Deutschland.
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*
] Köln, 31. März.
Gestern Mittag traf die Frankfurter Deputation hier ein, welche dem Könige von Preußen die in vier Abstimmungen durchgefallene, und endlich bei der
fünften hängen gebliebene Kaiserkrone anbieten soll. Am Abend beeilten sich die Herren des Bürger- und Heulervereins im schwarzen Frack und weißen Handschuhen, den Abgesandten im Hotel Disch ihre
Huldigung darzubringen. Die Herren mochten eben ihre ersten Herzensergüsse ausgetauscht haben, als sich draußen vor dem Hotel zahlreiche Volkshaufen einfanden, um den Frankfurter Vaterlandsrettern
unmittelbar, ohne alle vermittelnde Deputationen, ihre Sympathieen an den Tag zu legen. Liebevolle Rufe nach „Soiron“, Pfeifen, Trompeten, Küchen-Zimbeln und ähnliche vaterländische
Instrumente tönten in einem Conzert zusammen, wie es Heulergemüthern nicht ansprechender geboten werden konnte. Dazwischen erklang plötzlich ein Leierkasten ‒ die Menge schwieg wie auf einen
Zauberschlag ‒, und man hörte die Melodie eines allbekannten, am Rhein zum mindesten auch vaterländischen Liedes, in welches das Volk alsbald einfiel:
Allons, enfants de la patrie!
Die Herren Deputirten hielten es nöthig, zu ihrem Schutz gegen diese Töne Gensd'armerie und Linienmilitär aufzubieten. Die Truppen luden vor dem Hotel ihre Gewehre, während sicherm Vernehmen
nach in der Hausflur zwei literarische Notabilitäten, Herr Brüggemann und Patriot Benedix, einem Stabsoffizier mit ihrer bürgerlichen Weisheit sekundirten, und nur von „Gewaltmaßregeln“
gegen das „Lumpengesindel“ die Sicherheit der Stadt abhängig machten. Das Militär trieb das Volk mit gewohnter preußischer Humanität auseinander, wobei ein honetter Bürger, der sich eben
in's Hotel Disch begeben wollte, von einem Polizeispion und Ex-Lieutenant einen Stockhieb über den Kopf erhielt, daß er blutend zusammenstürzte.
Die Frankfurter Deputation möge diese Huldigung der ersten preußischen Stadt, welche sie besuchte, mit in die märkischen Kaiserlande tragen.
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35
] Xanten, 28. März.
Folgende Thatsache liefert einen kleinen Beitrag zu der Art und Weise, wie die Habeas-Corpus-Akte von der gottbegnadeten königlich preußischen
Büreaukratie gehandhabt wird. Ein hiesiger Anstreicher hatte zur Feier des 18. März ein Transparent ausgestellt mit der Inschrift: „Hoch den Versprechungen des 18. März 1848“. Darunter
befand sich ein Galgen, an welchen eine menschliche Figur, auf einer Leiter stehend, einen Vogel aufknüpfte, den die Zuschauer für den preußischen Adler hielten. Die Folge davon war, daß der
Bürgermeister, ein uns unlängst aufoctroyirter ehemaliger königlich preußischer Unteroffizier, den folgenden Tag in Begleitung eines Polizisten, in Abwesenheit des Mannes in dessen Wohnung drang und
das besagte Gemälde aus der Schlafstube entwendete. Der über diese Rechtsverletzung empörte Mann konnte trotz aller Reklamationen sein Eigenthum nicht wieder erlangen, das wahrscheinlich eine Klage
auf Majestätsbeleidigung begründen soll, indem der pfiffige, vielleicht auf einen Orden spekulirende Büreaukrat nichts Eiligeres zu thun hatte, als das Bild wohl verpackt dem Oberprokurator
einzuschicken.
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115
] Münster, 27. März.
Das Münstersche Gericht erwirbt immer neue Lorbeeren und Herr Rintelen Excellenz wird gewiß dem guten Rath des Abgeordneten Neumann aus Posen (vide
stenogr. Bericht Seite 254) Folge leisten und dieses Gericht neben „meinem trefflichen Heere“ ins Kirchengebet aufnehmen lassen.
Der Decembergefangene Canonicus v. Schmitz brachte gleichzeitig mit dem Gastwirth Keller aus Dülmen ärztliche Zeugnisse des Hausarztes bei. Keller (katholisch) wurde entlassen. Schmitz (Protestant)
bleibt in den verpesteten Räumen des Zuchthauses. In der Nacht des 11. März ist Schmitz dem Wahnsinn nahe vor Schmerz, so daß sein Hilferufen die Mitangeklagten aufweckte. Natürlich konnte bei
verschlossenen Thüren Keiner helfen.
Am Morgen des 12. stellt Schmitz den Antrag: das Gericht möge, da er auf die bündigsten, ärztlichen Zeugnisse seine Freiheit nicht wieder erlangen könne, von einem langsamen Morde abstehen und ihn
à la Windischgrätz zu Pulver und Blei begnadigen. ‒ Keine Antwort! Da schreibt Schmitz nachfolgendes Gesuch an die II. Kammer.
Hohe zweite Kammer!
Es beruht in der Notorietät, daß die am 11. Decbr. v. J. auf Befehl des Münstersche Stadtgerichts vollzogene Verhaftung von 14 Mitgliedern des am 18. und 19. November getagten sogenannten
westfälischen Städtecongresses in dem größten Theile unsres Vaterlandes die tiefste Entrüstung hervorgerufen hat.
Wäre nun auch das, von den Münsterschen Richtern beliebte Verfahren bei einer bloßen, vagen Verwechselung Staats- oder Criminalrechtlicher Fragen stehen geblieben, wäre überhaupt nur eine einfache
Rechtsverletzung daraus hervorgegangen, so würde auch der ehrerbietig unterzeichnete und zuchthäuslich gemaßregelte Decembergefangene sich mit so vielen Anderen trösten, welche zur Zeit des
Novemberconflicts einem contrerevolutionären Auto da fe verfallen sind; aber nicht dies ist es, wodurch sein Rechts- u. Moralitätsgefühl aufs schwerste gekränkt ward, nein, es ist die offenbarste
Rechtsverhöhnung, welche seine volle Entrüstung in Anspruch nimmt und dieserhalb die nachfolgende Bitte an die hohe zweite Kammer begründen wird.
Seit fast 4 Monaten sitze ich nämlich in den dumpfen, mephytischen Zellen des hiesigen Zuchthauses. Schon vor circa 6 Wochen hat man jedoch, und zwar allmälig, fünf Decembergefangene auf Grund
ärztlicher Atteste entlassen, darunter auch drei ehrenwerthe Deputirte aus Westfalen. Meine Gesundheit indessen neigt sich ebenfalls einem bedrohlichen Ende zu, mit ihr der letzte Trost, die letzte
Hoffnung einer zahlreichen Familie. Muß doch endlich der stärkste Körper einem ungewohnten Troglodytenleben erliegen! Ich habe deshalb bereits unterm 27. Febr. c. die bündigsten ärztlichsten Atteste
beigebracht und nicht destoweniger wird meine Haft durch die Münsterschen Richter offenbar wie es scheint nach dem Grundsatze: car tel est notre plaisire willkürlich und Ausnahmsweise
verlängert.
Meine Herren Deputirten hoher zweiter Kammer! Ich bin nebst meinen noch übrigen Leidensgefährten lediglich nach Angabe des Haftbefehls darum verhaftet, weil ich am Vereinbarungsprinzip im
gesetzlichen Wege, gestützt auf die Königl. Verheißungen des Märzes, festzuhalten versuchte, man hat gegen mich auf Hochverrath, also auf ein schweres Verbrechen los inquirirt! Meine Herren,
bescheidentlichst frage ich Sie: „Kann und darf ein Preußisches Gericht Hochverräther Krankheitshalber aus der decretirten Haft entlassen, sprechen nicht die ausdrücklichen Bestimmungen des
Landrechts und der Criminalordnung dagegen“?
Mithin erscheint das Verfahren der Münsterschen Richter in Beziehung auf mich als ein willkürliches, als ein rechtsverletzendes, als ein rechtsverhöhnendes, denn man hat durch Entlassung kranker
Gefangenen faktisch den Beweis geliefert, daß kein Hochverrath vorliegt.
Schon ist es mit mir dahin gekommen, daß ich um nur 50 Schritte zu gehen, der Stütze eines Stockes bedarf, die Füße fangen mir an zu schwellen und ich sehe einem jammervollen Tode entgegen, um so
jammervoller, als ich mit meiner Familie von einer geringen Pension leben muß und eine Mutter mit drei unmündigen Kindern dem Bettelstabe entgegen geht. Die Münsterschen Richter, indem sie sich gegen
mich des beispiellosesten exceptionellen Verfahrens befleißigen, begehen einen prämeditirten, langsamen Mord, sie entblöden sich nicht, lustig in die Fußtapfen eines Georgi und Dambach zu treten, denn
meine Herren Deputirten, hören Sie und staunen Sie:
Ich bin in meiner Vaterstadt Soest dem Schoose meiner verzweifelnden Familie entrissen worden, weil ich Stadtverordneter, Bürgerschützenschef, weil ich Mitvorsteher des
demokratisch-constitutionellen Vereins war; ich bin arretirt worden, weil ich mich der Zuneigung eines großen Theils meiner Mitbürger zu erfreuen hatte, tch bin endlich arretirt worden, damit
die Wahl des Exministers Bodelschwingh nicht gefährdet werde oder Concurrenz erleide. Mit einem Worte, der unschuldige Münstersche Congreß lieferte nur den Vorwand zu dem gegen mich verübten Akt einer
rohen Gewalt!
Ehrenwerthe Volksvertreter der zweiten Kammer! Welcher politischen Meinung Sie nach Ihren Individualitäten auch angehören mögen, so werden Sie Alle doch nicht verkennen, daß eine Rechtsverhöhnung
gegen einen Staatsbürger, eine Verhöhnung des Vertrauens ist, Kraft dessen das Volk Sie mit Ihrer Mission betraut hat, und darum wende ich mich um so mehr mit der folgenden Bitte an hohe zweite
Kammer, als bei des unbegreiflichen Herrn Rintelen Excellenz die wohlbegründeten Beschwerden, welche ich so wie meine Leidensgefährten ihm vorgetragen, ohne alle Rücksicht geblieben sind.
Daher bitte ich:
Hohe zweite Kammer wolle geneigtest dahin wirken, daß die gegen mich Seitens der Münsterschen Richter beliebten exceptionellen Maßregeln, als Akte der Willkür erkannt und somit durch meine
Entlassung aus den verpesteten Zellen des hiesigen Zuchthauses ein wohl prämeditirter, langsamer Mord verhütet und ein 50jähriger Familienvater nicht länger gemaßregelt werde, der dieselben Ansprüche
aufs Dasein hat, wie die so vielfältig von der öffentlichen Meinung interpellirten Richter der westfälischen Hauptstadt.
Mit aller Ehrerbietung zeichnend:
Ludwig Friedr. v. Schmitz,
Canonicus.
Münster im Zuchthause, den 22. März 1848.
Dieses Gesuch nebst Begleitschreiben an den Abgeordneten D'Ester wird dem Direktor der Strafanstalt übergeben, und während Schmitz glaubt, seine Schreiben seien längst in Berlin,
erhält er heute folgendes erbauliche Rescript:
„Der Abgang Ihres zur Revision (?!?) vorgelegten Schreibens an den Abgeordneten D'Ester vom 23. l. M. hat wegen der darin enthaltenen Beleidigungen des Gerichts, welches die
Criminal-Untersuchung und die Verhaftung wider Sie verfügt hat, Anstand gefunden. Es soll vielmehr nach dessen heutigem Beschlusse mit dem Antrage auf Untersuchung und Bestrafung der Injurien dem
Königl. Oberlandesgerichte eingereicht werden.
Auch Ihre Eingabe vom 12. März ist in gleicher Veranlassung und mit gleichem Antrage dahin abgegeben, welches Ihnen nachrichtlich eröffnet wird.
Münster, den 28. März 1849.
Königliches Land- und Stadtgericht. Abtheilung für Untersuchungs-Sachen.
Giese.
An den Untersuchungs-Gefangenen
Herrn Canonicus v. Schmitz hier.
‒ 29. März, Morgens 9 Uhr. So eben marschirt das 11. Husaren-Regiment unter meinem Fenster vorbei nach Schleswig-Holstein! ‒
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*
] Berlin, 29. März.
Hr. Professor Urlichs aus Greifswald verlangte bei der Berathung des Preßgesetzes in der vierten Abtheilung, daß zwar Verfolgungen wegen Beleidigung
gegen Privatpersonen u. s. w. nur mit Zulassung des Beleidigten stattfinden möchten: Beleidigung gegen die Kammern aber, sollten auch ohne deren Genehmigung verfolgt werden können! Da war nun
doch die ganze Abtheilung, auch die schwärzesten Rechten, gemäßigter; diesen Satz ließen Alle fallen außer dem Einzigen. Aber für diesen Durchfall rächte sich das Mitglied für Greifswald, als man nun
an den Paragraphen von den guten Sitten kam. Druckschriften gegen „gute Sitten“ werden mit Geldbuße bis zu 100 Thlr. oder Gefängniß bis zu einem Jahre bestraft. Ein gelehrtes
Mitglied machte den Mann des Alterthums auf einen reich wuchernden Zweig der alten Literatur aufmerksam, und bewies ihm, daß hinfort kein Philologe Ovidium und Aristophanem ediren dürfe, ohne ein Jahr
dafür abzusitzen. Hr. Urlichs ging in die Mausefalle, und, um über antikes Faunenthum ein Privilegium für seinen Stand zu erzielen, schlug er das Amendement vor, vor „Druckschriften“ das
Wort: „neuverfaßte“ einzuschieben. So wären freilich Ovidii Amores, Horatii Sermones, Juvenals Satiren, Aristophanis Lysistrata und Luciani Grisettengespräche vor den preußischen
Kriminalgerichten salvirt worden, aber auch Aretin, Casanova und die französischen Fabliaux laufen, Dank unserer attischen Biene, künftig frei durch. En voilà du grec!
Heute Vormittag sind in den verschiedenen Abtheilungen die Mitglieder der Fachkommissionen gewählt worden. Die Linke ist mehr, wie man erwarten konnte, im Vortheil geblieben, sie hat in einigen
Kommissionen sogar die Majorität. Wir geben die Wahlen für folgende Kommissionen: *)
Agrarverhältnisse: * Jaczkowsky, * v. Schirnding (1. Abtheilung). Klein, * Haber, (2. Abth.). * Elsner, Schwiedler (3. Abth.). Roegel, Fürst Hatzfeld (4. Abth.). * Schmiedicke, * Eckard (5.
Abth.). Bismark, Leonhard (6. Abth.). v. Münchhausen, Tegetmeier (7. Abth.).
Handel und Gewerbe: * Erbreich, * Freund (1. Abth.). Medersheim, Viebahn (2. Abth.). * Münsberg, Pruß (3. Abth.). Jacobi, Schmidt (4. Abth.). * Pax, * Schmidt [Landshut] (5. Abth.).
Osterrath, Johanny (6. Abth.). Thiel [Burscheid], Andritzki (7. Abth.).
Finanzen und Zölle: * Müller [Zell], * Messerich, (1. Abth.). Camphausen, Merres (2. Abth.). Plaßmann, v. Merkel (3. Abth.). Herrmann, Müllensiefen (4. Abth.). * Matthaei, * Wenzel [Glatz]
(5. Abth.). Harkort, Dohna (6. Abth.). von Beughen, Dötsch (7. Abth.).
Justizorganisation: * de Syo, * Eberty (1. Abth). Breithaupt, Müller [Siegen], (2. Abth.). * Schornbaum, * Pelzer [Remscheid] (3. Abth.). Evelt, Wenzel (4. Abth.). * Ziegler, * Knauth (5.
Abth.). Staudt, Reygers (6. Abth.). * Immermann, * Parrisius (7. Abth.).
Gemeindewesen: * Gierse, Ludwig [Mühlhausen] (1. Abth.). Peschke, Pütz (2. Abth.). Sack, * Kosch (3. Abth.). v. Borries, v. Negelein (4. Abth.). * Stein, * Schaffranneck (5. Abth.) Graf
Arnim, v. Saucken (6. Abth.). * Schulze, [Delitzsch] Wagener (7. Abth.).
Unterrichtswesen: * Wessel, * Schneeweiß, (1. Abth.). * Schramm, * Richter (2. Abth.). * Jacobi, * Vater (3. Abth.). Urlichs, Fubel (4. Abth.) * Borchard, Dahne (5. Abth.) * Wehmer, Krause
(6. Abth.) Bogedain, Kellner (7. Abth.).
Die sechste Abtheilung hat Krause zum Mitglied des Centralausschusses für die Preßgesetzgebung ernannt.
Die Söhne des Hrn. Potworowski, Mitglied der ersten Kammer, sind ausgewiesen worden. Es waren die Schüler einer hiesigen Lehranstalt, welche der Zorn der Polizei traf.
Die Finanzkommission führt mit dem Finanzminister keine sehr friedliche Ehe. Alle Belege, alle Aktenstücke kann sie nur nach langem Zögern dieses Herrn bekommen. So die Rechnungsabschlüsse für 1846
und 1847 und den Etat der Seehandlung, obgleich dieselben durchaus nothwendig sind, um einen klaren Blick in unsere Finanzwirthschaft zu verlangen.
Gestern fand in Frankfurt a. d. O. die Wahl des Kommandeurs der Bürgerwehr statt. In der ersten Abstimmung erhielten von 1235 Stimmenden, der Abgeordnete Görz-Wrisberg 1012 Stimmen, der
Gegenkandidat, Generallieutenant v. Pochhammer Excellenz, 161 Stimmen, die andern Stimmen waren zersplittert.
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Wien, 27. März.
Nicht alle Minister, sondern nur Schwarzenberg wurde nach Olmütz berufen, um mit dem dort schon seit länger verweilenden Kriegsminister Cordon zu berathen, damit
[1466]
der Krieg in Ungarn mit größerem Nachdruck geführt werde. Der hiesige Gouverneur Welden soll nach Pesth abgehen, um dort verwendet zu werden. ‒ Noch immer scheinen die Mißverhältnisse zwischen
FM. Windischgrätz und dem Ministerium nicht gehoben; denn während die ministeriellen Organe versicherten, daß Baron Kübeck mit der Leitung der Civilangelegenheiten Ungarns betraut sei, findet sich die
Pesther Zeitung ermächtigt, diese Nachricht als eine Erfindung zu erklären. Kübeck sei nur mit einer Mission an den FM. abgesendet worden und werde binnen Kurzem wieder nach Wien zurückkehren.
Gestern wurden wieder zwei hiesige Bürger wegen aufreizenden Reden zu 7- und 8monatlichem Prosoßenarrest verurtheilt.
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@facs | 1466 |
[
*
] Prag, 26. März.
Die „Slowanska lipa“ diskutirte in ihrer heutigen Sitzung die Frage, ob sie auch fernerhin als politischer Verein fortbestehen oder sich in
einen Leseverein verwandeln wolle. Man entschied sich für Ersteres. In Folge des octroyirten Associations-Gesetzes ist ein Entwurf zu neuen Statuten ausgearbeitet worden, der zur Vorlesung kam. Da
jetzt nur noch majorenne Personen an politischen Vereinen Theil nehmen dürfen ‒ also z. B. die Studenten, eine Menge Gesellen etc. von vornherein ausgeschlossen sind ‒ so wird sich die
Slowanska Lipa in einen politischen Verein für alle majorennen Mitglieder, und in einen bloßen Leseverein für die nichtmajorennen umgestalten. Die Abstimmung hierüber wird später erfolgen. In
Olmütz hat die dortige Slowanska Lipa sich bereits in dieser Weise konstituirt.
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@facs | 1466 |
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*
] Prag, 27. März.
Der Entwurf der Landesverfassung für Böhmen enthält 69 Paragraphen, von denen folgende die wesentlichsten sind:
§ 4. Prag bleibt die Hauptstadt des Königreichs und der Sitz der Landesgewalt.
§ 6 Die beiden Volksstämme dieses Königreichs sind gleichberechtigt und haben ein unverletzliches Recht auf Wahrung ihrer Nationalität und Pflege ihrer Sprache in Amt und Schule.
§ 7. Der Statthalter dieses Königreichs muß beider Sprachen mächtig sein. Die Kenntniß beider Landessprachen ist auch eine wesentliche Bedingung der fernern Anstellung aller Beamten, deren
unmittelbare Wirksamkeit sich auf Bezirke erstreckt, welche von beiden Völkerstämmen bewohnt werden.
§ 14. Die Angelegenheiten, welche in den Wirkungskreis der Landesgewalt fallen, sind: I. Alle Anordnungen in Betreff 1. der Landeskultur; 2. der öffentlichen Bauten, welche aus Landesmitteln
bestritten werden; 3. der Wohlthätigkeitsanstalten im Lande; 4. des Voranschlags und der Rechnungslegung des Landes a. sowohl hinsichtlich der Landeseinnahmen aus der Verwaltung des dem Lande
gehörigen Vermögens, der Besteuerung für Landeszwecke und der Benutzung des Landeskredits, als b. rücksichtlich der Landesausgaben, der ordentlichen wie der außerordentlichen. II. Die nähern
Anordnungen innerhalb der Gränzen der Reichsgesetze in Betreff 1. in Gemeindeangelegenheiten; 2. der Kirchen- und Schulangelegenheiten; 3. der Vorspannsleistung, der Verlegung und Einquartierung des
Heeres. III. Die Anordnungen über jene Gegenstände, welche durch Reichsgesetze dem Wirkungskreise der Landesgewalt zugewiesen werden. IV. Die Ueberwachung und Ausführung der Landesgesetze. V. Die
Geltendmachung der Bedürfnisse und Wünsche des Landes an den dasselbe betreffenden Reichsangelegenheiten. VI. Die Verwaltung des Landeshaushalts, der Landesfonds und der Stiftungen im Lande, insoweit
letzteres unbeschadet der durch die Stiftungsurkunden getroffenen Bestimmungen zulässig ist.
§ 16. Die gesetzgebende Gewalt wird in Bezug auf die Landesangelegenheiten von dem Kaiser und Könige von Böhmen im Verein mit dem Landtage ausgeübt.
§ 19. (Bestimmt den Wirkungskreis der Landesvertretung analog dem § 14).
§ 21. Der Landtag besteht: 1. aus Abgeordneten der Höchstbesteuerten jedes Wahlbezirks; 2. aus Abgeordneten der meistbevölkerten Städte und Ortschaften, und 3. aus Abgeordneten der gesammten
übrigen Landesbevölkerung. Die sämmtlichen Abgeordneten bilden nur eine Kammer.
§ 23. Die Zahl der Landtagsabgeordneten für das Königreich Böhmen wird auf 240 festgesetzt.
§ 24. Diese Anzahl wird auf die drei Wahlkörper derart vertheilt, daß auf den Wahlkörper der Höchstbesteuerten 60, auf den der meistbevölkerten Städte und Ortschaften 80 und auf den der übrigen
Landesbevölkerung 100 entfallen.
§ 25. Die auf jeden Wahlbezirk entfallende Anzahl Abgeordneter aus der Klasse der Höchstbesteuerten wird nach der Einwohnerzahl vertheilt. Die Hauptstadt Prag wird den meistbevölkerten
Wahlbezirke gleichgehalten. Das Nähere bestimmt das Wahlgesetz.
§ 26. Der Steuerbetrag, welcher auf die Höchstbesteuerten entfällt, muß ein Drittheil der gesammten direkten Steuer des Wahlbezirks erreichen, und die mindeste Zahl der wirklichen Wähler in einem
Bezirke 25 auf einen Abgeordneten betragen. Bei der Ausmittelung ist daher auf die in der Zahlung von direkten Steuern zunächst stehenden in so lange herabzugehen, bis mindestens diese Anzahl von
wirklichen Wählern erreicht ist.
§ 28. Die Vertheilung der Abgeordneten für die übrige Bevölkerung geschieht nach der Volkszahl, und mit möglichster Berücksichtigung der Nationalität, gleichfalls durch das Wahlgesetz.
§ 29. Zur Wahl der Abgeordneten überhaupt ist Derjenige berechtigt, welcher österreichischer Reichsbürger, großjährig und im Vollgenuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist, übrigens in der
betreffenden Wahlkategorie nach dem für dieselbe bestimmten Census als wahlberechtigt erscheint.
§ 30. Dieser Wahlcensus ist bei den Wählern für die meistbevölkerten Städte und Ortschaften, so wie auch bei denen für die übrige Bevölkerung, die Zahlung einer dieekten Steuer, deren Ziffer
durch das Wahlgesetz bestimmt wird, oder jene persönliche Eigenschaft, vermöge welcher Jemand auch ohne Bezahlung einer direkten Steuer in einer Gemeinde des Königreichs Böhmen nach dem
Gemeindegesetze das aktive Wahlrecht hat. Auch Gemeindebeamte werden diesen letztgenannten Personen gleichgehalten.
§ 33. Wählbar für den Landtag in jeder Wahlkategorie ist Jener, der überhaupt im Lande wahlberechtigt, mindestens 30 Jahre alt, und seit wenigstens 5 Jahren östreichischer Reichsbürger ist.
§ 34. Die Abgeordneten werden auf die Dauer von drei auf einander folgenden Jahren gewählt. Sie sind nach Ablauf ihres Mandats wieder wählbar.
§ 37. Die Bemessung der den Landtagsabgeordneten aus den Landesmitteln zu gewährenden Entschädigung bleibt dem Landtage anheimgestellt.
§ 41. Der Landtag ernennt durch absolute Stimmenmehrheit seinen Präsidenten und Vicepräsidenten für die Dauer der Session.
§ 44. Geheime Stimmgebung mit Ausnahme der vorzunehmenden Wahlen findet in dem Landtage nicht statt.
§ 47.. Nur durch Abgeordnete können in dem Landtage Bittschriften eingebracht werden.
§ 48. Deputationen werden in dem Landtage nicht zugelassen.
§ 49. Kein Abgeordneter darf außerhalb des Landtags wegen Aeußerungen in demselben zur Rechenschaft gezogen, noch auch gerichtlich verfolgt werden.
§ 55. Wenn der Landtag nicht versammelt ist, und dringende, in den Gesetzen nicht vorgesehene Maßregeln mit Gefahr am Verzuge für das Land erforderlich sind, so ist der Kaiser berechtigt, die
nöthigen Verfügungen unter Verantwortlichkeit des Ministeriums mit provisorischer Gesetzkraft zu treffen, jedoch mit der Verpflichtung, dem Landtage die Gründe und Erfolge darzulegen. Handelt es sich
um ein Landesgesetz, so bleibt dasselbe nur insofern aufrecht, als es im gewöhnlichen Wege nachträglich zum Landesgesetz erhoben wird.
§ 58. Steuern oder Abgaben zu Landeszwecken können nur im Wege der Landesgesetzgebung bestimmt und ausgeschrieben werden.
§ 61. Zur Besorgung der verfassungsmäßigen Landesverwaltungsgeschäfte wählt der Landtag einen Ausschuß aus seiner Mitte.
§ 62. Dieser Ausschuß führt den Namen: Landesausschuß des Königreichs Böhmen, und besteht aus 4 Abgeordneten der Höchstbesteuerten, 4 Abgeordneten der meistbevölkerten Städte und Ortschaften, und
4 Abgeordneten der übrigen Bevölkerung.
§ 63. Die Wahl dieser Abgeordneten wird vom gesammten Landtage vorgenommen, und erfodert die absolute Stimmenmehrheit.
§ 65. Die Mitglieder des Landesausschusses sind verpflichtet, ihren Aufenthalt in Prag zu nehmen. Sie erhalten eine jährliche Besoldung aus den Landesmitteln, welche kein Mitglied ablehnen
darf.
§ 66. Durch Landesgesetze wird der Betrag dieser Besoldung festgesetzt und bestimmt, inwieweit der Landesausschuß in der Führung der Landesgeschäfte und in der Bestellung, Entlassung und
Pensionirung von Beamten oder Dienern selbstständig vorzugehen oder die Genehmigung des Landtags einzuholen habe, und auf welche Weise der Landesausschuß von dem Landtage zur Verantwortung gezogen
werden könne.
§ 67. Der Landesausschuß wählt aus seiner Mitte den Vorsitzenden mit absoluter Stimmenmehrheit aller Mitglieder.
§ 68. Der Landesausschuß steht in unmittelbarer Geschäftsverbindung mit dem Landesstatthalter.
§ 69. (Der letzte.) Abänderungen an der Landesverfassung sollen in dem zuerst einberufenen Landtage im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung beantragt werden können. In den folgenden Landtagen ist
zu einem Beschlusse über solche Abänderungen die Gegenwart von mindestens drei Viertheilen aller Abgeordneten und die Zustimmung von mindestens zwei Drittheilen der Anwesenden erfoderlich.
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213
] Dresden, 28. März.
Die Majorität der zweiten Kammer hat durch ihr heutiges Benehmen bewiesen, daß ihre angebliche Demokratie nur eine sächsische, d. h. eine
centraldeutsche ist. Die zweite Kammer hat sich mit Rücksicht auf ihren frühern Beschluß über die Zurückberufung des Hrn. v. Könneritz, dieses Blummordsatelliten, aus Wien heute selbst
in's Antlitz geschlagen; sie hat das sächsische Volk, überhaupt die Demokratie, den Muth und die Ehre blamirt, denn sie hat den Ihnen mitgetheilten Antrag Tzschirner's und Genossen, wenn
auch nicht direkt, so doch indirekt, also recht gründlich-deutsch-erbärmlich verworfen. Die zweite Kammer hat sich heute einer wahren Bourgeoisthat schuldig gemacht, indem sie mit andern Worten
erklärte: Den Muth, welchen wir einem matten, achselträgerischen Allerweltsrechtministerium gegenüber besessen haben, den können wir einem contrerevolutionären, dem Lande aus Olmütz und Potsdam
aufoktroyirten, belagerungsschwangern Ministerium gegenüber, da es uns Zähne, ultima ratio und Kanonen weist, in diesem Augenblicke nicht mehr haben. Kurz, die zweite Kammer hat bewiesen, daß sie eine
der mit dem ministeriellen Hochverrath bereits vereinbarten Rabulistenkammer von Berlin würdige Tochter werden will Damit Deutschland sich über diese Kammern keiner ferneren Illusion hingebe, will ich
Ihnen die heutigen Verhandlungen ihrem wesentlichen Inhalte nach mittheilen.
Die Gallerien sind überall gedrängt voll, namentlich von ziemlich häßlichen reaktionären Fraubasen, die journalistischen Taglöhner müssen ihre Stenographie von den anstoßenden Ellenbogen des
Publikums verbessern lassen; es herrscht ungeheure Schwüle, alle Welt ist in Erwartung der Dinge, die da kommen sollen.
Auf der Registrande befindet sich unter andern eine Adresse um Unterstützung einer Arbeiterassociation, ferner mehrere Eingaben für unentgeldliche Aufhebung aller Feudallasten, für die Mehrheit
(jetzt Minderheit) der Kammer, für Aufrechthaltung des Beschlusses über die Rückberufung des Könneritz; der Kriegsminister endlich läßt schriftlich erklären, die sächsischen Truppen hätten auf
Anordnung der deutschen Centralvogelscheuche in Altenburg den Preußen Platz gemacht. Ministerpräsident Held erhebt sich und spricht mit halspeinlichem Gerichtsordnungspathos, daß, wenn die
Kammern die Berathung des Dringlichkeitsantrags wirklich vornehmen, das Ministerium sich dabei nicht betheilige, es jedoch für seine Pflicht halte, vorher diese Erklärung zu machen. (Exit ghost).
Einige Unteranträge werden eingebracht, 14 Redner haben sich zum Sprechen gemeldet.
Bernard begründet das Mißtrauensvotum hauptsächlich daraus, daß das Ministerium auf die Beschwerde der Kammer über den vom Ober-Appellationsgericht in Betreff der Grundlasten
veröffentlichten Rechtssatz noch keine Rücksicht genommen, obwohl dieser Rechtssatz im Volke die höchste Entrüstung hervorgerufen.
Böttcher. Zwischen der Kammer und dem Ministerium muß eine gewisse Uebereinstimmung herrschen, das Ministerium muß jetzt die Grundsätze kennen, welchen den Wahlen zufolge die Majorität
huldigt. Das Ministerium aber ist trotz dieser Majorität entstanden. (Er hätte sagen sollen: es ist uns aufoktroyirt worden); es hat darum auch die Antwort auf Tzschirner's Interpellation
verweigert. Es hat sich in Frankfurt über Census, Veto, Staatenhaus u. s. w. Aeußerungen erlaubt, die bekunden, was es in Sachsen vorhat; es steht nicht auf demokratischem Standpunkte, so lange es den
Willen des Fürsten über den des Volkes stellt. Für die Belassung des Könneritz an seinem Posten hat das Ministerium keinen stichhaltigen Grund angegeben. Könneritz, der bisher nichts für die
Verwirklichung der Wünsche des sächsischen Volkes in Wien gethan, wird dafür auch in Zukunft nicht handeln. Das angebliche Drohen Oestreichs ist bei seinem gegenwärtigen Zustande im Innern zum
mindesten lächerlich. Finke's Antrag verlangt zu wenig. Nach einer Mittheilung aus der geheimen Sitzung der ersten Kammer von gestern bestehen die Weigerungsgründe des Ministeriums:
1) in dem durch Abberufung des Hrn. Könneritz entstehenden völkerrechtlichen (greulicher Popanz) Bruch mit Oestreich; 2) in der Vernichtung der Hoffnung, Oestreich beim deutschen Bund (dieser Hans
Urian ist ein Lieblingsplumpudding der Herren Beust-Ehrenstein) zu erhalten. (Famoser Pretiose!) 3) in der Vereitlung der Hoffnung, sich der Unterstützung Oestreichs bei dem Einigungswerke
stammverwandter Staaten (Eroberung Thüringens) mit Sachsen zu erfreuen; (dumme Hoffnung!) 4) in der Hinweisung auf die Erschwernisse beim Gränzverkehr und somit in Gefahren für Handel und Wandel.
Wie Sie sehen, übertrifft das sächsische Ministerium sowohl das Reichs- als Manteuffel-Ministerium in Frankfurt und Berlin an bedientenmäßiger Niederträchtigkeit; es bemüht sich, den königlichen
Purpur mit Blum'schem Blute windischgrätzisch-frisch zu röthen, und kriecht darum im tiefsten Staube vor dem Standrechts-Tamerlan von Olmütz und vor dem Tamerlan-Homunkulus irgendwo anders. Der
Köder heißt Thüringen, die Aufgabe, Vertilgung der Demokratie in Sachsen; die Thränenfistel der sächsischen Majestät wird diese Aufgabe vollbringen wollen. Rabenstein streicht sich den Schnauzbart,
läßt die Sachsen in Schleswig-Holstein von dänisirten, in Sachsen aber von centralgewaltigen Preußen mit Pulver und Blei entrepublikanisiren.
Finke bemüht sich, der Kammer weißmachen zu wollen, der Tzschirnersche Antrag gehe nicht weit genug. Die Motive, sagt er, schmecken zu sehr nach Konstitutionalismus, die Sache hat etwas
Zwitterhaftes (mir kam Herr Finke wie ein eigentlicher Zwitter vor), das Volk wird blos als Objekt betrachtet, nicht als Subjekt. Man muß auf vorübergehende Persönlichkeiten nicht zu viel Gewicht
legen, (Hm, hm, Herr Finke, der Linke!) Ich könnte für den Antrag stimmen, denn ich habe keine konstitutionelle Gesinnung. (Ei, ei, Herr Finke!) Könneritz ist nicht mehr der Gesandte Sachsens, sondern
der Gesandte des Hofes. Er beantragt, die Entfernung des Ministeriums zu verlangen.
Wehner. Das Urtheil Finke's, daß der Antrag egoistische Gründe zur Unterlage habe, ist in Finke's persönlicher Bildung bedingt. Er charakterisirt den Antrag. Das Ministerium
muß ein parlamentarisches sein, der Majorität der Volksvertreter angehören, wie in Frankreich, England und Belgien. Wie die Stadtverordneten zum Stadtrath, so verhält sich das Ministerium zu uns, es
thut, was es will. Wir müssen hier nicht blos zusehen und fortverhandeln, sondern entschieden handeln. Der Volkswille muß im Ministerium und auch bei den andern Räthen der Krone vorwiegen.
Bertling verlangt, daß über einen Antrag zur Tagesordnung überzugehen, vor allem andern entschieden werde, zieht indeß nach einigen Bemerkungen des Präsidenten seinen Antrag zurück.
Tauerschmidt. Tzschirners Interpellation war eine Lebensfrage der Demokratie. Das Ministerium braucht sich nicht erst Thatsachen zu Schulden kommen zu lassen, es genügt, wenn seine
Intentionen zweideutig sind, und dies ist der Fall, so lange es die genannte Interpellation unbeantwortet läßt, nur auf Anträge hin sein Programm geben will. Schweige die Kammer dazu, so votire sie
dem Ministerium ihr Vertrauen, sie genehmige das absolute Veto, den Census, die Nichtumgestaltung des Heeres. Das Schweigen des Ministeriums bedeutet nichts anderes, als daß es kein Einkommensystem,
keine Schmälerung der Civilliste, kein Abschaffen der Apanagen, keine Gemeindeverfassung, kein Abschaffen des Adels, überhaupt keine demokratischen Einrichtungen will, und das Auftreten des
Kriegsministers beweist nun wohl doch, daß das Ministerium nichts ist, als eine offene Kriegserklärung wider das Volk und seine Vertreter. Seine Aeußerungen in Frankfurt verrathen, daß der
Absolutismus seine wahre Gesinnung ist; es betrachtet die Centralgewalt als eine Fortsetzung des Bundestags, es steckt sich hinter dieselbe, wie hinter den frühern Bundestag; wir können dann
beschließen, was wir wollen, unsere Beschlüsse werden unbeachtet bleiben. Dadurch werden wir beim Volke degradirt, denn das Volk erwartet thatsächliche Abhülfe von uns. In welcher Harmonie die
Regierung mit den Gefühlen des Volks steht, zeigt die Sache Blum's mehr als zur Genüge. (Bravo auf der Gallerie, auf der Regierungstribüne mockiren sich einige leipziger stupide journalistische
Taglöhner). Die Revolution ist noch nicht abgeschlossen, obgleich schon der 50ger Ausschuß davon gefabelt hat, die Octroyirungen sind auch Revolution, und wir stehen nun am Vorabende eines
europäischen Kriegs. (Der Absolutismus kennt dessen Folgen und wird ihn möglichst zu vermeiden suchen).
Berthold (Mädchenschulmeister, Bajazzo der sogenannten Linken, unausstehlicher ABC-Kläffer und heiserer Tugendprediger) greift die äußerste Linke als Partei an, indem er sie mit dem
Spülwasser seiner Mädchenfibel übergießt, und sich bei dem standrechtsschwangern Ministerium verdient zu machen sucht. Der Antrag hätte schon früher gestellt werden müssen. Er behandelt die
Antragsteller als seine Gegner, meint, das Veto für Deutschland sei noch keins für Sachsen, der Antrag sei ein Gewaltschritt, die Welt (die blöde Schulmeisterwelt am ersten) lasse sich keine spanische
Stiefeln anziehen, die Zeit werde zeigen, wieviel auch die Linke von der demokratischen Ader (!) in sich habe.
Mayer (Bürgermeister.) Wir haben ein korruptes Bureaukratenministerium, eine Arbeit der Weisheit (der potsdam-olmützer Kamarilla) erhalten, das Volk will aber keine blasse Weisheit mehr.
(Beifall der Gallerie.) Die Regierung kennt das Volk nur als geborenen Feind der Krone. (Präsident untersagt dem Redner persönliche (!!) Anspielungen.) Haben Sie je aus dem Munde der Minister gehört,
daß sie mit den Kammern gehen würden? Hätten wir die Geldbedürfnisse schon bewilligt, so wären wir schon längst nicht mehr hier. (Präsident ersucht den Abgeordneten, sich anständigerer (!) Ausdrücke
zu bedienen.) Ich schließe, indem ich nochmals erkläre: Ich habe kein Vertrauen.
Köchly, der zuckersüße Pfiffikus und ministerielle Tellerlecker. Reden ist Silber ‒ Schweigen ist Gold. (Aus der Apokalypsis) Intermezzo über politische Feinde. Wir sind im
Wesentlichen mit den Antragstellern einverstanden, auch wir fühlen Unbehaglichkeit, darum wollen wir die Antragsteller nicht widerlegen, wir haben nur gegen ihre Motive mancherlei formelle Bedenken
à la Berthold zu machen. Wir müssen noch abwarten, ohne die Sache verschleppen zu wollen; wir wollen die Entscheidungsschlacht erst dann, wenn alle Waffen in (aus) unsern Händen sind.
Hellwig. Wenn die Rechte wider ein Mißtrauensvotum ist, so erscheint dies natürlich, weil sie mit jedem Ministerium geht, daß aber die Linke sich dagegen auflehnt, ist zu verwundern. Die
Linke, welche jetzt den Antrag auf Tagesordnung will, ist keine Linke, sie will erst in 100, 200 Jahren, was jetzt geschehen muß, wenn wir noch Energie und Muth haben.
Müller (Oberlieutenant). Das Mißtrauensvotum muß zur Zeit noch auf sich beruhen bleiben, Sachsen kann den Vergleich mit England und Frankreich nicht aushalten, weil es nicht ihre
Quadratmeilen hat. Wir müssen uns nach dem, was in Preußen und Oesterreich geschehen ist, richten, weil wir zwischen ihnen eingekeilt sind; dies ist eine ernste heilige Verpflichtung, wir dürfen die
äußern Beziehungen nicht außer Acht lassen, die Praxis für eine leere Theorie nicht mit Füßen treten; darin liegt der Unterschied zwischen uns und der äußersten Linken. (Es gehörte wirklich
sächsischer Blödsinn dazu, aus diesem Kasernenmenschen einen Demokraten heraus zu wittern, ihn im Lande zum großen Manne zu stempeln!) Wir verzichten noch nicht auf eine Verständigung; auch ich war
über den Tagesbefehl des Kriegsministers verwundert, jedoch ist die Angelegenheit noch nicht spruchreif, die erste Kammer hat sich darüber noch nicht ausgesprochen. Nur wenn der Kriegsminister darauf
beharrt (als ob darüber ein Zweifel möglich!) können wir ihm ein Mißtrauensvotum geben. Zwischen Vertrauen und Mißtrauen gibt es noch ein Zwischending, nämlich der Gefrierpunkt. Die Regierung hat
heute eine ernste Lehre erhalten.
Der Schluß der Debatte wird beantragt, aber verworfen.
Jäckel. Das Volk hat uns nicht hieher gesendet, Beschlüsse zu fassen, auf welche man nichts gibt; die gemäßigte Linke möchte mit dem Ministerium spielen, wie die Katze mit der Maus.
Schink vertheidigt seine äußerste Rechte gegen die gemachten Angriffe. Wir haben so andächtig da gesessen, daß wir geglaubt, man lasse uns in Frieden. Ich weise die uns gemachte
Beschuldigung mit Entrüstung zurück; es ist leicht mit der Majorität zu laufen, wir aber haben Grundsätze.
Blankenstein Wir wollen auf dem konstitutionellen Boden, auf dem wir allerdings noch stehen, keine Maske, keinen Schein, wir wollen Ehrlichkeit. Darum ist ein nicht aus der Majorität
hervorgegangenes Ministerium ein unparlamentarisches. Zwischen Vertrauen und Mißtrauen ist nur der Zustand des Indifferentismus, des Lauwarmen möglich.
Kell erklärt sich, obwohl von der Linken, für Tzschirners Antrag.
Köchly qualmt noch einmal: Es gehört mehr Muth dazu, sich von seinen Parteigenossen verketzert zu sehen, als von seinen Feinden. Wir können nicht alles aussprechen, was zu unserer
Rechtfertigung gehört, die äußerste Linke hat den Zustand Wochen lang ertragen, sie könnte noch etwas warten.
Thieme-Garmann. Die Klugheitstheorie richtet uns zu Grunde.
Wagner. Hüten Sie sich alle, daß nicht die Zeit kommt, wo die Büttner'sche Lüge eine Wahrheit wird.
Linke, ein Deklamator. Ich fühle ganz u. s. w. ‒ Ist dieser Schritt für uns ein gerechter? Auch mich kümmerte das lückenhafte Programm, ‒ aber ich hoffte, es würden
andere Thaten folgen (deutscher Blödsinn); ich hörte vom absoluten Veto ‒ aber ich fürchtete nichts für Sachsen; mein Hoffen (o!), mein Glauben (o!), mein Vertrauen (o!) wurden morsch und
wankend etc.
Schluß der Debatte.
Tzschirner von der Tribüne: Wir haben nicht, wie man uns vorwirft, einen unüberlegten Antrag gestellt, einen Antrag von dem man sagt, er sei zu früh und zu spät; ich will dem Volke darüber
Enthüllungen machen. Beide Seiten der Linken waren in den Privatbesprechungen über den Antrag einig, aber jetzt, wo es darauf ankommt, dies zu zeigen, will die sogenannte Linke nichts mehr davon
wissen. Wir haben Allen, die gleich anfangs nicht mit uns gehen wollten, eine deutsche gründliche Bedenkzeit geben wollen, und daraus erklärt sich der Aufschub. Daß wir dem vorigen Ministerium nicht
entgegen getreten sind, ist nicht unsere Schuld, wir haben niemals zögern wollen, wir wollten uns der Regierung gegenüber stets unumwunden aussprechen. Wir reiten nicht blos auf Prinzipien herum, wir
wollen sie auch realisiren; bei den künftigen Wahlen wird das Volk das Realisiren für dring-
[1467]
lich erachten. Die Regierung fühlt sich entweder stark genug, uns aufzulösen, oder sie weicht. Wir fürchten keine Auflösung. Das Volk wird dann zu erkennen geben, welche Ansicht die richtigere, ob
unsere oder die der Regierung. Wir sind nicht hier, um nichts zu thun, als unsere Diäten zu verzehren, wir wollen durchführen, was das Volk wünscht. Das Ministerium hat vermieden, sich auf unsere
Forderungen zu erklären; dies weiß es aber in jedem Falle, selbst wenn es jetzt in der Majorität sein sollte. Wie können wir fernere Anträge stellen, wenn es nichts hilft und sie blos in den
Ministerkasten geschoben werden. Wir haben außer der Publikation der Grundrechte, die nichts sind, als ein leitendes Prinzip ohne Einführung (hätte sagen sollen: die unschuldige Tertianer-Exkoriation
der harmlosen zentraldeutschen Bornirtheit), noch nichts erreicht. Man muß der Kontrerevolution zeigen, was das Volk will, und das soll durch unsern Antrag an den Tag kommen. Mit dem absoluten Veto
huldigt die Regierung dem Absolutismus, die Macht, die in Frankfurt geschaffen werden soll, will auch uns unterdrücken! man will Deutschland nur mächtig nach innen. Wenn wir wegen der Einklemmung
zwischen Oestreich und Preußen die Hände in den Schoos legen sollen, dann laßt uns nach Hause gehen. Nein wir wollen zeigen, daß wir dessen ungeachtet unsere Ansichten im Innern frei zu entwickeln den
Muth haben. (Beifall der Gallerie.) Daß unser Antrag kräftig genug ist, sieht man an der Art, wie er bekämpft wird, es ist eine Heuchelei, ihn für zu schwach zu erklären. Heute handelt's sich
darum, die gegebenen Verhältnisse zur Sprache zu bringen, nicht darum, mit einem salto mortale die Republik zu proklamiren. Die Blumangelegenheit war der Probierstein für's Ministerium, es
verschafft uns keine Genugthuung. Darum bestehen wir darauf; das Volk müßte glauben, wir hätten den Verstand verloren, wenn wir schwiegen, solange Könneritz auf seiner Stelle bleibt. Ein Volk ist
nicht selbstständig, das solche Schmach erduldet. Mit bloßen Witzeleien (Berthold) wird nichts bekämpft; wir sind nicht hier zum Spaßen. Wir machen dem Volke keine Versprechungen, das Volk selbst
macht die Forderungen. Die Zeit ist auch vorbei, wo das Kapital allein mächtig war. Die Arbeit verlangt ihre Rechte. Sie dürfen ihr Mißtrauen nicht blos im Herzen tragen. (Verläßt unter oft
wiederholtem Beifall des Publikums die Tribüne.)
Es entspinnt sich eine weitläufige Debatte darüber, ob Tzschirner's oder Feitsche's Antrag zuerst zur Abstimmung kommen soll, die dahin entschieden wird, daß der Antrag
Feitsche's vorgeht. Derselbe will, daß der Antrag Tzschirners zur Zeit noch auf sich beruhen bleibe, und wird unter namentlicher Abstimmung, wobei die äußerste Rechte und die äußerste Linke
eines zufälligen Amendements wegen zusammengehen, mit 39 gegen 31 Stimmen angenommen.
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*
] Schleswig, 27. März.
Der Landesversammlung ist folgendes Schriftstück zugegangen:
„Indem die Statthalterschaft der Herzogthümer Schleswig-Holstein dem Präsidio der schleswig-holsteinischen Landesversammlung den Empfang des gefälligen Schreibens vom 26. d. M., betreffend
die Einsetzung einer Statthalterschaft, hiedurch anzuzeigen nicht unterläßt, verbindet sie damit die Mittheilung, daß sie die ihr übertragenen Functionen am heutigen Tage angetreten habe. Die
Statthalterschaft ersucht das Präsidium, hiernach der Landesversammlung das Erforderliche gefälligst mittheilen zu wollen. Es wird das Bestreben der Statthalterschaft sein, das ihr von der
Landesversammlung bewiesene Vertrauen zu rechtfertigen und die ihr gestellte große Aufgabe nach besten Kräften zu fördern und zur glücklichen Lösung zu führen. Sie rechnet dabei auf die kräftige
Unterstützung der Landesversammlung und der sämmtlichen Bewohner der Herzogthümer. Gottorff, den 27. März 1849. Die Statthalterschaft der Herzogthümer Schleswig-Holstein. Reventlou. Befeler.
Contras.: Harbou.“
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15
]Kassel, 28. März.
In der heutigen Sitzung der Ständeversammlung hat die obschwebende Frage wegen der Civilliste ihre Erledigung gefunden. Se. k. Hoh. fand sich endlich
bewogen, eine Antwort auf die ständische Adresse zu ertheilen, dahin lautend: Nach sorgfältiger Erwägung aller Verhältnisse könne um so weniger auf eine Verringerung der Hof-Dotation eingegangen
werden, als man in einem solchen Zugeständnisse einen wesentlichen Vortheil für die Wohlfahrt des Landes nicht erblicke, weil Hochdieselbe bemüht sein werde, unter Beirath Ihrer Minister und
verfassungsmäßigen Mitwirkung der getreuen Stände, das Glück des Ihnen von Gott anvertrauten Landes und Volkes nach Kräften zu fördern, überdem aber das Land so viele eingreifende Reformen nicht
ertragen könne. Das Schreiben war ein höchst eigener Entschluß und von keinem Minister contrasignirt. Auf eine desfallsige Bemerkung äußerte Hr. v. Sybel treuherzig, die konstitutionelle Theorie gelte
nichts, wohl aber die konstitutionelle Praxis (!)
Unter vielen germanischen und römischen Rechtsverwahrungen wurde dann auch, nachdem der Finanzminister, o Schauder! eine Kabinetsfrage aus der Bewilligung gemacht hatte, die fragliche Summe
(lumpige 800,000 Thaler mit dem Aufkommen des Hausschatzes) genehmigt, aber mit dem inhaltschweren Zusatze, daß man sich des Bedenkens nicht erwehren könne, die Civilliste sei für die Kräfte des
Staates (von 750,000 Einwohnern und kaum 4,000,000 Thlr. jährlichem Budget) zu hoch! Die Herren von der Bourgeoisie, die noch vor wenigen Tagen so grimmig tobten, stimmten dafür. Der
„frische“ Deputirte Henkel mußte in Frankfurt seinem Freunde Welcker die Schuppen von den Augen nehmen und war also nicht anwesend. ‒ Nach einer telegraphischen Depesche aus
Frankfurt, welche bereits der Ständeversammlung mitgetheilt wurde, sollen schleunigst noch weitere 12,000 Mann kurhessischer Truppen marschfertig gemacht werden. Wohin? Das werden wir wohl später
erfahren.
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Offenburg, 25. März.
Heute haben sämmtliche Wahlmänner der hiesigen Stadt in öffentlicher Versammlung den einstimmigen Beschluß gefaßt, bei der auf nächsten Freitag anberaumten
Wahl eines Abgeordneten zum sogenannten badischen Landtag nicht zu wählen. Sie fordern, daß die gegenwärtige Ständeversammlung aufgelöst und eine konstituirende Versammlung berufen werde, um die
Geschicke unseres Landes zu ordnen.
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Freiburg, 26. März.
In der heutigen Sitzung wurde die Zeugenvernehmung so weit gefördert, daß nur noch 10-12 Zeugen abzuhören sind und das Zeugenverhör also hoffentlich morgen früh
beendigt werden wird. Den Anfang der Verhandlungen bildete eine ernste Ansprache des Präsidenten Litschgi an die Geschworenen, welche die bereits versuchte Einwirkung der Presse auf ihr Urtheil zum
Gegenstand hatte. Die bezüglichen Artikel finden sich in der „Mannh. Abendztg.“ und der „Allg. Badeztg.“ Der Präsident erklärt, er werde diesen Einwirkungen, mögen sie
kommen, woher sie wollen, mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Der Vertheidiger Brentano protestirt gegen Einwirkungsversuche, die auf der andern Seite auch nicht fehlten und die er zum Theil in
den grellsten Farben malt. Daran knüpft sich eine weitläufige Verhandlung, an welcher sich außer den Genannten noch die Angeklagten und Staatsanwälte betheiligen. Nach dieser Episode wurde in dem
Zeugenverhöre fortgefahren, wobei die Ereignisse in Feuerbach, Heitersheim, Buggingen und Staufen behandelt werden. Schließlich wird den beiden Angeklagten durch ein Urtheil des Gerichtshofes morgen
früh 7 Uhr eine gemeinsame Besprechung unter Zuzug der Vertheidiger zur Entwerfung des Vertheidigungsplanes gestattet.
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Freiburg, 27. März.
In der heutigen Vormittagssitzung wurde das Zeugenverhör zu Ende gebracht. Es betraf die Flucht der Angeklagten von Staufen über Todtnau durch das Wiesenthal
nach Wehr, wo sie nebst ihren Genossen durch Bürger jener Gegend festgenommen und nach Schliengen abgeführt wurden. Daran knüpften sich Zeugenaussagen über Excesse in Schopfheim. Weiter wurde der
Ueberfall von Kleinlaufenburg durch eine Anzahl Bewaffneter, unter ihnen Flum und Böhler, ausführlich behandelt. Bei jenem Ueberfall wurde der Gensd'arm Fritz erschossen. Dies war das letzte
Ereigniß, worüber Zeugen abgehört wurden. ‒ In der Nachmittagssitzung kam es fast nur zur Verlesung von Aktenstücken, an welche jeweils Verhandlungen angeknüpft wurden. Zunächst wurden die
Erklärungen der Angeklagten verlesen, welche sich auf einen in den Sitzungen schon vielfach zur Sprache gekommenen Gegenstand bezogen, nämlich auf die Ablehnung der von den Angeklagten verlangten
Zeugen. Die Sache ist kurz so: Struve sieht die veranlassenden Triebfedern der Volkserhebungen, die er leitete, in dem volksverrätherischen Wirken der Diplomatie, der Regierungspolitik und
Bureaukratie während der Bundestagsperiode, sowie in den Offenbarungen des Volkswillens seit dem März vorigen Jahres. Daß dem so sei, will er durch eine Reihe von bekannten, zum Theil hochgestellten
Männern, wie Bekk, Blittersdorff, v. Dusch, Welcker, Soiron, Mathy, Bassermann, Uria Sarachaga, Riegel, Mez u. A. beweisen. Für die Ereignisse während der beiden Schilderhebungen hat er keinen
einzigen Entlastungszeugen verlangt. Blind hat nur zwei Zeugen begehrt, den General Hoffmann und den Oberlieutenant Müller, um thatsächliche Fragen an sie zu richten. Oberlieutenant Müller ist ohnehin
als Zeuge citirt worden. Die Aussagen, die General Hoffmann machen könnte, werden, wie die Staatsanwälte ausführen, durch die Akten und andere Zeugen gemacht. Warum Struve's Zeugen verworfen
worden sind, mag zum Theil schon aus den Namen derselben und aus den Andeutungen, die über den Charakter der an sie zu richtenden Fragen gemacht worden, zu entnehmen sein. Nachdem über diesen
Gegenstand eine zum Theil sehr hitzige Debatte beendet war, wurden schließlich noch eine Menge von Aktenstücken, Briefschaften, Regierungserlassen, militärischen Befehlen u. s. w. aus der Zeit der
zweiten Schilderhebung verlesen und damit die Sitzung geschlossen. Nächste Sitzung morgen 9 Uhr.
[(N. F. Z.)]
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[
!!!
]Frankfurt, 29. März.
National-Versammlung.
Simson eröffnet nach 1/4 11 Uhr die Sitzung.
Nach einigen Reklamationen des Protokolls von Berger und Ludwig Simon, welche genehmigt werden, wendet sich der Präsident Simson an die Versammlung: Meine Herren, der Erzherzog
Reichsverweser hat mich durch den interimistischen Reichsministerpräsidenten Gagern autorisirt, Ihnen Folgendes mitzutheilen:
Gestern Nachmittag um 6 1/4 Uhr ließ der Reichsverweser die Minister, der Präsidenten der National-Versammlung und das Bureau zu sich bescheiden. Er erklärte in Gegenwart der Minister Gagern und
Mohl, so wie des Präsidenten Simson und zweiten Vicepräsidenten Kirchgessner und ersten Schriftführers:
„Ich finde mich bestimmt, unter den obwaltenden Verhältnissen die Würde eines Reichsverwesers niederzulegen, und ersuche Sie, Herr Präsident (Simson), diesen meinen Entschluß der
National-Versammlung anzuzeigen.“
Hierauf hat Gagern ihm in Hinblick auf die gegenwärtige Gefahr des Vaterlandes ernsthafte Gegenvorstellungen gemacht, worauf der Reichsverweser zu nochmaliger Ueberlegung eine Stunde Frist
genommen, während welcher sich die Anwesenden zurückzogen. Nach Ablauf dieser Stunde hat er an Gagern geschrieben, ungefähr wie folgt:
„Mein lieber Freiherr v. Gagern, ich bin in dieser Stunde mit mir zu Rathe gegangen, und werde von meinem Entschluß nicht abgehen, sobald es ohne Gefahr für die Ruhe Deutschlands geschehen
kann.“
Also vorläufig bleibt er.
Die Deputation, welche nach Berlin geht, ist vom Bureau um 8 Mitglieder vermehrt worden, was von der Versammlung nachträglich genehmigt wird.
Sie besteht außer dem Präsidenten Simson aus folgenden Herren:
Arndt aus Bonn. Barth aus Kaufbeuern in Baiern. Bauer aus Bamberg. Beseler aus Greifswald. Biedermann aus Leipzig. Briegleb aus Koburg. Knyrim aus Frankfurt a. M. Kraft aus Nürnberg. Löwe aus
Kalbe. Merk aus Hamburg. Mittermaier. Pannier aus Zerbst. v Raumer aus Berlin. Reh aus Darmstadt. Riesser aus Hamburg. Rüder aus Oldenburg. Rumelien aus Würtemberg. Schepp aus Nassau. v. Scherpenceel
aus Luxenburg. Schoder (!) von Stuttgart. v. Soiron. Sprengel aus Meklenburg. (Geschichts-) Stenzel aus Breslau. Stieber aus Bautzen. Zachariä aus Göttingen. Zell aus Trier. Dahlmann. Deetz aus
Wittenberg. Federer aus Stuttgart. Freudentheil aus Hannover. Göden aus Posen. v. Hartmann aus Münster. Holland aus Braunschweig.
Summa 34.
Wernher von Nierstein beantragt eine 14tägige Vertagung, um das große Werk zu verdauen.
Nach einigem Geschwätz vertagt man sich hierauf bis Mittwoch den 4 April, und setzt für diesen Tag eine ganz unbedeutende Tagesordnung fest,. um sich dann weiter zu vertagen.
Schluß um 11 1/4 Uhr.
Französische Republik.
(Unsere sämmtlich en Pariser Briefe sind heute ausgeblieben. ‒ Wir geben die neuesten Nachrichten, soweit die französischen und belgischen Blätter sie bringen.)
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*
]Paris, 29. März.
Gestern stand Proudhon als Verfasser der Artikel vom 26. und 27. Januar des „Peuple“ gegen den Präsidenten Bonoparte, nebst seinem Geranten
Duchêne vor den Assisen. Die Geschworenen sprachen gegen Beide das „Schuldig“ und das Gericht verurtheilte Proudhon zu 3 Jahren Gefängniß und 3000 Frs. Buße, den Geranten
Duchêne zu 2 Jahr und 1000 Frs. Buße. Diese Strafe ist die höchste, die je gegen einen Publizisten verhängt wurde, und wofür? weil Proudhon sagte: „Wenn das Volk am 10. Dezember einen
Ochsen gewählt hätte, so wäre es Pflicht der Nationalversammlung, darauf zu achten, daß die Bestie keinen Schaden anrichte!“
‒ Die Debatte über das Klubgesetz wird morgen, Freitag, in der Assemblée wieder aufgenommen werden.
‒ Seit drei Tagen halten die demokratischen Wahlcomite's in den Klublokalen Redoute, Saal Martel, Cordeliers u. s. w. wieder öffentliche Sitzungen. An der Spitze derselben stehen
d'Alton-Shee, Baudin, Joly, Madier de Montjeau, Lechevalier. Die Angeklagten von Bourges werden die Ersten sein, welche aus den Pariser Wahlurnen hervorgehen.
‒ Die Rue Poitiers hat eine Subskription eröffnet, um den Bauern „billige Traktätchen“ bieten zu können, worin ihnen die Vortheile reaktionärer Wahlen auseinandergesetzt werden
sollen.
‒ Man spricht von neuen Depeschen, welche die Regierung aus Italien empfangen haben soll. Radetzky habe unter der Vermittlung der französischen und englischen Gesandten einen
Waffenstillstand mit der sardinischen Regierung geschlossen, wonach er seine gegenwärtige Position beibehalte. Die östreichische Regierung habe Frankreich erklärt, daß sie keine Gebietsvergrößerung
suche, sondern an den Verträgen festhalten wolle.
‒ Der Maire und die Adjunkten von Lisieux haben das Comité der Rue Poitiers befragt, ob sie Hrn. Guizot wählen sollten oder nicht. Molé, Thiers, Duvergier d'Hauranne
sprachen sich dagegen aus; Thiers sagte, er sehe in dieser Sache nur einen Skandal. Zuletzt beschloß das Comité einstimmig, dem Maire zu antworten, daß man sich über diese Frage nicht
aussprechen könne.
‒ Hebert und Guizot treten als Kandidaten für die legislative Kammer auf.
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@facs | 1468 |
[
*
]Paris, 29. März.
Sitzung der Nationalversammlung. Präsident Marrast. Auf der Tagesordnung steht das Budget des Handels und Ackerbaues.
Jules Favre besteigt die Tribüne:
„Der tiefe Eindruck, den die Nachrichten aus Turin gestern in dieser Versammlung hervorgebracht haben, hat sich auch in Ihrem Comite des Auswärtigen fühlbar gemacht. Wir haben gestern und
heute Sitzung gehalten. Ihr Comite hat mich beauftragt Ihnen eine Resolution vorzulegen, welche ich mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten debattiren sollte. Da aber der Herr Minister, aus
uns unbekannten Gründen, nicht in der Sitzung erschienen ist, so müssen wir unsern Resolutionsentwurf auf morgen verschieben.“ (Bewegung.)
Die Versammlung nimmt darauf das Büdget einstimmig an. Schluß der Sitzung 5 1/4 Uhr.
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*
] Bourges, 26. März.
(Schluß der Sitzung vom 26.März.)
Generalprokurator Baroche beginnt sein Requisitorium.
Nach einigen Einleitungsphrasen über die hohen Pflichten seines Amtes, die Aufmerksamkeit der Geschworenen u. s. w. giebt der Vertreter des öffentlichen Ministeriums sein Urtheil über die
Februarrevolution zum Besten, welche in seinen Augen die höchsten Ansprüche des Volkes realisirt hatte, und durchaus nichts weiter zu wünschen übrig lassen konnte. Nichts desto weniger habe sich
alsbald nach den Februartagen ein neuer Kampf entsponnen: zwischen den gemäßigten und den exaltirten Republikanern. Die Exaltirten seien bloß für den Umsturz, für die „Permanenz der
Revolution“ begeistert gewesen, der Vorwand der „sozialen“ Revolution habe ihnen gefehlt, da die Februarrevolution nach dem Generalprokurator „politisch und sozial“
war.
Zu dem 17. März übergehend wiederholt und vergleicht er die Aussagen Lamartine's, Ledru-Rollin's und Marie's. Er stellt Blanqui als den Urheber dieses
„Angriffstages“ dar, und meint, daß sich derselbe nur deshalb zurückgezogen gezeigt habe, um im „günstigen Augenblick“ sich an die Spitze zu werfen, ohne sich vorher den
zweifelhaften Chancen des Mißlingens auszusetzen. Den Charakter des 16. April bezeichnet er sodann nach dem glücklichen Ausdruck des Zeugen Degousen als das Werk einer „geheimen Macht“
diese geheime Macht war Niemand anders als Blanqui, der schon den 17. März „organisirt“ hatte; beide Tage haben nach der tiefen Anschauung des Generalprokurators auch die Aehnlichkeit
mit einander, daß sie ‒ „jeder unter einem andern Vorwand eingeleitet wurden“!
Der Angeklagte Blanqui bemerke zwar, daß er mit der Zusammenberufung der Arbeiter auf das Marsfeld nichts zu schaffen habe. Das öffentliche Ministerium wisse dies wohl. Aber warum ist Blanqui auf
das Marsfeld gegangen, wo er nichts zu thun hatte? Blanqui hatte offenbar seinen Zweck: er wollte die Versammlung zu diesen seinen geheimen Zwecken, zu seinen politischen Leidenschaften, seinem
Privathaß benutzen, sie gegen die provisorische Regierung führen, die Regierung stürzen und an ihren Platz, in „kläglicher Wiederholung der ersten Revolution“ einen
Wohlfahrtsausschuß setzen, in dem sich denn auch Blanqui befand. Als Beweis dieses großartigen Planes führt der Generalprokurator an, daß Blanqui am Abend in seinem Klub seinen Haß gegen die
Nationalgarde verrathen habe, als er die unverzügliche Bildung der republikanischen Central-Gesellschaft mit bewaffneten Sektionen vorschlug. Die Massacres in Rouen seien die Folgen davon gewesen.
Unter dem Vorwand der „Contrerevolution“ habe man in dem Klub Blanqui den Bürgerkrieg gegen die Nationalgarde zu organisiren gesucht; die Nationalgarden seien „Mörder“, die
alten Beamten, Richter u. s. w. seien „Henker“ genannt worden, die man nicht etwa absetzen, nein, vor Revolutionstribunale stellen müßte.
Am 15. Mai nimmt Blanqui selbst über die Ereignisse von Rouen das Wort. Er spricht von den Projekten der Contrerevolution und der fanatischen Wuth der Bourgeois-Garde, und macht eine Proklamation,
in der es heißt, daß sich die Contrerevolution in dem Blut des Volkes haben wolle.
(Hier verlies't der Generalprokurator eine Assiche über die Massacres von Rouen, die mit den Worten: „Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!“ beginnt.)
Nicht minder heftig habe sich der Club der Volksfreunde von Raspail gezeigt, wie dies aus einer Verhandlung desselben über die Rouener Ereignisse hervorgehe.
Der Ankläger geht dann zu dem 15. Mai über. Er bemerkt, daß zwei Tage vorher, am 13., eine Petition für die Polen nach dem Madeleine-Platz gebracht und dem Repräsentanten Bavin eingehändigt worden
ist, der sie auf dem Bureau der Versammlung niederlegte. Wenn es sich bloß um die „Interessen Polens“ gehandelt hätte, so wäre damit „Alles“ erreicht, und die Manifestation
des 15. überflüssig gewesen. Blanqui aber habe in der „polnischen Demonstration“ nur ein „magisches Wort“ gesehen, um das Volk auf die Straßen zu bringen.
Dann resumirt er den allgemeinen Gang der Manifestation und die einzelnen dabei vorgekommenen Ereignisse. Er bestätigt, daß bis zu dem Augenblick, wo der Präsident von seinem Fauteuil vertrieben
wurde, kein einziges Mitglied der Versammlung seinen Platz verlassen habe. Das Schweigen der Versammlung erklärt er durch den vernünftigen Wunsch, die Wuth des Volkes nicht zu reizen, was leicht zu
blutigen Exzessen hätte führen können, da die meisten der Eingedrungenen verborgene Waffen trugen. Es frage sich, ob die wahren Schuldigen hier auf der Angeklagtenbank seien? Man habe gesagt, es seien
Leute unter den Angeklagten, welche sich untereinander vollständig unbekannt waren, bei denen also von keinem „Komplott“ die Rede sein könne, da das „Komplott“ eine
Vorberathung voraussetze, einen Beschluß gemeinsam zu agiren. Dies sei wohl war; es handle sich hier aber um ein Attentat. Ein Attentat kann zufällig und unvorbereitet stattfinden, Leute, die sich zum
ersten Mal auf einem öffentlichen Platz treffen, können Mitschuldige bei einem Attentat werden, und dies ist die gegenwärtige Sachlage.
Nach dieser Introduktion, deren Abwicklung über 1 1/2 Stunden währt, geht die Anklage auf die einzelnen Beschuldigten, zunächst Blanqui, über. Wenn Blanqui, nachdem er in allen Stufen des Attentats
zur Hand gewesen, nicht in dem Hotel-de-Ville erschien, so geschah dies nach dem Generalprokurator, weil Blanqui erst die „Ereignisse“ abwarten wollte und auf den Quais bereits
Truppenbewegungen bemerkte.
Albert ist im Hotel-de-Ville, en flagrant delit, verhaftet worden; gegen ihn glaubt sich der Generalprokurator aller weiteren Beweise entheben zu dürfen. Die revolutionäre Richtung Albert's
aber sei bekannt; habe er doch als einfacher Arbeiter einen Platz in der provisorischen Regierung behauptet, welche so „brüsk“ auf das Königthum folgte. (So ist also auch glücklich die
Februarrevolution, die provisorische Regierung, die Republik vor den „hohen Gerichtshof“ gezogen.)
Die Situation von Barbes, sagt der öffentliche Ankläger, sei dieselbe. Durch die Februarrevolution der Freiheit wiedergegeben, zum Oberst einer Pariser Legion und selbst zum Volksrepräsentanten
gewählt, habe er sich dennoch nicht „zufrieden“ gegeben, vielmehr seinen alten revolutionären Leidenschaften auf's Neue den ausgebreitesten Spielraum gegeben. In den ersten Tagen
nach der Revolution habe er eine Proklamation der Gesellschaft der Menschenrechte unterzeichnet, welche die Bürger in „Paria's“ und „Privilegirte“ theilte und also
Haß und Bürgerkrieg zu verbreiten suchte. Ueber seine Betheiligung an dem Attentat ließen seine Rede in der Assemblée (die „Milliarde“ auf die Reichen), sein Zug nach dem
Hotel-de-Ville und seine Verhaftung in dem Augenblick, wo er eine Proklamation der neuen provisorischen Regierung unterzeichnete, keinen Zweifel.
Hier wird das Requisitorium des Generalprokurators durch die Einführung des Bürgers Buchez, Ex-Präsidenten der Nationalversammlung, unterbrochen, welcher, eben von Paris angekommen, noch einmal
verhört werden soll. Buchez will jedoch in Betreff der behaupteten offiziellen Erlaubniß zu Raspail's Rede nichts weiter wissen, als was er schon gesagt hat, daß er nämlich auf Raspail's
Gesuch, die Petition verlesen zu dürfen, geantwortet habe: „Als Präsident kann ich nur Nein sagen, als Bürger, der um jeden Preis die Ordnung retten will, stimme ich Ihnen bei.“. Der
Zeuge Lefranc wird ebenfalls noch einmal vorgeführt, und erklärt auf das Bestimmteste, daß der Präsident Buchez Raspail zugerufen habe: „Lesen Sie die Petition!“
Nach diesem Zwischenfall nimmt der Generalprokurator das Requisitorium wieder auf.
Sobrier, sagt der öffentliche Ankläger, habe von Anfang an eine besondere Stellung behauptet. Sein Haus in der Rue Rivoli war eine Kaserne, bewohnt und bewacht von ihm blind ergebenen
Revolutionären. Ein Centralisationscomité und ein Ackerbaucomité hielten hier ihre Sitzungen, und aus diesem Hause ging das Journal La Commune de Paris hervor, welches sich durch seine
leidenschaftliche Heftigkeit gegen die provisorische Regierung auszeichnete. Am 15. Mai habe sich Sobrier sehr ruhig benommen und mit mehreren Repräsentanten ein „gleichgültiges“
Gespräch über Kommunismus angeknüpft; die in dem Hause Sobrier's gefundenen, von Seigneuret geschriebenen Rapporte und Dekrete, ließen die Schuld Sobrier's außer Zweifel.
Raspail sei an der Spitze der Demonstration, der Erste auf der Tribüne gewesen. Daß der Präsident oder ein anderer Repräsentant die Erlaubniß zu der Verlesung der Petition ertheilt haben solle, sei
nicht wahrscheinlich; als Raspail kaum mit der Verlesung begonnen hatte, hat sogar ein Repräsentant, Hr. Adelsward, laut gegen die Verletzung protestirt. Später, von der Tribüne herabgestiegen, habe
Raspail das Volk zu beruhigen gesucht, und sich dann in einen Garten zurückgezogen, um die Ereignisse abzuwarten. Als die Auflösung der Nationalversammlung ausgesprochen war, finden wir ihn auf dem
Wege nach dem Hotel-de-Ville.
An dieser Stelle wird der Generalprokurator durch den. Ruf:
„das ist eine Lüge!“ von einer der reservirten Tribünen unterbrochen. Die Gensd'armen bringen einen jungen Menschen, Namens Ribeyrolles, Kommis aus Lyon, vor die Schranken,
welcher für diesen Ausruf mit 24 stündigem Gefängniß belegt wird.
Schluß der Sitzung 7 Uhr.