Deutschland.
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] Köln, 27. Februar.
Assisenverhandlung wegen Aufreizung zur Rebellion.
Verhandelt zu Köln den 8. Februar.
(Schluß. Siehe Nr. 232.)
Karl Schapper: Meine Herrn Geschworenen. ‒ Nach der Vertheidungsrede meines Mitangeklagten, des Herrn Marr, habe ich nur noch wenige Worte an Sie zu richten.
Das öffentliche Ministerium hat versucht sich bei der Anklage gegen uns auf den konstitutionellen Boden zu stellen, es ist ihm dieses jedoch, Sie werden mit mir der Meinung sein, sehr schlecht
gelungen.
Es hat versucht zu beweisen:
1) daß der König das Recht gehabt habe, die constituirende preußische Nationalversammlung zu vertagen und aufzulösen; dieselbe folglich nach dem 9. November vorigen Jahres keine Beschlüsse, also
auch keinen Steuerverweigerungsbeschluß mehr fassen konnte;
2) daß die Nationalversammlung überhaupt nicht das Recht hatte, die Steuern zu verweigern;
3) daß wenn sie selbst das Recht die Steuern zu verweigern besessen hätte, sie es doch ohne die allerhöchste Noth nicht hätte ausüben dürfen, da ein solches Mittel direkt zum Bürgerkrieg führe
‒ und diese allerhöchste Noth sei noch nicht verhanden gewesen und endlich
4) daß wir, die Angeklagten, noch viel weiter gegangen seien, als die Herrn Vereinbarer, daß wir direkt versucht hätten, den Steuerverweigerungsbeschluß zur Ausführung zu bringen, folglich dem
Strafkoder verfallen seien.
Erlauben Sie, meine Herrn Geschwornen, daß ich meine Meinung über diese Punkte, im Gegensatz zu der des öffentlichen Ministeriums, entwickele.
Im März hatte das Volk gesiegt, das absolute Königthum war gebrochen, es stand sogar in der Macht des Volkes die Monarchie ganz zu beseitigen, die Majorität desselben erklärte sich jedoch für das
konstitutionelle Königthum und für eine Feststellung durch seine Repräsentanten, der Rechte und Befugnisse des Königs einerseits und des Volkes andrerseits.
Die Volkssouveränetät war feierlich anerkannt die konstituirende Versammlung ward berufen, und sie stand, wenn nicht über der Krone, doch wenigstens mit ihr auf gleicher Stufe.
‒ Wir haben hier zwei moralische Personen, die einen Kontrakt mit einander abzuschließen haben ‒ keine hat das Recht die andere gänzlich zu beseitigen, zu vernichten ‒ denn sonst
hört alle Vereinbarung, alle Abschließung, auf.
Wenn der König, aus Besorgniß für die Nationalversammlung, dieselbe von Berlin nach Brandenburg verlegen konnte, so hatte die Versammlung eben so gut das Recht, den König, aus Besorgniß für seine
Person, von Potsdam nach Berlin zu verlegen; wenn der König das Recht hatte die konstituirende Versammlung auseinanderzujagen, so hatte die letztere noch vielmehr das Recht den König fortzujagen, und
dieses Recht hat doch wahrscheinlich das öffentliche Ministerium nicht für die Versammlung vindiciren wollen. Die Contrerevolution hat durch geschickte Manöver augenblicklich gesiegt, und dieser Sieg
hat ihr das Recht gegeben nach ihrem Gutdünken zu handeln, so hätte das öffentliche Ministerium sagen, aber sich nicht auf den konstitutionellen Rechtsboden stellen sollen.
In Betreff des zweiten Punktes will ich nicht auf einer Masse alter, verrotteter vormärzlichen Gesetze fußen, wie der Herr Staatsprokurator es gethan, sondern auf dem gesunden Menschenverstand.
Meine Herrn Geschwornen, in einem konstitutionellen Staate ist der König der erste Magistrat, er hat von dem Volk die Aufgabe erhalten, die Gesetze im Interesse Aller, und nicht allein im Interesse
seines Hauses oder einer Katze vollstrecken zu lassen. ‒ Dafür bezahlt ihn das Volk. ‒ Erfüllt er nun seine Aufgabe nicht mehr, so erhält er auch kein Geld mehr, das ist ganz einfach und
höchst konstitutionell-bürgerlich. In diesem Sinne handelte die konstituirende Versammlung als sie die Steuerverweigerung aussprach und sie hatte vollkommen recht.
Hinsichtlich des dritten Punktes sagte das öffentliche Ministerium, es sei noch nicht nöthig gewesen die Steuern zu verweigern, selbst wenn die Versammlung das Recht dazu gehabt hätte. ‒ Ich
behaupte sie hätte es schon früher thun sollen, wir wären dann nicht durch die Contrerevolution für den Augenblick besiegt worden. ‒ Mein Vorredner hat Ihnen schon höchst klar bewiesen, daß
hier nicht einzelne Personen oder Fraktionen sich bekämpfen, sondern daß sich die alte abgelebte feudale Gesellschaft und die nach der Herrschaft strebende bürgerliche Gesellschaft einander feindlich
gegenüber stehen, daß dieses ein Kampf auf Leben und Tod ist; daß es sich hier darum handelt, zu beweisen, ob wir Deutschen noch Lebensfähigkeit genug besitzen, um uns aus einem Zustand
herauszuarbeiten, denn wir schon lange hätten beseitigen sollen, oder ob wir wirklich am Rückwärtsschreiten sind und dem asiatischen Despotismus verfallen müssen.
Daß die Krone und ihre Repräsentanten es nicht aufrichtig mit ihren Märzversprechungen meinten, war schon im August auch denen klar, die früher an die Redlichkeit derselben glaubten, damals hätte
man schon nicht einen unhaltbaren Waffenstillstand schließen, sondern den Kampf aufnehmen sollen, es wäre dann gewiß unsägliches Elend von unserm Vaterlande abgewendet worden.
Sie erinnern sich, meine Herren, des Antrags des Abgeordneten Stein. ‒ Er verlangte ganz einfach, das Ministerium solle seine Aufrichtigkeit für die konstitutionellen Institutionen dadurch
bethätigen, daß es den reaktionären Offizieren es zur Ehrenpflicht mache, aus der Armee auszutreten. Was thaten die Diener der Krone? Sie verweigerten die Ausführung des Beschlusses der
Nationalversammlung und traten ab; dann kamen andere, die halbe Versprechungen machten, um Zeit zu gewinnen, weil man damals noch nicht offen mit seinen Plänen hervorzutreten wagte. ‒ Hätte man
es aufrichtig gemeint, hätte man wirklich die alte feudale Gesellschaft aufgeben und die bürgerliche anerkennen wollen, so hätte man die von Stein vorgeschlagene Maßregel schon im letzten Frühjahre
ausgeführt, und wäre dann nicht mit der Nationalversammlung in Konflikt gerathen. In der That, meine Herren, in einem konstitutionellen Lande sind die Offiziere nicht mehr Diener des Königs, sondern
Diener des Staats, der sie für ihre Dienste bezahlt. ‒ Sind sie nun mit den Institutionen dieses Staates nicht einverstanden, wollen oder können sie ihm nicht treu und redlich dienen, so
verlangt es ihre Ehre, daß sie austreten, und sich nicht länger bezahlen lassen für Dienste, die sie nicht thun wollen. ‒ Das ist doch ganz einfach. ‒ Als die Nationalversammlung später
die auf dem Bauernstande haftenden Feudallasten aufheben wollte, als sie gar Adel, leere Titel und Orden abschaffte, schrie man Zeter und Mordio, und drängte die Krone, einen Staatsstreich so schnell
als möglich auszuführen. Man schrie über Verletzung des Eigenthums, ‒ als wenn man nicht gerade beabsichtigt hätte, durch die Abschaffung der feudalen Vorrechte das bürgerliche Eigenthum
festzustellen! ‒ Hätte man den konstitutionell-bürgerlichen ‒ den modernen Staat wirklich gewollt, so hätte man ohne weiteres die Privilegien aufgehoben, die die Entwickelung desselben
verhindern ‒ ja unmöglich machen, man hätte sich nicht an Ordensbändchen angeklammert, die in unserer Zeit gar keine Bedeutung, gar keinen Werth mehr haben sollten, die unnütze Spielereien sind
und nur das ohnehin schon so besteuerte Volk ein schweres Geld kosten.
Ja, meine Herren Geschworenen, ich behaupte nochmals, man hätte schon im September die Steuern verweigern sollen, es war schon damals die allerhöchste Noth dazu, wenn man die moderne Gesellschaft
retten, wenn man mit der feudalen für immer ein Ende machen wollte.
Das öffentliche Ministerium behauptet ferner, die Steuerverweigerung führe direkt zum Bürgerkrieg, zur Anarchie. ‒ Meine Herren, die Anarchie war schon da, ehe der
Steuerverweigerungsbeschluß gefaßt wurde, die Anarchie existirt immer, wenn, wie es in Preußen der Fall ist, sich eine Minorität gegenüber der Majorität durch rohe Gewalt an der Spitze des Staates zu
behaupten sucht. ‒ Die Steuerverweigerung war das einzige Mittel, eine neue Revolution zu vermeiden, darum nahm die Nationalversammlung zu derselben ihre Zuflucht. ‒ Geben sie den
Dienern der Reaktion nichts mehr zu essen, und ihr Widerstand wird bald schwinden. ‒ Vor der Finanznoth beugen sich selbst Kanonen und Bajonette und werden machtlos. Die Steuerverweigerung ist
die ultima ratio populorum gegen die ultima ratio regum. Will die Staatsgewalt nicht den Willen der Majorität anerkennen, stellt sie diesem Willen Kanonen und Bajonette gegenüber, so macht einfach
diese Majorität den Beutel zu, und der bald eintretende Hunger wird die Widerspenstigen schon zur Vernunft bringen. ‒ Die Steuerverweigerung ist in der That das einzige friedliche Mittel, den
Volkswillen gegenüber der rohen Gewalt zur Geltung zu bringen.
Endlich, meine Herren, behauptet das öffentliche Ministerium, wir seien viel weiter gegangen als die Herren Vereinbarer. ‒ Will das öffentliche Ministerium etwa damit behaupten, die
Nationalversammlung habe bloß beschließen, aber ihren Beschluß nicht ausführen, d. h. einen schlechten Witz machen wollen? Ich glaube doch nicht. ‒ Wenn man etwas beschließt, so muß man auch
die Absicht haben, es auszuführen, also sind wir Angeklagte keineswegs weiter gegangen, als die Herren Vereinbarer. ‒ Wenn Sie wissen, daß irgend Jemand kein Recht hatte, Ihnen Ihr Geld
abzunehmen, dieser Jemand Sie aber doch packt und es mit Gewalt nehmen will, was thun Sie dann? ‒ Sie setzen sich zur Wehr, vertheidigen Ihr Eigenthum und schlagen dem Angreifer auf den Kopf
‒ das ist doch ganz natürlich. Ganz dasselbe ist es mit der Steuerverweigerung; die Nationalversammlung hatte erklärt, daß ein hochverrätherisches Ministerium kein Recht mehr habe, Steuern zu
erheben, es war also die Pflicht eines jeden guten Bürgers, sich in Vertheidigungszustand zu setzen, um etwaige unbefugte Eingriffe in sein Eigenthum abzuwehren. In England schließt man bei solchen
Anlässen sein Haus zu und behandelt dann jeden, der mit Gewalt in dasselbe einzudringen sucht, als einen Räuber.
Meine Herren, ich bin gewiß, daß Sie das Recht der Steuerverweigerung anerkennen, daß Sie daher auch uns, die wir dieses Recht auf Befehl der Vertreter des Volkes zur Geltung zu bringen suchten,
nicht schuldig finden werden, trotz des Siegs der Contrerevolution.
Aber sollten sie selbst dieses Recht nicht anerkennen, so werden sie uns doch frei sprechen, da die Regierung, wahrscheinlich aus politischen Gründen, bis jetzt die Urheber des Beschlusses noch
nicht hat verfolgen lassen ‒ wie Hr. Rintelen selbst erklärt. ‒ Unser Prozeß hat einige Aehnlichkeit mit dem im Jahre 1836 in Straßburg geführten. Hier ließ auch die französische
Regierung aus politischen Rücksichten den Hauptangeklagten, den jetzigen Präsidenten der französischen Republik, frei, während sie diejenigen Offiziere und Bürger, welche seine Absichten unterstützt
hatten, vor die Assisen stellte. Die Geschwornen in Straßburg erklärten dieselben einstimmig für nicht schuldig, obgleich sie mit den Waffen in der Hand gefangen genommen worden.
Meine Herren Geschwornen, ich habe nichts weiter zu meiner Vertheidigung hinzuzufügen, da ich überzeugt bin, daß Sie, mögen Sie nun das Recht der Nationalversammlung, die Steuern zu verweigern,
anerkennen oder nicht, auf die Anklage des Parkets einstimmig mit Nichtschuldig antworten werden.
Der Angeklagte Schneider II. erhält das Wort.
Karl Schneider II. Meine Herren Geschwornen. Als die Kunde von dem Siege der Contrerevolution in Wien nach Berlin kam, folgte auch dort die längst vorbereitete Contrerevolution auf dem Fuße
nach. Hier wie dort beeilten sich die Werkzeuge der augenblicklich wieder erstandenen alten Macht Alle, welche in irgend einer Weise sich bei dem frühern Umschwunge der Dinge betheiligt hatten, unter
dem Deckmantel der Gesetze zu verfolgen. In Wien wurden diese Gesetze von Windischgrätz und den Kroaten gehandhabt. Preußen hat einen Wrangel, Staatsanwälte und Prokuratoren. Hier wie dort werden die
Urtheile und Strafanträge nicht nach dem Inhalte der Gesetze bemessen. Der Strang oder die Begnadigung zu Pulver und Blei trifft den, welcher nach dem Wortlaute unanwendbarer Gesetze einer strafbarer
Handlung verdächtig ist. Der Verfolgte auf dem nicht einmal ein Verdacht lastet, wird nach Umständen, zu mehrjähriger Schanzarbeit begnadigt. Weil man sich scheute uns, die wir nur unsere Pflicht
gethan, des Umsturzes der Verfassung, oder der Erregung des Bürgerkrieges anzuklagen, verfolgt man uns auf Grund eines in jeder Hinsicht unpassenden Strafartikels, der nur eine gelinde Strafe androht.
Ich muß Ihnen, meine Herren, die Art. 209 bis 217 unseres Strafgesetzbuches im Zusammenhange vorlesen, um Sie sofort zu überzeugen, wie wenig dieselben dem vorliegenden Falle entsprechen. Während
unsere Handlung, wenn sie nicht aus politischen Gründen straflos wäre, wohl unter die Art. 87, 90, 102 als ein Komplott zur Erregung des Bürgerkrieges, zur Bewaffnung gegen die königliche Gewalt resp.
zur Aufforderung dazu, fallen könnte, ist in den vom öffentlichen Ministerium bezogenen Artikeln nur der einzelne konkrete Widerstand gegen einzelne bestimmte Beamte, z. B, der thätliche Widerstand
eines Schmugglers, des widerstrebenden Verhafteten etc. mit Strafe bedroht. ‒ Der Beschuldigte sucht nun unter Vergleichung der betreffenden Gesetzesstellen diesen Unterschied näher auszuführen
und mit Rücksicht auf die bestehende Jurisprudenz darzuthun, daß die im Art. 217 verzeichnete Aufforderung zum Widerstande nach Analogie des Artikels 102, der ausdrücklich das Wort directement
gebrauche, eine direkte, unmittelbare sein müsse ‒ und fährt dann fort: Dieses Alles trifft nun bei dem inkriminirten Aufrufe nicht zu. Er enthielt weder die Aufforderung zu einer
bestimmten That noch die direkte Aufforderung zu einer solchen. Lediglich den Inhalt des fraglichen Aufrufs, nicht unsere sonstige Ihnen nicht verschwiegene Ansicht über die Berechtigung
des Volkes zum bewaffneten Widerstande haben Sie, meine Herren, zu prüfen, und da zeigt sich sosofort, daß wir nur theoretisch aussprachen, was durch die Umstände zu thun geboten sei.
Wir erließen keine Aufforderung an die, welche die Steuern weigern sollten; nur die bestehenden Vereine werden ersucht, Anträge in unserm Sinne zu stellen und etwaige Beschlüsse auszuführen. Wenn
endlich das öffentliche Ministerium unsere Aufforderung selbst dann straffällig finden will, wenn der Steuerverweigerungsbeschluß der Nationalversammlung als berechtigt anerkannt werden müßte, so ist
allerdings von der Versammlung nicht direkt zur Gewalt aufgefordert worden, doch ist diese offenbar eine nothwendige Consequenz des Beschlusses. Bereits mehrere Tage vor dem Beschlusse der Versammlung
hatten wir, d. h. der demokratische Provinzialausschuß, die Steuerverweigerung als politische Nothwehr anempfohlen, dabei jedoch von jedem gewaltsamen Widerstande abgerathen. (Der Beschuldigte
verliest den betreffenden vom 14. Nov. datirten Aufruf.) Nach dem Bekanntwerden des Steuerverweigerungsbeschlusses der Vereinbarerversammlung erklärten wir mit besonderer Bezugnahme auf denselben,
jede Art des Widerstandes für berechtigt.
Nur zur Beleuchtung der dreisten Behauptung des öffentlichen Ministeriums, daß die juristische Anwendbarkeit des bezogenen Strafartikels keinem Zweifel unterliegen könne, habe ich und ich gestehe
es, theilweise mit innerm Widerstreben den Inhalt und die Entstehung unseres Aufrufes näher geprüft, indem dessen Straflosigkeit schon aus durchgreifenden politischen Gründen zu erweisen
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ist. In dieser Beziehung ist Ihnen die Grundlosigkeit der Anklage von meinen Vorgängern schon so umfassend und schlagend nachgewiesen worden, daß ich nur noch einige Punkte aus dem Vortrage des
öffentlichen Ministeriums berühren will. Ein Verzicht, sagt das öffentliche Ministerium, darf nicht ausgedehnt, interpretirt werden. Die Krone verzichtete auf einen Theil ihres Souverainetätsrechtes,
sie berief eine Versammlung ein zur Vereinbarung der Verfassung. Dadurch verzichtete sie nicht auf das Recht, diese Versammlung zu verlegen, zu vertagen, zu schließen. Mit größerm Rechte, meine
Herren, läßt sich dieser Satz des öffentlichen Ministeriums über den Verzicht umgekehrt anwenden. Die Souveränetät war, wie überhaupt rechtlich, so auch faktisch, im verflossenen Frühjahr beim Volke.
Erklärten nun dessen Vertreter, die freilich nach dem Worte des Wahlgesetzes nur zur Vereinbarung in der That aber durch die siegende Macht der unzweifelhaft stattgefundenen Revolution zur
Constituirung der Verfassung berufen waren, sich einverstanden mit der Theorie der Vereinbarung, so darf eben diese Erklärung, dieser Verzicht, nicht ausgedehnt ausgelegt werden. Der Krone stand das
Volk als der gleichberechtigte Contrahent gegenüber. Der Verzicht, selbstständig die Verfassung zu geben, kann nicht dahin verstanden werden, daß nur der eine Contrahent, das Volk, sich jeder freien
Selbstbestimmung entäußern wollte. Die Macht, frei den Vertrag zu schließen, hörte aber offenbar auf, sobald dem Volke, oder dessen Vertretern nicht einmal mehr gestattet werden sollte, einen Entwurf
des zu vereinbarenden Vertrages abzufassen, sobald den Volksvertretern selbst nicht einmal das Urtheil darüber zustehen sollte, ob sie frei oder durch äußern Einfluß terrorisirt, ihre
Majoritätsbeschlüsse gefaßt hätten.
Daß aber auch, was das öffentliche Ministerium als erwiesen annimmt, in der That die Beschlüsse nicht durch Terrorismus diktirt waren, folgt wohl am unwidersprechlichsten schon aus dem Beschlusse
vom 31. Oktober, wo Waldecks von der Berliner Bevölkerung mit allen Mitteln unterstützter Antrag, zum Schutze der in Wien bedrohten Volksfreiheit die Staatskräfte aufzubieten, von der Versammlung
verworfen wurde.
Das öffentliche Ministerium bemühte sich ferner, in längerem Vortrage auseinanderzusetzen, daß der aufgelösten Versammlung das Recht der Steuerbewilligung und folgeweise der Verweigerung nicht
zugestanden habe. Obschon es nicht schwer fallen dürfte, nach Lage der damaligen Staatsgesetzgebung dieses Recht der Versammlung zu erweisen, so ist dieses für unsern Fall völlig unerheblich; denn
nicht als ein durch Verfassung oder Gesetz gegebenes Recht ist in Wahrheit hier die Steuerverweigerung ausgesprochen worden, sondern als ein Akt der Nothwehr gegen ein revolutionäres, anerkannte
Rechte des Volkes verletzendes Ministerium. Gerade der von dem öffentlichen Ministerium hervorgehobene Unterschied zwischen einer konstitutionellen und einer konstituirenden Versammlung bedingt auch
den Unterschied zwischen der Steuerverweigerung innerhalb der Grenzen der Constitution und der Steuerverweigerung im gegebenen Falle.
Das öffentliche Ministerium legt endlich Gewicht auf den Ausspruch des Landes über den stattgehabten Konflikt zwischen Krone und Volk. Nun wahrlich, die Stimme des Landes hat deutlich genug in den
jüngsten Wahlen für die 2. Kammer gesprochen und Ihr Urtheil, meine Herren, deß bin ich überzeugt, wird diesem Ausspruche des Landes durch ein einhelliges „Nichtschuldig“seine Zustimmung
geben.
Die Jury sprach nach einer halbstündigen Berathung einstimmig ihr freisprechendes Urtheil aus.
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]Leipzig, 25. Februar.
Gestern, zwischen Licht und Dunkel, wurde hier bekannt, daß unser 1815 zwischen Wien und Berlin ostroyirtes Vizekönigthümchen mit einem königlich
preußischen Ministerium Brandenburg-Manteuffel en miniature beglückt worden sei. ‒ Die entschiedene Reaktion Olmütz, Petersburg und Berlin hat endlich auch in Sachsen Posto gefaßt; sie hat ein
achselträgerisches, charakterloses, feiges Ministerium über'n Haufen geworfen und ein büreaukratisches eingesetzt. Während das italienische Florenz sich frei macht, wird das deutsche Florenz
wieder unterthänig. Als Blum in Wien ermordet, vielmehr getödtet wurde, wie man sich hier ausdrückt, sagte man in Sachsen: Was können wir machen gegen das mächtig-(ohnmächtige) Oesterreich? und
strafte die paar entrüsteten Seelen, welche in Leipzig das Wappen des in Blut schwimmenden Standrechtskaisers herabgerissen, mit sechsjährigem Zuchthaus; das Sachsenvolk wird jetzt ebenso
gebildet-schlapp ausrufen: „Was können wir machen? preußische Soldaten werden kommen, wenn wir uns rühren.“ „Was können wir machen?“ ist überhaupt deutsche Parole, während
der Italiener und Magyare der vereinigten Gewalt von ganz Europa trotzen, obwohl sie wissen, daß sie nicht nur Armeen von 800,000 Oestreichern, 600,000 Russen, 600,000 verpreußten Deutschen, eben so
vielen enkannaillirten Franzosen, 100,000 Italienern gegenüberstehen, sondern es obendrein noch mit wider sie aussanatisirten Nationalitäten zu thun haben. Der Deutsche, namentlich der
Centraldeutsche, ohne Leidenschaft, ohne Blut, ohne Energie, hält fest an der Parole seiner demokratischen Thomasprediger:„Was können wir machen?“, entrüstet sich sogar wider solche, die
Leidenschaft, Blut, Energie, Muth von ihm verlangen, und wird in seinem unheilbaren christlich-germanischen Blödsinn ihr entschiedener Feind. Man muß, um Glück zu machen, die Demokratie hier durchaus
predigerweise treiben, wie z. B. der Wiener Flüchtling Eckard, dessen segensreiches theologisch-demokratisches Wirken sogar von Blättern gepriesen wird, die sich für rothe halten. Eckard, einer jener
Süßholz-, Sammt-und Phrasen-Demokraten, hält in seiner Weise nämlich zuweilen demokratische Frauengesellschaften, die er durch Skizzen über Wien's Oktobertage demokratisch elekrisirt, indem er
im gottgebenedeiten Tone eines heulenden Predigers eine ganze Litanei hohler, thränenreicher Phrasen herabweint und dann ‒ zum Entzücken der deutschen Schafe ‒ mit einem
deutsch-katholisch-christlich-germanischen Gebet, sage und schreibe, Gebet, endet. ‒ Das ist doch die klassischste Eruption unseres deutschen Revolutions-Vulkans! Herr, erbarme Dich des
deutschen Verstandes! ‒ Doch wieder zu unsern Ministern. Sie heißen: Held, Weinlig, von Ehrenstein, von Beust (direkt von Potsdam gekommen), von Buttlar (kroatischen
Ursprungs, Adoptivsohn von Windischgrätz und Wrangel). Der Exminister Braun log der zweiten Kammer, bona fide vielleicht, vor, derselbe Grund, welcher vor 4 Wochen das Ministerium bestimmt habe, seine
Entlassung einzureichen, habe auch diesmal den Abtritt veranlaßt; das Ministerium habe sich nämlich nicht der Majorität der Kammer zu erfreuen. Der Exminister Oberländer sprach in der ersten Kammer
indessen wörtlich also: „Ich gebe zu, daß die Majorität nicht den Abtritt des Ministeriums wollte, es kommt aber nicht auf die Tendenz, sondern auf die Thatsache an, (seit wann ist die
Majorität denn keine Thatsache, sondern eine Tendenz?) ob das Ministerium auf eine feste Majorität rechnen könne.“ Ist das nicht kurios-dumm und dumm-kurios? Hinterher stammelte Oberländer
unter Thränenbächen, er habe ein deutsches Herz. Ich bestreite ihm diesen Vorzug durchaus nicht, im Gegentheil. ‒ Vor 4 Wochen nahm der König das Entlassungsgesuch der sogenannten
demokratischen Minister nicht an, und bekam darüber von Olmütz und Potsdam her tüchtige Nasenstüber zugesendet, so daß er mit seinem Höfchen nun wieder die plebeischen Minister eifrig zu
intriguiren begann, bis diese ihm den Gefallen thaten, noch einmal die Entlassung einzureichen. Die Ernennungsbulle wurde bei der Hitze des Verfahrens längst in petto gehalten, so daß Held schon damit
hervorstürzte, bevor noch die Exminister ihr Entlassungsgesuch ordentlich vorgebracht hatten. ‒ Zum Schluß thaten die, wie man hier sagt, ultrademokratischen Exminister dem Hofe noch den
Gefallen, den Kammern etwas von mangelnder Majorität vorzuplaudern, ihren höflichen Abtritt jedoch zu verschweigen. ‒ Nur Schaffrath hatte den Geist, sich darüber zu verwundern, daß
keiner der Exminister, sondern konstitutionswidrig schon der neue Minister Held die Erneungsbulle kontrasignirt habe, und Tschirner forderte ein Programm von dem neuen Ministerium, oder ein
Mißtrauensvotum der Kammer. ‒ Unterdessen unterhält man sich in den Kneipen bereits von der Auflösung der Kammern, vom Einmarsch der Preußen und vom Belagerungszustand à la Berlin.