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also, daß die Frage: ob Königthum ob nicht? mindestens von sekundärer Bedeutung und außerdem eine jetzt noch unzeitige Frage ist, für die zu agitiren unpolitisch wäre: würde kein wahrer
Republikaner daran gedacht haben, sie jetzt aufs Tapet zu bringen, wäre nicht Hrn. O'Connor's Brief veröffentlicht worden.
Ich stimme mit Hrn. O'Connor überein, daß es Thorheit wäre, die politischen und sozialen Folgen des Durchsetzens der Volkscharter voraussagen zu wollen. Allein ich werde auch diejenigen
keineswegs tadeln, welche den kürzesten Weg zur Durchführung der Charter darin erblicken, daß das Volk über den sozialen Werth jener Maßregel aufgeklärt werde. Die Ereignisse des letzten Jahres
haben mit Donnerstimme die Nothwendigkeit verkündet, den Massen, wenn irgend möglich vor Erlangung der politischen Macht, Aufklärung zu verschaffen. Die Schnitzer der provisorischen Regierung
und die Intriguen der Reichen würden nicht in Verbindung miteinander die glorreiche Februar-Revolution so sehr benachtheiligt haben, hätte das Volk hinreichende Einsicht besessen, um eine ehrenhafte
Nationalversammlung zu erwählen. Gleichwohl hat die französische Revolution von 1848 gute wie böse Früchte hervorgebracht. Es thut mir leid, daß Herr O'Connor die französische Konstitution als
einen „Sack voll Mondschein“ bezeichnet. Jene Konstitution ist mit allen ihren Fehlern — die weder gering an Zahl noch Wichtigkeit sind — immerhin unsere
„Charter“ und noch etwas mehr. Wenn er meint, daß die nächsten allgemeinen Wahlen in Frankreich keine bessere Nationalversammlung zu Stande bringen werden, als die jetzige: so theile ich
seine Vermuthung. Allein ich habe auch ebenso wenig die Zuversicht, daß bei uns die Bestimmungen der Charter in der ersten und selbst in der zweiten Wahl ein Unterhaus mit einer Majortät von
wirklichen Reformern zum Resultat haben würden. Allein wenn das Volk unter dem allgemeinen Stimmrecht sogar ein Parlament aus Peels und Cobdens, Russels und Sibthorps zusammensetzte, so wäre diese
Probe von Volkstollheit noch kein Grund, die Charter einen „Sack voll Mondschein“ zu nennen. Das bewiese nur, daß die Köpfe des Volkes statt mit Gehirn mit irgend einem unbegreiflichen
Surrogat an dessen Stelle angefüllt wären. Die Franzosen besitzen in Folge der Februar-Revolution das allgemeine Stimmrecht. Ihr Blut komme über ihre eignen Häupter, wenn sie unter ihrer
republikanischen Verfassung sich gleich Schaafen zur Schlachtbank treiben lassen, während es nur von ihnen abhängt, frei zu sein.
Herr O'Connor sagt ferner: „In Amerika giebt's eben so sehr Klassenunterschiede, nationales Leiden und Volksunzufriedenheit, als in irgend einer Monarchie der Welt.“ Ja
wohl, giebt's „Klassenunterschiede“, „Leiden“, und „Mißvergnügen“ in Amerika, aber sicher nicht so viel, nicht entfernt so viel, als in
vielen Monarchieen. Die Feinde der Charter gebrauchen das O'Connor'sche Argument gegen die Charter, wie er gegen die Republikaner. Ihr Geschrei ist: „Seht nach Amerika;
seht da die Resultate des allgemeinen Stimmrechts: Sklaverei, Klassenunterschiede etc.!“ Allein weder Chartismus noch Republikanismus können durch solche Argumente Schaden erleiden. Das
Vorhandensein der Sklaverei, Klassenunterschiede etc. beweisen nur die Ruchlosigkeit der Wenigen und die Unwissenheit der Masse und die Prinzipien ewiger Gerechtigkeit, die in der
Unabhängigkeitserklärung Amerikas aufgestellt wurden, bleiben nach wie vor wahr und herrlich.
Es sollte mir leid thun, die Agitation für die Charter auf die Erörterung und Rechtfertigung der „6 Punkte“ beschränkt zu sehen. Selbst wenn einer solchen Agitation die Durchsetzung
der Charter gelingen sollte: würde sie doch das Volk nicht gehörig vorbereiten, um die endlich erlangte Macht in gehöriger Art zu benutzen. Mehr noch: ich bin tief überzeugt, daß die Charter nicht
erlangt wird, ehe den Massen zum Verständniß gebracht ist, was sie Alles, einmal im Besitz der Charter, zur Verbesserung ihrer sozialen und politischen Lage durchzusetzen befähigt sein würden. Meiner
Ansicht nach ist die freie Erörterung aller sozialen und politischen Fragen welche die Aufmerksamkeit eines durch allgemeines Stimmrecht erwählten Parlaments beschäftigen sollten, das beste Mittel,
die Millionen zum Kampf für die Charter anzufeuern und zugleich das beste Mittel, sie zu einem weisen Gebrauch der zum Landesgesetz erhobenen Charter vorzubereiten.
Herr O'Connor sagt: Wenn ein Redner auf die Tribüne tritt und spricht: ich bin Republikaner, so mag er beklatscht werden: aber weder er noch seine Zuhörer verstehen die Bedeutung des
Ausdrucks.“ Wenn dies wahr ist, nun dann thut es um so mehr Noth, den Republikanismus zu erörtern, damit das Volk das Gute oder das Schlimme der republikanischen Regierungsform begreife. Ich
hege indeß den Glauben, daß die Chartisten jedenfalls besser über die Bedeutung des Wortes „Republik“ unterrichtet sind, als sich Herr O'Connor einbildet. Ja, ich wage zu
behaupten, daß sie in dieser Hinsicht sich zu Ansichten bekennen, die von denen Herrn O'Connor's bedeutend abweichen.
Herr O'Connor's Behauptung, daß Amerika niemals eine Monarchie war und dort den Republikanern keine Monarchisten gegenüberstanden, ist ein Irrthum. Amerika war ein Bestandtheil
der britischen Monarchie und im Anfang der Revolution gab's eine starke monarchische Partei. Zum Glück blieb sie in der Minorität und erlitt mit vollem Recht Konfiskation des Vermögens,
und Proscription wegen ihres feindlichen Auftretens gegen die Rechte und Freiheiten ihrer Landsleute. Und bis noch vor einigen Jahren hat das britische Parlament jährlich eine Summe zur Belohnung der
„amerikanischen Royalisten“ für ihre Opfer zu Gunsten der geheiligten britischen Monarchie votirt worden. ‥‥
Mögen doch die Bewunderer der Monarchie sich an die Metzeleien in Galizien erinnern; mögen sie ferner nachdenken über die höllischen Grausamkeiten, welche von den Oestreichern in der Lombardei
verübt worden; mögen sie sich die Erstürmung Wiens, das Bombardement von Prag, Krakau, Lemberg etc. ins Gedächtniß rufen und — last, not least — sich ein Bild von den jetzigen Vorgängen
in Ungarn auszumalen versuchen; mögen sie auf dieses im Blut gebadete, mit Feuer verwüstete und von allen kaum nennbaren Schrecknissen heimgesuchte Ungarn hinblicken: Alles dies von Schurken
bewirkt, die wiederum nur die Befehle eines noch schurkischeren Ungeheuers, eines Monarchen! eines Kaisers „von Gottes Gnaden“ vollstrecken!
(Unser Freund Harney hat bei dem Stoffreichthum die Heldenthaten „Meines herrlichen Kriegsheeres“ im Posenschen, in Schweidnitz, Liegnitz, Mainz, in Berlin, Potsdam, Spandau, Erfurt,
Minden, Münster, Düsseldorf, Koblenz u. s. w., u. s. w., und die gottbegnadeten Massacres der germanischen „Reichs-“Truppen an tausend Orten der 34 gesegneten Vaterländer völlig
übersehen!) ‥‥
Ich kann Hrn. O'Connor nicht beistimmen, wenn er sagt, daß es, selbst unter der Charter, eine Sache ohne Bedeutung sein würde, ob der Pabst, der Teufel oder der Prätendent auf dem Throne
säße. Ich glaube, der Teufel würde trotz seiner vielen Freunde doch keine seiner Herrschaft günstige Majorität erlangen. Und was den Pabst betrifft, so scheinen die Römer mit Herrn O'Connor in
Opposition zu sein. Es müßte ein schäbiges Volk sein, daß den von Rom fortgejagten Pabst zu seinem Könige annehme. Für meinen Theil hätte ich eben so wenig zum Prätendenten — wie Louis Napoleon
oder einem seiner Rivalen — irgend eine Lust. Hr. O'C. sagt: „Zwischen Monarchie und Republik würde auch nicht der mindeste Unterschied sein, vorausgesetzt, daß die Macht
hinter dem Throne größer sei als der Thron selbst.“ Wozu dann aber all jener „barbarische Glanz eines Thrones?“ Oder weshalb einen lebenslänglichen Präsidenten oder Einen
auf 4 Jahre? Hr. O'C. scheint nicht zu merken, daß seine Uebersetzung vom Republikanismus veraltet und aus der Mode gekommen. Vor 60 Jahren war sie vielleicht richtig; allein die wahren
Republikaner von heute — die Männer der Zukunft — verwerfen sowohl den Präsidenten wie den König und werden so wenig für den Einen wie für den Andern stimmen. Ein Hauptzweck der
Republikaner geht für die Zukunft dahin, das Volk vor Begehung eines solchen Schnitzers zu bewahren, wie sich die franz. Bauern im vor. Decbr. zu Schulden kommen ließen, als sie jenes Ding —
Louis Napoleon — auf den Präsidentenstuhl erhoben. Ist kein solcher Stuhl da, so steht auch keine schlechte Besetzung und eben so wenig eine Verwandlung desselben in einen Thron zu
befürchten.
Die Länge dieses Briefes nöthigt mich, zu dem O'Connor'schen Rathe an die Chartisten, ihre Haltung den andern Nationen gegenüber betreffend, blos ein Paar Worte als Kommentar
hinzuzufügen. Verstehe ich ihn recht, so ist die von ihm angerathene Haltung rein selbstsüchtiger Natur. Wenn es wahr ist, daß sich „kein Volk auf der Erdenwelt auch nur 3 Strohhalme um Euch
kümmert“: so mögt Ihr Euch selbst dafür bedanken. Ihr habt für Eure eigne Freiheit Nichts gethan, das eines Volkes würdig wäre, während andrerseits Eure Väter die willigen Komplicen und
Werkzeuge der Unterdrücker Europa's waren. Ihr selbst habt zwar die Thorheit Eurer Väter bedauert, aber keine herzliche Sympathie für Jene an den Tag gelegt, die um ihre Befreiung von dem Joch
der von englischem Gold und Militär unterstützten Festlands-Despoten ringen.
Wären Eure Väter auf die auswärtige Politik etwas aufmerksam gewesen, sie hätten weder ihr Blut vergossen, noch den Nachkommen eine ungeheure Schuldenlast aufgebürdet, lediglich um in Frankreich
(und damit im übrigen Europa) die Freiheit zu erwürgen. Beherzigt außerdem, daß Eure Herrscher dem O'Connor'schen Rath nicht folgen werden. Sie werden, um die Freunde der Freiheit
niederzuzwingen, entweder selbst interveniren oder Andre zur Intervention veranlassen. Unterlassen sie es, der Freiheit den Dolch ins Herz zu stoßen, so werden sie dieselbe wenigstens gleich Judas in
die Hände ihrer Feinde verrathen. Solltet Ihr „Euren Geist von der Betrachtung auswärtiger Fragen entwöhnen“ (wie Hr. O'Connor verlangt) und Eure Beherrscher ruhig im Bunde der
Festlands-Tyrannen zur Wiedereinschmiedung der Völker in die alten Sklavenketten wirken lassen: so wird Euch das Volk auf dem Kontinent mit Recht verantwortlich machen, Euch als Theilnehmer an den
Verbrechen Eurer Herrscher betrachten und die „Flüche des Hasses und zornige Verhöhnung“ werden den Namen des „Engländers“ durch die ganze Welt begleiten.
Es ist die Bemerkung gemacht, daß wer an den Feldern von Marathon stehend seinen Puls nicht rascher schlagen, sein Blut nicht heißer durch seine Adern strömen fühlt, als auf einem gewöhnlichen, vom
Blut der Freien und Braven nicht gerötheten Fleck Erde: daß ein solcher Mensch nicht zu beneiden ist. Noch weniger kann aber zu beneiden sein, wer die Kämpfe und Leiden der Zeitgenossen, jene Kämpfe
und Leiden für die Freiheit der Völker mit gleichgiltigem Auge betrachtet. Wenn ich ein Volk erblicke, das jahrhundertalte Fesseln bricht, sich durch Eine große gewaltige Anstrengung von fremder
Tyrannei und einheimischer Unterdrückung erlöst, das die Freiheit des Geistes und Körpers durch Abwerfung der Pfaffengewalt zusammt den von Königen geschmiedeten Fesseln erringt: wenn ich ein solches
Volk, obgleich von seinen Chefs verrathen, von seinen alten Bundesgenossen im Stich gelassen, dennoch fest entschlossen sehe, seine junge Freiheit auf jede Gefahr hin zu vertheidigen und wenn ich dann
meine Augen heimwärts richte: so vergehe ich in Erstaunen, so erröthe ich vor Schaam über die Apathie, Selbstsucht und sklavische Gesinnung meiner Landsleute, die weder die Tapferkeit besitzen den
Italienern nachzufolgen, noch den Edelmuth, ihnen zur Hülfe zu fliegen, noch selbst einen Wunsch für deren Sieg zum Himmel empor senden.
Herr O'Connor möchte Eure verderbliche Gleichgültigkeit gegen „auswärtige Fragen“ noch ermuntern, ich — möchte sie beseitigen. Ich sage Euch, jeder Schlag gegen die
Freiheiten Eines Volkes geschieht zu dem Zweck, die Freiheit aller übrigen zu Boden zu schlagen; daß „der Unterdrücker des Einen Volkes der erklärte Feind Aller“, daß die Menschen
aller Länder Brüder sind und „sich gegenseitig wie die Bürger eines und desselben Staates, Hülfe und Beistand leisten sollten.“
So Harney. Mit O'Connor's Angriff gegen die republikanische Parthei und mit Harney's obiger Erwiderung darauf, ist der Bruch zwischen O'Connor, dem chartistischen
Bourgeois und Kleinkrämer und den übrigen demokratisch-sozialen Chartistenchefs und deren zahlreichen Anhängern in der chartistischen Partei offen erklärt. Für die Sache der Demokratie kann diese
Scheidung nur erwünscht kommen.