Französische Republik.
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] Paris, 29. Januar.
Der Vorabend des Kampfs ist da; die Parteien stehen sich, Gewehr im Arm, gegenüber. Auf der einen Seite die Legitimisten, Orleanisten, Bonapartisten, auf der andern die trikoloren und rothen
Republikaner. Die Einen verschanzen sich hinter den Präsidenten, den „Erwählten der 6 Millionen“, die Andern hinter die souverän-konstituirende Nationalversammlung; die Einen rechnen auf
die Armee und die drei royalistischen Legionen (1ste, 2te und 10te), die Andern auf die republikanische und Mobilgarde, auf die drei republikanischen Legionen (4te, 5te und 9te) und auf das im Juni
entwaffnete Volk.
Es handelt sich nicht mehr um die Schließung der Clubs, um die Auflösung der Versammlung und dergleichen Lappalien; es handelt sich um die weiße Monarchie oder die rothe Republik. Der
Sieg — er ist nicht zweifelhaft — mag ausfallen, wie er will: die jetzigen offiziellen Mächte sind verloren.
Der Präsident bildet sich ein, der Staatsstreich geschehe zu seinen Gunsten. Und doch denkt Niemand weniger an ein bonapartistisches Kaiserthum als die Leute, die zum Staatsstreich
drängen: die Legitimisten. Gelingt der Coup, so wird Louis Napoleon bei Seite geworfen, wie eine ausgequetschte Citrone, und kann sich glücklich schätzen, wenn man ihm erlaubt, seiner Wege zu
gehen. Und der einfältige Pinsel bildet sich ein, der ganze Spektakel werde zu seinem Privatvergnügen organisirt!
Die Nationalversammlung glaubt für ihr souveränes Recht, für ihre Existenz gegen den Staatsstreich zu kämpfen; und erreicht sie ihren Zweck, stürzen Napoleon, Barrot und die hinter ihnen
stehenden bourbonischen Faktionen vor der Achtserklärung der Versammlung und vor dem Zorn des verrathenen Volks, so stürzt die Verlammlung ihnen gleich nach. Der Staatsstreich kann nur von der
Revolution erstickt werden, und die Revolution hat zur ersten Bedingung, daß die Chefs der Rothen an die Spitze treten. Siegt die Revolution, so jagen die Rothen die Versammlung ebenso
auseinander, wie die Kammer am 24. Februar. Und die Versammlung bildet sich ein, die Revolution werde zu ihrem Profit gemacht!
Präsident und Versammlung sind nur die Vorwände für beide Parteien — ist der Kampf einmal losgebrochen, so wirft man sie fort und entfaltet die wirkliche, die eigne Fahne. Hier die
weiße, dort die rothe; vor diesen einfachen Parteisymbolen verschwindet der bunte dreifarbige Lappen der „honetten Republik.“ —
Daß es auf der einen Seite sich durchaus nicht um den Präsidenten, sondern um Niemand anders als Heinrich V. handelt, beweist die Unverschämtheit, mit der plötzlich die legitimistische Konspiration
an's helle Tageslicht tritt. Die Herrlichkeiten der gottbegnadeten Monarchie unter dem „Enkel des heiligen Ludwig“ werden offen in den Straßen von Paris gepredigt, vom Lande gar
nicht zu reden. Auf demselben Platz Maubert, im Arbeiter-Faubourg St. Jacques, den die Juni-Insurgenten mit solchem Heldenmuth drei Tage lang gegen die Henker Cavaignac's behaupteten, auf
demselben Platz werden jetzt, trotz dem Gesetz gegen die Zusammenschaarungen, täglich öffentliche legitimistische Meetings gehalten. In diesem improvisirten Club treten Redner auf, der Kleidung nach
Arbeiter, der Sprache nach gebildete Leute, die die Tugenden Heinrichs V. mit den schönsten Farben ausmalen. Sie haben ihre Claque, die bei den prächtigsten Kraftstellen klatscht. Die
Wohlthätigkeits-Büreaus, ein Pfaffen-Institut, geben den Arbeitern nur Unterstützung, wenn sie sich verpflichten diese „Clubs“ zu besuchen und für die gute Sache Propaganda zu
machen.
Das ist ein Beispiel davon, wie es die Legitimisten am offnen Tage treiben. Im Geheimen wird noch ganz anders intriguirt. Changarnier, der Befehlshaber über 300,000 Mann in und vor Paris, der
militärische Arm des Präsidenten, ist Legitimist. Er möchte der Monk werden, der den impotenten Richard Cromwell von 1848 stürzt und den rechten Thronerben zurückführt. Daß Bugeaud, Thiers,
Odilon Barrot und alle Minister im Komplott sind, ist nicht zu bezweifeln. Falloux, der Unterrichtsminister, war von jeher Legitimist, Thiers, der hinter dem Ministerium steht, soll es in der letzten
Zeit geworden sein. Und der Tölpel Bonaparte glaubt, alle diese Verräther agirten in seinem Interesse!
„Die Gesetzlichkeit tödtet uns!“ ruft Odilon Barrot jetzt bereits aus. Seine Freunde erklären offen, daß eine blutige Kollision hervorgerufen werden muß, damit man das Vaterland
(nicht die Republik, wohl zu verstehn) in Gefahr erklären, den Belagerungszustand proklamiren, die demokratischen Journale unterdrücken, die Redakteure verhaften kann. So meldet die
„République.“
Auch Napoleon konspirirt. Es besteht eine geheime Gesellschaft: in jedem Arrondissement ist ein Chef, der 10 Unterchefs unter sich hat, jeder von diesen verfügt über 10 Wahlchefs, und jeder
Wahlchef hat wieder 10 Unterwahlchefs, Führer von 10 Mann unter sich. Wären die Cadres voll, so ständen Napoleon in jedem Arrondissement zehntausend, in ganz Paris 120,000 Verschworne zur Verfügung.
Ob die Cadres voll und wie viel verkappte Legitimisten, Rothe etc. darunter sind, wird nicht gesagt. Die „République“ erklärt sich bereit, wenn Herr Léon Faucher es wünsche, noch
andre Details zu geben.
Welche Aussichten die monarchische Restauration hat, geht daraus hervor, daß auch der „Siècle“ jetzt offen für sie auftritt, der bis vorgestern noch der beste Freund des National
war und von allen Republikanern des folgenden Tages mit seinen königlichen Gelüsten am meisten zurückhielt. Der „Siècle erklärt, die Mobilgarde habe komplottirt gegen Changarnier — und
Mobilgarde ist heute gleichbedeutend mit Republik, wie Changarnier mit Restauration.
Die „Liberté“ predigt ebenfalls von der Nothwendigkeit einer „geheiligten Person“ an der Spitze des Staats, mit zwei gesetzgebenden Kammern.
Und die Versammlung? Ihre Hoffnungen und Befürchtungen spiegeln sich am getreusten ab im National.
Man bedenke, daß alle hier citirten Journalstellen am 28., den Abend vor der allgemeinen Aufregung und den Militärdemonstrationen von heute geschrieben sind.
„Sollten wir zu jenen schlimmen Tagen der Monarchie zurückgekehrt sein, wo eine in der öffentlichen Meinung diskreditirte, in der Kammer geschlagene, dem Lande verdächtige Regierung durch
die Gewalt ein schon verurtheiltes System aufzudringen versuchen sollte? Was bedeuten diese Vorsichtsmaßregeln, die man gegen eine friedliche Bevölkerung nimmt? Wozu diese Truppenanhäufungen in den
Straßen und auf den Plätzen der Stadt? Wo hat man die Vorzeichen einer Schlacht gesehn, daß man Paris in einen Waffenplatz verwandelt? Wir befragen vergebens den Horizont, wir finden nirgends eine
Rechtfertigung der herausfordernden Stellung, die das Ministerium seit einigen Tagen anzunehmen scheint. Hoffte man etwa, daß die Bürger, in gerechter Aufregung wegen des verfassungswidrigen Versuchs
der Minister, unter dem Einfluß ihrer Entrüstung einen Kampf mit bewaffneter Hand hervorrufen würden? Dieser Plan, wenn er existirte, ist gescheitert.“
So fängt der National von heute an. Man sieht, er weiß recht gut, woran er ist. Nachher heißt es:
„Es handelt sich jetzt um ganz andre Dinge, als um die organischen Gesetze; es handelt sich darum, daß die Versammlung sich zwischen die Reaktion, die die Gewalt in Händen hat und das
beunruhigte, erzürnte, aber durch Vertrauen auf seine Abgeordneten zurückgehaltene Volk stelle!“
Und in einem zweiten Artikel:
„Wir glauben, und nicht wir allein, an die Existenz eines umfassenden und tief angelegten Komplotts, welches die Ruhe Frankreichs und die Republik bedroht.“
„Das Ministerium und die großen Staatsmänner, seine Vormünder, zurückgestoßen durch die Nationalversammlung, fühlen, wie die Gewalt durch das regelmäßige Spiel unsrer Institutionen ihren
Händen entschlüpft, und möchten jetzt Frankreich beweisen, daß es ihre Impotenz nicht entbehren kann. Ein Konflikt zwischen den beiden Staatsgewalten, eine Kollision in den Straßen würde ihren Plänen
herrlich dienen.“
„Daher jener Krieg der Petitionen, der Beleidigungen, der Verläumdungen gegen die Nat.-Versammlung und die Republik.“
„Daher jene der Versammlung in der unverschämtesten Weise durch Hrn. Barrot hingeworfenen Herausforderung bei Gelegenheit der Proposition Rateau.“
„Daher der von Hrn. Lèon Faucher vorgestern auf die Tribune gebrachte und sofort durch die Majorität gebrandmarkte Gesetzentwurf.“
„Daher die ministeriellen Thaten des Herrn von Falloux, die Absetzungen, die die Herren Barrot und Faucher für gut fanden.“
„Daher die Versuche zur Wiedereröffnung der Vorlesungen eines unsren Studenten mit Recht verhaßten Professors.“
„Daher aller dieser Aufwand strategischer Manoeuver, die man in der Hauptstadt entfaltet.“
„Daher der inkonstitutionelle Beschluß, der die Hälfte der Mobilgarde entläßt und die durch und durch demokratische Organisation dieses der Republik so ergebenen Corps wesentlich
ändert.“
„Daher der ungewisse Zustand, in dem man die republikanische Garde läßt, die ebenfalls schuldig ist, ihr Blut für das Wohl des Vaterlandes vergossen zu haben.“
„Daher die fortwährenden Provokationen, die man durch alle Wege der Veröffentlichung, durch Ausstellung von Bildern, Portraits, auch der Scene gewisser Theater etc. etc. gegen diejenigen
richtet, die der Republik aufrichtig zugethan sind.“
„Ja wahrlich, daran erkennen wir die Hand jener kürzlich noch getrennten, jetzt vereinigten Parteien, welche schon einmal, die Eine die Mordscenen des Südens (1815), die Andere die
Schlächtereien der Rue Transnonain und Lyon organisirten!“
Endlich also gehen dem National die Augen auf — in demselben Moment, wo sie anfangen ihm überzugehen! Gestern noch wollte er keine Anklage gegen das Ministerium, heute entwirft er selbst
einen Anklageakt, erklärt die Minister für Legitimisten, Orleanisten und Verräther an der Republik! Jetzt endlich, am Vorabend seines eigenen Sturzes, geht ihm ein Licht auf über den allmähligen,
unaufhaltsamen Gang der Kontrerevolution, von der provisorischen Regierung zur Exekutivkommission, von der Exekutivkommission zu Cavaignac, von Cavaignac zu Bonaparte und Barrot, von Bonaparte und
Barrot zu Heinrich V. Jetzt endlich ahnt er, welche Ernte ihm sein glorreicher Sieg vom Juni getragen hat: Die Wahrscheinlichkeit, daß ihm die Weißen oder die Rothen, die er beide benutzt, beide
verrathen, den Kopf vor die Füße legen werden!
Der National spielt die Rolle des betrogenen Betrügers, und die Nationalversammlung desgleichen. Und kann sie heute noch glauben, der Sieg der Revolution werde der Triumph der Nationalversammlung
sein, so wird sie aus dieser Illusion gerissen werden, sobald die erste Patrone verbrannt ist.
Endlich das Volk: Das Volk intriguirt nicht, renommirt nicht, lamentirt nicht. Das Volk ist herabgestiegen in die Straßen und betrachtet die Situation. Es wird nicht dulden, daß Royalisten oder
Bonapartisten die Nationalversammlung auseinanderjagen; es hat noch für den 15. Mai 1848 seine Revanche zu nehmen und es wird sie selbst nehmen, ohne Beistand der Faktionen.
Das ist die Situation am Abend des 29. Januar. Die Abstimmung über den Mathieu'schen Antrag ist noch nicht bekannt; sie mag ausfallen, wie sie will, so viel ist gewiß: wir stehen am Vorabend
der dritten Phase der neuen französischen Revolution, einer Phase, die ganz andere Folgen haben wird, wie die erste vom Februar, und die Genugthuung geben wird für die Schmach, die der Revolution im
und seit Juni angethan worden.
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] Paris, 29. Jan.
So eben wird, um 11 Uhr, die Bürgerwehr zusammen getrommelt; das ist seit dem Juli wohl nicht mehr geschehen. Man hört, die Majorität in der Mobile sei wüthend über die sehr unpraktische
Arrestation eines ihrer Chefs, wovon ich früher berichtet habe, und über die schnöde Antwort, die ein blödsinniger Präsident der Republik ihren gestrigen Deputationen gegeben. Mittags geht die Debatte
über Rateau's Vorschlag los; es kann in der That sehr ernst und blutig ausfallen. Ich war gestern auf der Redaktion des Proudhon'schen Peuple; der Sekretär Darimon sagte mir, auf meine
Frage, was ihm (d. h. eigentlich Proudhon) von der Situation dünke? „die Kammer gibt hoffentlich Montag nicht nach, aber die Reaktion auch nicht, folglich gibt es Waffenkonflikt.“
Gestern ward Barnabé Chauvelot, ein tüchtiger Klubredner, in seiner Behausung verhaftet; es lasten auf ihm wenigstens sechs Anklagen; Simon Bernard hatte an zwölf, immer eine verrückter als die
andere, z. B. Angriff auf die republikanische Staatsform. Morgen wollen die Aristokratischen von der 1., 2. und 10. Bürgerwehrlegion, Einige sagen mit, Andere ohne Waffen, in corpore nach der Kammer
ziehen und einen umgekehrten 15. Mai probiren, zu Gunsten des Kaiser- oder Königthums. Wir hoffen, daß es in jeder Hinsicht ein 15. Mai wird, daß diese privilegirte Brut dabei gerade so jämmerlich
sich blamirt und auf den Hund bringt als die demokratische Partei es am 15. Mai that.
Tritt die ganze Mobile, durch Gewissensbisse und Angst vor Hunger bei ihrer Verabschiedung, auf die Seite des Volkes, so ist Chance; die Linie wird alsdann gegen sie geschleudert, und vielleicht
mit Absicht nährten die „großen jungen Politiker“ Thiers, Barrot und Konsorten seit Monaten den Zwist zwischen Linie und Mobile. Bugeaud, Changarnier (Kommandant der pariser Bürgerwehr)
die ganze brutale Meute, die aus gut abgerichteten, auf Königswort Order parirenden Generalen besteht, konspirirt von einem Ende Frankreichs zum andern; die Absetzungen während des Provisoriums waren
pures Kinderspiel. „Die Guillotine wird viel aufzuräumen finden unter den Herren Militärkommandanten“, sagte mir ein Klubchef, „das nächste Mal, nach dem nächsten Volkssiege, wird
Herr Marschall Bugeaud nicht mehr Zeit haben seine Adhäsion an die neue Regierung zu kritzeln; dann wird das Volk ihm sagen: Volksverräther du, Vater- und Muttermörder, denn die Nation ist beides, du
bist als Royalist der royalistischen Parriciden-Strafe im Code anheimgefallen: Zuerst deine rechte Hand ab, danach Kopf ab.“ Es ist außer Zweifel, daß die Redaktoren der Spitzbubenblätter
während und nach dem Kampf über die Klinge springen müssen, was der „Corsaire“ auch wittert, indem er heute heult: „Die Frage ist einfach gestellt: auf der einen Seite die
Guillotine, auf der andern die Gesellschaft.“ Charakteristisch für die Situation ist folgende Stelle aus den „pariser Briefen“, die Charles Paya in die demokratischen
Provinzialjournale einrücken läßt und worin er scharf und sicher zeichnet: „Der Präsident Bonaparte ist natürlich wie belagert von der ansehnlichen Menge Leute, die seine Wahl betrieben.
Täglich erscheinen Deputationen der Ortschaften bei ihm und verlangen als Lohn dies und das. Ihn verdrießt dies Leben, aber er muß aushalten. Die südlichen Provinzen besonders, fünf Stück, haben ihm
eine komplette Gesandtschaft auf den Hals geschickt, die ihm erklärt, sie wünschten ihre aus der Zeit des Provisoriums stammenden republikanischen Beamten auf ein Mal gründlich los zu werden. Und da
wird als Nachfolger im Amt stets ein fanatischer Anhänger Henri's V. oder Louis Philipp's vorgeschlagen; so im Departement der obern Garonne. Es ist gar traurig anzusehen. Und wer
glaubt's, daß Napoleon Duchatel, ehemaliger Präfekt, der
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Bruder des verjagt gewesenen Louis-Philipp'schen Minister Duchatel, heute im Ministerium des Innern eine große Rolle spielt? So weit ist es gekommen.“ Es kann noch weiter kommen. Die
Demokraten haben bisher geschlafen; Herr Thiers hat aber Wort gehalten, er hat jetzt völlig den Februarleuten, die ihm die Regentschaft eskamotirten, zur Vergeltung die Republik eskamotirt. Was heute
in Frankreich Republik heißt, ist eigentlich nicht etwas Organisirtes, Systematisches; und doch hätte sich dergleichen seit Jahr und Tag leicht bilden lassen. Paya fährt fort: „General
Changarnier hat bekanntlich neulich gesagt, er wolle mit diesen Republikanern fertig werden wie mit einer Düte Bonbons; so leicht wie er eine Düte Bonbons kaufe, übernehme er es, den Bonaparte zum
Kaiser zu machen.“
Ein Gegenstück dazu ist die Unterhaltung zweier Volksvertreter, deren einer, ehedem republikanischer Minister, den andern, einen höhern Militäroffizier, in seinem Kabinet fragte: ob er auf Tod und
Leben die Republik schützen werde? Der Offizier sagte ja, obschon er eine andere Regierung gewünscht habe. Sie haben wohl gethan, mir dies zu antworten, denn hätten sie gegen die Republik sich
ausgesprochen, so lägen Sie jetzt schon in Ihrem Blute zu meinen Füßen, und hierbei zeigte er ihm ein bis an die Mündung geladenes Pistol. Und in einem Abendzirkel von Kammermitgliedern diskutirte man
heftig die große Frage von der Haltung der Kammer, falls die Königsfreunde draußen die Errichtung eines Thrones forderten. Ein Volksvertreter aus der Bergpartei kam so eben in das Zimmer und mischte
sich mit folgenden Worten in die Konversation:
„Wir kennen nur ein Mittel, in solcher äußerster Noth unsere Republik zu retten, wir stellen uns an die Spitze der Demokraten da draußen und führen sie zum Heldenkampfe; das wird keine
Junischlacht sein in der man weder Zweck noch Führer deutlich kannte, sondern es wird ein dreister, klarer Kampf werden, den die Freiheit gegen die Royalisten ficht, und wenn letztere siegen wollen,
so müssen sie erst das Land von einer Grenze bis zur andern in ein Leichenfeld verwandeln. Die Gesellschaft stimmte mit Energie diesem Worte bei. — Ich glaube, daß die Besorgnisse dieser edeln
Freiheitsmänner doch für den Augenblick übermäßig sind, wissen sie denn nicht, daß die Reaktionsmänner in der Kammer selber „die Hühner mit den abgeschnittnen Flügeln“ genannt werden? Es
ist nicht so leicht, den verschmetterten Thron wieder aufzubauen, als jene Hühner vielleicht sich einbildeten. Daß Hühner viel Geschrei machen, ist bekannt; „mehr als ein s. g. Mäßigkeitsmann
in und außer der Kammer schlägt im Stillen ein allgemeines, auf Einen Tag fallendes Abschlachten aller französischen Demokraten vor, deren Zahl in den Registern der Reaktionäre auf eine halbe Million,
wovon Vierfünftel zu Lyon und Paris, angegeben sein soll. Also eine moderne Bartholomäusnacht, eine neue Auflage der Pariser Bluthochzeit und sicilischen Vesper. Aber diese armen Herren Königthümler,
indem sie achselzuckend dies als eine traurige Nothwendigkeit anerkennen, vergessen, daß die Abzuwürgenden wenig Aehnlichkeit mit Schaafen haben.“
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Paris, 29. Januar (8 Uhr Morgens).
Man schlägt den Rapell im ersten Arrondissement. Das hat nichts zu bedeuten. Die Löwen der ersten Legion sollen sich nur versammeln, um ihren neugewählten Oberst (den berüchtigten
Napoleonsverräther General Gourgaud) in den elysäischen Feldern anzuerkennen.
Wie wir so eben hören, ging diese Förmlichkeit ruhig vorüber.
11 Uhr. Die Sache wird ernster. Der Rapell erschallt in allen Arrondissements, Die Boulevards füllen sich mit Menschen; man eilt an die Fenster und frägt sich: ob es losgehe? Dle
arbeiterreichen Viertel von St. Denis, St. Martin etc. etc. sind fast unbefahrbar, so groß ist das Gedränge. „Wir müssen die Nationalversammlung schützen“ — hört man aus den
Gruppen.
11 3/4 Uhr. Eben verbreitete sich das Gerücht, die Mobilgarde (jene Retterin des Vaterlandes vom Juni) rücke heran, um ihre Bataillonschefs zu befreien, die der Afrikaner Changarnier
(wie sie sich ausdrückt) in das Militärgefängniß der Abbaye werfen ließ. Auch von der Linie wurden im Laufe des gestrigen Tages mehrere Sergent-Majors in jenes Gefängniß geworfen.
Es scheint, der Andrang nach dem Concordienplatze ist sehr stark. Da das Gerücht geht: die 1. 2. und 10. Legion wollten einen royalistischen 15. Mai gegen die Nationalversammlung wagen, so wollen
Volk und andere Legionen nicht müßig daheim bleiben, sondern ebenfalls zum Schutze der Versammlung dahin aufbrechen.
12 Uhr. Der Rapell dauert fort. Ordonnanzoffiziere reiten durch die Straßen. ‥‥ Wir eilen in die Nationalversammlung, um uns einem zweiten 15. Mai auszusetzen.
— Generalissimus Changarnier hat, einem Morgenblatte zufolge, folgenden strategischen Plan seinem Generalstabe in Bezug auf den honnetten 15. Mai mitgetheilt: „‥‥ Die
beiden Seineufer sollen vollständig isolirt werden. Jede Brücke wird in eine Art Festung umgewandelt. Von hier aus sollen die widersätzigen Stadttheile mit Kanonen und Wurfgeschütz bestrichen und an
den Eingängen unterminirt werden.“
Man sieht, Hr. Changarnier sucht seinen Vorgänger Lamoriciere an Ruhm zu übertreffen.
— Sämmtliche demokratische Blätter, mit dem „Peuple“ an ihrer Spitze, beschwören das Volk, sich nicht früher zu erheben, als bis sie es dazu aufrufen:
„An das Volk! Die finstersten Gerüchte laufen über die freiheitsmörderischen Pläne der Reaktionärs umher. Wir fahren jedoch fort, das Volk zu beschwören, die tiefste Nichtachtung den
Aufhetzereien entgegenzusetzen, welche von einer grundsatzlosen Polizei, von einer im Sterben liegenden Regierung oder von einer bis auf den letzten Grad der Anarchie und Verzweiflung getriebenen
Reaktion gegen dasselbe gewagt werden sollten. Auf dem Punkt, wo die Sachen jetzt stehen, könnte nur ein Attentat gegen die Nationalversammlung die Intervention der guten Bürger rechtfertigen. Hoffen
wir, daß die Nationalversammlung ihre Pflicht zu erfüllen wisse, wie wir die Unserige zu erfüllen wissen werden.
Paris, den 29. Jan. 1849.
Die Redaktoren des Peuple.“
(Folgen die Unterschriften.)
— In der Wohnung des Präsidenten Bonaparte geht es sehr lebhaft zu. Unsere ersten politischen Kannegießer, wie z. B. Lamartine, Marrast, Dufaure, Molé, Thiers etc. etc. fahren seit gestern
Mittag abwechselungsweise daselbst vor. Auch Bugeaud, der einen Ausflug in den Süden machte, ist heute zurückgekehrt und hatte eine Zusammenkunft mit dem Präsidenten.
— Zwischen Bugeaud und Changarnier soll der Plan festgestellt worden sein: im Falle die Rothen gewännen, einen Aufruf an die Departements zu erlassen und sämmtliche Bürgerwehren um
Lyon herum zu concentriren, um dann gegen das „verfluchte“ Paris loszumarschiren.
Inmittelst verfertigt man in Lyon bereits einen (mit Lilien oder Bienen?) übersäeten Hermelinmantel und der Kunstmaler Perrignon hat bereits zwei bezaubernde schöne Portraits des Frohsdorfer
Königspaares in Lebensgröße vollendet, an welchen sich das Auge des Pariser Volks bereits weidet!!! Gute Nacht, Republik!
— Sämmtliche Bischöfe und Erzbischöfe beabsichtigen, im Laufe des Februar ein Concil abzuhalten, um die Religionsgefahr abzuwenden. Als Versammlungsort nennen die Blätter Toulouse.
— Vorige Nacht schaffte man die Maigefangenen aus Vincennes nach Bourges.
[(Le Pays.)]
— In vielen Café's sowie in allen demokratischen Journalbüreaus liegen Listen zur Unterschrift der Anklage gegen das Ministerium aus.