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] Frankfurt, 26. März.
Nationalversammlung. Morgensitzung. In der Abendsitzung von Sonnabend (den 24.) wurden nach dem Postschluß noch die §§. 49 bis 53 nach der
Majorität des Verfassungsausschusses angenommen. Sie lauten,
Art. X. §. 49. „Die Ausgaben für alle Maßregeln und Einrichtungen welche von Reichswegen eingeführt werden, sind von der Reichsgewalt aus den Mitteln des Reichs zu bestreiten.“
§. 50. Zur Bestreitung seiner Ausgaben ist das Reich zunächst auf seinen Antheil an den Einkünften aus den Zöllen und den gemeinsamen Produktions- und Verbrauchssteuern anzuweisen.
§ 51. Die Reichsgewalt hat das Recht, in soweit die sonstigen Einkünfte nicht ausreichen, Matrikularbeiträge aufzunehmen.
§ 52. Die Reichsgewalt ist befugt, in außerordentlichen Fällen Reichssteuern aufzulegen und zu erheben oder erheben zu lassen, sowie Anleihen zu machen, oder sonstige Schulden zu kontrahiren.
Art. XI. § 53. Den Umfang der Gerichtsbarkeit des Reichs bestimmt der Abschnitt vom Reichsgericht.
In der heutigen Morgensitzung (in welcher Simson präsidirte) wurden neue Flottenbeiträge angezeigt, worauf gleich die Tagesordnung begonnen wurde. Von einem Ministerium keine Rede! ‒ Dagegen
spricht man von einer Oktroyirung auf Morgen.
Artikel XII.
§ 54. Der Reichsgewalt liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob. Sie hat die für die Aufrechthaltung der innern Sicherheit und Ordnung erforderlichen Maßregeln zu treffen:
1) wenn ein deutscher Staat von einem andern deutschen Staate in seinem Frieden gestört oder angegriffen wird;
2) wenn in einem deutschen Staate die Sicherheit und Ordnung durch Einheimische oder Fremde gestört oder gefährdet wird. Doch soll in diesem Falle von der Reichsgewalt nur dann eingeschritten
werden, wenn die betreffende Regierung sie selbst dazu auffordert, es sei denn, daß dieselbe dazu notorisch außer Stande ist oder der gemeine Reichsfrieden bedroht erscheint;
3) wenn die Verfassung eines deutschen Staates gewaltsam oder einseitig aufgehoben oder verändert wird, und durch das Anrufen des Reichsgerichtes unverzügliche Hülfe nicht zu erwirken ist. (Nach
der 2. Lesung angenommen.)
§ 56. Die Maaßregeln, welche von der Reichsgewalt zur Wahrung des Reichsfriedens ergriffen werden können, sind: 1) Erlasse, 2) Absendung von Commissarien, 3, Anwendung von bewaffneter Macht.
Ein Reichsgesetz wird die Grundsätze bestimmen, nach welchen die durch solche Maßregeln veranlaßten Kosten zu tragen sind. (angen.)
§ 57. Der Reichsgewalt liegt es ob, die Fälle und Formen, in welchen die bewaffnete Macht gegen Störungen der öffentlichen Ordnung angewendet werden soll, durch ein Reichsgesetz zu bestimmen.
(angen.)
§ 58. Der Reichsgewalt liegt es ob, die gesetzlichen Reformen über Erwerb und Verlust des Reichs- und Staatsbürgerrechts festzusetzen. (angen.)
§ 59. Der Reichsgewalt steht es zu, über das Heimathsrecht Reichsgesetze zu erlassen und die Ausführung derselben zu überwachen. (angen.)
§ 60. Der Reichsgewalt steht es zu, unbeschadet des durch die Grundrechte gewährleisteten Rechts der freien Vereinigung und Versammlung, Reichsgesetze über das Assoziationswesen zu erlassen.
(angen.)
§ 61. Die Reichsgesetzgebung hat für die Aufnahme öffentlicher Urkunden diejenigen Erfordernisse festzustellen, welche die Anerkennung ihrer Aechtheit in ganz Deutschland bedingen. (angen.)
§ 62. Die Reichsgewalt ist befugt, im Interesse des Gesammtwohls allgemeine Maaßregeln für die Gesundheitspflege zu treffen. (angen.)
Artikel XIII.
§ 63. Die Reichsgewalt hat die Gesetzgebung, soweit es zur Ausführung der ihr verfassungsmäßig übertragenen Befugnisse und zum Schutze der ihr überlassenen Anstalten erforderlich ist.
(angen.)
§ 64. Die Reichsgewalt ist befugt, wenn sie im Gesammtinteresse Deutschland's gemeinsame Einrichtungen und Maaßregeln nothwendig findet, die zur Begründung derselben erforderlichen Gesetze
in den für die Veränderung der Verfassung vorgeschriebenen Formen zu erlassen. (angen.)
§ 65. Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im
deutschen Volk zu begründen. (angen.)
§ 66. Alle Gesetze und Verordnungen der Reichsgewalt erhalten verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen. (angen.)
§ 67. Reichsgesetze gehen den Gesetzen der Einzelstaaten vor, insofern ihnen nicht ausdrücklich eine nur subsidiäre Geltung beigelegt ist. (angen.)
Artikel XIV.
§ 68. Die Anstellung der Reichsbeamten geht vom Reiche aus.
Die Dienstpragmatik des Reiches wird ein Reichsgesetz feststellen. (angen.)
Ueber einen Zusatz von Mohring: „Die Richter bei dem Reichsgericht werden nach Vorschlag der einzelnen Staaten ernannt“, wird namentlich abgestimmt und derselbe mit 281 Stimmen gegen
228 verworfen. (Das beste Zeichen, wie die Coalition immer schwächer und lockerer wird.)
Ein Zusatz von Heinrich Simon: „Reichsbeamte dürfen nicht im Dienste eines Einzelstaates stehen“. wird ebenfalls zur großen Verwunderung der Minorität verworfen.
Der Abschnitt von der Reichsgewalt ist beendet. ‒ Jetzt käme der Abschnitt vom Reichsoberhaupt. Dieser soll nach Eisenstuck's angenommenem Antrag zurückgestellt werden. Käme der
Abschnitt vom Reichsrath.
Schoder beantragt, die 2. Lesung des Reichsraths erst nach dem Abschnitt vam Reichsoberhaupt vorzunehmen. ‒ Die Linke, Schüler, Simon von Trier, Wigard sprechen entschieden dagegen.
Schoders Antrag wird trotz allen Argumentationen von der rechten Mehrheit angenommen. Folgt also zuvörderst.
Abschnitt V. Der Reichstag.
Artikel I § 92. Der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Staatenhaus und dem Volkshaus. Angenommen.
Artikel II. § 93. Das Staatenhaus wird gebildet aus den Vertretern der deutschen Staaten. Angenommen.
Ueber die Abstimmung von 94 entstand eine kurze Debatte, in der Hrn. Welker wegen Beleidigung der Oestreicher das Wort entzogen wurde.
§ 94. Die Zahl der Mitglieder vertheilt sich nach folgendem Verhältniß:
Preußen | 40 | Mitglieder. |
Oesterreich | 38 | 〃 |
Bayern | 18 | 〃 |
Sachsen | 10 | 〃 |
Hannover | 10 | 〃 |
Würtemberg | 10 | 〃 |
Baden | 9 | 〃 |
Kurhessen | 6 | 〃 |
Großherzogthum Hessen | 6 | 〃 |
Holstein (Schleswig, f. Reich. § 1) | 6 | 〃 |
Mecklenburg-Schwerin | 4 | 〃 |
Luxemburg-Limburg | 3 | 〃 |
Nassau | 3 | 〃 |
Braunschweig | 2 | 〃 |
Oldenburg | 2 | 〃 |
Sachsen-Weimar | 2 | 〃 |
Sachsen-Coburg-Gotha | 1 | 〃 |
Sachsen-Meiningen-Hildburghausen | 1 | 〃 |
Sachsen-Altenburg | 1 | 〃 |
Mecklenburg-Strelitz | 1 | 〃 |
Anhalt-Dessau | 1 | 〃 |
Anhalt-Bernburg | 1 | 〃 |
Anhalt-Köthen | 1 | 〃 |
Schwarzburg-Sondershausen | 1 | 〃 |
Schwarzburg-Rudolstadt | 1 | 〃 |
Hohenzollern-Hechingen | 1 | 〃 |
Lichtenstein | 1 | 〃 |
Hohenzollern-Sigmaringen | 1 | 〃 |
Waldeck | 1 | 〃 |
Reuß ältere Linie | 1 | 〃 |
Reuß jüngere Linie | 1 | 〃 |
Schaumburg-Lippe | 1 | 〃 |
Lippe-Detmold | 1 | 〃 |
Hessen-Homburg | 1 | 〃 |
Lauenburg | 1 | 〃 |
Lübeck | 1 | 〃 |
Frankfurt | 1 | 〃 |
Bremen | 1 | 〃 |
Hamburg | 1 | 〃 |
| | 192 | 〃 |
Angenommen.
Zu § 94 hatte Möhring mit den Oestreichern ein Amendement gestellt, wonach Oestreich gleich Preußen 40 und Baiern 18 Stimmen im Staatenhaus gegeben werden. Dies wurde mit 289 gegen 232 Stimmen
verworfen. Der § wurde nach dem Entwurfe angenommen. Riesser hatte für Hamburg 2 Stimmen im Staatenhaus beantragt. Wird verworfen. Ein Zusatz zu 94, vom Verfassungsausschuß selbst gestellt:
„So lange Deutsch-Oestreich am Bundesstaate nicht Theil nimmt, erhalten nachfolgende Staaten folgende Stimmenanzahl im Staatenhaus: Bayern 20. Sachsen 12, Hannover 12, Würtemberg 12, Baden 10,
Churfürstenthum Hessen 7, Großherzogthum Hessen 8, Nassau 4, Hamburg 2,“ wurde mit 290 Stimmen gegen 231 in namentlicher Abstimmung angenommen.
Schoder, Raveaux, Schulz aus Weilburg, Max Simon, Heinrich Simon, Uhland, Vischer aus Tübingen, Golz, Gravenhorst, Hildebrand und viele ähnliche Linken stimmten dafür. Die Linke wird immer
schwächer und unsicherer. Zuletzt werden sie auch noch für den Erbkaiser stimmen: Herr Laube fehlte bei allen Abstimmungen, die sich auf östreichische Angelegenheiten beziehen. Dieser Herr ist
bekanntlich in Böhmen gewählt.
Zu § 95 sind viele Amendements, u. A. eins von Heinrich Simon u. Andern: „Die Mitglieder des Staatenhauses werden durch die Volksvertretung der einzelnen Staaten erwählt. Wo 2 Kammern
bestehen, wählt jede Kammer 2 Abgeordnete.“ Ueber den ersten Satz dieses Antrags wurde namentlich abgestimmt und derselbe mit 325 Stimmen gegen 188 verworfen. Dagegen stimmten außer der
gewöhnlichen Majorität: Reh.
In der Nachmittagsitzung waren die Bänke fast ganz leer. Ein ferneres Amendement der Linken, gestellt von Golz, zu § 95 wurde in namentlicher Abstimmung mit 316 Stimmen gegen 188 verworfen. Ein
Amendement von den Oestreichern. Möhring, Pretis u. s. w. wird dagegen mit gegen 247 Stimmen angenommen. Es lautet: „Die Mitglieder des Staatenhauses werden zur Hälfte durch die Regierungen und
zur Hälfte durch die Volksvertretung der betreffenden Staaten ernannt. In denjenigen deutschen Staaten, welche aus mehreren Provinzen oder Ländern mit abgesonderter Verfassung oder Verwaltung
bestehen, sind die durch die Volksvertretung dieses Staates zu ernennenden Mitglieder des Staatenhauses nicht von der allgemeinen Landesvertretung, sondern von den Vertretungen der einzelnen Länder
oder Provinzen zu ernennen. Das Verhältniß, nach welchem die Zahl der diesem Staate zukommenden Mitglieder des Staatenhauses unter die einzelnen Länder oder Provinzen zu vertheilen ist, bleibt der
Landesgesetzgebung vorbehalten.“
Dazu kommt der letzte Theil des § 95: „Wo 2 Kammern bestehen und eine Vertretung nach Provinzen nicht stattfindet, wählen beide Kammern in gemeinsamer Sitzung nach absoluter
Stimmenmehrheit.“
§ 96 In denjenigen Staaten, welche nur Ein Mitglied in das Staatenhaus senden, schlägt die Regierung drei Kandidaten vor, aus denen die Volksvertretung mit absoluter Stimmenmehrheit wählt.
Auf dieselbe Weise ist in denjenigen Staaten, welche eine ungerade Zahl von Mitgliedern senden, in Betreff des letzten derselben zu verfahren. Angenommen.
§ 97. Wenn mehrere deutsche Staaten zu einem Ganzen verbunden werden, so entscheidet ein Reichsgesetz über die dadurch etwa nothwendig werdende Abänderung in der Zusammensetzung des
Staatenhauses. Angenommen.
§ 98. Mitglied des Staatenhauses kann nur sein, wer
1) Staatsbürger des Staates ist, welcher ihn sendet,
2) das 30ste Lebensjahr zurückgelegt hat,
3) sich im vollen Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte befindet. Angenommen.
§ 99. Die Mitglieder des Staatenhauses werden auf sechs Jahre gewählt. Sie werden alle drei Jahre zur Hälfte erneuert.
Auf welche Weise nach den ersten drei Jahren das Ausscheiden der einen Hälfte stattfinden soll wird durch ein Reichsgesetz bestimmt. Die Ausscheidenden sind stets wieder wählbar.
Wird nach Ablauf dieser drei Jahre und vor Vollendung der neuen Wahlen für das Staatenhaus ein außerordentlicher Reichstag berufen, so treten, so weit die neuen Wahlen noch nicht stattgefunden
haben, die früheren Mitglieder ein. Angenommen.
Artikel III. § 100. Das Volkshaus besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes. Angenommen.
§ 101. Die Mitglieder des Volkshauses werden für das erste Mal auf vier Jahre, demnächst immer auf drei Jahre gewählt.
Die Wahl geschieht nach den in dem Reichswahlgesetze enthaltenen Vorschriften. Angenommen.
Artikel IV. § 102. Die Mitglieder des Reichstages beziehen aus der Reichskasse ein gleichmäßiges Tagegeld und Entschädigung für ihre Reisekosten. Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
Angenommen.
§ 103. Die Mitglieder beider Häuser können durch Instruktionen nicht gebunden werden. Angenommen.
§ 104. Niemand kann gleichzeitig Mitglied von beiden Häusern sein. Angenommen.
Artikel V. § 105. Zu einem Beschluß eines jeden Hauses des Reichstages ist die Theilnahme von wenigstens der Hälfte der gesetzlichen Anzahl seiner Mitglieder und die einfache Stimmenmehrheit
erforderlich.
Im Falle der Stimmengleichheit wird ein Antrag als abgelehnt betrachtet. Angenommen.
§ 106. Das Recht des Gesetzvorschlages, der Beschwerde, der Adresse und der Erhebung von Thatsachen, so wie der Anklage der Minister, steht jedem Hause zu. Angenommen.
§ 107. Ein Reichstagsbeschluß kann nur durch die Uebereinstimmung beider Häuser gültig zu Stande kommen. Angenommen.
§ 108. (Vom Veto).
Das schmalste Suspensiv-Veto von H. Simon, Wigard etc. des Inhalts: [Fortsetzung]