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[Fortsetzung] revolutionären Ideen eben nicht günstig. Das Volk wird also noch während dieser Zeit die heldenmüthige Ruhe in seinem Elende zu zeigen haben, die uns schon mehrere Male vor den Mordgeschützen unserer
afrikanischen Generäle errettete. Was uns betrifft, so werden wir fortfahren, für das Arbeitsvolk, für das der Staat eben nichts thun will, zu wirken. Die Straßenstille ist wenigstens dem Tagesverkehr
günstig!“
— Der Moniteur meldet, daß Marquis Normanby gestern dem Präsidenten Bonaparte die Papiere überreicht, welche ihn als außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister J. M. der
Königin von Großbritannien und Irland bevollmächtigen. Bisher war die Sendung Normanby's nur eine — Mission spéciale et temporaire. Das nämliche Blatt zeigt ferner an, daß Hr.
Präsident Bonaparte seine bekannten Freunde und resp. Genossen Armand Laity, Fialin de Persigny und Dr. Henri Conneau zu Offizieren der Ehrenlegion ernannt hat.
— Wir erfahren aus guter Hand — sagt „Assemblée“ — daß die katholischen Mächte einen Kongreß in Gaëta, in unmittelbarer Nähe des Pabstes,
abzuhalten beschlossen haben. Kardinal Dupont ist gestern dahin abgereist.
— Barbès erklärt in den demokratischen Blättern, daß er sowohl gegen Béranger vom Kassationshofe, als überhaupt gegen jede Vertheidigung protestire, die der hohe Gerichtshof zu
Bourges ihm etwa zumuthe. Aus diesem lakonischen Briefe ersieht man, daß sich die Maigefangenen noch in Vincennes befinden. Die Vorbereitungen in Bourges werden lebhaft betrieben.
— In dem berüchtigten Klubsaale der Rue Martel 9 fand gestern Abend ein stark besuchtes Volkskonzert à 1/4 Fr. statt. Das ganze Stadtviertel war in Bewegung.
— Uebermorgen (10. Feb.) wird ein neues Journal erscheinen, welches zum eigentlichen Organ des Ministeriums und der Camarilla im Elysée-National bestimmt ist. Sein Gründer ist
der bekannte prinzliche Geheimschreiber Fialin de Persigny, den die „Liberté“ wegen seiner legitimistischen Grundsätze und seiner speziellen Liebe zu Falloux einen diplomatischen
Bindestrich zwischen dem Faubourg St. Germain und dem Elysée-National nennt. Es scheint, daß keine der Journal-Pflanzen, die bisher in der ministeriellen Luft wuchertne, dem reaktionären Eifer
des Geheimschreibers vollständig entspricht; er hat daher den Entschluß gefaßt, ein allergeheimstes Hofjournal zu gründen, das den pompösen Titel „le Pouvoir“ führen wird und als dessen
erste Mitarbeiter der bonapartisirte Liadieres, weiland Flügeladjutant Louis Philipps, Boudouin (vom Guizotschen Conservateur), der Satisfait Dugabé und der Allerweltssekretär Lingay,
Kabinetsschreiber Louis Philipps etc., genannt werden. Diese saubere Gesellschaft soll die Felix Pyatsche Aufgabe lösen: wie man aus gemeinen Filzhüten — Kronen machen kann? In den Bureaus der
„Patrie“ herrscht rasende Verzweiflung.
— Der berüchtigte Sbirrenhäuptling Vidocq wurde vorgestern in seiner Behausung, Rue St. Louis, auf den Befehl des Untersuchungsrichters Dubarle, verhaftet, weil es sich in dem
Ehescheidungsprozesse, den der Herzog v. Valencay gegen seine Frau führt, herausgestellt hat, daß er sich bei einer Maitresse des Herzogs, Madame L*** in Priesterkleidern einschlich und als
angeblicher Abbé Grimoux, Pfarramts Villedieu bei Chateauroux, wichtige Briefe des Exherzogs zu erstehlen wußte. Vidocq scheint unter dem Namen Bourgeois noch andere Schurkenstreiche ausgeübt
zu haben; denn man hat entdeckt, daß ein gewisser Bourgeois, auf den die Polizei schon lange fahndete, Niemand anders ist als der berüchtigte Vidocq und sogenannte Pfarrer Grimoux aus Villedieu.
— In verflossener Nacht fällte das Kriegsgericht sein Urtel im Breaprozesse. Die 5 Hauptangeklagten: Daix, Newolit, Lahr, Choppart und Vappreaux sind zum Tode, die Andern zu Gefängnißstrafen
verurtheilt worden. Sämmtliche Angeklagte wurden gegen 1 Uhr Nachmittags in das Fort Vanves geschafft.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 8. Febr. Anfang 1 1/4 Uhr. Präsident Marrast.
Marrast: Wir nehmen die Rateau-Debatte da wieder auf, wo sie gestern beim Artikel 3 und dessen Amendements verlassen wurde. Art. 3 mit seinem Anhange lautet hienach:
„Die National-Versammlung regelt ihre Tagesordnung dergestalt, daß sie außer dem Wahlgesetz, dem Staatsrath, der Verantwortlichkeit des Präsidenten und der Minister, auch noch das Büdget
für 1849 vor ihrer Auflösung votirt.“
Die Deputirten de Ludre und Sauteyra machen den Vorschlag, hinzuzufügen:
„und das Gesetz über die öffentliche Macht.“
(Oh! Oh! zur Rechten.)
De Ludre entwickelt den Vorschlag und gründet ihn hauptsächlich auf die Nothwendigkeit von Ersparnissen in der Armee. Er deutet auf die Lamoriciere'schen Nachahmungen Preußens
hin.
Oudinot bekämpft den Vorschlag. Die Militärverfassung sei gut, man solle nicht daran rütteln. Im Effektivbestande mögen Ersparnisse gemacht werden; aber die Lage Europas erheische die
höchste Vorsicht. In keinem Falle dürfe man dieses neue Gesetz zu den Arbeiten der Versammlung hinzufügen. Sie sei ohnedies schon überhauft.
Lamoriciere (mit Cavaignac der eigentliche Urheber des Vorschlags) unterstützt denselben. Er gestehe zu, daß die Arbeiten der Versammlung schon überhäuft seien und daß sie vollauf zu thun
habe. Aber sie könne ja die öffentlichen Sitzungen früher anfangen. (Ja! Ja! unten. Nein! Nein! auf der Journalisten-Gallerie.) Ersparnisse zur Vermeidung des fürchterlichen Deficits seien durchaus
nöthig; bloße Oekonomien auf dem Papiere reichen nicht hin. (Beifall zur Linken)
De Kerdrel findet: daß sich die Versammlung schon eine viel zu große Bürde durch das Budget aufgeladen habe. Er bekämpft den Vorschlag.
Nach einer ziemlich farblosen Debatte zwischen Laurent (Drône) und den Generälen Oudinot, Lebreton, Leydet und Lamoriciere wird über den Vorschlag durch Stimmzettel zur Abstimmung
geschritten.
Der Vorschlag wird mit 419 gegen 372 Stimmen verworfen.
Senard und Dupont (Büssac) tragen darauf an, daß die Versammlung auch die Gerichtsreform hinzufüge. (Oho! Oho!)
Boudet bekämpft dies; worauf die Antragsteller ihren Antrag zurückziehen.
Ceyras trägt darauf an: das Gesetz über die allgemeine Assistenz (Kranken- und Almosenpflege) hinzuzufügen. (Oho! Oho!)
Cocquerl meint, es bleibe keine Zeit dafür übrig. (Unterstützt!)
Lagrange erwidert, daß man Zeit finden müsse und dringt auf Abstimmung durch Stimmzettel.
Das Assistenzgesetz wird mit 444 gegen 309 Stimmen von der Tagesordnung gestrichen.
Boubee will das Primarunterrichtsgesetz hinzufügen.
Jules Simon unterstützt ihn.
Wird mit 458 gegen 3[unleserlicher Text]7 Stimmen verworfen.
Artikel 3 wird endlich definitiv angenommen.
Alem Rousseau überreicht einen Artikel 4 über die Preßverhältnisse.
(Oh! Oh! Oh!)
Verworfen.
Artikel 4 (der das Dekret vom 11. December abschafft) angenommen.
Um 4 Uhr wird zur Abstimmung über das Gesammtgesetz geschritten.
Wird mit 494 gegen 307 Stimmen angenommen. (Pause) Das heißt einer dritte Deliberation überweisen.
Astouin interpellirt den Kriegsminister, was er für die algierische Kolonisation zu thun gedenke. Die Dinge ständen dort schlecht. Die Lage der Kolonisten sei fürchterlich. Andere wollten
nachfolgen.
Larochejaquelein: Der Andrang von Familien sei überaus stark. Man solle die Jahreszeit benützen. Der Sommer sei zur Uebersiedelung viel schädlicher. Die Fonds seien ja längst votirt.
Lamoriciere: Sie votirten 10 Millionen. Davon wurden aber 7 Millionen für die vorjährigen Uebersiedelungen verausgabt. Es bleiben also noch 3 Millionen Fr. für 1849.
Rullieres, Kriegsminister, verspricht der Angelegenheit seine Aufmerksamkeit zu widmen.
Lagrange überreicht eine Bittschrift von vielen Familien aus Lyon, die endlich wissen wollen, was die Regierung rücksichtlich ihrer Uebersiedelung nach Algier beschlossen.
Die Sache soll erwogen werden.
Die Versammlung geht zur ersten Deliberation des Wahlgesetzes über.
Champrans bekämpft den Entwurf.
Ebenso Jobez.
Pleignard und Victor Lefranc (im Namen der Kommission) vertheidigen den Entwurf.
Die Versammlung beschließt, nach fünf Tagen zur zweiten Deliberation überzugehen.
Die Versammlung entscheidet ferner, daß sie morgen die zweite Deliberation der Gerichtsreform vornehme.
Die Sitzung wird um 1/4 vor 6 Uhr geschlossen.