Deutschland.
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] Köln, 16. März.
Ritter Schnapphansky ist todt. Aber Schnapphäne haben wir noch in großer Menge. Die Junker aus Pommerland und der Mark haben sich mit den übrigen preußischen
Junkern vereinigt. Sie haben den heiligen Rock des biedern Bourgeois angezogen und nennen sich „Verein zum Schutze des Eigenthums in allen Volksklassen“, natürlich des feudalen
Eigenthums. Wir haben von diesem sogenannten „Junkerparlament“ schon einige Male gesprochen. Doch waren das nur Kleinigkeiten im Verhältnisse zu dem, was die junkerlichen
Eigenthumsanbeter jetzt zum Schutze des Eigenthums zu thun gedenken. Sie haben nämlich nichts Geringeres vor, als unter Anderem auch die Rheinprovinz um etwa 20 Mill. Thlr. zu prellen und dieses
Geld in ihre Tasche zu stecken. Der Plan ist nicht übel. Die Rheinländer mögen es sich zur besondern Ehre anrechnen, daß die Junker v. Tadan-Triglaff in Hinterpommern, diev. Arnim und v.
Manteuffel nebst einigen tausend Krautjunkern und Mistvinken ihnen die Ehre anthun wollen, von rheinischem Gelde ihre Schulden zu bezahlen. Mit einiger Schlauheit und großer Dreistigkeit,
meinen die adligen Herren, werden sie zum Ziele gelangen.
Ihr Manöver ist folgendes. In den östlichen Provinzen haben großen Theils die Güter der Junker entweder gar keine oder nur sehr geringe Grundabgaben gezahlt. Die Grundsteuer wurde ihnen freilich
schon durch das Gesetz vom 27. Oktbr. 1810 gleich allen andern Grundbesitzern auferlegt. Sie haben aber die Ausführung des Gesetzes zu hintertreiben gewußt. Nach dem März hat das Volk auf die endliche
Ausführung der gleichmäßigen Grundsteuervertheilung gedrungen. Die Regierung hat darum eine Gesetzesvorlage zu diesem Zwecke machen müssen. Was beginnen darauf die Junker? Sie wählen so viele von
ihren Anhängern in die Kammer, daß sie sich der Majoritäten für gewiß halten. Nun mag die Regierung mit dem neuen Gesetze kommen. Sie wollen es nicht verwerfen, aber so einrichten, daß sie bei dieser
Gelegenheit ihre leeren Beutel füllen.
Schon vor mehreren Monaten veröffentlichte der Exminister, Präsident Bornemann eine Broschüre, in welcher er es den Leuten plausibel zu machen versuchte, daß diejenigen Grundbesitzer, welche bisher
mit Grundsteuern überlastet gewesen sind, in Zukunft davon frei werden mögen, wenn sie statt der jährlichen Steuerzahlungen den 20- oder 22fachen Betrag als Kapital an die Staatskassen
entrichteten. Das war die erste leise Vorbereitung. Die eigentliche Absicht der Beschützer des Eigenthums trat noch nicht hervor. Jetzt erst vor wenigen Tagen erscheint eine zweite Broschüre von
dem bekannten v. Bulow-Kummervoll in Hinterpommern. Obgleich er nicht ein Mal fehlerfrei deutsch zu schreiben versteht, so ist er doch die Seele des ganzen Vereins, das Orakel aller hohen und höchsten
Personen, die ihm anhängen. Die Broschüre wird an die Abgeordneten vertheilt. Sie ist ihrem ganzen Inhalte nach keine Privatschrift, sondern eine Gesetzesvorlage, welche das Junkerparlement der
Regierung und den Kammern macht. Und was verlangt die Denkschrift? Die Junker wollen „Opfer darbringen, um die jetzt herrschende Mißstimmung zu beseitigen.“ Das sagen sie. Wer hätte
solche Großmuth von ihnen erwartet! Worin bestehen indessen die Opfer? Sie tragen darauf an, daß der Ertrag aller Grundstücke durch eine ungefähre Schätzung festgestellt und sodann die Grundsteuer
nach gleichem Prozentsatze des Ertrages im ganzen Staate vertheilt werde. Nun dieser Edelmuth ist nicht groß, da sie jetzt nur das thun wollen, wozu sie gesetzlich schon seit 38 Jahren
verpflichtet waren. Aber weiter! Sie fordern, daß die Junker und Rittergutsbesitzer, welche sich bisher der Steuerzahlung widerrechtlich entzogen haben — etwa die Steuern nachzahlen? —
nein, dafür, daß sie von jetzt ab die Gnade haben wollen, Steuern zu entrichten, durch ein entsprechendes Kapital entschädigt werden.
So soll z. B., wenn einem bisher steuerfreien Gute nach dem neuen Gesetze eine Grundabgabe von 400 Thlr. auferlegt wird, dem Besitzer desselben als Entschädigung der 25fache Betrag, also eine Summe
von 10,000 Thlr. ausgezahlt werden. Das heißt also, man soll den Junkern Kapital pumpen, welches sie unter den jetzigen Verhältnissen zu 5 pCt. unterbringen können. Sie verpflichten sich dagegen von
dem gepumpten Kapital 4 pCt. zurückzuzahlen! Seine Großmuth muß ich loben!!!
Diejenigen dagegen, welchen man bisher ungerechter Weise zu hohe Grundsteuern abgenommen hat, sollen nicht etwa das zu viel Bezahlte erstattet erhalten — sondern im Gegentheile, sie sollen
befugt sein, den Mehrbetrag nach ihrer Wahl abzulösen
1) „zum 18fachen Multiplikator bei Baarzahlung, jedoch nur innerhalb eines Zeitraums von 3 Jahren, wogegen sich bei späterer Ablösung der Multiplikator auf den 20fachen erhöht,“
2) „durch Ueberweisung von Renten, welche sie in Folge des Ablösungsgesetzes jetzt von der Rustikalbesitzern erhalten und die nach dem 20fachen Multiplikator bei Ablösung der Grundsteuer
angenommen werden,“
3) „durch Staatsschuldscheine nach dem Nominalwerth.“
Die höheren Steuern werden jetzt in den östlichen Provinzen von den Bauern und außerdem namentlich von der Rheinprovinz entrichtet Die altländischen Bauern und die Rheinländer sollen also jetzt
dafür auch noch Kapitalien herauszahlen. Gar keine oder nur geringe Grundabgaben zahlen bisher die Rittergutsbesitzer in den östlichen Provinzen, namentlich in den Marken, dem Theile von Sachsen
rechts der Elbe, Pommern und Posen, sodann auch in Preußen und Schlesien. Diese erhalten also das Geld, welches die Rheinländer und die Bauern aufbringen sollen. Wie sich das Verhältniß in
Bezug auf die Rheinprovinz ungefähr stellen würde, darüber geben folgende Zahlen einige Auskunft.
die Rheinprovinz zahlt von | 487.14 [unleserlicher Text] M. | 2,263,994 | Thl. | Grundst. |
Westphalen zahlt von | 367.96 [unleserlicher Text] M. | 1,289,104 | Thl. | Grundst. |
Sachsen zahlt von | 460.63 [unleserlicher Text] M. | 1,702,394 | Thl. | Grundst. |
Schlesien zahlt von | 741.74 [unleserlicher Text] M. | 2,273,508 | Thl. | Grundst. |
die Mark zahlt von | 730.94 [unleserlicher Text] M. | 920,627 | Thl. | Grundst. |
Pommern zahlt von | 574.46 [unleserlicher Text] M. | 492,194 | Thl. | Grundst. |
Posen zahlt von | 536.51 [unleserlicher Text] M. | 496,100 | Thl. | Grundst. |
Preußen zahlt von | 1,178.03 [unleserlicher Text] M. | 952,052 | Thl. | Grundst. |
| 5,077,41 [unleserlicher Text] M. | 10,398,973 | Thl. | Grundst. |
Die Rheinprovinz zahlt hiernach von jeder [unleserlicher Text] Meile 4443 Thlr., Westphalen 3512 Thlr., Sachsen (wo die Bauerngüter nach Leopold Krug bis 76 % des Reinertrags bloß an Grundabgaben
abgaben) 3700 Thlr., Schlesien 3068 Thlr., die Mark Brandenburg 1261 Thlr., (Berlin allein trägt dazu 132,387 Thlr. bei), Pommern 857 Thlr., Posen 925 Thlr., Preußen
808 Thlr.
Das Rheinland entrichtet also im Durchschnitte für jede [unleserlicher Text] Meile ungefähr 5 Mal so viel Grundsteuern als Preußen, Posen und Pommern, 4 Mal so viel als die Mark.
Der Grund und Boden in der Rheinprovinz mag nun freilich einträglicher als in den übrigen Provinzen sein. So groß wie die Steuerverschiedenheit ist der Unterschied in der Ergiebigkeit aber in
keinem Falle. Denn bei der Rechnung sind alle schlechten und schlechtesten Gegenden in der Eifel und auf dem Hundsrück gleichmäßig mit veranschlagt, ferner alles Unland, das allein 1,784,440 Morgen
oder 30 [unleserlicher Text] Meilen beträgt. Die Mark, Pommern, Posen und Preußen haben keine Gebirge und darum weit weniger unbebaubares Land. Ja in Ostpreußen sind die Seen, die von dem ertragsfähigen Boden abgezogen
werden, vermöge der reichen Fischereien fast eben so einträglich als der Acker. Wenn wir es geringer veranschlagen, so mag die Rheinprovinz jetzt etwa eine Million Thaler mehr an Grundsteuern
aufzubringen haben, als nach dem Durchschnittsanschlage auf sie kommen würden. Nach der Gesetzesvorlage des Junkerparlaments müßten also die Rheinländer zur Strafe dafür noch 18 bis 22 Mill. Thaler
baar bezahlen, die in die Taschen der Junker in den östlichen Provinzen fließen würden! Der Staat wäre dabei nur der Banquier. Das sind die großmüthigen Opfer, welche die Herren Krautjunker und
Mistvinken zu bringen geneigt sind, das ist der Schutz, den sie dem Eigenthum wollen angedeihen lassen. So schützt jeder Taschendieb das Eigenthum.
Wenn der König von Neapel seine Schweizerhunde und seine andern Banditen wieder ein Mal auf das Volk zu hetzen gedenkt, dann sieht man schon im Voraus seine Freunde, die „königlich
gesinnten Lazzaroni“ mit ellenlangen Säcken, die ihnen ihre Weiber in aller Hast zusammengenäht haben, durch die Straßen schleichen. Mit gierigem Blicke spähen sie umher, wo die reichste
Beute ist. Kommt es dann zum Kampfe und siegt die „gesetzliche Autorität,“ das „treue Heer,“ die „braven Truppen,“ die „königliche, die gutgesinnte
Partei,“ dann fällt das Lazzaronigesindel über die Wohnungen der Wohlhabenden her, es wird in Masse geraubt, gestohlen, gebrandschatzt, bis sich die Säcke gefüllt haben. Bei dem Ausleeren der
Säcke finden sich, wie man dort versichert, auch sehr vornehme Leute ein, und manches werthvolle Stück soll in das Castello wandern.
In Deutschland giebt es die „königlich gesinnten Lazzaroni“ nicht. Die Armen und die Aermsten unter dem Volke haben bei den Revolutionen in Wien und Berlin am strengsten darauf
gesehen, daß weder gestohlen noch geraubt wurde. Wenn also Windischgrätz und Welden mit ihren Nothmänteln und Kopfabschneidern in Wien auch standrechten, es giebt keine Beute aus den Lazzaronisäcken
zu theilen. „Die kaiserlichen Truppen“ müssen selbst rauben. Wenn Wrangel an der Spitze von 30,000 Mann und 100 Kanonen in Berlin einrückt, das Standrecht verkündet, Gesetz und Recht mit
Füßen tritt und auf diese Weise „die Ordnung wiederherstellt,“ wenn Soldatenhaufen durch die Provinzen auf die Jagd von Demokraten ziehen, so sieht der Proletarier mit stummen Grimm zu.
Zu stolz, eine solche Gelegenheit zur Beraubung der Besitzenden zu benutzen, wartet er der Gelegenheit, bei der er von Neuem sein Leben für die Freiheit und für Ordnung im Sinne des Volkes einsetzen
kann. Es füllen sich also auch in Preußen die Lazzaronisäcke nicht, die nachher getheilt werden können. Da müssen denn die Vornehmen selbst, die Stützen des Thrones, die Ritter vom Vereine zum Schutze
des Eigenthumes in eigener Person die gierige Hand nach dem Besitze des Volkes ausstrecken und das Land um vielleicht 80 bis 100 Millionen Thaler brandschatzen. Sie thun es nicht offen. Sie behaupten
die größesten Ungereimtheiten, um sich den falschen Schein des Rechtes zu geben. Lüstern nach fremdem Gute jammern sie über den Raub, den der Staat und das Volk an ihnen begehen will. Sie schicken
sich an, das Volk auszupressen und sprechen dabei von Opfern, die sie zu bringen bereit sind. Ja der Preußenverein wirft dem Ministerium Auerswald und dem Minister v. Patow vor, daß es ein Raubsystem
angenommen habe (über das v. Patow'sche Promemoria und dessen Motive, vom permanenten Ausschuß des Vereins zum Schutze des Eigenthums vgl. die „N. Rh. Ztg.“ vom Juni), dem
Ministerium Brandenburg-Manteuffel, daß es auf die rothe Republik hinarbeite, die Städte und ganze Provinzen verwüsten wolle u. s. w. Und aus welchem Grunde? Die Junker behaupten, daß selbst
Brandenburg-Manteuffel noch zu gelinde mit dem Volke umgehen, das Eigenthum und die politischen Rechte desselben ihnen, den Junkern gegenüber, noch zu weit schütze. Was thut indessen das Ministerium
dazu? Während die Demokraten in Berlin auf die brutalste Weise von Konstablern und Soldaten hinausgestoßen werden, werden die frechsten Angriffe des Junkerparlaments mit größester Ruhe ertragen. Herr
v. Bulow-Cummerow wird mit der ausgezeichnetsten Höflichkeit behandelt. Ja das Ministerium stützt sich in den Kammern auf die Abgeordneten des Junkerparlaments und erklärt sich so offen zu dessen
Bundesgenossen.
Die Rheinländer, namentlich die rheinischen Bauern, nicht minder die westphälischen und schlesischen, mögen sich bei Zeiten umsehen, wo sie das Geld zur Bezahlung der Junker auftreiben können.
100 Millionen Thaler sind in jetziger Zeit nicht so bald angeschafft.
Während also in Frankreich die Bauern eine Milliarde Francs von dem Adel verlangen, verlangt in Preußen der Adel eine halbe Milliarde Francs von den Bauern!
Hoch, dreimal Hoch der Berliner Märzrevolution!!!
[1386]
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@facs | 1386 |
Edition: [Karl Marx: Der Frankfurter Märzverein und die „Neue Rheinische Zeitung“, vorgesehen für: MEGA2, I/9.
]
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] Köln, 15. März.
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@facs | 1386 |
[
X
] Berlin, 14. März.
In Folge des zu Frankfurt in diesen Tagen bevorstehenden Kaiserschnittes, sind die Herren H. Simon, Temme, Martens (Danzig), nach jenem Golgatha der
gesunden Vernunft und Freiheit geeilt. Die Linke beklagt in diesem Augenblicke, wo Septembergesetze dem Lande drohen, das politische Hin- und Herziehen der Herren Simon und Temme, da jedenfalls von
dem Professorenkränzchen der Paulskirche Deutschlands Geschick nicht entschieden werden wird.
In den Abtheilungen werden die Fastengesetze der Demokratie über Beschränkungen der Presse und Clubs lebhaft diskutirt. Es zeigt sich bei diesen Diskussionen, daß schon jetzt eine Differenz
zwischen der hohen Bureaukratie und der Aristokratie stattfindet. Während in der zweiten Abtheilung der Herr v. Bodelschwingh die Rechte führt, bildet sich unter dem Regierungsrath v. Fock, wie sich
bei der Berathung über das Clubgesetz zeigte, eine Art Centrum, welches gegen die Rechte häufig, wenn auch nur milde Opposition machte. So nannte Fock die Pläne des Junkerparlaments gefährlich
für den Staat. Demungeachtet gingen aber in dieser Abtheilung alle Freiheitsbeschränkungen durch, welche in den drei Gesetzen so reichlich vorhanden sind, so daß sich Waldeck zu der Aeußerung
veranlaßt sah, wenn das so fortginge, könne ein ehrlicher Mann gar nicht mehr dableiben. Nach langem Staunen sagte endlich Bodelschwingh, er glaubte doch auch ein Mensch zu sein, und bliebe dennoch
da. So gewannen auch mehrere Mitglieder seiner Partei den Muth zu sagen: wir auch! wir auch!
In der siebenten Abtheilung ist mit 22 gegen 22 Stimmen der Antrag Auerswald's verworfen worden, die Debatte über den Belagerungszustand bis nach der Debatte über die drei ministeriellen
Gesetzvorlagen zu verschieben. Philipps, als Präsident, entschied bei der Stimmengleichheit. — In der fünften Abtheilung ist das Clubgesetz gänzlich verworfen worden.
Wir bemerken, daß der Abg. v. Möller aus Minden gegen die Aufhebung des Belagerungszustandes in der Abtheilung gestimmt hat. Es ist derselbe Abgeordnete, der bei der Debatte des
Vincke'schen Antrages, eine Adresse an den König zu erlassen, den Abg. Kirchmann, in Betreff der Ungültigkeit der Verfassung, desavouirte.
Die Abgeordneten Elsner und Stein werden in einer der nächsten Sitzungen folgenden Antrag auf das Bureau niederlegen:
„Ohne alle Entschädigung werden aufgehoben:
1) alle Laudemien, Marktgroschen, Gewinngelder, alle Abgaben irgend einer Art, welche von einem Grundstück bei Besitzveränderungen oder Heirathen der Besitzer entrichtet werden müssen;
2) die Zehnten jeder Art. Ein Gesetz wird bestimmen, in welcher Art dieselben für die Diener der Kirche in fixe Einnahmen verwandelt werden;
3) alle unter den Namen Frohnden, Roboten, Hofdienste, Hand- und Spanndienste u. s. w. vorkommenden Dienste;
4) die Fischereigerechtigkeit auf fremden Grunde;
5) alle unter dem Namen Grundzins vorkommenden Abgaben, insofern deren Eigenschaft als wirklicher Grundzins nicht durch schriftliche Urkunden abgeschlossen, nach Aufhebung der Unterthänigkeit,
bewiesen wird.“
Hauptmotiv. Alle bäuerlichen Lasten und Zinsen, welche nicht erweislich erst in neuester Zeit und zwar nach Aufhebung der Unterthänigkeit, durch freie Verträge entstanden sind, müssen ohne
Entschädigung aufgehoben werden.
Aus Frankfurt wird von einem Mitgliede der Linken geschrieben: Die Partei des preußischen Kaiserthums, der sich jetzt Herr Welcker angeschlossen hat, ist der Majorität für den Antrag
Welcker's freilich gewiß, wünscht aber, daß dieselbe möglichst groß sei. Es sind deshalb mit der Linken Unterhandlungen angeknüpft worden, und mehrere Mitglieder waren geneigt, darauf
einzugehen, wenn ihnen ebenfalls bestimmte Zugeständnisse gemacht würden. Zu diesen rechnen sie die sofortige Annahme des Wahlgesetzes, wie es in der ersten Lesung beschlossen war, und eine größere
Macht für die Centralgewalt, besonders in Bezug auf das Militär.
In der Königstraße fand heute ein Krawall statt, wie gewöhnlich hervorgerufen durch das Benehmen der Constabler. Die unschuldigen Plakate nämlich, welche auffordern zu einer Summe beizutragen, um
den im Friedrichshain Begrabenen Kreuze zu setzen, erregten das Mißvergnügen des Oberconstablers Hinkeldey, der ihnen befohlen hat, dieselben abzureißen. Das Volk widersetzte sich natürlich und so
wurde das Ganze eine gemüthliche Prügelei.
Bei der Parole wurden Urtheile gegen 11 Soldaten des Kaiser-Alexander-Regiments verlesen. Diese Soldaten hatten in Schleswig-Holstein die ihnen rechtlich zukommende Kriegszulage verlangt und wurden
deshalb zu 2 bis 10 Jahre Zuchthausstrafe verurtheilt.
Die dritte Artillerie-Brigade aus Magdeburg ist in Schöneberg — eine halbe Stunde von Berlin — eingerückt.
Das erste, zweite, fünfte und sechste Armeekorps werden in kürzester Zeit mobil gemacht werden.
Von wohlgekleideten Männern wurden in vielen Gegenden der Stadt gestern kleine Zettel vertheilt, mit folgendem Inhalt:
„Männer Berlins! Richtet das Panier der Freiheit auf, ehe es zu spät ist. Die Bewohner der Provinzen werden Euch nicht verlassen in den Tagen der Noth.“ — Wir erinnern daran,
daß der Abg. v. Bismark bei Gelegenheit der Debatte über den Waldeck'schen Antrag, von Eventualitäten sprach, welche in diesen Tagen sehr leicht eintreten könnten, und für die Fortdauer
des Belagerungszustandes sprechen würden.
Der Redakteur der N. Pr. Ztg., Hr. Wagner, ist heute wegen Nachdruck zu 50 Thlr. Strafe verurtheilt worden.
Berlin, 14. März.
Sitzung der ersten Kammer.
Sämmtliche Minister sind zugegen. Es werden die Wahlen der Herren v. Solmacher und des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten Grafen v. Arnim angemeldet.
Nach der Verlesung mehrerer Amendements geht man über zu dem des Majors v. Vinke und Genossen, unter denen sich Graf Dyhren, Bornemann, Willisen u. A. befinden.
Die Kammer wolle beschließen, statt § 9 zu setzen:
„Die von Ew. Majestät gehegten Wunsche für die innigere Vereinigung aller deutschen Staaten zu einem Bundesstaate leben mit gleicher Stärke in dem Herzen des Volkes. Die Befriedigung der
Sehnsucht nach dem einigen Deutschland ist innere Nothwendigkeit. Sie ist entsprungen aus der tiefbegrundeten Erkenntniß, daß vor Allem in dieser Einigung alle geistigen und materiellen Fragen, welche
unser Vaterland bewegen, gelost, die may[unleserlicher Text]enden Bedurfnisse der deutschen Nation in ihren staatlichen, gewerblichen und Handelsleben befriedigt werden können. ‥… Sollte dieselbe unter den
gegenwärtigen Umständen nicht zu einer Vereinigung aller deutschen Staaten fuhren, so wird Preußen die Anerkennung nicht versagt werden können, daß dieser unerwartete Ausgang von ihm weder
herbeigeführt noch abzuwenden gewesen ist. Wir werden in der Bildung eines engern Vereins innerhalb des Bundes eine zweckentsprechende Anbahnung des großen Ziels mit Befriedigung erkennen und Ew. Maj.
Regierung in Ueberwindung der sich entgegenstellenden Schwierigkeiten und Hindernisse mit aller Kraft zur Seite stehen.“
Graf Dyhren: Ich glaube, daß es bei so wichtigen Gegenständen mehr auf eine starke Majorität der Kammer ankommt, a[l]s auf den treffenden Wortlaut. Darum haben ich und meine Freunde uns
diesem milderen Amendement angeschlossen. Die Wünsche für die Einheit Deutschlands leben in derselben Starke, wie sie in der Thronrede ausgesprochen worden, auch beim Volke. D[i]esen Wunsch diese
Forderung hörte man im vorigen Frühjahr in ganz Deutschland mit Einhelligkeit sich äußeren. Die Staaten Europas sind der Wucht ihrer tausendjahrigen Geschichte verfallen. Die alle Politik, die uns
seit den Römern nicht verlassen hat, lastet auf uns. Von Deutschland, von dem Herzen Europas muß die Verjungung ausgehen. Ein anderes Streben war das nach Nationalität, bei der man erkannte, daß nicht
blos die moralische, sondern auch die materielle Macht des Vaterlandes von dem einigen Deutschland abhangt.
Der Redner zeigt sodann, wie Preußen schon lange Schritte gethan, dies Streben zu befriedigen. Leider ist nun der ganze Bundesstaat nicht mehr moglich, aber schließen wir um so fester den engeren
Bund. Die Nothwendigkeit drängt, obwohl wir keinen Staat ausschließen wollen. Wer ein einzig Mal auf den hohen Bergen gestanden und jene urdeutschen Laute gehört hat, der wird sich nur mit Schmerz von
jenen Marken trennen konnen. Wir lieben die suddeutschen Brüder un[d] nur mit schmerzlichen Gefühlen sehen wir die volle Hoffnung hinsinken, die wir im vorigen Frühjahr hatten.
Wo aber gehört nun Preußen hin? Sollen wir zu bescheiden sein? Was bringt Preußen mit? Das preuß. Schwert hat deutsche Schlachten geschlagen. Die Wissenschaft in Preußen — wer bringt
mehr?
Wenn wir das gemeinsame Vaterland wunschen, wir hatten bereits ein großes herrliches Vaterland, den kleinen deutschen Staaten müssen wir eins schaffen. Wir dürfen uns nicht fürchten, in Deutschland
aufzugehen. Es wird uns nicht schaden, wenn unser Ruhm zugleich der eines Theiles von Deutschland wird.
Der Redner kommt nun auf die Frankfurter National-Versammlung, welche er zu vertheidigen sucht, weil ihre Aufgabe eine allzu schwere gewesen sei. Sie hätten keinen Platz gefunden für den Dombau der
deutschen Einheit und das großte Haus wollte wohl eine Kuppel, verweigerte aber selbst ein Pfeiler zu sein
Der Redner schließt unter allgemeinem Beifall, der auch an vielen Stellen seines Vortrages ertonte, mit der H[i]nweisung darauf, daß das Hohnlächeln über den Marquis von Brandenburg nach der
Schlacht bei Mollwitz verschwunden war. Wenn jeder seine Pflicht thue, dann wisse er nicht, wovor sie noch erschrecken könnten.
Triest in langer, langweiliger Rede für das Amendement.
Rosenkranz fur den Adreß-Entwurf. Er will uber Oestreich nicht den Stab brechen, welches eine Concentration gebrauche. „Die podolischen Ochsen, der ungarische Wein, die lombardische
Seide, die bohmischen Musikanten sind nur eine Totalität.“ R. will eine sociale Politik und schließt aus Sheakspeare: „je mehr die Liebe giebt, desto mehr hat sie.“
Vinke vertheidigt in längerer, ziemlich unverständlicher Rede sein Amendement.
Brüggemann, Forkenbeck für das Amendement.
Stahl dagegen. In glänzender Rede beweist er von seinem Standpunkte aus die Richtigkeit des modernen Constitutionalismus. Er verwirft die Volkssouveränetät als unsittlich und verderblich und
schließt mit der Hinweisung auf 1813.
Ehren-Baumstark ist arrogant genug, Stahl widerlegen zu wollen. Ebenso ereifert sich Maurach.
Der Ministerpräsident erklärt, bei den Grundsätzen der Note vom 23. Januar verbleiben zu wollen.
Hansemann will der Kammer einen langen Vortrag halten, hat sich aber, wie er sagt, nicht preparirt. Er will deshalb Vertagung, um morgen das Capitol zu retten.
Schluß der Debatte.
Es wird bei dem Stahl'schen Amendement namentliche Abstimmung verlangt, wobei Milde, Dyhren, Fischer mit ihren Muth renomiren, ihre politische Meinung stets offen zu sagen.
Der Namensaufruf wird verworfen und das Vinke'sche Amendement (s. oben) fast einstimmig zum Beschluß erhoben.
Es blieben sitzen: Stahl, Schaper, Bethmann-Hollweg und noch etwa 5 Mitglieder auf der äußersten Rechte.
Camphausen, der frankfurter Bevollmächtigte, war zugegen und stimmte für das Amendement.
Schluß der Sitzung.
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222
] Berlin, 14. März.
Wir theilen unsern Lesern die nachfolgende Note mit, durch welche Dänemark die in früher gemeldeter Weise erfolgte Kundigung des Malmöer Waffenstillstandes
bei dem preußischen Kabinet motivirt hat. Sie lautet in der Uebersetzung des französischen Originals wörtlich also:
„Der unterzeichnete Präsident des Ministerraths und Präsident der auswartigen Angelegenheiten Sr. Majestat des Konigs von Danemark ist auf besondern Befehl seines erlauchten Herrn
beauftragt, Sr. Exc. dem Grafen v. Bulow, Staatsminister der auswartigen Angelegenheiten Sr. Maj. des Königs von Preußen, folgende Erklärung zu überreichen. In der Ratificirung des am 25. August zu
Malmoe abgeschlossenen Waffenstillstandes waren Se. Maj. der Konig von Dänemark und Se. Maj. der König von Preußen von dem Wunsche beseelt, die schweren Verwicklungen, welche damals die
Aufrechthaltung des allgemeinen Friedens bedrohten, zu vermindern und einen gesetzlichen Zustand der Ordnung in den Herzogthümern Schleswig und Holstein wieder herzustellen. um dieses Ziel zu
erreichen, zog Ersterer die großen Opfer, welche er sich hierdurch auferlegte, nicht in Betracht. Er hat die eingegangenen Verpflichtungen gewissenhaft erfüllt und sein ganzes Verfahren trägt den
Stempel der allgemein anerkannten Treue an sich. Er beruft sich in dieser Hinsicht mit gutem Gewissen auf die den Waffenstillstand mit unterzeichnet habende (consignataire) Macht. Die Ereignisse der
letzten 6 Monate haben gezeigt, wie fruchtlos diese Opfer in Hinsicht auf die innern Zustände der dänischen Monarchie geblieben sind. Anstatt fur die Herzogthümer zum Segen und für den Frieden zur
Brücke zu werden, hat die Konvention dem Aufruhr der Herzogthümer nicht nur neue Nahrung gegeben, sondern ist auch in Deutschland das Signal der bedenklichsten Unordnung geworden. Die Herzogthümer
seufzen noch immer unter dem Joch einer aufrührerischen Fraktion, welche die Convention dazu benutzt, um sich mit dem Scheine einer legalen Unabhängigkeit zu umgeben, welche aber die beiden
Herzogthümer in einen beklagenswerthern Zustand gebracht hat, als derjenige war, unter welchem sie während des Krieges litten. Dies sind mit wenigen Worten die Konsequenzen der Art und Weise, in
welcher die Bestimmungen des Waffenstillstandes gemißdeutet, falsch ausgelegt und bis zu dem heutigen Tage ignorirt wurden. Der Unterzeichnete ist vollkommen überzeugt, daß das Berliner Kabinet mit
Bedauern wahrgenommen haben wird, daß trotz seiner guten Dienste die Ergebnisse des Waffenstillstandes hinter den berechtigten Erwartungen der hohen contrahirenden Parteien zurückgeblieben sind. Die
wohlverstandenen Interessen der andern Regierungen nicht minder, als diejenigen, welche der väterlichen Sorgfalt des Königs anvertraut sind, machen es Sr. Majestät zur heiligsten Pflicht, einem Stande
der Dinge ein Ende zu machen, der die Quelle der Empörung unversiegbar erhält. Wenn Se. Maj. der König diese Aufgabe verabsäumte, würde er von dem Pfade weichen, welcher von den Regierungen, den
Erhalterinnen und Freundinnen der Ordnung, mit so weiser Ausdauer betreten ist, und würde seinen Beruf, die Prinzipien der Legitimität aufrecht zu erhalten, sein getreues Volk wie die
Unabhängigkeit und die Rechte der durch vorhandene Traktate errichteten und garantirten dänischen Monarchie zu schützen, nur unvollkommen erfüllen. Der Unterzeichnete hegt die Ueberzeugung, daß das
Berliner Kabinet die Motive richtig würdigen wird, welche Se. Maj. anrathen, nicht eine Konvention zu verlängern, die seiner freien Handlungsweise Hindernisse in den Weg legt, und ihn der Mittel
beraubt, in einem Theile seiner Staaten die Anarchie zu unterdrücken und seine getreuen Unterthanen wieder unter seinen königl. Schutz zurückzuführen. In Erwägung dieser Gründe, hat der König dem
Unterzeichneten befohlen, zu erklären, daß Se. Maj. sich veranlaßt sieht, nach Ablauf des siebenmonatlichen zu Malmöe geschlossenen Waffenstillstandes gedachte Konvention am 26. März erlöschen zu
lassen. Wenn indeß noch vor Ablauf dieses Tages prätiminarische Friedensartikel in den Herzogthümern eine der Würde und den Rechten des Königs angemessenere Lage der Dinge herbeiführen und derselben
außerdem die nöthigen Garantien geboten würden, so ist die Regierung Se. Maj. keineswegs abgeneigt, dem von diesem Standpunkt aus gemachten Vorschlägen eine reifliche Würdigung angedeihen zu lassen.
Der König ist im Voraus überzeugt, daß Se. Maj. der König von Preußen die friedlichen Absichten des Königs, so wie des Letzteren Wunsch, freundschaftliche Verhältnisse zwischen Preußen und Dänemark zu
erhalten, nicht verkennen werde. Nachdem zwischen den beiden Höfen der regelmäßige Verkehr eine Unterbrechung erlitten, wird der Baron Karl v. Plessen, Kammerherr des Königs und jetzt Spezialgesandter
nach Berlin, die Ehre haben, gegenwärtige Erklärung Sr. Excellenz dem Grafen v Bülow mit der Bitte zu überreichen, daß er dieselbe unverzüglich seiner Regierung mittheilen möge. Baron v. Plessen ist
in gleicher Weise ermächtigt, die Antwort zu empfangen, welche das Berliner Kabinet durch ihn an den Unterzeichneten sollte gelangen lassen wollen.
Kopenhagen, den 23. Februar 1849.
[(gez.) A. v. Moltke.]
In der Parteiversammlung der Rechten soll man sich sehr mißbilligend über eine Taktik ausgesprochen haben, welche von der Linken bei der Wahl der Verfassungskommission in mehreren Abtheilungen, und
daher, wie man annahm, nach verabredetem Parteiplan, befolgt worden sei. Die Linke, wurde nämlich behauptet, habe das Verfahren eingeschlagen, einige in ihrer politischen Gesinnung nicht ganz
entschieden erscheinende Mitglieder der Rechten zu Kandidaten der Linken zu machen, und darauf die Stimmen der Letztern zu konzentriren. Es seien in dieser Woche auch einige Kandidaten von der Linken
durchgebracht und man müsse abwarten, ob der Plan gelinge, die Männer auf welche es dabei abgesehen sei, durch ein solches ihrer Ehrsucht schmeichelndes Entgegenkommen allmählig ganz zur linken Seite
hinüberzuziehen, oder ob dieselben jener Versuchung einer klugberechneten Parteipolitik die Würde einer selbstständigen Ueberzeugung entgegensetzen würden. Es wurde schließlich die Erklärung
ausgesprochen, daß wenn wider Erwarten eine veränderte politische Stellung einzelner Abgeordneten durch die gedachten Versuche herbeigeführt werden solle, man nicht säumen dürfe, die Namen derselben
zur Kenntniß ihrer Wahlmänner zu bringen.
Die vielberegte Frage über die Feier des 18. März hat nunmehr ihr vorläufiges Ende erreicht. Auf Grund der Bekanntmachung des General Wrangel und der (mit Bezug auf dieselbe) ablehnend
ausgefallenen Erklärung der städtischen Behörde, hat das Fest-Comité gestern Abend den Beschluß gefaßt, einstweilen von einer Feier des 18. März Abstand zu nehmen und dieselbe bis nach der
Aufhebung des Belagerungszustandes zu vertagen.
Am Montag Abend ist es in einem Wirthshause in der Auguststraße zwischen Soldaten von der Artillerie und vom 9. Regiment zu einer sehr ernsten Schlägerei gekommen, welche auf beiden Seiten
Verwundungen nach sich zog.
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Liegnitz, 10 März.
In voriger Woche haben wieder bedeutende Soldaten-Excesse hier stattgefunden. Ein Bürger wurde von zwei Fünfern auf offener Straße angefallen und durch Säbelhiebe
erheblich am Kopfe verwundet. Einem aus der Stadt nach Pfaffendorf zurückkehrenden Manne erging es noch schlechter. Derselbe wurde auf dem Töpferberge ebenfalls von Soldaten erst insultirt und mit
Steinen geworfen und dann so gemißhandelt, daß er in das städtische Hospital gebracht werden mußte, woselbst er noch an seinen Wunden darnieder liegt.
Heute hat unser guter Bürgerverein in seinem Organe, dem hiesigen Stadtblatte, eine Petition an die erste Kammer in Berlin veröffentlicht, in der er submissest nachsucht, daß die hohe Kammer doch
im Interesse des Vaterlandes die Annullirung des Bürgerwehrgesetzes vom 17. Oktober v. J. resp. die gänzliche Aufhebung der Volksbewaffnung beantragen möge. Sie sehen also, daß unsere guten Bürger den
guten Bürgern in Potsdam nichts nachgeben; wir können aber auch versichern, daß Liegnitz eine fulminante Gegenadresse mit zahlreichen Unterschriften versehen an beide Kammern zu senden nicht
verabsäumen wird.
[(Od. Z.)]
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Linz, 8. März.
Das Strafhaus am hiesigen Schloßberg wird zu einem Kastell hergerichtet; bis den 16. d. M. wird bereits eine Batterie aufgeführt. Man scheint sich auf alle Fälle rüsten zu
wollen. Die starke Rekrutirung hat auf dem Lande schon einige unruhige Auftritte veranlaßt. In Schwanenstadt wurde einer der sogenannten Vertrauensmänner, da er die Befreiungsnothwendigkeit von ein
paar Rekruten nicht anerkennen wollte, erstochen. In Mauerkirchen wurden dem Distriktskommissär die Fenster eingeschlagen, worauf er sich flüchtete, auch in Walchen mußte der Distriktskommissär
Reißaus nehmen, um nicht durchgeprügelt zu werden.
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[
136
] Darmstadt, im März.
Volksversammlungen auf Volksversammlungen werden hier gehalten; oft zwei und mehr an demselben Sonntage in unserer Provinz. Wir wollen die Freiheit
wenigstens noch nach besten Kräften ausbeuten, ehe uns das preußische Erbkaiserthum und der allgemeine Belagerungszustand einokroyirt wird; das Volk lernt wenigstens fühlen, was es entbehrt, wenn es
sich nicht mehr unter freiem Himmel über seine eigenen Angelegenheiten besprechen kann. Der Umschwung ist bei uns spät gekommen, aber daß er gekommen ist, dafür liefert Ihnen eine Volksversammlung,
welche am 6. März in der unmittelbaren Nähe der Residenz, innerhalb der Bannmeile des Frankfurter Sumpfes stattfand, den besten Beweis.
Die oppositionellen politischen Vereine hatten die „Gesinnungsgenossen“ zu einer „Besprechung der Märztage“ — da man sie einer Feier nicht werth hielt —
nach dem „Karlshofe“ eingeladen. Statt einiger Hunderte, auf die man gerechnet, fanden sich hier einige Tausend ein, für die natürlich die Säle zu eng waren. Die Redner, fast nur der
demokratischen Partei angehörig, sprachen aus einem Fenster des Saales hinaus, und auf diese Weise ward eine verbotene mit einer erlaubten Versammlung vereinbart. Auf die Reden folgten Toaste, und
selbst ein Toast auf die rothe Republik ward mit vielem Enthusiasmus begrüßt. Diese extemporisirte Demonstration hat die zahlreichen Heulerorgane der Residenz so überrascht und in Schrecken gesetzt,
daß sie selbst ihr gewöhnliches Geheul darüber vergessen und lieber die ganze Sache ignorirt haben, um nicht durch ihre Weiterverbreitung die jungfräuliche Stadt vor aller Welt zu beschimpfen. Es
versteht sich von selbst, daß den ganzen Abend alles Militär unter Waffen stand; schon am Morgen waren scharfe Patronen ausgetheilt, Chevauxlegers hatten den Theaterplatz, 100 Mann Infanterie das
Zeughaus besetzt, die Geschütze waren mit Kartätschen armirt. — Am 4. März aber ist der Großherzog, um zu zeigen, daß er keine Furcht vor den Märztagen habe, im schnellsten Trabe um die Stadt
gefahren, und einige Tage später zeigte er sich mit dem ersten preußischen Helme, mit der gefährlichen Spitze, die auch auf dieses unglückselige Haupt noch des Himmels modernste Blitze herabziehen
wird.
Unsere Kammern verharren in der gewohnten Unthätigkeit. Die erste Kammer zieht die Berathung des Wahlgesetzes in die Länge, ohne Zweifel, weil sie hofft, daß nach der Octroyirung einer deutschen
Verfassung auch die Octroyirung eines Wahlgesetzes, welches mehr nach ihrem Sinne, als das von dem Ministerium mit dem „liberalsten Sinne“ vorgelegte ist, ein Leichtes sein werde. Wie
der preußische Helm kann ja auch das preußische Wahlgesetz bei uns eingeführt werden, zumal wenn es nach genügender Erfahrung noch eine zweite verbesserte Auflage erlitten hat. Es ist das schon
wünschenswerth um der deutschen Einheit halber.
[1387]
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309
] Aus Süddeutschland, 13. März.
Man sollte doch niemals an der Welt verzweifeln, hörte ich heute Jemanden sagen, der sich wahrscheinlich eben erst an den Tiraden des einst so
revolutionswüthigen Professor Welcker, jetzigen badischen Bevollmächtigten für 16,000 fl. jährlich, für das preußische Erbkaiserthum erbaut hatte. Gewiß, der Mann hat Recht, dachte ich, man soll
niemals verzweifeln, absonderlich aber nicht, so lange das Frankfurter Parlament noch nicht einmal an sich selbst verzweifelt. Der Centralmärzverein bemüht sich, durch Proklamationen, mit denen er
alle Welt überschüttet, diesem Leichnam wieder Scheinleben zu geben. Es ist eine herrliche Thätigkeit, mit der die Linke diesen Akt ihres politischen Siechthums beschließt. Mit Proklamationen hat sie
begonnen, mit Proklamationen endet sie; aber wahrhaftig, es gehört mehr als kindliche Naivetät dazu, sich einzubilden, das Volk werde von daher noch etwas Gutes erwarten, wo es bis jetzt nichts als
Betrug und Verrath gefunden hat. Die Linke macht sich zur Mitschuldigen an diesem großen Betruge, indem sie dem Volke die so theuer erkaufte Einsicht wieder zu rauben, die Parteiunterschiede wieder zu
verwischen und Parteien mit einander zu vereinbaren sucht, die nur im Kampfe mit einander abrechnen können. Ich lobe mir eine Octroyirung, die uns von der Pest der Märzvereine wieder befreit und die
„Märzerrungenschaften“ in ihrem hellsten Glanze strahlen läßt.
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[
X
] Frankfurt, 14. März.
Wäre das deutsche Parlamen etwas weniger moralisch todt, als es in der That ist; wäre nicht alle Welt schon lange darauf gefaßt, den Sargdeckel einer
octroyirenden Hundsfötterei darüber gedeckt zu sehen, wahrlich, der Welker'sche „dringliche Antrag“ hätte hier die ganze politisirende Gesellschaft verrückt gemacht. Die
Köpfe sind von dem eilf Monate langen Geschnatter so vollständig abgespannt und verwirrt, daß Wenige sich so weit ermannen, um über den Welker'schen Antrag in's Klare zu kommen.
Vergegenwärtige man sich nur einen Augenblick das Notengeflüster der deutschen Kabinette, was im Ganzen eine recht erbauliche Travestie der Gagern'schen
„Volkssouverainetät“ bildet, betrachte man die diplomatischen Großthaten dieser verkauften Monsieurs, die wie Fledermäuse seit dem Januar auf den Eisenbahnen von einem Hofe zum
andern herumflatterten, um die deutsche Verfassung mit den betreffenden Konzessionen an den Mann zu bringen, dann wird es einem ganz sonderbar um die Leber zu Muthe, wenn eine dieser Fledermäuse im
Auftrage der Andern auf einmal folgende Grimasse macht: „Nachdem Oestreich sich soweit unzweifelhaft entschieden hat, daß auf ein russisches Bündniß geschlossen werden muß und nicht länger über
eine Direktorialregierung mit dem nunmehr zusammengefügten Kaiserstaat unterhandelt werden kann, fiel mir heute Morgen um 7 Uhr (nach einer unruhigen Nacht) urplötzlich der Gedanke ein, dem König von
Preußen die erbliche Kaiserwürde anzutragen und so der drohenden Gefahr russischer Einmischung zu begegnen.“
Vor einem Jahre sah ich diesen Herrn Bevollmächtigten, Welker, roth werden wie ein Puter, dem man ein rothes Tuch vorhält, sobald des preußischen Königs erwähnt wurde, und heute flüchtet er sich
winselnd zu den Füßen der Berliner Majestät, damit sie — — „„Deutschland rette.““
Mensch, ich interpellire dich und deine Bande, die Herren Bassermann, Mathy und Konsorten, die alle halb im Solde des partikulären Karlsruher Herzogs, halb in dem der einheitlichen Reichsreaktion
standen und stehen, was habt Ihr mit diesem „Deutschland“, diesem „Vaterlande“ gemacht, damit es eines Potsdamer Kaisers bedarf, um es zu „retten“? Gebt
Rechenschaft über Eure Schwanzwedelei in Olmütz und Eure Achselträgerei in Berlin, gebt Rechenschaft darüber, weßhalb badisches Geld den Hrn. Bassermann bezahlte, um auf die preußische Wagschale zu
treten, und den Hrn. Welker, damit er die Fußtritte des Windischgrätz entgegennähme! Wo ist sie hingekommen die Souveräinetät des Volkes, vor dem der Petersburger Czar zu zittern begann, in den Händen
dieses Gelichters? Wo wurde das Vaterland gefährdet, verkauft, verrathen, damit es „gerettet“ werden soll? Nun les't in einer müßigen Stunde die Protokolle der Paulskirche,
und in einer noch müßigeren die beiden Noten Preußens, Oestreichs und die Anhängsel und das Gemaule der kleinen Klaffer, Ihr Landsleute, dort findet Ihr die Kaufbriefe Eurer Freiheit, Eurer
Nationalität, und nicht bloß Eurer Freiheit, sondern die der zertretenen Lombarden und der bedrängten Ungarn. Die kitzelnde gierige Eitelkeit des norddeutschen und die centralisirende Todesangst des
süddeutschen Monarchen, dazu die Lebenslust des schüchternen Jungviehs in unserm deutschen Stalle und das allgemeine Bedürfniß des Vorrechts und Herrscherrechts nach einem reaktionären
Verfassungskontrakt, seht! das sind die noblen Bestandtheile unserer Geschichte, die Pole, zwischen denen der Nullpunkt des Frankfurter Liberalismus schwanken mußte. Und wohlan, wie herrlich ist am
Ende einem Jeden das Seine geworden: Oestreich hat sich zu „einem“ Kaiserstaate oktroyirt, hat die Proletarier niedergeknallt und Ruhe geschafft, während es nach Frankfurt
taubensanfte Versicherungen deutscher Gesinnung (Robert Blum!) schickte! Preußen ist von den Barrikaden herab über die Leichen von Camphausen, Hansemann, Milde zu einem bewaffneten Ministerium
geklettert, es hat seine Nationalversammlung überwunden, und mit der deutschen Kokarde kokettirt; die kleinen Fürsten sind noch am Leben und die allgemeine Reaktion wird bei dem deutschen Kaiser zu
Pathen stehen. — Das Beste aber ist, daß Herr Welker, bei dem um halb sieben Uhr Herr Dusch Visite machte, für seinen Einfall „um sieben Uhr“ und seine früheren
Einfälle 10,000 Fl. behält, das Trinkgeld ungerechnet, was sein Postillon d' Amour von Potsdam mitbringen wird. — Wahrscheinlich wird man Anstand nehmen, ein Kaiserthum anzunehmen aus so
niedrigen und wirklich wenig schmeichelhaften Händen, ein Kaiserthum, das man sich weit besser vereinbaren und durch „Noten“ zutragen lassen kann. — Von Allem abgesehen, wird auch
diese letzte Erniedrigung unserer Vertreter eine erwünschte und erwartete sein, und nächstens werden wir erfahren, ob die Eifersüchtelei zwischen den beiden Mächten Deutschlands Natur oder Kunst war.
Für das Volk ist es ganz interesselos, ob ein Direktorium den alten Bund auffrischt, der um so erbärmlicher und loser sein müßte, weil die nichtdeutschen Länder Oestreichs dazutreten, oder ob ein
Kaiserthum in Deutschland mit dem andern ein Separatbündniß schließt, dessen spezieller Zweck unsere Knechtschaft. Wir sind herausgefordert, eventuell geprellt in jedem Falle. — So wahr aber
die Russen-Furcht eine Parade-Finte und die renommistische Akklamation gegen Oestreich nur ein Fluch der Ohnmacht ist, eben so wahr ist die Verwirrung der Opposition, die in den sogenannten
Parteigesellschaften zu Tage gefördert wird. — Während Herr Bassermann im „Weidenbusch“ ohne alle Umstände ausruft: „Meine Herren, wir sind „Unserer“ 230 hier
allein, die für den Antrag sind und wollen unsere „Uebermacht“ benutzen, um diesmal ohne alle Gegenkonzession die „Linke“ vollständig „links liegen zu
lassen“, während also die Männchen des kühnen Griff's dem armen „gerettet“ werden sollenden „Vaterlande“ höhnend in's Angesicht schlagen, finden wir
eine traurige Unschlüssigkeit da, wo wir Entrüstung und Muth finden sollten. „Wenn wir nur ein freisinniges „„Wahlgesetz““ oder sonst einen Lappen von
konstitutioneller Freiheit erschachern können“, so laßt uns diesmal (!) von dem Prinzip ein Bischen (!) abweichen und der erblichen Monarchie das Wort reden! Selbst ehrliche
Demokraten bissen auf den Zopf eines preußischen Krieges gegen den Kaiser von Rußland an. Sie schwärmten von künftigen? Erhebungen gegen den russischen Tyrannen; sie drohten
Oestreich mit gefährlichen Protesten der Paulskirche und waren überhaupt entsetzlich kühn und voller Hoffnung, nur nicht da, wo sie es sein sollten. — Wie lange wird diese Mystifikation
des deutschen Volkes noch andauern, das bald vor den Russen, bald vor der Anarchie in offizielle Furcht gejagt wird, wie das Kind, das man mit dem schwarzen Manne zu Bette treibt. Habt Ihr noch nicht
genug an den 900,000 Bajonetten, die Euch mit Hülfe der Russen Herr Radowitz oktroyirt hat, müßt Ihr noch einen Kaiser haben? Wir leben in gespannter Erwartung, ob sich in der Paulskirche nicht noch
einige Männer befinden, welche die Bedeutung des Augenblickes begreifen, oder ob Alle in ihrer erschlafften geistigen Haltung thatlos schweigen werden zu dieser vollendeten Schmach. — Aber wir
wissen schon, diese Leute glauben, „das Volk sei nicht so weit“. Früher sagte man, das Volk sei „unreif“. Heute sagt man, „das Volk ist
„feig“. Die Geschichte liefert Beweise in jedem Tage des erlebten Jahres, wer unreif und feig ist: das Volk oder die reizbaren liberalen Raisonneurs. —
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213
] Dresden, 13. März.
Unter die raffinirtesten Schurkereien, welche der Oberwärter der europäischen Fürstenmenagerie im Jahre 1815 in Deutschland ausgeübt hat, gehört die Art der
Vertheilung des Grund und Bodens von Deutschland unter die Angestammten. Wir könnten darüber namentlich mit Rücksicht auf Preußen viele Worte verlieren, bleiben wir indessen bei Sachsen.
Metternich zerschnitt damals das Herz Deutschland's und überließ die einzelnen Stücke ihren privaten bedeutungslosen Zuckungen. Er wußte, mit dem Zerschneiden des Herzens war das
Leben entzwei, das große politische Leben Deutschland's unmöglich gemacht. Auf diese Weise entstanden die centraldeutschen Diminutivstaaten, deren einzige Bedeutung die gebildete
Bedeutungslosigkeit blieb. Man sieht es den Sachsen sofort an der Nase und am Wesen an, wohin macchiavelistische Zerstückelung ein Volk bringt und wie ohnmächtig es dadurch wird, wenn ihm die
Centralblutzirkulation gewaltsam entzogen wird. Dadurch hat man erreicht, daß die zerschnittenen Herzstücke bei jedem neuen Zucken erst nach allen vier Weltgegenden hinblicken müssen, um zu erspähen,
ob sie es auch allen recht machen. Die Folge war eine beispiellose Erschlaffung und Ermattung bis in's innerste Leben des Volks, das Herz ist kein Herz geblieben, sondern ein blutloser Knorpel
ohne Energie, Geist und Seele geworden, es ist, wie gesagt, zur gebildeten Bedeutungslosigkeit herabgesunken.
Die Demokratie in Sachsen giebt sich viele Mühe, das Volk emporzuheben, allein sie fühlt sich selbst zu ohnmächtig, zu energielos, es mit großen, dröhnenden Schritten zu thun. Sie predigt
bescheiden-demokratisch und handelt nicht entschiedener. Wie es in der Presse aussieht, so sieht es in Vereinen und Landtagen aus, überall fehlen Senf, Pfeffer und Salz.
Ein Aufenthalt in den Städten Halle, Leipzig, Weimar, Gotha, Altenburg u. s. w. gehört unter die trostlosesten Lüneburger Haiden des menschlichen Lebens. Nicht einmal die Langeweile ist daselbst
klassisch, sondern höchstens nur der Schlafrock, die Pfeife und die Stupidität des Bierglases.
Anders in Dresden, denn in Dresden giebt es arme spanische Hidalgo's, es giebt Kammern, Volk, Hof und Kamarilla, sächsische Kamarilla. Dresden ist überhaupt eine Art deutschen
Brüssel's im deutschen Belgien.
Die sächsische Kamarilla ist der Stationstelegraph zwischen Olmütz und Potsdam; wenn einer von diesen die Arme bewegt, so muß er es ebenfalls. Das Haupt der sächsischen Kamarilla soll nicht der
König, sondern wiederum eine Sophie, eine baierische Sophie sein, die aber hier den Namen Marie trägt. Es macht dem baierischen Brauergenius viel Ehre, daß Klein- und Großdeutschland unter seiner
weiblichen Dreieinigkeit den Nacken beugt, wenn Deutschland überhaupt Ehre brächte.
Das sächsische Volk benimmt sich mit seiner gebildeten Bedeutungslosigkeit à merveille zahm-anständig, flachköpfig-gemüthlich, und dennoch wird's verläumdet, die Kamarilla verläumdet
es. Von Olmütz und Potsdam langen täglich ganze Ballen von intriguanten Verläumdungen an und werden dann unter die Gutgesinnten vertheilt. — Die armen Hidalgo's des Hof's, die
büreaukratischen und kasernokratischen Ritter, sowie die Bourgeoisie debitiren diese Verläumdungen in alle Fernen des großen Reich's.
Daß Sachsen noch kein Standrecht, keine Oktroyirte, keinen Windischgrätz oder Wrangel hat, ärgert die Kamarilla, um so mehr, als die Prinzessin Marie dadurch riskirt, von ihren beiden
unvermeidlichen Schwestern ihres unanständigen Hausregiments wegen über die Achsel angesehen zu werden.
Seit einigen Tagen werden daher die Verläumdungen des sächsischen Volks, seiner Kammern und nun gar der gemüthlichen Demokraten auf die Spitze getrieben. Die Standrechtsblättchen des Landes speien
die giftigsten Ueberreste von den großherrlichen Inseln zu Olmütz und Potsdam aus, um die Unzufriedenheit zu steigern, die Kammern und ihre einzelnen Mitglieder in den Koth zu treten und dem
sächsischen Volke das Bischen Blut in den Kopf zu treiben, welches ihm noch geblieben ist. Auf diese Weise soll das Lieblingsspielzeug der Kamarilla, Standrecht, Verhaften, Oktroyiren u. s. w. hier
ebenfalls eingeführt werden. Das dazu geeignete Ministerium hat man bereits zu erwerben gewußt, und rückt mit ihm immer weiter vor. Aber der Kriegsminister Stavenhorst, eine Figur aus den spießischen
Schauer- Ritter- und Räubergeschichten, fürchtet sich vor dem Geiste des Militärs. — Die Sachsen sollen, wie man sagt, keine Kroaten, sondern gar Demokraten sein. Herr Stavenhorst, der gerne
Kroaten aus ihnen machen möchte, hat zu seinem Regierungsantritt nun zwar einen Armeebefehl à la Wrangel publiziren lassen, scheint aber dennoch nicht zu trauen. Darum sollen die sächsischen
Truppen nach Schleswig marschiren, Stavenhorst will ihnen dort das demokratische Blut abzapfen lassen. So lautet der Befehl des Generalkommando's von London-Petersburg-Olmütz-Potsdam. Der neue
dänische Krieg ist, wie der erste, eigens zu diesem Zwecke erfunden worden.
Während die gewünschten Zustände heraufbeschworen werden, müssen die Kammern in geschäftiger Unthätigkeit ihre Zeit verbringen. Doch dürfen sie interpelliren, wenn, wie fast in der Regel, keine
Minister zugegen sind. Wenn dann schon längst Niemand mehr an die Interpellationen denkt, erscheint ein Minister und deklamirt eine lederne Antwort daher, die noch weniger werth ist, als die Luft, die
er dabei konsumirt. Das ist die Thätigkeit der Kammer, das Kamarilla-Ministerium läßt sie demokratisch poltern, ohne Notiz von ihren Beschlüssen zu nehmen, und, indem es ihnen im Volke immer mehr den
Boden zu entziehen sucht, bereitet es in der Stille die große sächsische Standrechts-, Pulver und Blei-, Oktroyirungs-, Ausweisungs- und Verhaftungsbombe vor. Es ist schon weit damit gekommen, denn
ein baierisches Heer ist bestellt worden, um dem endlichen Platzen der Bombe mit biergähnender Lümmelei beizuwohnen.
Auch in der heutigen Sitzung der zweiten Kammer interpellirte Advokat Blöde ziemlich dreist das Gesammtministerium (der Minister der Finanzen war allein gegenwärtig) über die reaktionären
Gerüchte, daß der sächsische Thron in Gefahr, der Schutz der Bajonette nöthig, das Vaterland (grenzenlos!) bedroht sei, und wie das Ministerium der Verbreitung und Veradressirung solcher Gerüchte
vorzubeugen gedenke, namentlich aber verhüte, daß der König mit Adressen bestürmt werde, die, wie die des gestrigen Dresdener Journals, ihn zur offenen Gewalt aufforderten. Die Antwort wird nächstens
erfolgen.
Berthold hatte beantragt, das Ministerium solle die Pensionen, namentlich des Militärs, reduziren und zu diesem Ende der Kammer Pensionslisten vorlegen, in welchen Alter und Verdienst der
Pensionäre, sowie Höhe der Pension verzeichnet seien. Tschirner befürwortete diesen Antrag mit aller Entschiedenheit, während Minister von Ehrenstein ihn ebenso bekämpfte. Das Resultat war, daß
Berthold's Antrag mit absoluter Stimmeneinheit von der Kammer angenommen wurde. Der Minister verzog keine Miene dabei, denn er dachte an sein Muster Manteuffel. Die Minister der 36 deutschen
Ober- und 36 deutschen Unterhäuser ziehen sich nämlich vor keiner Majorität, geschweige vor einer Stimmeneinhelligkeit mehr zurück. So will es das vorhin genannte Generalkommando.
Ein Plakat des Ausschusses des Vaterlandsvereins warnet heute die Bürger Dresden's vor all den Intriguen der Kamarilla!!
Man sagt, der König wolle nicht recht an den Gewaltstreich. Meines Erachtens will er ihn gerade, aber er möchte gern im Volke den Glauben an sein thränenbachreiches Volksherz bewahren, um im
schlimmsten Falle den Schlag vom eigenen Haupte abzupariren. Er ist, wie andere Könige auch.
Die haute volée der Stadt besuchte gestern ein neues Drama von Gutzkow: „Liesli“ genannt. Dieser dramatische Pfaffe und schillernde Quaksalber hat es versucht, einen
Schwabenstreich zu dramatisiren. Ein Würtemberger Bauer will nach Amerika ziehen, seine Frau will ihn nicht dahin begleiten, und der Schwab ermordet darum sie und sich selbst. (O Mimely!!) Die
sprachliche Heulerleier und die innere Nothwendigkeit dieses Schwabendrama's machten auf mich einen komischen Effekt. Herr Gutzkow ließ sich hervorrufen und machte sich damit selbst zum
Schwaben.
Französische Republik.
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@facs | 1387 |
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17
] Paris, 15. März.
Die Rückzahlung der den Junkern und den Bourbonischen Prinzen 1825 votirten Entschädigungsmilliarde wird jetzt bald von allen 86 Provinzen durch
Bauernpetitionen unterstützt sein. Der Dijoner „Citoyen“ sagt in Nr. 20: „der große Nationalkonvent hatte 1793 in der furchtbarsten Gefahr des Vaterlandes das Aufgebot in Masse
verordnet, und eine eherne Mauer von Bajonetten stand alsbald an Frankreichs Grenzen. Da bot die Republik, reich an Domänen, jedem Bürger ein patriotisches Geschenk von zwei Hektaren, für den Fall des
Friedens, im Voraus an; sie hielt es für heilsam eine kompakte Masse neuer Grundbesitzer zu schaffen, die ihr ganz ergeben, ganz dankbar wären. Am neunten Thermidor geschah der große Meuchelmord,
Robespierre stürzte. Die zweihundert Millionen Hektaren geriethen in Vergessen. Die Thermidorier, die Sieger Robespierre's verschleuderten im Stillen unter sich die Güter, und ihre
Spiesgesellen, die Agioteurs, spekulirten flott damit. Dies und die Kriegslieferungen wurden Quellen des kolossalen Reichthums gewisser Häuser. Dreißig Jahre später, als diese Thermidorier, unter dem
Namen Royalisten, fester denn je am Ruder thronten, erbettelten die Emigranten die berüchtigte Entschädigung, unzweifelhaft als Belohnung für die Kriegsdienste, die sie bei dem Feinde des Vaterlandes
und der Freiheit gethan hatten. Die Hochbourgeoisie in der Kammer war die Aufkäuferin jener Nationalgüter geworden und hatte spottbillig aufgekauft; die Buße dafür mußte das Volk zahlen. Der General
Foy, damels das Haupt der Liberalen in der Kammer, bewies mit großem Bourgeois-Eifer, daß das niedere Volk nur indirekt von den Gütern profitirt habe, allein er wandte keineswegs sich gegen das völlig
Ungerechte des Prinzips dieser Entschädigung. Und so ging denn, trotz des berühmten Ausrufs, womit er seine Rede schloß: „„dies Votum ist gefährlich für künftige
Generationen““ — das Gesetz glänzend durch. Die hohe Finanzokratie rieb sich die Hände, sie erreichte dadurch, daß sie nicht mehr von Priestern und Edelleuten beunruhigt, und ganz
ruhig im Besitze ihrer Güter gelassen wurde. … Aus dem Spektateur des 15. Mai 1830 ergiebt sich u. a. für die Herrn Armand de Sennevoy 12,140 fr.; Arthaud 138,277 fr. 95 Centimen, Wittwe Dubard
139,994 fr. 22 Cent. und sofort, eine entsetzliche Phalanx Junker, adlige Wittwen und Waisen, die schon von Hause reich, Departementsräthe, Kammerdeputirte, Nationalgardenkommandanten, beinahe
zweihundert Personen, worunter Fürstin Louise Maria Adelaide Bourbon Penthievre mit 30,610 fr. 4 Cent. brillirt. In Summa zahlte das Volk an weggelaufne Junker unsrer Provinz 23,990,225 fr. 59
Cent., an deportirt gewesene 211,333 fr. 92 Cent. und an Verurtheilte 451,860 fr. 72 Cent. Total 24,655,420 fr. 23 Cent. Das ist nicht eben ein kleines Stückchen für unsere
Burgunderprovinz.“
Unser honetter Präsident, dem diese „Milliarden-Propaganda“ nachgrade große Besorgniße einflößt, zeigt in so weit lichte Augenblicke, als er in den tiefsinnigsten Verhandlungen aus
dem Minister-Rathe Odilon Barrot's fort, und zu seiner englischen Maitresse, Madam Gordon läuft.
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@facs | 1387 |
Paris, 14. März.
Der Moniteur veröffentlicht heute zum ersten Male in Gemäßheit einer Verfügung der weiland provisorischen Regierung die Namen aller Schüler, welche die polytechnische
Schule und die Ecole spéciale militaire auf ganze oder halbe Staatskosten besuchen.
Diese Veröffentlichung soll wahrscheinlich einen Beweis von ministerieller Redlichkeit ablegen. Vor der Februarrevolution wurde mit diesen Freistellen ein arger Favoritismus getrieben.
— Der Moniteur enthält einen Bericht im Tircis'schen Hofstyle über einen Ausflug, den gestern der Präsident in das Artillerie-Museum am Place Saint Thomas d'Aquin machte.
„Eine zahlreiche Bevölkerung hatte sich während dieses zweistündigen Besuches auf jenem Platze eingefunden — behauptet der Tircis — die den Präsidenten bei seiner Abfahrt mit dem
heißesten Beifall begrüßte.“
— Die Nationalversammlung hat heute ihren Monatspräsidenten zu ernennen. Kein Zweifel, daß ihre (letzte?) Wahl wieder auf Marrast fällt.
— Einige Journale melden den Tod Cabets zu New-Orleans am gelben Fieber. Wir glauben zu wissen, daß diese Nachricht glücklicher Weise völlig unbegründet ist.
— Die Pforte hat dem Vernehmen nach ein Memorandum an Frankreich und England gerichtet, das für den allgemeinen Krieg, dem wir entgegengehen, von Wichtigkeit ist. Sie setzt darin den beiden
Kabinetten von Paris und London die Gründe ihrer Rüstungen auseinander und wirft neues Licht auf das Benehmen Rußlands in der Moldau, Walachei, Serbien und Bulgarien. Sie fordert die Kabinette auf,
ihr in einem Kampfe gegen den nordischen Koloß beizustehen.
— Unter der offenbar unbegründeten Angabe, Geldprellereien und Unterschlagungen verübt zu haben, wurden gestern die drei Chefs des Clubs de la Fraternité, Arthur de Bonnard, de
Serignac und Clovis Mortier, in Präventivhaft gesetzt. Bonnard wurde in seinem Bett, die andern Beiden auf der Straße arretirt. Diese Präventivmaßregel hängt mit einer Klage zusammen, die der
Junideportirte Cornu wegen angeblicher Unterschlagung einer Kollekte für ihn im Fraternitätssaale, gegen sie erhoben hat. Diese Klage wird nun von der Staatsanwaltschaft ausgebeutet.
— Heute findet, sagt man an der Börse, die Eröffnung der Zweigbahn von Calais nach Lille (für Deutschland nicht unwichtig) im Beisein Rothschilds statt.
— Die Geldsendungen nach Gaëta dauern fort. Vom Bischof von Grenoble gingen 5000 Fr. heute dahin ab.
— Die Liste des neuen Staatsrathes ist fertig. Ein Drittel sind neue Mitglieder, (sogenannte Parlamentsnotabilitäten, die wir zum Theil schon nannten), zwei Drittel gehören dem alten
Staatsrathe an. Aus den Departements jagte ein Gesuch das andere um diese Pfründen. Aemtlikrieg!
— An sämmtliche Präfekturen ist bereits der Befehl abgegangen, Alles für Anfertigung der Wahllisten bereit zu halten. Hr. Faucher hofft, daß die Nationalversammlung heute die
Wahlgesetzdebatte endige.
— Aus St. Petersburg kehrte vor einigen Tagen unser Vertreter, General Leflo, zurück. Die Blätter sind über die Freundlichkeit entzückt, mit welcher sich Nikolaus über den General Cavaignac
ausgesprochen haben soll ‥ Weil er die Demokraten im Juni todtschoß! antwortet die „Assemblée“ sarkastisch.
— Die zahlreichen Auswanderungen nach Californien haben das Bedürfniß hervorgerufen, in San Francisco einen Bischofsitz zu errichten, für den ein französischer Priester bereits ersehen
ist.
[(Ere nouvelle.)]
— Ledru-Rollin hat eine Glückwunsch-Adresse von den Demokraten in Turin erhalten.
— Marrast erhielt heute von der Bergpartei eine derbe Lektion, indem sie beim ersten Stimmumgange nicht mehr für ihn stimmte, sondern auf Grevy übertrug, so daß Marrasts Wahl zweifelhaft
wurde.
— Gestern, Montag Abends 10 Uhr, fiel eine fürchterliche Scene zwischen Herrn und Madame Thiers (von der die böse Welt sagt, daß sie seine eigene Tochter sei) in ihrem glänzenden Hause am
Place Saint Georges vor. Personen, welche über den Platz gingen, hörten ein starkes Geschrei, das von der Hausflur her an sie drang. Sie näherten sich dem Eisengitter, das den Garten einschließt und
vernahmen die ärgsten Schimpfworte, mit denen sich das ministerielle Ehepaar überschüttete. Plötzlich wurde der Lärm so heftig, die Rufe: „Canaille!“ etc. nahmen einen so wüthenden
Ausdruck, daß mehrere Personen die Wache herbeirufen wollten. Im Augenblick, wo dies geschah, öffnete sich aber der große Thorweg plötzlich und eine Dame in weißem Atlaskleide und zwischen zwei Herren
trat aus der Pforte. Ein Wagen, der in der Nähe des Brunnens hielt, entzog sie alsbald den Blicken der erstaunten Menge.
— Im Ministerrathe wurde lange über die Brea-Verurtheilten debattirt. Sind wir gut unterrichtet, so sollen zwei von ihnen, welche als die Hauptmatadore der Barrikade jener Gegend, an der
Fontainebleau-Barriere, galten, erschossen, die drei andern zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurtheilt werden. Welche Gnade!
— Louis Blanc's Broschüre aus London, «Appel aux honnêtes gens!» macht in der offiziellen Welt großes Aufsehen. Daß der sozialistische Chef in London bleibt und
nicht in Bourges erscheint, will den hiesigen Juristen durchaus nicht in den Kopf. Nicht minder ergrimmt sie die Louis Blanc'sche Deduktion der rothen Fahne als Symbol der Einigkeit.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 14. März.
Havin, Vicepräsident eröffnet die Sitzung um 1 1/4 Uhr.
Er zieht die 24 Stimmzettelzähler für die Präsidentenwahl, die heute vorzunehmen.
Während der Abstimmung werden eine Menge Urlaubsgesuche unter großer Unzufriedenheit erledigt.
Porion (Somen), der Municipalgeschäfte vorschützte, wird mit seinem Gesuch abgewiesen. (Murren rechts.)
Den Städten Valenciennes, La Guillotiere, ebenso den Departements [A]llies und Vaucluse wird die Genehmigung zur Uebersteuerung ertheilt, um Gelder Behufs Beschäftigung ihres Proletariats
aufzubringen.
Die Versammlung fährt eben in Berathung des Wahlgesetzes fort, als Havin folgendes Wahlresultat mittheilt:
Zahl der Stimmenden 593.
Absolute Majorität 297.
Marrast erhielt 246 Stimmen. (Ah! Ah!)
Dufaure erhielt 196 Stimmen.
Grevy erhielt 69 Stimmen.
Billaut erhielt 53 Stimmen.
Cavaignac erhielt 1 Stimmen.
Da keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hat, so muß zu nochmaliger Abstimmung geschritten werden.
Inmittelst nimmt die Versammlung die Incompatibilitätenfrage (Artikel 82) wieder auf
Artikel 83 ruft eine solche Masse von Zusätzen hervor, daß in uns der Glaube aufsteigt, das Wahlgesetz werde niemals fertig.
Im Grunde handelt es sich darum zu wissen, ob den Militärs ihre Mandatszeit als aktive oder Depot- (Kader) Dienstzeit angerechnet werden soll.
Lamoriciere, Larabit, Dupin, Ceyradt kämpfen lange für und wider einander.
Endlich wird der Artikel 83 angenommen.
Präsident Havin bricht hier die Debatte durch folgende Mittheilung der Präsidentenwahl ab.
Beim zweiten Umgange stimmten 679.
Absolute Majorität 340.
Marrast erhielt 378 Stimmen.
Dufaure erhielt 256 Stimmen.
Grevy erhielt 31 Stimmen.
(Also der halbe Berg schwang um.)
Billaut erhielt 6 Stimmen.
Demzufolge wird Marrast von Neuem als Präsident der Nationalversammlung bis zum 14. April proklamirt.
Schluß 6 Uhr.
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] Paris, 14. März.
Was da oben, in den Regionen der sogenannten Politik vorgeht, kann nur mehr noch Stoff zum Lachen, zum Schwatzen und zu Scherzen darbieten. Wer heutigen Tages
die Politik noch ernstlich nimmt, der ist schmählich angeführt. Politik! Als wenn es noch seit dem Sturze Louis Philipp's und Guizot's eine Politik geben könnte! Barrot, Faucher und
Napoleon haben die Politik verpfuscht, und wenn man sich noch als „Bourgeois“ die „schuftig-große Politik“ Guizot's gefallen lassen konnte, was soll man dann
zu der philantropisch-schuftigen Politik eines Barrot und Faucher sagen? Bastiat also hatte vorgeschlagen, daß ein Minister kein Volksrepräsentant, oder vielmehr umgekehrt ein Volksrepräsentant kein
Minister werden könne. Nun denke man sich den Schrecken, welchen dieser Vorschlag den armen Advokaten und den armen Generalen und sonstigen servilen Volksrepräsentanten verursachen mußte, die alle
Stoff zum Minister in sich fühlen? Der Antrag Bastiat's fiel glänzend durch, und die Advokaten bleiben Justiz-Minister in spe, wie die Generale Kriegs- und Marine-Minister in dito bleiben. Ein
anderer Vorschlag beantragte eine Zulage von 50,000 Fr. monatlich zu dem von der Constitution festgesetzten Gehalte des Präsidenten. Der Antrag ging glänzend durch, und der Präsident Napoleon wird
statt 600,000 Fr. jährlichen Gehalts künftighin die doppelte Summe beziehen: lauter „hohe“ politische Fragen, welche den Scharfsinn des Herrn Faucher und die Beredsamkeit des Herrn
Barrot ebenso in Anspruch nehmen, wie die Apanagegelder und Waldungen, welche Molé, Guizot u. s. w. den groß gewachsenen Jungen des Königs Louis-Philipp zu Gute kommen lassen wollten. Aber das
war zur Zeit der oppositionellen Biedermännigkeit, wo Barrot's „Herz“ für Italien und Polen schlug. Seit Barrot an die Stelle Guizot's getreten, was hat sich da nicht Alles
geändert! Sicher, Guizot hatte Recht, wenn er zu Herrn Barrot damals sagte: Ich bin überzeugt, Herr Barrot, wenn Sie an meiner Stelle wären, würden Sie gerade so handeln als ich! Heißt das etwas
Anderes, als daß die bürgerlichen Verhältnisse stärker sind als alle biedermännige Moral, und daß die Biedermännigkeit jedes Mal umschlagen muß in Schuftigkeit? Die bürgerliche Moral hat zu ihrer
Grundlage die bürgerliche Unmoral, d. h. die Herrschaft einer Klasse durch die Unterdrückung einer andern Klasse.
Wie gesagt, im Uebrigen sind Barrot und Faucher u. s. w. grundehrliche Leute; die bürgerlichen Verhältnisse machen sie zu ehrlichen Schuften, beinahe so schuftig, wie die Leute des Nationals. Z. B.
Der National wollte eine exekutive Gewalt einsetzen, während die konstituirende Kammer noch bestand. Der National ging ganz ehrlich zu Werke: er baute sicher darauf, daß seine konstituirenden Männer,
als da sind Cavaignac, Marrast und Consorten unfehlbar zu der exekutiven Gewalt gewählt werden würden. Seine Rechnung schlug fehl: wir haben eine exekutive Gewalt erhalten, die eine
bürgerlich-legislative Kammer voraussetzt, während die konstituirende Kammer fortbesteht und noch im Sinne des Nationals konstituirend zu Werke gehen will. Das ist ein Unglück für den National, aber
Herr Barrot kann nichts dafür, und nolens volens mußte er die Kammer aufzulösen suchen. Nun kommt aber der National und wirft der neuen exekutiven Gewalt und namentlich dem Herrn Barrot und Faucher
ihren Mangel an Liebe und Zuneigung zur Republik vor. Das ist ein ganz ungerechter Vorwurf. Was Barrot und Faucher und mit ihnen die ganze Bourgeoiswelt, welche sie vertreten, wollen, das ist vor
allen Dingen die „Wiederkehr der Geschäfte“, die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung, die Begründung eines Rechtsbodens, irgend eines Rechtsbodens, „des ersten besten
Rechtszustandes“, wie Herr Vincke sagen würde, aber eines stehenden und stabilen Rechtszustandes im Staate.
Zur Wiedereinführung dieses Rechtsbodens gehört natürlich auch die Wiedereinsetzung der alten Administration, der alten Corruption unter der republikanischen Verkappung. Die konsequente
Durchführung dieses Systems führt natürlich auf einen Hauptkorruptor, auf einen Hauptbourgeois, einen Hauptschurken, wie er sich in Louis Philipp herausstellte, und statt dessen treffen die
Hauptbiedermänner einen Hauptochsen an, einen Napoleon, mit dem sie gar nicht wissen, was sie anfangen sollen. So geht es mit allen Zweigen der Administration, die man gar nicht mehr zu besetzen weiß.
Man braucht Leute wie Duchatel und Cunin und Namen wie Napoleon oder höchstens Marrast. Bis zur heutigen Stunde hat Barrot noch keinen Generalsekretär finden können, weil er den Mann noch nicht
ermitteln kann, der mit dem Kopfe eines Duchatel's ein napoleonisch-republikanisches Gesicht hat. Daß unter solchen Umständen Leute wie Thiers, Molé und Fould mit ihrer spezifischen
Thätigkeit tag-täglich kühner und kecker auftreten, wer kann es ihnen verargen?
Hierzu eine Beilage.