Deutschland.
@xml:id | #ar204_001 |
@type | jArticle |
@facs | 1111 |
[
*
] Köln, 24. Jan.
Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit Ehren-Brüggemann nach einer neuen „rettenden That der Krone“. Derselbe tiefe Denker, der noch vor nicht gar langer Zeit
das allgemeine Stimmrecht als eine der glorreichsten und kostbarsten „Märzerrungenschaften“ pries; derselbe grundehrliche Mann ist heute der Meinung, daß selbst das jetzige octroyirte
und beschränkte Stimmrecht wieder weg-octroyirt werden müsse.
„So viel, sagt Ehren-Brüggemann, so viel muß dem Beobachter, welcher Partei er auch angehöre, gestern klar geworden sein — das gegenwärtige Wahlgesetz macht, so lange nicht durch
andere politische Institutionen eine allgemeinere Theilnahme an den Wahlen und eine häufigere Berührung und bessere gegenseitige Kenntniß der Bezirksgenossen erwirkt ist, vernünftige und maßgebende
Wahlen unmöglich.“ Und warum nicht? Mit einem tiefen Seufzer antwortet Brüggemann:
„Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß im Ganzen die vereinigten Linken mit ihren Kandidaten (in ihrem Schmerz bringt es die Kölnische fertig, noch schlechteres Deutsch zu schreiben, als
gewöhnlich) über die Kandidaten der konstitutionellen Partei den Sieg davon getragen haben.“
Und wo die konstitutionelle Partei, diese „wahre Majorität“, dieser „Kern der Bevölkerung“, so geschlagen wird, wie hier in Köln vorgestern, da kann natürlich von
„vernünftigen und maßgebenden Wahlen“ nicht die Rede sein. Das ist keine Volksvertretung. Die besten Leute, die Stützen der braven Konstitutionellen haben offenbar nicht mitgestimmt.
Eine kleine, aber thätige Minorität hat in Abwesenheit der Majorität die Wahlen eskamotirt. Hört nur den weisen Brüggemann:
„Den Hauptgrund dieses unerwarteten Ausfalls haben wir in der erschreckenden Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes zu suchen.“
Also das ist das Resultat der 182,000 Flugblätter und 162,000 Abdrücke in der edlen „Kölnischen“ — die erschreckende Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes! Welche
„erschreckende“ Langweiligkeit und Leere muß der „mittlere Bürgerstand“ in diesen sechszehn konstitutionellen Flugblättern entdeckt haben! Welche Naivetät der
Bürgervereinszeitung, gerade in der Wirkungslosigkeit und Ohnmacht ihrer krampfhaftesten Anstrengungen den „Haupt-Grund“ der Niederlage zu sehen!
Aber wie sieht es aus mit dieser „erschreckenden Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes?“
Man sehe doch die Listen der gewählten Wahlmänner durch, ob nicht die Majorität gerade dem „mittleren Bürgerstande“ angehören! Man sehe die Kandidatenlisten der Konstitutionellen an,
ob sie nicht der Mehrzahl nach Kandidaten enthalten, die nicht dem mittleren Bürgerstande angehören, sondern „eine gesellschaftliche Stellung“ besitzen! Man vergleiche diese
Listen mit den demokratischen, ob nicht überall der Reichthum, das hergebrachte Ansehen, die amtliche Stellung, gerade dem „mittleren Bürgerstande erlegen ist!
Nur einige Beispiele:
Im 3. Wahlbezirk wurde den fünf demokratischen Kandidaten Hr. Pastor Busch fünfmal entgegengestellt, und fiel fünfmal durch gegen einen Gymnasiallehrer, einen Leineweber, einen Anstreicher, einen
Kammmacher und einen Fabrikanten.
Im 9. Bezirk siegten fünf demokratische Kandidaten über fünf Herren von der höheren Bourgeoisie, worunter ein Stadtrath und ein Quadratfüßler.
Im 29. Bezirk fiel Hr. Stadtrath Michels fünfmal durch gegen Kandidaten, die sämmtlich zum mittleren Bürgerstande gezählt werden können.
Im 30. Bezirk siegte ein Schneidergesell über einen sehr vermögenden Pumpenmacher, ein Spezereihändler über den Kanzler des Domkapitels Hrn. v. Groote, ein Branntweinbrenner über den
Domkapitular Hrn. Trost u. s. w.
Im 32. Bezirk siegten die fünf Hauptkandidaten, worunter drei Advokaten, aus dem einfachen Grunde, weil 138 Wähler aus dem mittleren Bürgerstande, nicht mitstimmten. Die Mehrzahl davon hätte für
die Demokraten gestimmt. „Die erschreckende Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes“ verhalf also gerade hier nicht den Demokraten, sondern den Konstitutionellen zum
Sieg!
Im 49. Bezirk fiel Hr. Karl Boisseree, Kohlenhändler etc. durchaus nicht dem mittleren Bürgerstande angehörig, achtmal durch gegen acht Demokraten aus dem „mittleren
Bürgerstande.“
Endlich im 45. Bezirk, doch hören wir zuerst Hrn. Brüggemann selbst:
„Im 45. Bezirk, der 530 Urwähler enthält, wurde in der ersten Wahl bei 242 wirklich Wählenden der Kommandant, Herr Oberst Engels, in der dritten Wahl, nachdem die Demokraten über Mittag
einigen Sukkurs geholt, bei 260 wirklich Wählenden als Kandidat der Letztern ein Wahlmann von der alleräußersten sozialistisch-demokratischen Gesinnung gewählt! Was ist nun die Ueberzeugung und
Gesinnung des 45. Bezirks?“
Letztere Frage könnte sich Ehren-Brüggemann selbst beantworten, da er bekanntlich im Wahllokal des 45. Bezirks sich die ganzen beiden Wahltage aufgehalten und den Sieg der konstitutionellen
Kandidaten in diesem Hauptquartier des Bürgervereins mit allen Mitteln durchzusetzen suchte. Aber vergebens, und daher die Thränen!
Im 45. Wahlbezirk — Sie müssen es wissen, Herr Brüggemann — ging es folgendermaßen her:
Die Herren vom Bürgerverein hatten sich höchst pünktlich zur bestimmten Stunde eingefunden. Die Demokraten blieben etwas länger aus. Sofort schritten die Herren vom Bürgerverein zur Wahl, und
setzten den Oberst Engels — hört, hört — mit Einer Stimme Majorität — durch. Und dieser Eine entscheidende Stimmzettel enthielt weiter nichts als den Namen „Engels“
ohne weitere Qualifikation. Gegen diesen glorreichen Wahlsieg des Hrn. Engels vermittelst Einer zweifelhaften Stimme haben aber zwei Hundert vier und dreißig Urwähler des Bezirks Protest
eingelegt — also fast doppelt soviel, als für Hrn. Engels stimmten.
Wie aber ging es den übrigen sieben Kandidaten des Bürgervereins?
Der zweite Kandidat war Herr Stupp, der wohlbekannte Ex-Abgeordnete, der in Berlin davonlief und nach Brandenburg ging. Hr. Stupp fiel durch gegen Herrn Hummelsheim, einen entschiedenen
Demokraten aus dem „mittleren Bürgerstande“.
Der dritte war der wohlangesehene und sehr wohlhabende Kaufmann Herr Franz Heuser, der, wie wir oben sehen, zum großen Entsetzen des Herrn Brüggemann gegen einen „alleräußersten
demokratisch-sozialistischen“ Kandidaten durchfiel.
Aber die Demokraten hatten „Sukkurs geholt“!
Ei Herr Brüggemann, und warum holten Sie denn keinen Sukkurs? Warum liefen Sie und die übrigen Herren vom Bürgerverein nicht von Haus zu Haus, um den „mittleren Bürgerstand“ aus
seiner „erschreckenden Theilnahmlosigkeit“ emporzurütteln? Warum drückten Sie den Leuten nicht noch einige Exemplare jener wunderthätigen, 344,000 mal abgezognen Flugblätter in die Hand?
Ach, es wäre umsonst gewesen! Die Demokraten waren zu übermächtig. Sie sehen es ein, verkannter Brüggemann, vous aviez travaillé pour le roi de Prusse!
Doch weiter. Der vierte Kandidat war Hr. Advokat-Anwalt Fay, Mit-Chef des Bürgervereins und Inhaber der Lösung der sozialen Frage. Auch du, Brutus! Die unbarmherzigen Wähler opferten ihn
einem Buchdruckereibesitzer „aus dem mittleren Bürgerstande“, und Herr Fay fiel durch.
Der fünfter war Herr Advokat-Anwalt Compes, Ex-Nationalversammelter von Frankfurt. Aber auch ihm leuchtete kein guter Stern: er fiel durch gegen den Schlossermeister Monius „aus dem
mittleren Bürgerstande.“
Der sechste war Herr Ochse-Stern, der Leihhausverwalter, der mit seinen Pfandzetteln das ganze Proletariat und den ganzen mittleren Bürgerstand beherrscht. Er fiel durch gegen den Privatmann
Froitzheim „aus dem mittleren Bürgerstande.“
Der siebente war Herr Advokat-Anwalt Esser II., Ex-Abgeordneter in Berlin, der mit Hrn. Stupp am 9. Oktober im Davonlaufen wetteiferte. Er folgte seinem Genossen auch hier; er fiel durch
gegen den Schneider Tilz „aus dem mittleren Bürgerstande.“
Der achte endlich, Hr. Pastor Rollertz, erlag ebenfalls einem Gegner aus dem „mittleren Bürgerstande“, dem Kaufmann Hrn. Hospelt.
Also sieben demokratische Wahlmänner, fast alle „aus dem mittleren Bürgerstande“, siegten gegen sieben Lokalgrößen, worunter zwei Exdeputirte, ein Pastor, ein Nationalversammelter,
und ein Löser der sozialen Frage — und nur Ein nicht dem „mittleren Bürgerstand“ angehöriger Heulerwahlmann ging durch, und noch obendrein mit Einer zweifelhaften Stimme
und verfolgt von einem Protest mit 234 Unterschriften!
Und diesen Bezirk wählt Hr. Brüggemann, um auszurufen: Was ist nun die Gesinnung und Ueberzeugung dieses Bezirks! Diesen Bezirk, in dem der mittlere Bürgerstand entschieden siegte, wählt er, um
„die erschreckende Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes“ zu beweisen! Armer Brüggemann! Die Beklemmung raubt ihm den letzten Rest von Besinnung.
Uebrigens stehen auf den Armenlisten der Stadt Köln 25,000 Köpfe, die öffentliche Unterstützung erhalten. Diese 25,000 Köpfe, d. h. gerade 29 pCt. oder fast ein Drittel der Gesammtbevölkerung, sind
nicht vertreten. Ferner sind die vielen Arbeiter nicht vertreten, die entweder noch keine 6 Monate hier, oder die keine Preußen sind. Nun ziehe man diese Kategorieen von der Gesammtmasse des
Proletariats ab, und wie viel Proletarier bleiben übrig, die das Stimmrecht haben? Wahrhaftig, wenn das Proletariat und die kleine Bourgeoisie nicht zusammengehalten hätten, die konservative größere
Bourgeoisie hätte siegen müssen! Und dabei faselt ein Brüggemann von erschreckender Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes!
Die Sache ist einfach: Wo der Sieg der einen oder der andern Partei gewiß war, da blieben manche Wähler beider Parteien aus, oder erschienen erst wenn das Resultat zu schwanken anfing. Gerade die
Sicherheit des Resultats machte die Leute scheinbar gleichgültig. Aber hätte er sie alle herbeigetrieben, Hr. Brüggemann hätte doch seiner braven Partei keinen Sieg verschafft. Dafür haben die
„rettenden Thaten der Krone“ gesorgt.
Uebrigens mögen die Demokraten nicht zu übermüthig sein. Es ist nicht zu läugnen, daß gerade hier in Köln die Wahlen unentschiedener ausgefallen sind als sonst in der Provinz. Die Demokraten mögen
sorgen, daß unsere Gegner nicht durch Intriguen und Spaltungen bei den Wahlmännern wenigstens ein Stück des verlornen Terrains wieder gewinnen. Von der Thätigkeit der Demokraten hängt es ab, ob der
errungene Sieg vollständig ausgebeutet werden wird. So lange die Deputirten nicht ernannt sind, so lange dürfen wir nicht ruhen. Also wachsam und thätig!
@xml:id | #ar204_002 |
@type | jArticle |
@facs | 1111 |
[
*
] Köln, 23. Jan.
Wie man die Wahlangelegenheit in der Blankenheimerhof-Kaserne betrieben hat, darüber geben wir dem Publikum in Nachstehendem eine kurze erbauliche Vorstellung:
Zuvor wurden — auf Befehl der königl. Kommandantur — sechs außerhalb der Kaserne wohnende Offiziere und zwar
- 1) Hauptmann von Uttenhoven,
- 2) Hauptmann Koeber,
- 3) Hauptmann von Dorpowski,
- 4) Prem.-Lieut. von Bulow,
- 5) Prem.-Lieut. von Woisky,
- 6) Prem.-Lieut. von Woringen,
zu den Urwählern in der Kaserne abgetheilt, der v. Dorpowski noch dazu als Wahlkommissarius bestellt.
Die Genannten haben vom 20. bis 22. in der Kaserne geschlafen. Ist dies der Grund der Zutheilung oder ist sie auf Grund mündlichen Cirkulärs von oben herunter geschehen? So viel haben wir gehört,
daß diese Urwähler-Vertheilung auf Befehl des jüngst noch für seine Bravour in der Belagerungszeit Kölns mit dem rothen Adler-Orden beschenkten Kommandanten Engels, im Kommandantur-Bureau vorgenommen
sein soll.
Die Folge von diesen Wahl-Umtrieben war, daß Freitag den 19. d. Mts. bei jeder Kompagnie des 2. Bat. 16. Inf.-Regiments (dieses Bataillon wählte von den in der Kaserne liegenden 3 Bataillons allein
und zwar 9 Wahlmänner) 3 Vertrauensmänner ernannt wurden, wobei die Unteroffiziere den Gemeinen einen Offizier oder Feldwebel angaben und dann fragten: ob sie gegen diesen Etwas zu erinnern hätten?
Natürlich hatte bei Anwesenheit der p. p. Offiziere Keiner die Dreistigkeit — die ihm vielleicht übel zu stehen gekommen wäre — Etwas einzuwenden. Die Hrn. Vertrauensmänner brachten nun
heute Morgen ein Verzeichniß der von ihnen aufgestellten Wahlmänner herbei. Dieses wurde dann unter die Soldaten vertheilt und nachdem dies geschehen, wurden die Soldaten in Reih und Glied zur Wahl
abgeführt. Jede Kompagnie wurde allein gestellt und dadurch jede Verbindung und Besprechung untereinander abgeschnitten. Der Hauptmann von Uttenhoven — kürzlich zum Kapitain erster Klasse mit
einem Gehalt von 100 Thlr. monatlich, ernannt und als ächt preußischer Reaktionär bekannt — befahl hierbei seinen Leuten, daß Keiner sich entfernen sollte, bis erst 3 Wahlmänner durchgebracht
seien (er war nämlich der 3. auf dem Zettel Bezeichnete!); auch überzeugte er sich mehrmal durch Oeffnen der Stimmzettel, ob seine Leute auch nach seinen Befehlen verfuhren, und Wehe dem, der es nicht
gethan!
Die Soldaten, hierdurch ganz irre geführt, wurden nun durch die Offiziere und Unteroffiziere, denen sich auch der Hr. Kommandant Engels anschloß, so bearbeitet, daß sogar die bei den
Unteroffizieren und Gemeinen am meisten verhaßten Offiziere gewählt wurden. Natürlich wurde kein Mittel geschont, um die Soldaten zu dieser Wahl zu verleiten, ja, der Herr Wahlkommissar äußerte:
„Hätten sie (die Soldaten) voriges Jahr gut gewählt, so wären die Reservisten längst zu Hause!“ Also, mit andern Worten: „Wählet mich!“ Ueberhaupt, wählet lauter ächt
„Schwarzweiße“, lauter Krautjunker und müßige Verzehrer am Beutel des Volkes, wählt Leute, die es gründlich verstehen, euch und euere Eltern und euere Angehörigen und Freunde und die
Bewohner des ganzen Landes in einen schlimmern Zustand zurückzuwerfen, als selbst der seit 1817 war. Und doch war dieser Zustand so, daß man glaubte, es könne nichts mehr darüber
hinausgehen!
@xml:id | #ar204_003 |
@type | jArticle |
@facs | 1111 |
[
068
] Köln, 24. Jan.
Der hiesige rheinisch-westphälische Centralheulerausschuß hat folgenden Cirkulär-Bericht über seine Centralwahlklüngeleien und Agitationen veröffentlicht:
An den konstitutionellen Verein zu
***
Unserm Auftrage auf die Wahlen einzuwirken, haben wir vor der Hand durch Verbreitung von Flugblätern und durch Rundschreiben an die einzelnen Vereine, durch welche die Gleichmäßigkeit der
Bemühungen erzielt werden sollte, zu genügen versucht.
Da morgen die Urwahlen für die zweite Kammer Statt finden werden so ist dem ersten Theile unserer Thätigkeit ein Ziel gesetzt.
Es bleibt uns jetzt noch übrig, auf die Urwahlen für die erste Kammer und auf die Wahlmänner für die zweite eine Wirkung zu erlangen zu suchen.
Wir fühlen dabei das dringende Bedürfniß einer Besprechung mit unseren Gesinnungsgenossen. Einen förmlichen Congreß deshalb abzuhalten, würde zu weitläufig sein, demnach ersuchen wir Sie, eins oder
einige Mitglieder Ihres Vereins zu einer Besprechung abzuordnen, welche wir auf Mittwoch den 24. d., Nachmittags 3 Uhr, im „Prinzen Carl“ in Deutz festsetzen. Dürfte es auch den uns
ferner wohnenden Vereinen nicht thunlich erscheinen, diese Zusammenkunft zu beschicken, so hoffen wir doch, daß die uns näher liegenden uns mit ihrem Besuche erfreuen werden.
Wir wünschen namentlich Aufschluß über den Ausfall der Urwahlen vom 22. d. M., über die Aussicht für die Urwahlen zur ersten Kammer und über die Kandidaten, die bereits aufgestellt sind, Letzteres,
damit möglicherweise Doppelwahlen vermieden werden.
Wir wünschten ferner Rechenschaft über unsere bisherige Thätigkeit abzulegen und zu erfahren, ob wir damit den Wünschen unserer Verbündeten Genüge geleistet haben.
Wir haben bis jetzt 16 Flugblätter, jedes zu einer Auflage von 12,000 Exemplaren drucken lassen und dieselben nach Möglichkeit, mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln verbreitet.
[1112]
Wir glauben durch diese Flugblätter wenigstens den Vortheil erreicht zu haben, unsere Vereinsgenossen in ihren Ansichten gestärkt, manche Unentschiedene aufgeklärt und manche Gleichgültige auf die
Gefahr aufmerksam gemacht zu haben, in welche das Vaterland bei der Theilnahmlosigkeit der gutgesinnten Bürger läuft.
Auch über den Kostenpunkt wunschen wir Rücksprache zu nehmen, namentlich darüber, wie weit wir für die Zukunft zu neuen Ausgaben schreiten dürfen.
Diese 192,000 Flugblätter, von denen 9 in der Kölner Zeitung abgedruckt, also auch dadurch jedes 18,000 Mal verbreitet worden, kosten, wie leicht zu berechnen, mehr, als wir jetzt durch
die Beiträge der Vereine erhalten haben. Wir haben ferner das ganze Porto*) bestritten, wodurch eine sehr ansehnliche Summe in
Ausgabe gekommen ist. Wir werden einige hundert Thaler wohl durch Beiträge der Mitglieder unseres Vereines decken können, allein da man nicht gut (!) eine öffentliche Sammlung
veranstalten kann, so werden wir uns genöthigt sehen, auch unsere Verbündeten noch um Beiträge anzugehen.
Sie würden uns verpflichten, wenn Sie uns eine kurze Anzeige darüber zukommen ließen, ob Sie zu der Besprechung Eines Ihrer Mitglieder abordnen wollen. — — —
Köln, den 21. Januar 1849.
Der Central-Wahlausschuß des konstitutionellen Centralvereins für Rheinland und Westphalen.
Das also ist, nach dem eignen Geständniß unsrer Konstitutionellen, das Resumé ihrer Wahlagitation: 182,000 einzelne Flugblätter und 162,000 durch die kölnische Ztg. extra verbreitete, dazu die
sich überstürzenden Nothschreie Ehren-Brüggemanns „an die Urwähler“, die Klubagitation im Bürgervereine und seinen Filialen in der Provinz und Schulden die durch „mehrere 100
Thlr. Beiträge“ nicht zu decken sind und die man am liebsten durch „eine öffentliche Sammlung“ deckte, was aber leider „nicht gut“ angeht, über 75 Thlr. allein an
Porto — das ist die eine Seite, das sind die Passiva der Bilanz. Und das Aktivum? Kaum hundert konstitutionelle Wahlmänner, kaum das Drittel der Gesammtzahl. Der Bankerott
der konstitutionellen Partei in Köln ist vollständig.
@xml:id | #ar204_004 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
130
] Worringen, 22. Jan.
Euch Brüdern Alle zur Nachricht, daß wir in unserer heutigen Wahl, trotz der kniffigen Eintheilung unseres Gemeinderaths, trotz aller der „schwarzweißen“ Zettel, den völligen
Sieg davon getragen. Diesen Mittag konnte ich leider die versprochene Mittheilung noch nicht machen, weil erst 5 Uhr Nachmittags die Wahl zu Ende. Bezirk 1 wurde zuerst zum Wirth Müller geladen. Da es
aber hier den paar Gottesbegnadeten zu enge wurde, so schlugen sie vor, zur neuen Kirche zu ziehen, was wir auch genehmigten. Nun gings zur Wahl.
Wer kam zuerst durch mit großer Majorität? Das war Kemmerich. — Nun meinten die Herren, es läge an der Eintheilung und machten eine neue, und da kam unser langer, 7 Fuß hoher
Gottfried Klöcker dran. — im dritten Gange schlugen wir sie durch unsern Arbeiter-Präsidenten Schiefenbusch. — Es ward jetzt 1/2 2 Uhr und die Herren mußten sich etwas stärken. Daher
Pause bis 1/2 3 Uhr. Die eigentliche Absicht bei diesem Pause machen war darauf gerichtet, die Roggendorfer und Thenhover, die fast alle mit uns Hand in Hand gingen, unschädlich zu machen. Die Herren
dachten: Na, die werden nun nach Haus essen ziehen und dann ausbleiben! Der Spaß wurde ihnen aber verdorben; denn Niemand ging nach Hause. Bei der Fortsetzung wurden hierauf P. Bachem und Fr. Ott
rasch und mit Glanz ernannt.
In der 2. Abtheilung fiel die Wahl auf Hrn. Pastor Elkemann, auf Ad. Winter, Fr. Käsbach und Ad. Bebber. Genug, unsre sämmtlichen 9 Wahlen sind auf diejenigen Männer gefallen, welche der hiesige
Arbeiterverein am Sonntage als Kandidaten aufgestellt hatte. Es lebe Worringen, dieser kräftige Sitz der Demokratie!
@xml:id | #ar204_005 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
103
] Gladbach, 22. Jan.
Trotz aller pietistischen Anstrengungen, trotz Ritz und Gudenau hat die Demokratie hier, in Neuwerk, in Viersen, in Dahlen, so wie den Landgemeinden mit ganz entschiedenen Majoritäten
gesiegt.
@xml:id | #ar204_006 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
131
] Emmerich, 23. Jan.
Das Resultat der Urwahlen hat auch hier in dem glänzenden Siege der Demokratie von Neuem den gesunden Sinn des Volkes dargethan.
Die Volksparthei hat zweiundzwanzig, die Bourgeoisie dagegen, trotzdem sie verbreitete, die Demokratie suche den Sturz des Pabstes herbeizuführen, die Religion zu schänden, und trotz Drohung
mit Arbeitsentziehung, Erkaufen von Stimmen, Verbreitung des Sonntagsblättchen, des Breslauer Hirtenbriefes, trotz Aufsuchen sonst verachteter Handwerker und Arbeiter etc., nur vier ihrer
Kandidaten durchgebracht.
@xml:id | #ar204_007 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
132
] Essen, 22. Januar.
Sowohl die Manteufel'schen Andeutungen, als auch die schändlichen Intriguen des Harkort-Meusebach'schen Wahl-Comités sind hier auf steinigten Boden gefallen, denn bei den heutigen
Urwahlen hat die Demokratie den vollständigen Sieg errungen.
Trotz dem, daß der königl. Domainen-Rath, Ritter Keller, den Zettelträger des erwähnten Comitè's auf den umliegenden Kohlenzechen spielte; trotzdem, daß der königl. Bergamts-Secretair
Focke, ein fürchterlicher Bibelhusar, auf Stimmen Jagd machte; trotzdem, daß der königl. Bergamts-Kontroleur Pork die Volksverräther — wie dieser beschränkte Geist mit näselnder Stimme die
Demokraten nannte — unter die Füße treten wollte; trotzdem, daß Fuhren voll der bekannten verläumderischen Flugschriften obigen Comité's in Masse hier und in der Umgegend veebreitet
worden sind; trotzdem, daß Viele ihren Arbeitern, wenn sie für die Zwecke der Herren reagentes nicht stimmen würden, die Arbeit zu nehmen drohten; trotz alle dem und alle dem siegte die Wahrheit!
Dieses mochten aber die Herren reagentes wohl vorausgesehen haben, deshalb griffen sie zu einem letzten Mittel. Diejenigen, welche früher so sehr über den Steuerverweigerungsbeschluß der seligen
Nationalversammlung losdonnerten, wollten denselben nun dadurch im Kleinen nachäffen, daß sie erklärten: Wir wollen künftig nur bei Gesinnungsgenossen arbeiten lassen. Aber auch dieses Mittel hielt
nicht vor.
Auch aus der nächsten Umgebung laufen günstige Nachrichten ein. Größtentheils siegte die Demokratie! Die Wahrheit über die Lüge!
@xml:id | #ar204_008 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
15
] Warendorf, 22. Jan.
Ich beeile mich, Ihnen das so eben kund gewordene Resultat der heutigen Wahlen mitzutheilen. Von 17 Wahlmännern sind 12 entschiedene Demokraten. Also, ungeachtet aller verdoppelten Bemühungen des
hiesigen schwarzweißen Bürgervereins, ungeachtet aller jesuitischen Ränke des sog. kath. Vereins, dennoch ein glänzender Sieg der Demokraten! Ein klarer Beweis, daß das Volk nachgerade anfängt, sich
den frommen Entrüstungen der Pfaffen zu entwinden und seine bessern Führer kennen zu lernen. Die hiesigen Heuler bersten vor Wuth, zumal auch von den Ortschaften der Umgegend nur der Demokratie
günstige Wahlberichte einlaufen.
@xml:id | #ar204_009 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
*
] Düren, 22. Jan.
Auch hier sind, nach der Aachener Zeitung, die Wahlen „zum größten Theil ganz freisinnig ausgefallen.“
@xml:id | #ar204_010 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
X
] Aus dem Siegkreise, 23. Jan.
Im ganzen Kreise haben die Demokraten entschieden die Oberhand behalten. In Siegburg sind 5 Demokraten und 3 Heuler gewählt worden. An allen übrigen Orten war das Resultat viel günstiger für die
Demokratie.
@xml:id | #ar204_011 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
*
] Aachen, 23. Jan.
Die Wahlen sind auch hier für die Demokratie günstig ausgefallen. Morgen Näheres.
@xml:id | #ar204_012 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
112
] Aachen, 23. Januar.
Die Demokratie hat hier bei der Wahlschlacht einen entschiedenen Sieg errungen. — Nach den scandalösen Wahlagitationen des Piusvereins und der Hansemann-Kühlwetter'schen
Konstitutionellen, die alle keine Jesuitenmanöver verschmähten, hätte man ein Resultat, wie das gestrige, nicht erwartet, da von Seiten der demokratischen Partei verhältnißmäßig sehr wenig geschehen.
— Die Pfaffenpartei und die mit ihr Hand in Hand gehende konstitutionelle Bourgeoisie, waren bisher die Herren in Aachen. Die Demokratie war bis jetzt nicht organisirt und nur durch einige
intelligente und entschiedene Männer vertreten. Aber diese Wenigen haben es vermocht, im entscheidenden Momente, das Volk um das Banner der Demokratie zu schaaren.
Unter den hiesigen Wahlmännern gehören circa 80 der demokratischen Partei an. Die Piusvereiner und die Konstitutionellen sind geschlagen; sie haben es erleben müssen, daß ihre Candidaten, natürlich
große Bourgeois, gegen einfache Arbeiter glänzend durchfielen. — Wir haben so die besten Aussichten, radikalen Männern unser Mandat übergeben zu können, da, wie wir erfahren, die Wahlen in
Eschweiler und Eupen, welche Orte zu unserm Wahlkreise gehören, ebenfalls demokratisch ausgefallen sind.
@xml:id | #ar204_013 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
X
] Elberfeld, 24. Jan.
Der beste Beweis, daß die Wahlen durchaus gegen Wunsch und Willen der hiesigen Heulerschaft ausgefallen, liegt in dem gänzlichen Stillschweigen der Wupperthaler „Galgenzeitung“ Sie
sagt heute auch nicht ein einziges Wörtchen. O arme Schlucker! Daniel von der Heydt und Wülsing und Herrman von der Heydt, v. Hurter, Jul. Gottschalk, de Werth und viele Andere aus der Crême des
Wupperthaler Heulerthums sind mit dem größten Glanze — durchgefallen! Auf Seite des Volks sind Hecker, Präsident der Handelskammer, Höchster u. A. durchgesetzt worden. Das
könnte doch den frommen und „schwarz-weiß“-wüthigen Herren die Augen öffnen! Die Chefs der hiesigen Heuler haben eine Schlappe davongetragen, die sie nie wieder gut machen können. Daß
die reichsten Heuler Elberfelds, wie Dan. von der Heydt (Bruder des gottbegnadeten Handelsministers), de Werth und andere Millionäre so schnöde von den Urwählern zurückgewiesen wurden: wird gar
manches gefährliche Gallenfieber zur Folge haben.
@xml:id | #ar204_014 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
12
] Aus dem Bergischen, 21. Jan.
Mit Beziehung an den Artikel [unleserlicher Text] Vom Rheine in dem heutigen Blatte dieser Zeitung, muß ich bemerken, daß, wenn man aus dem, was Stiehl geworden ist, allerdings erkennen kann, wohin das
Gouvernement will, man dies doch noch besser aus dem erkennen kann, was Diesterweg noch nicht wieder geworden ist. Dieser Mann, der als Einer der ersten Vertreter der Ideen unserer Zeit
hinsichtlich der Volksschule (denn von seinen politischen Ansichten ist's am besten zu schweigen, wenn man den Mann nicht blamiren will) angesehen wird und werden muß, dieser Mann, den
Eichhorn, eben weil er dieser Vertreter war, von seinem Amte, buchstäblich gesagt, wegquälte, er ist noch immer ohne Anstellung, und nicht er, sondern ein Stiehl präsidirt der Kommission, die über die
Lehrerbildung, d. h. über die Zukunft unseres Volkes, Berathung hält. Darin liegt Alles, für den Denkenden und Fernsehenden liegt mehr darin, als in dem, was Brandenburg, Manteuffel und Wrangel
zusammen thun. Also wieder die alte bekannte Heuchelei des Fortschritts, nur zeitgemäß zugestutzt und noch raffinirter als ehemals.
@xml:id | #ar204_015 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
103
] Berlin, 22. Januar.
Da Excellenz Rintelen noch immer mit der Antwort für Temme auf sich warten läßt, so hat Temme, dessen Gesundheit sehr angegriffen ist, wie Briefe an seine Familie melden, nachfolgendes
Beschleunigungsgesuch an den verantwortlichen (?) Justizminister eingereicht, das ich mich beeile, Ihnen abschriftlich mitzutheilen.
Excellenz!
Am 12. d. M., also vor länger als 8 Tagen, habe ich bei Ew. Excellenz angetragen, wegen des durch den Paderborner Beschluß erhobenen Kompetenzkonfliktes mich meiner Haft sofort zu entlassen und
meine Amtssuspension aufzuheben.
Bis heute bin ich ohne Bescheid.
Ich bin es mir, meiner Familie und dem in mir schwer verletzten Rechte schuldig, meiner Seits alles Erlaubte zu versuchen, um dem Zustande des Unrechts, unter dem ich leide, ein Ziel zu setzen.
Daher dieses Beschleunigungsgesuch.
Gründe für meinen Antrag habe ich nicht mehr aufzustellen. Wenn die von mir bisher vorgetragenen, wenn die von der öffentlichen Stimme des ganzen deutschen Landes vorgebrachten, nicht überzeugen,
so muß jedes fernere Anbringen von Gründen als etwas Vergebliches betrachtet werden.
Es ist nur zweierlei möglich:
Entweder haben Ew. Excellenz die Ueberzeugung, daß ich schuldig, daß ich ein Verbrecher, also ein Hochverräther bin, daß ich mithin mit dem Tode bestraft werden muß. Alsdann war es Ihre
unabweisliche Pflicht, jene Hunderte, die vollkommen mit mir in demselben Reat sind, gleichfalls zur Untersuchung und Haft ziehen zu lassen. Bis jetzt ist aber noch kein einziges Gericht auch nur
gegen Einen derselben eingeschritten und Ew. Excellenz haben kein Gericht dazu angehalten.
Oder Ew. Excellenz haben jene Uebezeugung nicht, haben also die Ueberzeugung, daß ich unschuldig bin. Dann hatten Ew. Excellenz schon vor vier Wochen die nicht minder unabweisliche Pflicht: wenn
Sie auch nicht die Untersuchung selbst ohne Weiteres niederschlagen konnten, doch sofort die in Folge derselben gegen mich verübten Ungerechtigkeiten aufzuheben, Ungerechtigkeiten, die mir gegenüber
nicht von einem Gerichtshofe, sondern von einer feindlichen Partei ausgegangen, die also nur Akte der Willkür und Gewalt sind und die ganz Deutschland, ja selbst das Ausland als eine Schande der
preußischen Justiz bezeichnet.
Auch das haben Ew. Excellenz nicht gethan. Anstatt dessen haben Sie einen Kompetenzkonflikt herbeigeführt, von dem kein Ende abzusehen und mich halten Sie unterdeß im Gefängniß, ja im
Zuchthause, ohne Rücksicht auf den Anstand, den alle Regierungen gegen politische Gefangene, den selbst eine hessische Regierung in jenen trüben Zeiten gegen Jordan nicht aus den Augen ließ;
ohne Rücksicht auf meine leidende Gesundheit, die in den ungesunden Räumen dieses Hauses täglich mehr angegriffen wird, so daß ich schon seit 14 Tagen trotz der ärztlichen Behandlung nicht mehr frei
von Fieber bin.
Es wäre freilich noch ein dritter Fall denkbar. Es wäre der, daß es nicht mehr in der Macht Ew. Excellenz steht, Ihre Ueberzeugung geltend zu machen, daß Sie dieselbe einem höheren Willen
unterordnen müssen.
Ich sträube mich, diesen Fall als möglich zu denken, wiewohl selbst die öffentlichen Blätter darauf hindeuten. Ich sträube mich um Ihrer persönlichen, um Ihrer amtlichen Ehre willen. Ew. Excellenz
haben unterm 11. d. M. öffentlich vor dem Lande erklärt, daß Sie kein Theil haben an den Verfolgungen der Gerichte gegen einzelne Abgeordnete. Ich muß Ihnen mit der über diese Erklärung vielfach laut
gewordenen öffentlichen Stimme zurufen: Wollen Sie, daß man Ihnen glauben soll, so bestätigen Sie Ihre Worte durch Werke. Heben Sie sofort das Unrecht wieder auf, das gegen mich verübt worden. Jeder
Tag, den Sie es fortbestehen lassen, macht Sie sonst mehr zu einem Mitschuldigen an demselben.
Münster, 20. Januar 1849.
Temme.
@xml:id | #ar204_016 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
X
] Berlin, 22. Januar.
Endlich hat unser Magistrat politisches Schaamgefühl genug gehabt, den vielfach laut gewordenen und auch von uns letzthin berührten Mißtrauensäußerungen betreffs der Abgrenzung der größern
Wahlbezirke die gebührende Rechnung zu tragen. „Zwar spät kommt ihr, doch ihr kommt“, — heißt es von unserer städtischen Behörde. Die heutigen Morgenblätter bringen uns nämlich
eine vom 20. d. datirte Bekanntmachung des Magistrats, wonach die Residenz in vier größere Wahlbezirke eingetheilt wird. Davon wählen der erste mit 438 Wahlmännern drei, die andern 3 Bezirke mit resp.
294, 292, 293 Wahlmännern je zwei Abgeordnete. Die Garnison figurirt darin in 17 Wahlabtheilungen mit 68 Wahlmännern, beläuft sich also auf 17,000 Mann oder etwas darüber, und ist ebenfalls streng
nach der geographischen Lage ihrer Kasernen in die vier größern Wahlbezirke vertheilt. — Soweit uns die Stimmung der Stadt nach ihren einzelnen größeren Bezirken bekannt ist, können wir mit
ziemlicher Bestimmtheit voraussagen, daß diese von der öffentlichen Meinung erzwungene rechtzeitige und daher nothwendig unparteiische Abmarkung der Wahlbezirke, eine entschiedene Niederlage der
reactianären Partei zur Folge haben wird. —
Bei der Zersplitterung der heutigen Urwahlen in 287 durch die ganze Stadt zerstreute Lokale, ist es unmöglich, bis zum heutigen Postschluß irgend ein übersichtliches Resultat der gesammten Wahlen
zu haben. Was wir bis jetzt (4 Uhr Nachm.) aus den verschiedensten Stadttheilen in Erfahrung bringen, bestätigt unsere gestrige Voraussage. Es steht fest, daß 2/3 bis 3/4 der Urwahlen im liberalen
Sinne, und von diesen sogar der größere Theil in rein demokratischer, mitunter auch sozialer Färbung ausfallen wird. Die genauern Zahlenangaben uns bis morgen vorbehaltend, können wir doch schon heute
als ziemlich durchgreifende Thatsache feststellen, daß in vielen Bezirken selbst die halbliberale Bourgeoisie ihre Candidaten gegenüber der reinern demokratischen Färbung nicht durchzusetzen vermocht
hat. In einzelnen Bezirken hat freilich die Reaktion vollständig gesiegt; in den bei weitem meisten aber hat sie eine eben so vollständige Niederlage erlitten. Auch können wir schon, und zwar zu
unserer großen Genugthuung, konstatiren, daß die Arbeiter, trotz der zahlreichen Einschüchterungsversuche von Seiten der Arbeitgeber, ihre wahren Interessen durch demokratische und sozialistische
Wahlen geschützt haben. Als einzelne bezeichnende Züge wollen wir auch erwähnen, daß z. B. der Dr. Ed. Meyen, in einem der wohlhabenderen Bezirke der Friedrichsstadt zum Wahlmann gewählt wurde;
während andererseits der ehemalige Bürgerwehrmajor Benda, dem noch zu Neujahr sein früheres Bataillon ein Ehrengeschenk gemacht hatte, trotz achtmaliger Abstimmung und trotz seiner wirklich nicht
illiberalen Gesinnungsweise, seine Wahl gegenüber den demokratischen Candidaten nicht durchsetzen konnte. Ob er dieses Mißgeschick der vor einigen Tagen durch den Hof ihm gewordenen Auszeichnung mit
dem rothen Adlerorden verdankt, wagen wir nicht zu bestimmen.
Interessante Aufschlüsse und Zugeständnisse über die hiesigen Stimmungen enthält der leitende Artikel unserer heutigen „Vossischen,“ der man das Verdienst nicht absprechen kann, daß
sie bis zu einem gewissen Grad ein, wenn auch unklarer Spiegel der Ansichten und Meinungen einer zahlreichen und daher immer schwer in die Wagschale fallenden Klasse unserer Bevölkerung ist. Es ist
daher sehr beachtenswerth, wenn dieselbe heute zugesteht, daß es der „volksthümlichen Partei“ in den letzten Tagen „gelungen, eine bessere Stellung zu gewinnen, und vielleicht
gerade dadurch, daß die Gegenpartei“ (d. h. Harkort'sche, von der eingestanden wird, daß sie „weder bedeutende Geldopfer noch persönliche Anstrengungen gescheut, um ein günstiges
Resultat herbeizuführen“) „zu heftig und unklug auftrat“, was in gewöhnliches Deutsch übersetzt, heißen will: daß durch die Bemühungen der demokratischen Partei, und namentlich
durch den Abdruck und die Verbreitung der von uns am 12. d. M. gegebenen Enthüllungen über das eigentliche Wesen der sich konstitutionell-monarchisch nennenden Partei, die Bevölkerung über Das
aufgeklärt ward, was des Pudels eigentlicher Kern sei. Wenn es ferner in diesem Artikel heißt: „Man erkannte wohl, daß es sich weniger um den politischen als eigentlich um den viel
gefährlichern sozialen Feind handelte. Viele handeln in diesem Augenblicke aus Sorge für ihren Besitz gegen ihre politische Ueberzeugung“: — so verkennen wir zwar hierin nicht die
Absicht, zaghafte Gemüther noch im letzten Augenblick, da man auf sie einwirken konnte, durch den viel benutzten und beliebten Popanz des Communismus einzuschüchtern und zu erschrecken. Wir
konstatiren aber auch mit Vergnügen, daß eben die soziale Frage in den Vordergrund tritt. Die Zeit wird nicht ausbleiben, wo die allgemeine Intelligenz erstarkt genug sein wird, um einzusehen, daß die
politische und die soziale Frage so wenig von einander zu trennen sind, als Weg und Ziel, und daß die Lösung der letztern nur durch eine Reihe politischer Evolutionen und Revolutionen möglich ist.
Wozu unsere gottbegnadete Regierung die sauer erpreßten Gelder der Steuerpflichtigen verwendet, davon liegt uns ein amtlicher Beleg in einem Couvert vor, das den gestrigen Stadtpoststempel und die
gedruckte Aufschrift: „Portofreie Korrespondenz des Komité zur Erfrischung der Berliner Garnison“ trägt. Aus der unter diesem Couvert versandten Aufforderung „an unsere
Mitbürger,“ welche, soviel wir wissen, noch nirgends veröffentlicht worden, ersahen wir, daß dieses Komité unter Beiwirkung der Militair-Behörden entstanden und daß die Postämter der
Provinzen zur portofreien Beförderung der einlaufenden Gelder angewiesen sind.
Nachschrift 6 Uhr Abends.
Alle weiteren Berichte, die uns zugehen, konstatiren das glänzende Durchfallen der reaktionären Partei in den meisten Bezirken. Fast alle ihre Sommitäten sind in mehrfachen Scrutinien unterlegen,
während die demokratischen Kandidaten fast überall beim ersten Scrutinium bedeutende Majoritäten erhielten. Trendelenburg z. B. kam in 6 Abstimmungen von 109 auf 76 Stimmen herab, trotz der
unglaublichen Bemühungen, welche die Harkortsche Partei noch im Wahllocale für ihn gemacht hatte. Ebenso konnten Schaper, Schmückert, Naunyn, Stahl, u. a. m. ihre Wahl nicht durchsetzen. Borsig, der
ein eigenes Lokal für die Wahlen in seinem Bezirk hergegeben hatte, fiel so in seinem eigenen Hause durch. Er brachte es nicht über 96 Stimmen, während die demokratischen Kandidaten 180 Stimmen
erhielten. Wo übrigens die Reaktion den Sieg davon trug, geschah es nicht ohne heftige Opposition und meist nur mit geringen Majoritäten nach mehreren Scrutinien. Auch die Umgebung von Berlin schickt
uns erfreuliche Berichte zu. So fiel in Schöneberg der berüchtigte Andreas Sommer gegen den demokratischen Agitator Dr. Moritz Löwinson durch. Auch die andern 5 Wahlmänner in Schöneberg gehören der
demokratischen Partei an.
@xml:id | #ar204_017 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
[
*
] Breslau, 20. Januar.
Heute ist hier folgendes Plakat an den Straßenecken zu lesen:
„Preis-Courant“
Es ist uns zu Ohren gekommen, daß viele der unbemittelten Urwähler für ihre den Freunden für ungesetzliche Ordnung geleisteten Unterschriften zu gering bezahlt und dadurch übervortheilt werden. Im
Interesse des öffentlichen und heimlichen Verkehrs, welcher durch ein ferneres Herabdrücken der Preise empfindlich leiden würde, halten wir es demnach für angemessen, ein für allemal folgenden
Preis-Courant Käufern und Verkäufern zur Nachachtung zu veröffentlichen.
Stimmen für:
1) demokratische Wahlmänner kosten nichts, auch werden auf der Börse keine Geschäfte mit ihnen gemacht;
2) für konstitutionelle Wahlmänner, schwarzrothgold gefärbt, à Stück 1 Thlr. 5 Sgr.;
3) für konstitutionelle Wahlmänner, schwarzrothgold und schwarzweiß gesprenkelt, à Stück 1 Thlr. 20 Sgr.;
4) für konstitutionelle Wahlmänner, schwarz und weiß gescheckt, à Stück 2 Thlr.
5) für konstitutionelle Wahlmänner von reinstem reaktionairen Wasser, à Stück 5 Rthlr. Gold.
Indem wir alle Urwähler, welche in den genannten Artikeln Geschäfte machen, auf diese Preise verweisen, bemerken wir noch ausdrücklich, daß der Handel in den letzten beiden Nummern am lebhaftesten
geht und wahrscheinlich zum 21. d. M. seinen Höhepunkt erreichen dürfte. — Käufern, wenn sie auch bedeutende Partien auf einmal übernehmen, kann wegen der lebhaften Nachfrage kein Rabbatt
bewilligt werden.
Breslau, den 20. Januar 1849.
Das allerkonstitutionellste Wahlkomité.
@xml:id | #ar204_018 |
@type | jArticle |
@facs | 1112 |
Prag, 18. Jan.
Ungeheures Aufsehen macht die bekanntgewordene Forderung des Fürsten Windischgrätz, ihm die Akten über die hiesigen Juniereignisse einzusenden. Vorgestern sind sie vollständig an ihn abgegangen.
Wohl mit Recht nennt man als Grund
[1113]
dieser unerwarteten Durchsicht die in ihnen enthaltenen Geständnisse des Polen Tucinsky über seinen früheren Aufenthalt in Eperies in Ungarn und die daselbst angeknüpften Verbindungen. Diese
Thatsachen standen damals ganz vereinzelt da; nun aber scheint der Feldmarschall Stoff für seine Vorliebe, allenthalben Verschwörungen zu sehen, gefunden zu haben, und dürfte diesen abgerissenen Faden
verfolgen wollen. Es ist diese Wiederaufnahme für die Czechen und ihre Führer sehr peinlich, da viele derselben hierin verflochten sind und sie es nur nach langem Drängen des damaligen Ministeriums,
dem sie dafür jede Hülfe zugesagt hatten, dahin brachten, den Prozeß niederzuschlagen. Windischgrätz stand damals als Lügner da, der die Ehre der Nation beleidigt hatte. Er dürfte schwerlich Alles das
vergessen haben.
@xml:id | #ar204_019 |
@type | jArticle |
@facs | 1113 |
Posen, 11. Januar.
Ueber die Ereignisse in Warschau am Weinachtsabend haben wir nunmehr nähern Aufschluß erhalten. Die russischen Behörden hatten Kunde davon bekommen daß sich daselbst ein Zweigverein der hiesigen
Liga polska gelildet, und zogen die Häupter derselben gefänglich ein. Um ihre Schuld als gefährliches Staatsverbrechen darzustellen, sollen die bereits gemeldeten militärischen Maßnahmen stattgefunden
haben, denn die Regierung liebt es bei solchen Gelegenheiten ihre Macht zu entfalten, um das Volk einzuschüchtern und auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam zu machen. Eine neue im Königreich
Polen eingeführte Maßregel, wodurch den Verschwörungen unter den jungen Polen der höhern Stände wirksam entgegengearbeitet wird, besteht darin, daß alle jungen polnischen Edelleute fortan eine Reihe
von Jahren Civil- oder Militärdienste im Innern von Rußland ableisten müssen.
[(A. Z.)]
@xml:id | #ar204_020 |
@type | jArticle |
@facs | 1113 |
[
43
] Prenzlau, 21. Jan.
Der Central-Verein der Preußenvereine verbreitet in der Uckermark neben den bekannten „Enthüllungen“, die auch durch die königl. preuß. Kreisblätter, also offiziell verbreitet werden,
seine Kandidatenliste für die beiden Kammern. Es sind dies folgende Namen:
Prof. Stahl, Prof. Keller, Fürstbischof Diepenbrock, Präsident Gerlach, Ob.-Reg.-Rath Bethmann-Hollweg, v. Bismars, Schönhausen, v. Kleist-Retzow, die Exminister v. Alvensleben und Canitz, Minister
Manteuffel, Graf Fürstenberg-Stammheim, Assessor Graf v. d. Golty, Assessor Bindenwald und Assessor Wagner. (Redakteur der „Galgenzeitung“?)
Wie gefällt Ihnen diese Liste? Ein herrliches Kleeblatt aus Junker-, Pfaffen- und Beamtenthum.
Bei den bevorstehenden Wahlen dürfte wohl die hiesige Partei „mit Gott, für König und Vaterland“ ihre aufgestellten Kandidaten: zur ersten Kammer den Grafen Arnim-Boitzenburg,
Exminister, zur zweiten einen pietistischen Pfaffen, den Präsidenten des Preußenvereins, durchbringen. Ueber den zweiten Kandidaten herrscht in der Partei noch Zwiespalt, die einen wollen den
Ober-Bürgermeister Grabow, den andern ist derselbe zu liberal! In der gestrigen Sitzung des Preußenvereins wurde diese Angelegenheit verhandelt.
Ein Pfaffe, der gern selbst gewählt sein möchte, trat besonders stark gegen die Wahl Grabows auf. Derselbe sprach unter Anderm: man hat hier die Aeußerung gethan, doch nicht so rücksichtslos gegen
Grabow zu verfahren, er (der Pfaff) sei der Meinung, der gnädige König von Preußen hätte in jüngster Zeit so viele Schmähungen erduldet, man sollte sich daher auch nicht geniren, Alles Mögliche (alle
nur erdenklichen Schmähungen!) gegen den Hrn. Oberbürgermeister vorzubringen.
Das zog. — Es wurde daher tüchtig fortgeschmäht. Darüber entstand nun gestern in der Stadt unter den zahlreichen Freunden Grabows eine Aufregung, die einen so ernstlichen Charakter
anzunehmen drohte, daß sich das Pfäfflein genöthigt sah, Sicherheitswachen zu requiriren. — Von den hiesigen sich so nennenden „liberalen“ Bourgeois wird Grabow als Kandidat für
die erste Kammer bezeichnet.
@xml:id | #ar204_021 |
@type | jArticle |
@facs | 1113 |
Bamberg, 18. Jan.
Seit mehreren Tagen schon kamen Reibereien zwischen Civillisten und Soldaten in einem hiesigen Bräuhause vor, die denn auch zu Excessen führten und wobei auch ganz unbetheiligte vorübergehende
Personen auf das Gröblichste insultirt wurden. Die dadurch hervorgerufene Erbitterung ließ einen weiteren Zusammenstoß befürchten, so daß die Bürgerschaft ernstlich auf Entfernung der Truppen schon in
den ersten Tagen, wo die Excesse begannen, drang, und um diesem Verlangen Nachdruck zu geben, in Masse sich auf das Rathhaus begab. Zwar ist die Ruhe scheinbar durch die zahlreichen Patrouillen der
Landwehr und des Militärs hergestellt, doch glaubte man heute das Ansuchen um Abberufung der hiesigen Garnison erneuern zu müssen. Magistrat und Gemeindebevollmächtigte halten diesen Mittag
gemeinschaftliche Sitzung, um die zu ergreifenden Maßregeln zu berathen.
@xml:id | #ar204_022 |
@type | jArticle |
@facs | 1113 |
[
!!!
] Frankfurt, den 22. Januar.
National-Versammlung. Ein Mitglied der Linken berichtigt das Protokoll vom Freitag. Es stellt sich nämlich heraus, daß zu Gunsten der Majoritat bei der letzten Abstimmung 9 Stimmen plus
eingeschmuggelt worden sind. (Links: hört! hört!) Es stellt sich demnach fest, daß statt 47 Stimmen Majorität für den guten deutschen Kaiser nur 38 vorhanden sind. Das nennt die Oberpostamts-Zeitung
„eine nicht unbedeutende Majorität.“ (O gute Postamtszeitung!)
Durch den Präsidenten Simson erfahren wir beiläufig, daß die Versammlung gegenwärtig aus 563 Mitgliedern besteht. — Aus Oberöstreich ist ein großer Beitrag zur deutschen Flotte
eingelaufen.
Die Tagesordnung führt nach Ergänzungswahlen für den Wehrausschuß zur Berathung über §. 1. a. das „Reichsoberhaupt.“
Den Kaiser hat man präparirt mit „einer nicht unbedeutenden Majorität“, heut wird man nun entscheiden, ob erblich, ob lebenslänglich, ob auf soundsoviel Jahr!
Das Allerspaßhafteste ist die Ernsthaftigkeit, mit der diese Herren das Reichsoberhaupt behandeln; man sollte glauben, es würde wirklich etwas daraus werden!
Den Wortlaut des §. 1. a. mit den vielen Minoritäts-Erachten gab ich Ihnen in einer früheren Sitzung. — 24 Redner sind eingeschrieben. — Die Diskussion beginnt.
Ahrens (Hannover) spricht für das 4te Minoritäts-Erachten und sagt vieles Gute über die Verwerflichkeit der Erblichkeit. Er vindicirt die Wahl des Reichsoberhauptes auf Zeit das erstemal der
National-Versammlung, für ferner dem vereinigten Staaten- und Volkshause.
Beda Weber (Ultramontaner) erbost sich furchtbar und mit vielem Glück gegen den preußischen Erbkaiser und gegen den edlen Brutus Bassermann. Dieser Mann (Bassermann) hat die Rede, die er für
den Erbkaiser gehalten, ungefähr eine Billion mal abdrucken lassen und verschickt sie mit der Oberpostamtszeitung nach jedem Schaafstall, in jede Kneipe. Man ist nirgends sicher vor diesen verdammten
Bassermann'schen Reden. Sie werden einem unversehens in die Tasche gesteckt. Beda Weber verhöhnt den Bassermann wahrhaft ergötzlich unter wüthendem Beifall der Linken und Gallerien. —
Die Rechte sucht durch Wuthausbrüche seine Rede zu stören, — aber der Beifall mit dem die Hiebe und Stöße gegen Bassermann, Gagern und den potsdamer Friedrich Wilhelm aufgenommen werden, ist zu
rasend! — Ohne Oestreich ist Deutschland nichts! — Vogt und Giskra hätten zwar auch manches gegen seine Tyroler gesagt (meint Weber), aber diesen Männern nehme er es nicht so übel, denn
er halte sie für begeisterte Seher. (Vogt macht vom Platz Complimente) Weber spricht einerseits die tiefsten Wahrheiten und mit oratorischem Schwulst — andrerseits spaßhaft. Von ihm kann man
sagen: „Du sublime au rudicule etc.“ — Seine Rede ist lesenswerth in den stenogr. Berichten. Unter Andern: „Giskra hat ihm einst gesagt, er sei ein Teufelaustreiber, wenn
er diese Kunst besäße, würde er heut die Teufel aus dieser Versammlung austreiben. — Er hofft aber dennoch trotz Alledem, Deutschland wird ein großes Reich werden, und man wird singen
können:
„Und wenn die Welt voll Professoren wär'
„Und wollten uns verschlingen u. s. w.“
(Ungeheurer Beifall. Beseler kratzt sich hinter den Ohren.)
Zum Schluß sagt er ehrlich: „ich möchte am liebsten einen östreichischen Erbkaiser! Aber ehe ich für einen preußischen Erbkaiser stimme, will ich lieber einen Präsidenten.“ (Beifall
und Heiterkeit.)
Rümelin aus Nördlingen: Für die königlich-preußische Erblichkeit. — Alle Anträge gegen den erblichen Kaiser seien gar nichts werth. (Erstaunlich bescheiden!)
Ludwig Uhland (der alte Schwabe) erinnert in kurzer Rede das Haus an die Art und Weise seines Ursprungs. (Leider umsonst!) Er spricht natürlich gegen die Erblichkeit. Er war schon
Widersacher gegen den Erbkaiser, als derselbe noch bei den Siebenzehnern in den Windeln lag. Leider hat er schon in der Wahl des Reichsverwesers den doktrinären Erbkaiser erblickt. — Nur durch
periodische Wahl eines Reichsoberhauptes kann der Partikularismus noch beseitigt werden. Wenn ein preußisches Erbkaiserthum geschaffen wird, ist nicht abzusehen, wie Oestreich wieder zu Deutschland
treten soll. — Das ist eine stümperhafte Einheit, die ein Drittheil aus Deutschland herausreißen muß, um gebildet zu werden. Er schließt: „es wird kein Haupt über Deutschland leuchten,
welches nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Oels gesalbt ist.“
Dahlmann. (Feierliche Stille entsteht als dieser Complex deutscher Weisheit, dieser kaiserliche Brennpunkt der ganzen deutschen Professoren-Misère und Erbärmlichkeit die Tribüne betritt.
Jeder schlägt an seine Brust und denkt: das ist doch wenigstens ein gelehrter Schwätzer.) Er predigt langsam und feierlich für den preußischen-deutschen-erblichen Kaiser. (Beifall der Rechten; sonst
mäuschenstill; Zeichen des tiefsten Ekels vor diesem deutschen Kaiser-Bajazzo!)
Fröbel. Er nennt die rechte Seite die Wächter der Interessen; die Linke die Wächter der Principien und die Centren die Herren, welche in wirklicher oder eingebildeter Weisheit Interessen und
Principien vereinigen wollen. — Die Commission wolle Deutschland in drei Theile zertheilen und den Revolutionären aus Liebhaberei ein geeignetes Feld bieten. Die Demokratie sei in dem
gegenwärtigen Geschichtsstandpunkte eine Unvermeidlichkeit geworden. Wichtig sei übrigens blos die Frage: wer ernennt? nicht: wer ernannt wird? Deshalb sei der angenommene §. 1. ganz unwesentlich.
Auch widerspräche er dem §. 7. der Grundrechte, wonach jedes Amt jedem zugänglich. (Fröbel ist nichts weniger als ein Redner. Seine Abhandlung geht ziemlich eindrucklos vorüber.) Er ist gegen
Erblichkeit, gegen Lebensdauer und gegen jede der Erblichkeit nahekommende Dauer — und für die Wahl durch das Volk selbst.
Nach ihm spricht der tapfere von Vinke für den preußischen Erbkaiser. (Beifall rechts — Zischen links — die Gallerien trommeln.)
Man trägt auf Schluß und Vertagung der Debatte an.
Der Schluß ist verworfen
Die Vertagung wird um 1/2 3 Uhr angenommen.
Morgen Fortsetzung.
Französische Republik.
@xml:id | #ar204_023 |
@type | jArticle |
@facs | 1113 |
[
12
] Paris, 22. Januar.
Boulay ist das Tagesgespräch mit dem Paris erwacht, — Boulay ist der Nachtsgedanke, mit dem Paris zu Bette geht. Boulay über Nacht eine Berühmtheit geworden — das übersteigt den
Horizont des feinsten Diplomaten! Was man nicht Alles werden kann, seitdem Napoleon Präsident geworden! Durch die höchste Dummheit, durch die auf die Spitze grtriebene Dummheit kommt die politische
Welt wieder zur Vernunft. Seht nur das „Debats“! Wie es so frei und offen, so vernünftig klar spricht! „Jede andere Wahl hätte uns kein Vergnügen gemacht; die des Herrn Boulay hat
den ungemeinen Vorzug, daß sie uns keine Pein verursacht! Die Wahl vom 2. Jan. ergänzt die Wahl vom 10. Dez.; die exekutive Gewalt der Republik ist definitiv konstituirt.“ So verhöhnt das
„Debats“ die Republik! Und mit Recht; die honnette Republik hat die honnette Dummheit an's Ruder gebracht, und im Bewußtsein seiner eigenen honnetten Klugheit verlacht das
„Debats“ die honnette Dummheit.
Klugheit und Dummheit — beides ist auf's Aeußerste getrieben, und die Hyperklugheit und Hyperdummheit kommen auf dasselbe Resultat. Sie reiben sich im Kampfe gegeneinander auf. Die
kluge Dummheit der offiziellen Welt stimmt die „Reform“ heiter, und ihre Beileidsbezeugung auf den durchgefallenen Vivien ist mit Humor gewürzt. Der arme Vivien, meint sie, hat sein
Schicksal nicht verdient. Er hat einen Artikel über die Theater geschrieben, 2 Artikel über den Staatsrath, er hat ein Gesetz gemacht über die Vicinal-Wege — und alle diese Werke, und alle
diese Wunder haben ihn nicht retten können: er hat einem Boulay unterliegen müssen! Boulay, der es nicht zum Obersten in der Nationalgarde bringen konnte, Boulay, den seine Legion immer durchfallen
ließ, diesen Mann hat die Kammer zum Vizepräsidenten gemacht. Da steht sich Baraguey-d'Hilliers noch weit besser; er hat zwar nur eine einzige Stimme bei der Wahl des Vizepräsidenten erhalten;
aber das war eine sympathetische Stimme, die aus einem gleichgesinnten Herzen floß; und der große General kann sagen wie Medeus: „In diesem Schiffbruche habe ich meine Person gerettet!“
Aber Vivien, was hat Vivien gerettet!
Die Antrittsrede Boulay's war, wie man im Journalstyle zu sagen pflegt, ruhig gehalten, anspruchslos, bescheiden — bis zur Dürftigkeit. Boulay ist halt „ein Herz“. Er
gestand ganz naiv, daß er seine neue Stellung der durchlauchten Freundschaft des durchlauchten Napoleons verdanke.
Baraguey, Vivien, Boulay, kommt das nicht Alles auf Eins heraus? Für die Arbeiter existiren alle diese Namen nicht; Napoleon hat gar nicht für sie gelebt, so wie die Bauern jetzt erst zu merken
anfangen, daß Napoleon längst todt sei, und sie ärgern sich, daß sie für einen todten Mann gestimmt haben. Napoleon steht nicht mehr auf; dagegen erhebt sich aus dem Todeschlaf ein Mann, den die
Partei des „National“ längst todt wähnte und der binnen Kurzem wieder eine große Rolle zu spielen berufen ist. Wir sprechen von Ledru-Rollin. In seiner Rede gegen den Antrag des
Ministeriums, das auf die Berufung eines hohen Gerichtshofes drang, hat er so energisch auf der Ungesetzlichkeit dieses Tribunals bestanden, daß man geglaubt hätte, die Angeklagten vom 15. Mai seien
die Kläger. Die Angeklagten vom 15. Mai sind die Vorgänger der Angeklagten vom Juni; und werden vereint binnen Kurzem als Ankläger da stehen. Indem Ledru-Rollin sich also auf den Standpunkt der
Angeklagten stellte und der Zeit bloß vorgriff, that er ganz das Umgekehrte dessen, was Barrot jetzt thut, der hinter der Zeit her schleicht und die Angeklagten vor einen Gerichtshof stellen will, der
zur Zeit ihres „Verbrechens“, des Attentats vom 15. Mai, nicht bestand. Wenn wir nun die offizielle Sprache sprechen wollen, so können wir sagen, daß Ledru-Rollin bei den
Juni-Insurgenten wieder „möglich“ geworden, um so mehr, als er vor dem 15. Mai vielleicht mehr als „möglich“ gewesen und die Gegenpartei sich schon freute, ihn durch
Enthüllungen während des Prozesses kompromittirt zu sehen.
@xml:id | #ar204_024 |
@type | jArticle |
@facs | 1113 |
[
12
] Paris, 22. Januar.
Hubert, in einem Briefe an den Prokurator der Republik, übernimmt die ganze Verantwortlichkeit der Vorfälle vom 15. Mai. Wie man weiß, befindet sich Hubert auf flüchtigem Fuße. In einem frühern
Briefe bereits hatte er sich anheischig gemacht, am Tage der Debatten sich zu stellen. Er erneuert jetzt dieses Versprechen.‥‥ „Bis indessen die Umstände mir erlauben, die
öffentliche Meinung über die wahren Ursachen der Vorfälle vom 15. Mai aufzuklären, protestire ich aus allen Kräften gegen einen Beschluß, der mit mir zugleich 19 andere Personen wegen eines Faktums
beschuldigt, das mich persönlich betrifft und wovon ich die Verantwortlichkeit übernommen habe.
Ich habe es bereits der Untersuchungskommission erklärt und ich wiederhole hier abermals,
1) daß ich es war, der ohne Vorwissen meiner Mitbeschuldigten den Entschluß gefaßt hatte, die Auflösung der National-Versammlung auszusprechen;
2) daß ich damals nur der Nothwendigkeit gehorcht und mich nur durch Rücksichten reiner Menschlichkeit bestimmen ließ, wie ich es am Tage der Debatte beweisen werde.
Wenn ich mich noch nicht als Gefangener gestellt habe, so geschah dies bloß, weil ich von Ihrer Unparteilichkeit ein besseres Resultat für meine Mitangeklagten erwartet habe.
Wenn ich in diesem Augenblicke noch zögere mich zu stellen, so geschieht es bloß, weil ich Ihnen keine Gelegenheit in die Hände geben will, eine supplementarische Instruktion zu verordnen, wodurch
der Prozeß vertagt und die Haft der andern Angeklagten verlängert werden möchte. Aber sobald der Tag der Debatte gekommen, so werde ich auf der Bank der Angeklagten sitzen, nicht um mich zu
vertheidigen, sondern um die Wahrheit zu sagen, welche von der reaktionären und royalistischen Partei so schmählich entstellt worden.
„Es lebe die demokratisch-soziale
Republik!“
A. Hubert.“
@xml:id | #ar204_025 |
@type | jArticle |
@facs | 1113 |
Paris, 22. Jan.
Der Moniteur enthält heute den Bericht, den Boudet im Namen jener Commission abstattet, welche die Nationalversammlung Behufs Prüfung der Reorganisation des gesammten Gerichtswesens niedersetzte.
Man entsinnt sich, daß die Provisorische Regierung eine solche Reorganisation am 2. März 1848 dekretirte, weil sie den alten Gerichtsschlendrian der Monarchie unmöglich mehr für eine demokratische
Republik als passend erachtete. Jene Commission aus unseren Zunftmeistern à la Senard, Isambert, Flandin, Berville etc. bestehend, hat aber gefunden, daß unser vor sechszig Jahren erfundenes
Gerichtswesen noch sehr gut auf unsere Zustände passe, und sie schlägt darum vor, Alles beim Alten zu lassen.
Jenes Dekret vom 2. März 1848 wird somit begraben.
— Unser Cabinet verräth eine wahrhaft knabenhafte Furcht vor volksthümlicher Entwickelung. Als Beweis mag folgendes allerneueste Rundschreiben des Ministers des Innern an sämmtliche
Präfekten dienen:
Herr Präfekt!
„Eine Assoziation hat sich unter dem Titel „Solidarité Républicaine“ gebildet. Sie hat durch alle Departemente Verzweigungen angelegt und die Grundsätze, in deren Namen sie
besteht, sind in Opposition mit dem gegenwärtigen Systeme. Vor der Präsidentenwahl drückte man die Augen zu — man ließ sie gewähren. Aber seitdem hat diese Organisation beunruhigt und man ließ
deshalb das Lokal ihrer Centralsitzungen (bei Montesquieu?) schließen. Man begreift in der That, daß wenn man eine solche Assoziation duldete, sie einen Staat im Staate konstituiren würde und die
Oeffentliche Sache (!) in Gefahr bringen müsse, besonders wenn sie von feindlichen Absichten geleitet würde. Vom Standpunkte der Gesetzlichkeit aus könne keine derartige Assoziation existiren, denn
wenn man sie als Club betrachtet, so müßte sie ihre Sitzungen öffentlich halten; wäre sie Zirkel, so müßte sie um vorherige Genehmigung eingekommen sein. In jedem Falle blieb es ihr untersagt, ihre
Arme durchs ganze Land zu strecken. Da sie also weder Klub noch Zirkel, so kann sie nur geheime Gesellschaft sein, und verfällt mithin der Strafe der Gesetze.
Da ich nun mehrere Gründe habe, zu glauben, daß diese Assoziation trotz des Schließens ihres Centralsitzungslokals noch fortbesteht und Affiliationen in allen Departementen besitzt, so verpflichte
ich Sie hiermit, die Schritte derselben in Ihrem Departement zu überwachen und jede Zusammenkunft oder Schriftenverkauf zu behindern. Nöthigenfalls werden Sie sich mit den Gerichtsbehörden verstehen.
Ich zähle auf Ihre Pünktlichkeit und Entschlossenheit.
Paris, den 21. Januar.
(gez.) Leon Faucher, Minister des Innern.
(gegengez.) Hermann, Divisionschef.
— Ledru-Rollins „Revolution“ erläßt eine Protestation gegen diese ministerielle Willkür und sagt darin unter Anderem:
„Alle Parteien beuten das Vereinsrecht verfassungsgemäß aus. Cavaignacs Freunde errichteten die Société des Amis de la Constitution und erhielten sogar einen Saal im Palais National; die
Legitimisten konspiriren in den Sälen der Rue Duport; Montalembert steht an der Spitze einer katholisch-religiös-polit. Assoziation; die Assoziation Fraternelle im Heraultdepartement umfaßt ganz
Frankreich und wir könnten noch mehrere Werkstätten der Verschwörung nennen, welche Gnade vor der reaktionären Presse finden. Die Solidarité republicaine scheut das Tageslicht keineswegs; sie zählt
ungefähr 40 Deputirte in ihrer Mitte; ihre Grundsätze kennt alle Welt und Niemand darf ihren Republikanismus verdächtigen.
Trüge die Regierung wirkliche Sorge für die Interessen der Revolution, so würde sie nicht gegen diejenigen einschreiten, die sich assoziren, um sie zu vertheidigen. Warum schließt sie gegen die
unverschämte Keckheit der Monarchischen ihre Ohren? Beweise sie uns, daß die Solidarite Republicaine die verfassungsmäßigen Schranken überschritten, dann werden wir uns gegen die Härte ihrer Gerichte
nicht beklagen. Bis dahin aber ist es Niemanden, sei er Minister oder Präfekt, gestattet, ihre Aktienthätigkeit zu hemmen.
Sollte dies aber dennoch geschehen, so werden wir an die Nationalversammlung appelliren; sie ist die Wächterin der Verfassung. Doch soweit wird das Ministerium nicht gehen. Es liegt im Geiste der
alten Bureaukratie, Schwierigkeiten en détail zu erheben, um die Anhänger der Solidarité abzuschrecken. Wollte es weiter gehen, so erforderte es hiefür die Genehmigung der Nationalversammlung und
diese erhält es nicht.“
— „La Presse“ veröffentlicht eine neue „Mittheilung“ über die italienische Frage. Auch sie stellt durch Depeschen-Auszüge von Circourt und Lamartine, den Druck
dar, den Rußland auf Preußen und Oesterreich in der polnischen und italienischen Frage seit dem Mai v. J. ausübte.
— In Marseille hat sich ein Frei-Korps spanischer Republikaner nach Sizilien eingeschifft, um dort am Kampfe gegen die neapolit. Herrschaft Theil zu nehmen.
— National-Versammlung. Sitzung vom 22. Januar. Anfang 1 Uhr. Präsident Marrast. Bänke und Gallerien sehr voll. Premierminister Barrot sieht etwas angegriffen aus. Er litt, heißt es,
an der Cholerine, die hier grassirt. Nach Vorlesung des Protokolls werden viele Petitionen für und gegen die National-Versammlung überreicht.
Denjoy, der Fanatiker, übergiebt deren einen ganzen Stoß gegen die National-Versammlung, und bemerkt mit marktschreierischer, Stimme, daß sie 4500 Unterschriften trage. (Gelächter vom
Berge).
Peter Bonaparte überreicht eine andere Masse von Bittschriften, welche verlangen, daß sich die National-Versammlung nicht trenne, ehe sie nicht alle organischen Gesetze votirt habe.
Billault und 80 Deputirte verlangen schriftlich, daß der Finanzminister das Einnahmebüdget pro 1849 vorlege. (Unterstützt von Goudchaux).
Lacrosse, Staatsbautenminister, bittet, doch so lange zu warten, bis sein Kollege Passy angekommen.
Falloux Unterrichtsminister, liest einen Beschluß der Regierung vor, wonach sie den Gesetzentwurf über Anlage vor Verwaltungsschulen zurückzieht. (Sensation)
Bourbeau (mit Heftigkeit): Dann nehme ich ihn wieder auf! (Eine Stimme: Das können Sie nicht!)
Marrast: Man kann auf diese Weise nicht annulliren. Sie müssen hiefür einen Spezialantrag stellen und ihn schriftlich an das Bureau gelangen lassen.
Nach diesen Incidencien geht es an die eigentliche Tagesordnung, nämlich an Fortsetzung der Maigefangenendebatte, welche die Bedeutung einer Kabinetsfrage anzunehmen scheint.
Dupont (Bussac) beginnt den Kampf und beweist gleich seinem vorgestrigen Vorgänger, daß die Retroaktivität bei Gesetzen richterlicher wie administrativer Natur nicht Platz greifen könne.
Niemand dürfte seinen natürlichen Richtern entzogen werden. So oft dieses in trauriger Vergangenheit geschehen, habe man zu exceptionellen Maßregeln seine Zuflucht genommen. Daß dies geschehen, sei
traurig. Aber nie sei in solchen Fällen den richter-
[1114]
lichen Gesetzen eine rückwirkende Kraft zugestanden worden. Man könne Verbrechen, die im Mai begangen worden, nicht nach Gesetzen richten, die erst im Oktober oder Dezember gemacht worden. (Beifall
zur Linken.) Dupin habe zwar vorgestern gesagt, daß man das allerdings könne. Aber im Jahre 1820 veröffentlichte dieser Rechtsprofessor eine Brochure, in der er geradezu das Gegentheil aufstellte. Wer
könne einem solchen Raisonnement Glauben schenken? In einem andern Prozesse sei Bonjean in denselben Irrthum gefallen.
Bonjean unterbricht hier den Redner und liest das Urtel des bezogenen Prozesses vor. Kein Mensch hört ihn an.
Dupont (Bussac) schließt seine Rede mit dem Antrage, die Maigefangenen vor ihren natürlichen Richter zu stellen.
Dupin rechtfertigt sich ebenfalls und giebt Merlinsche Citate aus dem Cadoudalschen Prozesse zum Besten. Man möchte mich gern auf Widersprüche führen!
Rouher, der ihm in die Arena folgt, um ebenfalls eine Lanze gegen die Maigefangenen zu brechen, behauptet, Attentate gegen das Staatsoberhaupt (Oh! Oh!) seien stets von der Pairskammer
gerichtet worden. Dieselbe habe im Mai nicht bestanden, also gehöre der Angeklagte vor den hohen Gerichtshof. In gerichtlichen Dingen sei die rückwirkende Kraft ein Fortschritt. (Heftiger Widerspruch
vom Berge).
Cremieux spricht gegen den ministeriellen Gesetzentwurf. Ausnahmegerichtsbarkeit sei von 1791 bis 1815 nur in einem einzigen Falle vorgekommen. In Gerichtsdingen müsse unbedingte Gleichheit
herrschen. Die Institution eines Pairsgerichtshofes sei eine Usurpation gewesen, die durch Creirung eines hohen Nationalgerichtshofes nicht vererbt werden dürfe. Dieser Nationalgerichtshof war nur für
Verbrechen des Präsidenten oder der Minister geschaffen. (Ah! Ah!) Seine Anwendung auf die Maiopfer sei ein Verbrechen.
Stimmen: Zum Schluß, zum Schluß!
Odilon-Barrot: Ich habe die Opposition vorhergesehen, die man unserm Gesetzentwurfe entgegenstellen würde. Aber die Gesellschaft verlangt diese Garantie. Dem Rechte der Vertheidigung seien
die weitesten Schranken gezogen. Keine Assisen böten dieselbe Garantie. Der hohe Gerichtshof repräsentire die Gesellschaft selbst.
Barrot sucht vorzugsweise zu begründen, daß die größten Garantien für die Angeklagten und die Gesellschaft in der Form des Gerichts lägen, welche die Verfassung von 1848 vorschreibe. Was die
Rechtsfrage betrifft, hält er dieselbe Verfassung als die beste Quelle, auf die man sich berufen könne. Der Grund also, daß die Angeklagten nicht in Aussicht auf die künftige Errichtung eines hohen
Gerichtshofes gehandelt hätten, falle von selbst, da ja der Nationalgerichtshof nichts anderes als ein National-Assisenhof sei, der die ganze Gesellschaft repräsentire, Es bleibt Ihnen, schließt
Barrot, eine große Pflicht zu erfüllen übrig, wir hoffen, daß Sie sie erfüllen werden. (Beifall zur Rechten).
Eine kleine Pause. Viel Aufregung im Saal. Lebhafte Gruppen bilden sich.
(Schluß in der Beilage).
@type | jAnnouncements |
@facs | 1114 |
Auf die von einer großen Anzahl Advokaten des Kölner Barreau an den Geheimen Ober-Revisions-Rath Esser in Berlin gerichtete Adresse in Betreff der ihm von Seiten des Cassations-Hofes wegen
seines Wirkens als Abgeordneter der aufgelösten National-Versammlunn widerfahrenen Begegnung ist folgende Antwort erfolgt:
Hochgeehrte Herren!
Sie haben durch Ihre männlich und würdevoll gehaltene Adresse vom 4. d. M. mich unaussprechlich beglückt. In der Lage, worin ich mich beim Empfange derselben befand, konnte mir kein schöneres
Geschenk der Liebe und des Vertrauens zu Theil werden. Die große Freude hierüber brachte meinen Gemüths-Zustand in zu große Bewegung, als daß ich auf der Stelle Ihnen den wärmsten Dank meines ganzen
Herzens hätte schriftlich darbringen können.
Ich bitte daher, diesen auch noch jetzt schriftlich entgegen nehmen zu wollen.
Die Adresse, welche auch zum Frommen der guten Sache in der ganzen Monarchie ihre Wirkung nicht verfehlt hat, wird Jedem, dem ein Herz für deutsche Einheit und Freiheit schlägt, in unauslöschlicher
Erinnerung bleiben. Genehmigen Sie, meine Herren, die Versicherung der vollkommensten Hochachtung, mit welcher unterzeichnet Ihr ergebenster gez. Esser.
Berlin, 19. Januar 1849.
An die Herren Advokaten Bennerscheidt, Böcker, Borchart, Commer, Compes, Correns, Court, Eilender, Eller, Flosbach, Frenz, Gallet, Hagen, Hardung I., Hardung II., Kyll, Laufenberg, Lontz, Longard,
Mayer, Nücker, Pfeifer, Rath, Ruland, Rübsahmen, Schenk, Schiefer, Schneider II., Schölgen, Schumacher, Schürmann, Dr. Thesmar, Thiel, Vagedes zu Köln.
Publicandum.
Nachdem die im Jahre 1847 erschienene Auflage der Arznei-Taxe vergriffen ist, habe ich unter Berücksichtigung der seitdem eingetretenen und der jetzt nothwendig gewordenen Aenderungen in den
Taxpreisen, eine neue Auflgage der Arznei-Taxe ausarbeiten lassen, welche mit dem 1. Februar 1849 in Wirksamkeit tritt.
Berlin, 15. Januar 1849.
Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten. Ladenberg.
Bekanntmachung.
Die diesjahrige ordentliche General-Versammlung der Meistbetheiligten der preußischen Bank wird auf Freitag den 23. Februar d. J., Nachmittags 3 1/2 Uhr, hierdurch von mir einberufen, um für das
Jahr 1848 den Verwaltungsbericht, den Jahresabschluß nebst der Nachricht über die Dividende zu empfangen und die für den Central-Ausschuß nöthigen Wahlen vorzunehmen. (Bank-Ordnung vom 5. Okt. 1846.
§§. 62. 65. 68. 97) Die Versammlung findet im hiesigen Bankgebäude Statt. Die Meistbetheiligten werden zu derselben durch besondere, der Post zu übergebenden Anschreiben eingeladen werden.
Berlin, 20. Januar 1849.
Der Chef der preußischen Bank, Hansemann.
Bekanntmachung.
Samstag den sieben und zwanzigsten Januar 1849, Vormittags elf Uhr, sollen auf dem Marktplatze in der Apostelnstraße zu Köln, verschiedene Mobilien, als: Tische, Stühle, Kommoden, ein Sopha, ein
Schreibpult, ein Spiegel, eine Fournaise, ein Ofen nebst Rohr und mehrere Küchengeräthe etc. öffentlich gegen baare Zahlung versteigert werden.
Der Gerichtsvollzieher, Brochhausen.
Mobilar-Verkauf.
Am Samstag den 27. Januar 1849, Vormittags 11 Uhr, sollen auf dem Altenmarkte zu Köln, verschiedene Mobilar-Gegenstände, als Tische, Stühle, Spiegel, Sekretaire, Sopha's, 1 Ofen, Kommoden
etc., gegen gleich baare Zahlung öffentlich an den Meistbietenden verkauft werden.
Fr. Happel, Gerichtsvollzieher.
Das neu hergestellte und auf's Eleganteste, im ersten Stock mit einem Divan und 3 Billards versehene Café Suisse, dem Theater de la Monnaie gegenüber, empfiehlt der Eigenthümer
desselben um so mehr allen resp. deutschen Reisenden, da in demselben außer den französischen, englischen, belgischen und holländischen Journalen, auch noch folgende deutsche Blätter, in keinem
sonstigen hiesigen Kaffehause vorräthig, zu finden sind:
Die Neue Rheinische Zeitung.
Weser Zeitung.
Zeitungs-Halle.
Frankfurter Journal und
Kladderadatsch.
Brüssel, 23. Januar 1849.
Gerichtlicher Verkauf.
Am Donnerstag den 25. Januar 1849, Vormittags 10 Uhr, sollen auf dem Altenmarkte dahier, mehrere Ohm 1846er und 1847er rothen Ahrbleichart, und 1846er weißen Moselwein, öffentlich an den
Meistbietenden gegen gleich baare Zahlung verkauft werden.
Der Gerichtsvollzieher, Fülles.
Zur Verloosung schöner neuer Oelgemälde sind nur noch bis Ende dieses Monats Loose à 10 Sgr. (10 für 3 Thlr.) zu haben.
G. Tonger, Pauluswache.
Heute Donnerstag den 25. Januar 1849 Abends 7 1/2 Uhr berathende Versammlung sämmtlicher Wahlmänner bei Harff auf dem Domhof.
Mehrere Wahlmänner.
Sirop pectoral Anglais.
Oder englischer Brustsyrop, ein untrügliches Mittel gegen Husten und Brustverschleimung. Das Fläschchen 5 Sgr. Einzig und ächt zu haben bei Gebr.
Fabry, Altenmarkt Nr. 10. Für Deutz bei Hrn. Meist, Siegburgergasse. Jedes Fläschchen ist mit unserem Siegel versehen.
Endlich ist vollständig erschienen und in der Expedition der „Neuen Kölnischen Zeitung, für 5 Sgr. 6 Pf. zu haben: Der politische Tendenz-Prozeß gegen Gottschalk, Annecke und
Esser.
Buchhändler erhalten gegen Baarzahlung 1/3 Rabatt.
Versammlung der demokratisch gesinnten Wahlmänner des Siegkreises „Freitag den 28. Januar 1849“ bei Gastwirth J. W. Weber in der Holzgasse in Siegburg zu
einer Berathung.
Große Feier und Besprechung (nebst Souper à la Carte) über die erste öffentliche Stadtrathssitzung Donnerstag, Abends 9 Uhr im Guttenberg bei Romberg.
Der prov. Ausschuß.
Bürgerw.-Cavallerie.
General-Appell bei Herrn Jüsgen im Stern.
Donnerstag den 25. Januar 1849, Abends 7 Uhr, zur Empfangnahme der Karten für den am 2. Februar c. im Eiser'schen Saale
stattfindenden zweiten Ball.
Der stellv. Commandeur.
Wahlspruch der katholischen Kanzelredner.
Wählt nur Männer die katholisch-religiös sind; denn die können nur das wahre Wohl des Vaterlandes wollen (des schwarz-weißen).
Die katholische Religion ist in Gefahr!
Der Pf. Busch, als Filial-Kl. des Pius-Vereins, will die katholische Religion durch andere Glaubens-Genossen vertreten wissen; indem er Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde in seiner Pf.
als Wahlkandidaten aufgestellt hatte. Dafür ist der hochwödige Herr, dann auch siebenmal aus dem Busch gekloppt worden.
Pius-Verein bessere dich.
OSTENDER-AUSTERN- und HOMARDS-DEPOT für Deutschland,
große Budengasse Nr. 1 in Köln.
Diesem Depot jeden Abend zugehenden verschiedenen Sorten Austern und Homards, die erst am Morgen desselben Tages Ostende verlassen, werden daselbst fortwährend die ganze Saison hindurch zu den
nachstehend bemerkten Preisen, sowie auch verschiedene Arten geräucherte und gesalzene Seefische und Käse, sowohl in als außer dem Hause verabreicht:
Kleine Austern Sgr. 25 p. 100 |
Mittel Austern Thlr. 1 1/4 p. 100 |
GROESSTE gemastete Thlr. 2 p. 100 |
Lebende Homards von 15 Sgr. bis Thlr. 2 per Stück.
Ein erfahrener Tischlergeselle wird gesucht. Die Exp. s. w.
Die Häuser Berlich Nr. 27 und Krummenbüchel Nr. 3 sind zu vermiethen. Näheres am Kaufhaus Nr. 33.
J. P. Hospelt, Höhle 35 nimmt alle solide Gegenstände in Niederlage zum Verkauf an; kauft solche sowie Gold und Silbergegenstände.
Konzessionirtes
Vaudeville-Theater.
Donnerstag den 25. Januar 1849: Großjährig.
Lustspiel in 2 Akten von Bauernfeld.
[unleserlicher Text] Herr Engelken als Gast.
Hierauf: Die Leiden des jungen Werthers Vaudeville in 1 Akt von Mühling.
Entree 10 Sgr. wofür Getränke verabreicht werden.
Kassen-Eröffnung um 6 Uhr — Anfang um 7 Uhr.
Franz Stollwerck.
Bekanntmachung.
Die Besorgung unseres Bedarfs an Typen-Drucksachen soll vom 1. Januar d. J. ab im Wege schriftlicher Submission an Lieferungslustige, unter denen wir uns die Wahl vorbehalten, verdungen werden.
Diejenigen, welche zur Uebernahme dieser Lieferung geneigt sind, werden hierdurch veranlaßt, ihre auf Stempelpapier zu schreibenden, versiegelten, auf der Adresse mit „Submission zur
Lieferung der Typen-Drucksachen für die königl. Regierung“ zu bezeichnenden Anerbietungen, welchen Muster von verschiedenen Typendrucken beigefügt werden müssen, spätestens bis Mittwoch den 31.
Januar d. J. incl. an unseren Botenmeister im Regierungs-Gebäude abgeben zu lassen.
Die Lieferungs-Bedingungen können bis zu dem vorbestimmten Termine in unserem Geschäftslokale bei dem Regierungs-Sekretär Metge, Büreau Nr. 34, von den Unternehmungslustigen täglich von 10
bis 12 Uhr Morgens eingesehen werden.
Köln, den 13. Januar 1849.
Königliche Regierung, Birck.
Gottschalks Rede.
Preis 2 Sgr. 6 Pf. bei G. Tonger, Pauluswache.
Reise nach den Goldgruben von Californien.
Das schöne französische Seeschiff: „LA FLANDRE“, Dreimaster von 450 Tonnen, Kapitain Allemès, wird den 15. Februar künftigen Monats von Dunkerque (Frankreich) absegeln.
Passagiere für Zimmer und fürs Unterverdeck so wie auch Ladung zu billigen Preisen mitnehmen.
Für alle Auskünfte wende man sich an den Agent Vandercolme in Dunkerque.
Theater-Anzeige.
Donnerstag den 25. Januar; Gustav oder der Maskenball.
Große Oper in 5 Akten von Auber.
Vorkommende Tänze.
Im 1. Akte, zum ersten Male: Nouveau Pas de Deux, Musik von Almaide, arrangirt von Hrn. Martin, getanzt von Demselben und Frau Martin-Zimman.
Im 5. Akte, zum ersten Male: Divertissement Nouvcau, alles eigens arrangirt von dem Balletmeister Herrn Martin.
Verzeichniß der Tänze: 1. Großer Zug.
2. Eine ausgezeichnete Cur, Eine pantominische Arlequinade. Musik von Auber.
Auf allgemeines Verlangen zum ersten Male wiederholt: 3. La nouvelle Styrienne, getanzt von Hrn. Martin und Frau Martin-Zimman. Musik von J. Lanner.
4. Die Schornsteinfeger.
Komischer Tanz, ausgeführt von 8 Knaben.
5. Chinesisches Manöver, oder der Laternentanz.
Ausgeführt von Frl. Lina Gärtner und 13 Damen.
Musik von Auber.
6. Grand Tableau Finale.