Deutschland.
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Edition: [Karl Marx: Die Berliner „National-Zeitung“ an die Urwähler, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
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068
] Köln, 25. Januar.
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*
] Köln, 25. Jan.
„Die Demokratie hat gesiegt!“ So lautet der freudige Ruf, der durch die ganze Rheinprovinz wiederhallt.
Es ist nur der erste Schritt zum Siege. Vergessen wir über der Freude nicht, daß wir noch weitere Schritte thun müssen, damit das Ende des Anfanges würdig sei.
Hätten wir es nicht mit der saubern Einrichtung der indirekten Wahlen zu thun, mit jener schlauen Erfindung des gottbegnadeten König- und Junkerthums: wir wären mit der ganzen
Wahlangelegenheit zu Ende. Der 22. d. M. hätte entschieden; der vollständige Sieg der Demokratie stünde bereits unerschütterlich fest.
Wählte das Volk seine Vertreter direkt, d. h. unmittelbar, wie sich das für ein mündiges und freies Volk geziemt: Wer kann zweifeln, daß das Verdammungsurtheil gegen die am Staatsruder
befindliche contrerevolutionäre Gesellschaft in der allerentschiedensten Form ausgesprochen wäre?
Ist es nicht für 20,000 Urwähler unendlich schwieriger, circa 360 Wahlmänner, als sogleich durch Ablieferung von Stimmzetteln in die bereitstehende Wahlurne zwei Deputirte herauszufinden, die mit
der nöthigen Einsicht in die politisch-sozialen Verhältnisse einen unerschütterlichen Willen, mit der Klarheit über die Rechte des Volkes auch die zu ihrer Eroberung und Feststellung unerläßliche
Energie und Ausdauer verbinden?
Statt eines einfachen Verfahrens, bei dem die Masse des Volkes eine unglaubliche Summe an Zeit, Mühe und Geld ersparte: hat man uns zuerst unter Camphausen und jetzt abermals ein verwickeltes zeit-
und geldraubendes, ein verpotsdamtes und vermanteufeltes Wahlverfahren octroyirt, bei dem die gottbegnadete Regierung zu den schmählichsten Intriguen, Manövern, Bestechungen etc. die erwünschte
Gelegenheit findet.
Gegenwärtig sind wir nun einmal noch mit dem Uebel der indirekten Wahlen behaftet. Erfüllen unsere jetzigen Wahlmänner ihre Pflicht, so werden wir uns auch dieses christlich-germanischen Pfiffes zu
entledigen im Stande sein.
So lange diese doppelte Wahldestillation besteht, müssen wir um so wachsamer sein, damit die „schwarzweiße“ Brut nicht dazwischen schleiche und ihr Gift unbemerkt hinein mische.
Sind auf der einen Seite die von der Beamten-, Junker- und der gesammten Heulerpartei ausgehenden Ränke und Schliche zu überwachen, die verderblichen Einflüsse der christlich-germanischen Jesuiten
und der Agenten des Geldsacks abzuwehren und zu vernichten: so muß auf der andern Seite durch zahlreiche Vorversammlungen und Besprechungen dahin gewirkt werden, daß jeder Wahlmann sich klar werde,
welche Pflichten ihm das vom Volk geschenkte Zutrauen auferlegt, und auf welche Weise es allein möglich ist, sie würdig und gewissenhaft zu erfüllen.
Das Jahr 1848 hat uns eine schmerzliche Lehre gegeben.
Weshalb ist die Hof-, Adels- und Beamtenpartei, mit ihrer Kanonen- und Säbelherrschaft wieder emporgekommen? Weshalb hat die Camarilla in Potsdam Zeit gewonnen, um die Contrerevolution in aller
Muße und Sicherheit vorzubereiten? Weshalb ist endlich die Nationalversammlung auseinander gesprengt, fast ein Drittel des Landes förmlich, der übrige Theil stillschweigend in Belagerungszustand
versetzt, Gewaltstreich über Gewaltstreich
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versucht und durchgeführt und in vielen Provinzen des Landes ein ärgeres Regiment ausgeübt, als wenn bereits Kosaken und Panduren uns in Beschlag genommen hätten?
Es geschah, weil wir im vorigen Mai eine Masse Leute als Vertreter nach Berlin schickten — von den offenen Volksfeinden und Volksverräthern gänzlich abgesehen — die weder kalt noch
warm, weder Fisch noch Fleisch, sondern erbärmliche Buttermilch-Seelen waren, denen erst dann ein kleines Licht aufging und einiger Muth, einige Energie nöthig schien, als sie durch ihre eigene Schuld
die Feinde des Volkes hatten Kräfte sammeln lassen, mit einem Wort als es zu spät war.
Ohne jene saft- und kraftlosen, hin- und herschwankenden, zum Theil nur vom spießbürgerlichsten Ehrgeiz getriebenen Zwitterwesen, namentlich auf den Bänken des linken Centrums und theilweise auch
der Linken, wäre der contrerevolutionären Partei nicht so der Kamm geschwollen, nicht Zeit und Mittel gelassen worden, um den Staatsstreich nach allen Seiten hin einzufädeln und für eine, wenn auch
kurze Zeit, erfolgreich durchzuführen.
Weit mehr noch, als im Mai, thut jetzt die Wahl ganz entschiedener Abgeordneten Noth.
Damals war das absolute König-, das Beamten- und Junkerthum voll Unschlüssigkeit und Angst, gedemüthigt und rathlos. Gegenwärtig hat es alle alten Positionen wieder gewonnen, die alte Frechheit ist
zurückgekehrt und die ganze saubere vormärzliche Wirthschaft hat eine neue und vermehrte Auflage erlebt, die sich von der früheren nur durch einige konstitutionelle Phrasen und durch größere
Brutalität unterscheidet.
Die gottbegnadete Regierungspartei hat ihre entschlossensten Anhänger hingestellt, Leute, deren An- und Absichten für Niemanden ein Geheimniß sind; sie operirt mit ihren Wrangels, Manteufels,
Ladenberg-Eichhorns, Hinkeldei's etc., um sich wieder recht festzusetzen.
Es liegt nun den wahrhaft freigesinnten, den demokratischen Wahlmännern ob: jener Schaar der russisch-österreichisch-preußischen Allianz Volksvertreter entgegen zu stellen, die den
Gottesbegnadeten an Klarheit, Entschiedenheit und Festigkeit mindestens gewachsen sind.
Dazu ist sorgfältige Prüfung und Berathung und schließlich Einigung über die zu Wählenden nöthig.
Daß Niemand zum Deputirten tauglich ist, der sich nicht dem Protest gegen die mit Kanonen und Bajonetten aufgezwungne Verfassung vom 5. Dezbr. anschließt und sich verpflichtet, sie unter keiner
Bedingung zu genehmigen, weil sie das Werk der List und Gewalt und ihr Zweck des Volkes Verderben ist, das versteht sich von selbst, das ist das Mindeste, was von einem Volksvertreter verlangt werden
muß.
Allein der zu Wählende muß uns auch Garantien bieten, daß er nur für Eine Kammer und für direkte Wahlen, für Aufhebung sämmtlicher Feudallasten und Steuerbefreiungen, sowie des Adels
überhaupt stimmen, dagegen jeden Census bei den Wahlen der Volksvertreter, Gemeinde- und Kreisbeamten, der Geschwornen etc. bekämpfen wird.
Vor allem aber muß der Kandidat die Energie und die Entschiedenheit der politischen Ansichten besitzen, welche erforderlich sind, um der contre-revolutionären Gewaltherrschaft mit Erfolg
entgegenzutreten.
Wahlmänner! Benutzt die Zeit bis zum 5. Februar. Auf Euch lastet eine große Verantwortlichkeit. Ihr habt sie übernommen, täuscht nicht das Euch geschenkte Vertrauen. Das Volk erwartet von Euch, daß
Ihr Männer der entschiedensten Farbe und des entschiedensten Charakters wählt. Denn unsre Vertreter werden nicht nur ihre entschiedene Gesinnung, sie werden auch, den Bajonetten gegenüber, ihren
revolutionären Muth zu beweisen haben.
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*
] Köln, 25. Jan.
Zu unsern bisherigen Wahlberichten fügen wir folgende Notizen hinzu: In Ratingen sind sämmtliche Wahlen, 16 an der Zahl, auf Demokraten gefallen. In der bedeutenden Bürgermeisterei
Gerresheim ist nur ein einziger „Konstitutioneller“ durchgegangen, außer ihm nur Demokraten. Was Düsseldorf anlangt, so sind unter seinen 167 Wahlmännern 141 Demokraten und 26
„Konstitutionelle“ (Reaktionäre). In Dahlen und Viersen 3/4, in Geilenkirchen, Glehn, Dormagen alle Wahlmänner Demokraten. In den Moselortschaften von Croev bis Bernkastel
vollständiger Sieg der Demokratie, im Kreise Wittlich desgleichen. Und was Trier anlangt, so wird über den Ausgang der dortigen Wahlen sich Niemand wundern, als höchstens die
„Heuler“, die vielleicht geglaubt haben, daß ihre schändlichen Mittel am Ende doch einige Wirkung haben könnten. Sie sind enttäuscht. Die demokratische Partei hat in sämmtlichen 18
Wahlbezirken, mit Ausnahme des 12ten den vollständigsten Sieg erhalten. Im 12ten Bezirk allein setzten die Heuler ihre Kandidaten durch, allein nur mit einer Stimme Majorität.
Kurz, alle Nachrichten aus der Rheinprovinz stimmen darin überein, daß überall die Demokraten gesiegt haben, mit Ausnahme von Crefeld und Barmen.
Was Westphalen anbetrifft, so sind die Siege der Demokraten hier noch überraschender, ja gänzlich unerwartet. Es gehörte die ganze Brutalität einer Manteufflischen Verfolgungswuth dazu, die
„lieben guten Westphalen“ aus ihrer politischen Indolenz aufzustacheln. Aber es ist vollständig gelungen; die Dezemberverfolgungen, unerhört selbst in den Annalen der vormärzlichen
Landrechtspraxis, haben ihre Früchte getragen.
In Münster sind 4/5, in Paderborn 8/9, in Bocholt 4/5, in Bielefeld 3/4 der Wahlmänner Demokraten. Auch hier haben wir bisher nur aus dem Kreise Hagen schlechte Nachrichten erhalten.
Damit stelle man zusammen was wir aus Berlin, Potsdam, Breslau, Magdeburg etc. etc. berichten, und dann sage man ob wir, wie Ehren-Brüggemann sich tröstet, „zu früh frohlockt“
haben!
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133
] Geilenkirchen, 23. Januar.
Die hiesigen Wahlen sind ganz zu Gunsten der Demokratie ausgefallen. Sechs Wahlmänner waren hier zu wählen; alle sechs Wahlen fielen auf die Kandidaten des hiesigen Bürgervereins. Wir hatten
den Triumph, daß zuerst der Vorsitzende des hiesigen Bürgervereins, Herr Eduard Nacken, mit glänzender Majorität durchkam gegen den von der Gegenpartei aufgestellten Kommissarius, Herrn von
Cynatten, der früher gegen den Verein inquirirt hatte. Unter den Gewählten ist ebenfalls der Märtyrer der Inquisition, Herr Richter Kampmann.
In unsern umliegenden Ortschaften ist im allgemeinen ein gleiches Resultat zu erwarten.
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] Glehn, Kreis Neuß.
Hier sind alle Wahlen im demokratischen Sinne ausgefallen.
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134
] Dormagen.
Auch hier gehören die sechs Wahlmänner sämmtlich der demokratischen Partei an.
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119
] Bielefeld, 22. Jan.
Die Wahlurne hat sich geleert, und es ist nichts darin zurückgeblieben als die enttäuschten Hoffnungen der hiesigen sogenannten konstitutionellen Partei. Alle Umtriebe, die ganze Sündfluth von
Flugblättern, alle Agitationen des Wahlcomité's, alle süßen Ansprachen vermeintlich einflußreicher Personen sind vergeblich gewesen. Stark über 2/3 der Wahlmänner in unserem sonst als so
konservativ bekannten Kreise sind im demokratischen Sinne ausgefallen.
Ja das Unglaublichste ist geschehen! Der hiesige hochwohlweise Bürgermeister hat die Konkurrenz mit einem Maurer-Gesellen nicht bestehen können. Im 1. Wahlbezirke, zu welchem nur Einwohner hiesiger
Stadt und zwar größtentheils Bourgeois vom reinsten Wasser und konservativem Vollblut gehörten, steht die Wahl al pari, in dem zwei von der demokratischen Partei aufgestellte Kandidaten durchkamen.
Die Wahl des 5. Wahlmanns ist ungültig, da zwei Brüder zu den Urwählern zählten und nicht alle Stimmzettel den Vornamen oder eine sonstige nähere Bezeichnung des einen oder andern enthielten. Mit
welcher Habgier dieser konstitutionelle Wahlmann festgehalten wurde, geht daraus hervor, daß der Wahlvorsteher Herr J. R. B., welcher zugleich der Leithammel der hiesigen konstitutionellen Partei ist,
die Wahl aus dem Grunde zu salviren suchte, weil in der Vorwahl am seligen Polterabend nur Einer von den 2 Brüdern gewählt worden und daher auch dieser bei der officiellen Wahl als gemeint zu
betrachten sei! Man sieht die octroyirte Logik! Das Wahlbüreau erklärte die Wahl indeß für gültig. Der dagegen sofort erhobene schriftliche Protest wird jedoch bei den klaren Worten des Gesetzes
hoffentlich Berücksichtigung finden.
Daß in den Bezirken, worin das Militär die bedeutende Mehrzahl ausmacht, mehr Wahlmänner als in den übrigen Bezirken und nur Ultra-Reaktionäre gewählt werden mußten, versteht sich von
selbst.
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X
] Münster, 22. Jan.
Die „treue, wahre und feste“ Stadt, war nach der Aufregung des November wieder ruhig geworden; selbst die Trias v. Bodelschwingh, v. Olfers und Tüshaus schlief getrost. Die Soldaten
hatten ja die treuen, wahren und festen Bürger gehörig durchgeledert, ohne bestraft worden zu sein und die Führer des Volks lagen im Kerker. Warum sollte die Trias nicht nach Berlin schreiben:
„Die Maßregeln haben superbe gefruchtet, die guten Burger erkennen in Manteuffel den Engel des Friedens u. s. w.“
Aber heute! das durch preußische Kniffe zusammengehaltene Kartenhaus hat der Wind umgeweht, auf 98 Wahlmänner sind über achtzig Kandidaten der liberalen Partei, durchgegangen.
Selbst die klerikale Partei ist völlig geschlagen, was freilich der kath. Verein durch alberne Plakate sehr befördert hat. — Nur in der Nähe der Kaserne sind einige Leute wie Windhorst
gewählt, aber kein Olfers, kein Tüshaus!
Die Bürgerwehr hatte schon früher beschlossen, letzteren aus ihrer Mitte auszustoßen.
Darauf soll er die Lage des Münsterlandes als höchst gefährlich geschildert, und auf Untersuchung gedrungen haben.
Es ist unbestritten, daß die Stimmung in Münster im November sehr gefahrdrohend war und ist es noch, ja sie wird es bleiben, so lange die Regierung Münsters in den Händen solcher mißliebiger Männer
ist.
Die Plakate des kath. Vereins wurden vom Volke zerrissen, denn es fühlte die Gemeinheit, daß darin unverblümt die politischen Gefangenen Verschwörer genannt waren — selbst in den Kirchen ist
über die Predigten lautes Gemurmel entstanden. Die Herren Pfaffen haben es gesehen: Münster ist kein Luzern.
Daß die Wahlen im Münsterlande überall gut ausgefallen sind, läßt sich nicht bezweifeln. Hier ist kein Mittel unversucht gelassen, das Volk zu hintergehen. — Der Merkur hatte die
Schamlosigkeit am Tage vor den Wahlen anzuzeigen: der kath. Geheimrath Aulike in Berlin, ein Münstersches Kind, sei — — Oberpräsident geworden.
Man hat mit Verlegung der Behörden gedroht! Alles vergebens! Ja alles vergebens 83 gegen 15! *)
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X
] Münster, 23. Jan.
Hr. Temme sitzt noch immer im Zuchthause, er ist bereits seit 14 Tagen erkrankt, so daß er fortwährende ärztliche Hülfe nöthig hat.
Diese Haft verschuldet aber der Justizminister Rintelen, ein früherer Freund Temmes.
Hr. Justizminister Rinteln hatte nicht die Befugniß, die Temmesche Untersuchung an das Ob.-L.-Gericht in Paderborn aus dem Grunde zu verweisen, „um allen Schein der Parteilichkeit zu
vermeiden.“
Das war ein Akt der Willkür!
Der Justizminister mußte sich erklären, ob er das Perhorrescenzgesuch des Temme gesetzlich für begründet hielt, und dann konnte sich das O.-L.-G. zu Paderborn nicht entbrechen, die Sache vor
sein Forum zu ziehen, denn die Kriminalordnung ist in Westphalen nicht aufgehoben, und nach ihr hat der Gerichtsstand des begangenen Verbrechens höchstens die Befugniß, niemals die
Pflicht, eine Untersuchung von dem Gerichtsstande der Person zu avoziren.
Die Sache ist die, daß nach dem Gesetz auch das Kammergericht sich für inkompetent erklären muß.
Solche Verwickelungen dürften nicht zum Nachtheil des Herrn Temme gereichen.
Als die Perhorrescenz des hiesigen Gerichts genehmigt war, mußte Temme sofort entlassen werden, denn eine gültige Untersuchung existirte nicht mehr.
Jetzt schwebt die Sache zwischen Himmel und Hölle, und die Regierung benutzt nicht einmal die Gelegenheit, durch beschleunigte Einsendung der Akten nach Frankfurt die Erlösung Temmes
herbeizuführen. Immer aber bleibt die Suspension Temmes bestehen!
Nachdem das hiesige Ob.-L.-Gericht dadurch vor ihm gesichert ist, hat es jetzt die Entlassung beantragt, man sagt auf einen Wink von Oben.
Inzwischen haben die Untersuchungen gegen die übrigen Angeklagten ihre Nachtmütze aufgesetzt, d. h. sie geruhen gänzlich zu ruhen!
Es ist faktisch, daß auf alle Beschwerden und Entlassungsgesuche der Angeklagten nicht einmal eine Antwort erfolgt — und die ist doch selbst ein Verbrecher berechtigt zu fordern.
Wir wünschen dem Ministerium Brandenburg-Rintelen — langes Leben! zum Heil der Demokratie!
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103
] Breslau, 22. Jan.
Die hiesigen „Heuler“ aller Schattirungen, unter der Firma „Konstitutionelle“ mit einander verbunden, haben das Herzeleid erlebt, daß ihnen alle Mittel — und
selbst die niederträchtigsten sind in reichlicher Menge benutzt worden — am Ende dennoch fehlgeschlagen. Traurig, aber wahr! An der Disciplin der hiesigen Parteien kann man sich übrigens an
andern Orten ein Beispiel nehmen. Es war Alles so organisirt, daß die meisten der durchgebrachten Kandidaten auf der einen wie andern Seite immer gleich beim ersten Scrutinium erwählt wurden. Engere
Wahlen bildeten eine seltene Ausnahme. Die Zahl der in den Listen verzeichneten Urwähler betrug 23,894.
Um das Wahlresultat kurz zusammen zu fassen, theile ich Ihnen mit, daß zwei Drittel der Wahlmänner zur demokratischen, und nur ein Drittel zur reaktionären oder sich so nennenden
„konstitutionellen“ Partei gehört!
Aus Brieg erfahre ich so eben, daß unter den dortigen 49 Wahlmännern 48 Demokraten sind und — 1 Konstitutioneller! O, wie traurig. Er kann nun singen: „Einsam bin ich ganz
alleine etc.“
So weit wir bis jetzt Nachrichten aus der Provinz haben, lauten sie insgesammt günstig.
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105
] Münster, 23. Januar.
Die hiesigen Dezembergefangenen haben folgende Adresse an den Justizminister Rintelen erlassen:
Excellenz!
Seit länger als fünf Wochen werden wir hier in Haft gehalten. Unsere Gesundheit leidet schwer unter dieser Geistes- und Körperqual, aber noch mehr leidet unser Rechtsgefühl unter dem peinigenden
Bewußtsein, das Opfer einer eben so ungerechten als schmachvollen Behandlung zu sein.
Bei Ew. Excellenz haben wir bereits vor vier Wochen auf Aufhebung der Haft angetragen. Ew. Excellenz haben nicht darauf geantwortet. Wir wiederholen jetzt den Antrag. Ew. Excellenz verkündigen
unter dem 11. d., daß nicht von Ihnen die Anweisung zu den gerichtlichen Verfolgungen der Abgeordneten der aufgelösten National-Versammlung ausgehe, sondern daß die Gerichte selbstständig, nach
eigenem Ermessen handeln. Ew. Excellenz aber werden endlich, als oberster Wächter des Rechts, dem nicht durch ein Erkenntniß, sondern durch eine Verfügung der Gerichte entstandenen Unrecht entgegen
treten.
Als das Ministerium Brandenburg durch seine Schritte gegen die National-Versammlung die Brandung der Aufregung in das ganze Volk warf, als fast Jedermann die konstitutionelle Freiheit in ihren
Grundfesten bedroht sah: da regten öffentliche Blätter, insbesondere auch die gewiß konservativ Kölnische Zeitung, die Idee eines Gemeindetages in jeder Provinz an, damit die öffentliche Meinung sich
unbeirrt ausspreche. Auch in Münster bildete sich ein Centralcomite, welches durch die Zeitungen einen Kongreß von Abgeordneten der Stadt- und Landgemeinden, Bürgerwehren und Vereinen nach Münster
berief. Dieser Kongreß wurde beschickt von acht Stadö- und Landgemeinden, neun Bürgerwehren, zwanzig konstitutionellen Vereinen, sieben Volksvereinen, vierzehn demokratischen Vereinen und zehn
Volksversammlungen, und seine Mitglieder waren: 5 Justizkommissarien, 4 Assessoren, 11 Referendarien, 5 Offiziere a. D., 9 Aerzte, 2 Apotheker, 35 Kaufleute, 14 Gewerbsleute, 2 Fabrikanten, 6 Lehrer
und 30 Gutsbesitzer, Schulten und Ackerwirthe, 8 Stadtverordnete oder Stadträthe, ein Regierungsrath, Kanonikus, Ober-Landesgerichts-Sekretär, Bau-Inspektor, Geometer, Amtmann, Rentmeister,
Postexpediteur, Mechaniker u. s. w. Ihre große Mehrzahl bestand nicht aus heißkopfigen jungen Leuten, sondern aus besonnenen, mit Familie und Vermögen ansässigen Männern. Dieser Kongreß tagte am 18.
und 19. November öffentlich und unter den Augen der Behörden, seine Protokolle wurden für die Oeffentlichkeit bestimmt, seine Verhandlungen waren ernst und gemessen, keine Schmähung wider die Krone,
kein Angriff wider die Persönlichkeit irgend Jemandes, kein feindseliges Wort gegen die konstitutionelle Staatsverfassung wurde auf diesem Kongresse laut, und sein Resultat waren Beschlüsse über
einige Erklärungen und Aufrufe, wie sie in jener Zeit in vielen tausend Adressen und Versammlungen in allen Theilen des Staates viel stärker gegeben wurden. Der Congreß hielt sich durchaus auf
konstitutionellem Rechtsboden. Er wollte von vornherein nichts anders thun und that nichts anderes, als daß er einerseits der National-Versammlung in ihrem Kampfe mit dem Ministerium Brandenburg eine
moralische Unterstützung gewährte, und daß er andererseits ungesetzliche Ausbrüche des Volsunwillens verhütete, indem er der allgemeinen Aufregung ein gesetzliches und friedliches Mittel darbot, sich
auszusprechen. Ohne diesen Congreß wäre Westphalen vielleicht nicht so sehr von Ruhestörungen verschont geblieben. Gleich nach Beendigung der Verhandlungen reisten die Mitglieder in ihre Heimath
zurück, es trat der politische Umschwung ein, der Congreß war wie verschollen, keiner der beschlossenen Aufrufe wurde erlassen, nur einzelnen Mitgliedern wurde zum Andenken noch der gedruckte
Protokollauszug zugesandt.
Kein Mensch hatte einen Gedanken daran, daß dieser Congreß der politischen Verfolgung einen Anlaß bieten könne. Man hätte den gesunden Menschenverstand erst an sich irre machen müssen, um ihn
begreifen zu lassen, daß auf diesem Congresse Hochverrath begangen sei. Indessen das Unbegreifliche geschah. Am Ende November überfiel hier, wie auch in andern Städten ein Haufen Soldaten mit Säbeln
mörderisch eine ruhige Volksversammlung von unbewaffneten Bürgern, gleichsam um einen Aufstand hervorzurufen; sodann wurde eine Generalanweisung des Ministers des Innern ruchbar, die Führer der
Volkspartei durch Verhaftungen und auf andere Weise in ihrer Wirksamkeit hemmen zu lassen; der Regierungspräsident v. Bodelschwingh hielt darauf zu Hamm eine geheime Versammlung mit Landräthen, und
gleich darauf beschloß das hiesige Land- und Stadtgericht die Untersuchung und Verhaftung „wegen Unternehmens einer Umwälzung der preußischen Staatsverfassung“ gegen zwanzig Mitglieder
des Congresses. Die Verhafteten kommen guten Muths in die dumpfen Gefängnißzellen, sie konnten nicht anders denken, als daß irgend eine lächerliche Anklage einer gräßlichen Verschwörung gegen sie
vorgebracht sei, welche bald in ihr Nichts zergehen müsse. Da aber Verhör auf Verhör nur die Congreßbeschlüsse zum Gegenstande nahm, konnte dies Anfangs nur Heiterkeit erregen. Dieser folgte jedoch,
als die Kerkerleiden, die Angst um die Familie, die folternden Gedanken über solch einen Criminalprozeß einen nach dem andern auf das Krankenlager warfen, der Groll und die Empörung des Gefühls über
so maßloses Unrecht.
Des Congresses wegen verhaftet sind jetzt: Lehrer Blumenfeld aus Essen, die Ober-Landesgerichts-Referendarien Jacobi, Hammacher und Reinhardt, Justizkommissar Gierse, Stadtverordneter Hartmann aus
Münster, Dr. Graumann und Eisenbahningenieur v. Mirbach aus Dortmund, Justizrath Groneweg aus Gütersloh, O.-L.-G.-Ref. Löher aus Paderborn, Kanonikus v. Schmitz aus Soest. Der 72jährige Lieutenant a.
D., Stricker, ist, weil der Kerker ihn zu tödten drohte, entlassen. Die Verhaftung konnte nicht vollstreckt werden gegen die abwesenden Prem.-Lieut. a. D. Henze aus Hamm, O.-L.-G.-A. Möllenhoff,
O.-L.-G.-R. Bansi und Stierlin aus Münster, Kaufmann Rempel aus Bielefeld, O.-L.-G.-R. Rohling aus Rheine.
Warum aber, fragt jeder, wurden von den 158 Congreßmitgliedern nur gegen diese zwanzig Verhaftsbefehle erlassen? Waren sie schuldiger als die übrigen? Unmöglich, es sind mehrere darunter, welche
keineswegs auf dem Congresse hervortraten. Oder sind etwa sammtliche Redner verhaftet? Nein! Sämmtliche Antragsteller? Nein! Sämmtliche Mitglieder des Centralausschusses? Nein! Sämmtliche Urheber und
Berufer des Congresses? Nein! Warum denn grade diese zwanzig? Man erräth es nicht, es ist kein Grund denkbar, als, um es mit einem gelinden Ausdrucke zu bezeichnen, die höchste Einseitigkeit. Durch
den Congreß soll Hochverrath begangen sein, — nach den ausdrücklichen Bestimmungen der §§. 94, 96, 97 A. L.-R. II. 20 sollen alle Urnehmer und Theilnehmer, alle, welche auch auf entferntere
Art mit Rath und That dabei behülflich gewesen sind, alle, welche von dem Vorhaben Nachricht gehabt und der Obrigkeit nicht schleunigst Anzeige gemacht haben, — von den härtesten Leibes- und
Lebensstrafen getroffen werden. Es müßten also nicht allein alle Theilnehmer, sondern auch alle Zuhörer des Congresses, alle, die darum wußten, ja die Behörden selbst, die ihn auch am zweiten Tage
nicht verhinderten, verhaftet werden. Man sieht, die Sache geht ins Ungeheuerliche, weil die Anklage ungereimt ist. Doch nein, es wurden nur jene zwanzig verfolgt, nur sie verfolgt der unablässige
Gedanke, daß sie ein Opfer der rechtslosesten Willkühr werden.
Aber was verbrachen sie denn auf dem Congresse? Sie beschlossen Erklärungen und Aufrufe. Der §. 92 sagt:
Ein Unternehmen, welches auf eine gewaltsame Umwälzung der Verfassung des Staats
oder gegen das Leben oder die Freiheit seines Oberhauptes abzielt, ist Hochverrath.
Sind bloße Erklärungen und Aufrufe, hinter welchen durchaus keine gewaltsame, keine ungesetzliche That droht, schon ein hochverrätherisches Unternehmen? Mit demselben Rechte wie diese könnte jeder
Zeitungsartikel, der eine Veränderung der Verfassung verlangt, zum Hochverrathe gestempelt werden. Ehe jemand dieses schwersten der Verbrechen beschuldigt wird, muß doch seine feindselige Absicht, die
Verfassung gewaltsam umzuwälzen, und eine Handlung, welche diese Absicht ausführen soll, bekannt sein.
Fand sich dergleichen auf dem Congresse? Keine Rede, kein Beschluß deudet nur im Entferntesten darauf hin. Der Beschluß, auf welchen die Anklage sich hauptsächlich stützt, lautet:
1. Die
preußische National-Versammlung hat in der Sitzung vom 15. November einstimmig beschlosses, daß das Ministerium Brandenburg nicht berechtigt sei, über die Staatsgelder zu verfügen und die Steuern zu
erheben, so lange als die National-Versammlung in Berlin nicht ungestört ihre Berathungen fortzusetzen vermag.
2. Der westphälische Congreß zur Unterstützung der preußischen National-Versammlung erklärt, daß das Volk diesem Beschlusse seiner National-Versammlung Folge zu leisten habe.
3. Selbstredend kann die Steuerverweigerung sich nicht auf Communalsteuer beziehen und nur so lange dauern, bis die National-Versammsammlung das Aufhören der Steuerverweigerung ausspricht.
Nimmt man auch an, was noch unbewiesen ist, daß der Congreß diesen Beschluß grade so gefaßt habe, so ist er doch von Hochverrath weit entfernt. Die National-Versammlung hatte nicht beschlossen, daß
überhaupt keine Steuern mehr bezahlt werden sollten, sondern nur: daß das Ministerium Brandenburg sie nicht erheben könne, so lange es die National-Versammlung nicht ungestört lasse. Der Congreß
fordert nicht zur Steuerverweigerung auf, sondern er wiederholt nur den Beschluß der National-Versammlung, und giebt einfach seine Ansicht zu erkennen, daß er ihn für eine gesetzliche Maaßregel halte.
Dieser Beschluß der National-Versammlung war nicht gegen Krone und Verfassung, sondern ausdrücklich nur gegen ein Ministerium und auch gegen dieses nur unter einer Bedingung gerichtet, welche das
Ministerium jeden Augenblick erfüllen konnte. Gewiß gab es in Preußen keinen Vernünftigen, der ernstlich ein beständiges Aufhören der Steuerzahlung wollte, wohl aber wollte die überwiegende Mehrheit
des Volkes, wie die National-Versammlung in Frankfurt, das Abtreten des Ministeriums Brandenburg bewirken. —
Doch gesetzt, der Congreß habe zur Steuerverweigerung aufgefordert, be-
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ging er denn dadurch Hochverrath? Gewiß ist die Steuerverweigerung eine Waffe, welche das Volk vor politischer Gewaltthat schützen kann, aber ein Verbrechen ist sie nicht. Wer seine Steuern nicht
zahlt, wird gepfändet, ob er das eine oder andere will, steht lediglich bei ihm selbst, und nur erst durch thätliche Widersetzlichkeit bei der Pfändung wird ein Strafgesetz überschritten. Deshalb hat
auch unser Landrecht, welches noch die Grundsätze Friedrich des Großen durchleuchten, auf die Steuerverweigerung keine Criminalstrafe gesetzt; selbst der vorsichtige Suarez konnte sich dies Verbrechen
nicht denken. Die §§. 245 und 243 sprechen nur von der betrüglichen Vorenthaltung der dem Staate schuldigen Gefälle.
Nur eine schlimme Sophistik, welche selbst Justinian verschmähte, kann aus der Steuerverweigerung Hochverrath machen, weil sie den Hebel für eine gewaltsame Umwälzung der Staatsverfassung abgebe.
Man muß gestehen, daß dieser Hebel sehr negativer Natur ist und der gewaltsamen Umwälzung der Verfassung von oben herab sich eben entgegen stemmen soll. Die Lehrer des konstitutionellen Staatsrechts,
selbst Dahlmann, setzen es offen auseinander, daß die Steuerverweigerung einer ungesetzlich handelnden Regierung gegenüber die rechtmäßige Aeußerung des passiven Widerstandes sei. Das gerühmte Land
der konstitutionellen Erbweisheit, England, hat seine Reform vor der landesverderblichen Habsucht des Adels nur durch die Steuerverweigerung gerettet. Endlich sind uns unzählige Beispiele und
Rechtssätze aus der Geschichte vor dem Polizei-Staate des 17. Jahrhunderts überliefert, daß die Landesangehörigen den Beamten und Magistraten die Steuern verweigerten, wenn diese das Recht brechen
wollten.
Im vorliegenden Falle war es ausgesprochen und so klar wie der Tag: daß die Steuerverweigerung nicht gegen die Verfassung, sondern lediglich gegen das Ministerium ging. Dieses brauchte nur
abzutreten und die Steuern flossen sogleich wieder in die Kassen des Finanz-Ministers.
Der gedruckte Protokollauszug enthält ferner folgende Erklärung des Congresses:
Die Berliner National-Versammlung ist in Preußen augenblicklich unsere einzige gesetzliche und gesetzlich
handelnde Behörde.
Mag man diese Erklärung deuten, wie man will, so enthält sie doch immer nicht mehr Werth und Bedeutung, als jedes andere politische Urtheil einer Versammlung von Staatsbürgern. Daß darin nichts
gegen die Krone und Verfassung gesagt war, enthält aus dem Ausdrucke „Behörde“, wie auch daraus, daß der Congreß selbst bei einem andern einstimmig angenommenen Antrage die Bürgerwehr
zur Aufrechthaltung der verfassungsmäßigen Freiheit und der gesetzlichen Ordnung aufruft.
Uebrigens hat der Congreß in der That nichts anders erklären wollen und erklärt, als:
Die National-Versammlung zu Berlin ist augenblicklich unsere einzige gesetzlich handelnde Behörde in
Preußen.
So ist der Antrag gestellt und so angenommen worden. Das Ministerium handle ungesetzlich, — das und nichts anderes, was damals Ew. Excellenz, Bornemann und so viele andere aussprachen,
wollte auch der Congreß aussprechen, freilich geschah es, was mit der Eile der Abfassung zu beschuldigen, in einem schlecht stylisirten Satze, und dieser hatte noch das Unglück, durch Zufall um einige
durchstrichene und anders gefaßte Worte, nämlich, „einzig gesetzliche“ vermehrt zu werden. Läßt man aber auch die Worte bestehen, wie der gedruckte Protocollauszug sie enthalt, so kann
das „und“ nur als kumulativ und der Satz nur dahin verstanden werden: die National-Versammlung sei damals augenblicklich die einzige gesetzliche Behörde gewesen, welche zugleich
gesetzlich gehandelt habe.
Der Congreß nahm ferner folgenden Antrag an:
Einen Aufruf an die Soldaten im Heere zu erlassen, und diese darin aufzufordern, sich nicht zur Unterdrückung der Volksfreiheiten mißbrauchen zu
lassen, zugleich die Familien aufzufordern, ihre im Heere dienenden Mitglieder über die Lage des Vaterlandes und ihre Pflichten aufzuklären.
Daß in diesem Aufrufe, der übrigens gar nicht erlassen ist, kein Hochverrath gelegen hätte, ist wohl offenbar.
Endlich beschloß der Congreß:
Die Vereinigung aller Gemeinden, Vereine, Bürgerwehren u. s. w. Westfalens zu gemeinsamen Handeln für die Wahrung und Fortbildung der Rechte und Freiheiten des Volks;
erwählte zu dem Ende einen Centralausschuß, der mit dem Congresse selbst keine Gemeinschaft mehr hatte, seine eigenen Beschlüsse aber in vier bekannten Zeitschriften veröffentlichen sollte und dessen
in Münster wohnende Mitglieder für die Dauer der augenblicklichen gefährlichen Lage des Landes unbedingte Vollmacht für Aufforderungen zu allen natürlich gesetzlichen Handlungen, Adressen, Congressen
u. s. w. haben sollten. Dieser Centralausschuß trat zwar niemals in Wirksamkeit, aber wenn er es gethan hätte, lag dann in der ihm zugewiesenen Thätigkeit und überhaupt in der ganzen Vereinigung
irgend etwas Revolutionäres? Sollte der Gesammtverein nicht vielmehr eine durchaus gesetzliche und öffentliche Ausübung des Associationsrechtes darstellen?
Das sollen nun die hochverrätherischen Unternehmungen des Congresses sein. Seine übrigen Beschlüsse sind zu unschuldig, um hier noch erwähnt zu werden. Die angeführten aber sind an sich keine
staatsgefährlichen Handlungen, und eben so wenig kann der gewohnliche Menschenverstand den bösen Willen in diesen Beschlüssen entdecken, durch dieselben die Staatsverfassung anzugreifen, oder gar
gewaltsam umzuwälzen. Diese feindselige Absicht in die Seele der Congreßmitglieder hineinzubeweisen, würde wohl einen eben solchen Aufwand von juristischen Kunstgriffen erfordern, als es kinderleicht
sein möchte, den Beweis des Volksglaubens zu liefern, das Ministerium Brandenburg begehe Hochverrath an den Rechten des Volks. Wohl aber halten es die Mitglieder des Congresses für ihr Recht und ihre
heilige Pflicht, den Rechtsboden zu vertheidigen. Neben der früheren einzigen Staatsgewalt war durch die Gesetze vom 6. und 8. April v. J. eine andere als berechtigt anerkannt, deren Unterstützung in
gesetzlicher Weise kein Vergehen sein konnte. Stellen wir die Gegensätze gerade zu heraus: Entweder gab es im November eine Staatsverfassung, dann beruhte sie auf den konstitutionellen Grundlagen mit
der Maßgabe, daß Krone und National-Versammlung als zwei gleich berechtigte Mächte die nähern Formen und Einrichtungen vereinbarten, — dann aber unternahm das Ministerium die gewaltsame
Umwälzung der Verfassung, und die National-Versammlung und der westphälische Congreß vertheidigten sie ohne Gewaltsamkeit. Oder die Staatsverfassung ist erst durch die Annahme der oktroyirten
Verfassungsurkunde vom 5. December hergestellt, — dann war im November kein Hochverrath an der Staatsverfassung möglich.
Wenn nun auf so wichtige Anklagegründe sechszehn Männer plötzlich ihren Familien entrissen und in ungesunde Kerker geworfen werden, heißt das nicht das Associationsrecht zu einer Fabel machen? Wenn
nun gar unter den vielen Congreßmitgliedern einige wenige herausgegriffen werden, wird da nicht dem Volke den Glauben aufgezwungen, nicht das Recht, sondern die Willkür der augenblicklich siegenden
Partei verfolge die einflußreichen Männer der geschlagenen Partei? Wird nicht im Volke die verderbliche Furcht hervorgerufen, daß die Machthaber sich zwar der rohen Gewalt schämen, aber die
Mißliebigen einer schleichenden Tortur überliefern, welche ihr Opfer erst wieder losläßt, wenn sie es geistig und körperlich zerstört hat? In der That ein Verfahren, wie man es sich gegen uns erlaubt
hat, ist darnach angethan, das öffentliche Rechtsbewußtsein auszurotten, jede Mannesselbstständigkeit niederzuschlagen, und die Noth der Selbsthülfe und damit das Elend des Vaterlandes herauf zu
beschwören.
Die Geschichte wird ihr ernstes Gericht halten über diese politische Verfolgungen, und dasjenige Preußen, welches Stein wollte, wird trotz der Unfreiheit dieser Tage auf seinen unzerstörbaren
Grundlagen herrlich aufblühen und vorleuchten zu Deutschlands zweiter großen Epoche. Von Ew. Exzellenz aber, als dem obersten Anwalt des Rechts, dürfen wir verlangen und erwarten, daß die Krankheit,
welche Preußen so lange befangen g[e]halten hat, nicht auch im Rechtsbewußtsein um sich fresse und daß jener Spruch eines preußischen Königs:
die ungerechte Justiz schreit zum Himmel!sein Gewicht einlege auch für die politischen Gefangenen des Zuchthauses zu Münster.
Ew. Exc. können zwar die eingeleitete Untersuchung nicht mehr niederschlagen, womit uns auch wenig gedient sein würde. Aber wohl können Ew. Exzellenz verfügen, daß nicht vor dem Erkenntniße eine
durchaus unbegründete schwere Strafe über uns verhängt werde. Kein objektiver Thatbestand ist vorhanden, um diese Haft nach der Kriminal-Ordnung zu rechtfertigen. Eine Verdunkelung des Thatbestandes
ist, da alles von Anfang an öffentlich vorlag und nicht geleugnet wird, nicht denkbar. Eben so wenig ist bei den Verhältnissen der Verhafteten und bei der Lage dieses Prozesses eine Flucht zu
befürchten.
Bei Ew. Exzellenz tragen wir daher eben so ehrerbietigst als dringend unsere Entlassung aus der Haft schleunigst verfügen zu wollen.
Wir verbinden damit unser erneuertes Perhorrescenzgesuch gegen das hiesige Oberlandesgericht. Wir haben bereits unter dem 18. Dezember dasselbe geschickt, erhielten aber, und zwar unter dem 10.
Januar, einen auf Formmängel, welche wir bereits in der Sr. Exzellenz überreichten Ausführung wiederlegt haben, gestützten abschläglichen Bescheid. Dieser mußte in uns um so mehr ein trauriges Gefühl
der Schutzlosigkeit hervorrufen, als jene Formmängel gegen den Oberlandesgerichts-Direktor Temme, der ebenfalls das hiesiige Oberlandesgericht in gleicher Art perhorrescirt hatte, nicht eingewandt
waren. Jede neue Erfahrung drängt uns nun aber die Gewißheit auf, daß wir bei dem Oberlandesgerichte in Münster niemals Gerechtigkeit finden werden.
Dieses Gericht hat als politische Partei gehandelt und sich die richterliche Unabhängigkeit unmöglich gemacht. Dasselbe hat über seinen Direktor unmittelbar am Throne wegen der Steuerverweigerung
das Urtheil ausgesprochen, daß er ein Rebell sei. Dasselbe hat seine Untergerichte durch öffentlichen Aufruf aufgefordert, politische Untersuchungen aufzubringen. Dasselbe hat durch die Verhaftung und
Suspension seines Direktors eine politische Leidenschaftlichkeit oder Rechtsunkenntniß dargethan, über welche die öffentliche Meinung den Stab gebrochen hat. Dasselbe hat durch sein unerklärliches
Dezimirungssystem der Congreßmitglieder die Verhafteten in der öffentlichen Meinung verdächtigt, aber auch sich selbst, sprechen wir es aus, in Verruf gebracht. Kein anderes preußisches Gericht
endlich hat trotz der auffälligsten Beschlüsse von Magistraten, Gemeinden und Vereinen in der Steuerverweigerungsangelegenheit ein Verfahren eingeschlagen, wie das Münstersche Oberlandesgericht.
Außerdem aber ist aus triftigen persönlichen Gründen fast jedes Mitglied dieses Gerichtshofes einzeln von uns perhorrescirt, theils weil Mitglieder desselben Abgeordnete der Berliner
National-Versammlung und durch die Beschlüsse des Congresses persönlich betroffen waren; theils weil sie einem eigenthümlichen Vereine angehören, der in wahrlich nicht beruhigenden Plakaten sich auf
beleidigende Weise gegen die Congreßbestrebungen ausgesprochen hat, theils aus Feindschafts- und theils aus Verwandschafts-Rücksichten. Diese Perhorrescenzgründe sind Ew. Excellenz des Näheren bereits
von uns angegeben.
Ew. Excellenz haben erklärt, daß über Temme nicht ein Gerichtshof erkennen dürfe, gegen welchen nur der Schein des Verdachts der Persönlichkeit vorliege. Das Oberlandesgericht zu Münster hat weit
mehr gegen sich als den bloßen Schein der Parteilichkeit und wir sind angeschuldigt und verhaftet aus gleichen Gründen wie Temme.
Aus allem Diesem tragen wir bei Ew. Excellenz ebenfalls aus den dringendsten Ursachen darauf an:
unsere Perhorrescenzgesuche gegen das hiesige Oberlandesgericht Statt zu geben, und
die Führung und Entscheidung unseres Prozesses dem gesetzlich substituirten Oberlandesgerichte zu Paderborn zu überweisen.
Münster, den 15. Januar 1849.
Franz Löher. Gierse. Groneweg. Reinhardt. Jacobi J. A. Hartmann. Blumenfeld. Keller. Gruwe. Graumann. Mirbach. Schmitz. Hammacher.
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[
*
] Berlln, 23. Januar.
So weit sich das immer noch nicht vollständig ermittelte Resultat der gestrigen Wahlen beurtheilen läßt, ist die Stellung der Parteien die folgende: etwa 700 Wahlmänner gehören der entschiedenen
demokratischen Partei an; etwa 270 lassen sich als linkes Centrum charakterisiren, werden aber zum großen Theil bei den Wahlen mit der äußersten Linken stimmen, so daß namentlich Waldeck durch
Mithülfe dieser Partei Aussicht hat, in allen vier Wahlbezirken Berlins gewählt zu werden. Eben so stark ungefähr ist die Partei Harkort-Meusebach, vereinigt mit Dunker-Hase, d. h. Rechte und rechtes
Centrum. Sie verfügen zusammen über höchstens 270 Stimmen. Ganz ultraroyalistisch und im Sinne des Preußen-Vereins sind etwa 80 Stimmen, wovon die meisten militärische. Unter die vier größeren
Wahlbezirke vertheilen sich die Stimmen etwa so, daß in dem ersten, der 3 Abgeordnete zu wählen hat, Linke und linkes Centrum vereint 240 von den 438 Stimmen zu ihrer Disposition haben. Ueberhaupt ist
dieser Bezirk derjenige, in dem das linke Centrum seine Stärke hat; dort können wir also neben Waldeck zwei blässere Namen erwarten, da die Männer des konstitutionellen Klubs zu den Wahlmännern
gehören. In den drei andern Wahlbezirken ist die Majorität der demokratischen Partei „ohne alle Beimischung“ sicher. Waldeck, Jacoby, Temme, Behrens sind die Namen, die dort aus
der Wahlurne hervorgehen dürften. Ein ferneres allgemeines Resultat der Urwahlen ist die zahlreiche Vertretung des Handwerkerstandes. Die Wahlmänner dieser Klasse gehören mit ganz vereinzelten
Ausnahmen der demokratischen Partei an, und wenn auch die von ihnen gehegten Wünsche einer Reform der gewerblichen Verhältnisse oft sehr unklarer Natur, und mitunter sogar von Gelüsten der Rückkehr zu
mittelalterlichen Zuständen nicht ganz frei sind: so ist doch unleugbar in ihnen ein ganz brauchbares Element für die nothwendige politische Agitation der nächsten Zeit. Die Einsicht, daß selbst zur
Geltendmachung ihrer Interessen nur in ganz freien staatlichen Formen die Möglichkeit vorhanden ist, bemächtigt sich ihrer immer mehr, und wird sie zu Anhängern und Stützen der Demokraten machen.
Dasselbe gilt in noch höherem Grade, von den etwa 50 eigentlichen Arbeitern, welche auf die Wahlmännerlisten gelangt sind.
Der vergnügte Weinhändler Louis Drucker ist auch auf der Wahlmännerliste; die Herren Geheimräthe sind namentlich ob Louis Druckers Wahl außer sich vor Wuth, da er einen ihrer
Lieblingskandidaten, den General-Postmeister Schaper, aus dem Felde schlug. Dafür haben aber auch diese Herren den Trost, daß ihre Partei, die sich spezifisch die Partei der Ordnung nennt,
gestern in vielen Wahlversammlungen das Faustrecht in brutalster Weise geltend machte, und wo sie im Wahlkampfe unterlegen war, wenigstens im Faustkampfe den Sieg davon zu tragen suchte.
Im Alexandrinenstraßen-Bezirk ging dies sogar so weit, daß die Wahl gestern nicht vollendet werden konnte.
Die an den Urwahlen nicht theilnehmenden Soldaten, waren bis 4 Uhr Nachm. in den Kasernen consignirt, mit Ausnahme von je 2 Gefreiten per Kompagnie, welche statt der bei den Wahlen betheiligten
oder beschäftigten Constabler die Dienste der Sicherheitspolizei zu versehen hatten. — Aus der Alexanderkaserne wird uns folgendes berichtet: Vor Beginn der Wahloperation trat ein Feldwebel auf
und äußerte sich etwa folgendermaßen: Wir waren Bürger, ehe wir diesen Rock anzogen, und werden wieder Bürger, sobald wir ihn abgelegt haben; laßt uns daher auch nur Bürgerliche, keine Adligen, keine
Offiziere wählen. In der That ward auch kein Offizier Wahlmann, sondern der erwähnte Feldwebel, der Kompagnieschreiber und der Militärarzt. — Im 24. Regiment war der Sieg der reaktionären
Wahlmänner gegenüber einer festorganisirten demokratischen Opposition ein so mühsam errungener, daß die Offiziere, als sie ihre Kandidaten durchgebracht hatten, in ein lautes jubelndes Hurrah
ausbrachen. — Den Abend schloß allgemeinster Weißbierjubel durch ganz Berlin.
Welches leichtbegreifliche Gewicht die Regierung darauf gelegt, möglichst rasch über den Ausgang der gestrigen Wahloperationen hierselbst Kenntniß zu erhalten, davon zeigt der Umstand, daß in jedem
Wahlbezirk Constabler als Urwähler sich befanden und mit gedruckten, leicht auszufüllenden Schemas versehen waren, in denen die Gewählten nach ihrer Parteiklassifikation eingetragen werden sollten.
Die dem Polizei-Präsidenten so zugegangenen Resumes wurden von demselben sofort dem König und den Minister zugesandt.
Wir erfahren aus guter Quelle, daß in einem heute Morgen gehaltenen Ministerrath in Folge des Ausgangs der gestrigen Wahlen beschlossen worden, den Belagerungszustand hier bis zum Zusammentritt der
Kammern fortdauern zu lassen. Kurz vorher sollen die Gesetze über Beschränkung des Versammlungsrechts und der Preßfreiheit emanirt werden. Gleichzeitig soll dann das Kabinet insofern eine Modifikation
erleiden, daß der zum Auftreten im Parlament gänzlich ungeeignete, jetzige Ministerpräsident Brandenburg austritt und durch Camphausen ersetzt wird. Manteuffel dagegen wird im Kabinet bleiben,
um die von ihm vorbreiteten Gesetzvorlagen durchführen zu helfen. Aus so glaubwürdiger Hand uns auch diese Nachricht zugeht, müssen wir doch an Camphausens Eintritt in ein nicht von ihm gebildetes
Kabinet zweifeln.
Seit vorgestern ist Arnold Ruge verhaftet, weil er dem gegen ihn erlassenen Ausweisungsdekret nicht Folge geleistet, sondern sich auf das von ihm schon im Oktober nachgesuchte
Niederlassungsrecht berufen.
Nachträglich müssen wir auch noch einen gestern eingeschlichenen kleinen Irrthum berichtigen; Bürgermeister Naunyn ist im letzten Scrutinium und nur mit einer Stimme Majorität als
Wahlmann gewählt worden. Dagegen fiel Rimpeler, als zu gemäßigt, gegenüber von sechs rein demokratisch gesinnten Kandidaten sechsmal durch. Ebenso gelang es auch dem berüchtigten Held
nicht, mehr als 10 Stimmen für sich zu gewinnen.
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[
X
] Berlin.
Aus Potsdam erfahren wir, daß dort etwa 80 Wahlmänner der demokratischen und 60 theils der conservativen, theils der reactionären Partei angehören; unter ersteren befindet sich auch der
Justizrath Dortu. — In Magdeburg sind 5/6 der Wahlmänner im Sinne der Coalition sämmtlicher Oppositionsnuancen gewählt worden. — Breslau hat in überwiegender
Majorität entschiedenst demokratisch gewählt. — In Prenzlau gehören von 50 Wahlmännern 48 der liberalen Partei an.
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[
9
] Berlin, 23. Jan.
In der vorigen Woche hatten die Aristokraten glanzvolle Tage. Das Ordensfest ließ sie einen Augenblick glauben, die alte Macht sei noch nicht vorüber. Ich hatte das Vergnügen, einige alte
Ordensritter zu bemerken, die mit rothen Backen und grünen Sträußen aus dem Schloßportale taumelten. Dagegen standen draußen einige Dutzend demokratische Proletarier, die ihrer Satyre keinen Zügel
anlegten, und ohne Blume von einem neuen März-Frühling sich unterhielten.
In der heutigen Woche haben die Demokraten gute Tage. Die gestrigen Wahlen sind ein Zeugniß, daß der Belagerungszustand die demokratische Gesinnung der Spießbürger gekräftigt hat. Wie konnte
es aber auch anders sein? Wir wollen nicht sagen, daß die albernen Kapuzinaden Harkorts und die abgedroschenen Manöver Meusebachs, oder die für die demokratische Partei recht vortheilhaften dummen
„Enthüllungen“ zu dem günstigen Ausfall der Wahlen beigetragen haben — nein, wir schreiben diesen Erfolg einfach dem Belagerungszustande zu. Tu l'as voulu, George
Dandin!
In einem Bezirke vor dem Potsdamer Thore (Geheimerathsviertel) wurde Waldeck von der demokratischen Partei als Wahlmann aufgestellt. Diese Partei war aber zu schwach, um ihren Candidaten
durchzubringen, weil einige 20 Eisenbahnarbeiter (weshalb?) nicht erschienen waren. Nachdem die Sisyphusarbeit der Demokraten endlich doch vollendet war, brachten sie dem Waldeck ein lautes Hoch, und
die Gegner erwiderten mit: Heil unserm König Heil! das aber durch energische, unästhetische Entgegnungen einiger Demokraten verstummt sein soll. — Ein speichelleckerischer Hoflieferant unter
den Linden hatte 25 Stück seiner auswärts arbeitenden Gesellen in seinem Bezirk einquartirt, um ihre Stimmen zu erhalten. Die Gesellen erschienen gestern richtig mit guten Vorsätzen, allein einige
Collegen abordirten sie und sie stimmten alle gegen den Hoflieferanten. Da hilft kein Harkort und kein Meusebach — die Proletarier erlangen mit der Zeit soviel Bewußtsein, sich nicht bestechen
zu lassen, und dennoch — —. — In einem Bezirke der Königsstadt befand sich unter einigen hundert Demokraten ein einziger Reaktionär. Der Unglückliche wurde nolens volens an die
Luft gesetzt.
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068
] Berlin, 21. Januar.
Der elektrische Telegraph zwischen hier und Frankfurt ist noch nicht fertig, obwohl man mit äußerster Anstrengung daran arbeitet. Die Vollendung desselben wird jedoch in nächster Woche erfolgen, so
daß Berlin und Frankfurt so nahe gerückt werden, daß kein Zeitmoment der Entfernung dafür genannt werden kann. Es ist dabei das neue System des Lieutenant Siemens angewendet worden, das sich als
vortrefflich bewährt. Die Dräthe, in Hülsen von Gutta-Percha, liegen einen Fuß tief unter dem Boden, laufen so lange es angeht zur Seite der Eisenbahnen und setzen sich von Eisenach aus unter der
Sohle der Chausseen fort. Auch mit der zweiten Linie nach Köln ist man beschäftigt und wird diese bis zum Frühjahr vollendet haben.
Es ist kaum glaublich, wie groß die Menge von Personen ist, welche sich gegenwärtig in Beziehung auf die Vorgänge der letzten Monate wegen politischer Vergehen in Untersuchung befinden. In der
Provinz sind diese Untersuchungen noch weit zahlreicher als in der Hauptstadt. So befinden sich z. B. fast sämmtliche männliche Einwohner der Stadt Dahme bei Jüterbogk in Untersuchung, weil dieselben
bald nach den Märzereignissen ihren Bürgermeister eigenmächtig abgesetzt haben sollen. — Auch ein Theil der Bürgerschaft zu Cremmen befindet sich wegen eines ähnlichen, noch aus den Märztagen
stammenden Verfahrens gegen den dortigen Bürgermeister in Untersuchung. Ferner sind sämmtliche männliche Einwohner von vier in der Nähe von Wrietzen belegenen Dorfschaften, auf einige Hundert an der
Zahl, von dem betreffenden Ortsgericht zu Zuchthausstrafe, welche bis zu 8 Jahren ansteigen, verurtheilt worden, weil sich dieselben in den Märztagen gegen die Gutsherrschaft aufgelehnt
haben.
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27
] Berlin, 23 Januar.
Wie die Herren „Schwarzweißen“ und gottbegnadeten Bourgeois bei den Wahlen zu verfahren hatten, verfahren sollten und zum großen Theil verfahren sind, ergiebt sich aus folgendem
Rezept, das die neueste Nr. der „Galgenzeitung“ aufstellt. Will man den Brandenburg-Manteufelschen, den ächt königlich-preußischen Geist kennen lernen, so studiere man ihn in den Spalten
des genannten Hof-Organs. Dieses läßt sich also vernehmen:
„Männer wie Borsig, die notorisch Hunderte von Familien ernähren, waren in ihrem vollsten Recht, wenn sie offen und unumwunden ihren Untergebenen erklärten: da ich Euren Familien Brod
schaffen soll, muß ich am Besten übersehen können, durch welche Mittel und unter welchen Zeitumständen mir dies möglich gemacht wird, ich muß deshalb in die Stellung kommen, wo ich dafür nach meiner
Ueberzeugung wirken kann, es ist daher Eure Pflicht, mir Eure Stimme zu geben, und wer sie nicht gibt, tritt aus der Reihe derer, die ich zu beschäftigen und zu ernähren übernommen, denn er schmälert
mir die Mittel zu diesem Zweck.
Träte man auf gleiche vernünftige und logische Weise, welche auf dem Grundgesetz der bürgerlichen Gesellschaft besirt, und ohne deren Anwendung die bürgerliche Gesellschaft nie bestehen kann, auf,
statt mit einem unpraktischen und der Anarchie in die Hände arbeitenden Liberalismus zu prunken, so würde des Unheils weit weniger und die feste Ordnung bald wieder hergestellt sein, unter deren
Schutz sich Jeder ruhig fühlt.
Aber auch auf ein anderes Thema müssen wir hierbei kommen und dies ohne weiteres offen zur Sprache bringen, denn es gilt jetzt den festen und energischen Kampf um das Wohl des Vaterlandes.
Es ist die Pflicht der gutgesinnten Parthei, welche die Ordnung im Vaterlande will, und nicht fortwährende unsinnige Proteste, die nur den Zustand der Anarchie zurückrufen können, fest zusammen zu
halten. Dazu gehört, daß man Diejenigen, welche sich der Umsturzparthei zugewandt haben, und somit die Ruhe des Vaterlandes bedrohen, auf keinerlei Weise unterstützt. Die Constitutionellen müssen sich
energisch vereinigen, nur mit Geschäfts- und Gewerbsleuten ihrer Partei zu verkehren; nur bei solchen zu kaufen, ihre Bestellungen zu machen, und sie zu unterstützen. Es ist dies eine Pflicht, die
Jeder unserer Partei gegen den Andern hat. Die Wirkung wird nicht ausbleiben.
Die Erfahrung hat gerade hier in Berlin deutlich gezeigt, mit welcher schamlosen Undankbarkeit Leute, die vom Königlichen Hause sich reich gemästet haben, als die ärgsten Feinde des Königs sich
gerirt haben und noch geriren, u. s. w.“
(Das „Galgenblättchen“ vergißt blos, daß das Königliche Haus Niemanden hätte „mästen“ können, wenn es nicht selbst fortwäh-
[1120]
während aus den Taschen des armen Volkes, des gewöhnlichen Mittel- und Arbeiterstandes, gemästet worden wäre!)
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@facs | 1120 |
[
*
] Neustadt-Eberswalde, 22. Januar.
Zu zwei Drittel sind die Wahlen auf Demokraten gefallen. Den „Schwarzweißen“ läuft vor Aerger die Galle über!
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@facs | 1120 |
Neisse, 20. Jan.
Von dem bekannten Präsidenten des Ober-Landesgerichts zu Ratibor, Hrn. Wenzel, langte vor Kurzem bei dem Vorsitzenden des hiesigen Fürstenthumsgerichts eine Aufforderung an, über die politische
Gesinnung der Mitglieder und Beamten des Gerichts zu berichten. Der Aufforderung lag ein förmliches Schema zur Ausfüllung bei: z. B. ist Mitglied des demokratischen Klubs, besucht demokratische
Versammlungen, hat demokratische Ansichten u. s. w. Der ehrenwerthe Vorsitzende schrieb diese Aufforderung einfach zu den Akten, weil er meinte, daß der Justizminister in der Nationalversammlung
erklärt habe: die geheimen Conduitenlisten hätten aufgehört.
[(A. O. Z.)]
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@facs | 1120 |
[
24
] Wien, 20. Jan.
Pascha Welden hat das 16te Bülletin veröffentlicht, welches Nachrichten aus Ofen vom 15. Januar enthält. Es versteht sich von selbst, daß das Bülletin die Standrechts-Hyänen überall siegreich sein
läßt. Görgey soll gegen Schemnitz zurückgedrängt sein, F. M. L. Csorich wie immer gesiegt haben und G. M. Götz gegen Kremnitz vorgedrungen sein. Meszaros (der „Rebell“) hält sich in der
Gegend von Erlau, wie ihm das Bülletin gnädigst erlaubt. Ottinger ist bis Szolnok vorgerückt, Oberst Horwath hat Stuhlweißenburg besetzt.
Welden ärgert sich bis zum Schwarzwerden, daß die verfluchten Wiener lieber den Nachrichten glauben, welche zu Gunsten der Insurgenten lauten, als seinen Bülletins. „Es kontrastirt
dies“, sagt er, „sonderbarer Weise mit den täglich ankommenden Protestationen eines zunehmenden bessern Geistes in der Hauptstadt, von dem die Proben indeß bis jetzt durchaus noch
mangeln!!“
Nachrichten aus Pesth sprechen von einem Bombardement der Festung Comorn, das am 17. d. noch fortgedauert haben soll. Der Rechnungsrath der obersten Hofbuchhaltung ist, wegen Theilnahme am
October-Aufruhr, zu 6jährigem schweren Kerker verurtheilt worden. — In der jüngsten Sitzung der Akademie der Wissenschaften hat der ehemalige Minister und nunmehrige Sektions-Chef Baumgärtner
den Vorschlag gemacht, längs der Donau einen elektro-galvanischen Telegraphen zu errichten, wodurch auch beim Austritte des Stromes die Signalisirung weit schneller und zuverlässiger, als auf die
bisherige Weise durch aufgesteckte Fahnen erfolge. Der Gemeinderath wird sich mit sich mit dem Antrage beschäftigen.
Während, wie wir oben meldeten, der k. k. Scharfrichterknecht Welden in seinem 16. Bülletin von lauter Siegen der „Schwarzgelben“ zu erzählen weiß: läuft hier die Nachricht um, daß
ein Korps des Hrn. Windischgrätz in der Nähe des Bakonyer Waldes eine bedeutende Schlappe erlitten hat.
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@facs | 1120 |
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068
] Kremsier, 19 Januar.
Eine größere Karrikatur auf die jetzigen Zustände Oestereichs, das sich zu 3/4 unterm Standrecht befindet, gibts nicht, außer dem Reichstage mit seinen Debatten über die Grundrechte. Während
überall stanrechtlich eingekerkert, unter Militär gesteckt, beliebig in die Häuser gedrungen, geraubt, geplündert und gemordet wird, hat der brave Reichstag heute folgendes schönklingende Elaborat
unter dem Titel §. 2 der „Grundrechte ans Tageslicht gebracht und angenommen:
„Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden; privilegirte und Ausnahmsgerichte dürfen nicht bestehen.“
„Niemand darf verhaftet werden, außer kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls, den Fall der Betretung auf der That ausgenommen.“
„Der Verhaftungsbefehl muß dem Verhafteten sogleich oder spätestens 24 Stunden nach der Verhaftung zugestellt werden.“
„Jeder Angeschuldigte ist gegen eine vom Gerichte nach dem Gesetze zu festimmende Bürgschaft oder Kaution auf freien Füßen zu untersuchen, die Fälle angenommen, welche das Strafgesetz
bestimmt.“
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@facs | 1120 |
[
068
] Prag, 19. Jan.
Oestreich rechnet bei seinem Kriege gegen Ungarn auf russische Hülfe. Das „Const. Bl. a. B.“ sagt hierüber: „Durch General Wardener, der sich in Carlsburg eingeschlossen hat,
ist ein Verständniß mit General Lüders in der Walachei herbeigeführt worden, das noch die Bestätigung von Petersburg benöthigt, die bis 14. Jan. eintreffen muß. Somit wäre den östreich. Truppen, falls
die Nothwendigkeit es erheischt, ein russisches Auxiliar-Corps in Aussicht gestellt, das um so schneller bei der Hand wäre, als die russischen Truppenkorps bis hart an die siebenbürgische Grenze
vorgeschoben sind.“
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@facs | 1120 |
Graz, 17. Jan.
Gestern langte vom Ministerium die Weisung hierher, daß die freie deutsche (deutsch-katholische) Gemeinde aufzulösen, und dem Prediger Scholl der Aufenthalt hier nicht länger zu gestatten
sei.
[(G. Z.)]
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@facs | 1120 |
[
084
] Kiel, 21. Jan.
Kürzlich waren hier einige dreißig Deputirte unserer Landesversammlung, durch den Kieler Umschlag, in dem die meisten Geldgeschäfte des Landes jährlich abgeschlossen werden, zusammengeführt,
versteht sich nur privatim. Die schwebenden Friedensunterhandlungen bildeten den Hauptzweck der Besprechung. Von Olshausen, dem Führer der demokratischen Partei wurde der Antrag auf Zusammenberufung
der Landesversammlung gestellt; aber der Antrag eines Demokraten konnte nicht berücksichtigt werden. Als aber ein Mitglied der Mitte den Antrag wieder aufnahm, konnte er verhandelt werden, und wurde
dann mit Majorität beschlossen, das Bureau der Landesversammlung aufzufordern, den Zusammentritt baldigst zu veranlassen. Zu der Minorität gehörte auch der Herzog von Augustenburg, der gegen den
Antrag stimmte.
So hat dieser gute Mann wieder einen Beweis gegeben, wie sehr er ein Feind der Welkerschen Gewalt- und Kravallsouveränetät ist. Daß das schleswig-holsteinische Volk, noch immer die Thaten
dieses „verkannten Aristokraten-Genies nicht erkennt, liegt, glauben wir, nicht so sehr an den Demokraten, die es fortwährend in seinem wahren Lichte darstellen, als vielmehr an seinen
Anhängern (Beseler und Konsorten), die die Bescheidenheit in dem größten Theil, der ihnen zu Gebot stehenden Presse so weit treiben, daß sie stets eine aufgedeckte Lichtseite wieder mit dem
„Mantel der Liebe“ bedecken, ganz ihres Herrn und Meisters würdig. Schon bei der Waffenstillstandsfrage, als jenes verkannte Genie mit „der Rechten“ in der Paulskirche
stimmte, erkannten wir des Pudels Kern, die Demokraten erkannten ihn, nur dem Volk wurde der wahre Werth jenes Mannes nicht klar. Hoffentlich wird dieser letzte Beweis aber noch dazu beitragen, das
Volk über den in seiner und seiner Anhänger Meinung verkannten Herzog v. Augustenburg aufzuklären.
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@facs | 1120 |
[
7
] Schleswig, 22. Jan.
Unsere Landesversammlung, bisher die personifizirte Welkersche wahre organisirte Freiheit, die sich stets auf den Wunsch der Frankfurter Reichsverwesung, entweder vertagte oder mit solchen Dingen
nicht beschäftigte, die der Centralohnmacht nicht genehm waren, wird am 26. d. M. den immer dringenderen Wünschen der Bevölkerung entsprechen, und wieder zusammentreten, um — das im
Kleinen zu wiederholen, was im Großem mit so musterhaftem Beispiel erst kürzlich geschehen; sie wird über die Friedensbedingungen und somit auch über die Theilung Schleswigs, event.
Schleswig-Holsteins berathen. Was das aber heißt, eine unter Vormundschaft (!!) stehende Vertretung des souveränen (?) Volks beräth, das mag ein Jeder sich denken. Handeln sollte sie. Aber
versteht eine, mit wenigen Ausnahmen, aus Bourgeois, Büreaukraten und Aristokraten bestehende Volksvertretung für das Volk zu handeln? Und wenn sie es versteht, wird sie es wollen? Diese Fragen
brauchen wir nicht zu beantworten, die Geschichte hat es schon genugsam gethan! Daher bleibt dem schleswig-holsteinischen Volke nichts Anderes übrig, ebenso wie andern von der Diplomatie und Kamarilla
zertretenen Völkern, wenn der zweite über Thronen und Fürsten hinwegschreitende Akt der europäischen Revolution beginnt, als selbst zu handeln und seine Feinde zu zerschmettern, wo es sie trifft, in
Palästen und Hütten, hinter dem Geldsacke und dem Schreibtische des Bureaukraten.
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@facs | 1120 |
[
103
] Aus Schleswig-Holstein, 24. Jan.
Die Friedensunterhandlungen und Bedingungen, so wie die deutsche Kaiserfrage ist das Tagesgespräch. Vorzüglich sind es die Schleswiger, die entrüstet sind über die Friedensbedingungen. Einige
setzen aber noch Hoffnungen auf — den Kirchenpapa Bunsen, der bekanntlich in einem schleswigschen Wahldistrikt gewählt war; von den Diplomaten aber leider abgehalten wurde, den Kern der
christlich-germanischen Prinzipien in Frankfurt zu enthüllen. Wir setzen in diesen, in Schafskleidern umhergehenden Wolf auch großes Vertrauen, das Vertrauen nämlich, daß er das Seinige dazu beitragen
wird, den Schleswig-Holsteinern das Fell über die Ohren zu ziehen und auf christlich-germanische Weise der Mehrumschlungenheit zuzuführen.
Als Beweis, wie sehr diese Entrüstung mit nationaldeutscher Bornirtheit versetzt ist, möge folgender Erguß eines Schleswigers in einem Organe der Augustenburger Partei dienen:
„Noch immer soll es einzelne schwachmüthige Friedenssüchtler unter uns geben. „Der Friede,“ sollen sie ausrufen, „hat doch so viel Schönes! Da galten früher noch die
guten alten Sprüchwörter etwas: „Jeder fege vor seiner Thür!“ „Jeder für sich, Gott für uns Alle!“ u. dgl. m. Jetzt aber soll Jeder auch mit für Alle sorgen, sich auch um
andere Thüren bekümmern, das sei sehr lästig und unbequem!“ Natürlich, wem der Kaffee des Morgens, ein solides Essen Mittags und Abends, und eine ungestörte Nachtruhe Alles und das Höchste in
der Welt, dem muß unser Zustand und unser Unternehmen sehr ungelegen kommen. Wer aber (jetzt kommt's) an eine bürgerliche (??!) Freiheit (?) glaubt, wer Liebe hat für Vaterland und seine
Muttersprache, und stolz (!!) empfinden kann, was es heißt, einem großen Volke anzugehören und ausrufen zu können: „Ich bin ein Deutscher!“ der wird vergnügt an unserem Werk mithelfen
und Alles dafür zu opfern bereit sein! u. s. f.“
Wahrlich, wenn man ausrufen und empfinden kann, „ich bin ein Deutscher!“ wir sagen, jetzt so etwas ausrufen, der ist zu Allem fähig: Der trägt seine Haut für den herzoglichen
Volksverräther zu Markte, der läßt sich von der Partei dieses Menschen fanatisiren, der läßt sich von der Diplomatie verhandeln und verschachern, in dem Bewußtsein: „Ich bin ein
Deutscher!“ ja, er läßt sich von der Bourgeoisie Fußtritte geben und bedankt sich noch in diesem Bewußtsein. Das ist die deutsche Freiheit, an die man als Deutscher glauben kann.
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064
] Darmstadt, 22. Januar.
Zur Feier der Einführung der sogenannten „Grundrechte des deutschen Volkes“ war von dem hiesigen Märzverein gestern eine Volksversammlung veranstaltet in dem einige Stunden von hier
entlegenen Auerbach; denn trotz aller Versammlungs-Freiheit, welche die Grundrechte gesta[t]ten, dürfen wir hier doch keine Volksversammlungen halten, weil wir in der Bannmeile des Frankfurter
Froschteiches liegen, und daraus natürlich „dringende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ erwachsen könnte. Die Frankfurter Versammlung hat bereits durch ihre eigenen
Bestimmungen den verschiedenen Executivbehörden, Bürgermeistern, Polizeidienern, Landräthen etc. eine authentische Interpretation der „dringenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und
Sicherheit“ gegeben, wie denn auch das Gesetz zum Schutze der Mitglieder der Nationalversammlung uns am besten sagen kann, wie sie die so feierlich verkündete Preßfreiheit verstanden haben
will, welch' ein herrliches Preßgesetz wir von ihr zu erwarten haben.
Der demokratische Volksleseverein hatte seine Theilnahme an der obigen Feier verweigert, „weil er das, was durch die Grundrechte dem deutschen Volke wirklich gewährt wird, für viel zu gering
ansieht, als daß ihre Einführung eine besondere Festlichkeit rechtfertige.“ Unsere Demokraten hatten sich aber doch zahlreich an der Versammlung betheiligt, um die Gelegenheit zu einer
politischen Agitation nicht ungenützt vorübergehen zu lassen, und wirklich fiel die Versammlung weit mehr im Sinne der Demokratie als der berüchtigten Märzvereins-Programme aus. Schon die
Märzvereinsredner wagten die Grundrechte dem Volke nicht als etwas Besonderes anzupreisen, sondern nur als etwas, woran man sich in dieser argen Zeit der Noth anklammern müsse, um doch wenigstens
etwas zu retten von den glorreichen „Märzerrungenschaften“; was sie aber noch Gutes daran gelassen, ward von den folgenden Rednern vollständig zerrissen, und gewiß haben Viele die
Ueberzeugung gewonnen, daß die Grundrechte nur die neue Form sind, in der das deutsche Volk vollends zu Grunde gerichtet oder wenigstens in den alten Dreck wieder zurückgestoßen werden soll, von dem
es sich im März befreit zu haben glaubte; daß ohne eine zweite Revolution die Grundrechte nichts, und nach derselben unbrauchbar sind. Das ist denn auch eine Errungenschaft, aber eine
wirkliche.
Diese Volksversammlung kann Ihnen aber auch den Maßstab abgeben für die Sinnesänderung der hiesigen Gegend. Auerbach liegt mitten im Wahlbezirke des Edlen, des noch vor kurzer Zeit
Unantastbaren, — und gestern kündigte unter großem Jubel der ganzen Versammlung einer seiner Wahlmänner an, daß ein Mißtrauensvotum gegen ihn vorbereitet werde. Der preußische Erbkaiser erhielt
in dieser Versammlung von 3-4000 Männern wirklich Eine ganze Stimme; der Ständevertreter Karl Zopperitz, der in der Kammer sogar einen Antrag zu seinen Gunsten gestellt hat, hielt es hier für
rathsamer, seinen hohen Schützling im Stiche zu lassen.
Die Majorität des Ausschusses unserer zweiten Kammer hat sich für Friedrich Wilhelm IV. entschieden; ob dieser Antrag in der Kammer selbst angenommen wird, ist dagegen noch zweifelhaft.
Vielleicht bleibt diese Abstimmung der Volksversammlung doch nicht ganz ohne Einfluß auf die Abstimmung der Kammer. Sonst habe ich Ihnen von dieser nichts Besonderes zu berichten, als daß sie noch
nach wie vor ihre Diäten von 5 fl. verzehrt, und einen Antrag, die für ihre Nachfolger beschlossene Erniedrigung schon jetzt eintreten zu lassen, unwillig abgelehnt hat. Sie ist nun einmal an die 5
fl. gewöhnt, wie Ihr pensionirter Oberbürgermeister an die 3000 Thlr.
Nur die Beantwortung einer Interpellation Heldmann's, die Beschränkung der Assoziations-Freiheit des Militärs betreffend, muß ich noch erwähnen. Nach der verhängnißvollen Abendmusik und dem
Kasernensturm des zweiten Regiments ward den Soldaten nämlich der Besuch mehrerer Wirthshäuser verboten, welche als demokratische übel angeschrieben waren; zu ihnen gehörte auch dasjenige, in welchem
der Volksleseverein seine Sitzungen hält, deren Besuch somit auf indirekte Weise ebenfalls untersagt war. Heldmann hatte an das Ministerium die Frage gestellt, ob das Verbot von ihm ausgegangen sei?
oder zweitens ob es dasselbe billige? Die erste Frage ward mit Nein beantwortet; in Bezug auf die zweite äußerte der Regierungs-Commissar: „der Antragsteller würde die Frage nicht gestellt
haben, wenn eine Verneinung derselben erwartet worden sei, und sie zerfalle deshalb in sich selbst (!!!).“ Nicht wahr, die Centralpolizei hat treffliche Schüler? Unverschämter konnte selbst ein
Schmerling nicht antworten.
Heute erlaubte sich der Abgeordnete Glaubrech an einen schon vor längerer Zeit von ihm eingebrachten Antrag zu erinnern, daß mit Bezug auf die Bestimmung der Grundrechte, wonach über Preßvergehen
nur durch Schwurgerichte abgeurtheilt werden solle, die schwebenden Preßprozesse bis zur Einführung von Geschwornen sistirt werden möchten. Der Berichterstatter des Ausschusses nahm diese Erinnerung
sehr übel auf, er erklärte dem vorwitzigen Abgeordneten, daß noch ministerielle Anträge vorlägen, welche vor den Anträgen gewöhnlicher Ständemitglieder stets den Vorzug haben müßten. Als Glaubrech
hierauf etwas erwidern wollte, schnitt ihm der Präsident sogar das Wort ab.
Das nennt man bei uns denn konstitutionelle Vertretung!
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!!!
] Frankfurt, 23. Jan.
National-Versammlung. Fortsetzung der gestrigen Debatte.
Schlutter interpellirt den Reichsjustizminister wegen Beeinträchtigung des Vereinsrechtes in Sachsen-Altenburg. (Deshalb feiert man überall die sogenannten Grundrechte des deutschen
Volkes. Es ist zum Todtlachen! ad vocem Grundrechte! Das sogenannte Montagskränzchen hat gestern Abend diese Grundrechtt feierlich begangen. Viele Linke hielten „scheene“ Reden, und
besprachen sich über das, was jetzt Noth thut. (Ha, ha, ha!) Feiern diese Herren die Grundrechte, während die sogenannte Centralgewalt dieselben schamlos verletzen läßt — und das schon im
Augenblicke der Geburt!
Der Reichsjustizminister beehrt sich, schriftlich anzuzeigen, daß er Erkundigungen einziehen wird, um alsdann das Nöthige (d. h. gar nichts) zu verfügen! (Schmerlingsche Witze! Etwas haben
diese Minister doch von Anton v. Schmerling gelernt, nämlich: auf Interpellationen antworten).
Der berühmte Gesandte Heckscher ist aus dem Lande der Citronen zurückgekommen und befindet sich Gott lob recht wohl in unserer Mitte.
Hierauf Fortsetzung der Berathung.
Es sprach Edel aus Würzburg für Oesterreich, gegen Preußen.
Eine seltsame Erscheinung ist es, daß alle diese Herren gut sprechen, wenn sie für ihre partikularistischen Interessen und Vaterländchen sprechen. Da werden sie ganz Feuer und Leben!
Man male, sagt Edel, jetzt den Teufel der Anarchie roth an die Wand, um die Nothwendigkeit des preußischen Kaiserthums zu beweisen. (Also sogar der Teufel wird jetzt nicht mehr schwarz gemalt,
sondern roth — Alles roth! nur die Schamröthe ist verschwunden!) Das preußische Kaiserthum würde in Süddeutschland nur mit dem Belagerungszustand durchzuführen sein. (Heiterkeit. Nun, darauf
versteht sich Preußen!) Endlich stimmt er für einen Wahlkaiser.
Grumprecht (aus Hannover) spricht heißblutig für den preußischen Erbkaiser.
Schluß der Debatte.
Die Berichterstatter der verschiedenen Minoritäten des Ausschusses (eine Majorität ist für die vorliegende Frage nichi zu Stande gekommen) verzichteten glücklicher und auffallender Weise aufs
Wort.
Die Anträge wurden zur Unterstützungsfrage gebracht, die namentliche Abstimmung für alle Anträge vorbehalten.
Welcker sprach dafür, sich zuerst für das Prinzip erblich oder nicht erblich auszusprechen.
Wigard ebenso.
Vincke blamirte sich fürchterlich.
Endlich entschied man sich in namentlicher Abstimmung mit 270 Stimmen gegen 216 dahin, bei der Abstimmung mit der Erblichkeit anzufangen. Man beginnt demnach die Abstimmung mit dem 1.
Minoritäts-Erachten. Es lautet: „Diese Würde ist erblich im Hause des Fürsten, dem sie übertragen worden ist; sie vererbt im Mannsstamme nach dem Rechte der Erstgeburt.“ Dieser Antrag
ward in namentlicher Abstimmung mit 263 gegen 211 Stimmen verworfen. Es stimmten für Erblichkeit:
Arndt (das alte Kind.) Beckerath (Der Wiegen-Webstuhl-Mann.) Beseler (Der Dulder.) Bürgers, Dahlmann. Ebenso Franke der Schleswiger, Droysen, dito „mehrumschlungen.“ Gagern fehlte.
Godfroi (von der Sorte freisinniger Hamburger) stimmte mit Ja. Heckscher war fortgeschlichen. Jordan aus Berltn, dito aus Marburg, Fuhr stimmten für Erblichkeit und wurden furchtbar ausgelacht.
Letzterer (Jucho) hat wenigstens schon 20 Mal seine Meinung verändert. Er ist ein wahres politisches Chamäleon. Leue hatte sich herausgeschlichen. Löwe aus Calbe (der Apostat) für Erblichkeit,
Moritz Mohl (der Liberale) dito. Rießer ein dito Hamburg, israelilischer Liberaler auch für erblich. Rösler aus Oes sagte sein „Nein“ mit einer unaussprechlichen Verächtlichkeit.
Schmerling, der Freund Gagerns, stimmte mit Nein.
Schneer (Geschäftsordnungsmensch) mit Ja. — Der Republikaner und Kneippräses Soiron stimmte für den Erbkaiser. (Horrendes Gelächter.) Ebenso Tellkampf. Waiz stimmte nicht. Wurm mit Ja. Und
der liberale Wuttke aus Leipzig stimmte aus Furcht nicht mit. (Gelächter.) Der Herr Minister Gagern ging nachträglich über die Tribüne und sprach wehmüthig: Ja! (Gelächter.) — Nach Verkündigung
des Resultats klatschte die Gallerie. Der Präsident Simson verbat sich dies sehr gereizt. Da klatschte die Linke und die Gallerie lachte. — Acht Erklärungen in Folge der Abstimmungen wurden
abgegeben, mit deren Quatsch ich Sie verschone. — Mohl erklärt, er habe für die Erblichkeit gestimmt, weil er überzeugt, der Kaiser von Oestreich werde Kaiser von Deutschland werden.
(Gelächter.)
Folgt der Antrag: „Die Wahl des Kaisers geschieht auf Lebenszeit“, mit 413 Stimmen gegen 39 verworfen. Die „Erblichen“ stimmten aus Bosheit dagegen.
Folgt namentliche Abstimmung über den Antrag:
„Die Würde des Reichsoberhaupts wird jedesmal auf 12 Jahre einem der Regenten von Preußen, Oesterreich, Baiern, Sachsen, Hannover und Würtemberg übertragen,“
wird mit 442 Stimmen gegen 14 verworfen. (Olympisches Gelächter).
Folgt das 4. Minoritätserachten:
„Das Reichsoberhaupt wird auf 6 Jahre gewählt.“
Wird mit 264 Stimmen gegen 196 verworfen.
Neue Erklärungen folgen.
Die Kirche wird erleuchtet. Es ist 4 1/4 Uhr.
Folgt der Antrag von Neugebauer:
„Das Reichsoberhaupt auf drei Jahre zu ernennen“,
wird mit 305 Stimmen gegen 120 verworfen.
Zitz, Titus, Schlöffel und wenige andere sagten zu jedem Antrag „Nein!“ Sie wollen entschieden kein regierendes Haupt.
Schulz aus Darmstadt zieht seinen Antrag:
„Das Reichsoberhaupt auf ein Jahr zu wählen“,
in Folge der vorangegangenen fruchtlosen Abstimmungen zurück.
Ein eventueller Antrag von Höfken:
„Den Urwählern des deutschen Volks in kürzester Frist die Frage zur Entscheidung vorzulegen: ob Wahlkaiser oder Erbkaiser?“
wird ebenso zurückgezogen.
Also ist die Sache ohne Resultat geblieben, und das Parlament hat auf's Neue seine Impotenz erklärt.
Schoder beantragt:
„Den Entwurf an den Verfassungsausschuß zurückzuweisen.“
Beseler (ohne Fonds) will, daß fortgefahren wird.
Vogt meint, es sei ein bestimmtes Resultat erzielt worden, nämlich es solle ein Reichsoberhaupt auf „Kündigung“ erwählt werden; und man solle deshalb ruhig zu berathen fortfahren.
(Donnerndes Gelächter.) — Pro et contra wird geplaudert. Man beschließt nach Beseler fortzufahren.
Schluß der Sitzung um 5 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag.