Französische Republik.
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] Paris, 9. März.
Oestreich hat durch seinen Gesandten Hr. v. Thom dem Minister Drouyn de Lhuys in Bezug auf Italien drei Noten überreichen lassen. In der ersten Note
rechtfertigt das Wiener Kabinet den Einfall in Ferrara ganz im Sinne des bekannten Artikels der Wiener Zeitung. In der zweiten Note spricht es sich für eine Intervention zu Gunsten des Pabstes aus;
doch möchte er diese Intervention zunächst von einer Armee der Mächte zweiten Ranges durchgesetzt wissen, welche das Korps des Generals Zucchi unterstützte (!). In der dritten Note vindizirt es dem
Hause Oestreich die Reversibilitätsthronfolge auf Toscana aus dem Vertrag von 1735.
— Bei Saint Maur [Pariser Bannmeile] arbeitet man an Errichtung kolossaler hölzerner Baraken, welche für Behausung der 2ten Brigade der Alpenarmee bestimmt sind, die Hr. Changarnier noch zur
Bewachung der rothen Republikaner nothwendig hält.
— Aus Bourges erhalten wir eben die Sitzung vom 8. März. Sie begann erst um 11 Uhr.
Präsident Berenger zeigte dem Gerichtshofe an, daß der Grund dieser Verspätung in dem Widerstande liege, den Barbes und Albert dem ferneren Beiwohnen der Verhandlung entgegengestellt hätten. Der
Gerichtshof habe in Folge dessen zu den Maßregeln seine Zuflucht nehmen müssen, welche ihm die (Thiers'sche) Gesetzgebung des Septembers 1835 an die Hand gebe. Anfänglich habe man die
vorgeschriebenen Aufforderungen an die Weigernden erlassen, dann aber seien die Gefangenen durch Gensd'armen transportirt worden. Die Genannten, Barbes und Albert, erschienen in der That
zwischen Gensd'armen, die sie an den Armen gefaßt hielten, im Saale. Den Verlauf der Verhandlungen, die sich bis 4 Uhr hinzogen und sich um reines Formwesen drehten, finden Sie in den eben
erschienenen Journalen vollständig. General Courtais, durch Bethmont wahrscheinlich bestimmt, erkannte die Kompetenz des Gerichtshofes an; Blanqui, Raspail, Flotte etc. bestritten dagegen die
Kompetenz desselben, weil sie ihm keine Retroaktivität zugestehen könnten u. s. w. Doch der Hof, von diesen Schwierigkeiten absehend, zog sich in seinen Berathungssaal zurück und redigirte dort der
Form halber eine Erklärung, durch die er seine Kompetenz aussprach. Morgen werden wohl die eigentlichen Verhandlungen vor sich gehen. Am Schlusse der Sitzung verlas der Präsident ein Schreiben
sämmtlicher Zeugen, worin dieselben höhere Taggelder beanspruchen, als ihnen das Gerichtsreglement vom Jahre 1811 zugesteht. Es sei ihnen [sagen sie] unmöglich, bei der jetzigen Theuerung der
Lebensweise in Bourges mit dem bisherigen Lohne auszukommen. Aus den umliegenden Städten hört man, daß sich ganze Schwärme von Agenten aus der Rue de Jerusalem, gleich Heuschrecken, in ihnen
niederlassen, um die Sicherheit der Gegend zu überwachen. *)
Nationalversammlung. Sitzung vom 8. März. Anfang 1 1/4 Uhr. Präsident Marrast. Das Protokoll wird verlesen.
Gent nimmt das Wort, um die Versammlung an die gestrigen Schlussscenen zu erinnern. Man diskutirte, wie Sie wissen, das Wahl-Recht der Land- und Seearmee im Felde. Ein Glied (Ducoux) hatte den
Antrag gestellt, der Armee dieses Recht zu wahren und sie dessen namentlich nicht in einem Augenblick zu berauben, wo man ihre Pflicht doppelt in Anspruch nehme. Ich sah die Eile, mit welcher Marrast
auf Abstimmung durch Aufstehen und Sitzenbleiben drängte und trug bei der Wichtigkeit der Sache auf Abstimmung durch Stimmzettel an. Statt meinem Antrag zu willfahren, hob Marrast die Sitzung auf.
Dieses Verfahren ist unwürdig. Ich protestire dagegen und verlange die Einrückung der Protestation in das Protokoll. (Unterstützt! zur Linken.)
Marrast erwidert, daß sich die Sache nicht ganz so zugetragen, daß das Votum bereits begonnen hatte und daß man inmitten des Aufstehens nicht Stimmzettelvotum reklamiren dürfe. Uebrigens könne man
wohl Rektifikationen, aber keine Protestationen ins Protokoll aufnehmhn. (Beifall rechts.)
Gent beantragt daß man dann seine Protestation in Form einer Rektifikation ins Protokoll aufnehme. (Zur Tagesordnung! Zur Tagesordnung!)
Marechal, Gent und Ducoux streiten sich noch eine Weile und dann geht die Versammlung zur Tagesordnung über.
An der Tagesordnung stehen in erster Linie die Buvignierschen Interpellationen wegen Italien. (Aufmerksamzeit.)
Buvignier: Große Militärbewegungen finden in Deutschland und Italien statt. Gegen wen sind sie gerichtet? Sie gehen von den sogenannten Nordmächten aus und sind angeblich gegen Italien gerichtet;
doch bald werden sie sich gegen die französische Republik wenden. Italien ist nur der Vorposten im Plan dieser Coalition der Könige. Sie fühlten dieß so gut, daß Sie am 24. Mai die Befreiung Italiens
und einen Bruderbund mit dem deutschen Volke aussprachen. Im Vertrauen auf die Ehrlichkeit dieser Erklärung erhob sich Italien wie wir, aber die Fürsten haben sich gegen dasselbe verbündet und es
droht in diesem Augenblick zu unterliegen. Welches ist das Interesse Frankreichs? Was verordnet ihm seine Ehre? Italien zu Hülfe zu eilen! Jedes Herz theilt diese Ansicht im Volke! Aber man sucht es
durch allerlei falsche Vorstellungen abzuwenden. Man vergleicht 1849 mit 1762 und sieht nicht einmal wie irrthümlich das ist. 1792 stand die Republik selbst in Frage, man machte von allen Seiten her
der republikanischen Regierungsform selbst den Krieg und sagte, die Republik sei dem Lande nur von einer Faktion aufgedrungen, sie läge nicht im Wunsche des Volks u. s. w. Ich behaupte nicht, daß man
heute eine ähnliche Sprache führe (Gelächter), aber es ist für Niemand ein Geheimniß, daß die Feinde der Republik ihre Masken abgeworfen haben und das Königthum wieder zu verjüngen suchen (et
cherehent à rajeunir la Royauté), daß sie eine Coalition der Höfe zu bilden suchen (stürmische Unterbrechung zur Rechten, doch die Enthüllung dieser Umtriebe gehört nicht hieher. Ich
will vielmehr prüfen, ob das Ministerium durch seine Handlungen nach Außen jene Coalitionspläne nicht bestätigt. Nach dieser Einleitung hält der Redner eine Heerschau der Ereignisse in Italien. Die
Oestreicher stürzen nach Ferrara … Hat das Gouvernement protestirt? Nein! Es mußte energisch protestiren und durfte nicht die Vermuthung gegen sich aufsteigen lassen, daß es jemals auf die
Verträge von 1815 hin unterhandeln würde. Diese Verträge können weder der That noch dem Rechte nach bestehn. Die Nationalversammlung hat sich am 24. Mai von ihnen losgesagt, freilich waren wir damals
noch nicht in Republikaner und Royalisten gespalten (Lärm). Seither machte die Vollziehungsgewalt Rückschritte. Mein Antrag geht daher dahin: die Erklärung vom 24. Mai feierlich zu wiederholen.
Eine Stimme rechts: Das sind keine Interpellationen.
Drouyn de Lhuys: Wir vermutheten Interpellationen; statt dessen beantragt man von Ihnen eine Erneuerung der Beschlüsse vom 24. Mai v. J., bezüglich Italiens und Deutschlands. Wir sind jenen
Beschlüssen treu geblieben. (Lärm zur Linken.) Wie soll man jene Beschlüsse deuten? (Lärm.) Ein Theil der Versammlung scheint unter ihnen Krieg mit allen seinen Gefahren und Gräueln zu verstehen, Es
ist an der Nationalversammlung, darüber zu entscheiden, wie diese Beschlüsse zu verstehen. (Beifall zur Rechten.)
Rechts Stimmen: Zur Abstimmung! Zur Abstimmung!
Ledru-Rollin: Man sagte Ihnen so eben, daß es überflüssig die Erklärung vom 24. Mai zu wiederholen, daß man ihr treu geblieben sei. In der Hauptsache will man aber nicht antworten. Erlauben Sie
mir, da das Ministerium nicht antworten will, daß ich für dasselbe antworte. (Hohngelächter zur Linken, Murren rechts.) Ja, ich werde für das Ministerium antworten, denn eben diese Antwort bildet die
Hauptsache. Das Ministerium hüllt sich in Stillschweigen und sagt Ihnen, daß es Ihrem Dekrete gemäß handele. Ich aber sage Ihnen, daß es demselben gerade entgegengesetzt handelt. (Lärm.) Euer Benehmen
(zu den Ministern gewendet) ist unwürdig. Wie habt Ihr die römischen Gesandten empfangen? Kaum daß ihr ihnen die Thüre öffnet. Haltet Ihr so unsere Beschlüsse? Nennt Ihr das jene Dekrete erfüllen? Wie
hat sich Eure Rolle geändert. Einst bestieg derselbe Mann, den ich hier als Conseilpräsident sitzen sehe, die Bühne in einer andern Kammer, um für dieselben Grundsätze zu kämp[f]en, für welche ich
hier stehe und für welche er jene Gesandten fast zurückstößt. (Sensation. Der Redner liest eine Barrot'sche Rede von 1831 vor, die der Letztere damals gegen Casimir Perier hielt. Dieser Vortrag
wird durch Hohngelächter links häufig unterbrochen.) Ich wiederhole, sagt er schließlich, daß Euer Betragen schändlich ist. Der Redner beleuchtet dann die ganze Handlungsweise der provisorischen
Regierung und sucht sie zu rechtfertigen. Die jetzige Regierung sei davon abgewichen, sie sei dem Dekrete vom 24. Mai untreu. Aber, schließt er, sie ist auch der Wahl vom 10. Dezember untreu geworden,
denn die Bauern stimmtin in Masse für Bonaparte aus Gedächtniß an den Ruhm des großen Napoleon. Endlich beleuchtet er die weltliche Stellung des Pabstes und hält sie für die katholische Religion für
unnütz. (Pause.)
Lamartine unterläßt natürlich nicht so oft von der provisorischen Regierung die Rede ist, das Wort zu ergreifen. Er ermüdet die Versammlung fast drei virtel Stunde.
Cavaignac benutzt die Gelegenheit um zu erklären, daß er die Angelegenheiten Italiens im besten Zustande seinem Nachfolger im Amte übergeben.
Der Vorredner, fährt der Exdiktator fort, hat auf den Unterschied hingewiesen, welcher zwischen seiner Politik und der von mir befolgten herrsche. Er hat sich ausgedrückt, daß zwischen der Politik
der provisorischen Regierung und derjenigen der Exekutiv-Commission die ganze Alpendicke lüge. Ich bin von der Linie des Manifestes nicht abgewichen. Ich bin bereit, auf dieser Bühne über jede
einzelne Thatsache meiner Staatsverwaltung zu antworten.
Lamartine stößt wiederholt jede Solidarität mit der Politik des Exdiktators und seines Ministeriums zurück.
Emanuel Arago: Im Laufe der Debatte wurde auch der republikanischen Bewegung im nahen Savoyen (Chambery etc.) erwähnt und mir die Urheberschaft dieser Schilderhebung unterschoben. Ich that im
Gegentheile Alles, um diese Bewegung zu hindern (Ah! Ah!)
Sarrans le jene zeigt sich auf der Bühne. Die ganze Rechte: Zur Abstimmung! Zur Abstimmung! Die Linke: Nein! Nein! (Tumult.)
Die Sitzung wird auf eine viertel Stunde suspendirt.
Sarrans eröffnet die Debatte wieder und stellt an das Ministerium die Frage: Was es unter den gegenwärtigen Umständen zu thun gedenke?
Drouyn de Lhuys erwidert, daß er von der National-Versammlung dieselbe Gunst erbitte wie der General Cavaignac, nämlich in diplomatischen Dingen den strengsten Vorbehalt zu beobachten und das volle
Vertrauen der Versammlung zu genießen. (Zur Abstimmung! Zur Abstimmung!)
Stimmen Rechts. Einfache Tagesordnung!
Stimmen Links: Nein! Abstimmung durch Zettel!
Die einfache Tagesordnung wird mit 438 gegen 341 Stimmen entschieden.
Dufaure stattet im Namen des Finanz-Ausschusses seinen Bericht über den Antrag auf Bewilligung der beiden Budg[e]traten pro April und Mai ab. Der Ausschuß bewilligt die Dringlichkeit.
Die Debatte wird auf Montag verschoben. Die Versammlung geht um 6 1/4 Uhr auseinander.
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12
] Paris, 8. März.
Wir haben endlich den Anklageakt gegen die Beschuldigten vom 15. Mai vor uns. Es sind ihrer zwanzig, die sich im Anklageakt folgendermaßen verzeichnet
finden:
1) Blanqui (Louis Auguste), 42 Jahre alt, Schriftsteller, geboren zu Nizza (Sardinien), und wohnhaft in Paris, Rue Boucher Nr. 1.
2) Flotte (Benjamin), 34 Jahre alt, Koch, geboren zu Cuers (Var), wohnhaft in Paris, Rue Boucher Nr. 1.
3) Martin (Alexander), genannt Albert, 33 Jahre alt, Volksrepräsentant, geboren zu Burg (Oise), wohnhaft in Paris, Rue du Helder, im Hotel gleichen Namens.
4) Blanc (Jean Joseph Louis), 34 Jahre alt, Volksrepräsentant, wohnhaft in Paris, Rue d'Enfer Nr. 51, abwesend.
5) Barbés (Armand), 38 Jahre alt, Volksrepräsentant, wohnhaft in Paris, Rue Vivienne Nr. 59.
6) Sobrier (Joseph Marie), 37 Jahre alt, Rentner, geboren zu Lyon, wohnhaft in Paris, Rue Rivoli Nr. 16.
7) Seigneuret (Joseph Hippolyte), 29 Jahre alt, Advokat, geboren zu Fontainebleau, abwesend.
8) Houneau (Joachim), 24 Jahre alt, Publizist, geboren zu Paris, abwesend.
9) Hubert, früher wohnhaft in Paris, abwesend.
10) Raspail, 54 Jahre alt, Chemiker, Publizist und Volksrepräsentant, geboren zu Capentras (Vaucluse), wohnhaft in Montrouge, Rue de la Tombes-Issoire Nr. 55.
11) Laviron, Artillerie-Kapitän der Nationalgarde von Paris, wohnhaft daselbst, Rue Hautefeuille Nr. 30, abwesend.
12) Quentin (Auguste François), 49 Jahre alt, Eigenthümer, geboren zu Angers, wohnhaft in Paris, Rue de la Chaussed'Antin Nr. 38.
13) Degré (Paul), der Pompier genannt, 36 Jahre alt, Maler, geboren zu Paris, wohnhaft in Montargis.
14) Chanal (Napoleon), Ex-Kommissär der provisorischen Regierung, abwesend.
15) Larger (Xavier Viktor), 33 Jahre alt, Mechaniker, Ex-Chef der Nationalgarde von Passy, geboren zu Soultz (Haut-Rhin), wohnhaft in Passy, Rue Montagne Nr. 23.
16) Borme (Daniel), 27 Jahre alt, Chemiker.
17) Thomas (Louis Jules Ferdinand), 31 Jahre alt, Pharmazeut, geboren zu Antony, wohnhaft in Vaugirard, Rue Blomet Nr. 1.
18) Courtais (Gaspard Henry), 57 Jahre alt, Volksrepräsentant, Ex-Kommandant der Nationalgarde von Paris, wohnhaft daselbst, Rue Choiseul Nr. 8.
19) Caussidière (Marc-Louis), 39 Jahre alt, Volksrepräsentant, wohnhaft zu Paris, Rue Constante Nr. 26, abwesend.
20) Villain, früher wohnhaft in Paris, abwesend.
Der Anklageakt beginnt damit, weitläufig darzuthun, daß die Nationalversammlung, die am 4. Mai zusammentrat, und „mit Akklamation die Republik proklamirte“, eine „rechtmäßig
konstituirte Gewalt“ war. „Ihre ersten Akte, heißt es, bewiesen ihr sehnliches Streben, eine honette und vernünftige Republik zu organisiren. Aber kaum hatten ihre Arbeiten begonnen, als
am 15. Mai ein gehässiges Attentat gerichtet ward gegen die Nationalversammlung, gegen die Regierung der Republik, welche aus 10 Millionen Stimmen hervorgegangen.“ Es folgt sodann ein Lob auf
die Nationalversammlung, auf ihre Festigkeit, die diesem Attentate widerstanden, und sodann wird das Attentat selbst in Verbindung gesetzt mit dem 17. März und dem 16. April. Es fehlte weiter nichts,
als den 24. Februar noch hinzuzusetzen, und wir würden sehen, daß dieselbe Masse, welche am 15. Mai nach der Versammlung zog, um sie zu einem allgemeinen sozialen Krieg gegen die koalisirten Bourgeois
aller Nationen, gegen die damals noch „schlummernden Windischgrätz und Jelachich“ zu bewegen, keine andre war, als die Masse der Februarrevolution selbst, wie sie sich am 17. März
zeigte, und am 16. April. Die Sieger im Februar waren damals noch zusammen; bei der geringsten Zuckung, welche die Bourgeoisie machte, trat die Masse zum Vorschein und zeigte sich in ihrer ganzen
Macht. Aber die Bourgeoisie hatte bereits durch ihre stille Macht, durch die Macht des Kapitals und der Metalliques, durch die Macht der Hypotheken und der Rente, en détail wieder erobert, was
sie en gros verloren hatte. Sie verübten durch ihre Gerichtsvollzieher und Gerichtsvollstrecker im Namen der Republik dieselbe Gewalt, welche sie früher im Namen des Königs verübte. Es handelte sich
nur noch, diese Macht zu konsolidiren, und dazu war es vor allen Dingen nöthig, mit den ausländischen Staaten im freundschaftlichen Verhältnisse zu bleiben. Der 15. Mai war der Tag, wo die Polenfrage
debattirt wurde, und in allen Klubs, in allen Cafe's sprach man sich zu Gunsten der Polen aus. Die Franzosen fühlten, daß es sich vor allen Dingen um einen sozialen Krieg handelte, wenn die
Errungenschaften der Revolution gesichert werden sollten. Was sagt dagegen der Anklageakt? „Das Dekret der Nationalversammlung über die Bildung der exekutiven Kommission, sowie die
Zusammensetzung des damaligen Ministeriums, aus welchem Louis Blanc und Albert ausgeschlossen waren; ein anderes Dekret, nach welchem es den Bürgern verboten war, Petitionen persönlich in die
Nationalversammlung zu bringen — führten eine feindselige Manifestation gegen die Nationalversammlung herbei, unter dem Vorwande einer Petition zu Gunsten Polens.“ Der Anklageakt geht
sodann auf die Vorbereitungen über, welche zum 15. Mai in den Klubs getroffen wurden. Im Ganzen sollte die Manifestation eine friedliche sein; man sollte hinziehen zur Nationalversammlung unbewaffnet;
dabei wird im Anklageakt insinuirt, daß man heimlich Waffen bei sich zu führen übereingekommen war. Der Zug ging von dem Platze der Bastille aus. „Aufrührerische Reden haben die Köpfe
erhitzt.“ Man weiß, daß nach der Februar-Revolution bis zum 15. Mai es keine aufrührerischen Reden gab; das Wort aufrührerisch war gänzlich unbekannt; und es wurde blos angewandt gegen
Royalisten. „Gegen Mittag kam der Zug auf dem Place de la Madeleine an, wo er dem General Courtais begegnete, der mit dem Kommando über die zur Beschützung der Nationalversammlung aufgestellten
Truppen beauftragt war. Nach einigen gegenseitig gegebenen Erklärungen versprach der General, daß eine Deputation der Delegirten die Petition der Nationalversammlung überreichen, und daß die Kolonne
weiter über die Brücke de la Concorde und den Quai d'Orsai defiliren sollte. Dieses Versprechen wurde weder von dem Präsidenten der Nationalversammlung, noch von Lamartine ratifizirt,
ungeachtet aller Versuche von Seiten des Generals. Indessen war die Kolonne nahe bei der Obeliske angekommen. Der Ruf: Vorwärts! Vorwärts! ertönte aus den Reihen des Klubs von Blanqui. Man befand sich
eben an der Brücke der Concordia; der Zugang war nur von einer schwachen Abtheilung besetzt. Der General ließ die National- und die Mobilgarde auf das Trottoir sich zurückziehen, mit dem Rufe: Laßt
das Volk passiren. Die Volksmasse stand bald vor dem Gitter der Nationalkammer, wo sie einen Augenblick angehalten ward von der Garde außerhalb und innerhalb des Gitters. „Die Mobilgarde hat
ihre Waffen geladen, sie wird auf uns schießen,“ hieß es plötzlich. Da kehrten die Gardisten ihre Gewehre um, andere stießen den Ladstock in den Lauf des Gewehres, um zu zeigen, daß die Waffen
nicht geladen waren. Der General Courtais ließ das Gitter öffnen und erleichterte so den Zugang zu der Nationalkammer. Während dieser Zeit hatte die Volksmenge sich gegen den andern Eingang zu der
Kammer gerichtet. Die wenigen Nationalgardisten, die sich dort aufgestellt fanden, erhielten den Befehl, die Bajonette abzunehmen, und der General Courtais scheint nur deshalb sich oberhalb der Mauer
aufgepflanzt zu haben, um den Aufrührerischen die Hand zu reichen, damit sie desto leichter die Mauer übersteigen könnten. Das Hauptthor wird endlich geöffnet und in demselben Augenblicke war der
ganze Saal rein überschwemmt von einer wahren Menschenfluth!“
Der Anklageakt spricht sodann über die würdige Haltung der Deputirten. — Man weiß, daß das Gefühl der Furcht, das Gefühl der Schuld, das einzige Gefühl war, welches damals obwaltete. Die
Partei des National fühlte sowohl, daß sie sogar nichts mit dem aus der Februar-Revolution hervorgegangenen Siege gemein hatte, daß ein großer Theil der Deputirten dieser Partei sich zuerst aus dem
Saale flüchtete. Die Volksmasse, welche sowohl in als außer der Kammer stand, belief sich auf 200,000 Mann. Es waren wie gesagt, dieselben Männer, welche sich in der Februar-Revolution erhoben.
Mobilgardisten und ein großer Theil der National-Garde waren damals so sehr mit ihnen einverstanden, daß sie, wie der Anklageakt selbst zugesteht die Ladstöcke in die Gewehre stießen, um zu zeigen,
daß sie nicht geladen. Es waren nicht einige Mobilgardisten, es waren die Bataillone, die damals vor der Kammer aufgepflangt standen, und als der metallene Ton von unten aus dem Gewehre herausdrang,
und wie die Laute einer Harmonika in wiederholendem Geklingel sich fortpflanzte über die ungeheure Volksmenge, da wogte die Masse immer weiter, immer näher zu den Soldaten hin, die wie sie von
gleichem Kriegseifer entbrannt waren, ihre Waffen zu tragen gegen den Feind, im Ausland, während die Bourgeois-Kammer und der Bourgeois-National, durch Rothschild'sche Metalliques unterstützt,
sich festsetzen wollten innerhalb der französischen Republik an die Stelle Louis Philipps. Und waren die Männer, die an der Spitze des Zuges standen, nicht gerade diejenigen, durch welche die
Februar-Revolution vollbracht ward? Waren nicht einige von ihnen Mitglieder der provisorischen Regierung? Und waren sie nicht deßhalb in die provisorische Regierung zugezogen worden, um dem
siegreichen Proletariat die ihm am 24. Februar gemachten Versprechungen zu garantiren?
Der Anklageakt gibt zu, daß Raspail, welcher die Tribüne zuerst betrat, weiter nichts that, als daß er die Petition zu Gunsten der Polen verlas. Es herrschte in diesem Augenblicke eine
unbeschreibliche Wuth unter allen denen, die in die Kammer gedrungen, und diese Wuth theilte sich, wie ein elektrischer Schlag, dem ganzen Zuge mit. Die Kammer war zum Ersticken voll. Man sah es den
Leuten an, daß Raspail ihnen nicht genügte. Da bestieg Blanqui die Tribüne; er sprach von der Ausschließung Louis Blanc's und Albert's aus der Exekutiv-Kommission, er warf der Kammer die
Scenen von Rouen vor, sprach von dem allgemeinen Elende u. s. w. Das Volk schäumte; auch Blanqui genügte nicht. Es war so zu sagen in diesem Augenblicke keine Kammer mehr: Volk und Kammer waren Eins.
Während dieses innerhalb der Kammer vorging, werden Barbés, Louis Blanc und Albert gewaltsam in die Kammer gedrängt oder vielmehr getragen von der wogenden Menge; der Anklageakt läßt den Louis
Blank bei seinem Eintritt in die Kammer die Worte sagen: „Die Manifestation von heute ist keine von denen, die erschüttern, sondern die umstürzen.“ Ob Louis Blanc diese Worte gesagt hat,
bleibt dahingestellt; jedenfalls schildern sie richtig die Bedeutung der Manifestation. Die Wuth stieg immer mehr und mehr; Barbés besteigt die Tribüne, gesteht dem Volk das Recht der Petition
zu, und ladet es ein, sich zurückzuziehen. Vergebens! Der Drang von außen wird immer stärker; Hubert sprach sich in demselben Sinne aus. — Vergebens! Das unbefriedigte Volk streckt
racheschnaubend seine Hände nach den Deputirten aus; es wollte mit ihnen die Verhältnisse brechen, welche es ungeachtet seines Sieges noch festhielten in der Abhängigkeit des Kapitals; denn gerade der
Mangel an Geld wurde allgemein vorgeschoben, um die Polenfrage im Bourgeoissinne zu beantworten. Da besteigt Barbés abermals die Tribüne: er verlangt, daß eine Legion sofort nach Polen
abgeschickt und die Reichen mit einer Milliarde belastet würden. Er trägt darauf an, alle diejenigen für Vaterlandsverräther zu erklären, welche den Rappell schlagen ließen. Die Wuth des Volkes legte
sich auf der Stelle; man hörte ordentlich, wie die Leute aufathmeten. Durch diesen Vorschlag hat Barbés den Deputirten das Leben gerettet, und zugleich verhütet, daß Regimenter oder
Nationalgardisten, welche herbeieilen konnten, nicht in blutige Collision mit dem Volke geriethen.
Der Appel ertönte indessen gegen 2 Uhr, und wie es im Anklage-Akt heißt, auf Befehl von Garnier-Pages. „Als die Aufrührerischen, heißt es weiter, den Appel schlagen hörten, geriethen sie
sofort in Wuth gegen den General Courtais, der sie in die Deputirtenkammer eingeführt habe, um sie besser verrathen zu können. Hubert sagte: „Wir sind verrathen, und wir haben keine Zeit zu
verlieren. Auf der Stelle fertigt man die Listen an zur Bezeichnung der Mitglieder einer neuen provisorischen Regie
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rung. Die Namen, welche übrigens nicht übereinstimmen in den verschiedenen Listen, sind Louis Blanc, Barbes, Albert, Blanqui, Raspail, Hubert, Caussidière, Pierre Leroux, Cabet, Proudhon u. s.
w.“ Wie wir sehen, will der Anklage-Akt noch an ein Fortbestehen der alten Regierung glauben machen, und läßt daher die „Aufrührerischen“ ausrufen: Wir sind verrathen. Dies ist
aber so wenig der Fall gewesen, und das Volk war bereits seines Sieges so gewiß, daß es unmittelbar nach den Worten Barbes größtentheils auseinander ging; es war dies ungefähr um 3 Uhr und allgemein
hieß es damals in Paris: Jetzt müssen wir wieder von Neuem anfangen; die Hauptsache ist, daß wir andere Männer jetzt an die Regierung setzen wie früher. Das Volk, wie gesagt, ging in zerstreuten
Haufen nach dem Stadthause. Das Stadthaus gilt einmal für die offizielle Geburtsstätte jeder provisorischen Regierung. Hätte man in der Deputirtenkammer selbst die provisorische Regierung eingesetzt,
so war die Sache richtig. Es war dieses um so leichter, als die Kammer selbst sich schon als aufgelöst betrachtete und froh war, durch Barbes Vorschlag mit dem Leben davon gekommen zu sein. Hubert
konnte den Deputirten getrost sagen. „Ihr seid nichts mehr, geht nach Hause.“ Nach dem Anklage-Akt war es auch Hubert, der das Volk aufgefordert hat, sich nach dem Stadthause zu begeben.
Wie gewiß übrigens der Sieg war, geht aus derselben Stelle im Anklage-Akt hervor, wo es heißt, man sei in zwei verschiedenen Abtheilungen nach dem Stadthause gezogen, die eine Abtheilung, von Barbes
geführt, auf dem rechten Seine-Ufer, die andere, von Albert, auf dem linken. Soviel geht übrigens aus der ganzen Zusammenstellung hervor, daß die Kammer sowie die exekutive Kommission sich völlig
resignirt hatte, daß sie keinen Augenblick mehr dachte, ihre Stellung wieder einzunehmen. Daß sie aber ihre frühere Stellung wieder eingenommen, ist sicher nicht ihre Schuld.
Die fast ganz vergessene Nationalgarde zog auf das Stadthaus in spärlicher Masse, und da sich das Volk nur spärlich noch vorfand, so nahm sie auf Befehl Lamartine's und Ledrü-Rollin's
Besitz von demselben. Ueber Lamartine brauchen wir kein Wort zu verlieren; aber offenbar hat Ledrü-Rollin hier eine doppelte Rolle gespielt. Einerseits figurirte er in der von Albert und Barbes
unterzeichneten Liste; andrerseits wollte er sich seine Stelle als Mitglied der provisorischen Regierung offen halten. Wie dem aber auch sein mag, so lag es ebenfalls nicht in der Absicht von Barbes
und Blanc, daß die Bewegung so weit gehen sollte. Blanqui hatte allerdings gleich anfangs den Plan gefaßt, die Kammer zu sprengen auf jede mögliche Weise, selbst mit Hülfe der Gewalt. Die Polenfrage
war für Blanqui Nebensache; sie war bloß ein Vorwand. Als Abends vorher Barbes Kunde erhielt von den Plänen Blanqui's, wollte er sogar sich nicht betheiligen an dem Zuge, als er endlich seine
Zustimmung gab, geschah es bloß unter der Bedingung, daß man es blos bei der Petition und bei der Manifestation bewenden ließe. Die Bewegung ist, wie wir gesehn, ihm über den Kopf gewachsen; ohne es
zu wollen, sah er sie zu einer völligen Revolution heranwachsen; aber er glaubte sie damit beendet, womit Blanqui sie beginnen wollte: mit der Sprengung der Kammer. Und weil er sie eben ohne
Blutstropfen für beendet glaubte, kam Blanqui gar nicht zum Handeln.
Barbes war, was man im Französischen nennt, die lebendige bonne foi: er sah eine ungeheure Bewegung in eine blutige Collision umschlagen; er verhinderte letztere, indem er „moralisch“
eine Revolution vollbrachte, die Blanqui physisch beginnen wollte. Da das Ziel erreicht war, ohne die Mittel, die das Ziel befestigen konnten, so war Blanqui so zu sagen aus dem Felde geschlagen. Auch
figurirt er nicht in dem von dem Anklageakte veröffentlichten Dekrete Barbes und Albert's. Dieses Dekret lautete:
„Da das Volk die Nationalversammlung aufgelöst, so besteht keine andere Gewalt als die des Volkes selbst.“
„Da nun das Volk den Wunsch an den Tag gelegt hat, die Bürger Louis Blanc, Albert, Ledrü-Rollin, Barbes, Raspail, Pierre-Leroux und Thorè in der provisorischen Regierung zu sehn, so
werden dieselben als Mitglieder der Regierungs-Kommission ernannt.“
„Der Bürger Caussidière bleibt in den Funktionen des Polizei-Präfektes.“
„Die Nationalgarde e[r]hält den Befehl, sich in ihre Quartiere zurückzuziehen.“
Unterzeichnet: Barbes und Albert.
Der Anklageakt erzählt nun weiter die Verhaftung der verschiedenen Angeklagten, und die Scenen im Saale Molière, wo zwei Nationalgardisten getödtet wurden. Wie man aber weiß, waren es die
Nationalgardisten selbst, die in Folge eines Irrthums gegen einander schossen. Gegen Caussidière liegt nach dem Anklageakte selbst weiter nichts vor, als daß er alle Verbindung mit der
provisorischen Regierung abgebrochen, und sich mit seinen ihm blindlings ergebenen Montagnards in die Polizei-Präfektur, wie in eine Festung eingeschlossen habe.
Der Anklageakt geht hierauf zu den einzelnen Angeklagten über:
1) L. A. Blanqui. Als politisch Verurtheilter wurde er durch die Februar-Revolution aus dem Gefängniß befreit. Fast unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Paris suchte er Mittel auf, die
prov. Regierung zu stürzen. Unter dem Namen: „republikanische Central-Gesellschaft“ stiftete er einen Klub, dem er präsidirte. Die Redner dieser Gesellschaft schlugen die gewaltsamsten
Maßregeln vor, um den Triumph ihrer Lehren herbeizuführen. Die von der Justiz weggenommenen Sitzungsprotokolle liefern in dieser Hinsicht die unbestreitbarsten Beweise. Die Instruktion hat die
mehrmals von Blanqui entworfenen Pläne, sich des Stadthauses zu bemächtigen, aufgefunden. Am 17. März mischten sich zu diesem Zweck seine Agenten unter die Volksmassen, welche gegen die Manifestation
der Nationalgarde protestirten. Sie wurden am Eindringen ins Stadthaus verhindert, indem man nur die Delegirten zuließ.
Später, vor dem 16. April. sieht man Blanqui sich mit Offizieren der republikanischen Garde, in deren Reihen er Anhänger zählte, ins Einvernehmen setzen. Er verschafft sich durch Drevet,
Volksdelegirten, Eintritt ins Stadthaus, prüft die Lokalitäten und sucht den Unterlieutenant Derate zu bestimmen, daß er ihn zu einer festgesetzten Stunde mit seinen Leuten unter dem Anschein einer
rückkehrenden Patrouille frei passiren lasse. Diese Versuche blieben ohne Erfolg.
Die Veröffentlichung eines angeblich von Blanqui im Jahre 1839 verfaßten Dokuments in der „Revue retrospective“ störte den Angeklagten keineswegs in seinen Entschlüssen und trennte
ihn auch nicht von allen seinen Genossen. Er gab eine Antwort auf den Artikel in der „Revue retrospective“ und entwickelte nur noch größere Feindseligkeit und Ausdauer in seinem Kampfe
gegen die prov. Regierung. „Das ist jetzt,“ schrieb eine seiner Schwestern am 15. April, „für August eine Frage politischen Lebens oder Todes. Entweder siegt er und das Volk mit
ihm, oder seine Karriere ist zu Ende.“ Der 16. April gab Blanqui Gelegenheit zu einem neuen Versuch, die prov. Regierung zu stürzen. Ein große Zahl von Arbeitern war auf das Marsfeld berufen
worden, anscheinend um die Wahlen des Generalstabes der Nationalgarde vorzubereiten. Blanqui und seine Anhänger mischen sich unter die Versammelten und verbreiten das Gerücht, den Delegirten im
Luxembourg seien die Vollmachten genommen, L. Blanc sei ermordet und Ledru-Rollin todt.
So gelang es Blanqui, mit bedeutenden Massen gegen das Stadthaus vorzudringen. Man weiß, wie schnell die Nationalgarde zur Vertheidigung des letztern herbeieilte und Blanqui nöthigte, den Ausbruch
der Verschwörung noch einmal zu vertagen. Die Ereignisse in Rouen am 27. und 28. April lieferten Blanqui einen neuen Vorwand, den Saamen der Zwietracht auszustreuen und die Leidenschaften zu erregen.
In Plakaten nannte er jene Vorfälle die Metzeleien von Rouen, schilderte die dortigen Nationalgarden als Mörder und hieß sie Bourgeois-Garden. Mit Flinten bewaffnete Montagnards wurden von der
Polizeipräfektur geholt und vor Blanqui's Haus aufgestellt, um das Herabreißen der Plakate zu hindern.
Alle diese strafbaren Handlungen hatten die Aufmerksamkeit der Justiz in Anspruch genommen. Ende April wurde gegen Blanqui ein Vorführungsbefehl erlassen, jedoch seine Ausführung vertagt. Eine
Untersuchung hatte begonnen. Bald sollte sie mit der heute wegen des Attentats dem hohen Gerichtshofe übertragenen Prozedur zusammenfallen.
Der Gedanke dieses Attentats ist in der Sitzung des Blanquischen Klubs am 13. Mai frech entwickelt worden. Ein Mitglied verlangte, daß der Klub direkt der Nat.-Vers. eine Reihe von Anfragen
überreiche. „Wir werden, sagte er, an 40, 50 bis 100 Tausend Mann stark uns hinbegeben, und in ganz bestimmter Fassung die Frage vorlegen: Will die Versammlung oder will sie nicht? Wir werden
ein sofortiges Dekret verlangen und wenn sie's verweigert, so werden wir handeln.
Wir dürfen mit dieser Manifestation nicht zögern, wir müssen sie sofort, für die nächste Sitzung am Montage unternehmen.“ Blanqui stimmte dem bei, bemerkte aber, daß man den rechten
Augenblick wählen müsse. Das Volk begreife noch nicht den Kommunismus, es sei aber mit dem magischen Worte: Polen! hinzureißen. Schließlich behielt er sich vor, den passenden Moment zu jener
Manifestation anzuzeigen.
War es Blanqui unbekannt, daß bereits Tags vorher in einer von Huber, präsidirten Versammlung der 15. Mai zur Ausführung der Resolution bestimmt worden oder verstellte er sich?
Einer der Zeugen ist für letztere Ansicht. Gewiß ist, daß Blanqui bei Eröffnung der Klubsitzung am 14. Mai den Beschluß durchsetzt, daß die „republikanische Centralgesellschaft“ sich
den Korporationen anschließen werde, die eine Petition zu Gunsten Polens vor die Nat.-Vers. bringen sollen, daß sich aber der Klub nicht auf den Bastillenplatz, den allgemeinen Versammlungsort,
sondern abgesondert auf den Boulevard du Temple begeben und dann sich der vorbeiziehenden Kolonne einreihen werde. In der That schloß sich auch der Klub am 15. Mai gleich den ersten Reihen des Zuges
an und Blanqui nahm seinen Platz an der Spitze mit den Delegirten zusammen. (Ueber die Motive, welche Blanqui geleitet, führt der Anklageakt die Ansichten dreier Zeugen an; Ansichten statt
Thatsachen.)
Blanqui war unter den ersten, die in den Saal der National-Versammlung drangen. Einem Zeugen zufolge befand er sich mit Raspail an der Spitze der Deligirten, um deren Zulassung General Courtais
nachsuchte und die gegen 1 Uhr Mittags das Gitter gegenüber der Konkordienbrücke durchbrachen. Später freilich antwortete er im Sitzungssaale dem ihn befragenden Zeugen Sklower: „Es ist eine
friedliche Manifestation; wir kommen wegen Polen und um das Petitionsrecht festzustellen.“ Aber fast im nämlichen Augenblick äußerte Feuillàtre, einer von Blanqui's Freunden:
„Wir haben die wachthuende Nationalgarde entwaffnet und die Trommeln eingeschlagen, um sie am Schlagen des Rappells zu hindern: wir werden heute unsre Revanche nehmen, den Saal der
National-Versammlung besetzen, die Repräsentanten durch's Fenster werfen und die Augiasställe reinigen.“ Als der Saal voll von Eingedrungenen und die Petition von Raspail verlesen war,
besteigt Blanqui die Tribüne. Er verlangt ein sofortiges Dekret über die Anträge der Petition: er fordert im Namen des Volkes Gerechtigkeit wegen der Ereignisse in Rouen und ruft aus: Wenn es einen
Strafbaren gibt, so sind es nicht die Opfer, sondern die Anstifter der Metzelei. Er spricht dann von dem Elend des Volks und fordert die National-Versammlung auf, sich auf der Stelle mit den Mitteln
zu beschäftigen, um Tausenden von brodlosen Mitbürgern Arbeit zu verschaffen. „Seine Worte“, sagt ein als Zeuge vernommener Repräsentant, „waren keine Friedensworte, denn sie
waren geeignet, das Volk gegen die Reichen aufzureizen.“ Zum Schluß erklärt Blanqui, das Volk habe mit Schmerz gesehen, daß Männer, die es liebt, gleichsam systematisch von den Kreisen der
Regierung entfernt gehalten worden und dies habe das Vertrauen erschüttert. Der Zeuge Lebreton meint, daß, ohne Blanqui, der Sitzungssaal schon um 3 1/4 Uhr hätte geräumt werden können. Aber die von
ihm hervorgebrachte Aufregung führte bald zu den Szenen, während welcher Hubert die Auflösung der Versammlung auszusprechen wagte und Andre die Listen einer neuen Regierung vertheilten, auf denen auch
der Name Blanqui's figurirte. Mit einer dieser Listen verließ Blanqui, Einer der Letzten, den Saal mit den Worten: „Die Kammer ist aufgelöst; jetzt nach dem Stadthause!“ Der Zeuge
Schlinger erklärt, daß er ihn mit mehreren Personen in einen Saal des ersten Stocks im Stadthause eintreten gesehen. Zeuge Robequin ist weniger bestimmt; aber er glaubte ihn in einem Individuum zu
erkennen, das man am Halstuch gefaßt hatte. Endlich stand auf einigen Listen der neuen Regierung, die zu den Fenstern des Stadthauses herausgeworfen wurden, Blanqui's Name mit obenan. Man warf
auch rothe Karten heraus, die nichts anders waren, als Einlaßkarten für den Klub der „republikanischen Centralgesellschaft.“
Des Abends, als die „Ordnung“ gesiegt und Nationalgarde und Linientruppen unter dem Ruf: „Es lebe die National-Versammlung!“ die Straßen durchzogen, verloren
Blanqui's Anhänger noch immer nicht jede Hoffnung. Zwischen 7 und 8 Uhr Abends in ihrem gewöhnlichen Klubsaale unter Thouard's Vorsitz vereinigt, beschlossen sie, sich nach der
Polizei-Präfektur zu begeben. Einer der Montagnard's frug, ob mit oder ohne Waffen? Lacambel, der Vize-Präsident, antwortete: „Man wird's Euch sagen.“ Damit wurde die
Sitzung aufgehoben. Blanqui entging einige Tage lang den Nachforschungen der Polizei. Er wurde am 26. Mai in einem Hause, rue Montholon, wo er ein Asyl gefunden, verhaftet. Im Laufe der Untersuchung
verweigerte er jede Antwort. Seine Absicht ist, wie er sagt, sich nur in öffentlicher Sitzung über die ihm zur Last gelegten Anschuldigungen auszusprechen.
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068
] Bourges, 7. März. (Schluß.)
Blanqui. Bürger, man hat mir die gedruckten Aktenstücke mitgetheilt. Sie enthalten die Zeugenaussagen aus der Untersuchung. Mit Verwunderung aber
habe ich die wichtigsten zu unsern Gunsten gemachten Depositionen vermißt. Ja noch mehr, es wird darin auf Depositionen Bezug genommen, die theils ganz entgegengesetzten Inhalts sind, theils garnicht
existiren. Ich begnüge mich, diese Fälschung zu constatiren.
General-Prokurator Baroche erklärt, daß sein Gewissen ihm keinen Vorwurf mache. Man habe den Angeklagten oder ihren Advokaten alle Piecen mitgetheilt. Die öffentliche Meinung möge richten.
Raspail. Man hat weder uns noch unseren Advokaten die vollständigen Piecen mitgetheilt. Obwohl ich die Absicht hatte, keinen Advokaten zu nehmen, wollte ich durch einen Freund, einen Advokaten,
wenigstens Copie von den Piecen nehmen lassen. Man hat diesen Mann zu allerlei Reisen veranlaßt, ohne daß er etwas hätte erhalten können. Ja, noch mehr. In dem Anklageakt finden sich Polizeinoten
gegen mich, ohne daß man uns die Einsicht in die sämmtlichen Polizeilisten gestattet und die Möglichkeit einer Confrontation der Mouchards, der Enthüllung ihrer elenden Lügen geboten hätte. Man hat
uns vorher entwaffnet, vorher gerichtet.
Baroche. Weiß nichts von Polizeinoten.
Raspail. Was ich gesagt habe, ist wahr. Die Polizeinote ist sogar die einzige Anklage-Piece gegen mich, und man hat mir nicht gestattet, sie zu widerlegen.
Präsident. Der Zwischenfall ist erledigt. Ich werde den Anklageakt verlesen lassen.
Die Verlesung desselben (s. oben) dauert zwei Stunden.
Als der Greffier die Worte liest: „Der Angeklagte Barbes verlangt eine Steuer von einer Milliarde auf die Reichen. Man antwortet ihm: Nein, Barbes, du irrst dich, wir brauchen zwei Stunden
Plünderung!“ erheben sich stürmisch die sämmtlichen Angeklagten, und erklären diese Erzählung als die schamloseste Verläumdung.
Blanqui: Das ist des ganzen Aktes würdig!
Albert: Es ist eine Infamie!
Barbes: Kein französischer Bürger kann je so sprechen!
Sobrier: Diese elenden Lügen besudeln den Namen Frankreichs!
Raspail: Ich begreife nicht, wie der Bürger Barroche solche Infamien gegen das französische Volk verlesen lassen kann, welchem er seine Stelle verdankt.
Präsident: Ich fordere die Angeklagten auf, sich aller Unterbrechungen zu enthalten.
Barroche: Ich erwidere den Angeklagten, daß die angegriffenen Worte dem Moniteur entlehnt sind.
Barbes: Sie sind eine Lüge.
Raspail: Und eine amtliche Lüge! (Stürmischer Beifallsruf im Publikum).
Der Greffier fährt in der Verlesung fort. Als er die den Angeklagten Quentin betreffende Stelle beendigt, erhebt sich dieser mit dem Ruf: „Das ist die schmachvollste Lüge. die die Geschichte
besudelt.“
Der Angeklagte Borme unterbricht von Neuem die Verlesung bei Gelegenheit der Deposition Beaumonts. „Der Kommandant Beaumont, ruft er entrüstet, hat mich einen Mann aller Parteien genannt;
ich erkläre vor dem Gerichtshof und vor Ihnen, Bürger Geschworene, daß ich mit Leib und Seele nur der rothen Republik angehöre.“
Courtais. Ich protestire gegen einen Akt der Brutalität, den ein Gensdarme soeben an mir verübt. Ich verbitte mir, daß diese Menschen die Hand an mich legen.
Der Präsident will zum Zeugenverhör schreiten; Barbes verlangt das Wort, um seine Verweigerung jeder Vertheidigung zu begründen.
Barbés. Das Recht, mit welchem Ihr euch zu meinen Richtern aufwerft, ist das Recht der Gewalt. Wenn die Männer, welche am 15. Mai in das Hotel de Ville zogen, Sieger geblieben wären, Ihr
würdet Euch heute vor ihrer Regierung beugen, wie ihr euch vor der des 24. Februar gebeugt habt. Mit dem Recht der Gewalt, nur nach dem Recht der Gewalt sitzt ihr hier als Richter über uns. Ihr
verurtheilt uns vor einem Ausnahmgericht, denn man hat euch allein aus den Feinden unserer Prinzipien gewählt. Ihr sitzt hier wie die Heiden saßen, welche Christus verdammten. Welches Wonnegefühl für
euch, die Sozialisten zu erwürgen! Unter euch und uns giebt es nur einen Krieg auf Leben und Tod, ja, nur auf Leben und Tod. Wir, wir wollen euch zu Boden schlagen, um die Wohlfahrt des leidenden
Volks zu ermöglichen, um Frankreich glücklich zu machen, Frankreich und selbst Sie, meine Herren Geschwornen. Sie aber, Sie wollen uns in den Gefängnissen vermodern lassen, oder uns, kürzer noch, die
Köpfe abschlagen. (Aufregung im Publikum.)
Präsident. Angeklagter, Sie werden in dieser Weise nicht weiter fortfahren.
Barbes. Ich habe keine persönliche Beleidigungen ausgesprochen, ich erkläre lediglich das historische Verhältniß zwischen Ihnen und uns.
Ein Geschworner. Wir wollen dergleichen Erklärungen nicht hören! (Murren im Auditorium.)
Angeklagter Flotte. Es ist den Geschworenen verboten, während der Sitzung ihre Meinung zu äußern.
Der Geschworene. Ich bin bereit sie zu wiederholen. (Ausbruch der Entrüstung im Auditorium.)
Baroche. Es ist unmöglich, länger eine solche Sprache zu dulden. Die Geschworenen sind hier auf Grund eines Dekrets, welches die Nationalversammlung erlassen hat.
Angeklagter Albert. Drei Monate nach dem 15. Mai, drei Monate nach unserer Verhaftung.
Barbes. Alles was ich sagen wollte ist, daß ihr mich morden aber nicht richten könnt. Wenn der edle Herr Baroche erklärt, daß wir nicht nach dem Recht der rohen Gewalt hier stehen, so frage ich
ihn, ob wir wohl hier sein würden, wenn die Männer des 15. Mai Sieger geblieben wären?
Präsident. Ich entziehe Ihnen das Wort.
Albert. Ich nehme die ausgesprochenen Erklärungen meines Freundes Barbes auch als die meinigen an.
Barbes. Wenn man mich nicht sprechen lassen will, verlasse ich die Sitzung, und werde mich nur mit Gewalt zurückbringen lassen.
Präsident. Aeußern Sie sich mit Achtung vor den Richtern und Geschworenen.
Barbes. Ich begreife Ihren Haß und Ihre Wuth gegen uns, aber auch wir haben noch Zukunft! (Tumult unter den Geschwornen.)
Advokat Boinvilliers. Nach den Erklärungen der Angeklagten Albert und Barbes muß ich die Erlaubniß verlangen, mich zurückzuziehen.
Generalprokurator Baroche widersetzt sich diesem Verlangen.
Martin Bernard. Ich verlange das Wort.
Baroche. Hr. Bernard ist bloß Rechtsbeistand; ich widersetze mich allen Erklärungen von seiner Seite.
Barbes. Diese Freiheit der Vertheidigung ist des gegenwärtigen Tribunals wie der honetten Republik vollständig würdig.
Martin Bernard. Ich verlange als Volks-Repräsentant das Wort.
Präsident Berenger. Ich gebe es Ihnen nicht.
Angeklagter Raspail. Erlauben Sie mir einige Worte ruhiger Verständigung.
Präsident Berenger. Wir haben dergleichen nicht nöthig. (Nous n'avons pas besoin de cela.)
Raspail. Wir sind hier vor unsern Mitbürgern; wir können verschiedene Meinungen haben, aber ich glaube, daß keiner von uns diejenigen, welche man unsere Richter nennt, beleidigen will. Ich
wünschte, daß der Hr. Generalprokurator selbst ein Beispiel der Mäßigung gäbe.
Baroche. Ich weise diese Ermahnung zurück.
Barbes. Es ist vernommen und constatirt worden, daß ich nur durch die Gewalt hier in diesem Saal zurückgehalten werde.
Präsident. Es wird im Protokoll vermerkt werden.
Nach Namensaufruf der Zeugen, welche meistens antworten, wird die Sitzung um 6 1/4 Uhr aufgehoben.
Morgen früh um 10 Uhr Wiedereröffnung.
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