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] Bourges, 8. März.
(Prozeß der Angeklagten des 15. Mai. Fortsetzung.)
Die für die Zeugen im Saale reservirten Plätze sind leer. Um 11 Uhr nehmen die Zeugen Platz in derselben Ordnung wie früher. Man bemerkt die Abwesenheit der Angeklagten Albert und Barbés.
Ein Huissier nimmt einige Augenblicke nachher, auf Befehl des Präsidenten, Akt auf von ihrer Weigerung, vor dem Gerichtshof zu erscheinen. Der vor den Richtern stehende Tisch ist bedeckt mit
angeblichen Ueberführungsstücken, Säbeln, Flinten, einem Degen, der Uniform und dem Helm eines Pompiers, Felleisen, Kisten, Fahnen und der Liste, worauf die Namen der provisorischen Regierung des 15.
Mai eingeschrieben sind. Um 11 1/2 Uhr wird die Sitzung eröffnet.
Der Präsident. Der Hof verordnet, daß die Angeklagten Albert und Barbés, deren Gegenwart bei den Debatten im Interesse der Justiz nothwendig ist, durch bewaffnete Gewalt zur Audienz
geführt werden. (Bewegung in verschiedenem Sinne. Einige Augenblicke nachher führen 4 Gensd'armen Albert und Barbés herein, sie unter die Arme fassend.)
Barbés. Da wir durch Gewalt hierhin geschleppt sind, haben wir nichts zu sagen. Betrachten Sie uns, als ob wir noch in unserem Gefängnisse säßen.
Blanqui. Ich protestire gegen die Art und Weise, wie man uns in diesem Augenblicke setzt; denn ich sehe keinen Grund, uns hier mit Gensd'armen zu umgeben. Außerdem hat man uns kein
Schreibmaterial gegeben, um Noten aufzunehmen.
Der Präsident befiehlt den Gensd'armen, sich zurückzuziehen und kündigt an, daß Maßregeln getroffen sind, damit die Angeklagten Noten aufnehmen können. Er fordert dann die Angeklagten auf,
die von ihnen angekündigten Bemerkungen gegen die Kompetenz des Gerichtshofes zu machen.
Courtais, Borme, Dègrè erklären, daß sie die Kompetenz des Gerichtshofes anerkennen.
Raspail. Wir sind seit langer Zeit unter der Last einer Preventivhaft; das Vergehen vom 15. Mai, wenn ein Vergehen stattgefunden hat, wurde öffentlich begangen, in Gegenwart vielleicht
selbst der Geschwornen, die hier gegenwärtig sind, in Gegenwart des öffentlichen Ministeriums selbst, welches uns heute anklagt. Um es zu bestimmen, zu erklären, zu konstatiren dies Vergehen, 15 Tage
reichten dazu hin und seit 10 Monaten sitzen wir ohne Unterbrechung in geheimer Haft. Nach 15 Tagen hatte der Untersuchungsrichter Bertrand seine Arbeit beendet; er hatte die Akten der Rathskammer
zugestellt; die Rathskammer entschied erst am 17. November, während sie sofort hätte entscheiden müssen. Nach der Entscheidung der Rathskammer hätte der Generalprokurator die Anklagekammer auffordern
müssen, in 5 Tagen zu entscheiden, er hat es nicht gethan. Die Akten wurden der Anklagekammer erst 1 1/2 Monat nach der Entscheidung der Rathskammer zugestellt. Woher diese ein wenig berechneten und
ein wenig vorbedachten Verzögerungen? Hatte man nicht sofort den Plan gefaßt, statt diese Angelegenheit den gewöhnlichen Geschwornengerichten zu überweisen, eine Spezialjurisdiktion zu schaffen, um
uns so sichrer zu schlagen? Man macht ein Gesetz, um ein Ausnahmegericht zu machen und durch dieses Gesetz hat die Nationalversammlung die Prinzipien der natürlichen Billigkeit, sie hat alle
angenommenen Ideen umgeworfen.
Kommen wir zur Frage der Rückwirkbarkeit der Gesetze. Die Nationalversammlung selbst hat anerkannt, daß prinzipiell die Rückwirkbarkeit nicht anwendbar sei. Die Errichtung der Haute-Cour sei aber
nur eine Formfrage. Die Anklagekammer, nachdem sie unsre Sache während 20 Tagen durchstudirt hatte, erklärte, wir seien nur eines Vergehens schuldig, worüber das Geschwornengericht der Seine zu
entscheiden habe. Einer unserer Kollegen besteigt die Tribüne und verlangt ein Ausnahmegericht für uns. Warum? Weil wir seine Feinde sind. Die Nationalversammlung entzog uns unsren ordentlichen
Richtern. Sie hat die Stelle der Justiz usurpirt. Die Haute-Cour existirte vor dem Verweisungsurtheil, die Anklagekammer konnte uns vor dieselbe verweisen, denn die Verbrechen, welche die Haute-Cour
zu richten hat, sind durch das Gesetz bestimmt. Statt dessen hat man uns vor die Seine-Geschwornen verwiesen; man hat uns unsern Richtern entzogen.
In Bezug auf die Prozedur habe ich weniges zu sagen. Man hat uns in Wagen hierher gebracht, wie man sie sonst kaum für wilde Thiere benutzt. Die Zellen derselben haben einen Metre Höhe und 50
Centimetre Breite. Es ist unmöglich, nicht drei oder viermal auf dem Wege darin zusammenzufallen. Keine Tortur ist uns erspart worden.
Ich recusire die Geschwornen nicht als Personen. Ich werde mir immer mit Vergnügen das Urtheil meiner Feinde gefallen lassen, aber hier vor Gericht halte ich es für illegal und verwerfe es. Ich,
der ich mein ganzes Leben lang nur für die Republik, niemals für mich gekämpft habe, der ich meine Armuth und die ehrliche Händearbeit um das tägliche, trockene Brod allen Staatsanerbietungen vorzog,
der ich dem Staat nie einen Sou gekostet und mein Streben nur der Verbesserung der arbeitenden Klassen zugewendet habe, ich brauche mich nicht zu scheuen und habe mich nie gescheut, meine intimsten
Gedanken auch meinen Feinden zu enthüllen.
Wenn ich mich geirrt habe, schlagen Sie zu auf dies graue Haupt. Ihre Verurtheilung wird mich nicht schänden können. Ich werde sie hinnehmen als ein Opfer auf dem Altar des Vaterlandes. Ich habe
nie an anderes, als an seine Verherrlichung gedacht.
Nach Raspail's Rede verlies't der Greffier den Antrag des Angeschuldigten, daß der Gerichtshof, in Erwägung, daß die Verweisung der Angeklagten vor die Haute-Cour eine
Verletzung aller Rechtsprinzipien und Vernunftgesetze sei, sich inkompetent erklären möge.
Präsident. Betheiligen sich die andern Angeklagten bei dem Antrag Raspail's?
Der Beistand von Flotte verlangt das Wort.
Advokat Adelon. Man hat mich zum Anwalt Flotte's ernannt; da derselbe hier einen Vertheidiger hat, verlange ich die Erlaubniß, mich zurückzzuziehen.
Präsident. Ein Beistand ist kein Advokat.
Der Beistand Flotte's ergänzt die Rede Raspail's. Er erklärt, daß die Generalräthe nicht zur Aburtheilung eines politischen Prozesses gewählt sein können, und daß es gerade die
versteckten Monarchisten sind, welche hier die besten Republikaner des Attentates gegen die Republik anklagen.
Blanqui. Ich will nur einige Worte über die Inkompetenz des Gerichtshofes sagen. Ich habe Sie nur an die Geschichte Ihrer Konstitution zu erinnern.
Die Nationalversammlung hat wohl erkannt, daß die Männer, welche am 15. Mai ihre Sitzung stürmten, Männer des Volks waren, Männer, welchen das Volk sein Vertrauen schenkt. Sie hat eingesehen, daß
die gewöhnliche Justiz keine hinreichenden Garantien für ihre Verurtheilung biete. Sie hat daher diese Männer von vorn herein als Schuldige in die Gefängnisse geworfen und dann hintendrein ein
zukünftiges exceptionelles Tribunal für sie geschaffen, ein Tribunal der ausnahmsweisen, sichern Verurtheilung. Ich hoffe, daß dies das erste und letzte solcher Willfährigkeitstribunale sein wird.
Präsident. Wir werden diesen Ton nicht weiter dulden.
Blanqui. Es liegt mir nichts daran, den Ausdruck meiner gerechten Gefühle zurückzunehmen.
Man hat uns gestern gesagt, daß eine aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangene Versammlung von Geschwornen Achtung zu verlangen habe. Nun wohlan! Wenn sie der wahre Ausdruck des Landes sein
sollen, so können sie uns nicht richten, denn sie sind nicht zu diesem Zweck gewählt worden. Die menschliche Gerechtigkeit verlangt, daß Jedermann nur durch Seines Gleichen gerichtet werde. Die
Generalräthe aber, wie ich die Ehre habe zu erklären, sind Alles andere nur nicht Meines Gleichen. Sie sind Prorietäre, reiche Bourgeois von vortrefflicher Einbildung, die gewählt sind, um über die
Interessen eines Kantons zu wachen. Und diese zur Wahrung vo[n] Partikularinteressen ernannten Menschen, wollen als ausdrückliche Bevollmächtigte drs Volks, welches nichts von ihnen weiß, uns
richten, uns Männer der Revolution und der Volksagitation? Meine Herren Generalräthe, Krämer, Advokaten, Banquiers, Sie sind gut zu Allem, und das ist der Beruf, den Sie hier erfüllen sollen. Das Volk
hat Sie nicht zu unsern Richtern gewählt, es hat sie vor der Konstitution gewählt, welche diesen Hof konstituirt. Wenn Sie als Vertreter des Volks hier richten wollen, nun, so holen Sie zuerst
seine Erlaubniß ein.
Es ist lächerlich, wenn der Generalprokurator die Generalräthe als wahre Repräsentanten des Landes proklamiren will. Hier auf dieser Bank sitzen drei gesetzlich erwählte Volksrepräsentanten, um von
den Generalräthen, den Männern der Bourgeoisfeigheit, gerichtet zu werden. Welche Volksjustiz!
Der Generalprokurator spricht darauf für die Kompetenz des Gerichtshofes und der Präsident giebt ein frivoles Resumé der Streitfrage.
Die Richter ziehen sich in das Berathungszimmer zurück und verkündigen nach einigen Augenblicken, daß die Inkompetenz-Einrede verworfen worden ist.
Schluß der Sitzung 4 1/2 Uhr. Morgen früh Sitzung um 10 Uhr.
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] Bourges, 9. März.
Die Angeklagten werden um 10 1/4 Uhr eingeführt. Barbes, Albert und Flotte fehlen. Der Polizeikommissair Lepreux von 6-7 Gensdarmen begleitet bringt die
beiden ersteren herbeigeschleppt. Flotte hat sich nackt in sein Bett gelegt und verweigert sich anzukleiden. Der Präsident giebt nach Art. 8 und 9 der „nicht abrogirten“ Septembergesetze
von 1835 der bewaffneten Gewalt Auftrag, Flotte anzukleiden und herbeizuschaffen. Flotte wird nach einigen Minuten von zwei Gensdarmen hereingetragen, der eine hält ihn am Kopf, der
andere bei den Beinen; nachdem sie ihn auf die Bank gesetzt nimmt man ihm die Mütze vom Kopf. Der Angeklagte ist bleich und außerordentlich erschöpft.
Flotte. Ich habe genug von eurer Ausnahme-Justiz.
Präsident. Sie haben das Wort nicht.
Flotte. Ich habe genug von eurer Ausnahme-Justiz.
Präsident. Schweigen Sie, Sie haben das Wort nicht.
Flotte. Ich verlange das Wort. Ich habe genug von eurer Ausnahme-Justiz.
Präsident. Wollen Sie schweigen?
Flotte. Und von der widerwärtigen Nähe eurer royalistischen Persönlichkeiten.
Präsident. Ruhe! Gerichtsvollzieher, rufen Sie die Zeugen auf. Bei dem Aufruf zeigt es sich, daß viele der Geladenen fehlen, darunter fast alle Volksrepräsentanten. In Betreff der Zeugen
Klein (Transportirter) und Recurt erlaubt sich der Generalprokurator die Entschuldigung, daß die Aussage des Ersteren von keinem Werth sei, und daß man den Letztern nicht finden könne.
Angeklagter Villain. Ich allein bin Richter über die Nützlichkeit meiner Schutzzeugen. Ich verlange daher noch einmal, daß der Transportirte Klein herbeigeschafft werde. Was Recurt betrifft,
so will ich Ihnen seine Adresse geben.
Thomas, Blanqui und Courtais bestehen ebenfalls auf Vorladung Recurt's. Der Präsident läßt die Zeugen abtreten, und will zum Verhör der Angeklagten schreiten.
Blanqui. Ich habe die Ehre, mich in Bezug auf Art. 319 der Crim.-Prozeß-Ordnung dem zu widersetzen, und verlange, daß den Angeklagten nur bei der Zeugenconfrontation Fragen vorgelegt werden. Das
Verhör der Angeklagten ist ein Attentat auf die Freiheit der Vertheidigung, eine Wiederbelebung der edlen Tortur-Prozeduren, welche bloß durch die Mattherzigkeit der Advokaten allmählig zur Gewohnheit
werden konnte. In England kennt man dies feige Verfahren nicht, denn eine Feigheit ist es, einen Angeklagten zur Erzählung seiner Vergehen zu zwingen, ihn auf eine moralische Folter zu spannen, von
der sich z. B. eine Frau nie siegreich erhoben hat. In England umgibt man die Angeklagten mit Rücksichten und Freiheiten, und läßt die Wahrheit nur aus den Aussagen der Zeugen erstehen. Ich verlange,
daß der Prevotalhof, vor dem wir stehen, das Beispiel Englands nachahme.
General-Prokurator Baroche ereifert sich wüthend gegen den Ausdruck Prevotalhof und besteht auf dem Verhör.
Die Richter ziehen sich zurück und erklären nach einer Berathung von fünf Minuten, daß die Einrede Blanqui's verworfen ist.
Präsident. Angeklagter Blanqui, es ist wahr, daß der Code den Präsidenten nicht zu der Formalität der Vernehmung verpflichtet, aber es ist Gewohnheit geworden, und die Gewohnheit ist für mich auch
eine Pflicht. Ich werde diese Formalität mit der Ihnen stets bewiesenen Unparteilichkeit erfüllen. [Gelächter im Publikum].
Blanqui. Ich werde nicht inkonsequent sein. Ich antworte Ihnen nicht.
Albert. Ich ebenso wenig.
Barbes. Ich erkenne Ihre Autorität gar nicht an.
Sobrier. Ich werde Ihnen keine Antwort geben.
Raspail. Um konsequent mit mir zu sein, ohne darum meine Mitangeklagten zu desavouiren, bin ich bereit zu antworten.
Die Sitzung dauert fort.