Französische Republik.
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] Paris, 6. Febr.
Dem Ministerium, dem Präsidenten und der Kammer nachzufolgen, in den verschiedenen Fragen, wie sie sich gegenseitig Mißtrauensvota geben in zutraulicher Form, wie die Vermeidung des
Mißtrauensvotums noch kein Zutrauensvotum und wie das Zutrauensvotum wieder eine höchst mißtrauliche Form annimmt, ist nur insofern interessant, als durch alle diese Widersprüche und Kämpfe alle drei
Parteien gegenseitig Niederlagen erleiden, und das Proletariat, die demokratisch-soziale Republik den Augenblick abwarten kann, wo sie mit einer neuen Februarrevolution diesem ganzen Treiben ein Ende
machen kann.
Verflossenen Samstag hatte offenbar das Ministerium in der Kammer unterlegen; das Ministerium hatte auf einfache Tagesordnung angetragen; die Kammer verwarf sie; es blieb also nur die
Perée'sche motivirte Tagesordnung, die einen Tadel des Ministeriums enthielt, in der Debatte.
Gestern kommt der General Oudinot mit einer andern Tagesordnung, die also lautet: „die Kammer, in Erwägung, daß das Ministerium das für sie beleidigende Bülletin desavouirt hat, schreitet
zur Tagesordnung.
Also Samstag wurde diskutirt, ob man über einen dem Ministerium zu infligirenden Tadel diskutiren soll, und die Kammer, indem sie die Diskussion über den Tadel versteckt infligirt, hat dem
Ministerium ein Mißtrauensvotum auf indirekte Weise gegeben: mit andern Worten sie hat sich vorbehalten, ein Mißtrauensvotum zu geben, und das Ministerium lebte in der Erwartung, es zu erhalten.
Indem in der gestrigen Abstimmung der Antrag Oudinots die Priorität vor dem Perée'schen Antrag erhält, hält die Kammer mit ihrem Mißtrauen ein, und sagt: Wir sind bis zum
Mißtrauensvotum angelangt, gehen wir jetzt zum Zutrauungsvotum über, und nachdem sie die Priorität des Oudinotschen Antrages angenommen, nimmt sie gleich darauf die von Oudinot vorgeschlagene
Tagesordnung selbst an, und votirte dem Ministerium ein Zutrauungsvotum.
Die reaktionäre Partei hat Recht, wenn sie die Kammer auflösen, die Kammer hat Recht, wenn sie das Ministerium auflösen will. Nun kömmt aber das Ministerium und sagt: Löst ihr mich auf, so löst ihr
auch Napoleon auf, denn Napoleon ist ebenso gut verantwortlich wie ich, und Napoleon hat erklärt, daß ich, das Ministerium Barrot, sein vollkommenes Zutrauen genieße. Was zu thun? Ihr wollt die
Konstitution behalten? Gut, so behaltet Napoleon. Ihr wollt Napoleon behalten? Gut, so behaltet das Ministerium. Ihr wollt das Ministerium behalten? Gut, so behaltet die Kammer; denn sobald die Kammer
merkt, daß man sie auflösen will, so wird sie vor ihrer Auflösung das Ministerium auflösen wollen. Ihr wollt die Kammer behalten? Gut, so sorgt dafür, daß die Kammer mit der einen Hand Vertrauensvota,
mit der andern Mißtrauensvota, mit der einen Liebkosungen, mit der andern Peitschenhiebe ertheile. Wir, Napoleon und Barrot, wir wollen es an Veranlassung nicht fehlen lassen, und so das Spiel der
Institutionen unterhalten.
Mit andern Worten: das Spiel der Institutionen, wie es Guizot nannte, ist das possierlichste Spiel von der Welt geworden, die aus der Februarrevolution entstandenen Institutionen sind ein Spiel
geworden, und der Minister Faucher selbst giebt uns die besten Aufschlüsse, wie die Juniinsurgenten sich aufs Neue vorsetzen, diesem Spiele ein Ende zu machen.
Leon Faucher, um den Oudinot'schen Antrag durchzusetzen, thut förmlich Abbitte vor der Kammer, das inkriminirte Bülletin ist ganz ohne sein Vorwissen eingerückt worden. Er achtet die Kammer,
und er hält es sogar für gefährlich, sie dem Mißtrauen Preis zu geben, in einem Augenblick, wo die Gefahr von einer andern Seite komme. Er, Leon Faucher, ist plötzlich der Beschützer der Kammer
geworden, giebt sich den Schein, als wolle er die Kammer aufrechthalten, damit die Kammer ein Ministerium aufrecht hält, das selbst wiederum den Präsidenten aufrechthält — gegen wen? Gegen die
Klubs, gegen das Proletariat, gegen den immer mehr und mehr um sich greifenden Heerd der Revolution.
In seiner Rede geht Faucher auf eine Schilderung ein der in der ganzen Provinz, in Rouen, in Lyon errichteten, permanenten Klubs und geheimen Gesellschaften, die alle mit Paris in Verbindung
stehen. Faucher legt die Protokolle ihrer Sitzungen vor, und wenn Faucher durch diese Auseinandersetzung einige Stimmen gewinnt und den Oudinotschen Antrag durchsetzt, so muß man auf der andern Seite
gestehen, daß gegen diese mächtige Organisation die ganze offizielle Welt mit Changarnier und Cavaignac ohnmächtig ist. Die Junirevolution ist die einzige, die von allen Clubs anerkannt wird, und die
Sprache, wie sie dort geführt wird über Handel, Industrie und Eigenthum, wie sie durch den Mund Leon Fauchers uns vorgeführt wird, ist die beste Widerlegung Leon Fauchers selbst.
„In den meisten Departements, sagt Faucher, hat jede Commüne ihren Klub. In den Städten selbst haben die Klubs die einzige Macht; in Lyon z. B. giebt es mehr als 36 Klubs. Die Gefahr droht
von allen Punkten Frankreich's.
Will man wissen, was man in den Pariser Klubs sagt? — „Wir müssen uns associren, um im Stande zu sein, das kleine Eigenthum zu absorbiren;“ das kleine Eigenthum kann nicht mehr
existiren, und wenn ich unsern Vorfahren von der ersten Revolution einen Vorwurf zu machen habe, so ist's der, daß sie den Grund und Boden getheilt haben.
Im Jahre 1789 wußte man noch nicht, was die Exploitation des Menschen durch den Menschen war. In den letzten 18 Jahren haben wir sie kennen gelernt.“
In einem andern Klub sagte ein Redner: „Man will das Ueberflüssige konserviren, während wir des Nothwendigen ermangeln? Jeder Mensch, der auf die Welt kömmt, hat das Recht auf
Eigenthum.“
Im Klub St. Marc wurde öffentlich ausgesagt: „Der Sozialismus ist nicht das nec plus ultra des Wohlstandes; das wahre Gute ist der Kommunismus.“
In einem Klub der Rue St. Antoine ruft ein Redner aus: „Nächsten Dienstag erscheine ich vor den Assisen; sie haben es gewagt, mir einen Prozeß zu machen, diese Richter der Monarchie. Wohl!
ich werde ihnen sagen, daß ich's bin, der ihnen nächstens einen Prozeß machen wird, einen schrecklichen Prozeß; denn diese elenden Privilegirten haben mich um die Sonne, um die Familie, um das
Recht auf Arbeit gebracht.“ — Ein anderer Redner sagte am Schlusse seiner Rede: „Wenn das Volk nicht das Recht auf Arbeit hat, so hat es das Recht, ein Gewehr zu nehmen, um sich
seine Nahrung zu verschaffen!“
In dem Klub von Arbalete wurde vorgetragen: „Die Revolutionäre von 1793 werden Zerstörer und Septembriseurs genannt; und warum? weil sie die wahre Republik erobern wollten … Dem Volke
gehören die Wohlthaten der Industrie an; denn das Volk hat die Industrie geschaffen, und wenn es bisheran noch im Elende schmachtet, so ist es bloß darum, weil es seine Macht nicht gekannt
hat.“
In dem Klub vom Faubourg du Temple lud der Präsident die Bürger ein, die Dokumente herbeizuschaffen, um die Geschichte der Juni-Revolution zu entwerfen, und zu zeigen, daß die Juni-Insurgenten
keine Mörder, noch Plünderer, sondern Männer waren, die die in der Februar-Revolution errungenen Rechte wieder erobern wollten. — „Das Volk wird die Amnestie erhalten; denn das Volk ist
Meister. Wenn Amnestie stattfinden soll, so kann keine Rede von den Transportirten sein, sondern von denjenigen, welche transportiren wollen.“ — Ein anderer Redner citirt Robespierre,
der gesagt hat: „Diejenigen, welche eine Revolution zur Hälfte machen, graben sich selbst ihr Grab.“
In einem andern Klub führte ein Redner folgende Sprache:
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„Das Volk ist geschlagen, aber nicht besiegt worden. Vereinigen wir uns immer mehr, und wir werden ganz Frankreich in eine starke Organisation verflechten: wir werden einen Staat im Staate
bilden.“
Wer gibt uns alle diese Citate? Leon Faucher! Warum? Um zu zeigen, daß ein Staat im Staat sehr mächtig war, daß der außergesetzliche Staat den wirklichen Staat mit Gefahr bedrohte, und daß er, Leon
Faucher, Recht hatte, zum Schutze des gesetzlichen Staates außergewöhnliche Maßregeln vorzunehmen.
Der Staat im Staate, der außergesetzliche Staat im gesetzlichen Staate, sagt Leon Faucher, ist über ganz Frankreich verbreitet; die Macht des außergesetzlichen Staates ist bereits die Nebenbuhlerin
des gesetzlichen Staates geworden, und kann letzterm die Stirne bieten. Der 29. Januar war der Tag, wo die beiden Staaten sich gegenüberstanden. Was ist der gesetzliche Staat? Doch offenbar der Staat,
der die Interessen derjenigen umfaßt, die im Staate stehen, die in demselben eine Stellung, und die durch denselben ihre Stellung gesichert haben. Die Zahl derjenigen aber, die im gesetzlichen Staate
stehen, muß offenbar sehr klein sein; sonst könnte der außergesetzliche Staat nicht so ungeheure Ausdehnung gewonnen, und sich über ganz Frankreich verbreitet haben. Der außergesetzliche Staat
begreift alle diejenigen, die noch nicht im Staate stehen, die sich im Staate feststellen, und dieses Feststellen durch neue Gesetze festsetzen wollen, Wenn die Macht dieser letztern durch Assoziation
und Organisation so stark wird, wie Leon Faucher es andeutet, sind dann die Assoziationen es nicht, welche den Staat bilden: und müssen sie nicht nothwendiger Weise den schwachen Staat derjenigen, die
an dem Bestehenden halten, über'n Haufen werfen? Aber für Leon Faucher ist der Staat etwas für sich Bestehendes, und Leon Faucher, der an der Spitze dieses für sich bestehenden Staates steht,
glaubt die Macht zu besitzen, sich dem neuen wirklichen, aus Assoziationen und gemeinsamen Proletarier-Interessen sich heranbildenden Staate entgegenzusetzen.
Alle fernern Citate Faucher's, über die Associationen in Dijon, in den Pyrenäen u. s. w. zeigen von ihrer zunehmenden Macht. Leon Faucher will beweisen, daß er damals schon Recht hatte, die
Klubs und Associationen zu verbieten, die dem bestehenden Staate mit Untergang drohen. Die Konstitution dagegen räumt die Associationsfreiheit ein. Wenn nun in der immer ernster um sich greifenden
Entwickelung die Associationen, die ganz Frankreich mit einem Netze umschlingen, als Inbegriff des wirklichen machthabenden Staates, sich an die Stelle des alten, d. h. des Bourgeois-Staates setzen,
fällt dann nicht von selbst der für sich bestehende Staat Faucher's? Und wenn Barrot aus seiner olympischen Höhe herab, von der alten Moral und der Achtung vor den bürgerlichen Gesetzen
spricht, haben die Proletarier da nicht vollkommen das Recht, diese bürgerlichen Ideologen auf die Achtung zu verweisen, welche ihre Vorfahren vor den alten Feudal-Gesetzen und Rechten hatten?
Als die alte Feudal-Aristokratie sich hartnäckig, halsstarrig der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft widersetzte, da blieb letzterer nichts übrig, als den hartnäckigen, halsstarrigen Theil der
alten Gesellschaft von der neuen mächtigen Gesellschaft auf die eine oder die andere Weise abzuschneiden. Und Leon Faucher, der mitten in der veralteten bürgerlichen Gesellschaft steht, tritt gegen
die neue Proletarier-Gesellschaft auf, welche in ihrer Entwickelung mit der alten Gesellschaft in Konflikt geräth, und zu ihrer Beseitigung sich genöthigt sieht, in den Klubs und in der öffentlichen
Besprechung überhaupt die Verfahrungsweise der ersten Revolution von 93 in Vorschlag zu bringen. Leon Faucher erschreckt die Bourgeois-Kammer; die Bourgeois-Kammer hat Furcht vor sich selbst und um
sich und Faucher zu retten, läßt sie den Oudinot'schen Vorschlag durchgehen.
Resumiren wir jetzt die ganze Lage, so lautet die Frage vom gesetzlichen, d. h. vom republikanisch konstitutionellen Standpunkte: Wer soll sich zuerst auflösen; die Kammer oder das Ministerium,
oder wie ist eine neue Kammer und ein neues Ministerium zu beschaffen, ohne daß weder an Napoleon noch an die Republik gerührt wird?
Von rein reaktionär-monarchischem Standpunkte lautet die Frage: Wie kann in Folge der bevorstehenden Auflösung einer der zwei Gewalten der Sturz des republikanischen Präsidenten der Art vollbracht
werden, daß ein Kaiser, ein Orleans, oder ein Bourbone aus ihm erblühe?
Vom Proletarier Standpunkte dagegen, von dem Standpunkte des neuen Staates, der sich in Folge der Associationen im alten Staate um die drei Gewalten herumgruppirte, ist die Lage am klarsten.
Eine neue Juni-Revolution ist unvermeidlich, und die Juni-Schlächter, die Mobilgardisten, stehen jetzt, wie Faucher selbst es einräumt, auf Seiten des Proletariats.
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Paris, 7. Februar.
Am Schluß ihrer gestrigen Sitzung um 6 1/2 Uhr bot die Nationalversammlung das Bild eines polnischen Reichstages. Im Augenblicke, wo Marrast die Generaldiskussion als geschlossen erklärte,
verlangte Grevy, daß alle (acht) gestellten Unter-Amendements vorher der Kommission überwiesen werden sollten, ehe man zur artikelweisen Diskussion schreite. Die moderirten oder sogenannten honnetten
Republikaner der Rechten, mit den Jesuiten Taschereau und Bavoux an der Spitze, die ein sofortiges Votum erstehlen wollten, protestirten mit solcher Heftigkeit gegen jede Ueberweisung, daß Marrast
inmitten eines fürchterlichen Tumults den Hut aufsetzte und die Sitzung aufhob.
— Man liest in der offiziellen Statistik:
„An den beiden Tagen, 3. und 5. Februar, wurden in dem Pariser Leihamte 7965 Pfänder für 104,546 Franken versetzt; dagegen nur 6887 Pfänder mit 92,300 Frk. ausgelöst.“
— Die „Opinion publique“ zeigt an:
„Herr Larochejaquelin hatte die Ehre, dem Präsidenten der Republik eine Deputation der zahlreichen Familien (man schätzt ihre Zahl auf 17000) vorzustellen, welche nach Algerien ausgewandert
sind und sich über die Nichterfüllung der gemachten Versprechen beklagen. Der Hr. Präsident empfing sie mit großem Wohlwollen und versprach, ihre Reklamationen bei der Nationalversammlung zu
unterstützen.“
— Dameth, Direktor der Solidarité Populaire, wurde wieder freigelassen, weil nichts gegen ihn vorlag. Es scheint der Polizei trotz aller Mühe nicht zu gelingen, ein Komplott zu Stande
zubringen.
— Es drohte uns heute das Glück eines theilweisen Ministerwechsels. Faucher, Fallour und Lacrosse wollten sich endlich zurückziehen und sollten durch Dufaure und Comp ersetzt werden. Aber
Präsident Bonaparte wollte von keiner Nachgiebigkeit hören und widersetzte sich hartnäckig jeder Ministerialänderung.
— Wenn Mordthaten und Diebstähle-Zahl dem Kritiker als Leitfaden bei Beurtheilung gesellschaftlicher Verhältnisse dienen, so können wir uns auf ein sehr herbes Urtheil gefaßt machen. Während
einerseits ein Maskenball den andern jagt, folgt andererseits Mord auf Mord, Diebstahl auf Diebstahl, Verzweiflung auf Verzweiflung. Die Morgue, dieser schauerliche Guckkasten, wird förmlich belagert.
Seit acht Tagen sahen wir dort nicht weniger als elf Leichen ausgestellt. Darunter ein noch rüstiges Weib, das in Stücke zerhauen und in einem Sacke in die Seine geworfen worden war, aus der sie
gefischt und künstlich wieder zusammengesetzt wurde, damit man sie erkenne. Letzteres ist geschehen und seit gestern melden die Gerichtszeitungen, daß es der Ehegatte dieser Unglücklichen selbst war,
der diesen Vandalismus verübte. Das Opfer war eine Wäscherin und lebte mit dem Vandalen in Unfrieden.
— Der Congreß in Brüssel soll sich erst am 15. März versammeln. Die Patrie meldet hierüber: „Die Mehrzahl der von den Mächten hiefür ernannten Diplomaten befindet sich hier in
Paris. Die Conferenzen dürften schwerlich vor dem 15. März eröffnet werden. Auch verspricht sich Niemand ein ernstliches Resultat aus denselben für die italienische Frage.
— Changarnier hält die hiesigen Eisenbahnhöfe immer noch mit starken Truppenabtheilungen besetzt. Warum? begreift Niemand. Sind diese Maßregeln etwa gegen das Departementsproletariat
gerichtet, das seinen rothen Cameraden zu Hülfe eilen könnte?
— Die Mobilgarde ist gereinigt. Ein Theil derselben geht nach Bordeaux und Toulouse. Joseph Martin, der 15jährige Ritter (den Cavaignac im Juni küßte und alle Damen auf der Straße umarmten)
richtet folgendes Schreiben an die „Republique“:
„Bürger Redakteur! Werden die Regierungsmänner nicht bald aufhören, mit vollen Händen Verläumdungen auf die Mobilgarde zu gießen, die sie gerne brandmarken möchten, da sie nicht wagen, sie
ganz aufzulösen? Odilon Barrot klagt in der Sitzung vom 29. Januar die Mobilgarde der Insubordination an, weil sie ein Complott geschmiedet hätte; Leon Faucher wiederholte in der Sitzung vom 5.
Februar eine ähnliche Behauptung, indem er die Chefs der Bataillone und die Volontaires des Aufruhrs anklagte. Mein Gott, wir jungen Leute erscheinen der Regierung wirklich sehr gefährlich! Unter dem
Vorwand, uns zu reorganisiren und auf besseren Fuß zu setzen, entläßt man uns einen Monat vor Ablauf unseres Werbvertrags aus dem Dienst. Fünf Tage bewilligt man uns Bedenkzeit, um neue Entschlüsse zu
fassen. Obgleich uns das Dekret vom 26. Jan. nicht überraschte, so fanden wir es doch ungesetzlich, indem es uns nicht den vertragsmäßigen Monatssold zusagte und gleichsam unser Vertragsverhältniß
einseitig brach. Wir reklamirten bei der zuständigen Behörde und fügten nur hinzu, daß wir uns um die Nationalversammlung schaaren würden, falls man dieselbe mit Gewalt auflösen wolle. Das sind unsere
großen Verbrechen!
Jene Bataillone, die aus den Februarkämpfern gebildet wurden, erschienen für die schändlichen Umtriebe der Reaktionäre ein Hinderniß. Man hat es beseitigt, indem man sie zerstörte. Sehr schön! das
Werk ist vollbracht. Aber mögen sich die Vollbringer nicht allzugroßem Siegestaumel überlassen! Die Freiwilligen, die jetzt an den Familienheerd zurückkehren, werden ihre Kämpfe für die Republik nicht
vergessen und sich wie Ein Mann erheben, wenn die Republik Gefahr liefe. Wir hoffen, daß unsere Brüder (die Arbeiter) die Meinungsverschiedenheit vergessen werden, die uns (im Juni) feindlich
gegenüberstellte. Wir kehren jetzt in ihre Reihen zurück! Wenn unsere Mutter, die Republik, angegriffen würde, haben wir Alle nur Ein Herz, um sie zu lieben; nur Einen Arm, um sie zu vertheidigen. Es
lebe die demokratisch-soziale Republik! Es lebe die Nationalversammlung!“
Paris, den 6. Febr. 1849.
(gez.) Joseph Martin, Ex-Gardist des 5. Bataillons.
— National-Versammlung. Sitzung vom 7. Februar. Anfang 1 1/4 Uhr. Präsident Marrast.
Combarel überreicht eine Bittschrift mit 35,000 Unterschriften aus dem Puy de Dome für sofortige Auflösung. (Oh! Oh!)
Denjoy folgt mit einem andern Stoß in demselben Sinne.
König (Elsaß) und Flocon (Seine) überreichen einen Stoß Contre-Petitionen
Diese Petitionswuth verliert ihr Interesse, seitdem man weiß, daß das Ministerium in seinen Bulletins selbst darum bat.
Taschereau (vor der Tagesordnung): Aus dem Moniteur ersah ich diesen Morgen, daß mich der Präsident zwei Mal zur Ordnung gerufen habe, und zwar wegen heftiger Gebehrden. (Gelächter.) Der
Durchtriebene erklärt, daß er selbst nur auf Erfüllung des Reglements im Grevy'schen Sinne habe dringen wollen. (Ah! Ah!) Das Reglement sei zwei Mal verletzt worden.
Marrast erwidert, er habe die Sitzung geschlossen, weil der Lärm überhand nahm und übrigens Niemand gegen deren Schluß protestirte.
Vezin (heftig): Der Präsident habe die Würde der Versammlung verletzt, indem er die Debatte eigenmächtig abbrach. (Genug! Genug!) Ihr sollt mich nicht stören, meine volle Meinung zu sagen.
(Tumult. Der Redner wird herabgetrommelt).
Marrast sagt, die Vorgänger klagten ihn an, den § 55 des Reglements verletzt zu haben. Das sei falsch.
Fortsetzung der Rateau-Lanjuinais-Debatte. Da die Generaldiskussion gestern schon als geschlossen betrachtet wurde, so wird gleich Artikel 1 zur Abstimmung gebracht. Sein erster Satz lautet
bekanntlich:
„Die National-Versammlung beginnt unverzüglich die erste Debatte über das Wahlgesetz.“
Dieser Satz wird angenommen.
Santeyra verlangt die Unterdrückung des Nachsatzes:
„Die zweite und dritte Debatte folgen in fünftägigen Zwischenräumen laut Reglement.“
Dieses Verlangen wird verworfen und der Nachsatz bleibt.
Artikel 2.
„Unmittelbar nach Veröffentlichung des gegenwärtigen Gesetzes, sind die Wahllisten zu entwerfen. Die Wahlen selbst finden am ersten Sonntage nach dem Listenschluß Statt. Zehn Tage nach dem
allgemeinen Wahltage tritt die legislative Kammer zusammen.“
Senard trägt darauf an, die Phrase dahin zu ändern:
„Zwanzig Tage nach Promulgirung des gegenwärtigen Gesetzes wird ein Spezialdekret den Tag des Wahllistenschlusses bestimmen und die Wahlcirkel für den ersten Sonntag nach dem Listenschluß
zusammenrufen.“
Senard begründet diese Aenderung in langer Rede und hebt hervor, daß er von Paris bis Toulon z. B. 9 Tage Zeit brauche, um hin und zurückschreiben zu können. Er basirt also seinen Antrag auf
topographische Nothwendigkeiten und spricht aus Erfahrung.
Marrast unterbricht die Debatte durch Verlesung eines Antrags des Justizministers, der für den Prokurator in Metz die Vollmacht verlangt, das Journal du Pays de Messin wegen Grobheiten gegen
die National-Versammlung gerichtlich zu verfolgen. (Oh! Oh!)
Das Journal ist ein hochrothes.
An die Abtheilungen verwiesen
Die Debatte wird fortgesetzt.
Languinais nimmt das Wort, um Senards Antrag zu bekämpfen. In ihm stecke die heimliche Absicht, seinen Vorschlag zu erwürgen. Herr Senard verdrehe die Frage und schiebe die Auflösung zu weit
hinaus.
Senard eilt wiederholt auf die Bühne, um diese Deutung zu bekämpfen. Er geht in seinem Advokatenfeuer so weit, den Lanjuinais einen verkappten Rateau zu nennen, was einige Agitation zur
Rechten hervorruft
Dufaure spricht eine Stunde lang für möglichst baldige Auflösung. Wir sind noch im Provisorium, die Verfassung sei noch nicht im Gange, ruft er, und beschwört die Versammlung, das
Provisorium nicht zu lange auszudehnen. (Zum Schluß! Nein! Nein!)
Dupont (Bussac) besteigt die Bühne.
Duponts Erscheinung rief eine förmliche Demonstration hervor. Die ganze Rechte stürmte zum Saale hinaus und es blieb die Sitzung de facto suspendirt. Marrast aber ließ den Redner nicht abtreten,
sondern zwang somit moralisch die Rechte, ihre Plätze wieder einzunehmen.
Ich beabsichtige keineswegs, begann Dupont endlich unter großer Gährung, die Generaldebatte wieder aufzunehmen. Ich lege nur der Versammlung einen Antrag vor, der den Lanjuinais'schen und
Senard'schen vernichtet. (Lärm.) Sie wissen, daß beide Ihnen vorschrieben, das Wahlgesetz zu votiren und die Listen demnächst auszuschreiben. Bliebe dann noch Zeit übrig, dann könnten Sie die
übrigen organischen Gesetze berathen. Diese Vorschläge sind unlogisch und verfassungswidrig. Artikel 115 verpflichtet Sie, alle organischen Gesetze zu votiren. Sie müssen diese Pflicht lösen, wenn Sie
nicht die Verfassung brechen wollen. (Stimmen: Das ist klar!) Ich trage daher darauf an, daß Sie 1. den Staatsrath, 2. die Gerichtsreform, 3. Verantwortlichkeit des Präsidenten, und 4. das Büdget
votiren, ehe Sie sich trennen. Ein 5. Punkt bezieht sich auf die Wahlversammlung.
Die Versammlung beschließt, den Vorrang zunächst den Lanjuinais'schen Anträgen zu lassen und in der Debatte fortzufahren.
Marrast bringt den ersten Satz des zweiten Artikels der Lanjuinais'schen Proposition zur Abstimmung.
Wird angenommen.
Jules Favre und mehrere andere Redner stellen einige unwesentliche Nebenanträge, die aber alle verworfen werden.
Flocon will den Vorschlag auch auf Algerien ausdehnen (Oh! Oh!)
Wird verworfen.
Artikel 2 geht mit 470 gegen 337 Stimmen durch.
Artikel 3.
„Die National-Versammlung richtet ihre Tagesordnungen so ein, daß sie außer dem Wahlgesetz auch das Staatsrathgesetz und das Verantwortlichkeitsgesetz erledigt.“
Santeyra will die Worte: „Und das Büdget für 1849“ hineingeschoben wissen. (Ah! Ah!)
Stimmen rechts: Fallen lassen!
Pascal Duprat bekämpft eine solche Rücksichtslosigkeit.
Santeyra entwickelt seinen Antrag; fällt aber durch.
Die Stimmung der Versammlung ist nicht von der Art, ihm Gehör zu schenken. Das Auflösungswerk ist vollbracht!
Nach einigen Erläuterungen Dezeimerins geht Artikel 3 durch.
Dezeimerin will gleich Santeyra das Büdget auch votirt wissen.
Um 6 1/2 Uhr wird zur Abstimmung geschritten. (Schluß).