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@facs | 1315 |
Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit.
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@type | jArticle |
@facs | 1315 |
Zufällig war ich neulich in Babylon, d. h. in London. Die Themse rauschte an meinem Fenster vorüber. Bridgehouse Hotel liegt nemlich unmittelbar am Wasser und man sieht den Fluß hinauf und
hinab und wenn die Dampfboote unter der Londoner Brücke herfahren, da neigen sie mit einem Male Schlot und Mast, wie zu einer zierlichen Verbeugung, die höflichen Dampfboote, und rasch fliegen sie an
Dir vorüber.
Als ich aber sämmtlichen Dampfbooten, Kuttern, Fregatten, und ähnlichen untergeordneten Fahrzeugen während einer halben Stunde Gelegenheit gegeben hatte, sich ganz ergebenst vor mir zu verbeugen,
und als nun der Abend heran kam und die letzten Strahlen der sinkenden Sonne mit dem immer finstrer hereinbrechenden Nebel jenen lustigen Wolkenkampf begannen, in dem sich alle Boxereien und
Keilereien des lieben platten Landes wiederzuspiegeln scheinen, ‒ als links die Thürme der Westminster Abtei in bläulicher Ferne schamröthlich abendlich emporglühten und rechts, der alte
schreckliche Tower, wie ein versteinerter Seufzer zum letzten Male aus dem Schattenmantel der Nacht hervorschaute, ja, und als endlich gerade gegenüber in der Kuppel der St. Pauls Kirche, die großen
Episcopalglocken ihr Abendlied begonnen: Da rührte ich immer langsamer mit meinem Theelöffel in dem großen Glase Grog, das vor mir auf dem Tische stand, und meine Augen sanken und mein Kopf fiel auf
die Brust und ich schlief ein und träumte den folgenden, entsetzlichen Traum.
Es träumte mir, ich hätte das beste Diner bestellt, das man für so und so viele Pfund Sterling in London haben kann. Nicht ohne Ursache, denn ich erwartete drei der liebenswürdigsten Gäste.
Dadurch, daß ich Menschen zum Mittagessen einlud, unterschied ich mich vortheilhaft von vielen meiner Landsleute, die sich gewöhnlich in London einladen lassen. Von allen meinen
Empfehlungsbriefen: „gut für ein Diner“, hatte ich in der That nicht den geringsten Gebrauch gemacht und wenn ich Herrn von Raumer bei seiner nächsten wissenschaftlichen Reise nach
Alt-England damit gefällig sein kann, so werde ich mir diesen Dienst zu besonderm Vergnügen gereichen lassen.
Ein Kellner, wie man ihn nur in England findet, ein spindeldürrer, blasser Seeräuber, in großen Schuhen mit silberner Schnalle, in seidenen Strümpfen, die bis an's Knie reichten, in
schwarzer Hose und in schwarzem alterthümlichem Frack, mit dolchspitzen Zipfeln, kurz, ein höflicher, zerknirschter Mensch, der wie der leibhaftige Katzenjammer aussah, riskirte eine höchst graziöse
Verbeugung ‒ graziöser hatten sich nicht die schwarzen Schornsteine der Dämpfer verneigt ‒ und kündigte mir mit lispelnder Stimme an, daß so eben der erste meiner Gäste arrivirt sei.
Man kann sich meine Freude denken, denn ich war sehr hungrig; hungrig wie ein Wolf, wie ein Vlamländer und mit der Begeisterung des Hungers rannte ich an die Thür und an den Wagenschlag.
Eine hohe, verschleierte Dame, ein wahrer Kirchthum in schneeweißem Atlas, setzte eben mit großbritannischer Würde den langen Fuß auf die Schwelle des Hotels. Ich küßte der Schönen die unbewegliche
Hand und erkundigte mich nach dero Wohlbefinden. Die Bevölkerung des Hotels leuchtete mit Wachskerzen und feierlich wallten wir in unser teppichweiches Gemach, das eigenthümlich nach Kohlen und nach
Seekrebsen duftete.
Die Flammen des Kamins schlugen lustiger empor und mischten ihre Streiflichter mit dem Glanze des Gases, das wie flüssiger Mondschein durch die mattgeschliffenen Krystallschalen der Candelaber
wogte. Des Daseins süßer Comfort lachte uns entgegen und das Wohlleben streckte seine weichen Arme aus, um uns herabzuziehen auf die schwellenden Polster des Vergnügens.
Als aber der Schleier meiner Dame niederrollte, da stand vor mir: eine jener hohen, kalten, schlankgewachsenen Engländerinnen, von denen man nicht weiß, ob sie eben erst aus Marmor geworden, oder
ob sie gleich zu Marmor werden sollen. Schneeweißer Teint, himmelblaue Augen, blondes Haar, rothe Lippen und vortreffliche Zähne. Das schönste Modell von einem weiblichen Wesen, das ich je gesehen
habe.
Im Frühling schuf Gott die Französinnen, im brennenden Sommer schuf er die Weiber von Rom und Madrid. Im humoristischen Herbst erfand er die deutschen Mädchen, doch die Engländerinnen machte Gott
im Winter.
So eine kühle Tochter Britanniens ist wie ein schöner, festgefrorner Wintermorgen und wenn ihre Wangen in der Lust des Küssens erröthen, da meint man die Morgensonne zittre Rosen streuend über ein
Schneefeld.
Still, kalt und schneeweiß stand meine Freundin vor mir. Einem aufmerksamen Beobachter würde es nicht entgangen sein, daß Alles an der bemerkenswerthen Dame mehr lang als kurz oder rund war. Lang
war ihr Fuß, lang ihre Hände, lang ihre Nase, länglich ihr Gesicht und lang ihre ganze Figur. „Seit langer Zeit haben wir uns nicht gesehen,“ begann ich die Konversation. ‒
„„Sehr lange nicht,““ erwiederte die Holde. ‒ „Ich habe mich lange nach Ihnen gesehnt.“ ‒ „„Lange war es auch mein Wunsch, Ihnen
wieder zu begegnen ‒ ““ unser ganzes Gespräch drehte sich um die Länge und die Zeit wäre mir gewiß lang geworden, wenn nicht mein längst erwarteter zweiter Gast endlich in
höchsteigener Person hereingetreten wäre.
Es war dies einer jener würdigen Gesellen, die wir Jahr aus, Jahr ein zwischen Ostende und Basel hin und her theekesseln sehen. Er trug eine graukarirte Hose, eine graukarirte Weste und einen
graukarirten Frack. Grau waren Haare und Augen. Grau der Bart. Der ganze Kerl sah aus wie die Dämmerung. Die Umrisse seines Körpers verschwammen fast mit der Atmosphäre und [Fortsetzung]
[Deutschland]
[1316]
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@facs | 1316 |
Edition: [Friedrich Engels: Sieg der Magyaren, vorgesehen für: MEGA2, I/9.
]
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
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@facs | 1316 |
Edition: [Karl Marx: Der Prozeß gegen Lassalle, vorgesehen für: MEGA2, I/9.
]
[
*
] Köln, 3. März.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
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@facs | 1316 |
[
*
] Berlin, 3. März.
In der heutigen (4.) Sitzung der zweiten Kammer werden nach Verlesung des Protokolls einige Neuwahlen (Jung, Reuter etc.) angezeigt.
Czieskowski überreicht einen Protest der polnischen Wahlmänner gegen die von der Regierung ausgegangene Abgränzung der Wahlbezirke im Posenschen.
Hr. Vincke dringt darauf, den Protest unbeachtet zu lassen, da noch keine Petitionskommission vorhanden.
Hr. Manteufel findet in dem Protest mehrfache Angriffe gegen das Ministerium, wird aber schweigen bis zur Konstituirung der Kammer.
Es handelt sich im weitern Verlauf der Debatte lediglich um mehrere beanstandete Wahlen, von denen die meisten für gültig, eine kleine Zahl für ungültig erklärt werden.
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@facs | 1316 |
Berlin, 3. März.
Der Kalkulator Praetsch wird steckbrieflich verfolgt, weil derselbe aus der von ihm verwalteten Kasse der Hofkammer des verstorbenen Prinzen August von Preußen eine
bedeutende Geldsumme entwendet hat. Gegenwärtig soll sich der Verdacht herausgestellt haben, daß der Entflohene dieses Geld größtentheils verwendet hat, um in den Novembertagen eine Gewehrfabrik für
die Anhänger der demokratischen Partei zu begründen und sollen die Behörden eifrig beschäftigt sein, die betreffenden Verdachtsgründe zu verfolgen. Großes Aufsehen erregt übrigens die ganz
ungewöhnliche Persons- Beschreibung, welche der vom Criminalgericht hinter dem Praetsch erlassene Steckbrief enthält. Es heißt dort nämlich wörtlich: Der Entflohene zeichnet sich durch große klotzige
Augen, ein grinsendes Lachen und wüthend demokratische Gesinnung aus!
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@facs | 1316 |
[
X
] Königsberg, im Febr.
Es lebt hier seit mehreren Jahren ein Lieutenant a. D., Naturdichter von Talent, anspruchslos und gemüthvoll — — bon enfant durch und durch,
man könnte mit ihm Betteln gehn. Dieser Mann hat lange Zeit auf dem Ehrenbreitenstein geschmachtet, weil er seinen Soldaten eine Beschwerdeschrift gegen einen höhern Offizier verfaßt, und ernährte
sich später hier durch seine Geistesproducte und seiner Freunde Unterstützungen äußerst spärlich und erhielt endlich einen Posten bei der hiesigen Regierung, der ihm aber wegen „seiner
politischen Ansichten“ bald wieder genommen wurde. Andere zwar geben als Grund seiner Entlassung an, er habe „den Erwartungen nicht entsprochen“ und führen ganz ernsthaft als
Argument bei, er solle das Versehen eines Kopisten, der statt Einer Verehrlichen, „Einer Verächtlichen Finanz-Abtheilung“ geschrieben, ungerügt gelassen haben; doch selbst dieser
Vorwurf der Nachlässigkeit wäre nur Prätext gewesen, denn kurz vor seiner Entlassung noch empfing unser Lieutnant eine anständige Extrarenumeration nebst Belobigung.
Hätte er jetzt nur für sich allein zu sorgen gehabt, so wäre die einstweilige Brotlosigkeit schon zu verschmerzen gewesen, doch noch vor wenig Wochen hatte er den Neffen einer Verwandten zu sich
genommen, und so war ihm dieser Schlag doppelt schmerzhaft.
Sein Pflegling aber litt unter den Nahrungssorgen, die nun wieder auf dem Oheim lasteten, durchaus nicht, denn die gute Haut dachte immer erst zuletzt an sich, speiste und kleidete den Knaben
anständig, schickte ihn in die Schule und Kirche und empfing dagegen auch von diesem täglich neue Beweise der aufrichtigsten Liebe. Da findet der Onkel eines Sonntags unter den Büchern seines Neffen
versteckt, einen angefangenen Brief, der lautet:
„Meine liebe Tante J..., leider ergreife ich diesmal die Feder um Dich zu betrüben, aber es muß geschehen, denn meine ganze Zukunft steht auf dem Spiel. Der Onkel Lieutenant ist ein
schrecklicher Republikaner und ich fürchte von seinen Ideen angesteckt zu werden etc. etc. — Nimm mich von ihm und gieb mich zum Onkel Doctor!“ — „Wer hat dir diesen Brief
dictirt, mein Junge,“ fragt der Lieutenant den aus der Kirche kommenden Knaben. Dieser bricht in Thränen aus und gesteht unter Schluchzen: „Liebster Onkel verzeih' mir, ich bin
gezwungen, Dich zu betrügen, der Onkel Doctor hat mir befohlen so zu schreiben und verboten Dir davon zu sagen: denn Du würdest sehr böse sein, wenn Du es erführest.“ —
Und wer ist dieser Onkel Doctor? Es ist ein anständiger, honetter Mann, ein Politiker (Gesinnungsgenosse aller Brügge,-Basser,-Bieder- und Eisenmänner,) ein großer Redner, denn er spricht stets und
— schön, es ist — der Leithammel unserer Demokratisch-Constitutionellen!!
Schon wenn der unvermeidliche Schönschwätzer auf der Bühne steht und schauspielert und zum tausendstenmal seine schwulstigen Phrasen wiederkäut, überkommt jeden Verständigen ein Ekel, wie erst muß
man dieses Wesen lieb gewinnen, wenn man so liebliche Geschichten von ihm hört. — „Lassen Sie sich nicht irre führen, meine Herren, vertrauen Sie uns, meine Herren, (und der Pulcinello
paukt mit der Rechten auf seine Elephantenbrust) glauben Sie einzig uns Männern, die wir schon vor der glorreichen Märzrevolution für die Freiheit gelitten (haben euch in den Dreck geritten, möchten
euch noch weiter drinn herumtummeln!), geben sie nicht Gehör den Einflüsterungen der Umsturzpartei, der nichts heilig, aber arbeiten sie auch offen und ehrlich mit allen ihren Kräften der Reaktion
entgegen etc. etc.“ — So und nie anders das Ideal unserer Democratisch-Constitutionellen!
Was man von einer Partei zu halten, deren Ausdruck dieser ihr Leithammel ist, die sich täglich durch sich und ihre Führer auf jegliche Weise compromittirt, lehrt recht deutlich diese kleine
Historie, ein neuer Beitrag zur Charakteristik des „offenen Biedersinnes“ aller für die „Constitutionelle Monarchie Begeisterten.“ Carnassiers de Malthus, je vous reconnais
là!
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@facs | 1316 |
Posen, 1. März.
Der Oberst Breansui, Chef des Generalstabs, fordert im Namen des Generals Chrzanowski alle polnische Offiziere auf, ihm ihre Patente einzuschicken, wenn sie in der
polnischen Legion der sardinischen Armee angestellt zu werden wünschen. Die polnische Legion soll so lange bestehen, so lange der Krieg mit Oestreich währt. Wird die Legion aufgelöst, so steht es
jedem frei in demselben Range ins sardinische Heer einzutreten, oder er erhält Entlassung nebst 6monatlichem Solde. Junge Leute mit gehöriger Bildung treten in die Kadettenabtheilung, in welcher sie
gründlichen Unterricht in den Militärwissenschaften erhalten, um dann als Offizier in die Legion zu treten.
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@facs | 1316 |
Liegnitz, 2. März.
In dieser Woche haben wieder verschiedene Schlägereien zwischen Soldaten unter sich und zwischen Soldaten und Civil stattgefunden. Besonders hart angegangen haben sich in
einer Kneipe die Zwanziger und Artilleristen. Man ist gegenseitig mit Knüppeln und Säbeln auf einander eingedrungen, so daß es diverse blutige Köpfe gesetzt hat. Dem einen Soldaten soll ein Auge
ausgestochen worden sein.
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@facs | 1316 |
[
61
] Wien, 1. März.
Die Ostd. Post möchte sich über den Einmarsch der Russen gerne entrüsten, bringt indessen zur eigenen Bezähmung nur einen historischen Artikel über das
russische Bündniß. Der Deutsche bleibt ewig ein Blockhead; selbst wenn er schon verschlungen wird, spricht er noch von einem Bündniß mit dem Wolfe. Ich meine damit nicht nur die Ostd. Post,
sondern fast alle deutschen Blätter. Ich kann heute dies Verzeichniß durch die Leipziger Allgemeine Brockhaus-Zeitung vernehmen, die für russisches Geld schreibt, das sie aus dritter Hand erhält.
Das Elend der unteren Klassen nimmt hier so zu, daß selbst der germanisch-hündische Gemeinderath den Muth bekommen, Welden zu ersuchen, die Armeearbeiten den armen Gewerbtreibenden zuzuwenden. Auch
haben sich bürgerliche Vertrauensmänner um ihn geschaart, zu denen diese Standrechtsbestie gesprochen hat: „Was der Gouverneur proklamirt, muß der Gouverneur halten.
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@facs | 1316 |
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@facs | 1316 |
erst als er mitten
zwischen den Flammen des Kamins und den Gaslichtern stand, erkannte ich meinen alten Bekannten und fiel ihm grüßend um den Hals; ganz gegen alle englische Sitte und Gewohnheit.
Die längliche Dame und der graue Herr gehörten zu meinen besten Freunden, als ich früher das Glück hatte, drei Jahre in England verweilen zu müssen. Die Dame füllte manche meiner müßigen Stunden
aus. Doch noch häufiger besuchte mich der graue Herr. Nächte lang saßen wir miteinander stumm am Kamine, Grog trinkend und Cigarren rauchend. Steif starrten wir in's Feuer, und hatten wir sechs
Stunden lang so gesessen, da erhob sich mein alter Freund, drückte mir die Hand und versicherte mir, daß er sich ungeheuer amüsirt habe. Trotz seiner unangenehmen Angewohnheiten liebte ich meinen
grauen Freund von ganzem Herzen. Ich verzieh es ihm z. B., daß er stets seine Nasenspitze besah, daß er manchmal die Füße statt der Hände in die Hosentaschen zu stecken suchte und daß er nie zu Bette
ging, ohne gegen allenfallsige Raubmörder einen großen Korkzieher in der Tasche seiner Unterhose mit sich zu führen.
Meiner Begrüßung folgten die Komplimente, die Herr und Dame einander schuldig zu sein glaubten. Beide waren sich keineswegs fremd. Sie sahen sich häufig in jenen interessanten englischen
Gesellschaften, in denen man wenig spricht. Der böse Leumund wollte sogar wissen, Herr und Dame seien einst in eine so lebendige Unterhaltung gerathen, daß sie plötzlich beide einschlafend, nickend
mit den Nasen an einander gerannt wären und unter seltsamen Grimassen den Schwur gethan hätten, sich nie wieder dergestalt von dem Feuer der Unterredung fortreißen zu lassen. Wie dem auch sei: meine
beiden Gäste waren hoch erfreut, sich wieder zu sehen. Lang und feierlich erhob sich die Dame und blickte verschämt zu Boden, was meinen grauen Freund so ungemein rührte, daß er für einen Augenblick
all Geistesgegenwart verlor und mitten in seiner besten Verbeugung wie ein schiefer Meilenzeiger regungslos stehen blieb.
Ich benutzte diese Erstarrung der gegenseitigen Komplimente, um mich der Thür zuzuwenden, die eben zum dritten Male geöffnet wurde. Es war der letzte meiner Gäste, den man hineinführte und
wahrhaftig, er erschien in sonderbarer Begleitung. Wenn nämlich die lange, weißatlassene Dame zu Wagen herankam und mein grauer Freund zu Pferde herbeisprengte, so fuhr der dritte Besuch zu Schiff bis
an mein Hotel, und ließ sich von zwei Matrosen, in blauen Hemden und rothen Jacken, bis in mein Zimmer tragen.
Meine Leser werden sich wundern, in dem hereingetragenen Wesen abermals etwas Weibliches zu finden. Aber schon der Symetrie wegen hatte ich die Sache so einrichten müssen, denn, wollte ich der
langen Dame bei Tisch gegenübersitzen, so mußte ich auch für meinen grauen Freund ein erbauliches vis-à-vis einladen, eine Aufgabe, die bei meiner strengen Auswahl für eine so feierliche Gelegenheit
wirklich schwer zu lösen war. Nach langem Hin- und Hersinnen gerieth ich endlich auf die höchst ausgezeichnete Person, welche eben im Begriff war, meiner Einladung nachzukommen. Wir finden in ihr eine
Dame, deren Alter beim besten Willen nicht nachzuweisen ist. Sie trägt grüne Kleider, gelößte Locken und duftet nach Theer und Seewasser. Man könnte sie hübsch nennen und würde sie ihres nymphenhaften
Wuchses wegen vielleicht schön finden, wenn nicht der erdfahle Teint ihres Gesichtes unwillkührlich zurückstieße. Feucht glänzt ihr Auge durch die langen Wimpern. Ihr Gang hat etwas sehr
eigenthümliches; man merkt, daß sie mehr auf der See als auf dem Lande lebt.
Ich stellte die Neuhereingetretene meinen beiden andern Gästen ohne Weiteres vor. Sie hatten sich gerade von ihrer Erstarrung erholt und es war wirklich eine Genugthuung für mich, als ich alle drei
nach den ersten Artigkeitsbezeugungen sofort in der Erinnerung längst gemachter und endlich erneuerter Bekanntschaft schwelgen sah.
Unser Diner war indeß aufgetragen, und ich lud meine Gäste ein, sich zu setzen. Die ganze Geschichte hatte etwas sehr feierliches. Der weite, teppichbedeckte Raum, die schweren, seidnen Vorhänge
der Fenster, der riesige Kamin mit seiner Kohlenglut, der kleine Tisch in der Mitte des Zimmers, umringt von vier großen Fauteuils, das blendendweiße Tischtuch, das fast bis auf die Erde hinabhing,
das Silbergeschirr, die Krystallflaschen und die kolossalen verdeckten Schüsseln — — Alles harmonirte mit einander und versprach einen Naturgenuß, der dem Wirthe keine Schande machen
konnte.
Der Naturgenuß des Essens und des Trinkens bleibt trotz der häufigen Wiederkehr, ein außerordentlich wichtiger Akt im menschlichen Leben. Ich finde es daher passend, daß man ihn jedesmal mit einem
kurzen Spruch, mit einem Gebet oder mit einer heiteren Anrede eröffnet, sei es in biblischen Rythmen, in Hexametern oder in einfacher Prosa. Essend und trinkend nähert sich der Mensch mehr als je dem
Ursprünglichen. Er schwelgt am Busen der Natur, deren Schätze uns die Kochkunst erst recht eigentlich zugänglich machte. Essen und Trinken ist Kunst- und Naturgenuß zu gleicher Zeit. Da liegen die
Austern der unerforschlichen See; da fluthet die Schildkrötensuppe, die herzerfreuende. Da prangt das Rippenstück eines schwerwandelnden friesischen Ochsen und hier ragt die Keule eines schottischen
Widders. Die Schnepfe und das Birkhuhn Alt-England's, der französische Fasan und die deutsche Lerche. Transatlantische Aepfel, die Orangen Italien's und spanische Trauben. In dem
Krystall der Flaschen der gelbe Xeres, der tiefrothe Portwein, der wilde Champagner und das Gold der rheinischen Hügel — — o stelle dich auf den Gipfel des Chimborazzo und du hast keine
schönere Aussicht; vor allen Dingen erhebe du aber deine Hand und danke der Mutter Natur, denn sie hat Alles weise geordnet und die Welt ist voll ihrer Güte.
[1317]
Ich träumte famos.
Meine Gäste hatten sich gesetzt. Ich saß der weißen Dame gegenüber. Mein grauer Freund hatte die Meerentstiegene zu seinem vis-à-vis. Doch es ist durchaus nöthig, daß ich die Namen der
Unbekannten nenne. Die weißatlassene, lange Dame, mit ihrem himmlisch schönen, aber regungslos nichtssagenden Gesichte, war Niemand anders als die personifizirte „lange Weile“. Mein
grauer Freund, der so zakisch angelsächsisch auf seinen Stuhl saß, war der englische „Spleen“; ach, und das Weib was zu Schiffe kam: es war die „Seekrankheit“.
(Fortsetzung folgt.)
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@facs | 1317 |
[
*
] Folgendes ist der erschütternde Eindruck, den das Bankett im Eiser'schen Saale auf das „Neue Preußische Sonntagsblatt“ gemacht hat:
Nun noch eine Geschichte, und eine recht schlechte obendrein: In Köln haben Deutsche, Preußen, den 24. Februar, das Jahresfest der französischen Revolution, gefeiert. Dabei haben sich die
Bestien erkühnt, dem Bilde des alten Fritz, dem Bilde des großen Friedrich die rothe Jakobinermütze aufzusetzen. Affenschande haben sie getrieben mit dem Bilde des Einzigen, mit dem Bilde des
unvergeßlichen Königs. Sie haben den ruhmreichen Herrscher als Demokraten ausgerufen und sein unvergeßliches Bild vor die Rednerbühne gestellt, vor der sie ihr schmutziges Fest feierten, von der herab
sie unsern König mit dem Schmutz ihrer Rede bewarfen, von der herab sie die Republik hoch leben ließen. Das Herz muß sich jedem ehrlichen Preußen im Leibe herumdrehen, der so etwas hört.
[Deutschland]
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@facs | 1317 |
[Fortsetzung] Jedoch freut es mich als Mensch (?!!!) einen Kreis von gutgesinnten Bürgern um mich versammelt zu sehen, welche als Vertrauensmänner zwischen mir und dem Gouverneur einschreiten wollen, in allen jenen
Fällen, wo es gestattet ist, daß nur der Mensch wisse, was der Gouverneur nicht zu erfahren braucht.“ Zur Bewahrheitung seiner Worte und um seine Verachtung vor den Vertrauensmännern zu
bezeigen, ließ Welden darauf den Hübner erschießen, weil er sich am 19. Oktober, also vor dem Beldgerungszustande, mit seinem Hauswirthe gezankt und damals einen Stoßdegen geführt. Am 26.
Februar aber hat er den Kutscher Motzko erschießen lassen. Damit verhält es sich also: Der Streich von Lerchenfeld ist mißlungen, aber nicht aufgegeben. Welden will namentlich das Militär immer in
gehöriger Mordwuth gegen das Volk erhalten, das Militär soll den Glauben nicht verlieren, daß das Volk in einemfort Attentate wider dasselbe brüte. Darum wurde heute Motzko erschossen.
Um ein neues Opfer zu erhalten, wird keine List verschmäht. Motzko war herrschaftlicher Kutscher, der sich um nichts weiter kümmerte. Welden's Polizeiteufel aber versteckten eine mit zwei
Kugeln geladene Pistole in seinen Wagen, hielten diesen auf der Straße an, durchsuchten ihn, und so war Motzko ein Attentätler. Das ist der Verlauf der Sache, über welche die deutschen Schandblätter,
wie die Augsburger Vettel, ihr „Greulich!“ gegen das arme Volk Wien's ausrufen, aber schweigen, wenn ein General Nugent eine Stadt wie Siklos (unweit Fünfkirchens) mit Kanonen
umstellen, anzünden und die Menschen zu Tausenden verbrennen läßt. So paart sich in Deutschland die allerhöchste Niederträchtigkeit mit urchaotischer Dummheit.
Wie es hier aussieht, das kann selbst der erwähnte Gemeinderath nicht länger verschweigen, indem er in Folge des Vorfalls in Neulerchenfeld in einer Proklamation an die Einwohner sagt: „die
Geschäfte liegen danieder — der Kredit — das Vertrauen — ist verloren“ u. s. w., und dann diese Bevölkerung beschwört, die von Welden insgeheim angestifteten Attentate zu
unterlassen.
Die Rekrutenaushebung dauert im ganzen Lande fort, aber die Widersetzlichkeiten mehren sich ebenso, namentlich in Deutsch-Böhmen.
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@facs | 1317 |
[
24
] Wien, März.
Nulla dies sine linea! heißt in die Sprache der königl. kaiserlichen Bestien übersetzt: kein Tag ohne standrechtliche, ohne Todesurtheile. So ist Martin Pausar, 40
J. alt, Maurer, wegen heimlicher Aufbewahrung einer Cavallerie-Pistole u. einiger frisch gegossenen Kugeln zum Strange verurtheilt, durch Welden's Humanität „zu Pulver und Blei
begnadigt“ u. gestern früh 8 Uhr hierselbst erschossen worden. Wehe! allen diesen tollen Hunden u. k. k. Standrechts-Hyänen! Der Tag der Rache kommt, er ist nahe! Und wehe dem, der dann, wenn
das Volk endlich siegreich die Schädel von verthierten Adels- u. Bourgeois- Kadavern herunterguillotinirt, von Grausamkeit, Rohheit u. dergleichen Sächelchen schwatzen will. Wir werden ihm nicht mit
den Namen unsrer gemordeten Brüder antworten, sondern ihm ebenfalls den Schädel zerschmettern, als einem feigen Mitschuldigen an den Unthaten der gottbegnadeten Henkersbrut.
Wie die von den Juden für unrein erklärten Thiere im Koth, so wälzt sich diese Race mit Wollust im Blut menschlicher Opfer. Das Erschießen däucht diesen Herren zu modern. Sie lassen jetzt an
Herstellung von Galgen arbeiten, so daß sehr bald bei den Verurtheilungen „zum Strange“ die Begnadigung „zu Pulver und Blei“ überflüssig sein wird.
Heute ruft Welden in einer Kundmachung seinen „geliebten“ Wienern Folgendes ins Gedächtniß zurück:
Dem standrechtlichen Verfahren, bei welchem in der Regel „die Todesstrafe durch den Strang, oder durch Pulver und Blei eintritt“, verfällt jener:
1. Der Waffen verheimlicht und nicht abliefert.
2. Der einen Militäristen zum Treubruch zu verleiten sucht.
3. Der durch Wort oder That zum Aufstande reizt, oder einer solchen Aufforderung werkthätig Folge leistet.
4. Der bei einer aufrührerischen Zusammenrottung auf die erste Aufforderung der öffentlichen Behörde sich nicht zurückzieht, oder hiebei mit Waffen in der Hand betreten wird. (Proclamation vom 1.
November 1848.)
5. Der bewaffnet oder unbewaffnet sich eine wörtliche oder thätliche Beleidigung einer Schildwache oder einer Truppen-Abtheilung erlaubt.
6. Der es wagt einer Schildwache oder einer Truppen-Abtheilung, von der er angerufen oder angehalten werden soll, wenn auch unbewaffnet, thätigen Widerstand entgegenzusetzen, zu solchem
aufzufordern, oder einer solchen Aufforderung Folge zu leisten, und
7. der ein Attentat von was immer für einer Art versuchen, oder zur Ausführung bringen, oder aber einer darauf abzielenden Aufforderung werkthätig nachkommen sollte, welches die Beschädigung oder
Zerstörung von Festungswerken oder von dem dazu gehörigen oder dafür bestimmten Materiale zum Zwecke hat. (Proclamation vom 20. Februar 1849.)
Dahingegen sind dem kriegsrechtlichen Verfahren unterworfen:
1. Welche an der Versammlung eines politischen Vereins Antheil nehmen, oder sich an einer Versammlung von mehr als 10 Personen auf öffentlichen Plätzen oder Gassen betheiligen,
2 Welche Wirths- oder Kaffeehäuser über 11 Uhr Nachts offen halten.
3. Welche Plakate, bildliche Darstellungen oder Flugschriften ohne vorläufige Bewilligung der Militärbehörde drucken, verkaufen oder anschlagen (Es fehlt blos noch das Lesen).
4. Welche die in ihrem Hause oder ihrer Wohnung sich schon aufhaltenden, oder erst daselbst Aufenthalt nehmenden Personen nicht vorschriftmäßig anzeigen. (Proclamation vom 1. November 1848.)
5. Welche Zeitungsblätter oder Druckschriften auf öffentlichen Plätzen und Straßen ausrufen oder feilbiethen (Kundmachung der k. k. Stadt-Commandantur vom 8. November 1848).
6. Welche die Uniform oder Abzeichen der aufgelösten bewaffneten Corps
der Nationalgarde, der Bürgerwehr oder akademischen Legion tragen, an einer Versammlung dieser Corps oder einer Abtheilung derselben Theil nehmen, oder deren Benehmen sonst mit der Auflösung dieser
Corps im Widerspruch steht (Proclamation vom 9. November 1848).
7. Diejenigen, welche Munition von was immer für einer Art, Pulver, Schießbaumwolle, scharfe Patronen oder Raketen verheimlichen und nicht abliefern (Kundmachung vom 10. Januar 1849).
8. Welche die zum Telegraphen gehörigen Leitungs- Drähte, oder sonstige Bestandtheile zerstören, oder auf welche Art immer verletzen (Kundmachung vom 25. Januar 1849), und endlich
9. jene, welche sich beigehen lassen sollten, einzelne, wenn auch nicht im Dienste befindliche Militärs auf der Gasse oder andern öffentlichen Orten vorsetzlich zu verhöhnen, oder auf irgend eine
Weise wörtlich oder thätlich zu insultiren. Diese Uebertretungen werden im ordentlichen Verfahren nach Beschaffenheit der Umstände mit Festungs-Arrest, Schanzarbeit oder Stockhaus-Arrest bestraft.
Der heutige Wiener Geschäftbericht erhält einen Beschluß des Ministerrathes, wonach die Nationalbank ermächtiget wird, die ungar. 1 Fl. und 2 Fl.-Noten gegen östreich. Banknoten bis zum Betrage von
3,900,000 Fl. umzutauschen.
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@facs | 1317 |
Wien, 1. März.
Unumschränkter und gewaltthätiger als Geral Welden dermalen in der Haupt- und Residenzstadt des Kaiserthums Oestreich sein Regiment handhabt, kann schwerlich ein türkischer
Statthalter in seinem weit entlegenen Paschalik walten. Die Minister, von der Nothwendigkeit überzeugt, endlich einmal den Uebergang zu einem normalen Zustand anzubahnen, wagen es, einige bescheidene
Wünsche laut werden zu lassen, aber der General, im Bewußtsein seiner Unfehlbarkeit, fühlt sich zuerst verletzt, erinnert sich aber glücklicherweise bald daran, daß der Herr und Meister, von dem er
alle seine Macht überkommen und dem er verantwortlich sei, eigentlich nicht in Olmütz, sondern in Ungarn lebe. Jene lassen in ihren Weisungen einige wohlgemeinte Winke für das Verfahren des
Gouverneurs einfließen, aber dieser erklärt ziemlich rund heraus, daß er die Sache besser verstehen müsse. So hat denn Hr. Stadion um des lieben Hausfriedens willen, und um die Ohnmacht des
Ministeriums nicht weiter unter der bösen Welt bekannt werden zu lassen, es wieder Hrn. Welden überlassen, nach eigener Herzenslust zu schalten und zu walten. Noch ist das Blut des gestern
Hingerichteten nicht verraucht, so läßt Hr Welden heute wieder Jemanden erschießen. Von morgen ab soll hingegen keine Gnade mit Pulver und Blei mehr ertheilt, sondern der Galgen wieder in sein
ursprüngliches, von der Theresiana ihm verliehenes Recht eingesetzt werden, wozu auch in der That die nöthigen Anstalten getroffen werden. Von 6 Uhr Abends angefangen bis 9 Uhr früh bleibt sämmtliches
Militär in den Kasernen konsignirt. Bei der Spinnerin am Kreuz (einem der höchstgelegenen Punkte in der Umgebung Wiens), beim Bahnhof der Südbahn, dann im Prater, werden neue Batterien aufgeführt und
mit Pallisaden umgeben. Gegen wen diese Anstalten gerichtet sind, vermag Niemand zu ergründen. Denn daß man die Wühler und Demokraten dabei im Sinne habe, daran denkt kein Mensch mit gesundem
Verstande. Der Volkswitz meint seit gestern, die Schwarzgelben und Wohlgesinnten, welche durch die unerwartete Außerwerthsetzung der ungarischen Banknoten besonders gelitten haben, beabsichtigten
gegen die Regierung einen Putsch, daher diese sich so außerordentlich rüste.
[(Brem. W.- Z.)]
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Kremsier, 27. Februar.
Zwei heutige Interpellationen betrafen Verletzungen der Unterthänigkeitsbefreiung in Galizien, die eine durch Zwang zum Frohndienste sogar mittelst Exekution, die
andere durch Eintreibung geistlicher Zehnten, wozu noch Beschwerden über Erpressungen an Naturalien und Geld aus Anlaß von Trauungen und Bestattung treten.
An der Tagesordnung ist § 14 der Grundrechte.
Leop. Neumann versicht die Gleichberechtigung aller Sekten und Konfessionen gegen eine Staatskirche, deren demoralisirenden Einfluß er nach Zeiten und Ländern nachweist. Der Staat sei eine
Rechtsanstalt und stehe als solche jedem Bekenntnisse fremd gegenüber. Der Redner eifert gegen die Herabwürdigung der Religion zur Polizeianstalt, um das Volk zu zugeln; in der Umgestaltung nach Innen
erblickt er eine großere Aufgabe, als im äußeren Aufbau.
Selinger spricht für eine Staatskirche.
Pitteri gegen den Begriff derselben.
Zum Schlusse Rieger als Berichterstatter in einer beifällig aufgenommenen Rede für den Entwurf und im Interesse der Kirche selbst für deren Trennung vom Staate.
Der § 14 wird in folgender amenbieter Form mit großer Majorität durch Aufstehen angenommen:
„Keine Religionsgesellschaft (Kirche) genießt vor Anderen Vorrechte durch den Staat. Niemand kann zu religiösen Verpflichtungen eines Kultus, zu welchem er sich nicht bekennt, vom Staate
gezwungen werden. Eben so wenig darf zur Einhaltung von Verpflichtungen, die Jemand durch geistliche Weihen oder Ordensgelübde übernommen hat, ein Zwang angewendet werden.“
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@facs | 1317 |
Dresden, 1. März.
Nach dem Schlusse der vereinigten Sitzung blieb die 11. Kammer noch versammelt. Vicepräsident Tzschirner erhalt das Wort zur Ankündigung einer Interpellation in Betreff
der Altenburger Excesse. Bereits am 23. Februar sei der sächsische Corporal Rolke mit dem Gemeinen Bischof behufs eines Besuchs in das Haus eines Seilermeisters gekommen. An der Thür einer Stube, in
welcher Schneidergesellen gearbeitet, hätten sie das Wort „Republik“ mit Kreide angeschrieben gefunden. Der Corporal habe nun die Thür angespuckt, das Wort weggelöscht und dabei
geäußert, er würde wieder kommen und das Uebrige würde sich finden. Die Schneiderg sellen, welche das Wort angeschrieben gehabt, seien natürlich darüber aufgebracht gewesen und hätten dasselbe wieder
angeschrieben. Hierauf seien am 26. Februar jene beiden Soldaten wieder gekommen, um auf gleiche Weise wie früher zu verfahren, als einer von den Schneidergesellen herausgetreten, um dagegen Einspruch
zu thun. Da seien die Soldaten zu den Schneidergesellen mit gezogenen Säbeln hineingedrungen und hätten auf dieselben losgehauen. Die Schneidergesellen, die sich in der größten Lebensgefahr befunden,
hätten nun zu ihrer Vertheidigung nach allen möglichen Waffen greifen müssen, und einer von ihnen habe den einen Soldaten mit dem Bügeleisen stark getroffen. Zugleich aber wären noch mehrere Soldaten
hinzugekommen, und es habe nun eine wahre Metzelei begonnen. Zwei Personen lägen an den Wunden hart darnieder. Inzwischen sei das übrige Militär auf dem Markt erschienen und ins Gewehr getreten und
habe sich grobe Beleidigungen gegen die herzuströmende Menschenmenge erlaubt, aus Reihe und Glied seien sogar Soldaten herausgetreten und hätten an den schon früher vor dem Rathhause versammelten
neuen Stadtverordneten und andern Personen Gewaltthaten verübt. Ein Soldat habe geschrieen: Steckt doch die ganze Bude an! Leute, welche bei den Offizieren Einwendung machen wollten, wären von den
Soldaten niedergeworfen worden. Man hätte glauben mögen, Wallenstein'sche Truppen eine Scene aufführen zu sehen. Die Altenburger Stadtverordneten wendeten sich nun an die sächsischen
Volksvertreter und bäten inständigst, daß man sie von dieser Landplage befreien möge. Man habe in Altenburg erklärt, die Häuser vor den sächsischen Soldaten schließen zu wollen. Es sei da Alles zu
befürchten, vielleicht eine Sicilische Vesper nahe. Vieles deute aber darauf hin, daß jener Krawall vorbereitet worden. Schon vor dem obigen Falle seien die Soldaten in Aufregung gewesen, aus der
Umgegend seien die Truppen herangezogen worden, ja man wolle wissen, daß sogar in Leipzig Anstalten getroffen waren, Truppen schnell nach Altenburg senden zu können. Die Soldaten in Altenburg seien
betrunken gewesen, und Abends hatten selbst Patrouillen einzelne Personen insultirt. Hier müsse nun eine Abhülfe werden. Gehorche man hier nicht mehr der Centralgewalt; man sei selbstständig und dürfe
nicht länger schweigen! Vom Staatsminister des Aeußern sei bereits erklärt worden, daß man einen Theil der Truppen zurückziehen wolle; er frage daher an, ob diese Truppen, und überhaupt alle
sächsischen Truppen, schon in nächster Woche aus der Nähe von Altenburg zurückgezogen werden könnten. Der Interpellant liest hierauf noch die Altenburger Adresse vor. Mehrfache Aeußerungen der
Entrüstung unterbrechen diese Rede. Ein Minister war nicht anwesend, die Interpellation ist dahr schriftlich dem Gesammtministerium übergeben worden. Schließlich werden noch die Landtagsschriften über
die Geschäftsordnung und über das Decret, die Publication der Grundrechte betreffend, voagetragen.
[(D. A. Z.)]
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*
] Hannover, 2. März.
In der heutigen Sitzung der zweiten Kammer erstattet Buddenberg Bericht über das Resultat der Konferenz wegen der Grundrechte. Die Stände können die
Bedenken der Regierung nicht theilen. Sie beantragen dagegen:
1. zur Beseitigung aller etwaigen Zweifel, die Grundrechte, so wie die Reichsgesetze überhaupt, durch die Gesetzsammlung zur allgemeinen Kenntniß zu bringen und für deren örtliche Veröffentlichung
Sorge zu tragen, so weit dies noch nicht geschehen sein sollte;
2. die Gesetze, die zu weiterer Ausführung der Grundrechte den Einzelstaaten überlassen sind, den Ständen alsbald vorzulegen.“
Erste Kammer hat sich mit diesem Beschlusse, welchen zweite Kammer zu modifiziren sich nicht hat verstehen können und wollen, nur insofern einverstanden erklärt, als auch sie sofortige Publikation
der Grundrechte für unerläßlich hält. Stände beantragen daher:
„daß die königl. Regierung die Grundrechte sofort durch die Gesetzsammlung zur allgemeinen Kenntniß bringe und die zur Ausführung erforderlichen, den Einzelstaaten überlassenen Gesetze
baldmöglichst den Ständen vorlege.“
Stüve verläßt den Saal.
Der Präsident läßt über obigen Konferenzvorschlag abstimmen. Letzterer wird mit allen gegen 1 Stimme (Windhorst) angenommen.
Somit sind die „Grundrechte“ für Hannover rechtsgültig!
Armer Stüve!
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34
] Darmstadt, 2. März.
In einigen Tagen können wir auch hier ein Requiem feiern, ein Requiem der Volksfreiheit, denn der Tag der Volkserhebung und der Tag, an dem das Volk um die
Früchte seiner Erhebung betrogen wurde, fallen bei uns beide auf den 6. März zusammen. Die Gefängnisse voll „politischer Verbrecher“ sind bald noch das Einzige, was uns an diese
„glorreiche Zeit“ erinnert: In der That, seit dem März sind sie nicht mehr frei geworden, und oft wird nur der Eine aus seiner Haft erlöst, damit für einen spätern Verbrecher Platz
geschafft werde. Heinrich v. Gagern hieß der Mann, der die hessen-darmstädtische Revolution eskamotirte; und daß ein Heinrich v. Gagern es konnte, bezeichnet zugleich die ganze Bedeutung dieser
Revolution. Wir werden hoffentlich keine hessen-darmstädtische Revolution mehr machen!
So schlecht indeß die Erndte im März des Jahres 1848 ausgefallen ist, die Fürsten zittern vor der Wiederkehr der Schnitterzeit, und lassen mit Argusaugen eine jede Regung im Volke überwachen. Als
in der vorigen Woche sich hier einige Hundert ehrsame Spießbürger versammelten, um eine unterthänige Adresse an den Großherzog wegen Auflösung der beiden Kammern und Einberufung einer gesetzgebenden
Versammlung zu berathen, ward sogleich alles Militär in den Kasernen konsignirt, um einen etwaigen Sturm auf das Schloß abzuwehren! Machte die Furcht nicht blödsinnig, so wäre es kaum erklärlich, wie
man einem Darmstädter Spießbürger derartige Dinge zumuthen könnte.
Im benachbarten Städtchen Bensheim ward im Karnenal der Gemeinderath etwas verhöhnt; man hatte die Verwegenheit, ihn durch Strohmänner repräsentirt, eine öffentliche Sitzung auf dem Markte abhalten
zu lassen, obgleich er selbst sich gegen die Oeffentlichkeit wehrt mit Händen und Füßen; — sogleich ward Infanterie und Kavallerie zur „Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung“
dahin abgeschickt, und sieben unschuldige Bürger unter starker Militäreskorte hieher transportirt. Ja, damit noch nicht zufrieden, inquirirte man sofort auf eine Verschwörung los, und spürte den Fäden
einer geheinen Verbindung im Odenwalde nach. Eine geheime Verbindung, um einen bedeutungslosen Gemeinderath zu verhöhnen!
Zum März sind alle Truppen einberufen; man will sich sicher stellen gegen einen etwaigen Wiederlosbruch. Die Kammer hatte natürlich zu der Vermehrung des Heeres bis auf 2 pCt. der Bevölkerung ihre
Zustimmung gegeben; sie hatte aber an diese Bewilligung den Wunsch geknüpft, das Ministerium möge bei der Centralohnmacht Schritte thun, um diese neue Last vom Volke abzuwenden. Ein recht unschuldiger
Wunsch! Die erste Kammer hat ihn nichts desto weniger gestrichen; die zweite Kammer hat den Heldenmuth gehabt, auf ihrem ersten Beschlusse zu beharren. Es stehen noch mehrere Konflikte mit der ersten
Kammer in Aussicht; es hat jedoch noch einige Zeit damit. Die erste Kammer ist wirklich schon bis zur Vollendung der Vorbereitungen zur Berathung des neuen Wahlgesetzes gekommen, wonach, wie
gutmüthige Seelen hofften, im März bereits neue Kammern zusammentreten sollten. Der Ausschuß der ersten Kammer hat es natürlich für passend erachtet, wenn auch für die Wahlen zur 2. Kammer ein Census
von wenigstens 6 Fl. Steuer festgesetzt werde, auch ist er mit der Wahlfähigkeit für die erste Kammer nicht ganz einverstanden. Der Beschluß der zweiten Kammer hatte für die passive Wählbarkeit gar
keinen, für die aktive Wählbarkeit einen Census von 20 Fl. direkter Steuern festgesetzt. Außerdem war bestimmt, daß je 1000 Wähler einen Deputirten wählen und die Zahl der Wähler aus den
Höchstbesteuerten ergänzt werden sollte, falls sich nicht so viele mit 20 Fl. Besteuerte finden sollten. Dagegen verlangt der Ausschuß der ersten Kammer für die passive Wählbarkeit einen Steuersatz
von 200 Fl, oder ein Gehalt oder Einkommen von 1500 Fl. oder ein Kapitalvermögen von 30,000 Fl. Für die aktive Wählbarkeit will er sich mit einem Census von 15 Fl. begnügen; dagegen soll die Zahl der
Wähler nicht aus den Höchstbesteuerten ergänzt werden, da es ja sonst vorkommen könnte, daß selbst solche Leute mitwählten, die nur 1 Fl. 3 Kr. Steuer zahlten.
Bis „auf verfassungsmäßigem Wege“ das Wahlgesetz zu Stande gebracht wird, bis Alles vereinbart ist, kann leicht das Jahr 1850 hereinbrechen, und selbst das Ministerium mit dem
„liberalsten Sinne“ von den Russen nach Hause geschickt sein. Unsere hochachtbaren Ständevertreter lassen sich die Zeit dabei nicht lang werden; sie verzehren in bester Muße ihre 3 Thlr.
Diäten, die sie für ihre Nachfolger als zu viel erachtet haben, und freuen sich, daß es in ihren Sitzungen, die sie hin und wieder halten, gewöhnlich an jeder Tagesordnung fehlt. Eine
hessen-darmstädtische Deputirtenstelle ist in dieser bewegten Zeit ein herrlicher Ruheposten.
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Frankfurt, 2. März.
In der gestrigen Sitzung der Nat.-Vers. legte Hr. Eisenstuck, Abgeordneter aus Sachsen, eine Riesenpetition aus 325 sächsischen Städten und Dörfern, mit 87,112
Unterschriften, und eine zweite aus 233 würtembergischen Städten und Dörfern, mit 34,489 Unterschriften, um sofortige Herstellung der commerciellen Einheit Deutschlands unter Anwendung eines kräftigen
Schutz- und Differenzialzollsystems auf dem Tische des Hauses nieder.
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Freiburg, 1. März.
Das hiesige Hofgericht hat an die Geschwornen und Zeugen in dem Prozesse von Struve und Blind die Aufforderung ergehen lassen, zur Eröffnung der Sitzungen in diesem
Prozesse bis zum 20. März hier einzutreffen.
Französische Republik.
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@facs | 1318 |
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17
] Paris, 2. März.
Der reaktionären Schlange ist auf den Schwanz getreten: „Rückzahlung der Milliarde!“ welch ein entsetzliches Wort! Die Schlange bäumt sich
und zischt im „Memorial“ von Bordeaux: „Nur hirnkränkelnde Schwätzer können auf Plünderung dieser Art ausgehn, möge die Staatsgewalt ihnen baldigst den Mund verstopfen, denn sonst
könnte manch unerfahrner, naiver Landmann (aha!) dadurch verführt werden.“ Und Montalembert, der immer so salbungsvoll mit himmelnden Augen zwei Stunden ohne Unterlaß in der Kammer die
Inquisition predigt, erbaute vorige Woche die Volksrepräsentanten durch eine idyllisch-pommersche Schilderung des „unschuldigen, gottgetreuen, biderden, allem Aufruhr abgeneigten“
Landmanns in Frankreich. Hinter den Elogen des frommen Ritters lauert der Pater des Jesuitenjournals „Univers“: „Sklaven, Knechte muß es immer geben, und nur unter dieser
Bedingung kann die menschliche Gesellschaft bestehen.“ Der „Republicain des Ardennes“ sagt ganz richtig: „Im Mai und Juni habt ihr das Wildschwein angeschossen, ihr waret
zu ungeschickt. Jetzt staunet nicht, wenn es um sich haut und Hunde und Jäger verwundet. An Aussöhnung denkt ihr hoffentlich nicht mehr. Also gebt ihm stark und behende den Genickfang; die andern
Nationen werden auch das Mal wieder euch nachahmen, und der Haupt-Eber in Petersburg selber wird zu Tode gehetzt werden können: Macht aber fürderhin etwas Ganzes, nichts halbes.“
„Corsaire“ merkt, daß die Jagd auf „Kronenwild“ nicht mehr allzufern ist, und Monsieur Rovigo schreibt heute folgende klassische Elegie: „Die Brea'sche
Mordhistorie wird endlich klar durch jene Phrase von La Reforme: vor einem Jahre hielt das Volk von Paris in Händen die Gesandten der fremden Höfe; sie waren todtenbleich und bebten wie Königsanhänger
‒ und dennoch hat es ihrer geschont! Ei welch edles Völkchen! … aber das rothe Blättchen vergißt uns zu sagen, wessen sich Königsanhänger und Gesandte schuldig gemacht? Es erhellt
zugleich aus der obigen Phrase von La Reforme, daß wenn das Volk, oder richtiger La Reforme, Recht über Leben und Tod der fremden Gesandten hat, es auch über einen Parlamentär verfügen kann, und wenn
es ihm beliebte in den Februartagen nicht zu meuchelmorden, so hat es ihm in den Junitagen anders beliebt. Die fünf Mörder Brea's und seines Adjudanten sind Mörder von Parlamentären. ‒
Teufel! das Volk ist Herr, hat uns keine Rechenschaft abzulegen, und wir sind froh noch unsern Kopf auf dem Rumpfe zu tragen. Aber Scherz beiseite, diese Doktrinen der Reformpartei werden den nächsten
Volkssieg für unser eins verdammt unangenehm machen, und die Milde wird schwerlich an der Tagesordnung sein. O wir kennen das Wörterbuch der Rothen: Mörder heißen Unglückliche, Aufrührer sind Helden,
erschoßne Empörer sind Märtyrer, die Meuchler eines Rossi, Latour und Lychnowski verdienen Bildsäulen (wie Sankt Lumpazivagabundus dem Corsaire am Herzen liegt!). Glücklicherweise kramt La Reforme
ihre Herrlichkeiten vorher ans Licht, und das wahre Volk, der wahre Arbeiterstand kann schon vorher urtheilen, ob er sich solchen Mordbrennern unterwerfen will. La Reforme in specie
kommt uns immer vor wie der besoffen gemachte Helorensklave, den die Spartiaten beim Gastmahl in dem Saale herumturkeln ließen, um Abscheu einzuflößen.“ Bekanntlich schrieb der Diktator
Cavaignac den Bombardirern Wien's einen schmeichelhaften Brief; General Changarnier, dieser Chef der antirepublikanischen Verschwörung des 29. Januar, hatte bald darauf dieselbe Höflichkeit
bewiesen, und die wiener Blätter, nicht minder die petersburger, streichen mit großem Enthusiasmus die Bourger- und lyoner Rebellenrede Bugeaud's heraus. Ein einziger Schrei des
Unwillens ertönt deshalb durch die Demokratenpresse aller 86 Provinzen. Soviel ist gewiß, der Geist des Heeres „verschlechtert sich.“ Viele Unteroffiziere, Sergeanten und Fourriere aus
fast allen pariser Garnisonstruppen, wie auch des Weichbildes, feierten ein Bruderbanquet in den Februartagen, dem Volksrepräsentanten beiwohnten; Demosthenes Ollivier, Mitglied der Bergpartei, sprach
ermuthigend und freute sich, die Armee auf diesem Wege zu erblicken. Mehrere Militärs hielten nun hinter einander Toastreden und brachten ein Hoch auf die Republik, welches mehrmals in einer Weise
wiederholt ward, die den königlichen Bestien Changarnier, Bugeaud, Faucher und Falloux wohl noch lange in den Ohren brummen wird. Ich mache den deutschen Leser auf dieses nicht vorher angekündigte
Bankett aufmerksam, welches einestheils so unerwartet auftrat, anderntheils einen tiefen Einfluß auf das Heer haben dürfte, denn der französische Unteroffizier wirkt tausendmal mehr auf seine Soldaten
als der deutsche. Die Demokratenpresse citirt zwar viele Sätze der Redner, verschweigt aber deren Namen; letztere sind, vorsichtshalber, auf dem Bankett gleichfalls verschwiegen geblieben. Trotzdem
ist eine ministerielle Untersuchung bereits im Gange, doch bisjetzt haben sich unter den Kameraden keine Angebende gefunden. Ein Sergeant sagte:„Die elenden Zwerge, die Gegner der Revolution,
mögen noch so wüthend sie befehden, siegen wird sie, und das bald.“ Ein Fourrier: „Freilich sind wir nicht sehr zahlreich auf diesem Bankett, aber Geduld! auch unsre Militärkette wird
einst fallen. Wir können heute nicht, wie wir wollen. Die Disziplin wird immer härter seit Neujahr. Der geringste Fehltritt eines demokratischen Soldaten wird viel schärfer bestraft als früher. Seid
aber gewiß, unsre nicht anwesenden Kameraden sind mit dem Herzen und Verstande gegenwärtig.“ Ein Unteroffizier toastete „auf die Herren Generäle Changarnier und Bugeaud, welche seit
wenigen Wochen und ganz wider ihr Wissen und Wollen, in so vielen französischen Kriegern Revolutionsliebe und Revolutionsgeist erweckten.“
Wenn man die Schilderungen aus unparteiischer, wenngleich nicht parteiloser, d. h. indifferenter, Feder von den Behandlungen der zu den Galeeren verurtheilten Junihelden liest, so kann man sich
‒ klingts auch etwas seltsam ‒ eines leisen Lächelns nicht erwehren, denn unwillkürlich denkt man schon an die nahe Zukunft, wo das Blatt sich fürchterlich gewendet, wo die ganze
Bonaparte'sche Familie, alle Minister, die republikanischen Cavaignacs und die royalistischen Armagnacs, die Meister der Börse und Bank, die Journalisten der Volksvergifterpresse und sonstige
Chefs des Systems, in gelben Hosen und rothen Jacken und Mützen in's Eisen gehämmert werden: ‒ dafern die höchste Justiz der Volksgemeinde gegen sie nicht kürzer vorher verfahren
ist… Man vernehme folgenden Brief:„Im Bagno des Hafens Brest, am Tage der 1848ger Revolution. Lieber Ferdinand, den 17. Februar holte man mich aus dem pariser Gefängniß, um mich nach den
brester Galeeren zu verpacken und zu versenden. Was auch ohne sonstige Mißfälle geschehen ist. Ich war in einen Kasten gesperrt, der sehr eng, und da wir um jedes Bein einen kolossalen Eisenring nebst
Kette trugen, hob man uns in den Wagen. Vorher ward uns Geld, Messer und Löffel abgenommen. Um vier Uhr Morgens fuhr man uns weg und vier Tage und Nächte eines fortwährenden Rollens und Stoßens mußten
wir aushalten. Man ließ uns hart hungern, Käse und Brod des Morgens; Abends Wurst und Wasser. Aber unsre Wächter betrugen sich sehr liebevoll, trotz des strengen Reglements. Die Beine waren dick
angeschwollen, es war Zeit ‒ daß wir anlangten, fährt der Brief des Märtyrers fort. Und wir kamen endlich im Sonnenschein des Bagnohofs, in der Luft zur Besinnung, wonach man uns die Treppe
hinaufschickte. Unsre Gepäcke sollten reglementsgemäß ins Feuer geworfen werden, zu unserm Leidwesen, indeß schloß man sie blos ins Magazin ein. Die neue Kette, die wir nach einem Bade und Einkleiden
in gelbe Hosen, rothe Jacke und Mütze, aber ohne Weste, ohne Strümpfe, ohne Krawatte (nur Holzschuhe von kolossaler Größe trägt der Galeerensklave, nebst einem Ringe an den Füßen) erhielten, war etwa
8 Fuß lang, 4 für mich, 4 für meinen Reisegefährten. Man gab uns ein hartes Feldbett und eine Wolldecke und ließ uns drei Tage ohne Arbeit, wegen unsrer geschwollenen Beine. ‒ Also wäre es
wirklich wahr, daß ehrliche Republikaner in diesem Bagno zehn Lebensjahre verbringen sollen? und das in der Republik?! ‒ Dann trennte man uns, und zu meinem Schmerze schmiedete man meinen Ring
an die Kette eines Mannes Namens Faure, dessen Fehltritt oder dessen Verbrechen ich bisjetzt noch nicht kenne. Ist es keine ganz verstockte Seele, wie ich hoffe, so werde ich ihm, so gut es geht,
einige der ernsten Grundsätze einimpfen, die ich zeither stets befolgte, von früher Jugend auf. Was auch komme, ich werde ohne Jammern auszuharren wissen… Ich freue mich, daß wir alle diese
schwere Probe mit Muth sämmtlich erduldeten. Diese großen Herzen haben keinen Augenblick gewankt. Und wir trugen hoch den Kopf als wir heute früh zum Hafen gingen auf die Galeeren der Republik, trotz
unsrer Ketten und Kostüme, trotz unsers geschorenen Schädels und unsrer gestutzten Schnurrbärte. Übrigens sind wir vollkommen wohl.“
„Ich ersuche dich, lieber Freund, heißt es weiter, meine zehnjährige Tochter zu umarmen und möge dieses Schreiben allen, die so liebreich versprachen sich des armen Mädchens anzunehmen,
gezeigt werden. Wie steht es mit dem zweiten Kinde, das bei der Amme auf dem Dorfe ist?… Höchst quälend ist daß die zwei aneinander Geschmiedeten fort und fort sich folgen müssen, Tags wie
Nachts, und selbst bei der Unbequemlichkeit des Lebens hat man immer einen Begleiter auf 8 Fuß Entfernung.“ Die Journale beeilen sich diesen Brief mitzutheilen; dafür wird das
„Peuple“ den Kasernen untersagt, und „La Reforme“ auf dem Marktplatz zu Uzes im Süden feierlichst in den Scheiterhaufen geworfen. Dieses unglückselige Uzes ist seit Juni
von der „honnetten“ oder „gemäßigten“ Presse in einer Weise aufgeregt worden, die ich früher mit Beispielen erwähnt (z. B. die dortige „Liberté“
brachte 3 Tage lang einen Sturmartikel, der anfing: „nieder, nieder, nieder die Feinde Gottes, der Tugend, der Arbeit, des Volkes; möge sich Niemand scheuen das Blut dieser republikanischen
Brut zu verspritzen“) und die bekanntlich am Aschermittwoch zu Gräueln bereits führte.
Als die Aristokratenjournale scharf von den Volksblättern deswegen interpellirt wurden, antwortete der Moniteur mit einem Lügenbericht. Berlin's Journal jammerte über dies „deutsche
Ideenchaos, welches sehr einem Vulkane ähnlich“ und widmete den preußischen Kammern einen Leitartikel durch zwei Spalten. Auch den demokratischen Kongreß vom Oktober besprach es wieder ein Mal
bei dieser schönen Gelegenheit und citirte „die socialistischen Beschlüsse desselben, welche dem materiellen Theile des Menschen einen so argen Einfluß auf den höhern einräumen, mithin einer
Kulturvernichtung in die Hände arbeiten“; und heute quält es sich auf drei Spalten ab, durch das schlecht gedachte und schülerhaft stylisirte Schriftchen eines Monsieur Frankh unterstützt, dem
Lindwurm des Kommunismus theoretisch den Hals umzudrehen. „Es wird Abend für diese alternden Sünder“, sagt die „Boix du Peuple“ in Marseille sehr richtig Welchen Kummer und
Zorn erregten in ihnen nicht gewisse Toaste des pariser Februarfestes im Klubsalon der „Fraternite“ in der Straße Martell!
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@facs | 1318 |
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*
] Paris, 3. März.
Man erinnert sich, daß „le jeune Leon Faucher“, diese ministerielle Erfindung Odilon Barrot's, dieser bellestristische
Statistiker und debattirende Oekonomist, im „Moniteur“ wüthende Angriffe gegen die „rothe Republik“ und Ledru Rollin's Bankettrede abdrucken läßt. Leon
Faucher, dessen Leitartikel im „Courrier Français“ spurlos vorübergingen, hofft nun durch den Minister auch den Journalisten zu Ansehen zu bringen und veröffentlicht daher jetzt
seinen Premier Paris im Moniteur.
Ledru Rollin schickte dem Moniteur eine Ewidrung ein. Der Moniteur verweigerte die Insertion. Wir geben die interessantesten Stellen aus diesem Schreiben.
„An den Redakteur des Moniteurs.
Bisher hat Ihr von den gesetzgebenden Versammlungen besoldetes Blatt die Mitglieder derselben nicht zu insultiren gewagt. Das jetzige Ministerium will es in andrer Weise ausbeuten. Die
Nationalversammlung wird bald zu entscheiden haben, ob dieß der Bestimmung eines Blattes entspricht, welches nur gestiftet ist, um die offiziellen Dokumente und die historischen Ereignisse
einzuregistriren; sie wird folglich entscheiden, ob Sie länger die Ihnen vom Volke bezahlte Subvention zu beziehen haben.
Der Moniteur steht unter besonderer Aufsicht des Ministers des Innern. Mehr als jeder andere ist dieser Beamte daher für den Inhalt des offiziellen Blattes verantwortlich. Zudem, in Ihrem Artikel
gegen mich erkennt alle Welt die Hand des Herrn Faucher. Wäre ich seinen gegen mich versuchten Beleidigungen zugänglich, wie leicht, mich an ihm zu rächen! Es würde genügen, den Beweis zu liefern, daß
dieser halbe Faucher vor kaum sieben Jahren um meine Patronschaft bettelte, um Deputirter von Saint-Valeryen-Cour zu werden. Und dennoch sprach ich mich zu jener Epoche schon offen als sozialistischen
Republikaner aus, so gut wie heute.“
Ledrü-Rollin weist dann die Anschuldigungen Faucher's als Verläumdungen zurück. „Die Regierung, sagt Faucher, befürchtet keine sozialistische Ansteckung der Armee. Und mit dieser
Phrase glaubt man das Land täuschen und seinen Ingrimm verstecken zu können? Laßt uns sehen. Ich erfinde nicht, ich erzähle Thatsachen. Ein Unteroffizierbankett hat zu Paris stattgefunden; die
Anwesenden vertraten einen sehr bedeutenden Theil der Pariser Regimenter.“
„Der erste Toast lautete wie folgt:
Es hat die Stunde geschlagen, wo alle Mißbräuche und Privilegien aufhören müssen, um der Herrschaft der Vernunft und der Gerechtigkeit Platz zu machen. Republikaner, schließen wir fester unsre
Reihen und zeigen wir den Elenden (merken Sie sich das wohl, Herr Minister des Innern!), welche die sträfliche Hoffnung einer monarchischen Restauration hegen, daß die Armee durchgängig den
demokratischen Prinzipien ergeben ist. Sie ist bereit, für deren Vertheidigung ihr Blut zu vergießen.“
„Ein zweiter Toast wurde ausgebracht: auf die demokratische und humanitärische Bergpartei!
Ein dritter Toast: Es lebe die demokratische und soziale Republik!, wurde mit nicht endendem Beifallsruf empfangen.
Ein vierter Toast lautete: Jeder Verdacht einer Contrerevolution wäre eine Beleidigung für die Armee. Sehr richtig hat ein Mitglied des Berges gesagt: Die soziale Idee ist in die Kaserne
gedrungen, alle Versuche, sie zu tödten, sind von nun an eitel.
Ich könnte, schließt Ledrü-Rollin, noch mehrere andere Toaste hinzufügen, alle waren eingegeben von demselben Geiste. Aber es ist wahr, wir müssen es sagen, um gerecht zu sein und den Geist des
passiven Gehorsams in der Armee zu konstatiren, daß dieses Bankett mit einem Toast auf Changarnier und Bugeaud beschlossen wurde, aus dem Motiv, daß diese Herren, ohne es zu ahnen, die Armee einen
großen Schritt weiter habe thun lassen auf der Bahn der sozial-demokratischen Republik.“
Hierzu eine Beilage.