Französische Republik.
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]Paris, 22. Febr.
Die ganze demokratische Presse ist einig. Kassirung des Urtels gegen die fünf Tödter des Generals Brea zu fordern; nur die Blätter der Bornirten oder
Bourgeoisrepublik wissen nicht recht, was für ein Gesicht sie zu der Sache machen sollen. Der, jetzt monatlich publicirte, „Populaire“ Cabet's sagt sehr richtig in der
vorgestrigen Nummer: „Nach Art. 5 unserer Constitution ist die Todesstrafe in politischen Dingen abgeschafft; und dieser unsterbliche Artikel wird jetzt gerade von den honetten,
gemäßigten Republikanern verletzt und, so zu sagen, auf fürchterliche Weise verhöhnt. Nach einer schleppenden Untersucherei von sieben Monaten treibt man die Angeklagten vor das
Kriegsgericht und dieses, auf Wunsch des Hrn. General Marschall Bugeaud, entfernt sorgsam alle und jede Milde, rungsumstände und gelangt so endlich zu dem Resultate, süne Bürger zum Schaffott
zu verdammen. Wollte man erwidern das denselben beigelegte Verbrechen sei kein politisches, so mußts man sie nicht vor ein Soldatengericht, nicht vor einen Ausnahmsgerichtshof, sondern vor das
ordinäre Assisengericht stellen, welches allein über Mord zu entscheiden hat. Die moderirten, honetten Republikaner erkennen also weder die ewigen Menschheitsgesetze, noch die kürzlich von ihnen
selbst gemachte Constitution als heilig an; sie stehen schon unter den Oestreichern, welche die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft haben; unsere Honetten und Moderirten betrachten die
Constitution als ein Mittel, das Volk zu knebeln, um es später, entwaffnet und arg verstümmelt, der Gnade des Verschmitztesten und Stärksten zu überantworten.“ Weiterhin sagt dies Blatt:
„Schon kennen unsere Reaktionäre, die verschiedenen Royalistenparteien, keine Grenze in ihrer Frechheit mehr. Sie beherrschen bereits vollständig alle Fächer der Verwaltung, die Magistraturen,
das Heer. Beinah auf jedem Dorfe hauen sie die Freiheitspappel um, predigen den Bürgerkrieg mit seinen Entsetzlichkeiten; den Krieg gegen Paris, die Wegkaperung der öffentlichen Kassen. Sie
träumen nur noch von Blut und Todtschlag, von Umwerfen der Republik, Niedermetzeln aller Republikaner; so weit schon versteigen sich ihre süßen Hoffnungen. Und wer es nicht glaubt, lese, was diese
lorbeerbekränzten Helden der Straße Transnonain deklamiren, z. B. im Saal des Präfekten zu Bourges, vor den Magistratspersonen und Bürgeroffizieren hat der Marschall Bugeaud buchstäblich folgende
denkwürdige Worte gesprochen: „Meine Herren, ich pflichte freudig einer Ansicht bei, die sich bereits durch ganz Frankreich von einer Ecke bis in die andere verbreitet hat, nämlich die, daß
hinfort die Provinzen nicht mehr die Tyrannei der pariser Faktionen erdulden dürfen, nicht wieder also die Regierungsform annehmen, welche man ihnen etwa von Paris herabschickt. Nichts ist
Paris, die Provinzen aber sind Alles.“ (Und derselbe tollgewordene alte dumme Bluthund soff noch vor 8 Monaten auf Banketts in den Provinzen auf Abschaffung der Kriege; jetzt läßt ihn
die windischgrätzliche Gloria nicht schlafen.) „Nein, wir dulden es nimmer wieder, daß eine Handvoll Catilina's, und ich glaube, dieser Name macht Leuten noch viel zu große Ehre, die
tief unter Catilina stehen, daß eine Schaar von einigen tausend bösartigen oder verwirrten Köpfen ihren Willen der kolossalen Majorität des Landes aufzwingt.“ (Wenn nicht nächstens
„Vater“ Bugeaud, dieser große Biedermann, Gemüthsmensch, Held, Redner, Volksschriftsteller, Arbeitermörder, Marokkobesieger, Runkelrübenbauer und Freund des Landmanns in seinem
Departement, einem der dümmsten Notabene, den schwarzen Adlerorden und das Teltower Bürgerrecht kriegt, so liegt die Schuld nicht an ihm.)
Er schäkert weiter: „Eins thut noth, meine Herren, und ganz Frankreich muß es sich merken, und ebenso auch andere Länder: wenn die rothe Republik durch einen Handstreich, und sei's
nur einen Tag, eine Stunde lang, die Oberhand bekäme, dann müssen wir Provinzialen schnell die öffentlichen Kassen in Beschlag nehmen, die Eisenbahnen besetzen, die Telegraphen und sonstigen
Verbindungen mit Paris abschneiden. Ich bin alsdann auf den ersten Wink bereit, und ich zähle auf Sie, wie Sie auf mich. Ja, meine Herren, gelänge es den Rothen, den Präsidenten zu stürzen …
ich würde mit vier Mann und einem Korporal gegen Paris aufbrechen, und von allen Seiten des Landes kämen hinter mir her alle guten und muthbeseelten Bürger, um die Gesellschaft zu retten.“ Die
Nationalgarde in Lyon bleibt aufgelöst; Ehren-Faucher quakte gestern auf der Tribune, er wage nicht, sie zu reorganisiren, da die sozialen und politischen Zwistigkeiten daselbst gar heftig wucherten.
Er löst heute die Artillerie der Bürgerwehr in Dijon auf, als gar zu demokratisch, wie die Pariser, welche seit Juni keine eigenen Kanonen mehr besitzt und vom Kommandanten Changarnier, dem
Philippisten, auch aufgelöst wird. Der Corsaire hüpft vor Freuden; es scheint, daß diese Bürger-Artilleriekorps seit 1792 die revolutionäre Gesinnung traditionell sich überliefert haben. Fast alle
bedeutenden Klubisten stehen oder standen im ganzen Lande in der Bürgerartillerie. Täglich hagelt es Absetzungen und freiwillig erzwungene Abschiede; z. B. der überaus würdige Prokurator der Republik
zu Chalons an der Saone schreibt an den Generalprokurator die scharfen Worte, die, wie eine Mahnung an das nahende Volksgericht, aus der Feder eines herben Juristen hervortönen: „Empört in
tiefster Seele über den politischen Gang der Regierung, empört über seine verächtlichen Ränke, seine schamlosen Ausflüchte, aus denen sich sonnenklar seine Absicht ergiebt, die demokratischen
Institutionen zu vertilgen, glaube ich, Herr Generalprokurator, länger nicht, ohne meiner Ehre zu schaden, auch nur scheinbar der Helfershelfer so vieler rückschreitender Maßregeln bleiben zu dürfen.
Ich lege mein Amt nieder. Ich hatte es empfangen von den Stiftern dieser armen Republik, die heute so grausam verhöhnt, besudelt, geschändet wird. Mit freudigem Stolze hatte ich damals diesen Posten
angetreten, entschlossen die hohen Prinzipien von 1789 und von 1848 zu wahren. Aber heute könnte ich es nicht länger, denn in den Augen unserer Regierer wäre das so viel wie Amtsbruch begehen. Deshalb
also steige ich herab von meinem Richtersessel, meine Pflicht ruft mich andershin. Hoch lebe die Republik! Inzwischen nehme ich Gelegenheit, Ihnen, mein Herr Generalprokurator, den vollständig ruhigen
Zustand unseres Chalons anzuzeigen; die zwei offiziellen Artikel im Moniteur vom 2. und 3. Febr. sind pure Spiegelfechtereien gewesen, die Ihnen durchaus nicht Anstoß geben dürfen. Der Prokurator der
Republik, Brysset.“ So geht denn das Eskamotiren rüstig weiter. Und nach Außen hin ist die s. g. neue katholische Allianz zwischen Spanien, Neapel, Olmütz und der französischen Republik
zur Herstellung der päbstlichen Landesherrschaft geschlossen. In Gegenwart dieser Infamie, deren Kolossalität nur der klar erkennt, der die Kardinalstyrannei gesehen, ist die schnell kräftige
Wirksamkeit des Todesvereins (associazione del morte) eine Unerläßlichkeit, eine traurige Nothwendigkeit. Der französische Schuft und Sophist Rossi hat verröchelt auf den Plastersteinen Roms; man
spricht von zwei Stiletstichen, die der Bombardirkönig bekommen. Wenn ganze Volksmassen, ganze Klassen, ganze Familienreihen, ganze Generationen von einer Handvoll Verrückter oder Spitzbuben im Purpur
moralisch, intellectuell und physisch ruinirt werden: was ist dann zu thun? wer da weiß, daß zweimal zwei vier macht, findet vielleicht auch die Antwort.“ (Pensiero italiano). Der Präsident
Bonaparte ist sehr erboßt auf den römischen Bonaparte, der gar zu treu den Republikaner spielt. Der Präsident gebehrdet sich schon wie ein Zaunkönig. Er hat letzthin zu seinem Vetter Pierre, der
komisch genug eine Weile als Demokrat galt, gesagt: „wenn die Rothen losbrechen, nehme ich die Kaiserkrone und mache Krieg; wird sie mir dann zu drückend, so trete ich sie den Bourbonen ab und
scheide vom Theater der Welt als ein unsterblicher Held.“ Vorläufig amüsirt er sich noch als „Bürger“; er zeigt aber eine solche Abneigung vor Geschäften, daß jene an Tollheit
gränzende Idee an Wahrscheinlichkeit gewinnt. Seit 8 Tagen ist das wieder ein einziges Tanzen, Bankettiren, Musiciren, Spielen, Zechen und Promeniren; wenn er alle Minister und Ministerinnen bei sich
bewirthet hat, läßt er sich der Reihe nach von jedem einladen, und ist das zu Ende, so fängt er wieder von vorn an. Barrot der edle Weise sagte neulich mit dem ihm eigenen Lakonismus: „das
macht den Kommerz gehen“; und seine Presse jubelte diesem Salomonsspruche zu. „Auch das frierende, hungernde Volk, durch dessen sechs Millionen Vota er auf den Stuhl erhoben ward, wird
wohl sehr jubeln, wenn es die angenehme Neuigkeit hört, daß sein Liebling, sein Herzenssöhnchen, sein Erkorner, der kleine Neffe eines großen Oheims, statt Amnestie und Steuererniedrigung und
Abschaffung der neun Sous zu gewähren, mit Madame de Grammont Arm in Arm letzthin durch die warmen Salons spazirt ist und getanzt und stark gespeis't hat.“ (Voir du Peuple in
Marseille).
Mit der ihm eigenthümlichen Holzköpfigkeit hatte er zu einem famosen Balle die sämmtlichen Bürgerwehrobersten, mit Ausnahme des am 29. Januar arretirt gewesenen Obersten Forrestier der 6. Legion,
eingeladen; was aber vorher laut ward, und die Obersten der 7. und 11., Professor Quinet und Dauphin, so erbitterte, daß sie ihm sagen ließen, weil Forrestier nicht hingehe, gingen auch sie nicht. Daß
übrigens die Bürgerwehr, wo sie als demokratisch jetzt verdächtig wird, durch eine geheime Contrabürgerwehr, unter dem Lumpenproletariat und der goldenen Jugend geworben, in Schach gehalten werden
soll, bestätigt sich; so in Dijon, wo die gegen die Republik mitverschwornen Behörden seit 14 Tagen wohlgefällig die geheimen Nachtsitzungen dieser Contrabürgerwehr ansehen; sie steht im innigsten
Zusammenhang, oder ist vielmehr identisch, mit der großartigen Ordnungssocietät, die ein allgemeines Bartholomäusabschlachten der Republikanerhäuptlinge in mehreren Blättern des Südens anregte, und z.
B. sagte: „Die Pariser dürfen sich sicher nicht über uns beklagen, sie gaben seit vierhundert Jahren öfter Beispiele des Niederhauens der Staats-, Religions- und Ordnungs- oder
Gesellschaftsfeinde in Massen. So metzelte die für Burgund gestimmte Fleischerzunft in Paris im zweiten Jahrzehend des fünfzehnten Jahrhunderts an 2000 Armagnacs nebst Weib und Kind auf ein Zeichen
nieder. So erschlugen die Gewerke von Paris auf ein Signal an 3000 Hugenotten. So schlug die Revolution von 92, vor der unsere modernen Banditen oder Socialdemokraten (sic!) anbetend auf den Knieen
liegen, an 2000 politische Gefangene in den Pariser Kerkern auf ein Zeichen todt.“ Fiat applicatio ! Das Memorial „der Bordeaux'er Kaufmannschaft“ hat bereits ausgerechnet,
daß unter den 33 Millionen Franzosen allerhöchstens heute eine halbe Mill. Demokraten existiren, die nach dem demokratischen Grundsatz: „die Majorität muß herrschen ‒ im Zügel gehalten,
ja, nöthigenfalls auf einmal unschädlich gemacht werden sollten.“
Das Elend des Volkes ist von den zahllosen regierenden Biedermännern und Judassen sorgfältig bemäntelt worden, und sehr unangenehm berührt sie, daß der Befehl der Kammer vom 25. Mai „eine
genaue Untersuchung über die industriellen und bäuerlichen Arbeiten anzustellen“ im Bezirk Lezouq in dem Cevennengebirge, beim Puy de Dome, ernstlich genommen und ausgeführt worden ist. Der
Bericht enthält 29 Fragen und Bescheide; z. B. welche Industrieen könnten wir bei uns entwickeln? ‒ „Die Töpferei, dazu ist der Boden gut, aber wir müßten auch Märkte dafür haben.
‒ Wie steht es bei uns mit der Kleidung, Nahrung und Behausung unserer Arbeiter? Meistens schlecht. ‒ Woher kommt der Verfall der Industrie im Kanton? Aus Kreditmangel, wodurch ein
Sinken aller Waare entsteht. ‒ Wie wäre dem aufzuhelfen? Durch Aufthun von Absatzörtern und Vermehren des allgemeinen Wohlergehens durch Kredit. ‒ Wie steht es um die Bildung des
Arbeiters? Zwei Menschen unter Einhundert können lesen und schreiben.“ (Bekanntlich widersetzte sich Hr. Thiers bereits drei Mal, sowohl in den Bureaus als öffentlich, aufs heftigste
gegen die Verbreitung der Volksschule, und das Amendement eines Montagnard: „nach sieben Jahren darf nur stimmen, wer lesen und schreiben kann,“ rief einen Sturm hervor unter diesen
edlen Menschenfreunden in der Kammer, die vollkommen witterten, daß, bei fortgeführtem Schlendrian des Volksunterrichts es füglich sich treffen könnte, daß selbst nach sieben Jahren nur die
Städteproletarier des Lesens und Schreibens kundig, die Landproletarier mithin, diese vielgeliebten Stützen der heutigen Reaktion, von der Votirurne ausgeschlossen, mithin die Reaktionschefs der
Vernichtung überliefert wären. Auch fiel das Amendement durch.)
Weiter heißt es: „Welche Industrie unsres Kantons stört die Gesundheit unsrer Arbeiter? ‒ Der Ackerbau; denn die Ziegelei und Töpferei sind nichts als Anhängsel zu jenem. Der Lohn des
Erwachsnen ist zwanzig Sous, der Frau eilf Sous, des Kindes zehn Sous. Die Mittelbauer der Ackerarbeiten ist 260 Tage, also gewinnt im Jahre der Erwachsene 260 Fr., die Frau 143, das Kind 130. Aus
Dokumenten die diesem Bericht beiliegen, erhellt daß 300 Fr. das Minimum des Jahresbedarfes sind; es fehlen also 40 Fr. Eine Familie, Mann, Weib, zwei kleine Kinder, braucht wenigstens 500 Fr. Kann
die Mutter 260 Tage arbeiten, so macht ihr Lohn mit dem des Vaters 403 Fr. 17 Sous; es fehlen 95 Fr. 15 Sous.
Wir erklären, daß dieses materielle und geistige Elend nicht länger währen darf. Lezoux, 21. Jan. 1849.“ (Folgen die Unterschriften). Wahrlich, diese Februarrepublik, die sich eine
„demokratische“ offiziell nennt, hat etwas so Gespenstiges bekommen, daß der Volksvertreter Pierre Lefranc völlig recht hat, wenn er in seinem vielgelesenen Gedichte, „eine
Schattenrepublik,“ sagt: „Werthe Freunde, die ihr nicht an Magnetismus glaubt, hört die wunderliche Geschichte, die mir gestern begegnete. Meister Leon Faucher
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sprach über Socialismus und ich gähnte mich müde und schlief ein. Da gerieth ich ins Reich der Schemen, todt, todt ist die Welt. ‒ Ha! ein großes Volk war als Brandopfer dem niederträchtigen
Königsgötzen gebracht; und sieh! die Gräber springen auf und die Schatten der Verstorbenen steigen empor, stolz und kühn wie ehedem. Aber das große Volk sang nichts als Heldenlieder, bis es müde ward
und schlummern ging im Schatten seines Pikenwalds; todt ist die Welt. ‒ Auf dieser Tribüne suche ich umsonst den Mirabeau unsrer großen Tage; der Schatten einer Nachtigall singt von den
Schatten seiner Liebe! Und dort ein anderer Mann, stampft umsonst die Greve (d. h. das Seineufer und den Platz am Stadthause); nicht Krieger noch Lanzen steigen daraus hervor; das ist der Schatten,
der träumende Schatten Danton's; todt ist die Welt. Und der Schatten eines längst verblichenen Adels (er starb ohne es zu wissen) jagt hastig hinter einer jungen Demokratie, ihr den Schatten
der Macht zu entreißen; da kam, ohne rhetorische Blumen, von Afrika herüber der Schatten eines Säbels; todt ist die Welt! ‒ Plötzlich ward es helle: der Aar, so theuer unsern Vätern, kam auf
der Hand des Falkenmeisters; er streift mit seinen Flügeln nimmer an die Sterne mehr. Und ganze Schwärme götzendienerischer Schatten flattern näher, grüßen … schlafen wieder ein. Ei, der Adler
ist wohl lebendig, doch der Falkenier ist von Gyps; todt ist die Welt. ‒ Ja, armes Frankreich, es ist aus, gehe, trinke Lethe, geh, dort nach Elysium (Bonaparte wohnt im Palast Elysee National)
und steige getrost in den Schattenkahn, den Barrot rudert, feierlich, wie ein stiller, düstrer Todtenträger. Todt, todt ist die Welt.“
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Paris, 22. Febr.
Der Schrecken, den die gestrige Notize im Journal des Debats hervorgerufen, hat sich etwas gelegt. Man erfuhr bereits gestern Abend im Hotel des Capucines, daß
Colloredo eine so geharnischte Erklärung im Namen Oestreichs nicht abgegeben habe, sondern nach London gereist sei, offenbar in der Absicht, Herrn Palmerstons Pläne zu erforschen. Nebenbei mag auch
wohl der Papa Metternich konsultirt werden.
Das italienische Volk wird sich wenig an diese diplomatischen Fuchsschwänzeleien kehren. Die Revolution marschirt. … und die Entscheidung dürfte nicht in der Rue Ducale zu Brüssel, sondern
auf dem Schlachtfelde stattfinden. Das ist hier die allgemeine Ansicht.
‒ Gesandtschafts-Attaché Joachim Murat (ein Vetter Lucian Murat's, des Repräsentanten) ist wahrscheinlich schon in Turin und Florenz eingetroffen, wohin er mit Depeschen am 18.
Februar als außerordentlicher Kurier abgeschickt wurde.
‒ Die Repräsentanten-Clubs der rechten Seite (Rue de Poitiers) und der Imperialisten (Jerôme Bonaparte) werden heute Abend einen neuen Versuch zur Verschmelzung machen.
‒ „Die Zahl der Gesuche um Beschäftigung bei der Polizeipräfektur ist schon von mehreren Journalen als außer allem Verhältniß mit dem seltenen Verlangen dieses Dienstes
dargestellt worden. Es kann also den zahlreichen Gesuchen nicht stattgegeben werden, welche diesen Gegenstand betreffen.“
(Gazette des Tribunaur vom 22. Febr.)
‒ Eine Telegraphische Depesche meldete gestern der Regierung, daß die Theilnehmer an dem auch von uns zu seiner Zeit erwähnten Krawall in Montpellier freigesprochen worden sind.
‒ Nationalversammlung. ‒ Sitzung vom 22. Febr. Anfang 1 1/4 Uhr. Präsident Marrast.
Nach Protokollvorlesung genehmigt die Versammlung ohne alle Debatte einige Kredite ihrer 1848ger Hausbüdgets.
Dann nimmt sie das Wahlgesetz wieder auf, dem der philosophisch-theosophische Kommunisten-Chef Pierre Leroux plötzlich so stürmisches Leben aufdrückte.
Stimmen links: Aber wir sind ja nicht beschlußfähig.
Eine Zettelabstimmung über ein Anhängsel zum Artikel 71, das dem Ausschuß gestern zur nochmaligen Prüfung zugewiesen worden war, konstatirt die Anwesenheit von 639 Gliedern, wovon 627 gegen 12 die
beantragte Aenderung genehmigen.
Die eigentliche Debatte beginnt mit dem achten Satze des Art 73, der von den beruchtigten Ausschlußkategorien zur Deputirtenwahl handelt. Satz 8 schließt die Faillirten aus. (Angenommen.)
Der 9. Satz desselben Artikels handelt von den soviel besprochenen politischen Verbrecher und lautet:
„Der dritte Satz des gegenwärtigen Artikels findet keine Anwendung auf Verurtheilte aus politischen Gründen, Schlägereien und Blessuren. Es wäre denn, daß die Beraubung des politischen
Aktivbürgerrechts speziell im Urtel stände.“
Germain Sarrut eilt auf die Bühne, um diesen Satz zu bekämpfen. Die ganze alte saintsimonistische Schule müsse dann ausgeschlosien werden. Jesus Christus selbst würde nimmermehr in eine
Nationalversammlung aufgenommen worden sein, weil er laut Tacitus und St. Joseph von den Juden als Insurgent und Dieb (!) verurtheilt wurde, wie dies sein Freund Pierre Leroux gestern sehr richtig
hervorgehoben habe. (Gelächter.)
Douesnel unterstützt den Satz.
Der so heiß debattirte Artikel 73 wird endlich angenommen.
Base beantragt den Zusatz:
„Diejenigen Deputirten, die im Laufe der Session wegen der im Art. 73 angeführten Verbrechen verurtheilt werden, sind ihres Mandats verlustig zu erklären etc. etc. etc.
Billault unterstützt den Beisatz.
Vivien bekämpft ihn. Er könnte sehr leicht zur gefährlichen Ausbeute werden.
Die Versammlung nimmt den Beisatz an und geht zu Artikel 74 über.
„Artikel 74: Die Wahl jedes Beamten ist, mit Ausnahme der im Artikel 28 der Verfassung bezeichneten, zu vernichten, wenn der Gewählte nicht vor Verifikation der Vollmachten seine Stelle
niederlegt.“
St. Romme: Dieser Artikel gehört hinter den nachfolgenden und sollte 75 tragen.
Die Versammlung gibt 74 dem 75ten und nimmt 74 an, der diejenigen Beamten aufzählt, welche nicht Beamte und Deputirte zu gleicher Zeit sein können. Dahin gehören die Präsidenten der Appellhöfe,
Untersuchungsrichter, Präfekten, Ingenieurs, Schulrektoren, Erzbischöfe, Bischöfe, Generalsteuereinnehmer etc.
Ueber diesen Artikel entspinnt sich eine lange Debatte.
Brunel spricht eine Stunde lang und beantragt nur die Gerichtsbeamten auszuschließen.
Vesin bekämpft diese Beschränkung. Alle Beamten müssen ausgeschlossen bleiben, da sie sich von jeher kriechend bewiesen.
Diese Aeußerung ruft einigen Tumult hervor.
Die Versammlung schreitet zur Debatte der einzelnen Sätze des Artikels
Die satzweise Berathung des Artikels 75 gewährte wenig Interessantes.
Gent will auch die Generalsecretäre und Präfektur-Räthe ausgeschlossen wissen. (Angenommen.)
Die Versammlung nimmt die übrigen Ausschließungen (der Generäle, Intendanten, Bischöfe etc.) ebenfalls an.
Artikel 75 ist erledigt.
Lacrosse, Bauminister, unterbricht hier die Debatte. Ich habe die Ehre, sagt er, der Versammlung den Gesetzentwurf für Vollendung des Louvre vorzulegen. (Beifall.) Der neue Flügel, der die Rue
Rivoli bis zum Arbre sec verlängert, würde für die Bibliotheken, Kunst und Industrieausstellungen bestimmt sein. Der Voranschlag beläuft sich auf 31,000,000 Frs. (Oh Oh.) Die aus dem Eigenthum der
alten Civilliste zu deckenden 12 Millionen würde im laufenden Jahre (1849) verbaut werden können. Die Bau-Pläne und sonstigen Anschläge sind den Deputirten von morgen an in den Archivsälen zur
Einsicht aufgelegt.
Der Entwurf wird an die Ausschüsse (Bureaus) zur Begutachtung überwiesen.
Die Versammlung kehrt zum Wahlgesetz zürück.
Artikel 76 (immer noch von den Inkompatibilitäten handelnd) wird nach mehrfacher Einrede angenommen.
Die Sitzung wird um 6 Uhr aufgehoben.