Französische Republik.
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] Paris, 25. Jan.
Ein Banket des 6. Arondissement fand neulich im Valentinosaal statt; es sprachen Thoré, Bernard, Dain (Volksrepräsentant), Hervé, Pierre Leroux, Lachambaudin, Turgard, beides Socialdichter,
Lagrange, Volksrepräsentant, und der amerikanische Socialist Brisbane; die philharmonische Sängergesellschaft der „Söhne von Paris“ wirkte wie gewöhnlich mit. — Das Zuschließen
der Klubs wird Mode; gestern sperrte Militär den der Fraternité; man braucht dazu Mobilisten und Garde republicaine, letztere wird ganz eine alte Municipalgarde. Die Legitimisten sind guter Dinge,
seit ihr lieber Bruder Falloux Unterrichtsminister ist. Die henricinquistische „Hermine“ (zu deutsch das Hermelin) in der Vendee sagt in der letzten Nummer: „nur noch etwas
Geduld, und die heiligen, ewigen, durch Gott, Natur und Christenthum uns Franzosen seit Jahrhunderten theuren Nationalwünsche, Volksneigungen und Volksabneigungen (unter diesem Wortschwall versteht
die Partei weiter nichts als Jesuitenkönigthum) werden endlich ihre vollständige Realisirung finden; die Uebergangsformen werden abgenutzt sein, in Staub zerfallen, und Frankreichs Volk wird endlich
zu sich selbst zurückkehren.“ Nämlich zum Jesuitenkönig Henri V. Der „Messager du Midi“, ein ultramontanes, aber einst sehr cavaignac'sches, und heute bonapartisches
Blatt, leugnet dies insofern, als es die orleanistischen Manöver für weit gefährlicher schildert; „Bonaparte ist bedroht, und zwar insonderheit von den Joinvillisten, die keine Herzogin v.
Orleans, wohl aber deren Knaben, den Grafen v. Paris nebst dessen Oheim Prinz Joinville, auf den Präsidentenstuhl erheben wollen. Dazu soll eben die jetzige Kammer nach Hause fahren, und die
Wahlumtriebe der Königlichen sollen eben mit Beihülfe der Präfekten eine orleanistische Nationalassemblee zusammenbringen. Auch schmeicheln sich diese Orleanisten mit dem Beistande der obersten
Militärkommandirenden. Mit der Nationalgarde von Paris hofft man schon ohne Mühe umzuspringen, da sie dem Kommando gehorcht.“
Vom Herrn Unterrichtsminister Falloux sagt der „Democrate du Rhin“ in Straßburg: „Er ist noch jung, sehr jung, aber ein würdiger Sohn der Kreuzritter. Als Schriftsteller hat er
sich arge Geschichtsfälschungen herausgenommen; in der Biographie Louis XVI. hat er die Philosophie, die Freiheitssehnsucht des 18. Jahrhunderts schimpflich verleumdet. Dieser schriftstellernde
Unterrichtsminister Frankreichs behauptet, seit dem 16. Jahrhundert habe die Menschheit stillgestanden, ja sie sei zurückgesunken von Stufe zu Stufe und endlich in jenem Abgrunde des 18. Jahrhunderts
angelangt. Dies sind seine buchstäblichen Worte. Alles Gute kommt aus der katholischen Kirche, alles Uebel aus dem ketzerischen Prüfungsstreben, das zur Philosophie führt. Dem Katholizismus wird in
Falloux'schen Büchern eine freiharmonische Wirksamkeit, eine Schutzthätigkeit zugeschrieben, die gegen die protestantische Unterdrückungswuth glorreich abstechen. Nebenher ertönen Liebesseufzer
für die Väter Jesu, und wer dies Opus liest, muß der feuerliebenden Inquisition um den Hals fallen und einsehen, daß die grande politique hinführo in eiligem Rückschreiten zur Vergangenheit besteht; z
B. Napoleon der Kaiser hat Aegypten der Christenkirche eröffnet, ohne es zu ahnden, und nun ist es an uns, die katholische Flagge auf die Gipfel der Pyramiden aufzuziehen. So steht's. Und wer
noch Zweifel hat, dem wirft Herr Falloux folgenden Satz an den Schädel: „ „Rom's Kirche organisirte Europa als großartige Monarchie, und in dieser Monarchie lernten von der Kirche
aus alle Staatsgewalten, all Völker Mäßigung und Ordnung und das Gelernte ging ihnen in Fleisch und Blut und Mark über“ “. Die Inquisition kann, nach Herrn Falloux nicht in diesem
skeptischen Zeitalter beurtheilt werden; „„die Völker sagt er, wurden im Frieden der Orthodoxie erhalten, wenn damals ein Ketzer getödtet ward, denn seine Irrthümer gingen fast stets mit
ihm unter““; was obenein ein grober Geschichtsschnitzer. Hierauf ergeht sich der Autor in einer unabsehlichen Reihe von Verunglimpfungen der 89ger Revolution, etwa wie Nösselt's
Geschichte für „Töchter höherer Stände.“ Dieser Mann ist zwei Jahre nach Verfassung jenes Buches republikanischer Unterrichtsminister geworden. Die Todten reiten schnell!
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Paris, 25. Januar.
Der Moniteur enthält heute die Ernennungen von nicht weniger als 55 neuen Präfekten und Unterpräfekten. Sie sind meist alte Beamte von Louis Philipp
— Die Erbitterung der Oppositionsblätter gegen diese Ernennungen ist sehr groß. Die „Liberté“ z. B. sagt:
„Welche Auswahl in einem Augenblick, wo so viele ächte Franzosen der Republik ihre Dienste anbieten und ohne bestimmtes Einkommen darben?! Welch' skandalöse Verletzung alles
Anstandes, die einer beleidigenden Hintansetzung unserer Nationalsusceptibilitäten gleichkommt, weil sie sogar Ausländer (Rossi) den Eingebornen vorzieht!! Wir werden morgen dieses schändliche
Anhängsel zum Testamente des im Todesröcheln liegenden Barrot'schen Ministeriums einer näheren Kritik unterworfen.“
Auch die übrigen Journale machen ihrem Grolle in ähnlicher Weise Luft.
— Die ultra-napoleonistische „Liberté“ erklärt die Behauptung der „Patrie“ und eine Menge anderer Blätter, wonach Boulay, Vicepräsident, in der vollkommensten
Harmonie mit dem Ministerium lebe, für eine Erfindung. Hr. Boulay habe nur seine Visitenkarte bei den Ministern abgegeben — eine Höflichkeit, der er sich unmöglich entziehen konnte.
Man bedenke, daß die Liberté mit Hr. Boulay auf sehr vertrautem Fuße steht.
— Heute Vormittags wurde der legitimistische Journalisten und Agitatoren Congreß in der Rue Duphot eröffnet. Es sind etwa 200 Mitglieder anwesend.
— Die Nationalversammlung wählte heute Mittags in ihren Abtheilungen die Commission, welche das Fallouxsche Gesetz wegen der neuen Administrativfachwissenschafts-Collegien an den
Universitaten, statt der Verwaltungsschulen, zu prüfen hat. Auch diese Commission ist ganz dem Minister feindlich ausgefallen.
— Hr. v. Lurde, bisher im Haag, soll an Aragos Posten in Berlin ernannt sein. General Baraguey d'Hilliers nahm ihn nicht an.
— Marrast besuchte gestern Abend die große Oper und wurde sehr unangenehm vom Publikum empfangen.
— Ein Erlaß des Präsidenten der Republik reorganisirt die berüchtigte Mobilgarde, traurigen Andenkens. Vom 1. Februar ab wird dieselbe nur noch 12 Bataillone (statt 24) zählen, jedes
Bataillon zu 990 Mann, von denen die Gemeinen täglich 1 Franken 20 und resp. 1 Franken 10 Centimen Gold beziehen. 1848 kostete dieser hehre Vortrab der Pariser Bürgerwehr (offizieller Styl des
Ministers Faucher) die Bagatelle von 12 1/2 Million Franken, während er 1849 nur 7,600,000 Franken kosten soll. Hierdurch erspart Hr. Passy 4,670,000 Franken.
Diese Ersparniß bildet das eigentliche Hauptmotiv der vielbesprochenen Maßregel.
— Walewski geht an Champy's (Neffe Lammenais') Stelle nach Florenz, und Adolphe Barrot aus Alexandrien nach Rio Janeiro. Ruffini, der neue sardinische Gesandte, wurde gestern
von Dronyn de Ehuys empfangen und überreichte am Nachmittage dem Präsidenten seine Vollmachten.
— Priester Herandeau, Religionslehrer am Gymnasium zu La Rochelle, ist wegen sozialistischer und kommunistischer Tendenzen, auf Befehl des Unterrichtsministers Falloux, in seinem Amte
suspendirt worden.
— Barbès schreibt einen lakonischen Brief an die Journale, rücksichtlich des neuen Pairshofs in Bourges, gegen den stark petitionirt wird. Wenn wir den Februar glücklich überwinden, dann
wäre dies ein Wunder. Die Entlassung vieler Mobilgarden, der Pairshof in Bourges, die Jahresfeier der Revolution und der allgemeine Hunger …
— Die Polizei will durchaus Krieg haben! Sie ließ gestern alles Militair in die Kasernen sperren, um auf den ersten Wink schlagfertig zu sein. Am Abend schloß sie drei der bedeutendsten
Klubs, darunter den neuen Fraternitätssaal, gegen den sie nicht weniger als 3 Bataillone Infanterie und 200 Gardiens dirigirte. Da sie jedoch nirgends auf Widerstand stieß, so begnügte sie sich, die
Sitzungslokale zu versiegeln und Protokolle darüber aufzunehmen.
— Wie man hört, wird die Bergpartei den Minister des Innern wegen der polizeilichen, gerichtlichen Willkürmaaßregeln interpelliren, welche seit mehreren Tagen die ganze Stadt in Allarm
setzen. Bald sind es die Bäckergesellen, bald die Lichtzieher, deren Handwerksstreitigkeiten ihnen zum Vorwand dienen.
— Gestern Nachmittag wurde Oberst Rey unter dem Geleit von vielen tausend Demokraten, worunter sich Ledru Rollin und etwa 40 Deputirte befanden, in einfacher Feier zur Erde bestattet.
Arbeiter aller Gewerbe, Journalisten und Assoziationen, hatten Deputationen geschickt. Joly und Lagrange sprachen energische Worte am Grabe des zu früh Verstorbenen. Die Demokratie verliert in ihm
einen der tüchtigsten Soldaten.
Die Minister waren thöricht genug, Aufruhr zu fürchten, und hatten deshalb im ganzen Stadtviertel von Montmartre starke Truppenabtheilungen aufgestellt; ihre Vorsicht war unnütz, denn Alles blieb
ruhig.
— National-Versammlung. Sitzung vom 25. Jan. Anfang 2 1/4 Uhr. Präsident Marrast.
Leon Faucher, Minister des Innern, überreicht mehrere Gesetzentwürfe, welche Uebersteuerungen und Arbeiten für das Proletariat verlangen.
Gent und Ledru-Rollin überreichen Bittschriften vieler Weinhändler gegen das berüchtigte Steuer-Exercice
Eine Masse von Petitionen strömt von der Rechten dem Büreautische zu, welche die Auflösung der National-Versammlung verlangen.
Ledru-Rollin und Etienne Arago überreichen Petitionen im entgegengesetzten Sinne. (Stimmen zur Rechten: Wie viel Unterschriften? Geächter.)
Die Versammlung schreitet zur Fortsetzung der Staatsrathsdebatte.
Artikel XIX dahin geändert:
„Der Präsident der Republik kann die Raquetenmeister auf Vorschlag des Präsidenten des Staatsraths und der Sektions-Chefs absetzen etc etc.“
Artikel XX, XXI, XXII, XXIII, XXIV, XXV, XXVI, XXVII und XXVIII, von dem Amtsverhältniß der Staatsrathsbeamten handelnd, werden rasch hintereinander diskutirt und nach Verwerfung einer Menge
unerheblicher Neben-Anträge angenommen.
Die Versammlung, ziemlich zerstreut oder vielmehr mit der gereizten Stimmung von Paris beschäftigt, überläßt sich allerlei Privatgesprächen, die Marrast mit seinem Papiermesser vergebens zu
beherrschen strebt.
Berryer erscheint auf der Bühne. Er beantragt die Erlaubniß für die Stadt Marseille, sich abermals zur Beschäftigung ihres Proletariats übersteuern zu dürfen. Die Sache sei dringend.
Die Dringlichkeit wird ausgesprochen.
Grevy, mit dem Rateaubericht in der Hand, folgt ihm auf der Bühne. (Große Agitation im Saale.) Man kennt bereits den Inhalt desselben. Er erklärt das Mandat der Versammlung noch nicht vollendet und
dringt auf genaue Erfüllung des Artikels 115 der Verfassung, mithin auf Verwerfung aller Auflösungsgelüste.……
Eine Menge Deputirter eilen zum Büreautisch, um sich für die Debatte einschreiben zu lassen.
De Mornay erklärt, es sei reglementswidrig sich vor vollendeter Vorlesung der Berichte einschreiben zu lassen.
Die Versammlung beschließt, den Rateauantrag am nächsten Montag zu diskutiren:
Hiernächst erscheint Billault auf der Bühne, mit dem nicht minder berüchtigten Bericht über den Büdgetsturm in der Hand.
Passy, Finanzminister, unterstützt die Dringlichkeit dieser Angelegenheit.
Die Versammlung weist Billaults Antrag an die Abtheilungen, die ihr schon Sonnabend berichten sollen.
F. Lasteyrie rügt die schreckliche Parteilichkeit, mit der man den Falloux'schen Antrag rücksichtlich des Verwaltungsunterrichts zerzausen wolle. (Gewaltiger Lärm mit Zwischendebatte.)
Die Sitzung wird um 6 Uhr geschlossen.