vor Landungen zu sichern; wie es heißt, wird der Herzog von Koburg-Gotha dort commandiren.
@xml:id#ar267-1_011
@typejArticle
@facs1505
Flensberg, 3. April, Abends.
Die Dänen sind heute Morgen von Alsen herübergekommen und haben die schleswig-holsteinische Avantgarde angegriffen, die sich auf die Linie zurückgezogen hat; die Dänen sind in diesem Augenblick in Gravenstein. Ebenso sind die Dänen vom Norden her in das Herzogthum ein gerückt und stehen jetzt zwei Meilen nördlich von Hadersleben. (M. s. Apenrade.) In der Bucht von Apenrade liegen mehrere dänische Kriegsschiffe. Bei Holnis liegt ebenfalls ein dänisches Kriegsschiff. In Hadersleben liegen ungefähr 1000 Jäger, die in der Stadt, wie es heißt, den Straßenkampf wagen wollen. Einige Wagen mit Verwundete sind schon hier angekommen. Der Rückzug der Schleswig-Holsteiner ist in aller Ordnung geschehen und hat wohl nur den Zweck, die Dänen weiter ins Land zu locken. — General v. Prittwitz hat sein Hauptquartier hier.
@xml:id#ar267-1_012
@typejArticle
@facs1505
Apenrade, 3. April.
Die Feindseligkeiten haben begonnen. Sowohl bei Aller, als bei Ulderup fochten die schleswig-holsteinischen Truppen mit den Dänen. Die Blockade des hiesigen Hafens ist heute officiell von dem Chef der Corvette Najade, Drickinck-Holmfeldt, angekündigt worden. Außer der Corvette blockiren 7 Kanonenböte den Meerbusen.
Ungarn.
@xml:id#ar267-1_013_c
@typejArticle
@facs1505
Edition: [Friedrich Engels: Vom Kriegsschauplatze, vorgesehen für: MEGA2, I/9. ]
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
@typejFeuilleton
@facs1505
@xml:id#ar267-1_014
@typejArticle
@facs1505
[Fortsetzung] dem teutschen Volck ein Gesätz auffgericht, das ist zu sagen, ein Teutsch-Reichs-Grundgesätz, welches da ist die güldine Bull der neu Zeit.
Damit aber mit nichten genung, haben sie ihrem Werck auch noch die Kron aufgesetzt, indem sie an platz des provisorischen alten Erzhertzog Joannes zum Teutschen Keyser erwöhlet, den frommen und mechtigen König und Herrn von Preußen und Teutschland: Fridericus Wilhelmus, dieses Nahmß der viert.
So stahn wir denn nun mit Gotts Hilf in diesem Jahr des Herrn 1849 bald wiederumb auf demselben Fleck, allwo die teutsche Nation gestanden umb das Jahr 1356, zur Zeitt der güldine Bull, worauß zu schließen daß das teutsche Volck nicht zu eilig ist, sondern sein hübsch und ökonomisch mit sein Zeitt zu Rathe geht.
Lasset uns jetzo aber betrachten, was aus der Krönung unsres neuen Herrn und Keysers demnächst werden mag.
@xml:id#ar267-1_015
@typejArticle
@facs1505
Die kleine Judengemeinde zu Affod, welche zu einer solidarischer Geldstrafe verurtheilt ward, hat sich durch die Flucht der Eintreibung der für sie unerschwinglichen Summe entzogen. Der Curs der ungarischen Banknoten wurde durch die Siegesnachricht aus Italien um 2 Proc. heruntergedrückt. Reisende aus den insurgirten Gegenden erzählen, daß auf den Fahnen der Magyaren: Eljen Ferdinand V. (Es lebe Ferdinand V.) in Riesenlettern eingenäht sei.
[1506]
[Deutschland]
@xml:id#ar267-1_016_c
@typejArticle
@facs1506
Edition: [Friedrich Engels: Vom Kriegsschauplatze, vorgesehen für: MEGA2, I/9. ]
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
@xml:id#ar267-1_017
@typejArticle
@facs1506
[ * ] Preßburg, 31. März.
Gestern wurde Joseph Barta, 32 Jahre alt, verheirathet, früher Komitats-Hayduk, zuletzt Honved-Feldwebel bei der Simony'schen Freischaar, wegen Theilnahme am bewaffneten Aufruhr, zum Strange verurtheilt, durch gnädigste Milderung mit Pulver und Blei hingerichtet.
@xml:id#ar267-1_018
@typejArticle
@facs1506
[ * ] Ofen, 28. März.
Kohn und Grünecke (2 Israeliten) und Brunner, Spielwaarenhändler zu Pesth, sind wegen „versuchter Lieferung von Monturs- und Rüstungssorten an die Rebellen“ zum Strange, und ein dritter Israelit, Spitzer, wegen Betheiligung an diesem Versuch, zu 8jähriger Schanzarbeit in schwerem Eisen verurtheilt, durch die Standrechtsbestie Windischgrätz aber Kohn zu 12-, Brunner zu 8jähriger Schanzarbeit in schwerem Eisen begnadigt, das Urtel in Betreff Spitzer's dagegen pure bestätigt worden. Außerdem hat jede der Judengemeinden, denen die einzelnen der 3 gedachten Israeliten angehören, dem Herrn Windischgrätz 20,000 Fl. K.-M. als Strafe, daß unter ihnen so schreckliche Verbrecher sich aufgehalten, bald und unweigerlich zu entrichten.
Französische Republik.
@xml:id#ar267-1_019
@typejArticle
@facs1506
[ 12 ] Paris, 4. April.
Changarnier und Faucher! Wer hätte je gedacht, daß diese beiden Namen zusammen kommen könnten? Dieser Faucher, der bei den Journalisten allgemein als der Lückenfüller bekannt war, weil er, bei Ermangelung des Stoffs, seine langen Papier-Rollen zusammengetragenen Zeugs zu 10 Sous die Linie lieferte, — dieser Mann, der aus Verzweiflung sich auf ökonomische Literatur geworfen, weil alle andere literarischen Branchen überfüllt waren, und der als reiner Politiker mitleidslos zurückgewiesen worden, dieser Literat, der sich glücklich geschätzt haben würde, wenn er an einer Universität eine fixe Professor- oder Bibliothekar-Stelle hatte erhalten können — dieser verfehlte Professor ist Minister bei Napoleon, dem fehlgeschlagenen Kaiser, neben Barrot dem fünften Rad am Wagen eines Königs, und verleiht dem Changarnier die einzige wahre Macht im Staate, die größte Macht, weit größer als die Napoleon's, weil diese Macht unabhängig vom Kriegsministerium, diktatorisch gebraucht werden kann, zu jeder Stunde, bei jeder Gelegenheit — die Macht eines obersten Commandanten über die Nationalgarde und die Linientruppen von ganz Paris.
Und als wenn es nicht genug wäre mit dieser Macht, will der romantische Schriftsteller der Oekonomie seinen Helden, der Fleisch und Blut gewonnen, auch äußerlich reich ausstatten, und oktroyirt ihm außer seinem gewöhnlichen Gehalt eines obersten Generals noch 50,000 Fr. als Kommandant der Bürgergarde. In der Konstitution heißt es, diese beiden Stellen sind unvereinbar! Was kummert das einen Faucher? Handelt es sich nicht darum, das Vaterland zu retten, das Faucher jeden Augenblick in Gefahr sieht, und jeden Augenblick auf's Neue rettet? Und dann ist das ja eine bloß temporäre Maßregel, eben so temporär, wie Hr. Faucher selbst, obgleich im Grunde der temporäre Changarnier dazu dienen soll, den temporären Faucher zu verewigen, auf ewige Zeiten an das Ministerium anzunageln. Die Frage kam heute in der Kammer zur Erörterung bei Gelegenheit der Finanzregel, also als bloße Büdgetfrage.
Ledru-Rollin nahm das Wort, und schleuderte dem Herrn Faucher die 50,000 Fr. an den Kopf: das ist die einzige Manier, einen Mann wie Faucher zu behandeln, der alle Menschen vor den Kopf stößt. Das Mittel ist dem Herrn Ledru-Rollin geglückt, und die Bourgeoiskammer hat richtig dem Hrn. Changarnier die 50,000 Fr. gestrichen. Auf der Stelle gingen die Bourgeois von der Börse hin und eröffneten für Changarnier eine Subscription. Das Wesentliche für die Börse war, daß Changarnier seine Macht behält. Changarnier ist für die Börse ebenso unentbehrlich, wie es Cavaignac war. Und da die Kammer, indem sie ihm die 50,000 Fr. strich, die Kommandantenstelle gelassen hatte, so beeilte sich die Börse, den Fehler der Kammer so schnell als möglich wieder gut zu machen. Die Patrie, die im vertrautesten Einverständniß mit dem Ministerium lebt, kündigt uns in pompösen Ausdrücken an, daß in einem Nu die 50,000 Fr. jährlichen Gehalts für Changarnier gesammelt waren.
Die Börse ist vielvermögend, wenn es sich darum handelt, ihre persönlichen Interessen zu schützen. Das Wahlcomité der Rue Poitiers ist ein Wahlcomité der Börse: Fould und Rothschild sind die natürlichen Protektoren desselben; und jeden Tag sammelt dieses Comité über 50,000 Frs., die im Interesse der Wahlen verwandt werden sollen.
Es ist ein Fortschritt, wenn die Börse direkt ihre Beamten besoldet. So hat sie Louis Bonaparte an sich gekauft, so jetzt Changarnier öffentlich proklamirt als den General der Börse. Zu Bourges saßen die Geschwornen und Richter der Börse. Bald wird jeder Beamte doppelte Buchhandlung führen, so viel Gehalt von der Regierung, so viel Zuschuß von der Börse.
@xml:id#ar267-1_020
@typejArticle
@facs1506
# Paris, 5. April.
Das Program der demokratisch-socialen Presse lautet:
Vorbemerkung.
Die Republik und die ganze Gesellschaft sind in Gefahr. Eine unverbesserliche Fraktion träumt die Ruckkehr der Monarchie; sie weiß, daß in kurzer Zeit die regelmäßige Entwickelung des demokratischen Prinzips hinreichen wurde, um von Grund aus die Mißbräuche und die Privilegien auszurotten. Gegenüber gehässigen Verlaumdungen, wodurch man sich bemüht, die Bevölkerung über die Vergangenheit und die Tendenzen der Demokratie zu täuschen, fuhlten die Organe der demokratisch-socialen Presse die Nothwendigkeit, sich zu vereinen, um die treulosen Feinde des Volkes wirksamer zu bekämpfen. Der Augenblick erheischt um so mehr diese Allianz, als die Privilegirten aller Regime sich verbündet haben in einem gemeinsamen Gedanken gegen die Revolution, so ihre verbrecherischen Hoffnungen offen zur Schau tragend. Bei den nächsten Wahlen würde das allgemeine Wahlrecht selbst, erobert durch die Republik, unter den Händen der Royalisten zur Waffe gegen die Republik selbst werden, wenn die Demokraten sich nicht beeilten, sie zu enthüllen. Man klagt die socialistischen Republikaner an, die Familie, das Eigenthum zerstören zu wollen. Die, welche die Vortheile des Eigenthums und die Freuden der Familie allen zugänglich machen wollen, greifen weder die Familie noch das Eigenthum an. Jene dagegen, welche sie zum Privilegium einer kleinen Zahl Auserwählter machen und die Exploitation der Arbeiter aufrecht erhalten wollen, sind die wahren Feinde der Familie und des Eigenthums.
Die Organe der demokratischen und socialen Presse, indem jedes derselben in seiner Sphäre seine Unabhängigkeit und seine Individualität behauptet, haben sich in einer Kommission, die sich mit ahnlichen Komité's derselben Richtung in ganz Frankreich in Verbindung setzen wird, über folgende Punkte geeinigt:
Programm.
Energische Vertheidigung der republikanischen Form und des direkten allgemeinen Wahlrechts, Aufrechterhaltung und Entwicklung der Konstitution im demokratischen Sinn, Einheit der Gewalt, formelle Unterordnung der vollziehenden Gewalt unter die Nationalversammlung, wirkliche Preßfreiheit, Abschaffung der Kautionen und der Privilegien der Druckereien, Unverletzlichkeit des Vereins- und Associationsrechts, Recht auf Arbeit, Versorgungsanstalten für Kranke und Greise, gemeinschaftliche, unentgeldliche Erziehung, die zugleich obligatorisch und erschöpfend sein wird den verschiedenen Anlagen entsprechend; von heute an Ausdehnung des Primärunterrichts auf einer breiten Grundlage, bessere Besoldung und Stellung der Volkslehrer; Administrative und gerichtliche Reform, Vereinfachung des Räderwerks in der Administration und der Formalitäten in der Rechtspflege; demokratische Organisation des öffentlichen Dienstes, Bedingungen der Zulässigkeit, Garantieen der Befähigung, Unabhängigkeit des Beamten außerhalb seines Amtes. Revision der Gesetzbücher. Wirklich unentgeldliche Rechtspflege. Abschaffung der Zwangshaft für Schulden. Abschaffung der Todesstrafe in Kriminalsachen. Demokratische Reorganisation des Land- und Seeheers. Revision der Militärgesetze. Verbesserung des Lohns der Soldaten und der Unteroffiziere. Abschaffung der Conscription. Finanzreform. Demokratische Organisation des Credits für Ackerbau, Industrie und Handel. Centralisation und Ausbeutung der Assekuranzen, der Bank, der Eisenbahnen, Kanälen, aller Kommunikationswege und Minen im allgemein gesellschaftlichen Interesse. Reform des Hypothekenwesens. Abschaffung des Wuchers. Verminderung des Büdgets und billige Vertheilung der Steuerlasten. Abschaffung der Salz- und Getränkesteuer, der Naturalleistungen, der Octrois; Revision der Zollgesetze; Verwerthung der unbebauten Ländereien, großes System der Bewässerung und Holzzucht; Schöpfung von Entrepôts und Nationalbazars; Ermuthigung zu Agrikultur- und Industrieassociationen; Ackerbaukolonieen im Inland und den Kolonieen; Vermehrung des öffentlichen Reichthums durch Association der Hauptelemente der Production; Anerkennung der Nationalitäten, Allianz der Völker und Befreiung der unterdrückten Völker.
Unterzeichnet ist dies Programm von der Reform, der Republik, dem Peuple, der Revolution demokratique et social, dem Populaire, der Travail affranchie und der Democratie pacifique.
— Die Cholera wüthet unter den Deputirten. Von 9 Erkrankten wurde heute der Tod von Dreien gemeldet, darunter auch Fayet, Bischof von Orleans, den wir gestern vergebens wieder aufstehen ließen. unter denen, die den alten Voltairianer am Sterbebette besuchten, erwähnt man auch Coquerel, den Bischof der Protestanten. Als der Sterbende denselben eintreten sah, soll er gerufen haben: M. Coquerel hélas! je crains bien que nous ne puissions nous revoir dans l'autre monde! Die drei Deputirten heißen: Fayet, Culmann (Elsaß) und Ballon.
— Die Nationalversammlung diskutirt heute das Büdget des Ministeriums des Auswärtigen.
Bei dieser Gelegenheit sehen wir den Kampf der Voltairianer und Jesuiten wieder erwachen.
— Morgen erwarten wir nahe an 3000 Shopekepers aus London, welche den Besuch der Pariser heldenmüthigen Bürgerwehr nach der Junischlacht (im Septbr.) erwidern.
— Changarnier hat seine Entlassung nicht gegeben. Bonaparte und Barrot halten ihn für unentbehrlich. Changarnier dankt der „Patrie“ für ihren guten Willen und erklärt, den Ertrag jeder Collekte zurückzuweisen.
Diese Großmüthigkeit ist Veranlassung zur Erfindung folgender Anekdote.
Als Ledru-Rollin seinen Vorschlag, die 50,000 fr. betr. durchgesetzt sah, äußerte er zu Changarnier, der in der Kammer dicht neben ihm sitzt: Mein lieber Changarnier, in Finanzangelegenheiten darf man auch seine besten Freunde nicht schonen. Worauf Changarnier geantwortet haben soll: Sehr richtig. Aber kommen Sie und die Ihrigen nur hinab in die Straßen; ich werde Euch auch umsonst (gratis) gehörig bürsten.“
— Die Nationalversammlung zählt in diesem Augenblicke 9 Cholerafälle. Diese Herren verdauen zu schlecht oder strengen ihre Nerven zu sehr an. Von Mittags bis 6 Uhr in der Sitzung, von 6 bis 8 Uhr beim Diner und von 8 bis Mitternacht im Theater‥… Das ist in der That des Guten zu viel gethan.
— Ein Morgenblatt will wissen: Gioberti bleibe in Paris an der Stelle des bisherigen sardinischen Gesandten Russini.
Dieses Morgenblatt ist die „Ere Nouvelle“, welche aus Lacordaire's Händen in die Hände Larochejacquelein's übergegangen ist, der den süßen Lamartine'schen De la Guerroniere (vermeintlichen Sozialisten) als Hauptredakteur vorschob.
— Am Schluß der gestrigen Sitzung der Nationalversammlung trug Wolowski darauf an, daß man den Gesetzentwurf wegen der Majorate erledige. (Man lachte.) Lachen Sie nicht, meine Herren, setzte Wolowski hinzu, ich weiß, daß seit vierzehn Tagen neue Majorate gestiftet worden sind, Majorate unter der Republik! — nagelneue Erfindung.
— „Peuple“ enthält heute folgenden Artikel:
Einer der Vertrauten des Elysée National erzählt uns folgende Anekdote, von der wir recht herzlich wünschen, daß sie der Moniteur widerlege: Die telegraphischen Depeschen, welche die Niederlage der Piemontesen anzeigten, wurden am Mittwoch 28. März, Mittags (12 Uhr), in die Hände des Präsidenten der Republik gelegt. Bonaparte ließ unmittelbar den Herrn Achilles Fould in das Elysée rufen. Ihre Unterredung dauerte nicht lange. Gleich nach Eröffnung der Börse machte das Haus Fould bedeutende Einkäufe in öffentlichen Fonds und spekulirte à la hausse. Es hat enorme Benefizien realisirt, die es mit den Compèren theilte, die mit ihm für diese Spekulation assoziirt sind. Die Depeschen selbst wurden erst um 2 Uhr veröffentlicht.“
Wie man sagt, macht die Rebillotsche Polizei so eben auf die wenigen Exemplare des „Peuple“ Jagd, die noch an den Straßenecken übrig bleiben. Die Ernte soll sehr mager ausfallen.
— Karl Albert ist nicht in Paris, sondern in Spanien.
Laut Briefen aus Bayonne vom 2. April passirte Karl Albert jene Stadt an diesem Tage.
— Man kann selbst dem großen Moniteur nicht mehr aufs Wort glauben! Gestern meldete er, daß Peuple weggenommen worden sei, weil er behauptet, daß eine fürchterliche Schuldenlast den Präsidenten Bonaparte erdrücke.
Heute zeigt Peuple an, daß es nicht weggenommen worden sei. Der Moniteur irre sich!! „Dennoch sagt er, wollen wir die Notiz im Faucherschen „Moniteur“ als den Vorläufer eines zehnten Preßprozesses betrachten.“
Dann knüpft er eine Protestation gegen die ministerielle Rechtstheorie daran stets für den Präsidenten zu klagen, statt den Präsidenten selbst klagen zu lassen. Der Präsident als „erster Beamter“ der Republik, habe nicht mehr Recht als der zweite, dritte oder letzte Beamte (Galeerenwächter) der Republik.
National-Versammlung. Sitzung vom 5 April. Anfang 12 1/2 Uhr. Präsident Marrast.
Nach Vortrag des Protokolls vertieft Marrast zwei Briefe, welche ihm den Tod Fayet's, des Bischofs von Orleans und Culman's (Elsaß) anzeigen. (Sensation.)
Das Gerucht geht, auch Ballon, ein alter Centrier, sei an der Cholera gestorben Ein allgemeines Angstfieber durchzieht die Bänke.
Marrast zieht 2 Deputationen durchs Loos, um den Begräbnissen beizuwohnen.
Marrast: Ich erhalte ferner 2 Briefe, die mir das plötzliche Erkranken zweier anderer Deputirten: Payer und Laumondais anzeigen und um Urlaub bitten. (Die Angst verräth sich immer deutlicher. Mehrere Glieder verlassen den Saal.)
Unter diesem peinlichen Eindrucke schreitet die Versammlung zur Tagesordnung. (Büdget des Ministeriums des Auswärtigen.)
Kapitel 1, (405,000 Frk. Personalgehalte der Centralverwaltung.)
Die Kommission beantragt, eine Ersparniß von 36,000 Frk., vom 1. Januar 1850 an.
Corne, Berichterstatter, unterstützt die Ersparniß.
Fallour, Unterrichtsminister, bekämpft sie.
Hierzu eine Beilage.