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@facs | 1491 |
I. Welche Römische Keyser und Königen in Aach im Gotteshauß gekrönet seyen.
Ich lade meine Leser ein, mit mir hinabzutauchen in den Sumpf der deutschen Vorzeit, und die Aachener Chronik aufzuschlagen, aus deren vergilbten Seiten derselbe müssige Duft hervordringt, der uns
verwesungsfeucht aus der ganzen deutschen Geschichte anweht.
„Die Aacher Chronick“ ist: „Eine Kurze Historische Beschreibung aller gedenkwürdigen Antiquitäten und Geschichten, sampt zugefügten Privilegien und Statuten des Königlichen
Stuls und H. Römischen Reichs Statt Aach. Zusammengetragen und publizirt von erster Stifftung und Fundation obmelter Statt bis an das Jahr unsres Erlösers 1630. Auctore Joanne Noppio Doctore et
Advocato. Getruckt zu Cölln, in Verlegung deß Authors Anno 1632.“
Es versteht sich von selbst, daß der würdige Doktor Noppius die Geschichte seiner Stadt mit Karl dem Großen beginnt.
„Von seiner Geburt steht geschrieben, der Heilig Keyser Carolus seye den 28. Januarii Anno 742 geboren, also ungefehr umb selbige Zeit dessen Groß Vatter Carolus Martellus gestorben, und
seye damalen ein ungewöhnlicher heller und glantzender Stern etliche Stunden lang vor seiner Geburt am Himmel erschienen und gesehen worden.
Das Ort aber seiner Geburt ist under den History Schreibern streitig, jedoch hälts der mehrertheil davor, daß er sei zu Ingelheimb am Rhein nicht weit von Maynz geboren.
Dieses unsres hochlöblichen Keysers Vatter ist gewesen Pipinus, der erst seines Geschlechtes König in Frankreich.
Dann, nachdem Childericus König von Frankreich zum Königreich länger undüchtig, sich mit seinen Underthanen im geringsten nicht, als allein mit Unsauberkeiten, mit Fressen, Sauffen, und anderen
Leibs Wollüsten bedragen, sich nur einmal im Jahr, Nemblich auf den ersten Tag May von dem Volke sehen ließe, Ist er durch die Stände deß Königreiches, mit gefolgnuß Päbstlichen Gewalts abgesetzt und
in ein Kloster verschafft, und an dessen platz Anno 760 obgemelter Pipinus, Erb- und Groß Hoffmeister deß Hauses und Königreichs Frankreich, zum König gemacht, vom Erzbischoffen zu Maynz Bonifacio
gesalbet, und vom Pabst Stephano confirmiret und er sampt seinen Kindern, ja alle dessen Posterität und Abkömpst erblich und ewig an der Kron Frankreich befestiget worden.“
Nachdem der Doktor mit diesen Worten den Fall der Merovinger und das Emporkommen der Karolinger geschildert hat, fährt er fort: „Er ist, und wird genannt Carolus Magnus, daß ist gesagt:
Carolus der Große, zweierlei Ursachen halber, Erstlich, dieweil er große Thaten gewürcket, dann auch zum andern, dieweil er groß von Leib gewesen, gleich ein jedweder auß dem Gebein seines Armes
Pythagorico more kan abschließen, und zwaren, wie Eginhardus, dessen Secretarius sagt, ist er sieben seiner Schuh lang gewesen, schon von Leib, und mächtig sehr stark, dergestalt, daß er einen
geharnischten Mann, mit oder auff einer Handt von der Erden bis an sein Haupt hat mögen aufheben.
Im Essen, und sonderlich im Trinken war er sehr mäßig, Also daß er ordinarie nur dreymal über Tisch pflegte zu trincken, und sonsten sich auch mehr nicht, als 4 Gerichter auffsetzen lassen, Ruhete
über Tag 2 oder 3 Stunden, über Nacht pflegte er vier oder fünffmal auffzustehen. Streitige Partheyen entscheidet er mündlich, ohne alles procediren. Allmusen sendet er den Christen bis in Aegyptum,
Syriam, Alexandriam und Afrikam.“
Das Leben und die Thaten Karl's werden weitläufig geschildert: „Dann dem wie ihm wolle, es ist dieser Unser H. Keyser in allen Dingen reichlich gesegnet worden und ist gewürdiget
nicht allein der Aller Christlichste König in Frankreich, sondern auch der erst Keyser Occidentis, das ist, nach Sonnen Niedergang zu seyn, und das heilige Römische Reich, welches in Griechenland nach
Sonnen Auffgang sich mit der Zeit zum Fall neigen, und vergehen würde, bei den Teutschen zu erhalten, und dardurch ihre Esse zu verlängern, als welche nunmehr ihren Fuß in die letzte Monarchy
hineingesetzet.
Dann auff den heiligen Christtag, andere vermeinen auff Christ Abend, als der H. Keyser Carolus in die Kirchen kommt zu betten, im Jahre 800, oder wie etliche wollen 801, ist er vom Pabst Leon III
unversehens mit einer güldinen Kronen gekrönet worden, und hat das Römische Volk dreymal nacheinander geschrieen: Carolo, von Gott gekrönet, dem Großen und dem Friedsamen Römischen Keyser langes Leben
und Victory. Nachmals ist er auch gesalbet worden und ist gewesen ein Vaß voller Heiligkeit, Weiß- und Starkmüthigkeit, ein Instrument und Handgezeug Gottes auff Erden, darmit Er allenthalben seinen
Göttlichen Willen volnzogen und volbracht hat.
Nachdem er nun aber 72 Jahre alt worden und 47 Jahr König in Frankreich, und 13 Jahre Keyser gewesen, ist er endlich den Weg aller Menschen eingangen, und gestorben im Jahr Christi 814, den 28 Tag
Januarij.
Unter den Römischen Keysern und Königen, welche nun in Aachen gekrönt wurden, ist zum ersten: Ludovicus Pius, oder der Milte, Caroli Magui Sohn; ferner Lotharius, der ältest Sohn Ludovici Pij, und
sonst wohl niemand mehr aus dem Geblüt deß H. Caroli Magni. Conradus I folgte und ward zu Aach gekrönt, Henricus auß Sachssen, der Vögler oder Auceps genant, und nach ihm Ottho Magnus, welcher, und
die folgende Otthones das Römisch Reich beständig bei den Teutschen erhalten. Mit Otthonis III Bewilligung hat Pabst Gregorius V diese Ordnung im Reiche gemacht, daß die Wahl eines Röm. Königs allein
von 7 Churfürsten geschehen sollte, welche jetzund jedermenniglichen genugsamb bekannt seynd.
[Deutschland]
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@facs | 1493 |
[Fortsetzung] Die Frankfurter Linke aber fordern wir auf, wenn sie noch einen Funken von Schamgefühl besitzt, in dieser Sache ihre Pflicht zu thun, und einen, wenn auch bei der deutschen Reichsohnmacht
vergebenen Versuch für einen mißhandelten Demokraten zu machen, der an Bedeutung sowohl über der Masse der deutschen Ausländer wie über dem ganzen Frankfurter Volksvertreterthum steht.
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@facs | 1493 |
[
*
] Berlin, 3. April.
Wir brauchen die Einzelheiten der gestrigen sogenannten Empfangsfeierlichkeiten nicht zu geben, da unsere Morgenblätter ein Langes und Breites darüber
schwatzten. Wir wollen mit dem, was wir hier geben, nur den Gerüchten entgegentreten, welche Voß und Consorten verbreiten, um zu beweisen, wie freudig das Berliner Volk die mit Katzenmusiken Beehrten
empfangen habe.
Vor allen Dingen erkannte man das gesunde Urtheil der Kölner an, welche in ihrer Beantwortung der Kaiser-Farce den Nagel auf den Kopf trafen.
Von Volk war bei Ankunft der Frankfurter natürlich nicht die Rede. Wäre das Volk da gewesen, so würde Herr Biedermann seine frechen Reden wohl gebüßt haben. So waren einige Bourgeois,
vielbezahlte Schreier u. dgl. m. am Bahnhofe, aus deren Mitte ein ziemlich dünnes Hurrah erscholl. Die Berliner Kammerdeputirten machten sehr viel Spaß und besonders die Pseudo Demokraten des linken
Centrums, wie Herr v. Berg, begrüßten ihre Collegen mit sichtlicher Freude. Die Reden waren natürlich abgeschmackt und strotzten von eckelhaftesten Phrasen der Frankfurter Deutschthümler.
Der Magistrat hatte die Bedeutung der Deputation richtig erkannt. Statt der Gallawagen schickte er zum großen Gelächter der Vernünftigen Fuhrwerke, welche unsern bekannten Droschken sehr ähnlich
sahen. Als die Herren durch die Leipziger und Wilhelms-Straße in ihre Hotels fuhren, wo sie „freie Zehrung“ erhalten, war alles still, einzelne Hurrahs klangen wie Hohn. Keine deutsche
Fahnen, Wrangel hatte es verboten!
Heute begaben sich die Frankfurter zum König. Sie wurden sehr kalt empfangen und der neue Kaiser sagte mit fester Stimme die Antwort (siehe die Kammerverhandlung) auf die
Unverschämtheit der Paulskirche her. Sehr betrübt kehrten die armen Leute zurück. Gierke und der deutschthümliche Dyhrn erwarteten sie und hörten nun auch schweren Herzens die traurige
Mähr.
Das ist der würdigste Ausgang des Lustspiels.
Offen sind heute die absolutistischen Absichten des Königs und seiner intimen Freunde Wrangel und Manteuffel hervorgetreten, wie ein Lauffeuer geht die Antwort des Königs durch die Stadt.
Vinke saß ganz vergnügt und lachend in der Kammer. Plötzlich wurde er hinausgerufen und bekam die Nachricht der Antwort. Blaß vor Wuth und zitternd vor innerer Aufregung stellte er den
Antrag gegen das Ministerium. Bismark wollte widersprechen, der Unwille der gesinnungsvollen Rechten erdrückte ihn. ‒ Getäuscht, grob getäuscht! Das sprach das Gesicht Vinkes.
‒ Alles ist einig darüber, daß der König die Frankfurter Usurpation und das Gebild Dahlmannscher Phantasie ‒ Klein-Deutschland genannt, mit gleichem Hohn zurückgewiesen hat.
‒ Unbeschreiblich war der Hohn auf den Gesichtern Manteuffel's, Arnim's etc. als Vinke wie ein Stier wüthete. Man las darin die ganze Verachtung dieses überklugen
Junkers, der das ganze Ministerium in der Tasche zu haben glaubte und nun in der gröbsten, einfachsten Intrigue gefangen ist. Die Minister waren dabei noch gestern frech genug in aller Unschuld für
den Vinkeschen Entwurf zu stimmen, als der Arnimsche verworfen war, und Vinke ward gefangen in den Leimruthen Manteuffels des Vogelstellers!
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@facs | 1493 |
Berlin, 2. April.
Sitzung der zweiten Kammer.
Der dringende Antrag des Abgeordneten Kinkel:
„Die beiden Strafprozesse, in welchen der Abg. Kinkel in zweiter Instanz auf den 18. d. M. vor das Landgericht zu Köln geladen ist, vorläufig zu sistiren und die Einforderung der Akten zu
verlangen,“ wird ohne Debatte fast einstimmig angenommen.
Der ehemalige Kanzleidirektor Schürmann zu Unna hat darauf angetragen, das geh. Obertribunal zu veranlassen, seine Richtigkeitsbeschwerde gegen ein Urtheil des zweiten Senats des Oberlandesgerichts
zu Münster vom 28. Februar 1848, wodurch das Erkenntniß des Strafsenats zu Hamm vom 1. September 1847 bestätigt worden, zu prüfen und darüber zu entscheiden. Bittsteller ist durch diese Erkenntnisse
seines Amtes entsetzt worden. Da die Richtigkeitsbeschwerde nach den bestehenden Gesetzen nicht zulässig ist, so trägt die Petitionskommission auf Tagesordnung an, welche auch angenommen wird.
Drei Bauern aus Rosen bei Striegau, welche zu einer sechswöchentlichen Gefängnißstrafe verurtheilt sind, weil sie angeblich durch Drohungen ihren Gutsherrn genöthigt haben sollen, auf verschiedene,
demselben von ihnen zu leistenden Dienste zu verzichten. Sie bitten um Befürwortung eines beigelegten Begnadigungsgesuch an den König, und wenigstens die Strafvollstreckung bis nach beendeter Saatzeit
auszusetzen. Auf den Antrag der Kommission beschließt die Kammer, daß das Gesuch nebst Beilage dem Justizminister zur geeigneten Veranlassung schleunigst übergeben werde.
Wentzel als Berichterstatter verliest den Bericht des Centralausschusses über den Parrisius'schen Antrag:
„Das Staatministerium aufzufordern, die Ausführung der Organisation der Gerichtsbehörden und der Schwurgerichte auf Grund der provisorischen Gesetze vom 2. und 3. Januar c. bis dahin zu
sistiren, daß sich die Volksvertretung über diese Gesetze entschieden haben wird.“
Der Centralausschuß hat mit 5 gegen 2 Stimmen beschlossen, der Kammer vorzuschlagen, über den Antrag von Parrisius und Genossen zur Tagesordnung überzugehen und diesen Beschluß in folgender Art zu
motiviren:
In Erwägung
1. daß die Kammer Gelegenheit hat, ihre verfassungsmäßigen Rechte sowohl im Allgemeinen als in Beziehung auf die einzelnen Bestimmungen der Verordnung vom 2. und 3. Januar auszuüben, wenn ihr
diese, der ersten Kammer bereits zur Genehmigung vorgelegten, Verordnungen zur Erklärung zugehen werden;
2. daß die Ausführung der Verordnungen bereits vorgeschritten ist, daß es mit den größten Schwierigkeiten verbunden sein würde, die alten Gerichte, insbesondere die Patrimonialgerichte, wieder in
Wirksamkeit zu setzen;
3. daß es vorzugsweise darauf ankommt, der Rechtsunsicherheit vorzubeugen, daß aber eine Annahme des Antrages von Parrisius und Genossen eine auch noch vorläufige Genehmigung der Verordnungen
wesentlich behindern würde,
geht die Kammer über den Antrag zur Tagesordnung über.
Mehrere Amendements werden verlesen und finden nöthige Unterstützung, besonders eine motivirte Tagesordnung von Bucher und Genossen (Linke), welche zahlreich unterstützt wird.
Einige Redner sprechen gegen den Antrag des Centralausschusses und gegen das Ministerium.
Der geh. Justizrath Bischof, bekannt vom vereinigten Landtage, wo er den famosen Strafgesetzentwurf vertheidigte, vertritt den Justizminister und das ganze Ministerium und vertheidigt die
Octroyirung der Gesetze vom 2. und 3. Januar in sehr ungeschickter Weise.
Bucher vertheidigt seine Tagesordnung, welche wörtlich lautet:
In Erwägung
1. daß dem Staatsministerium die Befugniß nicht zustand, die Verordnungen vom 2. und 3. Januar c. ohne Zustimmung der Volksvertreter zu erlassen und sogar zur Ausführung zu bringen;
2. daß das Staatsministerium für diese Handlungen verantwortlich;
3. daß es von den Volksvertretern abhängig sein wird, jene Verordnungen zu modifiziren oder aufzuheben, bevor dies aber geschehen, ein bestimmter Antrag an das Ministerium nicht dienlich erscheint,
geht die Kammer zur Tagesordnung über.
Dieses Amendement, ein förmliches Mißtrauensvotum für das Ministerium, wird mit 153 gegen 142 Stimmen angenommen.
Während der Stimmzählung treten die Minister ein und es wird folgende Antwort des Königs an die Frankfurter Deputation verlesen:
„Meine Herren! Die Botschaft, als deren Träger Sie zu mir gekommen sind, hat mich tief ergriffen; sie hat meinen Blick auf den König der Könige gelenkt und auf die heiligen und unantastbaren
Pflichten, welche mir als dem Könige meines Volkes und als einem der mächtigsten der deutschen Fürsten obliegen. Solch ein Blick macht das Auge klar und das Herz gewiß.
„In dem Beschluß der deutschen National-Versammlung, welchen Sie, meine Herren, mir überbringen, erkenne ich die Stimme der Vertreter des deutschen Volkes. Dieser Ruf giebt mir ein Anrecht,
dessen Werth ich zu schätzen weiß und fordert, wenn ich ihm folge, unermeßliche Opfer von mir. Er legt mir die schwersten Pflichten auf. Die deutsche National-Versammlung hat auf mich vor Allem
gezählt, vor Allem, wo es gilt, Deutschlands Einheit und Kraft zu gründen. Ich ehre ihr Vertrauen und sprechen Sie ihr meinen Dank dafür aus. Ich bin bereit, durch die That zu beweisen, daß die Männer
sich nicht geirrt haben, welche ihre Zuversicht auf meine Hingebung, auf meine Treue, auf meine Liebe zum gemeinsamen deutschen Vaterlande stützen. Aber, meine Herren, ich würde Ihr Vertrauen nicht
rechtfertigen, ich würde dem Sinne des deutschen Volkes nicht entsprechen, ich würde Deutschlands Einheit nicht aufrichten, wollte ich mit Verletzung heiliger Rechte und meiner frühern ausdrücklichen
und feierlichen Versicherungen ohne das freie Einverständniß der gekrönten Häupter der Fürsten und der freien Städte Deutschlands eine Enschließung fassen, welche für sie und für die von ihnen
regierten deutschen Stämme, die entschiedensten Folgen haben muß.
„An den Regierungen der einzelnen deutschen Staaten wird es jetzt sein, in gemeinsamer Berathung zu prüfen, ob die Verfassung dem Einzelnen wie dem Ganzen frommt, ob die mir zugedachten
Rechte mich in den Stand setzen würden, mit starker Hand, wie ein solcher Beruf es von mir fordert, die Geschicke des deutschen Vaterlandes zu leiten und die Hoffnungen seiner Völker zu erfüllen.
Dessen aber möge Deutschland gewiß sein, und das, meine Herren, verkünden Sie in allen seinen Gauen: bedarf es des preußischen Schildes und Schwertes gegen äußere und innere Feinde, so werde ich auch
ohne Ruf nicht fehlen, ich werde dann getrost den Weg meines Hauses und meines Volkes gehn, den Weg der deutschen Ehre und Treue.“
Sogleich stürzt Vinke auf die Tribüne und stellt folgenden dringlichen Antrag:
In Erwägung, daß die Antwort, welche die Minister Sr. Majestät dem Könige angerathen und welche an die Deputirten der Frankfurter National-Versammlung ertheilt worden ist, mit den von der hohen
Kammer in der gestrigen Adresse ausgesprochenen Ansichten nicht im Einklange steht und daß das deutsche Vaterland den größten Gefahren ausgesetzt ist, eine Kommission zu ernennen, welche mit Bezug auf
diese Antwort eine Adresse an Se. Majestät zu entwerfen hat, worin die Ansicht der Kammer über die jetzige Lage des Landes ausgesprochen wird.“
Die Kommission wird nach einer kurzen Motivirung des Antragstellers, der von einem Fürstenbund, der die deutsche Verfassung oktroyiren soll, faselt, sogleich in den Abtheilungen gewählt. Von der
Rechten gehören ihr an: Vinke, Werdeck, Wolf, Wenzel (Ratibor), Pelze, Fubel, Wiethaus, v. Schlottheim, Ulrich, v. Auerswald; ‒ von der Linken: Ziegler, Berends, Schramm, Grün, Moritz, v. Berg,
v. Kirchmann, Dörk, Pape, Dahne, Phillips.
Nun aber beginnt ein entsetzlicher Spectakel. Auerswald als Präsident war das Bild des trostlosesten Jammers, Vinke hatte über seinen heroischen Antrag den Katzenjammer bekommen und wollte von
seinem Antrage unter jeder Bedingung befreit werden, indem er die Diskussion der Anträge bis zum grünen Donnerstage verschieben wollte. Die Ultramontanen dagegen, weil das ein Festtag ist, Alles
schreit und tobt, endlich wird gegen die Geschäftsordnung ein Antrag angenommen, morgen Nachmittag eine Sitzung ohne Tagesordnung zu halten.
Die Kommission hält so eben 6 Uhr Abends unter Grabow's Vorsitz Sitzung.
Bei der Abstimmung über den Bucher'schen Antrag, entfernten sich Manteuffel und v. d. Heydt, welche Rintelen unter jeder Bedingung los sein wollen.
Kisker mußte auf der Tribüne alle Lobsprüche über seine Organisation von Bucher und Evelt anhoren.
Grabow war während der Sitzung in Bellevue bei dem König und telegraphirte mit der Rechten. Deshalb wollte diese den Vinke'schen Antrag vertagen.
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@facs | 1493 |
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117
] Breslau, 2. April.
Seit etwa 6 Wochen treibt sich in hiesiger Stadt ein Hr. Franz umher, der im demokratischen Verein etc. für den sogenannten
„Föderalismus“ Propagande treibt. Machen Sie einen Absud aus den Duseleien und christlichen Liebesseufzern eines Schirges und aus den kleinbürgerlich-feudalen Gelüsten Marotten und
Pedantereien eines Winkelblech; so haben sie Herrn Franz als Emissär des Föderalismus vor sich. Eine andere Seite desselben werde ich später berühren. Zunächst gedenke ich eines charakteristischen
Pumpbriefes, den Hr. Franz von Posen aus an den hiesigen Gesellen-Verein richtete. Der Brief besagte: „Ich bin, wie Ihr aus beiliegendem Diplom ersehen werdet, der
„Föderalisten“-Emissär Franz, befinde mich zur Zeit in Geldverlegenheit und bitte Euch um ein Darlehn von zehn Thalern, die ich Euch bei meiner nächsten Anwesenheit in Breslau,
wohin ich komme, um den Föderalismus zu lehren, entweder baar oder in Kokarden, wovon ich Euch, das Stück zu 2 Sgr., Muster beilege, zurückerstatten werde. (In der That lagen einige Dutzend lackirte
und geöhrte Bleiknöpfe, von denen das Stück etwa 1 1/2 Pfg. werth sein mochte, dem Briefe bei). Da Ihr nun nicht wissen werdet, was der Föderalismus will, so erfahret denn, daß er das Monopol sowie
die Gewerbefreiheit und den nichtigen Kommunismus bekämpft und daß er die Lösung der sozialen Frage, mit Ausschließung der Politik (!!), blos auf friedlichem Wege erstreben will (!!)'
Nach einigen salbaderischen Herzensergießungen gegen den Kommunismus schloß der Brief in der famos-konsequenten Weise, daß Hr. Franz eine große blutige Revolution prophezeite, um damit zu beweisen,
daß die Lösung der sozialen Frage keine Chimäre sei.
Aus dem Pump wurde nichts. Der Verein glaubte sein Geld besser anwenden zu können. Indeß kurze Zeit nachher traf Hr. Franz in eigner Person am hiesigen Orte ein und hat seitdem im demokratischen
Verein wie in den Gesellen-Versammlungen den Föderalismus 'rauszubeißen versucht. Ist es ihm gelungen, Anhänger zu gewinnen, so kann das nur Den befremden, der nicht weiß oder vergißt, daß es
der Urtheilslosen, der Denkfaulen und Denkunfähigen genug gibt, für welche Charlatane, wie Hr. Franz, recht eigentlich gemacht sind. Was ihm hilft, ist eine geläufige Zunge und eine sehr starke
Portion Frechheit. Miene und Stimme sind schwindsüchtig und provoziren zum Mitleid. Geist: leer und wüste. Kenntnisse: vacat! Dafür hat er seinen Winkelblech auswendig gelernt und kann ihn am
Schnürchen herleiern.
In dem oben citirten Briefe spricht Hr. Franz von der Lösung der sozialen Frage auf „friedlichem Wege.“
In den Sitzungen des demokratischen Vereins etc. schimpft er nicht blos auf Sozialisten und Kommunisten, sondern er weiß durch wüthend revolutionäres Bramarbasiren sich in den Geruch eines
entschiedenen Revolutionärs zu bringen und darin zu erhalten. Auf der einen Seite gegen die Assoziation geifernd, auf der andern die Rothesten der „Rothen“ im Revolutionspredigen
überbietend.
Die Preußenvereine müssen ihre Freude an dem Mann haben. Steht er nicht direkt in ihrem Solde, so ist wenigstens so viel außer Zweifel, daß die reaktionäre Partei kein besseres Werkzeug auftreiben
konnte.
Wären die von ihm gewonnenen Anhänger weniger blind und vernagelt: so hätten sie die Hülfeleistung, welche der „Kreuzritterin“ und ihrer gottbegnadeten Coutrerevolutions-Partei aus
den föderalistisch-Winkelblechianischen Faseleien und Spießbürgerlichkeiten zu Theil wird, längst durchschaut. Der geistige Staar dieser Leute ist aber nicht auf gewöhnlichem Wege zu stechen. Es fällt
den Föderalismus-Wüthigen nicht einmal der Umstand auf, daß, hätte ein Sozial-Demokrat auch nur eine halb so stark revolutionäre Rede gehalten, wie Hr. Franz deren schon mehrere vom Stapel gelassen,
er mindestens schon in den nächsten 8 Tagen ein halb Dutzend Criminalprozesse am Halse gehabt hätte.
Nach Allem, was ich bei den Vorträgen des Hrn. Franz gehört und außerdem über denselben Gegenstand gelesen, habe ich so deutlich ersehen, wie 2 mal 2 gleich 4, daß der sogenannte
„Föderalismus“ nichts weiter ist, als der alte Klein-Reichs- und Spießbürgerliche Meisterknochen mit einer anscheinend sozialen Sauce übergossen. Er ist eine verdeckt angelegte Mine, um
den allgemeinen Verband der sozial-demokratischen Arbeiter-Vereine zu sprengen. Ganz im Interesse der Reaktion treibt sich der Föderalismus wie ein Keil nach und nach in die demokratischen und
Arbeiter-Vereine hinein, um die kompakte Masse in zwei Lager zu zerspalten. Trotz alledem hoffen wir, daß die föderalistischen Hundstage höchstens so viel Monate, als die astronomischen zu ihrem
Verlauf an Wochen gebrauchen, andauern und bald wieder einiger temperirten Besinnung über Ursprung, Inhalt und Zweck des Winkelblech-Franzianismus bei der Mehrzahl seiner jetzigen Anhänger weichen
werden.
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@facs | 1493 |
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*
] Wien, 31. März.
Gestern ist Gouverneur Welden von hier abgereist, um, wie man versichert, die Belagerung Comorn's zu leiten und den Windischgrätz abzulösen, der
bereits nach Olmütz gereist sein soll. Man hält den Abgang Weldens für definitiv und bezeichnet als dessen Nachfolger F.M.L. Böhm.
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@facs | 1493 |
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43
] Frankfurt, 3. April.
„Gott helfe uns, wir können nicht anders,“ ruft die „Simonie“ im Frankfurter Journal voll sentimentaler Rührung
über die Gewissenhaftigkeit ihrer kaiserlichen Abstimmung. Wer sich entschuldigt, klagt sich an! Schon deshalb taugt eure Abstimmung nichts, weil ihr einen Bogen braucht, um eure
„Rechtlichkeit“ und „Unbestechlichkeit“ mit Ostentation zu reserviren. Daß ihr aber von den Zeitungen, die eure Schwachheit der Oeffentlichkeit
preisgaben, verlangt, eure Gegenreden zu inseriren im Interesse eures honetten Rufes, das ist des Guten zu viel. Nicht in eurem Interesse, auch nicht weil wir irgend welches Gewicht auf eure
Abstimmungen in der Paulskirche legen, sondern aus Ueberdruß vor der verbrauchten Manier, die Schuld dem Volke zuzuschieben, werfen wir einen Blick auf dieses in der That schwachsinnige
Machwerk.
„Uns aber lag an sich die Berechtigung (!!), einen Kaiser zu wählen, in dem deutlich ausgesprochenen Willen des deutschen Volkes. In keiner (??) der Revolutionen, die im März
des vorigen Jahres durch die deutschen Lande gingen, beseitigte das Volk eine der 34 Dynastieen, wir nehmen an, und die Presse (!?) unterstützt diese Ansicht, daß das Volk das, was es im
Momente seiner Revolution nicht gewollt, auch jetzt in seiner großen Majorität nicht wolle: daß ein ‒ Kaiser somit dieselbe Berechtigung (!!) habe, wie 34 andere Fürsten, und (hört! hört!) daß
ein Kaiser von Volkes (??) Gnaden demokratischer sei, als jeder der 34 Fürsten von Gottes Gnaden.“
Ferner: „Einen andern Weg wußte uns keiner unserer politischen Freunde anzugeben!“
In diesen beiden faulen Fischen konzentrirt sich die ganze Jämmerlichkeit des liberalen Standpunktes.
Warum beseitigt das Volk bis jetzt keine Dynastie? ‒ Weil dergleichen Herrn wie dasSimon'sche Brüder- oder Vetterpaar mit ihrem süßen, friedlichen Rechtsbodenliberalismus das
Volk, das sie zu führen zu muthlos waren, vertröstet und getäuscht. Ihr, die allein Weisen, verweiset jetzt auf die Geduld des Volkes als Entschuldigung für eine unverzeihliche, bei euch
erklärliche Prinziplosigkeit, nachdem ihr jede Gelegenheit benutztet, um die wuthentbrannten, zum thätigen Widerstand bereiten Massen, unter dem Applaus der interessirten Bourgeoisie zur Ruhe
und zum Zögern zu bethören, bis endlich die Reaktion immer kecker geworden und alle feilen Kräfte gesammelt hat. ‒ Nie war euch das Volk Autorität, wenn es vor dem Kampf nach den Männern des
Wortes umherblickte, und sie nirgends sah. Nie war euch das Volk der Maaßstab der politischen Wahrheit, wenn sein Wunsch eure Entschlossenheit herausgefordert. Aber als unschuldiger
Sündenbock für euren Kaiserakt, dazu ist es euch gut genug!
Nur dagegen verwahren wir uns, daß ihr euer 4 Mal mißglücktes Wahlkind den Kaiser von „Volkes Gnaden“ nennt. Das Volk ist sehr wenig gnädig auf diesen Kaiser, wenn ihr eure
große „Volks-Majorität“ nicht in der 1. Steuerklasse sucht. ‒ Diese „Majorität“ würde aber nicht minder jauchzen, wenn ihr den Pascha von Janina oder einen Ableger
der reussischen Dynastie als Schirmherr der deutschen Freiheit auf die Grundrechte „vereidet“!! hättet. Sie jauchzt aber jetzt nur, weil ihr ja eben keinen Andern als einen
Gottbegnadeten für des Volkes Gnade auswählen durftet, um nicht von den Fürsten verlacht zu werden ‒ und das wurdet ihr doch! Wir machen auch keine Distinktion zwischen
demokratischen und nicht demokratischen Kaisern. Derartige Rothzucht mit dem ehrlichen Worte Demokratie treibt die Rechtsboden-Partei von Vinke herab bis zu Heinrich Simon nachgerade
lange genug, daß wir es nur ungern gebrauchen. ‒ Die Büßer vor der öffentlichen Meinung versichern uns, ihre politischen Freunde wußten ihnen keinen andern Weg zu zeigen; das glauben wir
ihnen aufs Wort; den können die politischen Freunde Heinrich Simons auch nicht wissen und wir bekennen mit Offenheit, daß die Abstimmung gegen den Kaiser bei den Meisten uns nicht viel
mehr Achtung einflößt, als die des Herrn Simon dafür. ‒ Nur politische Gegner der Rechtsboden-Meubles können wissen, was es bedeutet, in einem Kampfe zwischen fürstlicher Anmaßung
und der Herrschaft des Volkes festzuhalten an den Bedingungen der Freiheit. ‒ Noch nie, so lange die Welt steht, hat eine Sache gesiegt, die von ihren zitternden Aposteln halb
aufgegeben ward, um vielleicht die andere Hälfte zu retten. Hätte Luther, mit dessen Worten diese schwächligen Parlamentsseelen sich schmücken, mit seiner Glaubensreformation geschachert, so wäre er
eben so spurlos vorübergegangen, wie diesen Grundrechtshändlern es vermuthlich begegnen wird. ‒ Die Republik läßt sich nur von denen und durch Die erringen, die sie wirklich wollen, und
an die Reife des Volkes glauben. ‒ Sie verwahrt sich aber gegen die principiellen Liebhaber, die zu jeder Zeit oben schwimmen wollen, wie der Schaum auf dem Wasser und ihre
„unentbehrlichen“ Personen meist vor der Zeit wagen wollen. ‒ „Ich kann nicht anders; Gott helfe mir! Amen.“ ‒
Aber wir sehen schon im Geiste die Herren Simon mit langem Gesicht sich davonstehlen, wenn die Ritter von der Rechten trotz Unterschrift auf die Abänderungsvorschläge der Majestät gehorsamst
eingehen werden. Wenn das Frankfurter Parlament durch Schuld dieser von ihrem kaiserlichen Gewissen gehetzten Ueberläufer die Katze im Sacke gekauft, so mag es die Folgen auf sich nehmen, wenn sie
ihnen vor der Krönung noch die Augen auskratzt.“
Französische Republik.
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@facs | 1494 |
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12
] Paris, 3. April.
Der Geist Guizot's schwebt bereits über der Bougeois-Kammer, schwebt über dem Ministerium, und bekundet sich auf dieselbe skandalöse Weise, wie
unter weiland Louis Philipp, wo Minister-Audienzen und Fürsprache bei Ministern für große Summen sich kaufen ließen. Bekanntlich erhalten nur diejenigen Präfekten eine Pension von 6 bis 7000 Franken,
die zu ferneren Diensten auf die eine oder andere Weise unfähig geworden. Nun hatte die provisorische Regierung mit einem Schlage 16 Präfekten destituirt, die unter Duchâtel und Guizot noch
lange Zeit Präfektendienste hätten thun können. Unter der provisorischen Regierung dachten diese Leute nicht daran, eine Pension zu reklamiren. Unter Faucher finden sie sich plötzlich als Invaliden
mit mehr oder weniger Gebrechlichkeiten in Folge ihrer Dienste angeführt, und erhalten Pensionen. Wer hat ihnen das Krankenzeugniß ausgestellt? Der honette Barrot! Wann hat er ihnen dieses
Invalidenzeugniß ausgestellt?
Am 21. Februar 1849. Wann sind diese Leute invalide geworden? etwa am 24. Februar, in Folge empfangener Wunden? Nein; sie werden invalide unter dem jeune Faucher und dem honnetten Barrot im
Augenblicke, wo sie erst physisch geheilt werden von der moralischen Krankheit des Februar, im Augenblicke wo sie wieder als gesunde, wohlgenährte Präfekten frei an's Tagelicht treten. Drei
dieser invaliden Präfekten werfen sogar ihre Krücken weg, und erhalten ihre neue Anstellung gleichzeitig mit ihrer Pension.
Guizot als konsumirter Doktrinär hatte doch wenigstes sein Corruptionssystem glänzend zu vertheidigen gewußt; aber der junge, unerfahrene Faucher that uns wirklich leid, wie er die elendigsten
Entschuldigungen vorbrachte; bald sagte er, er habe die drei Präfekten wieder angestellt, um die Staatsgelder zu ökonomisiren, und der Zahlung einer Pension enthoben zu sein; dann gibt er vor, die
drei Präfekten hätten während des Jahres Zeit gehabt, sich zu erholen u. s. w. Aber wer hätte geglaubt, daß der honnette Barrot noch dem jungen Faucher zu Hülfe kommen würde, um das Guizot'sche
Corruptionssystem vertheidigen zu helfen! Wer hätte ferner geglaubt, daß unter diesen geheilten Präfekten sich ein leibhafter Schwager des Herrn Barrot befindet.
Wer hätte endlich gedacht, daß alle diese Bettel-Präfekten schon ein Privatvermögen von 30 bis 40,000 Fr. Renten besitzen? Und das Journal des Debats, das ganz andere Korruptionsgeschichten zu
beschönigen hatte, als diese Lappalien, erstaunt sich, wie man in der Kammer einen solchen Skandal darüber erheben konnte. Die Liquidation dieser Pensionen habe ja in der gehörigen Form stattgefunden;
die Anfragen seien dem Staatsrath überwiesen worden, der Staatsrath habe sein Gutachten darüber ausgestellt, und auf dieses Gutachten hin habe das Ministerium die Pensionen bewilligt. O, dieses
Bettelvolk von Präfekten, die, nicht zufrieden nach der Februarrevolution ihr Leben, ihre Freiheit und ihre 30,000 Fr. Renten gerettet zu haben, sich von Faucher noch nachträglich das durch die
Februarrevolution Verlorene auszahlen lassen. Außer dem Schwager des Hrn. Barrot, befindet sich auch der Bruder des Hrn. Duchatel unter den pensionirten Präfekten. In Geldfragen hört die Ehrlichkeit
auf.
Von heute an hat also Leon Faucher auch seine politischen Antezedentien. Er stand gar zu bloß und zu „blanc“ da. Jules Favre trat mit einer Tagesordnung auf, die den
Fall des Ministeriums nach sich ziehen mußte: das Gesetz von 1790, in Bezug auf die Pensionen ist formell und die Gesetzesüberschreitung unläugbar. Faucher hat das Gesetz überschritten, und die
„Moral“ der Politik untergeordnet. Die Kammer, nach der brillanten Rede des Hrn. Favre, ist einen Augenblick entrüstet, weniger wegen der Verletzung der Moral, als wegen der
Unverschämtheit der dickleibigen Präfekten, die sich von ihren Aerzten Krankheitszeugnisse ausstellen lassen, um auf dieses Zeugniß hin 6000 Fr. Renten zu erschleichen und unter Faucher und Barrot
plötzlich wieder so gesund zu werden, daß sie ihre Stellen von 20,000 Fr. reklamiren und erhalten. Barrot zittert einen Augenblick für seinen Schwager und für Duchatel: er besteigt die Tribune, redet
stottertt und endet mit dem traurigen Geständnisse: Faucher habe vielleicht nicht ganz Unrecht; aber nicht die Moral, nicht Korruption sei hier im Spiele, sondern die Politik! Man solle sich hüten,
für den Antrag Favre's zu stimmen, der eine politische Revolution verberge. Und die Kammer geht in sich; sie läßt den reichen Präfekten die schwache Pension, zumal ein Duchatel und da ein
Schwager Barrots sich unter den Präfekten befinden und sie stimmte mit 6 Stimmen Majorität für Verweisung an eine Kommission!
Die Korruption der Kammer geht gleichen Schritt mit den Banketts der Demokraten; heute galt es den Delegirten vom Luxembourg: die Soldaten waren zahlreich vertreten und Felix Pyat hat ihnen einen
Toast gebracht.
Seine Rede war darauf berechnet, den Soldaten fühlbar zu machen, wer ihre Feinde sind: Er erinnert mit Geschicklichkeit an den Meuchelmord der treu gebliebenen plebejischen Generale Ney, Lagarde,
Labedoyere etc. „Eure Feinde haben kein anderes Vaterland als die Börse; kein heiligeres Interesse als die Rente, die steigt, wenn Frankreich fällt, und die am besten stand, als Ihr zu Waterloo
fielt‥‥ Die Männer, die Ihr an der Spitze seht, thäten nichts lieber, als Eurem Frankreich eine Kosacken-Infusion zum Einnehmen zu geben, um es zum Erbrechen der Republik zu bringen.
Diese Männer haben sich heute hypokritisch dem Neffen des Mannes angeschlossen, den sie selbst proscribirt haben, und dieser Neffe, der die Zeit seines Exils damit zugebracht hat, die Adler seines
Onkels zu zähmen, sieht ruhig zu, wie seine Minister sich die Taschen anfüllen, und die Köpfe Eurer Brüder abschneiden.“
Die Rede Pyat's wird zu tausenden von Exemplaren abgezogen und bringt in die Kasernen ungeachtet aller Verbote der Bugeaud's und Changarnier's.
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Paris, 3. April. 2 Uhr.
Eben bringt der Eisenbahnzug das Urtheil aus Bourges, das noch drakonischer ausgefallen ist, als man selbst von diesem Mörderhof bezahlter
Beamten-Geschwornen erwartete. Barbes und Albert sind zu lebenslänglicher Deportation (!!!), Blanqui zu zehnjährigem Gefängniß (!!!), Sobrier zu siebenjährigem Gefängniß, Raspail
(!!!) zu sechsjährigem Gefängniß, Flotte zu fünfjährigem Gefängniß und Quentin ebenfalls zu fünfjährigem Gefängniß verurtheilt worden.
General Courtais, Degré (genannt le pompier), Borme und Villain sind freigesprochen. Ueber Huber, der sich erst vorgestern stellte, ist Separatprozeß eingeleitet. Die übrigen Angeklagten
sind in contumaciam verurtheilt. Der Urtheilsspruch erfolgte gestern Abend 11 Uhr. Keiner der Angeklagten verzog auch nur eine Miene bei Anhörung des Urtheils. Raspail sagte: „Es ist in dieser
Sache besser, verurtheilt zu werden, als zu verurtheilen.“ Als die Gefangenen aus dem Sitzungssaale geführt wurden, drückten mehrere von ihnen ihren Vertheidigern die Hände. Barbes und Sobrier
riefen: Es lebe die demokratisch-sociale Republik! So endigte der große Staatsprozeß des 15. Mai 1848. Um 11 1/2 Uhr verlief sich die Menge; die Säle des mittelalterlichen Finanzjuden Jacques-Coeur
wurden geleert; starke Patrouillen durchziehen die Stadt Bourges.
‒ Die Nationalversammlung, mit dem Budget des Ministeriums des Innern beschäftigt, hat auf den Vorschlag Ledru-Rollin's das Gehalt von 50,000 Fr. für den Oberkommandanten der Pariser
Bürgerwehr und Divisionskommandanten des Seinedepartements etc. gestrichen! Das ist ein harter Schlag für Changarnier. Man will ihn durch Collekte entschädigen.
Ebenso verwarf die Versammlung einen Antrag Pierre Bonaparte's, 25,000 Fr. zur Errichtung eines Denkmals für Ney auf der Stelle im Luxembourg, wo er erschossen wurde, zu bewilligen.
‒ Abbé Fayet, der bekannte voltairianische Bischof und Volksvertreter von Orleans (Anhänger Cavaignac's), ist gestorben.
‒ Präsident Bonaparte besichtigte heute Vincennes.
‒ Gioberti wird heute mit außerordentlichen Aufträgen aus Turin im Elysée erwartet. Er hat Taschen voll Radetzki'scher Geheimnisse!
‒ Das bonapartistische Morgenblatt „La Liberté“ meldet: Auf außerordentlichem Wege erfahren wir, daß sich die kriegerisch gesinnte zweite Kammer aus Turin nach Genua
zurückgezogen und dort die Republik proklamiert habe.
Ein ähnliches Gerücht geht an der Börse.
‒ Abbé Genoude überraschte uns gestern Abend in seiner Gazette de France mit einer Ministerkrisis. Er zeigte an, daß sich das Barrot-Faucher-Kabinet nach der gestrigen Kammerschlappe
zurückzöge. Fehlgeschossen! Bonaparte ist durch seine Schuldscheine gezwungen, mit diesem Ministerium die Wahlschlacht durchzumachen.
‒ Das Wahlmanifest der demokratisch-sozialistischen Partei (der Rothen), das alle monarchischen Blätter für diesen Morgen verkündeten, ist heute noch nicht erschienen. Es zirkulirte bereits
gestern unter der äußersten Linken und floß aus der Feder Felix Pyat's. Einige Stellen sind noch zu ändern.
‒ Die Wahllisten werden am 10. d. geschlossen.
‒ Nachdem die Nationalversammlung gestern den Hrn. Odilon-Faucher (wie ihn Charivari nennt) so unbarmherzig für gewisse administrative Corruptionen gezüchtigt, wird sie wahrscheinlich heute
dem edlen Herrn v. Falloux auf den Leib rücken. Das Unterrichtsbüdget beträgt 20,760,318 Frs. und wird zu nicht minder heftigen Debatten führen.
‒ Der Schluß der gestrigen Sitzung zog sich bis nach 7 Uhr und endigte mit einem Tadelsvotum gegen den Minister Faucher, der sich nun vor der Büdgetkommission wegen administrativer
Corruption zu rechtfertigen hat. Das Votum ging mit 363 gegen 350 Stimmen durch. Faucher stellte z. B. alte Beamte Louis Philipp's als Präfekten im Januar an, die bis dahin als erblindet,
schwere Pensionen bezogen haben etc.
‒ Das vielbesprochene Primar- und Sekundar-Unterrichtsgesetz wird in gegenwärtiger Kammersession das Licht der Welt erblicken. Hr. Thiers, Cousin und die übrigen Freunde der Gesellschaft
Jesu wollen dasselbe erst der nächsten Kammer vorlegen.
‒ Kardinal Giraud ist aus Gaëta zurückgekehrt; dagegen hat der aus Freiburg im Uechtlande geflüchtete Bischof Marilley vom Ministerium Pässe nach Gaëta verlangt, die ihm
dasselbe ohne Zweifel ertheilt.
Vom Bischof von Rennes sind neue 20,000 Frs. als Pabststeuer nach Gaëta gewandert.
‒ Buvignier (vom Berge) überreichte gestern der Nationalversammlung fünfzehn Petitonen für Restution der Milliarde.
‒ Gestern sahen wir zwei Legionen von Savoyarden, Piemontesen, Sardiniern und sonstigen Italienern, denen sich ein Häuflein Ex-Mobilgardisten beigesellt hat, nach den Alpen abmarschiren.
Unter dem hundertfachen Rufe: Es lebe die französisch und italienische Republik! zogen die beiden Legionen, die Marseillaise singend, ab.
‒ Es scheint gewiß, daß Taschereau dem Thiers den auf letzteren bezüglichen Theil des Ludwig Philippschen Portefeuilles verkaufthai. Man ist diesem Schurkenstreiche auf der Spur.
(Revolution.)
National-Versammlung. Sitzung vom 3. April. Anfang 12 1/2 Uhr. Marrast läßt durch Stimmzettel die Zahl der Anwesenden ermitteln Sie beträgt 530 Glieder.
An der Tagesordnung ist das Büdget des Ministeriums des Innern. Die Debatte rückte gestern Abend bis Kapitel 3.
Kapitel 4 wird ohne Diskussion angenommen.
Kapitel 5 (geheime Polizei-Ausgaben) wird bestritten. Der Ausschuß schlägt eine Ersparniß von 100,000 Franken vor.
Faucher, Minister, hält dieselbe für den Generalpolizeidienst nachtheilig.
Pierre Leroux unterstützt nicht nur die Reduktion, sondern eifert überhaupt fürchterlich gegen die Polizei. Ihr ursprünglicher Zweck, die Bürger zu bewahren, werde gänzlich verfehlt und sie
sei nur noch da, um die Bürger zu quälen, Bankette zu stören. (Rechts: daran thut sie sehr wohl!) Das ehrenwerthe Glied benutzt diese Gelegenheit, um die Wuth zu geisseln, mit der Herr Faucher die
Clubs des Volkes verfolge. (Zur Abstimmung! zur Abstimmung! von der Rechten.)
Die Ersparniß wird angenommen. (Agitation.)
Kapitel 6 und 7 gehen ohne viel Federlesens durch.
Kapitel 8 (Ausgaben für die Bürgerwehren) erregt großen Skandal. Der Ausschuß schlägt eine Ersparniß von 97,000 Franken vor.
Deludre, unterstützt von Ledru-Rollin, tragen darauf an, das Gehalt von 50,000 Franken für den Oberbefehlshaber der Bürgerwehr des Seine-Departements, General Changarnier, zu streichen
Derselbe sei zugleich Deputirter, mithin Cumul vorhanden.
Faucher verspricht, die Regierung werde die ausnahmsweise Militärgewalt Changarnier's ändern, sobald es die Umstände erlauben. (Ah! Ah!)
Degoussée und Cremieux unterstützen die Ersparniß.
Dieselbe wird mit 361 gegen 304 Stimmen Mehr angenommen. (Sensation)
Während der Operation des Stimmens liest Marrast ein Urlaubsgesuch Proudhon's vor. Proudhon verlangt einen einmonatlichen Urlaub, um ein Memoire auszuarbeiten.
Der Urlaub wird bewilligt, aber das Gerücht geht, Proudhon sei nach Belgien geflüchter, um sich einem Handstreich der Reaktion zu entziehen.
Die Büdget-Debatte wird wieder aufgenommen. Die Streichung des Gehalts Changarniers macht solches Aufsehen, daß Listen zur freiwilligen Subscription Behufs Deckung jener 50,000 Fr. circuliren.
Kapitel 18 (Ermunterungsprämien für Literatur und Theater) führt Favre auf die Bühne. Er beklagt sich, daß das Ministerium ruhig zusehe, wie man die republikanische Regierungsform jeden Tag
insultire und auf der Bühne lächerlich mache. Gegen den Socialismus nur zu Felde ziehe.
Faucher appellirt an die Meinungs-Freiheit (Ah! Ah! zur Linken) und willigt in die beantragte Ersparniß von 100,000 Fr.
Bei Kapitel 22 wurde die Debatte abgebrochen und somit das Ministerium des Innern noch nicht erledigt.
Die Sitzung wird um 6 Uhr geschlossen.
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@facs | 1494 |
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] Antibes, 27. März.
Der Ex-König Karl Albert ist in unsrer Stadt: er reist unter dem Namen eines Grafen von Bargo. Die Autorität der Stadt hat Alles Mögliche gethan um
seine Anwesenheit verborgen zu halten. Aber der Ex-König hat schon dafür gesorgt, daß dieselbe ruchbar werde, und da hat er dann die hypokritische Phrase ausgesprochen: „Ich habe Alles gethan,
um von den Kugeln getroffen zu werden, aber die Kugeln haben mich unglücklicher Weise vermieden.“ Karl Alb rt hat von der französischen Regierung ein Schiff verlangt, um sich nach Lisabon zu
begeben.
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] Bourges, 31. März.
(Schluß der Rede Blanqui's.)
… Was mich betrifft, so bin ich unbekümmert um einen Ausgang, der für Niemand hier definitiv sein kann; ich acceptire den Kampf nicht nur auf dem Boden der Thatsachen, der nur zum Schein und
zur Verdeckung des wahren Angriffs hier behauptet wird, sondern vor Allem in der politischen Frage, welche die einzig ernsthafte in dieser Sache ist.
Niemand glaubt mehr, daß man wirklich Rechenschaft von mir über das angebliche Attentat vom 15. Mai verlangt; die Parole dieses Prozesses ist für Niemanden ein Geheimniß mehr. Man behauptet den
monomanen Verschwörer vernichten zu müssen, wie das Requisitorium sich ausdrückt, welches seine Sprache den Freibeutereien des Charivari entlehnt; den monomanen Verschwörer, d. h. den Mann, welcher
unbeirrt um die Abschweifungen der Parteien den Triumph einer Idee, niemals aber die Interessen persönlichen Ehrgeizes verfolgt. Ja, ich verfolge meine Idee, die Wegräumung der letzten Ruinen auf dem
Wege der Zukunft, und wenn ich hier vor einer erbärmlichen Prozedur darüber Rechenschaft zu geben habe, so mag das Land entscheiden, nicht über mich, sondern über euch und meine Feinde, über meine
Bestrebungen für das Volk, und über diejenigen, welche sie vernichten.
… Welchen Werth haben schriftliche Prozeßakten, welche niemals der wörtliche Ausdruck offener und natürlicher Depositionen sein können? Wenn die Zeugen selbst nicht mehr ihre volle Freiheit
haben, was will man dann von der Stellung eines Angeklagten sagen? Ich weiß, man wird mir antworten, daß ich die Gerechtigkeit in ihrem Kampf gegen das Verbrechen entwaffnen wolle, indem ich sie des
sichersten Instruktionsmittels beraube. Das aber ist das nämliche Argument, welches so lange Jahre zur Vertheidigung der Tortur gegen den Schrei der entrüsteten Gesellschaft diente, und doch hat die
Tortur endlich dem allgemeinen Fluch erliegen müssen. Glauben Sie vielleicht auch hierin eine geschichtliche Ausnahme zu sein, meine Herren Ausnahme-Richter?! Zwischen Ihnen und uns wird die Zukunft
niemals schwanken, und unter uns Beiden sind Sie es nicht, der rufen kann: „Für mich die Zukunft!“ …
Man sagt soeben, daß dies Mißtrauen gegen die geheime Instruktion eine Beleidigung der Beamten sei. In diesem Fall sind alle Seiten des Kriminalgesetzbuchs offizielle Beleidigungen der Beamten. Ist
nicht die Jury, die Oeffentlichkeit der Verhandlung, jede in unsern Gesetzen angeordnete Formalität ein offenes Mißtrauen gegen die Beamten? Jeder den Angeklagten bewilligte Schutz ist dann eine
Beleidigung des Gerichts. Möge das Land von diesen Ansichten, welche den „hohen Gerichtshof“ erfüllen, Kenntniß nehmen und danach unsern Prozeß beurtheilen.
… Ich habe Ihnen ein Muster des Instruktionsverfahrens versprochen; ich komme jetzt darauf, mein Versprechen zu erfüllen.
Es ist des gegenwärtigen Gerichtes würdig, die längst gefallene Untrüglichkeit des Pabstes, durch die neue Untrüglichkeit der Beamten zu ersetzen. Aber diese Untrüglichkeit reicht nur so weit, als
es sich gegen die Angeklagten handelt. Man hat vor acht Tagen eine gesetzlich legitimirte Deposition zu meinen Gunsten von Brest an den Generalprokurator gesendet; ich habe nichts davon zu
Gesicht bekommen. (Der Generalprokurator bestreitet den Vorfall; Blanqui produzirt Briefe, wonach die amtlich legalisirte Deposition allerdings abgesendet worden.)
Man hat ferner ganz Paris während voller sechs Monate umgekehrt, um die kleinsten und frivolsten Dinge gegen die Angeklagten hervorzusuchen, während man den Gefangenen selbst nur fünf Tage zur
Beschaffung ihrer schwachen Hülfsmittel gewährte.
Was Lacambre betrifft, so hat man ihn wohl oder übel außer Verfolgung setzen müssen. Ich will hier nicht von dem elenden Gewebe reden, durch welches man ihn durch die Hölle der Kriegsgerichte vom
Juni zog; diese Geschichte wird noch später mit all ihren blutigen Beweisen an den Tag gebracht werden. Wenn Lacambre am 15. Mai nur von einem der so zahlreichen und so gefälligen Zeugen gesehen
worden wäre, welche Anklagen hätte man nicht über seinem Haupte gesammelt! Ein Glas Wasser in seinen Händen würde hingereicht haben, ihm die Beschuldigung eines Vergiftungsversuches der
Assemblée zuzuziehen. Ja, dieser denkwürdige Rapport des Herrn Bertrand wird als ein doppeltes Aktenstück für die geheime Prozedur und politische Tendenzprozesse in der Geschichte bleiben.
Lacambre ist ein „Freund Blanqui's,“ … es liegt nichts gegen ihn vor, aber „er soll die Bewegung organisirt haben,“ und das genügt für die keusche Anklage des
Generalprokurators, um die Freundschaft Lacambre als Belastung gegen mich vorzubringen.
Ich will nicht in die ganze Leidensgeschichte der Verfolgungen und niederträchtigen Verleumdungen eingehen, zu deren Opfer man mich erkoren. Lassen Sie mich einfach eine einzige der von meinen
wüthenden Feinden erfundenen Büßungen erzählen; das Aktenstück, welches zu dieser modernen Tortur diente, befindet sich in dem Prozeß; es ist ein an mich adressirter Brief.
Sie erinnern sich, daß die Polizei nach dem 15. Mai einige Zeit brauchte, um mich aufzufinden. Und was gebrauchte man dabei für Mittel? Man legte auf der Post auf alle Briefe Beschlag, die an mich
eingingen. In demjenigen, von welchem ich sprechen will, las man, daß die Sozialisten den Taucher machen wollten; daß sie für den Augenblick nicht hoffen dürften, durch den offenen Kampf zu siegen:
„Arme geheime Gesellschaften,“ hieß es höhnisch, „was werdet ihr jetzt anfangen?“ Und dann folgten satyrische Rathschläge, die Gesellschaft durch fortwährende Agitationen
zu beunruhigen, die Bourgeoisgemüther durch eingebildete Gefahren zu ängstigen, den Handel zu stören, den Kredit zu untergraben und die Gesellschaft endlich durch den Hunger zur Uebergabe zu
zwingen.
Dieser Brief wurde sofort im Constitutionnel, diesem platten Verleumdungsblatt abgedruckt, jedoch mit weiser Weglassung des zweiten Satzes, aus dem klar hervorging, daß dieser Brief von einem
schadenfrohen, honetten Feind kam. Noch nicht genug; einige Tage später schlug man diese Fälschung des Constitutionnel an allen Straßenecken unter der fast unleserlich kleinen Ueberschrift an:
„Ein Brief an Blanqui.“ Auf diese Weise alarmirten die Gewalthaber der honetten Republik, denn nur von ihnen konnte die Publikation ausgehen, die Bürger gegen mich; sie benutzten sogar
die anonymen Briefe meiner Feinde, um sie zu verfälschen und an den Straßen anzuschlagen, damit die Blödsinnigen, welche die kleingedruckte Ueberschrift noch übersehen, dies Polizeiwerk für einen
Aufruf meiner Freunde zum Bürgerkrieg halten.
Man blieb aber selbst hierbei noch nicht stehen. Die offiziellen Verschwörer, die Männer der Regierung, welche die Wahrheit besser wissen mußten, acceptirten gleichwohl diese elenden
Verleumdungen als Wahrheit, sie acceptirten sie nicht passiv, durch ihr Stillschweigen, nein, sie verbreiteten die Lüge wissentlich, offiziell von der Tribüne der Nationalversammlung herab. Lesen Sie
in den Berichten des Moniteur die Worte, welche ein Repräsentant, ein Minister, der honette, durch die Reaktion von 1839 zuerst emporgekommene Dufaure bei Gelegenheit dieses Briefes sprach. Dieser
Elende präsentirte das Aktenstück als ein bereits berühmt gewordenes Manifest der Demokraten, und klagte mich der moralischen Mitschuld an, mich, der ich damals Gefangener war, und mich nicht
vertheidigen konnte, er produzirte seine perfiden Verleumdungen unter der doppelten feigen Sicherheit seiner Unverletzlichkeit als Abgeordneter, den ich nicht einmal gerichtlich verfolgen konnte, da
er über seine Lügen in der Assemblée Niemanden Rechenschaft zu geben braucht!
Wenn die Verleumdung schon mit solcher Schamlosigkeit in Sachen auftritt, die so leicht, so sicher enthüllt werden konnten, welche Schranken standen ihr dann wohl bei jenen Machinationen im Wege,
die Mann an Mann gar nicht zu erfassen sind, die dem gefangenen Opfer nichts als den Schrei der Verzweiflung übrig lassen: „Elender, du lügst!?“
„Warum sich geniren? Gegen Blanqui, diesen Verworfenen, diesen Tiger, ist die Verleumdung eine Schuldigkeit, der Dolch eine Tugend! Ein Stoß gegen Blanqui ist eine Bitte zu Gott!“ Und
somit ist der Sturm von allen Seiten des Horizonts gegen [Fortsetzung]
Hierzu eine Beilage.