Deutschland.
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*
] Köln, 26. Januar.
Mit schwerem Herzen, aber stets bereit, seinen Mitbürgern das Schatzkästlein seines Geistes zu öffnen, antwortet Ehren-Brüggemann auf unsern vorgestrigen Artikel durch
„Urwahl-Erfahrungen“.
Herr Brüggemann bleibt dabei: Das gegenwärtige Wahlgesetz macht, so lange nicht etc. etc. … vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich.
Schönes Kompliment für das octroyirte Wahlgesetz! Um so schöner, als sein Verfasser Niemand anders ist, als der dankbarste Anbeter der im neuen Wahlgesetz vollendeten „rettenden That der
Krone“!
Die „rettende That der Krone“ läuft also darauf hinaus, daß sie „vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich“ gemacht, und Ehren-Brüggemann überzeugt hat, daß wir uns
noch lange nicht „schmeicheln dürfen, die Revolution definitiv abgeschlossen zu haben“!
Armer Brüggemann! Unglückliche Krone!
Herr Brüggemann bemüht sich nun, Mittel aufzufinden, welche, vereint mit dem jetzigen Wahlgesetze, „vernünftige und maßgebende“, d. h. nicht demokratische, nicht oppositionelle
Wahlen, Wahlen im Sinne der rettenden That vom 5. Dezbr. möglich machen.
Sehr einfach! Ein hoher Census nebst specieller Vertretung des großen Grundbesitzes würde gewiß alle Anforderungen des tiefen Denkers Brüggemann befriedigen.
Aber nein! Die Krone hat einen Schein von allgemeinem Stimmrecht beibehalten, und Brüggemann hat Ordre, nie reaktionärer zu sein, als die Krone. Es muß auch solche Käuze geben, sagt Manteuffel,
wenn man ihm von Brüggemann spricht.
Deswegen halten „Wir die Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts für sehr werthvoll“, denn „Uns ist es Ernst um die wahre Demokratie“ — so lange nämlich
nicht „neue Octroyirungen werden nothwendig werden“!!
Aber woran liegt es denn, daß die „Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts“ zu demokratischen Wahlen geführt und ihren Verehrer Brüggemann so tief gekränkt hat?
Die Wahlen waren diesmal entschiedene Parteiwahlen. Das beweist der Umstand, daß fast überall die erste Wahl zugleich die enge, entscheidende Wahl war. Die Urwähler stimmten in voller
Kenntniß der Sache; es handelte sich für sie um Sturz oder um Aufrechthaltung des Ministeriums und seiner kontrerevolutionären Akte. Die ungeheuere Majorität des Landes — das ist jetzt schon
gewiß — erklärt sich für den Sturz des Ministeriums, für Vernichtung seiner Akte. Herr Brüggemann will das Gegentheil, und er vertritt doch die „wahre Demokratie“, die
„wahre“ Majorität. Wie hängt das zusammen?
Die Sache hat, nach Ehren-Brüggemann, zwei Haken. Erstens:
„Es fehlte überall an einer genügend allgemeinen Theilnahme.“
Die „erschreckende Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes“ ist bereits eingeschrumpft zu einem bloßen Mangel „an einer genügend allgemeinen Theilnahme“. Erste
„Urwahl-Erfahrung“ und, um mit Hrn. Brüggemann zu reden: „von dieser Erfahrung wollen wir sogleich Urkunde nehmen“.
Wir haben auf diesen Punkt bereits geantwortet. Wir behaupten, daß dieser Mangel an Theilnahme, wo er existirte, aus der Sicherheit des Resultats hervorging, und auf das Resultat selbst
keinen Einfluß gehabt hat. Wir behaupten ferner, daß er an manchen Orten aus dem Schamgefühl mancher Conservativen hervorging, die im November, sei es aus Ehrlichkeit, sei es aus Furcht vor einer
neuen Revolution, Dankadressen an die Nationalversammlung schickten und jetzt nicht für die entgegengesetzte Politik stimmen mögen. Nicht jeder Heuler ist ein Lazzarone, der heute schreit: eviva la
constituzione, und morgen für eine Schüssel Macaroni sein: eviva il Rè e la santa fede in die Welt brüllt. Nicht jeder Bourgeois versteht so unverzüglich den Mantel nach dem Winde zu hängen, wie
gewisse unerschütterliche Catonen des Rechtsbodens.
Oder sagen Sie uns doch, Herr Brüggemann, warum konnten die Demokraten zuweilen „über Mittag [unleserlicher Text]uitars holen“, während Sie seufzend bekennen: „Wir haben in den letzten Wochen zu
einer allgemeinen Theilnahme wiederholt aufgefordert, und wiederholt jeden Leser gebeten in seinem Kreise für eine möglichst allgemeine Betheiligung … zu wirken …
Diese Anmahnungen sind … wohl größtentheils umsonst gewesen!“
Nun der zweite Haken: „Die gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen.“
Allerdings, hätten sämmtliche „Wahlgenossen“ der heiligen Stadt Köln die erhabenen Eigenschaften Ehren-Brüggemann's gekannt, er wäre in allen 64 Bezirken zum Wahlmanne gewählt
worden, während die „gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen“ ihn jetzt in seinem eigenen Bezirke durchfallen ließ!
Wenn unsere gegenwärtigen Wahlen einigermaßen entschieden ausgefallen sind, so liegt das gerade daran, daß diese Fremdheit existirte, oder daß, wo sie nicht existirte, man handelte, als ob
man einander fremd sei. Man wählte nicht den „ehrenwerthen Charakter,“ den „angesehenen Mann,“ den „einflußreichen Kapitalisten,“ man wählte den Demokraten
oder den Contrerevolutionär, den Oppositionsmann oder den Konservativen. Man hatte die Hauptsache im Auge und ließ sich nicht durch persönliche Rücksichten bestimmen. Und daher werden unsere Wahlen
uns — so oder so — eine Entscheidung bringen.
Aber das gerade kränkt unsern Brüggemann so tief. Und darum macht er Projekte, wie dieser Fremdheit abzuhelfen, wie die Urwähler des Bezirks persönlich mit einander bekannt zu machen, wie
persönliche, patriarchalische Beziehungen in die Wahl hineinzubringen seien; darum schlägt er vor, die Wahlmänner zu permanenten Bezirksvertretern zu machen, damit bei ihrer Wahl nicht die einfache
Rücksicht gelte: ob sie gut genug seien, einen Deputirten im Sinne des Bezirks zu ernennen, sondern damit hunderte andere Rücksichten ins Spiel kommen, die mit der Wahl gar nichts zu thun haben, z. B.
ob sie gute Geschäftsmänner sind und zu Gemeindeverordneten u. s. w. passen, ob sie allerlei für die Wahl gleichgültige Kapazitäten und Kenntnisse besitzen etc.
Die indirekte Wahl ist schon eine höchst verworrene und unnütze Operation. Aber für Ehren-Brüggemann, den Ritter von der wahren, der oktroyirten Demokratie, ist sie noch viel zu einfach. Er möchte
sie so unklar machen, daß kein Mensch mehr daraus klug würde. Dann erst, wenn die Verwicklung, das Tohuwabohu auf den höchsten Grad gediehen, dann erst hofft unser oktroyirter Schlaukopf auf
„vernünftige und maßgebende Wahlen!“
Aber Alles das reicht noch nicht hin. Das Alles soll blos gelten „Zum Uebergang und für die Zwischenzeit.“ Das Ziel von dem Allen liegt anderswo. Man höre:
„Eine Kluft liegt zwischen den verschiedenen Berufs- und Lebenskreisen unserer heutigen bürgerlichen Gesellschaft, die damit, daß das Wahlgesetz sie ignorirt, wahrlich noch
nicht ausgefüllt ist! Könnte man einstweilen die — unseres Erachtens sehr falsche und abergläubige — politische Scheu vor gesetzlicher Anerkennung und Berücksichtigung dieser
Unterschiede noch nicht überwinden, so müßte man mindestens — obige Uebergangsmaßregeln ergreifen.“
Dazu erklärt Hr. Brüggemann: „Man solle den rettenden Ausweg nicht in dem alten ausgefahrenen Geleise des nackten Census suchen.“
Das heißt, gerade herausgesprochen, dasselbe, was die Galgenzeitung täglich predigt: Mit einer modernen Volksvertretung ist nicht zu regieren. Man schaffe das allgemeine Wahlrecht ab und wähle
nach Ständen, man jage die konstitutionellen Kammern zum Teufel und berufe den alten ständischen Vereinigten Landtag, der allein noch kapabel ist, mit Gott für König und Vaterland zu
marschiren!
Diese Dinge predigt Hr. Brüggemann in der Kölnischen Zeitung 11 Monate nach der Februarrevolution, 10 Monate nach den März-„Ereignissen;“ und diesen unverhüllten Feudalmist nennt er
„wahre Demokratie“ und „Befestigung des demokratischen Prinzips“ durch „weitere ergänzende demokratische Organisationen auf dem gewerblichen und sozialen
Gebiete!!!“
In der That, wir machen Fortschritte!
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068
] Köln, 26. Januar.
Als wir gestern die Antwort des Herrn zweiten Kommandanten Engels abdruckten, versprachen wir neue Interpellationen. Sie erfolgen sogleich heute. Sie gehen entweder Hrn. Engels oder den
kommissarischen Hrn. Oberbürgermeister Gräff an.
In der hiesigen Dominikaner- (Artillerie-) Kaserne wohnen gegenwärtig höchstens 800-850 Menschen, Weiber und Kinder eingerechnet. Diese Kaserne, par ordre du Mufti, zu einem besondern
Wahlbezirk konstituirt, hatte somit drei Wahlmänner zu wählen, wie auch in der offiziellen Eintheilung der Wahlbezirke angegeben war. So hieß es wenigstens in dem uns zugesandten Abklatsch und
so druckten wir es mit ab. Trotzdem hat dieser Wahlbezirk, der vierzigste, nicht weniger als fünf Wahlmänner gewählt, und zwar die Herren: Hauptmann Lengsfeld, Feldwebel Wintersberg, Feldwebel
Mörk, Sergeant Dörner und Hauptmann v. Falkenstein.
Wie wir hören, ist dies folgendermaßen zugegangen: Der Wahlkommissar, ein Premier-Lieutenant, erklärte, die „Neue Rheinische Zeitung“ habe zwar mitgetheilt, der vierzigste Bezirk habe
nur drei Wahlmänner zu wählen, man wisse aber nicht, ob dies authentisch und vom Oberbürgermeister so festgesetzt sei und nach der Seelenzahl des vierzigsten Bezirks müßten fünf Wahlmänner
gewählt werden. Darauf schritt er zur Wahl und brachte ruhig seine fünf Wahlmänner zu Stande.
Das Mandat der beiden Letztgewählten, der Herren Dörner und Falkenstein, ist sonach ungültig, und jede Wahl eines Deputirten, bei der ihre beiden Stimmen den Ausschlag geben sollten,
ist ebenfalls ungültig.
Wir fragen nun Hrn. Oberst Engels und Hrn. kommissarischen Oberbürgermeister Gräff: „Haben Sie gegen obige Thatsachen etwas einzuwenden? Und wenn nicht, an wem liegt die Schuld, daß solche
schreiende Wahlverfälschungen vorkommen konnten? Und was werden Sie thun, um einen so unverschämten Bruch des Wahlreglements und Wahlgesetzes wieder zu repariren?“
Glauben die Herren etwa, die uns Demokraten aufoctroyirten Gesetze seien zwar verbindlich für uns, nicht aber für so eifrige Diener der gottbegnadeten Monarchie wie sie sind?
Wir fordern die demokratischen Wahlmänner auf, die beiden ungesetzlich erwählten Wahlmänner nicht in ihrer Mitte zu dulden, falls die Behörden sich von den angeführten Beschuldigungen nicht rein
waschen.
Ferner: Hr. Engels wird gelesen haben, was wir in Nr. 204 über die Wahlen in der Blankenheimer Kaserne gesagt haben. Hr. Engels tritt mehrere Male in dieser Erzählung handelnd auf. Hr. Engels muß
wissen, was an der Sache ist — er soll sie theilweise arrangirt und nachher mit angesehen haben. Wir fragen ihn nun: Ist dieser Bericht wahr, ja oder nein?
Und ist er entstellt, in welchen Angaben ist er entstellt?
Wir ersuchen Hrn. Engels um gef. baldige Antwort. Die Wahlmänner können nicht lange warten.
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068
] Köln, 26. Febr.
Mit der Berliner Post sind uns eine Menge Wahlnotizen zugegangen, aus denen wir hier die interessantesten kurz zusammenfassen.
In Potsdam sind nicht blos 80, sondern 85 gegen 60 preußenvereinliche Wahlmänner durchgegangen. Aus Frankfurt a. d. O. lautet das Wahlresultat: 3/4 Demokraten, 1/4 Reaktionärs. Zu
Cüstrin 27 „demokratisch-konstitutionelle“ und 7 reaktionäre Wahlmänner.
Luckau hat 7 „Steuerverweigerer“ (laut Bericht in der Galgenzeitung) gewählt. Die Wahlmänner, welche sich Sangerhausen ausgesucht, sind durch und durch radikal. Und so
fast überall in der ganzen Provinz Sachsen, mit Ausnahme von Halle.
Die Nachrichten aus Schlesien: (Liegnitz, Oels, Bernstadt, Münsterberg, Waldenburg, Ohlau, Oberglogau, Hirschberg, Landshut, Trebnitz, Ratibor, Kosel u. s. w.) lauten insgesammt für die Demokratie
höchst erfreulich.
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15
] Düsseldorf, 26. Jan.
Wie die gottbegnadete preußische Bureaukratie die aus allerhöchster Gnade oktroyirte Verfassung handhabt, mögen Sie aus folgendem Pröbchen ersehen.
Heute Abend war eine Versammlung der demokratischen Wahlmänner des hiesigen Wahlbezirks, Abends 5 Uhr, im Hofe von Zweibrücken ausgeschrieben. Wohl an 300 Wahlmänner hatten sich eingefunden. Man
war eben in einer lebhaften Debatte begriffen, als sich plötzlich die Thüren öffneten und ein sonderbarer Theilnehmer dieser ehrenwerthen Versammlung sich einstellte: Unser neuer Polizei-Inspektor,
Exlieutenant etc., eifersüchtig auf den Ruhm des Kommunisten Drigalski und des großen Schellfisch-Vertilgers Spiegel und vor Begierde brennend, der Dritte in diesem lorbeerumkränzten Bunde zu werden,
hatte es für seine Pflicht gehalten, diese anarchische und wühlende Versammlung in seine väterliche Obhut zu nehmen. Die tiefste Entrüstung ergriff die anwesenden Wahlmänner. Es wäre ohne die Ruhe des
Vorsitzenden, Abgeordneten Euler, zum Konflikte gekommen. Auf die Frage desselben, wer er wäre, erwiderte der unberufene Gast: „Ich bin der königl. Polizei-Inspektor und hier erschienen in
Folge eines Winkes von Oben. So gut wie Sie das Gesetz und Ihre Rechte in Anspruch nehmen, so gebietet mir meine Stellung, die Rechte der Regierung in Obacht zu nehmen.“ Nach diesen,
wahrscheinlich auswendig gelernten Redensarten, denn Hr. v. Faldern scheint der Mann nicht zu sein, der sich viel mit Denken beschäftigt, glaubte der große Redner jeden Einwand gegen seine Anwesenheit
niedergedonnert zu haben. Doch er irrte sich — Düsseldorf ist nicht Wald und der beschränkte Unterthanenverstand längst mit sammt der Furcht vor den Helfershelfern der heiligen Polizei zu Grabe
getragen. Der Vorsitzende fragte den neuen Demosthenes weiter, ob er die Verfassung vom 5. Dezember als rechtsgültig anerkenne? Das ist meine Pflicht, lautete die Antwort. Uebrigens bin ich der Mann
nicht, der die Freiheit haßt.
Hierauf wurden dem freiheitsliebenden Polizeimanne die das freie Associationsrecht betreffenden Paragraphen der octroyirten Verfassung vorgelesen, worauf sich derselbe verblüfft, sammt seinen
Helfershelfern, einem Kommissar und Gensd'armen, verzog. Damit war die Versammlung indeß nicht zufriedengestellt. Einer an den Oberbürgermeister, Grafen v. Villiers (pur asng), und an den
Regierungspräsidenten abgeschickten Deputation wurde ein ausweichender Bescheid. „Man wolle die Sache untersuchen, müsse den Angeklagten erst hören etc., worauf man beschloß, eine Anklage gegen
den v. Faldern auf Verletzung der Verfassung dem Oberprokurator einzureichen.
Uebrigens hatte die hohe Polizei sofort, ohne daß die geringste Ruhestörung vorgefallen, zum eigenen Schutze eine ansehnliche Militärmacht requirirt, die vor dem Lokale und in den benachbarten
Straßen aufgestellt, und die Gelegenheit abwarteten, ihre gewöhnliche Bravour Kindern und Wehrlosen gegenüber zeigen zu können.
Man provocirt uns, um uns wieder mit dem gesegneten Belagerungszustand begnaden zu können. Wie übrigens solche Taktlosigkeiten der Regierung der guten Sache nützen, brauche ich Ihnen nicht erst zu
sagen.
Darum — es lebe der freiheitsliebende Polizeimann v. Faldern, der tüchtige Demokratenfabrikant.
[1124]
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X
] Hersel (Kreis Bonn), 24. Jan.
Trotz aller schwarzweißen Blätter und Flugschriften, die hier im Orte und in der ganzen Umgegend in Massen vertheilt wurden, trotzdem daß unser Pastor des Sonntags in der heiligen Messe eine ganze
Stunde gepredigt und die Demokraten der Hölle überliefert hatte, trotzdem daß er sagte, wer an der Krone rüttle, der rüttle auch an der Kirche, trotz Alledem und Alledem sind hier im Orte zu
Wahlmännern vier Demokraten und kein einziger Konstitutioneller gewählt.
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[
094
] Velbert, 22. Jan.
Die Wahlen auf unserer Demokraten-Oase im schwarz-weißen bergischen Ocean sind, wie zu erwarten stand, glänzend für die Demokratie ausgefallen, was die Herren „mit Gott für König, Muckerthum
und den Geldsack“ nicht wenig ärgert, und das um so mehr, als sie sich alle erdenkliche Mühe gegeben hatten, ihre Lieblinge durchzubringen.
In Essen und Werden soll das Resultat ebenso erfreulich sein, wohingegen von den benachbarten Sumpflöchern, Langenberg, Wülfrath etc. leider nur das Gegentheil zu gewärtigen ist.
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091
] Dahlen, 24. Jan.
Hier sind die Wahlen ganz im demokratischen Sinne ausgefallen, denn unter 20 Wahlmännern wurde nur ein Schwarzweißer gewählt. Auch dies wäre nicht geschehen, wenn die demokratischen
Urwähler alle bis zum Schlusse ausgehalten hätten. In Gladbach, so wie im ganzen Kreise, ebenso im Kreise Grevenbroich sind die Wahlen auf entschiedene Demokraten gefallen mit
einziger Ausnahme der Oerter Rheydt, Odenkirchen, Otzenrath und Sassenrath, wo der Sitz der Schwarzweißen ist und der größte Theil der Arbeiter im Sinne ihrer Herren Fabrikanten wählen
mußten. Der Sieg der Demokratie ist also hier gewiß und sind alle von den Preußen hier ausgestreuten Traktätlein fruchtlos geblieben.
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092
] Sieglar, 23. Jan.
In unserm Orte sind die Wahlen konstitutionell ausgefallen, doch sind auch hier die schlimmsten Feinde der Revolution nicht auf der Wahlmännerliste. In den umliegenden Ortschaften siegte indeß die
Demokratie entschieden.
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[
14
] Düren, 24. Jan.
Die Demokratie hat hier bei den Wahlen total gesiegt. Die wenigen Heuler heulen nicht mehr; nein, sie winseln, denn Keinem war es im Traume eingefallen, daß die gute Sache eine so eklatante
Niederlage erleiden würde. Ein hiesiger Fabrikant, ein Pascha von zwei Dampfmaschinen, der mir in diesem Augenblick gegenübersitzt, ringt die Hände und bemerkt mir mit dem Ausdruck des tiefsten
Schmerzes: „Auch die achtbarsten Leute sind durchgefallen — man hat lauter unbekanntes Volk gewählt! Gott sei mit uns; die Zeiten werden schlimmer und
schlimmer!“
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@facs | 1124 |
[
**
] Bensberg, 24. Jan.
Auch in hiesiger Gegend hat die Demokratie am 22. gesiegt. Unter den 21 Wahlmännern der Bürgermeisterei Bensberg sind 17 Demokraten; unter den 17 Wahlmännern der Bürgerm.
Bergisch-Gladbach sind 13; unter den 18 Wahlmännern der Bürgerm. Odenthal 13; unter den 18 Wahlmännern der Bürgerm. Rösrath ungefähr die Hälfte und in der Bürgerm. Overath
sämmtliche neunzehn Wahlmänner Demokraten. In der genannten Bürgermeisterei Rösrath hat der Ort Rösrath entschieden demokratisch und der Ort Volberg entschieden im entgegengesetzten Sinne gewählt.
Hier in Bensberg brachten die Konstitutionellen ihre Kandidaten nur in dem mit dem Kadettenhause verbundenen Wahlbezirke, durch die militärisch geordnete Beamten- und Dienerschaar dieses Hauses, in
Verbindung mit ungefähr einem Drittel der sonstigen theilweise von ihm abhängigen Bevölkerung des Wahlbezirks durch. Die übrige Bevölkerung dieses Wahlbezirks zeigte sich gegen Erwarten der
Konstitutionellen entschieden demokratisch und nur ein paar Stimmen fehlten ihr zum Siege. Man hatte in der Voraussetzung, daß die zahlreichen, militärisch enggeschaarten Urwähler des Kadettenhauses
in dem kleinen damit verbundenen Wahlbezirke einen zu überwiegenden Einfluß ausüben würden, bei dem Bürgermeister, Landrathe und der Regierung um Erweiterung dieses Wahlbezirkes nachgesucht. Diese
Erweiterung wurde jedoch, obschon der Bezirk dreimal größer hätte sein können, ohne die gesetzliche Seelenzahl zu überschreiten, nicht gestattet, natürlich, weil in dem kleinen, mit dem Kadettenhause
verbundenen Wahlbezirke einige der Hauptführer des Kreis Mülheimer demokratischen Vereins wohnen, welche dadurch fast in die Unmöglichkeit versetzt wurden, bei der Wahl durchzukommen.
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@facs | 1124 |
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121
] Uerdingen, 24. Jan.
Die am 22. begonnene Wahl wurde gestern beendigt. Die Demokratie siegte so vollständig, daß unter den Wahlmännern nur Einer ein schwankendes Wesen ist, der aber doch nie bis zum
„Konstitutionalismus“ hinabsinken könnte. Es half den Reaktionären auch ihr letztes Mittel nichts, welches darin bestand, daß sie am 20. Abends in jedes Haus 1 Exemplar des
„Krefelder Intelligenzblattes“ praktiziren ließen. Bei dem Blättchen war eine Liste der zu Wählenden! Ach, wie dumm! sagten die Urwähler. Durch 2 malige Vorversammlung waren diese wie
alle andern Umtriebe unschädlich gemacht. In unserm Städtchen herrscht über den Wahlausgang allgemeiner Jubel und — heulerische Trauer bei der „schwarz-weißen“ Klique. Uebrigens
sind im ganzen Kreise Krefeld die Wahlen zu unsern Gunsten entschieden worden.
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@facs | 1124 |
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103
] Trier, 24. Jan.
Wie hier, so hat die Demokratie auch in Saarlouis und Saarbrücken ihre Gegner aus dem Felde geschlagen; die meisten „konstitutionellen“, auf deutsch: volksfeindlichen
Kandidaten erlitten einen gar argen Durchfall. Das royalistische Schreibstubengeschmeiß, nebst Krautjunker- und Bourgeoisthum beißen sich vor Wuth die Lippen.
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@facs | 1124 |
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15
] Wesel, 23. Jan.
Sie werden kaum erwartet haben, daß bei den hiesigen ungünstigen Verhältnissen, nämlich bei der Masse von Militär, das unausgesetzt im „schwarz-weißen“ Sinne bearbeitet worden, die
Wahlen gleichwohl ein immerhin günstiges Resultat liefern würden. Ein solches ist aber erfolgt. Beinah die Hälfte der Gewählten sind Demokraten. Haben nun auch die Reaktionärs die Mehrheit zu
erreichen gewußt, so erlitten sie doch mit ihrem Hauptkandidaten, dem Kommandanten v. Grabowsky, eine schmerzliche Niederlage. Er fiel nämlich mit Glanz durch.
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@facs | 1124 |
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27
] Wetzlar, 23. Jan.
Wahrlich, am Eifer der „Schwarz-weißen,“ an Lügen, Verleumdungen, Bethörungen, Verheißungen etc. hat's nicht gelegen, wenn ihre Kandidaten nicht durchgegangen. Das
demokratische Prinzip hat entschieden gesiegt; mehr als zwei Drittel der Wahlmänner gehören ihm an. Dieses Resultat ist um so bedeutungsvoller, da gerade hier die Bureaukratie mit ihren Verbündeten
früher einen großen Einfluß besaß.
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067
] Crefeld, 23. Jan.
Auch hier hat die Demokratie mit 80 gegen 54 Stimmen gesiegt. Die Schwarz-Weißen suchten ihre Niederlage dadurch zu verbergen, daß sie ihrem Lokal-König, dem Hrn. Baron von der Leien das flatternde
Banner „Meiner getreuen Armee“ vom sogenannten Drießenhof bis zu seiner Wohnung vorantrugen. Dies war die Provokation zu einem königl. preußischen Scandal, indem die demokratische Partei
sich alsobald in beträchtlicher Zahl zusammenthat, und die Herausforderung durch die Enthüllung einer schwarzroth-goldnen und einer rothen Fahne beantwortete. Da fuhr eine unsägliche Angst in die
Geldsäcke und in die Männer der königlich preußischen Privilegien, und es hieß nun „Unsere Feinde sind gewesen wie immer, sie sind feige gewesen.“ Denn die Raserei, mit der die
Bürgerwehr herausgetrommelt und getutet wurde, war nur ungeheure Angst.
Wie wir hören, sind die Fenster des Rathhauses und der allbeliebte Polizei-Inspektor zu unserem innigsten Bedauern stark berücksichtigt worden; andererseits aber auch durch die gute Mannszucht
„Meiner getreuen Bürgerwehr-Kavallerie“ einige Verwundungen erfolgt. Ein Kavallerist, der sich durch gute Mannszucht besonders auszeichnete, brach ein Bein, den Andern zum Exempel.
— In solcher würdevollen Lage befanden sich die Männer der Ruhe und Ordnung am Abende dieses schönen Tages, und wir können ausrufen: „Es ist uns nie etwas Schöneres in
dieser Weise zu Gesichte gekommen.“
Als Kandidaten für die zweite Kammer hat der sogenannte konstitutionelle Klub den seiner Zeit durchgebrannten Abgeordneten, Pastor Schmitz von Bockum aufgestellt, in der Hoffnung, daß der
Katholizismus, welcher hier demokratisch ist, sich durch eine solche Kandidatur werde bestechen lassen. Aber das Volk ist nicht mehr so dumm; es fängt an zu begreifen, daß man ein guter Pastor, aber
schlechter Abgeordneter sein kann.
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062
] Kreuznach, 24. Januar.
Als die Brandenburg-Manteuffel'sche Kanonenpolitik das Wohl des Vaterlandes begründet hatte, wurde auch Kreuznach mit Soldaten und Untersuchungen gesegnet. Doch es konnte leider nur eine
Anklage gegen G. Würmle, Redakteur eines „der Demokrat“ betitelten Blattes, eingeleitet werden, weil er in einer Volksversammlung aufgefordert habe, die Beamten, wenn sie Steuer erheben
wollten, zur Thüre hinauszuschmeißen. Er kommt den 26. d. vor das Zuchtpolizeigericht in Koblenz.
Durch alle mögliche Intriguen suchte man die Herausgabe seines Blattes zu verhindern. Noch jetzt ist die Herausgabe trotz Art. 14. der octroyirten Verfassung nicht gesichert.
Der hiesige Polizeikommissär verlangte auf Grund des Gesetzes vom 17. März (!) die Auslieferung der gedruckten Blätter. Der Redakteur erwiderte ihm etwas beißend, worauf 2 Anklagen zugleich gegen
ihn gerichtet wurden, nämlich Uebertretung des Gesetzes vom 17. März und Beleidigung des Polizeikommissärs in seinem Dienst.
Der hiesige konstitutionelle Verein hatte eine Zustimmungsadresse zu allen Handlungen der National-Versammlung erlassen. Als aber der Steuerverweigerungsbeschluß bekannt wurde, bekamen viele
„Herren,“ worunter namentlich die Beamten, große Angst und wollten jetzt eine Adresse im entgegengesetzten Sinne durchsetzen. Doch selbst die meisten Mitglieder dieses Vereins wurden
über die Inconsequenz unwillig und so löste sich der Verein in Wohlgefallen auf, besonders dadurch, daß vorher ein Hauptleiter desselben, Oberlehrer S. (Seyffert), welcher eine Lobrede auf
Windischgrätz gehalten hatte, eine großartige Katzenmusik erhielt.
Die Wahlen setzten die beiden Parteien wieder in große Bewegung. Die demokratische Partei ist hauptsächlich durch das früher gewählte Volkscomité, den demokratischen Verein und den Bürgerverein
vertreten. Kreuznach war zuerst in 5 Bezirke getheilt und die Demokraten hatte alle Chancen für sich. Der königl. Landrath v. Jagon (ein Uckermärker) berief noch einmal den hochweisen Stadtrath, und
dieser widerrief auf seinen Rath und aus Gefälligkeit seinen früheren Beschluß und theilte die Stadt in 10 Bezirke. Trotzdem trugen die Demokraten einen glänzenden Sieg devon. Von ihren 37 Kandidaten
gingen 28 durch. Unter den 9 übrigen sind 4 - 5 schwankend, die übrigen entschieden reaktionär. Kein einziger Beamter wurde gewählt. Dies ist der beste Protest gegen den Loyalitätsadresse, welche mit
200 Unterschriften an den König abging. Die Wahlen auf dem Lande sind auch nicht so schlecht ausgefallen, wie wir fürchteten. In den kleinern Städten und mehreren Dörfern wurden entschiedene
Demokraten gewählt. Doch haben wir nicht viel Hoffnung, einen entschiedenen Abgeordneten durchzubringen, indem die Kreise Kreuznach und Simmern 2 Abgeordnete zusammen wählen und die Kreuznacher
Wahlmänner nach Simmern gehen müssen. Manteuffel'sche Politik!
Auch hier wurden reaktionäre Flugschriften, worunter hauptsächlich „Briefe eines Demokraten“ und „die Enthüllungen,“ in ungeheurer Zahl verbreitet. Alles
Vergebens!
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@facs | 1124 |
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X
] Wattenscheid, im Kreise Bochum, 24. Jan.
Etwas spät aber mit großer Freude theile ich Ihnen mit, daß im hiesigen Amte à circa 7000 Seelen die Demokratie beinah' vollständig gesiegt hat. In unserem Städtchen selbst (5 Wahlmänner)
haben wir lauter Demokraten durchgesetzt. Im benachbarten Essen sind unter 24 Wahlmännern nur 3 „Konstitutionelle“. Selbst in unserer Kreisstadt Bochum („liebe und getreue
Markaner“) soll die Demokratie die Oberhand gewonnen haben. Daß unter den lieben und getreuen Markanern die Pesth der Demokratie so weit eingerissen, wird die gottbegnadete Regierung freilich
Wunder nehmen. Denn wenn dies am grünen Holze geschieht etc.
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@facs | 1124 |
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14
] Bielefeld, 24. Januar.
Unter der reaktionären Partei herrscht hier die furchtbarste Bestürzung. In ganz Westphalen triumphirte bei der Wahl die Demokratie. Die kontrerevolutionäre Partei gibt Alles verloren und ist der
Meinung, daß der Tanz in Berlin lustiger als je beginnen wird. Alle Arbeiter und Weber zwischen hier und Minden haben gegen ihre Herren gestimmt. Offiziere und Beamte, die sich als Kandidaten
hinstellten, wurden unter Spott und Lachen davon gejagt.
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068
] Berlin, 24. Jan.
An unserer Börse zirkulirt heute das Gerücht, der Reichstag in Kremsier sei aufgelöst. In Folge dieses Gerüchtes, sowie des demokratischen Ausfalls der Wahlen war die Stimmung an der Börse
sehr flau-
Der Bescheid des Königs auf die Vorstellung der Dorfgemeinde Nessin bei Kolberg ist in besonderem Abdruck an die Bauern auf den Wochenmärkten durch Gensd'armen vertheilt worden. Die Blätter
haben die Ueberschrift „das Königliche Wort.“ Die „Enthüllungen“ des Hrn. v. Bülow-Cummerow und die Ansprachen des treugesinnten Wählervereins werden sogar in den
Elementarschulen vertheilt, auf daß, wie geschrieben steht, des Herrn Wort durch den Mund der Säuglinge verkündet werde.
Die Besitzer der hiesigen Maschinenbaufabriken sollen die Absicht haben, den im März ihren Gesellen erhöhten Lohn wieder zu kürzen; ebenso soll die damals verkürzte Arbeitszeit wieder verlängert
werden. (Die Herren Bourgeois wollen natürlich von der Contrerevolution auch einen Profit ziehen; macht aber schnell, ihr Herren; denn wenn das Volk in diesem Frühjahr wieder aufwacht, so dürfte Euch
noch mehr als Euer Geldsack verloren gehen.)
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Nordhausen, 22. Jan.
Auch in unsern Mauern hat es harte Wahlkämpfe gegeben. Ein sogenannter „Centralausschuß“ wollte die Wahlen in seine Hand nehmen, allein die Bürgerschaft, die in diesem Ausschuß einen
Absenker des hier allgemein verhaßten Preußenvereins erblickte, ließ ihn gänzlich durchfallen, und so sind sämmtliche Wahlen in Nordhausen ohne Ausnahme zu Gunsten der Demokratie
ausgefallen.
[(Mgdb. Z.)]
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@facs | 1124 |
[
093
] Greifswald, 22. Jan.
Die Demokratie hat bei den Wahlen einen wahrhaft glänzenden Sieg erfochten. Unsere Stadt hat für 17 Bezirke 50 Wahlmänner zu stellen; von diesen gehören ungefähr 40 und einige der entschiedenen
demokratischen, der Rest der liberalen Partei an mit Ausnahme von dreien, die der ultrakonservativen oder konservativen Partei angehören.
Ein Professor und Geheimrath hatte das Unglück durch seinen Rival, einen Anstreicher, der mit der Affischirung demokratischer Plakate betraut ist, aus dem Sattel gehoben zu werden. Bei den
Vorwahlen hatte der berüchtigte Präsident Hassenpflug nur Eine Stimme.
Von unsern doktrinären Professoren hat das souveräne Volk keinen für würdig zum Wahlmann befunden und nur Hr. Baumstark ist von Eldern gewählt. Auch von mehreren Dörfern sind schon günstige
Nachrichten eingelaufen.
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068
] Stettin, 22. Jan.
Obgleich noch keine vollständige Ueberschauung der Wahlen vorliegt, steht doch schon fest, daß sie der Majorität nach im liberalen Sinne ausgefallen sind. Im Oberbezirk fingen die Soldaten Händel
an, zogen die Seitengewehre und vertrieben die liberal gesinnten Urwähler. Die Soldaten waren, wie in der Regel, aufgehetzt worden. Die Nachrichten aus der Umgegend lauten günstig.
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Löwenberg, 21. Jan.
Hierdurch theile ich Ihnen mit, daß vorgestern der hiesige Bürgermeister Ehrmann in Folge der Steuerverweigerung von der Königl. Regierung suspendirt worden und zugleich zur Untersuchung gezogen
ist, ebenso ist der Vorsteher des demokratischen Clubs zu Friedeberg, Referendar Vanselow, wegen Hochverrath verhaftet worden, und ebenso der hiesige Präsident der Volksvereine, Candidat der
Theologie Beege ebenfalls verhaftet.
Verschiedene Gerüchte gehen umher, diesen und jenen Führer der Demokraten hierselbst zu verhaften.
Allgemein hofft man aber, daß die Demokraten des hiesigen Kreises bei der Wahl den Justiz-Verweser Schulz, denselben, den die Mannschaften des 8. Landwehr-Regiments verwundeten, zur Wahl als
Deputirten der zweiten Kammer durchbringen werden. Auch ist das Wohnzimmer des Prediger Schmidt, Abgeordneten der deutschen National-Versammlung, versiegelt worden.
[(A. Od. Z.)]
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068
] Waldenburg in Schlesien, 21. Jan.
Wie die reaktionäre (konstitutionelle) Partei auch die schaamlosesten Mittel nicht scheut, um ihre Kandidaten durchzubringen, davon nur ein einziges Beispiel. Wie Sie wissen, gibt's hier
bedeutenden Bergbau (Kohlengruben), und die Bergleute bilden einen sehr zahlreichen Theil der Bevölkerung. Um diese zum Stimmen auf Seite der Reaktion zu gewinnen, erließ der „konstitutionelle
Verein“ im hiesigen amtlichen Kreisblatte die Aufforderung, nur in seinem Sinne zu wählen und versprach, die Leute für Versäumniß und Reisekosten baar zu entschädigen. Durch seine
Agenten wurden ferner über 1000 Bergleute, unter Androhung der Versetzung auf andere Gruben (mitten im Winter!) genöthigt, den demokratischen Klub zu verlassen und sich dem „Heuler“-
oder konstitutionellen Verein anzuschließen. Wir sehen, daß die „Erbweisheit ohne Gleichen“ hier noch überboten wird.
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Magdeburg, 23. Jan.
Unter diesem Datum bringt die „Aachener Zeitung“ folgenden Bericht:
„Nach brieflicher Mittheilung aus den kleinern Städten unserer Provinz sucht man fast überall die demokratische Partei ihrer Führer entweder im Wege der Versetzung, wenn es Beamte sind, oder
im Wege der Verhaftung, wenn ihnen nicht anders beizukommen, zu berauben. Man glaubt, diese Führer für die Wahlen unschädlich und diese alsdann durch den Terrorismus für die Regierung günstig zu
machen. Ein solches Manöver ist in Tangermünde, wie ich Ihnen schrieb, verunglückt; in Hettstadt am Harz hat man den Oberlandesgerichtsassessor Koch, Präsidenten des dortigen Volksvereins, nach
Stendal versetzt und den dortigen Thierarzt nach Sangerhausen abgeführt. Ohne Urtheilsspruch ist der Letztere durch den Bürgermeister, Gensd'armen und Feldhüter in seiner Wohnung verhaftet,
Schränke, Kisten, Kammern sind durchsucht, Schriften, Briefe, selbst solche, die Familiengeheimnisse enthalten, sind mitgenommen. Dem Thierarzt selbst gönnt man noch nicht so viel Zeit, seine
Geschäfte zu ordnen; man wirft ihn in einen offnen Wagen, und so geht's fort im Winter nach Sangerhausen! Sind dies die Errungenschaften des März? — In der Umgegend von Wackersleben,
einem Dorfe im Neuhalderslebener Kreise, wo die Demokratie zum großen Aerger des Landrathes tiefe Wurzeln gefaßt hat, entblödet man sich nicht, der Habeas-Corpus-Akte zum Trotz, alle demokratisch
gesinnten Männer, die in den dort fleißig gehaltenen Volksversammlungen gesprochen haben, durch Gensd'armen verhaften zu lassen. In Folge dessen soll dort eine große Gährung unter den Bauern
herrschen. — Mit solchen Angriffen indeß begnügt sich die reaktionäre Partei noch nicht. Am 20. d. M. ist auf ihr Anstiften ein Mordversuch auf den Abgeordneten und Schriftführer der
aufgelösten Nationalversammlung, Bürgermeister Schneider, gemacht worden. Derselbe war zu einer Versammlung in Aken gereist, um dort zu sprechen. Kaum hat er die Tribüne betreten, als er
heruntergerissen, in den Haaren des Kopfes und Bartes zerzaust und mit starken Knütteln zu Boden geschlagen wird. Den betäubten und mit Blut überströmten Mann suchten einige Besonnene vor der Wuth der
gedungenen brutalen Schaar dadurch zu retten, daß sie eine Nebenthür einstoßen, da die Hauptthür von den Wütherichen besetzt ist. Jetzt kehrt sich deren Brutalität gegen einen der Retter, der
Aehnlichkeit mit Schneider hat. Kein Betheuern, er sei Schneider nicht, hilft, er wird zu Boden geschmettert und noch ärger behandelt als jener. Man wendet nun die Wuth gegen den unschuldigen Wirth,
einen Greis, der mißhandelt wird, weil er nicht angeben will oder kann, wohin Schneider geflüchtet. Die Wuth hat endlich das ihr bezeichnete Ziel verloren; es beruhigt sich die Leidenschaft; man kommt
zum Bewußtsein des begangenen Unrechts. Da erwacht die Wuth auf's neue, sich gar doppelt kehrend gegen die Anstifter dieser Gräuelscenen. Einem nach dem Andern von diesen dringt die etwa 40
Mann starke Rotte in's Haus, zerschlägt und zerstört, was drinnen zu finden, zerbricht Thüren und Fenster. Auf diesem Rachezuge kommt sie Nachts um 11 Uhr auch vor die Wohnung eines der
dortigen Förster. Dieser ruft ihnen entgegen, daß sie zum Unrechten kämen und droht mit Anwendung seiner sieben geladenen Büchsen. Man verlacht die Drohung und dringt vor. Da schießt der Förster und
seine Burschen hinein in den Haufen, es fallen Einige, die Andern weichen erst bestürzt zurück, dann aber dringen sie in's Haus, treiben den Förster in die Flucht und demoliren das ganze Haus.
Schneider will in der Nacht mit der Post nach Schönebeck fahren; aber selbst diese hält man nicht für sicher und fürchtet einen Ueberfall, da noch kurz zuvor ein namhafter Bürger Aken's unter
der Maske der Theilnahme zu Schneider in sein Versteck hat zu dringen gesucht, um ihm mit vier seiner hinter ihm verborgenen Spießgesellen vielleicht noch das Garaus zu machen. Erst am Morgen früh
gelingt es ihm, durch den Beistand guter Bürger nach dem Bahnhof in Köthen und mit dem ersten Eisenbahnzug nach Schönebeck zu entkommen. — Die Nachricht von diesen Vorfällen hat sich heute
Nachmittag hier in Magdeburg in den verschiedensten Versammlungen schnell verbreitet und die Gemüther in eine sehr gereizte Stimmung gesetzt.“
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@facs | 1124 |
[
43
] München, 22. Jan.
Heute eröffnete der Reichs-Max die Kammern mit einer Thronrede, die sich nicht einmal durch die Stelle auszeichnet, wo der Reichs-Max versichert: „Recht und gesetzmäßige Freiheit soll
herrschen im Gebiete des Staats, wie der Kirche;“ auch nicht durch die andere Passage, wo er versichert: „die ertheilten Verheißungen treu und gewissenhaft erfüllt zu haben.“ Denn
daß Unverschämtheit im Lügen eben so zu Thronrereden gehört, wie das Klimpern zum Handwerk: das ist eine bekannte konstitutionelle Erfahrung. Schließlich wird des „Allmächtigen schirmende
Hand“ angerufen, die sich bei den hohen Herrschaften „von Gottes Gnaden“ in so und so viel, leider nicht vom „Allmächtigen“, sondern aus den Taschen des Volks
bezahlte Kanonen, Bajonette, Pickelhauben, Gensd'armen, Pfaffen etc. offenbart!
[1125]
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Gotha, 22. Jan.
In der heutigen Sitzung der Abgeordneten-Versammlung wurden so viele gewichtige Stimmen, die ein Antrag des Abg. Brückner geweckt hatte, gegen Preußen laut, daß man daraus die eigentliche Stimmung
des Volks, welches nur geringe Sympathien für Preußen hegt, unläugbar erkennen konnte. Es sind nämlich, wie schon berichtet, Unterhandlungen im Werke, welche die thüringischen Staaten und das
Königreich Sachsen zu einem Reichskreise, jedoch mit ungefährdeter Selbstständigkeit der einzelnen Länder, vereinigen sollen. In Bezug darauf wurde heute beantragt, an die herzogl. Staatsregierung die
Erklärung abzugeben, daß sie die Selbstständigkeit unsers Landes zu erhalten sich bemühen solle, soweit dieselbe in Rücksicht auf Deutschlands Einheit und auf solche Verwaltungszweige, deren
Durchführung das Herzogthum Gotha nicht füglich verwirklichen könne, keine nothwendige Beschränkung erleiden müsse, daß aber in Bezug auf solche gemeinsame Einrichtungen nicht eine Verbindung mit den
übrigen thüringischen Staaten und dem Königreiche Sachsen, sondern vielmehr mit dem benachbarten Preußen eingegangen werde. Diese Ansicht fand jedoch vielseitigen Widerspruch. Der Abg. Henneberg
sprach sich überhaupt für Mediatisirung der kleinern Staaten aus; der Abg. Ritz erklärte sich entschieden über reaktionäre Tendenzen der preußischen Krone; und als der Abg. Schwerdt in die Worte
ausbrach: „Wenn wir einmal nicht mehr auf eignen Füßen stehen können, so wollen wir uns lieber unter den sächsischen Rautenkranz als unter die Fänge des preußischen Adlers flüchten!“ da
wurde selbst unter der sonst schweigsamen Zuhörerschaft eine so beifällige Bewegung laut, daß man wohl daraus schließen darf, es würden nicht einmal materielle Vortheile, welche ein Anschluß unseres
Herzogthums an Preußen gewähren dürfte, den Widerwillen gegen Preußens Politik, der sich in dem Herzen des Volks festgenistet, aufwiegen können. Darum lasse sich durch die Stimmen, welche auch aus
Thüringen für Preußens Hegemonie laut geworden sind, Niemand täuschen. Sie sind entweder von der politischen Rathlosigkeit der Gegenwart oder von engherzigen Interessen dictirt.
[(D. A.
Z.)]
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*
] Kremsier, 19. Jan.
In der heutigen Sitzung des Reichstags wurde eine von 46 gallizischen Abgeordneten unterstützte Interpellation durch Machalski verlesen. Sie enthält folgende 4 Punkte:
1) Welche Schritte hat das Ministerium Sr. Maj. eingeleitet, damit die Urheber des Unglücks, welches der Stadt Lemberg und ihren Einwohnern durch das Bombardement zugekommen ist, zur Verantwortung
gezogen werden?
2) Welche dermaligen Verhältnisse Galiziens sind es, die den Commandirenden Frhrn. v. Hammerstein und den Landesgouverneur Zalewsky bewogen haben, über die drei Gebiete des Landes in einer
Ausdehnung von 1500 Quadratmeilen, und über die Bevölkerung von 5 Mill. Einwohnern die Suspension aller constitutionellen Freiheiten, den Kriegszustand und alle Schrecken des Stand- und Kriegsrechts
zu verhängen?
3) Sind die Zustände in Galizien von der Art, daß sie die allgemeine, unbedingte Entwaffnung des Landes, selbst derjenigen Theile desselben gebieterisch verlangen, die wegen ihrer Lage, längs der
Grenze des Königreichs Polen und Rußlands in den gebirgigen und waldigen Gegenden des Landes auf einzeln stehenden Gehöften und Meierhöfen durch die Entwaffnung jedes Schutzes gegen gefährliche
Landstreicher und wilde Thiere, die in dieser Jahreszeit in jenen Gegenden in Fülle vorkommen, beraubt sind?
4) Haben die Gefahren für den Staat in Galizien die Höhe erreicht, daß sie die gänzliche, ausnahmslose Unterdrückung der Preßfreiheit und andere Ausnahmeverordnungen, welche wegen ihrer
unbestimmten, der vielseitigsten Deutung fähigen Fassung Decrete des französischen Convents in Erinnerung bringen, erfordern?
Von sämmtlichen Ministern war heute keiner zu sehen; sie hatten sich am frühen Morgen nach Olmütz begeben.
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*
] Kremsier, 20. Jan.
Der Reichstag hatte auf der heutigen Tagesordnung die Präsidentenwahl stehen. Nach 3 maliger Abstimmung wurde Smolka, Kandidat der Linken, mit 201 Stimmen ernannt, während sein
Gegenkandidat Strobach nur 104 Stimmen erhielt. So hat denn die Linke ihren Präsidenten wieder durchgesetzt, der in den Wiener Oktobertagen die Glocke führte. Bei der Wahl der beiden
Vizepräsidenten siegte die Linke gleichfalls, indem sie Hein (Troppau) und Prettis (ital. Tirol) gegen resp. einen Tschechen und einen Ruthenen durchsetzte.
Französische Republik.
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12
] Paris, 23. Jan.
Wäre es nur, um die Partei des National ein- für allemal zu stürzen, so müßte man schon aus diesem Grunde wünschen, daß die Nationalversammlung aufgelöst werde. Wer ist wieder Schuld, daß die
Angeklagten vom 15. Mai vor ein exceptionelles Gericht, vor den sogenannten hohen Gerichtshof gestellt werden? Anders keiner als der National. Der National haßt die Partei des Napoleon, er haßt die
Partei Thiers, Molé, er haßt die Orleanisten und Bourbonen und Kaiserlichen — das begreift sich; er haßt die Montagne und die Partei Ledru-Rollins, dagegen läßt sich nichts einwenden. Daß er
aber, zwischen dem Hasse beider Parteien getheilt, sich zur erstern schlug, als es galt, die Freunde der letzteren in Anklagezustand zu setzen, daß er dem Ministerium Recht gab in seinen
exceptionellen Maßregeln, und dadurch die ihm bei der Vertheidigung der jetzigen Kammer Verbündeten in dem Stich ließ, daß er mit einem Worte die gewöhnlichen Geschwornen nicht zulänglich fand für die
Bestrafung des Attentats vom 15. Mai, das läßt sich kaum begreifen, wenn man bedenkt, daß die Gefahr, welche dem National von Seiten des Ministeriums droht, weit größer ist, als die, welche ihm am 15.
Mai bevorstand.
Als unter der Herrschaft Guizots die geheimen Gesellschaften sich über die Maßregeln besprachen, welche man im Falle eines glücklichen Ereignisses vor allen zu nehmen habe, da soll Ledru-Rollin
ohne Zaudern geantwortet haben: Hängt die Kammer. — „Die ganze Kammer, ohne Ausnahme?“ — „Ja, ohne eine einzige Ausnahme, alle, mich mitbegriffen.“
Als am 15. Mai die Proletarier in die neue republikanische Kammer drangen, und die alten Männer der Bourgeoisie erblickten, da ergriff sie eine Wuth, die unbeschreiblich. Es waren ihrer über
200,000 Mann, sie waren siegreich und die Kammer war in ihren Händen. Die Partei des National war damals diejenige, die am zahlreichsten sich vertreten fand. Aber die Partei des National hatte noch
keinen Cavaignac und sie beherrschte die Partei Thiers-Mole-Barrot durch die Neuheit möchte man sagen, durch die Namen der Republik, hinter welcher man Republikaner aller Art als Vertheidiger wähnte.
Der Angriff am 15. Mai scheiterte nicht an den Feinden, sondern an den Freunden, die sich innerhalb der Kammer befanden.
Statt die Kammer faktisch aufzuheben, begnügte man sich, sie aufzulösen. Nach zwei Stunden war sie wieder zusammen, und der National konnte es der Montagne nie verzeihen, daß sie Männer hatte,
welche mit seinen Feinden fraternisirten. Als am 10. Dezbr. Napoleon zum Präsidenten proklamirt und die ganze Partei des National mit einem Schlage aus dem Sattel gehoben wurde, da wurde sie durch ihr
gemeinsames Schicksal mit der Partei der Reform dieser Partei wieder zugeführt, und „National und Reforme“ bekämpften gemeinsam den Entwurf zur Auflösung der konstituirenden Versammlung.
Kaum aber kommt eine Maßregel zur Sprache, die vielleicht den frühern Feinden des National einigen Vorschub leisten könnte, so tritt diese Partei zurück, und wirft sich ihren Todfeinden in die Arme.
Gewiß, es bleibt nichts anders übrig, als die Auflösung der Kammer.
Der National hat dieselbe beschleunigt, und es ist unmöglich, daß die Organe der Montagne länger noch eine Kammer beschützen können, die ganz zu denselben exceptionellen Maßregeln ihre Zuflucht
nimmt, wie die Kammern zur Zeit der beiden Bourbonen. Bedenkt man nun noch, daß die Anordnung des Gerichtshofes nach der Vollbringung des Verbrechens stattfand, daß man so dem Gesetze eine
rückwirkende Kraft beilegt, so muß man sich freuen, daß durch den Beschluß dem Proletariat die Gelegenheit geboten ward, seine letzten Illusionen über die Kammer zu verlieren. Was nun den hohen
Gerichtshof selbst anbetrifft, wie er von der Kammer beschlossen worden, so kann derselbe nicht mehr Empörung hervorrufen, als die Kriegsgerichte, die noch beständig gegen die Juni-Insurgenten
funktioniren. In dieser Hinsicht hat Odilon-Barrot ganz Recht. Die Kammer war von ihrem Beginne an eine Bourgeoiskammer, und ihre revolutionären Anfälle betrafen nur die Fragen über ihre eigene
Existenz.
Der hohe Gerichtshof soll in Bourges zusammenkommen. Der hohe Gerichtshof, wo der Prozeß Baboeuf's verhandelt wurde, hatte seinen Sitz zu Vendôme.
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12
] Paris, 24. Januar.
Wie die Sachen jetzt stehen, können sie nicht fortbestehn: darüber sind alle Parteien einig. So ein gänzliches Stillstehn in der „Regierungsmaschine“ ist noch nicht vorgekommen. Alles
ist gelähmt, und die öffentliche Macht ist so ohnmächtig geworden, daß man sie über Nacht überrumpeln kann: d. h. man kann vom Abend bis Morgen sich träumen lassen, Napoleon, Louis Philipp oder
Heinrich V zu sein. Die Republik mit ihrem Präsidenten, Ministerium und ihrer Kammer hat sich festgefahren, und der erste beste, der Hand an sie legt, hat sie: ob er sie behalten wird, das ist eine
andere Frage. Die Franzosen sind so weit gekommen, daß sie recht gut einsehn, wie wenig in diesem Augenblick eine Regierungsform, die mit verschollenen Namen heranrückt, etwas ausrichten kann. Sie
lachen daher über die verschiedenen Parteien, die mit ihren Götzen heranrücken. Es handelt sich um einen Klassenkampf; es steht ein Kampf bevor zwischen dem vereinigten Proletariate und den
zersplitterten Bourgeoispartrien: je mehr sich letztere daher zersplittern, desto besser. Am 24. Februar ist das Jahresfest der Republik, wie soll das Jahresfest gefeiert werden? Durch die Wittwen mit
ihren Waisen! antworten die Einen! Nein, antworten die Andern, ich lasse meinen Burschen kommen; der muß daran; er hat länger gewartet als Eure Knäblein. Während so die Parteien ganz offen ihr Spiel
treiben, rückt das Jahresfest der Revolution immer näher heran. Das Jahresfest der Revolution ist nicht die Verjährung der Revolution, wohl aber die Verjährung der Republik, d. h. der honetten
Republik, der Bourgeois-Republik, der Republik, die aus Verzweiflung sich festgefahren hat in Napoleon. Louis Napoleon ist das Ende der Bourgeois-Republik: er war die letzte Vertröstung der
„Confiance“, des Credits, und mit ihm stürzt Alles, was noch an Dynastie, an Personen erinnert, möge es Namen haben: Orleans oder Henri V.
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17
] Paris, 24. Jan.
Die neugestiftete Societät „der Freunde des demokratischen Polens“ hat an die, als korrespondirende Mitglieder derselben kürzlich beigetretene Kommission des deutschen pariser
Vereins, Folgendes in französischer Sprache erlassen:
„Meine Herren von der Kommission! Ich habe Ihre Zuschrift erhalten, worin Sie Ihr Beitreten anzeigen. Ich eile, Ihnen in meinem und aller Polenfreunde Namen unsre Erkenntlichkeit öffentlich
darzulegen für die Unterstützung, die Sie hiermit uns anbieten. Dies abermalige Unterpfand der Verbrüderung wird seine guten Früchte tragen. Ihr freiwilliges Beitreten und das gemeinsame
wohlverstandene Interesse stellen dafür sichere Gewähr. Als korrespondirende Mitglieder können Sie nunmehr ungemein viel wirken, um die Bande der Sympathie beider Nachbarvölker, des deutschen und des
polnischen, fest und immer fester zu schlingen. Der gemeinschaftliche Erbfeind bemüht sich, dieses Band fortwährend zu lockern, aber Sie, meine Herren, können fortan viel zum Bekämpfen des Zwistes und
Zwiespalts beitragen, den die gegen die wahre Völkerentwicklung verschwornen Zwingherrn im Norden unaufhörlich zwischen beiden Nationen zu erregen trachten, natürlich in keiner andern Absicht, als um
jede derselben desto bequemer knechten zu können. Endlich wird es Ihnen, meine Herren, auch möglich werden, die zwei Gespenster zu bannen, die man den Panslavismus und den Pangermanismus nennt; diese
zwei Gespenster, die von den Tyrannen heraufbeschworen und als Schreckgebilde zwischen die germanische und slavische Völkerfamilie gepflanzt wurden, zu dem alleinigen Zweck, das Annähern beider zu
verhüten und eine durch die andere zu tyrannisiren. Deutschlands Volk hat noch nicht jene Schuld vergessen, die abzutragen seit der Befreiung Wiens vom Türkenjoche durch polnische Säbel, ihm auferlegt
worden ist. Das deutsche Volk hat stets die Zerreißungen Polens als eine Schmach, als einen Frevel betrachtet. Sobald folglich das deutsche Volk freie Stimme fühlte, sprach es dies frank und frei aus
vor aller Welt. Seither ist Deutschland freilich wieder hinabgestiegen, aber alle andern auch. Dieselbe Hand, die die polnischen Demokraten schlug, hat Robert Blum und Messenhauser und so viele
sonstige deutsche Demokraten erwürgt. Gemeinsamkeit im Leiden, Gemeinsamkeit im Märtyrerthum sichert dem polnischen und dem deutschen Volke eine gemeinsame Befreiung. Was die Zwingmeister lösen und
trennen, das zu binden und zu verschmelzen ist die heilige Aufgabe der Demokratie. Gruß und Brüderschaft: V.
Chauffour, Volksvertreter, Sekretär des Büreaus der Societät der Freunde des
demokratischen Polens.“ Wie gefällt das der Neupreußischen Galgenzeitung? Die französischen frivolen Blätter verhöhnen sie jämmerlich; der Constituant de Toulouse gab neulich einen Bericht über
das Spitzbubenblättchen zu Potsdam: „Die Herren vom schwarzen Adler im Sande an der Spree wollen offenbar den Champagnerfeldzug von 1792 wiederholen; komisch dabei ist sehr vielerlei, darunter
auch, daß der erhabene Monarch, der gegen unsre jugendliche Freiheit damals das Schwert zog und die Schaaren seiner tapfern, aber unaufgeklärten, gefuchtelten, in krankmachende Uniformen gepreßte
Krieger gegen das freie Volk Frankreichs trieb, ein Champagnerfreund und heitrer, aber frommer Prinz war, und trotzdem,
[1126]
oder vielleicht just deswegen, in der Champagne radikal geschlagen ward von unsern republikanischen Kanonen und von der Ruhr. Sollte nicht heute ein Gleiches geschehen, zumal so manche andere
Aehnlichkeiten dabei sich dem unbefangensten Auge darbieten? Wir französische Volksfreunde wissen wohl, daß unsre einheimischen Volksfeinde, die Aristokraten, Büreaukraten und Finanziers, die 274,000
Frankreich aussaugenden reichen mächtigen Herrn schamlos genug sind, auf potsdamer Hülfleistungen zu rechnen; die Schamlosen haben 1813 und 15 mit den Kosakenoffizieren getanzt und mit den
rothröckigen Engländern Spazierritte gemacht, und auf den Vater des jetzigen Königs von Preußen Loblieder gesungen im Theater und auf den Boulevards. Eine Schloßdame in unsrer Provinz, deren
Familiennamen wir aus Respekt heute noch verhehlen wollen, hat sogar vor 8 Tagen mehrmals gefragt:
wann kommen denn die Kosaken uns von diesen Kanaillen von Republikanern zu befreien? Wir
können dieses ruchlose Wort beschwören, viele Zeugen hörten es. Es beweist uns, daß diese Bande, bestehend aus Junkern, volksverdummenden Priestern und Goldmachern, seit 1815 nichts lernte, nichts
vergaß. Es beweist, daß die Töchter dieser Bande noch heute kapabel sind, kosakisch zu walzen, und die Zierbengel dieser Bande kosakisch sich zu frisiren. Den reaktionären französischen Journalen, dem
Kosakenbruder „Constitutionnell,“ dem Jellachichfreunde „Journal des Debats“ geben wir völlig Recht, wenn sie behaupten, die Demokraten erkennten die geographischen und
ethnographischen und sprachlichen sogenannten Nationalgränzen alten Styls nicht an; bei Gott, uns stehen Wiens, Berlins Demokraten näher als die Guizotiner und Anhänger eines Adolph Thiers. Aber wir
wollen hinzusetzen, daß diese trefflichen Herren Aristokraten uns längst das leuchtendste Exempel darin gaben, und nur die den Demokraten eigene Unbehülflichkeit, Zerstreutheit, Verkehrtheit und
Albernheit hinderte uns bisher es zu verfolgen. Die Kaste, welche 1815 die Fonds um 3 Franken, auf die Nachricht der Waterlover Niederlage, an der pariser Börse in die Höhe jagte, ist wahrlich nichts
anderes als die
petersburger Kabinetspartei, als die Clique der
Neupreußischen Zeitung, als die Bande vom
Oesterreichischen Lloyd und der
Wiener Zeitung; weiter rein gar
nichts. Wir französische Demokraten erkennen demnach
diese Franzosen unmöglich als Landsleute an.“
In Paris erschien die erste Nummer des „Republicain rouge“ von Gally und Danin, aus Geldmangel noch monatlich. „Wenn wir nicht die rothe Republik bekommen, so kommen die
Kosaken zu uns, sagt es. Nur der Blinde, oder der im Trüben fischende kann noch leugnen, daß in Paris und im Ausland uns eine dritte Invasion durch die Barbarenhorden des Nikolaus und seiner
östreichischen wie preußischen Vasallen zubereitet wird. Geht der Krieg noch nicht los, so liegt das lediglich an den feigsten, hündischsten Speichelleckereien unserer Regierung gegenüber den
verschwornen Tyrannen des Auslands, oder gar an einer Art monströser Allianz zwischen unserer Regierung und jenen, deren Zweck natürlich nur wäre, den Geist der Revolution zu ertödten, ihn, der den
gekrönten Häuptern nicht Ruhe noch Rast läßt. Uebrigens im Fall dieses Krieges ändert sich Alles; die Weißen wie die Rothen könnten alsdann verdammt leicht den Hieben der Knute und der
Fuchtel ausgesetzt werden, sie thun also gut, in diesem Fall das Ruder in tapfere, kühne Hände zu verlegen. Ihr Bourgeois Frankreichs, ihr betet den Louis Philipp zurück, ihr träumt Tag und Nacht von
einem recht glänzenden Throne, aber wisset, die Kroaten und Kosaken, wenn sie erst durch euer Zuthun in unser Vaterland eingefallen sind, werden weniger als die Februartriumphirer eure Schätze und
Besitzthümer hochachten; desgleichen eure Familien. Nur durch uns, die echten, rothen Republikaner könnte ein Krieg zum Heil Frankreichs ausschlagen.“
Dies Blatt sagt ferner: „Endlich scheinen die Republikaner aufzuwachen; ein Komplott, welches einen zweiten 15. Mai machen und das Königthum herstellen sollte, ist im Gange, und so haben
denn die Sektionen und Untersektionen sich wieder zusammen rufen lassen; in diesen Sektionen stehen 60,000 schlagfertige Republikaner und die sind wohl 240,000 werth.“ In der That kommen morgen
die Chefs der provinzialen royalistischen Verschwörer (Henricinquisten und Orleanisten verschmolzen) nach Paris, um sich die Sachen anzusehen, und von dem Verein der Straße Duphot Instruktionen zu
empfangen. Die Polizei ist in Kenntniß, steckt aber offenbar zum Theil unter derselben Decke. Die rothen Republikaner sollten mal probiren, sich in Paris zu versammeln, und bald würde die Polizei
dreinwettern. Der Duphotsche Verein ist sehr vornehm, mit Frack und weißen Handschuhen; seltsam genug dem scharlachrothen Klublokal Valentino gegenüber, und dicht neben Robespierres Hause. Kommt es
zum Klappen, so kann im Nu die socialdemokratische Guillotine aufgepflanzt werden. Der Zorn des geplünderten Volkes gegen seine reichen Plünderer ist im Steigen; die Hausherren z. B. pfänden jetzt mit
zitternder Tollwuth die nicht zahlen könnenden Miether, und obschon sie meist, wie der Herr, der am letzten Donnerstag im Hotel Büllion (Lokal der Versteigerungen) statt 182 Fr. 70 Cent. baar
einzulösen, 189 Fr. Versteigerungskosten zu zahlen hatte, nichts oder wenig herausschlagen, so wüthen sie doch gegen die Zahlungsunfähigen. Im legitimistischen Faubourg St. Germain läßt ein solches
Subjekt, im Besitz von 100,000 Fr. Rente jährlich, sein schönes Haus schon zwei Jahre durch leer stehen, denn lieber sei ihm gar keiner als ein schlechter Zahler. Die Miethen sind fortwährend hoch;
die Hausbesitzer müssen noch anders gedemüthigt werden, wenn sie die Preise erniedrigen sollen. Der allgemeine Bankerutt scheint freilich unverhütbarer als je.
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Paris, 24. Januar.
Als Lherminier gestern Mittag seinen Cursus über vergleichende Gesetzgebung nach langjähriger Pause wieder eröffnen wollte, begann eine widerspenstige Minorität (wie sich die Debats ausdrücken) zu
zischen und zu pfeifen. Man schrie auch wohl: Nieder mit dem Jesuitengünstling! — Lherminier, Ruhe affektirend, wollte fortfahren. Aber da stimmten die hinteren erhöhten Bänke die Marseillaise
an und der Tumult brach los. Vergebens trat der Republikaner und Universitätsadministrator Barthelemy in den Saal, und hielt, von heiliger Schaar umgeben, eine Rede zur Versöhnung. Es nützte dies
nichts und Herr Lherminier mußte abtreten. Darauf wurde Alles wieder ruhig.
Dieser Krawall wäre also eine erste Folge des Fallour-Montalembertschen Reorganisations-Systems à la Thiers und Guizot!
— Die Collekten des „Oeuvre des heiligen Petrus“ (für den Pabst) fallen sehr mager aus, nur die hohe Clerisei steuert sehr fleißig.
— Unter dem Pariser Proletariat gehen jetzt Protestationen gegen den National-Pairshof in Bourges von Hand zu Hand und finden zahlreiche Unterschriften. Auch gegen Aufhebung der
Nationalversammlung wird stark petitionirt. Welcher Umschwung seit dem 15. Mai!
— Seit der Februarrevolution wurde so manches große Etablissement nicht nur wegen der allgemeinen Handelsstockung seinem Ruine nahe geführt, sondern auch, weil die Arbeiter ihre Ansprüche
erhöhten und die thätigsten Etablissements entvölkerten, sobald sie sich ihren Forderungen widersetzten. Die Aufmerksamkeit der Behörden richtet sich deshalb hauptsächlich auf die Entdeckung
derjenigen Mittel, welche dazu gehören, um die arbeitsunlustigen Arbeiter zu ernähren. Es ist ihr gelungen, ihren in den meisten Fällen geheimen Assoziationen auf die Spur zu kommen, welche Beiträge
in guten Zeiten für dergleichen Zwecke sammeln und sie dann bei allgemeinen Arbeitseinstellungen vertheilen. Es ist ferner entdeckt worden, daß die Arbeitseinstellungen nur dann eintreten, wenn sich
die gehörigen Fonds in jenen Sinekurenkassen befinden. Dieser Fall war es auch bei den Lichtfabriken, die jetzt verödet sind, weil sich ihre Arbeiter gleich den Bäckergesellen in Grêve gelegt haben.
Aber die Gerichtsbehörden haben beschlossen, diesem Unfug ein Ende zu machen und gestern die drei Chefs der Lichtfabrikgesellen, nebst allen Papieren, Büchern und einem bedeutenden Kassenbestande
verhaften lassen. (Gazette des Tribuneaux vom 24.)
— Der National gibt eine gar erbauliche Szene zwischen Thiers und Cousin, die sich im Schoße der Fallour'schen Unterrichts-Commission zutrug, seinen Lesern zum Besten. Es handelte
sich in der betreffenden Sitzung um Feststellung des Kostenpunkts des Volksunterrichts, der bisher in Frankreich so schmählich honorirt wurde, daß die meisten Schulmeister noch nebenbei die
Dorfschneiderei oder Gemeindeschlächterei, wenn nicht noch Mühevolleres treiben mußten, um sich und die Ihrigen zu ernähren. Cousin beantragte Erhöhung aller Primar-Gehalte und Gratisertheilung des
Unterrichts für die Kinder, Abschaffung der Privatschulpfennigs etc.
Thiers aber erklärte, daß Frankreich nicht so reich sei, um allem Volksgesindel freie Schulen zu gewähren … „Herr Thiers — unterbrach ihn Cousin — es dauert mich, Sie an
etwas erinnern zu müssen; aber Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie auf Staatskosten erzogen wurden. Sie waren ein Freischüler (Vous avez été boursier). Ich bin dem Staate denselben Dank
schuldig und werde dies nie vergessen. Wäre Frankreich nicht reich genug gewesen, die Kosten unserer Erziehung zu tragen, so wären weder Sie noch ich dorthin gekommen, wo wir eben stehn.“
Thiers antwortete keine Sylbe.
— Da weder Bonaparte noch seine Minister die Klubs gesetzlich schließen wollen, so nahm bisher die Polizei zu allerlei bewährten Privatpülverchen ihre Zuflucht; sie steckte sich
hinter die Wirthe, die ihre Sääle schlossen, oder schickte Kravallisten und Quärulanten in die Sitzungssäle und wie sonst die Mittel heißen. Diese Verfolgungssucht veranlaßte die Arbeiter, sich unter
Leitung des Dr. Bonnard einen großen Saal mit nöthigen Nebenzimmern selbst zu bauen. Derselbe liegt in der Rue Martel (Faubourg St. Denis) und wurde am Sonntage, dem Hinrichtungstage Ludwig XVI.,
eingeweiht. Es finden daselbst jeden Abend Sitzungen von verschiedenen Klubs statt, in denen Bonnard, Herve, Bernard etc. über Tagesereignisse und ökonomische Reformen, abwechselnd Vorträge halten.
Seit gestern hat sich ein dritter Kreis gebildet, der daselbst ebenfalls seine Sitzungen halten wird, nämlich die Reunion des Montagnards will dort jeden Montag und Donnerstag Abend 8 Uhr öffentliche
Diskussionen beginnen. Das ist der erste vernünftige Entschluß, den unsere schlaffe Bergpartei seit langer Zeit faßte.
— Der Moniteur bringt die näheren Beschlüsse rücksichtlich der großen Gewerbe-Ausstellung.
Es ist dies die 11. große Gewerbe-Ausstellung, welche Frankreich veranstaltet. Die erste geschah 1798; die zweite 1801; die dritte 1802; die vierte 1806; die fünfte 1819; die sechste 1823; die
siebente 1827; die achte 1834; die neunte 1839 und die zehnte 1844. Auch diese Schöpfung ist revolutionären Ursprungs.
— Rücksichtlich der Rüstungen in Toulon schreibt der dortige meist gut unterrichtete Correspondent an die Pariser „Republique“ vom 23.:
„Es bestätigt sich immer mehr, daß es die Regierung niemals ernstlich auf eine Intervention zu Gunsten des Pabstes absah. Die Ausrüstung der sämmtlichen Dampfschiffe scheint lediglich zum
Zweck zu haben, die Rekruten für die algierischen Regimenter nach Afrika und vice versa zu führen.“
— In Bourges werden bereits Anstalten getroffen, den für die Maigefangenen gestern dekretirten Nationalgerichtshof nebst seinen Opfern zu empfangen. Der Nationalgerichtshof tritt binnen 40
Tagen zusammen.
— Auf dem Börsenplatz bildeten sich seit gestern und heute während der Börsenzeit zahlreiche Arbeitergruppen. Auf einen Befehl des Präfekten sind diese Gruppen untersagt worden, und die
Gardiens trieben heute dieselben auseinander. Es sind meist feiernde Handwerker und einflußreiche Klubbisten, wie sich der Millionär Galignani ausdrückt.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 24. Januar. Anfang 2 Uhr. Präsident Marrast.
Larochejaquelin macht Ausstellungen gegen das Protokoll. Ebenso erläutert er das gestrige Votum rücksichtlich der in Betrachtziehung des Billaultschen Antrags, so wie des Antrags der
Bergpartei, einem Ausschuß von 80 Gliedern den Büdgetentwurf vorzulegen.
Gent sagt, die Absicht unsers Antrags geht lediglich dahin, das Büdget vorher prüfen zu lassen.
Deslongrais scheint das nicht zu theilen. Es scheine vielmehr, als wollten die Antragsteller das Büdget selbst etabliren; sie fürchten, das Cabinet möchte der Nationalversammlung das Büdget
entziehen.
Glais Bizoin ergänzt: Alles, was wir verlangen, besteht darin, das Büdget auf der Tagesordnung zu sehen. Hierin liegt unsere Ehre.
Nach Erledigung dieses Büdgetsstreits beginnt ein Petitionskrieg.
Bugeaud, der noch nicht den Mund öffnete, überreicht unter ungeheurem Gelächter des Berges eine mit 7500 Unterschriften bedeckte Petition der Charente Inférieure für die baldige
Einberufung der Legislativversammlung.
Charencay, Glais-Bizoin und mehrere andere Repräsentanten überreichen ebenfalls Bittschriften bald für, bald gegen die Nationalversammlung. Jeder begleitet sie mit einer Rede, die bald
Widerwillen, bald Beifall hervorruft.
Marrast: Nach dem Reglement müssen die Bittschriften ohne Commentar auf den Büreautisch gelegt werden. (Agitation.)
Clement Thomas unterstützt diese Erklärung. Aber in seiner üblich baroken und trotzigen Weise. Wollen sie Krieg haben, ruft er, wohlan, wir nehmen ihn an.
Berard: Das Petitionsrecht ist heilig. Hr. Thomas selbst profitirt in anderer Lage davon sehr ausgedehnt.
Mornay protestirt ziemlich schneidend gegen Marrast's Verwahrung. Die Petitionen seien nicht an ihn, sondern an die Versammlung gerichtet. Man dürfe sie also mit einigen Worten
begleiten.
Lempereur gibt seine Demission.
Mehrere Städte und Departements erhalten hiernächst die Erlaubniß zu Uebersteurung Behufs Beschäftigung ihres Proletariats.
Fould legt seinen Bericht über Restitution der 45 Centimensteuer nieder.
Die Versammlung nimmt dagegen die Debatte über Bildung des neuen Staatsrathes (bei Artikel XI) wieder auf.
Artikel XI: „Vor definitiver Bildung des Staatsrathes in Gemäsheit des Art. 72 der Verfassung, bestimmt die Nationalversammlung in ihren Abtheilungen je 2 Commissare per Abtheilung, welche
die Liste der Kandidaten vorschlagen. Diese Liste muß die vorgeschriebene Gliederzahl in alphabetischer Ordnung enthalten.“
Zwischen Brunet, Bauchart, Besnard, Tronchant entwickelt sich eine uninteressante Debatte, nach welcher der Artikel fast ebenso durchgeht.
Artikel XII.: „Die Wahl der Glieder kann nicht früher als drei Tage nach Veröffentlichung der Liste geschehen. In dieselbe können auch Kandidaten außerhalb obiger
National-Versammlungs-Kommission aufgenommen werden.“
Ohne Debatte angenommen.
Artikel XIII.: „Die Hälfte der Kandidaten kann bei der ersten Bildung und spätern Ernennung zur Hälfte aus den Gliedern der National-Versammlung genommen werden
Geht auch nach einigen Charmaule'schen Nebenanträgen durch.
Artikel XIV.: „Stirbt oder dankt ein Glied ab, so hat die National-Versammlung binnen Monatsfrist die Vakanz zu ersetzen.“
Angenommen.
Titel 3. „Von den Beamten handelnd, welche dem Staatsrathe beigegeben sind,“ wird nun vorgenommen.
Artikel XV.: „Dem Staatsrath ist beizugeben: 1) Ein Generalkommissarius der Republik; 2) 24 Requètenmeister; 3) 24 Auditoren; 4) Ein Generalsekretair; 5) Ein Sekretair für die contentiösen
Angelegenheiten.
Wird nach einigen Bemerkungen angenommen.
Die Artikel XVI., XVII., XVIII, XIX., XX. bis XXIX. handeln vom Amtsverhältniß des Generalkommissarius, der Maitres der Requètes und der Auditoren.
Bei Artikel XIX. wird jedoch die Debatte abgebrochen.
Die Sitzung soll um 6 Uhr geschlossen werden, da erhebt sich plötzlich ein Streit: ob die Bildung der 30ger Büdget-Commission morgen vor der Sitzung geschehen solle oder nicht?
Hierüber wird ein geheimes Skrutinium eröffnet, das den Schluß bis 7 Uhr hinzögert.