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Mein viermonatlicher Aufenthalt in Hoch-Californien unter den Goldwühlern.
(Fortsetzung).
Des andern Tages erhob sich die Sonne glänzend am wolkenlosen Horizonte. Wir beeilten unser Frühstück und beriethen uns dann über die Verwendung des heutigen Tages. Es war Sonntag; aber
deßungeachtet waren wir alle entschlossen zu arbeiten, mit Ausnahme des Don Louis, der steif darauf beharrte, feiern zu wollen. Um alle Welt zu verständigen, trafen wir die Uebereinkunft, daß jeder
auf eigene Rechnung arbeite und nur in sofern sich an den gemeinsamen Arbeiten der Gesellschaft betheilige, als der gemeinschaftliche Schutz es erheische. Während wir also ruhig Don Louis im Zelte
seine Pfeife rauchen ließen, begaben wir uns an die Arbeit, und machten bei dieser Gelegenheit die Bemerkung, daß der größte Theil der Goldwühler vollkommen unsere Ansicht theilte über die Frage, ob
es erlaubt sei, an einem Sonntag zu arbeiten. Mit wahrem Eifer arbeite ich, wie übrigens meine Reisegefährten auch, den ganzen Vormittag hindurch. Es ist dies aber keineswegs eine leichte Arbeit: so
den ganzen Tag den Körper zu bücken, ermüdet ungemein; wenn man dazu noch die Hände abwechselnd im Wasser, abwechselnd den Sonnenstrahlen ausgesetzt halten muß, so berstet die Haut, was eine sehr
schmerzhafte Empfindung verursacht. Diese Leiden kommen jedoch in keinen Betracht, wenn man sie mit dem unendlichen Gewinn vergleicht, den man daraus zieht.
Nach unserem Mittagsmahle, welches wir gegen 12 Uhr verzehrten, wurde beschlossen, nicht auf die Arbeit zu gehen, sondern die verschiedenen Lager zu besuchen. Fast alle übrigen Goldwühler hatten
ebenfalls die Arbeit eingestellt. Die Einen schliefen unter den Bäumen, die Andern in den Zelten; wieder Andere rauchten und plauderten, oder besserten ihre Kleidungsstücke aus, oder auch besorgten
die Küche. Ein auffallenderes, originelleres Gemisch kann man sich wohl schwerlich vorstellen: hier sind es Indianer, die mit ihren baumwollenen grell-gefärbten Hemdern die Manieren des Wilden durch
das Gewand des civilisirten Menschen durchblicken lassen; dort sieht man gebräunte Gesichter, mit hagerm und muskulösem Körper, feurigem Blicke und seinen Formen, die die spanische Race verrathen, in
vertraulichem Gespräche mit blassen Yankees, die mit ihrem spitz zulaufenden Gesichte ebenso geschickt sind, einen Handel abzuschließen, als bereit, mit Schlägen um sich zu fahren. Weiter erkennt man
an seinem Hemde von rother oder blauer Wolle, an seiner weiten leinenen Hose den Matrosen, der jedenfalls von irgend einem Wallfischfahrzeug desertirt ist. Weiter noch sieht man entlaufene Neger, die
mit der ihrer Raçe eigenen Zungengeläufigkeit plaudern, während sie ihr wollichtes Haupt nachlässig hin und her gehen lassen oder laut auflachen und dabei ihren Mund so weit öffnen, daß zwei
Reihen von Zähnen, weiß wie Elfenbein, einem entgegenblitzen. In unserer fernern Promenade entdeckten wir ein Zelt von einer ungeheuren Ausdehnung und das in Wirklichkeit aus zwei oder drei andern
Zelten bestand. Es ist dies eine Kapelle, worin ein Missionär einer zahlreichen Versammlung Vorträge hielt.
5. Juni. Wir haben den ganzen Tag mit wahrem Eifer gearbeitet, gewaschen und gegraben, und unsere Mühe ist uns recht schön belohnt worden. Ich glaube jetzt wirklich die Grundlage zu meinem Glücke
gelegt zu haben, und ich danke Gott aus vollem Herzen. Ich habe genug gelitten in meinen abenteuerlichen Fahrten durch die Welt, und die Erfahrung hat mich gelehrt, daß ein Stein, der immer am Rollen
ist, kein Moos ansetzt. Jetzt dagegen habe ich die schönsten Aussichten, und ich will es gewiß nicht an Fleiß fehlen lassen. Bradley und ich wir haben neben einander gearbeitet, und wir sind wirklich
glücklich gewesen; er hat 25 Doll., Goldpulver (133 Fr. 50 Cent.) und ich habe 22 Doll. (116 Fr. 60 Cent.) gewonnen, d. h. rein verdient.
Uebrigens, wenn ich es frei sagen soll, so ist unsere Verfahrungsweise zur Gewinnung des Goldes wahrhaft barbarisch; die Rippen sind mir wie in 1000 Stücke zerbrochen, wie es auch nicht anders sein
kann, wenn man, wie ich, den ganzen Tag gebückt bleibt. Ich trug daher auf Anschaffung einer Cradle, d. h. einer Schaukelwiege an; das wird freilich viel kosten, aber auf der andern Seite wird um so
mehr dabei gewonnen. Beim Mittagessen kam mein Vorschlag zur Sprache und fand allgemeine Beistimmung. Wir gingen sogar noch weiter, und beschlossen, wenn wir keine Cradle zu kaufen fänden, eine selbst
zu verfertigen. An demselben Tage noch gab es viele neue Einwanderungen, worunter zwei Bekannte von Bradley, einer Namens Biggs, der vor einigen Tagen die Kommission zu San Francisco ausrichtete; der
Andere ist ein franz. Canadier, Lacasse genannt, der sich in Californien niederlassen will.
Wir machten ihnen das Anerbieten, in unsere Gesellschaft einzutreten, was sie sogleich annahmen. Wenn dieser Zufluß von Fremden fortdauert, und die Lebensmittel und sonstige Waaren in demselben
Maße steigen (eine ganz mittelmäßige Goldwage verkaufte man uns heute zu 15 Doll.), dann wird man bald sich besser stehn, einen Kram zu halten, als die Haue zu führen und die Cradle zu rühren.
Was mich bei der ganzen Sache überrascht, das ist die allgemeine Sicherheit, die in einem von aller Civilisation so entfernten Lande herrscht, wo also von einem Gesetze nicht im mindesten die Rede
sein kann. Nie hört man von einem Angriff gegen Eigenthum oder Personen sprechen. Mit Dieben würde man übrigens kurzen Prozeß machen: eine Kugel in den Kopf ohne weitere Prozedur, das ist die Strafe,
die auf den Schuldigen harret.
Sonntag den 11. Juni. Ich habe jetzt seit beinahe acht Tagen nicht ein einziges Mal mein Tagebuch zur Hand genommen. Da wir keine Cradle zu kaufen fanden, entschlossen wir uns, nicht eine, sondern
deren zwei zu verfertigen. Die Hauptschwierigkeit
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war, uns die nöthigen Bretter dazu zu verschaffen. Sie kamen uns auf nicht weniger, als auf 35 Doll. (185 Fr. 50 Cent.) zu stehen. Ein Zimmermann, dessen Hülfe wir ansprachen, verlangte von uns eine
gleiche Summe (185 Fr.) für einen Arbeitstag. Wir setzten uns daher selbst ans Werk und am andern Tage, gegen Abend, standen die Maschinen, freilich formlos und ungehobelt, fertig da Den andern Tag
versuchten wir sie, und wir überzeugten uns, daß mittelst derselben die Arbeit weit leichter von Statten geht und mehr Profit abwirft.
Sonntag den 18. Juni. Wieder eine Woche vorüber, während welcher unser Benefiz bedeutend zugenommen. Im Durchschnitt haben wir täglich 16 Unzen Gold (493 Gran oder 1,600 Fr.) aufgelesen. Die
Cradles finden allenthalben Anklang, ohne daß deßhalb die Anzahl der Arbeiter, die das alte Verfahren anwenden, auch nur im Geringsten abzunehmen scheint; viele neue Reisende kommen tagtäglich an.
„Donnerstag erhielten wir Besuch von einem Hrn. Larkin, der mit einer Mission von der Regierung Washingtons beauftragt war. Er hat die Nacht in unserm Zelte zugebracht, und ist den andern
Tag wieder abgereist. Er brachte uns merkwürdige Nachrichten von San Francisco. Mehr als zwei Drittel der Häuser stehen leer; die meisten Schiffe, die in den Hafen angelandet, haben ihre Equipage
verloren, da Alles desertirt. In einem Schiffe, das von den Sandwichinseln gekommen, ist der Kapitän allein übrig geblieben.
Auf seinem Wege hierhin begegnete Hr. Larkin einem andern Schiffskapitän, der mit seiner ganzen Mannschaft nach den Goldminen auszog, und da Hr. Larkin ihm Vorwürfe über dieses sonderbare Verhalten
machte, antwortete ihm der Kapitän: O, seien Sie ruhig; ich versichere Sie, daß die Schiffsketten und das Anker stark genug sind, um das Schiff bis zu unserer Rückkehr zu bewahren!
Der „Star“ und das „Californian“, zwei neu gegründete Journale, haben aufhören müssen zu erscheinen aus Mangel an Redakteurs und Setzern. „Wissen Sie, sagte uns
ferner noch Larkin, wen ich eben im Wasser bis an den Knieen habe arbeiten sehen? Nichts mehr und nichts weniger als den Attorneygeneral, d. h. den Generalprokurator des Königs der
Sandwichinseln.“ „Er ist nicht der Einzige seiner Profession, erwiederte Bradley; es wimmelt hier von Juristen und Advokaten. Jetzt verdienen sie wenigstens ihr Geld, ohne Jemanden zu
schaden.
„Freitag, den 23. Juni.“ Vorgestern Mittag habe ich ein besonderes Glück gehabt. Als ich die Erde aufwühlte, um sie in die Cradle zu werfen, entdeckte ich ein Stück Metall von der
Größe einer Nuß, welches ich auf den ersten Blick für eine Goldbarre erkannte. Es wog 2 und 3/4 Unzen. Gemäß den Gesetzen, welche in den Minen gang und gäbe sind, gehörte diese Barre mir persönlich
zu; sie geht nicht auf Rechnung der Gemeinschaft, weil sie entdeckt worden, ehe sie durch den Cradle passirte, und mehr als eine halbe Unze wiegt. Weiter dem Sacramento herauf sollen diese Goldkörner
eine gewöhnliche Erscheinung sein; hier in den Mormonen Gruben sind sie wirklich etwas seltenes.
Unter den neuen Ankömmlingen fängt man an, eine große Anzahl von Californiern, d. h. spanischen Creolen zu zählen. Die meisten führen ihre Frauen mit, die sich immer von indianischen Mädchen
begleiten lassen.
Das geschmackvolle spanische Costüme bringt eine malerische Wirkung hervor. Mitten unter den blassen Yankees mit ihren weißen Hosen und gelben Strohhüten, mitten unter den halbnackten Indianern
gewahrt man mit wahrer Wonne den Californier mit dem gebräunten Gesichte, dem schwarzen, glänzenden Auge, seiner kleinen buntgestickten Weste, der sammeten Hose, dem seidenen Gürtel, und seinen
eleganten gemseledernen Stiefeln, die in dem schmutzigen Wasser zwar manchmal ein saures Gesicht schneiden.
Die Frauen sind graciös und koquett. Ihr Kleid, das sie immer kurz genug tragen, um ihre üppig gerundeten Waden errathen zu lassen, ist mit reichen Stickereien versehen. Blendende Farben sind
besonders an der Mode. Ihre schwarzen Haare fallen in langen, üppigen Locken über ihre Schultern, und nimmt man die kleinen Zuthaten, wie Ohrgehänge, Armringe und Ketten dazu, so muß man gestehen, daß
das Costüme dieser Damen äußerst reich ist. Besonders charakteristisch in diesem Anzuge ist das sogenannte Reboso, eine Art Echarpe, gewöhnlich von Wolle, und die die spanische Mantille vertreten
soll. Man trägt sie auf tausend verschiedene Weisen, und mit einer ganz besondern Anmuth auf den Schultern, um die Taille, den Kopf; bald auch als Einfassung um das Gesicht, und jedesmal mit jener
unnachahmbaren Anmuth und reizenden Coquetterie, welche die Spanierin in der Tracht der Mantille zu legen weiß. Seit der Ankunft dieser Californierinnen haben wir fast alle Abende ein Fandango auf dem
Rasen vor den Zelten. Der Fandango bezeichnet einen gewissen Tanz, der manchmal dem Walzer ziemlich nahe kömmt.
Ich muß gestehen, nach den Strapazen des Tages ist so ein Fandango ein außerordentliches Vergnügen. Die traulichen Töne der Guitarre und der Violine verkünden es von fern, und wenn man näher tritt,
sieht man einen Kreis von den pittoreskesten Gestalten. Jeder raucht seine Cigarre, indem er die Tänzer beklatscht, die selbst während des Tanzens rauchen, wie die Uebrigen. Man kann wahrhaft nicht
genug bewundern das glänzende Costüm und die reizenden Bewegungen der Tänzerinnen, die nicht allein mit den Füßen tanzen, sondern mit ganzer Seele, mit ihrem ganzen Leib und Leben. Lacasse ist ganz
verrückt von diesen Fandango's, worin er selbst jetzt eine Rolle zu spielen angefangen hat.
[Deutschland]
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Edition: [Karl Marx: Preußische Finanzwirtschaft unter Bodelschwingh und Konsorten, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
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068
] Köln, 15. Febr.
Die Berliner „Nationalzeitung“ ist der inhaltschwere Ausdruck der Inhaltslosigkeit.
Einige neue Proben!
Es handelt sich von der preußischen Circularnote.
„Zwar können wir nicht wissen, worauf diese „Befriedigten“ (die von der Circularnote Befriedigten) mögen gefaßt gewesen sein, daß sie über eine so
nichtssagende Erklärung in Entzücken gerathen, aber sie scheinen uns in ihrer Freude die Note gar nicht gelesen zu haben, wenn sie darin finden wollen, daß die preußische
Regierung nur Verständigung, nicht Vereinbarung wolle.“
Ich weiß nicht, warum du über dies Buch in Freude geräthst, aber du scheinst das Buch nicht gelesen zu haben, wenn du darin finden willst, daß sein Verfasser das
sagen wollte, was dich in Freude versetzt.
Zwar und aber! Können und mögen und scheinen! Finden und wollen, daß die preußische Regierung wolle! Jede Wendung trägt wie ein Bagnosträfling ein Centner Gewicht an den Beinen und wiegt daher
schwer. Jedes „wenn“, jedes „zwar“, jedes „aber“ ein leibhafter Dr. utriusque juris!
Und wenn ihr all' diesen christlich-germanischen Wulst, all' diese baumwollnen Lappen, worin die „Nationalzeitung“ ihre Weisheit vorsorglich einwickelt, eben so sorglich
abwickelt, was bleibt übrig?
Die einfache Behauptung der „Nationalzeitung“, daß ihre Gegner die preußische Circularnote nicht gelesen haben.
Ein solches Urtheil einfach herausgestellt, wäre frivol, unsittlich, oberflächlich! Wie gewiegt, wie würdevoll-umsichtig, nimmt es sich aus in den feierlich unbeholfenen Satzwindungen unserer
„Nationalzeitung“, des Orakels der parlamentarischen Linken! Die Kannengießerei darf in ihrem Moniteur natürlich nicht auftreten, wie in der Bierkneipe. Die Kannengießerei, schwarz auf
weiß, als premier Berlin, muß en grande tenue erscheinen. Die Flachheit muß den Schein einer gewissen Fülle erhalten, indem sie sechsmal in sich selbst eingeschachtelt wird.
Weiter!
„Niemand kann mehr als wir gegen die Politik des Zuwartens, gegen die Spekulation auf den Pessimismus, gegen die Hoffnung auf das reine Nichts sein. Im Gegentheil — wir sind
durchdrungen von der Ueberzeugung, daß diejenige Partei die mächtigste, die für die nächste Zeit tonangebende und gestaltende sein wird, welche mit ganz bestimmten Forderungen auftritt, die dem
demokratischen Prinzip gründlich Rechnung tragen, zugleich aber in ihrer Begränzung, in der Art, wie sie geltend gemacht und zur Durchführung gebracht werden, die Gewähr geben, daß es — einem
bestimmten Ziele, einer dauernden Organisation aus einem Gusse mit unbeugsamer Entschiedenheit entgegengeht — für Preußen, wie für ganz Deutschland. Ehe nicht Preußen eine solche Regierung hat,
die zu einem solchen entschiedenen Selbstbewußtsein gelangt ist, die mit dem Volk sich eins fühlt, sich vollkommen auf das Volk stützt, und von nirgends anders her ihre Kraft nehmen will; eher
wird die deutsche Sache zu einem befriedigenden Abschluß nicht kommen. Darum sind wir, die wir stets mit demselben Eifer dafür gewesen sind, daß Preußen die ihm gebührende Stellung in
Deutschland erhalte, mit allem Eifer Gegner des jetzigen Ministeriums — weil dasselbe ein Unglück für Preußen und für Deutschland ist.“
Darum sind wir, die wir stets gewesen sind! Aus jedem Worte leuchtet die salbungsvolle Gesinnungstüchtigkeit hervor, der nur eins fehlt: der Sinn.
Die „Nationalzeitung“ ist gegen die „Politik des Zuwartens.“
Die Politik des Zuwartens verwandelt sich ihr unter der Hand in die „Spekulation auf den Pessimismus“. Was heißt das, auf den Pessimismus spekuliren? Etwa: spéculer à la
baisse? Endlich häutet sich die „Spekulation auf den Pessimismus“ und das neuentstandene Ungeziefer heißt „die Hoffnung auf das reine Nichts“. Die Politik der
„Nationalzeitung“ besteht also „nicht“ darin, auf das „reine Nichts zu hoffen!“ Seid ihr nun im Reinen über die Politik der
„Nationalzeitung“?
„Im Gegentheil“, docirt die „Nationalzeitung“, statt auf das „reine Nichts“ zu hoffen, sind wir von einer „Ueberzeugung“ durchdrungen.
Glänzender Zusammenhang! Und von welcher Ueberzeugung? Von der Ueberzeugung, daß die Partei „die mächtigste, die für die nächste Zeit tonangebende und gestaltende sein wird, welche mit ganz
bestimmten Forderungen auftritt.“ Und mit welchen Forderungen? Hört! Erstens müssen diese „ganz bestimmten Forderungen“ dem demokratischen Prinzip gründlich Rechnung
tragen.“
Nun seid ihr „gründlich“ über den Inhalt dieser „ganz bestimmten“ Forderungen belehrt. Nur so viel ist klar, es handelt sich hier nicht von den Forderungen der
demokratischen Partei, denn es versteht sich von selbst, daß die Forderungen dieser Partei „demokratische“ Forderungen sind.
Diese ebenso „bestimmten“ als „gründlichen“ Forderungen, die dem „demokratischen Prinzip gründlich Rechnung tragen,“ müssen aber zugleich in ihrer
„Begränzung u. s. w. die Gewähr geben,“ daß es (Wer! Was!) „einer dauernden Organisation aus einem Gusse entgegengeht — für Preußen wie für ganz
Deutschland.“
Also diese Forderungen geben ihre „Gewähr“ nicht durch ihren Inhalt, sondern durch ihre Manier aufzutreten.
„Solches entschiedene Selbstbewußtsein“, d. h. solche hochbetheuernde Confusion verlangt die Nationalzeitung von der preuß. „Regierung“, die der „deutschen
Sache einen befriedigenden Abschluß geben soll.“ Darum ist sie Gegnerin des jetzigen „Ministeriums“. Nein nicht darum, besinnt sie sich, sondern „weil
dasselbe ein Unglück für Preußen und für Deutschland ist.“
Die „Nationalzeitung“ ist offenbar für denkende Leser geschrieben, wie Rottecks Weltgeschichte. Die Franzosen haben eine treffliche Formel für diese Art Denken, dessen ganze
Bewegung eine rein sprachliche ist.
»Je n'aime pas les épinards et j'en suis bien aise: car si je les aimais, j'en mangerais beaucoup — et je ne peux pas les souffrir.«
„Ich esse den Spinat nicht gern, und das ist sehr gut; denn wenn ich ihn gern äße, würde ich nicht genug davon essen können und ich kann ihn nicht ausstehen.“
So viel aber ist klar, das Ministerium Brandenburg ist ein Unglück für Preußen. Die Nationalversammlung will Preußens Glück und darum — ein anderes Ministerium. Was sie aber unter allen
Umständen will, ist ein Ministerium; das ist auch das einzige, worüber die Patrone der „Nationalzeitung“ mit sich selbst im Klaren sind und sich eines „entschiedenen
Selbstbewußtseins“ erfreuen.
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068
] Köln, 16. Febr.
Gestern erschien Hr. Gladbach, Abgeordneter zur aufgelösten Nationalversammlung, vor dem Instruktionsrichter beim hiesigen Landgericht. Die Untersuchung gegen ihn und die übrigen
Abgeordneten erstreckt sich auf fünf verschiedene Punkte. Gladbach wurde namentlich befragt: ob er an dem Beschlusse wegen der Steuerverweigerung Theil genommen; ob er Aufforderungen zu seiner
Vollziehung verbreitet, und an wen er sie geschickt; und endlich: wer von den Abgeordneten dabei besonders thätig gewesen sei!
Gladbach verweigerte natürlich jede gerichtliche Auslassung über Angelegenheiten, die sich auf seine Thätigkeit als Abgeordneter bezögen, aufs Entschiedenste.
Wir sind begierig zu sehen, ob man wagen wird, einen so monströsen Prozeß vor rheinische Geschworne zu bringen.
Wir bemerken bei dieser Gelegenheit, daß, wie wir aus guter Quelle hören, Hr. Aldenhoven die Wahl in Neuß angenommen und auf die in den Kreisen Mülheim und Köln (Landkreis) verzichtet hat. In
diesem Falle wird — wahrscheinlich am 22. d. [unleserlicher Text] in Deutz eine neue Wahl stattfinden. Wir wiederholen: die Ehre der beiden Kreise erfordert, daß sie jetzt Gladbach nach Berlin senden und
zwar mit möglichst großer Majorität. Gladbach, einer der talentvollsten, entschiedensten und selbst für die schaamloseste Contrerevolution unangreifbarsten Steuerverweigerer, darf um keinen Preis in
der Kammer fehlen. Wir fordern alle freisinnigen Wahlmänner auf, für Gladbach, und für keinen Andern zu stimmen.
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15
] Düsseldorf, 14. Febr.
Dem früheren Postsekretär, jetzigem Mitarbeiter der „Galgenzeitung,“ Hermann Goedsche, haben Sie schon mehrmals die Ehre der Erwähnung in den Spalten Ihres Blattes zu Theil werden
lassen. Trotz des Sprichworts: Wer Pech angreift etc., kann ich es mir doch nicht versagen, auch meinerseits einige Beiträge zur Charakteristik dieses Menschen zu liefern, dessen Lebenslauf noch gar
manche interessante Details bietet.
Früh schon überschwemmte der saubere Kamerad die leichtgläubige Welt mit seinen ekelhaften literarischen Machwerken. Einen Ruf aber erwarb er sich erst, als ihm sein gutes Glück die Redaktion des
hiesigen Kreisblattes in die Hände spielte. Nun war er, natürlich gegen angemessenes Honorar, der Protektor der Obst-, Butter- etc. Höckerinnen. Unter der Rubrik „Plauderer“ lasen wir
täglich aus der Feder des Hrn. Goedsche eine chronique scandaleuse unserer Stadt, die mit dem „Berliner Zuschauer,“ der Galgenzeitung an Gemeinheit wetteiferte. Seine Mitarbeiter und
Berichterstatter in dieser Art Literatur waren Büttel, Nachtwächter etc. So konnte es nicht ausbleiben, daß der große Autor öfter mit anderer Münze ausbezahlt wurde, als er erwartete und als ihm lieb
war. Zu mehreren Malen ist seine Rückseite hier in unangenehme Berührung mit den Fäusten manches braven Arbeiters gekommen — noch immer eine viel zu große Ehre für sochen Patron.
Aehnlich wie sein literarisches Leben, war sein dienstliches. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, von vielen seiner Kollegen über die gänzliche Unbrauchbarbeit des Goedsche als Postbeamter reden zu
hören. Regelmäßig wurde der große Autor jedes Frühjahr und jeden Herbst krank und indem seine Arbeiten den ohnehin schon übermäßig beschäftigten andern Beamten aufgebürdet wurden, benutzte er diese
erschlichene Muße zur Anfertigung von Artikeln für den Rheinischen Beobachter und ähnliche saubere Blätter. Beim Ausbruch der Berliner Revolution hatte der liebenswürdige Plauderer gerade seine
Frühjahrskrankheit. Mit raschem Scharfblick erkannte er, daß Berlin ein größeres und einträglicheres Feld für seine Thätigkeit darbieten würde, schnell suchte er einen ihm auf das Bereitwilligste
ertheilten Urlaub nach, ging nach Berlin und seht — der Hellsehende hatte sich nicht getäuscht, wir erblicken ihn alsbald als Redakteur des Feuilletons der „edlen Kreuzritterin,“
als treue Stütze und als Bajazzo der Reaktion.
Er begann seine Thätigkeit damit, daß er mit Hülfe des ihm ähnlichen Postsekretärs Ritter (mit großer Furcht und vielem Tadel) Westphalen und die Rheinprovinz mit den reaktionärsten Plakaten und
Flugschriften überschwemmte. Noch wehte aber dem Edlen der Wind zu revolutionär, als daß er sich sofort in seiner ganzen Frechheit und Größe gezeigt hätte. Darum mußte er die sichere Stellung als
Beamter noch beizubehalten suchen, darum wurde ihm sein Urlaub dreimal verlängert, bis dieses endlich, ohne sich zu sehr zu compromittiren, nicht länger möglich war und er angewiesen wurde, auf seinen
Posten hieher zurückzukehren. Der Edle ist gehorsam, er erscheint eines Abends allhier, aber nur, um seine Entlassung aus dem Staatsdienste einzureichen und am andern Abend wieder auf den Schauplatz
seiner Thaten, zur Kreuzritterin, zurückzukehren. Sein früheres Organ, das hiesige Kreisblatt, kündigte damals seine eintägige Anwesenheit hieselbst zur gefälligen Nachricht für seine vielen Freunde
unter Juden und Christen mit den Worten an: „Unser alter Plauderer ist wieder da.“
Bekannt ist seine Wirksamkeit in dem Hatzfeld'schen Prozeß, wo er zuerst für die Gräfin seine Lanze einlegte, dann aber durch die unwiderstehlichen Gründe des Grafen bewogen, umsattelte und
nun für den letztern zu Felde zog. Damals wurden ihm von hiesiger Bühne bei vollem Hause folgende Verse ins Gesicht gesungen:
Unser Plauderer ist ja so wacker und brav,
Heut schreibt er für die Gräfin und morgen für den Graf,
Doch ist ihm der Lohn zu gering, dann, o Graus!
So plaudert die Sünden von Beiden er aus.
Das sind die Werkzeuge, deren der Absolutismus zur Aufrechthaltung seines morschen Gebäudes sich bedient. Uebrigens hat er hier zwei seiner ganz würdige Nachfolger erhalten, die die schmutzige
Wupperthalerin täglich mit den gemeinsten Schandartikeln über Düsseldorf anfüllen.
Vor einigen Tagen gab unsere Geld- und Säbelaristokratie dem Kommunisten Drigalski ein glänzendes Abschiedsmahl. Unter der Menge schwarzweißer Toaste, die dabei ausgebracht wurden, lautete einer
mirabile dictu auf den geehrten Scheideden, für die Mäßigung, die er während des Belagerungszustandes gezeigt, indem er nicht einmal das Martialgesetz verkündet habe. Daß dieses nicht geschehen, hat
gewiß nicht an dem guten Willen des „geehrten Scheidenden“ gelegen, sondern einfach daran, daß den Herren Auditoren die Uebernahme der Verantwortung für eine solche Maßregel zu gewagt
erschien.
Uebrigens empfindet unser Fischmarkt den Verlust der Bürger Drigalski und Spiegel sehr tief, indem namentlich Schellfisch sehr im Preise gesunken ist.
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X
] Berlin, 16. Februar.
Was wir vor 14. Tagen über die vom Ministerium beabsichtigte Vertagung der Kammern noch vor ihrem Zusammentritt mitgetheilt haben, das bestätigt heute ein offenbar halboffizieller Artikel der
„Spenerschen Zeitung.“ Derselbe gesteht, daß diese Frage „im Ministerium wiederholt in die wichtigste Erwägung gezogen worden“, und versucht die „gewichtigen
Gründe“ zu entwickeln, welche für die Vertagung sprechen. Es beschränken sich aber diese gewichtigen Gründe eigentlich nur auf zwei;': man will die Erledigung der Grundfrage der
deutschen Verhältnisse in Frankfurt abwarten, weil „wir sonst in den Fall kommen könnten, unsere Verfassung nach den allgemeinen deutschen Bestimmungen nochmal revidiren zu müssen.“
Andererseits will man theils „dem Frankfurter Parlament nicht die Männer entziehen, auf welche jetzt schon eine Wahl für unsere Kammern gefallen ist;“ theils nach Vollendung der
„konstituirenden Aufgabe“ Frankfurts „die dortigen Kräfte für die Nachwahlen besser benutzen.“ Daher dürfe „man in den nächsten Tagen der Vertagungsordre
entgegensehen“ und wird dieselbe wahrscheinlich „von einem Manifest begleitet sein, worin die bewegenden Gründe dargelegt werden.“ Soweit der halboffizielle Artikel. Wir erlauben
uns, an denselben einige ergänzende Bemerkungen zu knüpfen. Im Hintergrunde dieser Machiavellistischen Machinationen gegen die Freiheit der Völker steht Rußland mit seinen schlagfertigen Armeen
und seinen vollen Kassen. Die alte Alliance zwischen Rußland und den beiden deutschen Großmächten ist erneuert zu dem Zwecke „allem Umsichgreifen demokratischer Ideen und Staatsformen auf
das Beharrlichste und Kräftigste entgegenzutreten.“ Wo es an Geld fehlt, wie z B. in Oestreich und bei der monarchischen, namentlich der legitimistischen Partei in Frankreich, da kömmt
Rußland bereitwillig zu Hülfe und wir können aus glaubwürdiger Quelle versichern, daß der Reaktion in Paris wie in Wien erst vor Kurzem von russischer Seite her durch einen geheimen Agenten sehr
bedeutende Hülfssummen zu nur 2 % Zinsen angeboten worden, wie auch feststeht, daß die Betheiligung des Petersburger Bankhauses Stieglitz bei der neuen östreichischen Anleihe nur eine fingirte, der
Kaiser von Rußland aber der eigentliche Darleiher ist. Die in diesem kontrerevolutionären Komplott Preußen zugedachte und für seine heuchlerische Regierung am Besten passende Rolle ist die:
Preußen wird einstweilen und bis Alles zum Losschlagen bereit ist, fortfahren, mit der deutschen Einheit zu koquettiren und das Frankfurter Parlament so zu bearbeiten, daß die Reichsverfassung bei
ihrer zweiten Lesung eine für den gottbegnadeten absolutistischen Gaumen des hohenzollern'schen Kaisers in spe acceptablere Fassung bekommt. Zu diesem Behufe hat man auch die östreichische Note
provozirt. Mit Oestreich selbst wird man sich, im Falle dieser Plan gelingt, über seine Stellung zum zukünftigen deutschen Kaiser schon noch abfinden, falls dies nicht schon im Stillen geschehen ist.
Man rechnet ferner Preußischer Seits darauf, von dem Reichswahlgesetz und den darin enthaltenen Bestimmung über die politische Selbstständigkeit Gebrauch zu machen und auf Grund derselben die
hiesigen Wahlen zur zweiten Kammer zu annulliren und neue vornehmen zu lassen, von denen man hofft, sie würden günstiger für die Reaktion ausfallen, wenn man die Arbeiter als
nicht-selbstständig von der Theilnahme an den Wahlen ausgeschlossen. Hat dann Preußen erst die Reichs-Central-Exekution in Händen, so wird — namentlich wenn die Reaktion in Frankreich
siegt, wenn Ungarn, wenn Italien durch östreichische Uebermacht erdrückt und von Neuem geknechtet sind — die deutsche Freiheit bald von Reichs wegen zu existiren aufgehört haben. Läßt sich aber
wieder Erwarten Frankfurt nicht verführen, so wird auch Preußen den ohnehin lästigen Heuchelschein des Liberalismus bald von sich werfen und die Koalition wird offen den Kampf gegen die Demokratie
aufnehmen. Zu allen diesen Plänen aber braucht man vor Allem Zeit und ungestörte Muße, damit man den Gang der auswärtigen Ereignisse, die man doch nicht nach eigenem Belieben leiten kann, abzuwarten
im Stande sei. Daher die dringende Nothwendigkeit, sich die unbequemen Gäste, die hiesigen Kammern, einstweilen vom Leibe zu halten, daher wird auch die Vertagung der Kammern zuerst nur auf einen
kurzen Termin geschehen, dann aber, so lange es Noth thut, wiederholt werden. Dies sind die wahren „Gründe einer höhern Politik“, welche zur Vertagungsordre führen, und auch wir wünschen
mit dem halboffiziellen Artikel, „daß alle Einsichtigen im Lande dieselben würdigen.“ Wir glauben durch gegenwärtigen Artikel, dessen Angaben wir verbürgen können, einiges Material zu
dieser Würdigung geliefert zu haben. Uebrigens wird, wie der halboffizielle Artikel sagt, „die Regierung einer angemessenen Feier des 18. März, dem Preußen doch zunächst seine
Wiedergeburt verdankt, selbst während der Dauer des Belagerungszustandes in keiner Weise entgegen sein.“
Das Central-Comite für volksthümliche Wahlen hat nach langen mühsamen Berathungen endlich sich über die Candidaten geeinigt, die es für die hiesigen Nachwahlen empfehlen will. Für den ersten
Wahlbezirk, wo eine Nachwahl erforderlich wird, weil Rodbertus doch politisches Ehrgefühl genug hatte, für den zweiten anzunehmen, ist es gelungen die Candidatur Paalzow, welche namentlich von
der Coterie der Nationalzeitung begünstigt ward, zu beseitigen und dafür Heinrich Simon aus Breslau aufstellen. Ebenso ist es geglückt die Einwände des zähen Philisterthums gegen die
Candidaturen Jung und Bruno Bauer zu beseitigen.
Außerdem spricht man für die vierte Nachwahl, theils von Wesendonk, theils von Schulze (Wanzleben). — Wir glauben jedoch versichern zu können, daß es jeder liberalen
Berliner Capacität, welche in die Schranken treten würde, gelingen dürfte über die letztgenannten auswärtigen Candidaten den Sieg davon zu tragen, da unter den hiesigen Wahlmännern das
Berlinerthum sich mächtig regt und man des cosmopolitischen Herumfahrens nach allerhand fremden Berühmtheiten überdrüssig geworden ist. Dieser letztere Umstand hat auch Bruno Bauer's Candidatur
bedeutend gefördert.
Zuverlässigen Nachrichten aus Ungarn zufolge, stehen an der Spitze der in Siebenbürgen kämpfenden östreichischen Truppen zum Theil russische Befehlshaber.
Unter den zur zweiten Kammer gewählten Abgeordneten befinden sich 7 jetzige und gewesene Minister, 18 Landräthe, 13 Bürger-und Ober-Bürgermeister, 85 Juristen, 39 andere königl. und städtische
Beamten, 28 Lehrer, Professoren und Literaten, 32 Geistliche, 5 Militair-Personen, 8 Aerzte, 52 Gutsbesitzer, 19 Kaufleute, 12 Handwerker und andere Gewerbetreibende, 19 bäuerliche Wirthe, zusammen
337; die übrigen 13 sind ihrem Stande und ihrer Beschäftigung nach unbestimmt
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Berlin, im Febr.
Dem Vernehmen nach sieht es in den mecklenburgischen Herzogthümern sehr schlimm aus. Die Demokratie hat dort gesiegt; der Adel, welcher in keinem deutschen Lande noch so viele feudalen Vorrechte
besaß, ist fast ganz von der Ständeversammlung ausgeschlossen; der Herzog hat nachgegeben, und die demokratische Partei ist dabei, die Rumpelkammer des heiligen römischen Reichs gründlich auszufegen.
Inzwischen hat sich jedoch, wie überall, durch die langen und langsamen parlamentarischen Kämpfe die Reactionspartei auch dort gebildet; der Herzog ist schwankend geworden; da aber auch die Soldaten
in Mecklenburg auf Seite der Volkspartei stehen, fürchtet man, daß eine Beruhigung, oder was man Herstellung der Ordnung im Wege des Octroyirens nennt, nicht anders als mit Hülfe einer Reichsarmee
geschehen könne Es sollen in Frankfurt Anträge gemacht worden sein und dem Gerücht nach Preußen und Hannover der Auftrag bevorstehen, den Herzogen von Mecklenburg hülfreich beizustehen.
[(Z. f. N.)]
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X
] Breslau, 13. Febr.
Die Wahlen in Schlesien für die erste Kammer sind zu Gunsten der Demokratie ausgefallen. Wählen alle Provinzen wie Schlesien d. h. Reactionäre vom reinsten brandenburgschen Wasser, so muß binnen
Kurzem ein Conflict stattfinden. Der Calicot-Minister Milde ist dreimal, Brandenburg zweimal gewählt. In Oels fiel der vereinigte Landtägler Graf Dyhren wegen seiner Freisinnigkeit vollständig durch.
Eine solche reactionäre erste Kammer scheinen die adligen Herren vorhergesehen und gefürchtet zu haben; so ließ z. B. Graf Renard sich in die zweite Kammer wählen und intriguirte für die Wahl seines
Inspectors v. Neumann in die erste Kammer. Bei einem Conflicte könnte jedoch sich Renard verrechnet haben, da wohl dann das Volk Justiz ausüben wird an allen Feinden des Volkes auch in der zweiten
Kammer.
Als Curiosum, das über den geordneten Rechtszustand des preußischen Staates helles Licht wirft, theile ich Ihnen noch mit, daß die beiden Aufsätze aus der „Neuen Rheinischen Zeitung“
über den Finanzbericht der Nat. Verf. und über das interimistische Ablösungsgesetz von der schlesischen Justiz incriminirt sind — wegen Majestätsbeleidigung.
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068
] Breslau, 14. Febr.
Das Vaterland ist verloren, Preußen ja ganz Deutschland steht am Rande des Verderbens: so klagten die preußischen Staatsbürger (?), so winselt die Frankfurter Linke; denn — Heinrich Simon
ist nicht gewählt!
Das Schrecklichste ist geschehen, der Mann des Volkes, der einzige Freund des Volkes (!) ist vom Volke vergessen worden, während doch, wie ein lobhudelndes Wahlplacat sagt, in dem Augenblick jeder
Gefahr jeder Bewohner einer jeden Hütte rief: „Heinrich Simon muß daran.“ Und dieser Mann vom Volke ist jetzt nicht berücksichtigt! Was wird der Club Westendhall und die Herren Schröder,
Claussen und Venedey sagen, daß per Mann nicht gewählt ist, der eine ganze Nationalversammlung vertreten kann durch Intelligenz, Rednergabe und besonders durch die sittliche Kraft seines
Charakters.
Doch ich will dem Urtheil des Lesers nicht vorgreifen. Obengenannte Herren glaubten „in einem Momente, wo der Ausfall der Wahlen zur preußischen Nationalversammlung nicht nur auf Jahre
hinaus die Gestaltung der preußischen Verhältnisse entscheidet, sondern gleichzeitig den wesentlichsten Einfluß ausüben wird auf die gesammten deutschen Verhältnisse, erscheint es vorzugsweise nöthig
nur bewährten Männern die Vertretung des Volkes anzuvertrauen.“ Dies ist der Anfang eines autographirten Schreibens obiger Herren, das in alle Wahlkreise an alle
hervorragenden demokratischen Persönlichkeiten in 50 Exemplaren geschickt wurde. Diese Herren wollten jedem Demokraten Schlesiens bewährte Männer vorschlagen und — parturiunt montes
nascetur ridiculus mus — Heinrich Simon kommt heraus. „Diejenigen bewährten Männer“ sind Heinrich Simon.
Von der Tribüne hat er (Heinrich Simon) durch die sittliche Kraft seines Charakters, durch seine umfassende, gründliche und gediegene Sachkenntniß, so wie durch große Klarheit und Präcision der
Darstellung in Hauptfragen, insbesondere in der preußischen Verfassungs-Angelegenheit, auf das Parlament mächtig eingewirkt. Auch auf der rechten Seite des Parlaments ist ihm stets Achtung und
Auszeichnung zu Theil geworden.
Heinrich Simon wirkte von der Tribüne durch die sittliche Kraft seines Charakters, er brauchte sich also nur auf die Tribüne zu stellen und die Wirkung war da durch „die sittliche Kraft
seines Charakters.“ Die große sittliche Kraft seines Charakters hat Heinrich Simon bewiesen am 6. März 1848, daß er die Volksversammlung öffentlich förderte und heimlich hintertrieb!! In
Hauptfragen wirkte er so mächtig auf das Parlament, daß alle Fragen, in denen er sprach, stets durchfielen.
„Wir würden, so schließt dieses fameuse Schreiben, es tief beklagen, wenn gerade auf diesem „Landtage“ — (und oben Nat.-Verf.) — der so wichtig ist, und für die
Freiheit Preußens und Deutschlands entscheidet, einer ihrer edelsten Vorkämpfer fehlen sollte.“
„Deshalb und weil wir erfahren, daß die Reaction überall ganz besonders dahin wirken wird, derartige Männer von der Wahl auszuschließen, ersuchen wir Sie dringend, allen Intriguen der
freiheitsfeindlichen Parteien entgegen
Heinrich Simon zu Ihrem Abgeordneten in die zweite Kammer zu wählen.“
Trotz der Majorität, die die demokratische Partei in der Nat.-Verf. besitzt, haben die Demokraten gemeinschaftliche Sache gemacht mit der „freiheitsfeindlichen Partei“ und haben
Heinrich Simon nicht gewählt.
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24
] Breslau, 13. Januar.
Wie kürzlich die Regierung zu Oppeln „auf höhern Befehl“ Steckbriefe gegen Kossuth und viele andre Magyaren erließ, so jetzt auch die hiesige Regierung. In Nr. 7. des Breslauer
Amtsblattes fordert sie zufolge „der ihr höhern Orts zugegangenen Weisung“ die Polizeibehörden auf, nachbenannte Personen im Betretungsfalle zu verhaften und — an das nächste
östreichische Militärkommando abliefern zu lassen!
Es sind folgende Personen bezeichnet:
Ludwig Kossuth; die Ehefrau des Kossuth; Eduard Beöthy; Graf Kasimir Bathiany; Bartholomäus Szemere; Franz Pulsky; General Bém; Michael Tancsics; Arthur Görgey; Dr. Tau[unleserlicher Text]enau; Alexander
Luccats; Paul Nyary; Szöllesy; Ladislaus Csanyi; Paul Vasvary; Alexander Pöte[unleserlicher Text]y; Moritz Perczel; Ladislaus Madaraß!
Ueber solche schaamlose Niederträchtigkeit ist kein Wort weiter zu verlieren. Dieses Verfahren richtet sich selbst.
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088
] Frankenstein, 7 Febr.
Am Sonntage besuchten mehrere Unteroffiziere und ein Feldwebel vom 23. Infanterieregiment einen öffentlichen Tanzsaal und bemühten sich, mit Sticheleien mehrere von den anwesenden Civilisten in
Harnisch zu bringen. Diese Neckereien hatten den gewünschten Erfolg und arteten in Schlägereien aus. Auf einmal erscheint ganz unerwartet bewaffnetes Militär im Tanzsaale und dringt mit gefälltem
Bajonnette und gezogenem Säbel auf die Bürger ein. Drei Husaren hauen scharf zu. Einige Leute der vom Wachtdienst abgelösten Bürgerwehr hören auf der Straße den Skandal und gehen näher hinzu. Sie
werden sogleich mit Kolbenschlägen bewillkommt. Nun beginnt ein ernstlicher Kampf. Circa sechs Mann Bürgerwehr und Civilisten entwaffnen mehrere Unteroffiziere und Gemeine. Die Waffen hat der
Hauptmann erst von dem Bürgerwehrkommandeur zurückerbitten müssen! Auch einem der Husaren ward der Säbel aus der Hand gewunden. In diesem Augenblicke erscheinen 30-40 Mann vollständig bewaffnete
Soldaten aus der Kaserne, die ebenfalls von den wenigen Civilisten bis in die Nähe der Kaserne zurückgedrängt wurden. Hier gelingt es den herbeigeeilten Bürgerwehroffizieren, die Ruhe wieder
herzustellen. Von den Soldaten sind fünf mehr oder weniger verwundet, von den Bürgern drei. Wie fast überall, so haben auch hier die Soldaten sich gegen Wehrlose höchst brutal benommen. Ein bereits zu
Boden liegender Bürger erhielt u. A. von einem Soldaten noch derbe Kolbenstöße.
Jeden Abend um 9 Uhr ist hier doppelter Zapfenstreich, der die Soldaten zum Nachhausegehen mahnt. Wie kommt es, daß in der Nacht bis 1 Uhr sich Soldaten noch auf Tanzsälen herumtreiben dürfen!
Gestern haben uns Gott sei Dank die Wasserpolaken des 23. Infanterieregiments verlassen und ist dagegen vom 11. Regiment eine Kompagnie eingerückt. Diese Leute haben jedoch heute gegen die
Einquartirung in die Kasernen Protest eingelegt, weil die Betten und Strohsäcke in letzterer von Läusen und sonstigem Ungeziefer strotzen. Ein Beweis, welche Ordnung in der Kompagnie geherrscht
hat.
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Posen, 8. Febr.
Die Gazeta polska enthält eine im Umlauf zur Unterschrift an alle polnischen Urwähler des Großherzogthums Posen befindliche Protestation gegen die, Seitens der Regierung begangenen allgemeinen wie
speziellen Uebergriffe bei Abgränzung der Wahlbezirke und bei Leitung der Wahlen, welche erstere dahin zielten, den Ausfall der letzteren im Großherzogthum zu verrücken und den Polen die Rechte der
Repräsentation zu verkürzen. Sie erklärt die Annahme der sogenannten Demarkationslinie als Grundlage zur Eintheilung der Wahlbezirke für ein durch nichts zu rechtfertigendes und in den Annalen der
Verwaltung bespielloses Unrecht. „Abgesehen von der Idee der Demarkationslinie selbst, „welche, falls sie zu Stande kommen sollte, eine gewaltsame Verletzung der bürgerlichen und
politischen, den Polen durch Traktate und selbst durch Beschlüsse der Preußischen National-Versammlung vom 23. und 26. Oktober v. J. garantirten Rechte in sich schließen würde — deren Wahrung
wir aber unsern Deputirten überantworten, erklären wir, indem wir uns hier auf die Beurtheilung der administrativen Maßregel allein beschränken, wie es eine unerhörte Thatsache ist, daß die Behörden
es sich herausgenommen, auf ein Gesetz zu fußen, welches noch gar nicht existirt, vielmehr erst gegeben werden soll, und sich auf einen Beschluß zu berufen, der noch nicht einmal durch die Autorität
bestätigt worden ist, welche sich eine ausschließliche Competenz in dieser Angelegenheit angemaßt; und alles Dieses zum Zwecke einer willkürlichen und künstlichen Durchsetzung von Wahlen im Sinne
einer den Polen feindlichen Partei.“
Es wird ferner darin geklagt, daß das Königl. Ministerium nicht gezögert habe, den Behörden des Großherzogthums Posen auf Antrag dieser Partei und zum Vortheil der Deutschen Minorität, die einmal
im Sinne des Reglements getroffene Wahlbezirks-Eintheilung zu verwerfen und eine andere im Sinne der Demarcationslinie, deren Richtung die Behörden nicht einmal kannten, zu entwerfen, wodurch 11
Kreise zerstückelt und außerdem mehrere derselben, dem § 24 des Reglements schnurstracks entgegen, ausdrücklich geviertheilt worden sind, um nur die Polnische Bevölkerung in solche Beziehung zur
Deutschen zu bringen, daß für letztere eine Majorität erwachse. Wo dies gelang, da gerade ließ man je 4 und 5 Deputirte zugleich wählen.
„Endlich erklären wir“, so heißt es weiter, „daß wir ohngeachtet aller dieser Beeinträchtigungen zu den Wahlen schreiten, um der Welt darzuthun, daß keine List, auch keine
Uebergriffe uns von dem legalen Nießbrauch derjenigen konstitutionellen Freiheiten, nach denen wir so lange gestrebt und die unser Volk durch mehrhundertjährige Praxis kennen und schätzen gelernt
hatte — die uns aber eine feindselige Bureaukratie nun auf Kosten der Abtretung unserer Nationalität erkaufen lassen will, abhalten lassen werden.“
[(Ostf. Z.)]
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Aus Westpreußen, 9. Febr.
Vor dem 18. März reisten viele Mucker im Lande herum, um den armen Leuten Enthaltsamkeit vom Schnapse und von anderer weltlichen Lust zu predigen. Dazu wurde viel gesungen und gebetet, und Hr.
Baron v. Seld aus Berlin soll's als solcher Schnapsprediger weit gebracht haben. Jetzt geht dieses Geschäft nicht mehr, und nun reist derselbe Herr zu seinen alten Kunden, predigt denen
Enthaltsamkeit von der Freiheit und Demokratie und gibt ihnen dabei so vielen Schnaps zu trinken, als sie nur wollen.
[(Fr. J.)]
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068
] Danzig, den 7. Febr.
Der Redacteur des „Danziger Volksblattes“ ist wegen eines Artikels über die Neujahrsgratulation an „Meine Armee,“ den er aus der „N. Rh. Z.“ in sein Blatt
aufnahm, wegen Majestätsbeleidigung zur Kriminaluntersuchung gezogen worden.
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] Dresden, 13. Febr.
In der heutigen Sitzung der ersten Kammer benutzte Abg. Böricke eine auf Abberufung des sächsischen Gesandten in Wien dringende Petition zu folgendem Antrag: die Kammer möge ohne
weitere Diskussion den von der zweiten Kammer in Betreff der Tödtung R. Blum's gefaßten Beschlüssen beitreten. Einstimmig angenommen. Weiterhin drehten sich die Debatten um
Auslegung des Wortes „selbstständig“ im provisor. Wahlgesetz vom 15. Novbr. vorigen Jahres. Die Deputation hat beantragt: „selbstständig ist gleichbedeutend mit: befähigt, seine
Rechte vor Gericht selbst zu vertreten und wesentlichen Wohnsitz für gleichbedeutend mit demjenigen Wohnorte, der den Gerichtsstand einer Person begründet.“ Wird in namentlicher Abstimmung von
der Kammer, mit Ausschluß von 2 Stimmen, angenommen.
Eben so der 2. Antrag, welcher lautet: „Die Kammer wolle im Vereine mit der 2. Kammer die Staatsregierung ersuchen, der oben ersichtlichen Auslegung der in § 4 des provisorischen
Wahlgesetzes enthaltenen gesetzlichen Bestimmungen beizutreten und die hierdurch ermittelte authentische Interpretation im verfassungsmäßigen Wege zu publiziren.“
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15
] Schleswig-Holstein, 14. Febr.
Obgleich die Lage der Tagelöhner hier in Schleswig-Holstein sehr traurig ist, so hat doch noch kein Junker bis jetzt gewagt, sie so zu mißhandeln, wie es in Mecklenburg täglich geschieht. Betrogen
und bestohlen werden die hiesigen Proletarier wie im Nachbarlande, aber der Säbel ist noch nicht zur Anwendung gekommen. Es ist kaum glaublich, daß folgende Thatsachen in der jetzigen Zeit möglich
sind, aber was wagen jetzt nicht die Hunde- und Pferdebarone, sich auf die Bajonnette der Soldateska stützend.
Von jeher waren die Existenzmittel der Tagelöhner in Mecklenburg sehr gering, namentlich auf dem Gute des von Arnim; oft hatten dieselben den Junker um Besserung ihrer Lage gebeten, aber natürlich
stets vergebens, sie wurden mit Schimpfworten zur Ruhe und Geduld verwiesen. — Ich lasse die Erzählung der Tagelöhner hier folgen, wie sie von denselben der Mecklenburger Landesversammlung
vorgelegt.
„Ohne vorau[s]gegangene oder gar erregende Vorgänge unserer Seits mit dem Gutsherrn oder dessen Administration, befanden wir achtzehn Tagelöhner uns auf dem Felde mit Arbeit
beschäftigt in Gegenwart des zu Pferde sitzenden, ungewöhnlich lange sich bei uns verweilenden Wirthschafters Kolmorgen, welcher uns kurz vorher gegen seine sonstige Gewohnheit mit Liebreiz ein Glas
Branntwein nach dem andern aufgedrungen, als der Statthalter (Vogt) Gädke, vom Hofe kommend, ihm etwas in die Ohren raunt. Hierauf wieder zu uns heranlenkend, brüllt Kolmorgen in Begleitung der
lieblichsten Schimpfworte: „wenn mir jemals wieder einer von Euch so kommt, wie letzthin zwei von Euch, so schieße ich ihn sogleich nieder.“ — Diese beiden Tagelöhner hatten ihn
nämlich gebeten, doch nicht so roh und unbarmherzig mit den Hofarbeitern umzugehen, denn da diese jetzt nur mit Zittern und Zagen in die Arbeit gingen und mit thränenden Augen zu Hause kämen, so
müßten wir befürchten, daß sie gar nicht mehr zu Hofe gehen wollten. — Dieses wurde im Tone freundlicher Bitte gesagt.
Auf die Drohung des Todtschießens und den vielen Neigungen durch Rohheit und Grobheit gegen uns, legten wir unser Handwerkzeug nieder, traten zu ihm heran und einer sagte: „Herr Kolmorgen,
wenn Sie nach einer bloßen Bitte uns sogleich todtschießen wollen, so wollen wir doch lieber zusammen nach dem Gericht in Waren gehen und dort hören, ob Sie das Recht dazu haben.
Freudig bewilligt Kolmorgen uns sogleich unsere Aufforderung mit dem Befehl augenblicklich mitzukommen. Er reitet voran und wir folgen ihm ohne Rock und mit leeren Händen. Auf dem Hofe angelangt,
kommen uns 26 Dragoner unter Anführung des Lieutenants Koenemann in den Rücken und von diesem aufgefordert vorzutreten auf den freien Platz, welches, nichts Böses ahnend, von uns geschah —
donnert uns derselbe an, warum wir die Arbeit verlassen und den Oberinspektor Kolmorgen geschlagen? Wir hatten kaum Zeit zu erwidern, daß wir keinenfalls den Inspektor geschlagen, sondern seinem
Geheiße folgend, mit ihm nach Waren zu gehen, dort vor Gericht unsere Beschwerde anzubringen, als der Lieutenant mitten in unserer Antwort ein Commando erließ, worauf seine Dragoner uns wehrlose
Männer umzingeln und mit scharfen Säbeln zusammenhauen. Ohne die leichten, wurden sieben von uns unschuldigen, friedlichen Menschen schwer verwundet aufs Schmerzenslager getragen und von wem
verstümmelt und auf welche Ursache hin?
Allmählig zur Besinnung aus dem Todesschrecken kommend, können wir uns über solch grauenerregende, schändliche That nicht beruhigen, wir bitten um Genugthuung und Untersuchung. Diese wird uns
gewährt; es kommt der Criminalrath Ackermann und befragt jeden von uns hin und her, auch über Thatsachen, von uns begangen, die wir nicht kennen, übergeht lächelnd unsere Klagen, verweist uns unsere
Bitte und läßt uns wieder abtreten; aber kein Wort auch nur einer Mißbilligung über die Missethäter entfährt seinen Lippen.
Das Urtheil erfolgt, der Criminaldirektor Boldt bringt es, es lautet: hört! hört! „Ob der Vorgänge der Dragonermetzelei unter den Tagelöhnern, erhalten von den Nichtverwundeten einer acht
Wochen Gefängniß, einen Tag um den andern bei Wasser und Brod — ditto einer sechs Wochen ditto ditto, vier erhalten vier Wochen bei ditto ditto.
Stumm, vor Entsetzen stumm, wir, die wir nicht von den Dragonersäbeln zerhackt sind, sollen das Schmerzenslager nachholen ohne Wunden, aber im Gefängniß, die abgemessenen Wochen bei Wasser und
Brod, dem Entlehnungsmittel des Todes, als Strafe für unsere Frage: weshalb ein Wütherich uns todtschießen wolle? Diese Frage als Verbrechen hatte uns in die Dragonersäbel auf dem Hofe geführt, aber
dieselbe mag unser aller Leben gerettet haben; denn da doch die Dragoner nicht umsonst zwei Meilen weit gelockt werden durften, so wären sie jedenfalls zu uns hinaus auf's Feld gekommen, so daß
es ja natürlich gewesen, wenn wir unser Arbeitszeug zur Abwehr der Säbel vorgehalten hätten, und wir hätten dann keinenfalls Pardon erhalten, sondern wir wären sämmtlich niedergehauen
worden.“
Was die Landesversammlung bei dieser Schlächterei thun wird, muß die nächste Zukunft zeigen; es giebt viele entschlossene Männer in derselben, ob aber ihre Stimme durchdringen wird, ist noch die
Frage. Wahrscheinlich wird Mecklenburg in kurzer Zeit mit einer von der Kamarilla fabricirten Verfassung erfreut werden. Die Mecklenburgische Hoheit hat schon in Berlin sich Hülfe erbeten, im Falle
die eigenen Soldaten nicht ausreichen sollten. Die Erbitterung, namentlich unter den Proletariern, ist sehr groß — keiner ist seines Lebens sicher, da jeder Junker bei der geringfügigsten
Veranlassung sogleich Soldaten requirirt, um durch den Säbel seine Macht zu beweisen. — Die bevorstehende Aufhebung der Fideicommisse hat die adeligen Faulenzer sehr unangenehm aus ihrer Ruhe
aufgerüttelt — ihre ganze Existenz ist gefährdet; dazu kommt noch, daß die Tagelöhner das ihnen früher durch Betrug abgenommene Eigenthum an Andere wieder zurückverlangen. Die Zeit der
Wiedervergeltung naht mit raschen Schritten!