Französische Republik.
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Paris, 4. April.
Karl Albert ist von Antibes über Marseille, Toulouse und Bourges gestern Abend hier in Paris eingetroffen. Er fuhr von Marseille aus mit Extrapost und beobachtete das
strengste Inkognito; aber im Gasthof Hotel de l'Europe zu Toulouse erkannte ihn Don Enrique, der in demselben Gasthofe wohnt, seitdem ihn der Madrider Hof wegen eines Liebesverhältnisses zu den
Exaltados und der Tochter des Bankiers O'Shea aus Spanien bannte. Als Karl Albert's Anwesenheit bekannt war, sammelten sich viele Neugierige vor dem Gasthofe. Der Postillon erhielt
Befehl, die Straße von Bayonne einzuschlagen; vor der Stadt angekommen, ließ er ihn jedoch in der Richtung von Paris einlenken. In Bourges bestieg die Ex-Majestät einen Spezialzug der Centralbahn, der
ihn nach Paris führte.
— Auch Gioberti ist in unseren Mauern. Man versichert, gibt das Journal des Debats zu verstehen, daß es sich um einen Plan handele, über den der neue König von Turin mit Radetzki
übereingekommen sei, und der in nichts Geringerem bestehe, als alle italienischen Staaten in eine Art Bundesstaat nach dem Muster des weiland Frankfurter, zusammenzubinden. Darin solle die große
diplomatische Lösung der italienischen Frage bestehen.
— Auch Herr Geheimer Hofrath Hübner aus Wien ist hier. Wer ist Herr Hofrath Hübner und was will er? Das wird Ihnen der National sagen.
„Hr. Hübner ist vom Hrn. von Schwarzenberg mit einer Spezialmission bei der hiesigen Regierung beauftragt. Dürfen wir nach der Sprache urtheilen, die er bei Personen führt, die jetzt an der
Spitze der Geschäfte unseres Landes stehen, so bestände diese Spezialmission darin, dem franz. Cabinet unter der Hand zu erklären (persuader), daß Oestreich das russische Joch fühle und daß es nichts
sehnlicher wünsche, als dasselbe abzuschütteln, wenn Frankreich sich mit ihm (Hrn. v. Schwarzenberg) über alle italienischen Fragen verständigen wolle. Herr Hübner (lies: Schwarzenberg) möchte gern,
daß wir in Rom zu gleicher Zeit interveniren, wo Oestreich in Toskana einfalle; Hr. Hübner, den man schon von seinen Missionen nach Leipzig und Mailand her kennt, nimmt keineswegs Anstand, List und
Lüge anzuwenden, um Hrn. Drouyn de Lhuys zu überzeugen, daß das lombardische Volk voll Liebe für Oestreichs Armee, daß Radetzki's Staatsverwaltung sanft sei und daß das französische Ministerium
gut thue, alle Flüchtlinge auszuweisen, da sie ja bei ihrer Rückkehr keiner Bürgschaft unterworfen würden. (!) Dieser Hübner, aus der Metternich'schen Schule, scheint namentlich bei demjenigen
Staatsmanne sehr freundliche Aufnahme gefunden zu haben, der neulich bei der Debatte über Italien die glorreiche Halsstarrigkeit Oestreichs rühmte.“
— Der Handelsminister benachrichtigt die Handelswelt, daß vom 1. April an die sizilische Häfen (Palermo etc. etc.) von der neapolitanischen Flotte blokirt werde.
— Fayet, dessen Tod wir gestern meldeten, ist noch nicht todt; aber er liegt gefährlich danieder.
— Lamartine und Bastide wollen die Debatte über Italien wieder aufwärmen, weil Cavaignac und Drouyn de Lhuys, Thiers und Komp. gar zu schonungslos mit ihnen umgingen.
— Auch unter den Lions der Bürgerwehr circuliren Bettelbriefe zur freiwilligen Deckung der 50,000 Frk. für den Ordnungsgeneral Changarnier.
— Im Operngange wollte man wissen, daß Changarnier seine Demission gegeben habe — in Folge der grausamer Undankbarkeit der Nationalversammlung ihrer gestrigen Sitzung.
— Denjoy, dessen Heftigkeit sprüchwörtlich geworden, will das ganze Klubgesetz durch ein Amendement umstossen, das also lautet:
Einziger Artikel.
„Die Klubs sind untersagt.“
— Die nächste Sonnabend- oder Freitag-Sitzung verspricht übrigens sehr stürmisch zu werden denn Bourzat, Antoine, Divelle und Komp. haben sich bereits für die dritte Lesung einschreiben
lassen.
— In das Sekretariat der Rue de Poitiers strömen enorme Geldmassen zur Bekämpfung des Sozialismus. Das Sekretariat zählt im Ganzen auf 3 bis 4 Millionen!!! Welch reiche Beute für die
antisozialistischen Schriftsteller!
— Proudhon erhielt gestern einen einmonatlichen Urlaub zur Ausarbeitung seiner Memoires.
— „Peuple“ sagt zu den Verurtheilungen. Verurtheilt — verurtheilt nur zu. Wer weiß, wie fern der Tag noch ist, an welchem Herr Louis Napoleon Bonaparte wieder in die
Kasematten des Schlosses von Ham zurückgeworfen wird!
— Zu Bourges wurde am 3. April gegen die Contumazirten: Louis Blanc, Seigneuret, Honneau, Caussidière, Lavirron und Chancel, unter Berufung auf den Code pénal und die
Verfassung, die Strafe der Deportation ausgesprochen.
— Aus den Antillen klingen die Zuckernachrichten schlecht. Die Nachfrage ist einerseits schwach, andrerseits ist die Zuckerarbeit durch die Befreiung der Sclaven natürlich stark
desorganisirt. Die Blätter aus Havre und Bordeaux benutzen diese Lage zu heftigen Angriffen gegen die Sclavenbefreiung ohne gehörige Entschädigung der großen Eigenthümer.
Wir meldeten früher, daß Minister Buffet die Handelskammern aller großen Städte der französischen Republik befragt hatte: ob er auch die ausländischen Industrie-Erzeugnisse zur diesjährigen großen
Ausstellung in den elysäischen Feldern zulassen sollte? Wie wir hören, hat die Mehrzahl der Handelskammern engherzig genug mit Nein geantwortet. Wie konnte aber auch Buffet den Handel — in
industriellen Dingen zu Rathe ziehen? Produktion und Schacher standen sich ja von jeher scharf gegenüber.
— Bei Veron, Großmeister des Constitutionnel, findet heute ein Diner der zwölf Hauptapostel der Rue de Poitiers Statt. Um diesem traulichen Zirkel nicht ganz den Stempel der Politik
aufzudrücken, ist auch die Rachel vom Theater Francais dazu geladen. Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein neuester Charakterzug dieser großen Künstlerin ein. Am Tage vor der Hinrichtung der Breamörder
richtete sie einen Brief an den Präfekten Rebillot, worin sie denselben um einen Place de Faveur auf dem Schaffot im Interesse der Kunst bat (!). Rebillot, ein alter Haudegen, antwortete ihr, daß es
in der Republik, als dem Reiche der Gleichheit, keine Gunstplätze mehr gäbe, und schlug es ihr ab.
— Der Marseiller Nouvellist vom 1. April meldet:
„Mit der größten Freude zeigen wir unseren Lesern an, daß S. H. der Pabst Pius IX. den Wunsch ausgesprochen hat, sich von Gaäta nach Marseille zu begeben. Unsere „eminemment
katholische Stadt“ wird daher das unaussprechliche Glück genießen, den edelen Pontifikus während seines ganzen Aufenthaltes in ihrer Mitte zu haben etc.“
Diese Nachricht hat wohl der der Kardinal Giraud mitgebracht.
— Der Moniteur meldet, daß das Journal le Peuple gestern abermals weggenommen worden sei, weil es in einem Artikel gesagt: Der Präsident Bonaparte habe soviele Schulden, daß sein Wille und
sein politischer Gedanke im Voraus verpfändet.
Wir entsinnen uns, daß Peuple einen Brief veröffentlichte, der die 6 Millionen Dezemberwähler aufforderte, 25 Centimen zu steuern, um 1 1/2 Million currente Schulden des Präsidenten zu decken.
— National-Versammlung. Sitzung vom 4. April. Präsident Marrast.
Nach Vorlesung des Protokolls, die erst um 1 1/4 Uhr geschieht, weil die Erneuerungswahlen der 6 Vicepräsidenten und zweier Schriftführer in den Abtheilungssälen viel Zeit wegnehmen, genehmigt die
Versammlung mehrere Lokalgesetzentwürfe, z. B. die Departements Nord und Cotes du Nord bitten um Uebersteurungsrecht Behufs Arbeitsverschaffung für ihre armen Hände.
Diese Vorschläge gehen mit 609 Stimmen durch.
Man nimmt dann das Budget (Ministerium des Innern) da wieder auf, wo man gestern stehen geblieben.
Kapitel 22 (Hospitalunterstützung) 297,000 Fr., wird ohne Debatte angenommen.
Kapitel 23, 24 und 25 stoßen ebenfalls auf keinen Widerspruch.
Kapitel 26 (1,600,000 Fr. Unterstützung für politische Flüchtlinge), auf welche die Kommission einen Abzug von 200,000 Fr. vorschlägt, wird Faucher, Minister, Republikaner und bekämpft den Abzug.
Man werde doch den Patrioten nicht das Brod entziehen, das ihnen selbst die Monarchie reichte, obgleich sie gegen ihre Prinzipien kämpften etc. etc.
Stourm, Berichterstatter, besteht auf den Abzug. Er sagt, es gäbe zu viel inländisches Elend u. s. w.
Dieses inländische Elend veranlaßt allgemeines Murren
Der Abzug wird verworfen. (Bravos vom Berge).
Kapitel 27 (1/2 Million für politische Verurtheilte). Abzug 100,000 Fr.
Faucher bekämpft sehr edelmüthig auch diesen Abzug von 100,000 Fr.
Desmolles, ein Ultrafeuillant, unterstützt diesen Abzug und findet ihn noch zu niedrig; denn dergleichen Kreditteb ewilligen, heiße die Revolutionären unterstützen und das politische
Verbrechen ermuntern. (Lärm vom Berge).
Trotzdem wird auch dieser Abzug verworfen.
Kapitel 28 (150,000 Fr. für die Julicombattanten) wird nach kurzer Gegenrede genehmigt.
Die Kapitel 29 bis 40 geben zu keinen erheblichen Debatten Veranlassung.
Die übrigen Artikel gehen ebenfalls durch.
Endlich wird das Gesammtbudget zur Abstimmung gebracht und mit 644 gegen 3 Stimmen genehmigt. (Gelächter)
Schließlich verliest Marrast folgendes Resultat der Abtheilungswahlen für Vicepräsidenten und Schriftführer.
Zu Vicepräsidenten werden proklamirt: 1. Lamoriciere mit 451; 2. Goudchaux mit 379; 3. Havin mit 367; 4. Billault mit 365; 5. Cerbon mit 355, und 6. Grevy mit 319 Stimmen.
Bedeau (von der Rue de Poitiers) erhielt nur 216 Stimmen.
Also wieder reines Palais National.
Pean und Degeorges sind wieder zu Schriftführern gewählt worden.
Endlich beschließt die Versammlung, daß sie übermorgen (Charfreitag) keine Sitzung halte.
Schluß 6 Uhr.
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] Bourges, 1. April.
(Prozeßverhandlung.) Die Nachricht von der Ankunft Hubers hat vor dem Sitzungsgebäude eine große Menge Volkes versammelt. Man erfährt indeß, daß sich mehrere
Geschworne auf das Hartnäckigste der Zulassung Hubers in die gegenwärtige Verhandlung widersetzt haben, und daß die Sache desselben getrennt von der seiner Mitangeklagten verhandelt werden soll.
Die Sitzung wird um 12 3/4 Uhr eröffnet.
Präsident. Die Vertheidiger werden jetzt das Wort zur Replik erhalten.
Advokat Girard, Vertheidiger Blanqui's, geht in eine ausführliche Prüfung der Thatsachen, welche den 15. Mai nicht als ein vorbereitetes Attentat, sondern als das Werk verschiedener
zusammentreffender Umstände darstellen.
Armand-Levy, Beistand Sobrier's, verbreitet sich über die öffentlichen Ereignisse nach dem Februar. Die Republik war gefährdet und die drohende Haltung Sobrier's gegenüber der immer
fortschreitenden Reaktion hatte nur den Zweck, die „gesetzlich bestehende Ordnung der Dinge“ zu retten. Es ist eine Lächerlichkeit, wie es die Anklage thut, bei Sobrier von Versuch zum
Umsturz der „Republik“ zu sprechen.
Advokat Band, Vertheidiger Sobrier's, wiederholt die Hauptpunkte der schriftlichen Vertheidigung, welche er eingereicht hat. Sobrier hat, wie die sämmtlichen Zeugen beweisen, alle Kräfte
aufgeboten, den Saal der Assemblée vom Volk räumen zu lassen.
Raspail. Das öffentliche Ministerium hat die Petition für Polen verlesen und zugleich gestehen müssen, daß dieselbe nicht in den Prozeß gehöre; gleichwohl aber hat man Sobrier nur auf diese
Petition hin in den Prozeß verwickelt, weil die Petition in dem Sobrier'schen Journal: „La Commune de Paris“ abgedruckt worden war. Der Angeklagte geht alsdann abermals in die
Thatsachen ein, führt dann aus, wie die Aussage des Zeugen Point in Betreff der angeblichen Aufforderung, nach dem Hotel de Ville zu ziehen, durch die Umstände wie durch die entgegenstehenden
Entlastungsdepositionen vollständig als Lüge erscheine, und erklärt nach kurzem Resume seines politischen Lebens, daß er zwar als junger Mensch von 16 Jahren in geheime Verschwörungen eintreten
konnte, aber in einer Zeit des offenen Parteikampfes dergleichen Vermuthungen als eine Abgeschmacktheit betrachte.
Nach einer halbstündigen Unterbrechung der Sitzung erhalten noch die Vertheidiger der Angeklagten Degre, Larger, Thomas, Quentin, Borme, Courtais und Villain das Wort, deren Repliken im
Wesentlichen nur eine Wiederholung der ersten Plaidoyers, ohne neues Interesse, enthalten.
Schluß der Sitzung 6 1/2 Uhr.