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[Fortsetzung] Aber wenn ihr eigensinnig dem Allgemeinen widerstrebt, wenn ihr glaubt, das Gesetz des Fortschritts der Welt biegen und brechen zu können, wenn ihr nicht selbstständig, sondern als Diener
Habsburgs, unter der Fahne der Meuchler Galliziens, der Todtschläger Lombardien's, der Plünderer Wiens, der Brandmörder Krakau's, Lemberg's, ja eures Prag selbst, existiren wollt:
dann täuscht ihr uns nicht über eure Thorheit, und versichertet ihr auch, um euch selbst etwas vorzulügen, ihr wolltet Oestreich hinters Licht führen. Unser Herz würde bluten vor Gram über unsere
Stammbrüder, aber verführen könntet ihr uns mit alledem doch nicht. Und trotz euch blieben wir getreu bei der Standarte eines Bruderthums, hoch über alle Racenverwandtschaft, eines Bruderthums vor
Gott und Menschengeschlecht.
Früher suchten euch diplomatische Agenten andershin zu locken; dieselben Diplomaten, die den schon freigeschlagenen Serbiern das türkische Joch wieder aufluden und als Herrscher den Dienstmann des
Czaren, den Milosch Obrenowitsch, aufdrangen, den Mörder des populärsten, patriotischsten Helden, Georg des Schwarzen, von Serbien. Man versprach euch damals Nationalität mit czarischer Oberaufsicht.
Aber wir und andere warnten euch bei Zeiten, und ihr schluget den Antrag aus. Und heute stellt man euch einen ebenso hinterlistigen, als könne und wolle Habsburg euch gegen Moskau schirmen.
O Brüder, hört noch ein Mal unser Freundeswort: hinter dem Oesterreicher lauert der Moskowiter, sein Bundesgenoß und Mitverbrecher. Der Oestreicher verräth euch, und dann sinket ihr ohne Rettung in
die Arme des Russen; denn wahrhaftig, es ist nicht abzusehen weshalb ihr nicht dem bluts- und sprachverwandten Russen als Knechte unterthan sein solltet, nachdem ihr euch einem Tyrannen verkauft
hattet, den weder sprachliche noch stammliche Bande mit euch verknüpfen. Seht, dahin kann es mit euch bald kommen, wenn ihr fortfahrt auf dem Wege des Mißtrauens gegen euch selber. Zum Zarismus, ja
zum Zarismus führt euch gradezu der Abhang an dem ihr steht; folglich dürft ihr uns nicht von Freiheit, von Bruderliebe reden; diese hohen Worte sind eure Verdammung: O, weit, weit hinweg die Romanow
und die Habsburger. Ein andres, ein besseres Schlachtwort bieten wir euch an, wohlverstanden von allen Völkern des Westens und Ostens, von Franzosen, Deutschen, Italienern, Ungaren: es ist
Polen.
Dieses Land hat Einheit wenn in ihm auch Verschiedenheit der Rasse und jetzt Territorialzerstückelung verhanden ist; von Ausländern niedergejocht, fraternisirt es dennoch mit den Völkern des
Auslands, und gar nie hat es den unfreien-Völkern die Greuel ihrer tückischen, betrügerischen Regierungen untergeschoben. Polen ist vorläufig zu Grabe gegangen ebenso sehr an seiner inländischen
Aristokratie als an den Einbrüchen der Ausländer; es ist so zusagen die Personificirung des dreieinigen Prinzips welches einst die Welt beherrschen wird: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Und um
bei der Allegorie zu verweilen: eure Schwester Polonia wird, wenn Habsburg und Romanow am Boden sich krümmen, aus dem Grabe steigen; und wie Christus der Heiland auferstanden hinter sich die
auferweckten und alten Patriarchen führte in die Wohnungen seines himmlischen Vaters: so wird Polen, auferstanden, die übrigen slawischen Schwestern allesammt bei Namen rufen und neben sich setzen am
großen Bankette der in heiligem Bruderbunde vereinten Nationen. Polen wird nicht die Gebieterin der andern Slawenvölker sein. Es wird aber zu ihrem Gebrauche die aufgehäuften Früchte seiner Arbeiten,
seines hundertjährigen Schmerzes, stellen; seiner geschichtlichen Erfahrnisse und selbst seiner Schwächen und Gebrechen. Seine durch Nationalerhebung verjüngten Kräfte wird es zur gemeinsamen
Vertheidigung der gemeinsamen Interessen anwenden.
Wenn an jenem großen Tage allseitigen Bruderthums noch finstere Erinnerungen auftauchten von einem slawischen Widerstreben gegen die allgemeine Fortschrittsbewegung: wenn der Deutsche, der
Italiener, der Magyar erbebte beim Anblicke seines Blutes auf der Hand des Kroaten, des Tschechen, des Moskowiters: dann werden wir polnische Demokraten mit unserem für die Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit so lange verströmten Blut, mit unserem Märtyrium dazwischen treten und die Sünden der Stammesbrüder lösen mit dem Aufweisen unserer Wunden für die Menschheit; wir wollen dann die
Vermittler, die Versöhner sein und der Bundesknoten in der unstörbaren, wahrhaft heiligen Völkerallianz zwischen Aufgang und Niedergang. Wohlan, wenn ihr wollt, daß unsere Vermittlung wirksam sei und
wir zum Menschengeschlechte sprechen können: „Vergieb diesen da, sie wußten ja nicht, was sie thaten, o Mutter der Völker!“ so müßt ihr vom heutigen Tage ab genau unterscheiden lernen
zwischen der Sache der Nationen und den Schandthaten ihrer Regierungen. Ihr dürfet fortan in den deutschen Beamten, wie wir in den russischen und tschechischen, nicht mehr Vertreter des Volks
erblicken, welches eben sie von sich stößt, sondern Werkzeuge der Hierarchie des Bureaukratenthums, wodurch jene Beamten nach seinem Ebenbilde geknetet worden sind. Ihr müßt fortan die Hand geben dem
Volke, und wo es unterdrückt wird, dahin eilt und helft, wie wir den Ungarn und Italienern zu Hülfe gezogen, und wie wir auch euch zum Beistande eilen würden, wenn euer gutes Recht bedroht wäre und
ihr nicht die Hand nach dem Recht des Nebenmenschen ausgestreckt. Ihr müßt schlechterdings mit uns für die Fehler eines Volkes selbst Verzeihung haben und sprechen: „sie wissen nicht, was sie
thun.“ Vor Allem aber haben wir Polen Befugniß zu fordern, daß ihr euern vollen Zorn auf den Stifter allen Unheils, auf das verruchte Haupt der verbrecherischen Bande, auf den k. k.
östreichischen Thron, entladet, der euch einst so namenlos elend machte und so lange in der Verzweiflung am Boden liegen ließ; diesen ehrlosen Thron, der unter der Wucht seiner Greuel und unter dem
Fluche des Menschheitsgenius bereits knackt und Risse bekommt, ja schon sich senkt. Wahrlich er wäre bereits zusammengebrochen in einen Haufen Getrümmer, hätte allen euren slawischen Nationalitäten
die Freiheit des Sichentfaltens gewährt, wenn ihr zu eurem und der Welt Unglück ihn nicht mit euren Schultern gestützt hättet!
Slawische Brüder! ihr wollt Freiheit. Gut, laßt euren Kerker in Ruinen fallen. Wisset, der slawische Namensbund der Völker wird nur auf dem Schutte dieses Kerkers. Wisset, knechtische Völker sind
durch die Glieder ihrer Kette, an die sie geschmiedet, verbunden. Freie Völker verbindet die Bruderliebe.
Im Namen der polnischen Demokratie:
Miroslawski. Worcell. Darasz. Ordenga. Chrystowski.
Die Adresse der Londoner Fraternal Democrats an das Proletariat von England, signirt Julian Harney, Kydd u. s. w., erhält in mehrern departementalen Demokratenblättern großes Lob. Ein Toulouser
Blatt sagt: „In dieser Weise wird das englische Volk nicht nur uns, sondern der ganzen Menschheit lieb und theuer, und der englische Name, bisher ein Gräuel, ja ein Fluch für jedes französische
Ohr, wird groß und schön. Wir freuen uns mehr als unsre Zunge es auszudrücken vermag, über diese Glorie der englischen Nationalität, in deren Schooß, tief im Grunde des schauerlichsten
Privilegiumswustes, die Blume reinster Humanität, energischster Revolutionskraft, sinnigster Emancipation und edelster Sympathie für nachbarliche Leiden und Freuden emporgewachsen ist. Möge dieses
Gewächs erstarken, möge der Konflikt der äußerlichen Umstände ihm freundlich entgegenkommen und durch einen starken politischen See- wie Landkrieg, worin die verruchte, gottselige englische
Aristokratie und Plutokratie verwickelt werden muß, das englische bisher unterdrückte Proletariat in Manchester, Birmingham, Leeds, Liverpool, Glasgow u. s. w. endlich in die Möglichkeit gesetzt
werden, das impertinenteste Joch das je auf einer Arbeitsklasse gelastet, mit einem socialistischen Rucke zu sprengen. Frankreich's, Europa's Proletariat würde dafür dem
englischen ewig erkenntlich sein“ u. s. w. — Mehrere Artikel der Neuen Rheinischen Zeitung über diesen Gegenstand findet man gleichfalls in der französischen Presse wiedergegeben.
— Die Wühlerei der Völkeraufhetzer ist im besten Gange; in der That breiten die hiesigen Royalisten wieder aus, Deutschland's Demokraten stachelten gegen Frankreich. Nur durch immer
genaueres, energischeres Sympathisiren der Demokratieen dies- und jenseits des Rheines kann diesen schuftigen Insinuationen des Herrn Véron, Capo de Feuillide, Armand Bertin, Lavalette (auch an dem
Blatt „Assemblée nationale“ angestellt) und Delamare von „La Patrie“ begegnet werden. Dazu ist jedwedes mündliches wie schriftliches Mittel zu benutzen. Mit dem Blatte
des Herrn Alexander Weill indeß, dem „hundsföttischen Corsaire“ (wie „Peuple souverain“ neulich meinte), „muß man sich weiter auf keine ernste Widerlegung einlassen,
denn wer Unrath angreift, besudelt sich unnützerweise“. — Jetzt ist es hier soweit gekommen, daß man in Café's z. B. ganz laut die ehedem so plattgeschlagenen Königs- und
Klerusknechte auf „die Demokraten“ losziehen, das Wort „Demokrat“ in maliziöser Anwendung mißbrauchen, Hunde und Stubenkatzen „Kommissär“ (zur angenehmen
Rache post festum an den Ledrü-Rollin'schen Revolutionsemissären und Departementalkommissären) taufen hören kann. Haben diese Schurken doch neulich durch Bestechung — denn dazu wissen
sie stets klingendes Geld aufzutreiben — sich in das Gitter der ehemaligen Reiterstatue des Herzogs Orleans, auf dem Hofe des Louvrepalastes, hineinzuschleichen und dort Nachts die Halfte der
auf dem Piedestal eingegrabenen bescheidenen Inschrift: „den am 23. und 24. Februar 1848 für die Freiheit verbluteten Bürgern das erkenntliche Vaterland“ abzumeißeln verstanden. Die
Erklärung, das Winterwetter sei allein Schuld am Abfallen der Steinmasse, ist nicht stichhaltig. Jetzt setzt man den Schaden wieder in Stand, aber an eine scharfe Untersuchung wird nicht gedacht; und
doch wäre sie so leicht! Den reichen dickbäuchigen Herrn Pförtner des Louvre beim Kragen gepackt und auf 24 Stunden „bei Seite gesperrt“, den wachhabenden Herrn Nationalgardenoffizier
citirt, und das Ding durch die Presse in's gehörige Schandlicht gestellt: — in 24 Stunden wäre der Thäter entdeckt. Aber du lieber Himmel, wir sind weit vom Februar 1848, und der Februar
1849 ist noch nicht angelangt. Also Geduld. Nebenbei naturlich Umsicht, Auge und Ohr uberall, die Personen sich gemerkt, die Sachen beobachtet, damit, wenn die Reihe wieder an uns kommt, wir's
besser machen als im Februar 1848. — Das Kunststuck, worauf heute freilich sehr viel, um nicht zu sagen Alles, ankommt, ist, die französischen Bauern zu gewinnen. Es geschieht gewissermaßen den
Herrn Ideo-Demokraten ganz recht, wenn besagter Jaques Bonhomme (uralter Beinamen des gallischen Landmanns) wie'n Stier jetzt durch ihre rührenden Syllogismen und Sentimentalitäten rennt, und
diese holdselige zarte Jungfrau République francaise démocratique (das ist laut Marrast'schem Konstitutionstaufzettel jetzt ihr liebwerthester Name) mit den druidischen Hörnern unsanft bei
Seite schiebt. Um solchem Jammer abzuhelfen, geschieht jetzt viel, aber noch lange nicht genug; die neue Societät Propagande socialiste (Nr. 15 Straße Coquillière) sendet regelmäßig große Pakete von
bereitsgelesenen Pariser Demokratenblättern, die jetzt nur einen Sou kosten (Peuple, Republique, Revolution u. s. w.) an ihre Freunde in den Provinzen die sie sofort an die Bauergemeinden gratis
vertheilen; was Geld kostet, liest nämlich kein französischer Bauer. Uebrigens stellen sich sehr böse Schwierigkeiten dabei heraus; es finden sich z. B. im Dorf manchmal nur drei Menschenkinder, die
lesen können, Priester, Schulz und not' bourgeois, d. h. „unser wohlhabender Nachbar,“ wie die Bauern den Hauptgläubiger im Dorf nennen, der obendrein wohl gar ein Notar ist;
dieses Kleeblatt ist schwerlich sehr geeignet, den Bauern demokratische Zeitungen vorzulesen. Zudem schindet sich der französische Bauer, bei dem zerstückelten Privatbesitz, durch meist fruchtloses
Arbeiten dermaßen ab, daß er fortwährend mürrisch, vor dem Hypothekenzinstage zitternd, und Abends todtmüde auf seine Spreu schleicht. Wenn man, im Falle einer glücklichen Proletariatsinsurrektion zu
Paris, diesem Menschenschlage z. B. Ablösung der Hypotheken durch Staatspapier u. dgl. unter Trommelschlag und rother Fahne verkündete, so ist noch sehr die Frage, ob der unglücklige Stier das Ding
glauben, und nicht vorläufig in Berserkerwuth auf die rothe Fahne losgehen würde. Der Plan aber ist löblich, durch die von Pariser und andern großstädtischen Arbeitern bereits gelesenen
Demokratenjournale vor dem Verschleudertwerden zu retten und nochmals zu benutzen; er verdient in Deutschland Nachahmung. Bernard, Hervé, Macé und andere tüchtige Klubpräsidenten sind Stifter
dieser Propaganda.
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[
17
] Paris, 19. Januar.
Die Bourgeoisrache zittert, schnaubt und geifert; das Proletariat aber, rechtsbewußt und über den nächsten Kriegsplan, der besser sein muß denn der im Juni, nachsinnend, steht in gesammelter
Haltung wie der marmorne Spartakus im Tuileriengarten. An Einzelheiten ist dies erkennbar genug; z. B. in folgender Zuschrift der Juniverurtheilten an Bonaparte: „Bürger Präsident,
Unterzeichnete, die politischen Gefangenen im Kerker St. Pelagie, guten Muthes und reinen Gewissens, hegen noch immer die Ansicht, in den französischen Landen sei, trotz aller reaktionärer
Bestrebungen, sogar heute noch etwas Gerechtigkeit zu finden. Und so nehmen sie sich die Ehre, Ihnen, Präsident der Republik, zu sagen, daß nach einer jetzt beispiellosen (nur im Mittelalter geschah
ähnliches) und von Martern mannichfachster Art durchwebten Haft, allem menschlichen Gesetze entgegen, kraft eines in ihrer Kompetenz von ihnen geleugneten Militärgerichts, sie im Begriff stehen, von
ihren Frauen und Kindern Abschied nehmen zu müssen. Fast alle sind hülflos, und viele dieser Kinder liegen in der Wiege, der öffentlichen Mildthätigkeit anheimgegeben. Wir wandern dermalen in das
Bagno (Galeeren) oder werden bei lebendigem Leibe, sozusagen, eingescharrt in den Todeslöchern des Mont Saint Michel. Schon hat man elf unsrer Brüder heimlich abgeholt, ohne sie zum letzten
Händedruck der ihnen theuersten Personen zuzulassen. Wohlan, Präsident, ist das das Ende von dem schönen Liede, welches Sie, als Kandidat der Präsidentur, unsern Angehörigen vorgesungen: nun,
so allerwärmsten Dank! ‥ Unsere Weiber und Kinder werden auch ohne Sie Kraft zum Dulden und Hoffen finden, und über das künftige Geschick der Republik seufzen. Wir protestiren folglich vor
Frankreich, vor ganz Europa gegen das Urtheil. Gruß und Bruderschaft: Racarie, zu den Galeeren auf Lebenszeit verurtheilt; Guérineau, Largillière, Gros: zu den Galeeren auf 10 Jahre; Mauras,
Cornu, Husson, Chamel, Maupilet, Vandeberghen, Vosier, Jaquot, Couderc, Guèrin, Bisson (Historienmaler)“ u. s. w. Und aus demselben Pelagiegefängniß erscheint folgender Brief vom 17. Jan.:
„Elf Monate sind verflossen seit Neugründung der französischen Republik, und seit 8 Monaten schmachten ihre Gründer im Kerker. Erst jetzt bekümmert man sich um sie, indem man sie auf die
Galeeren und in die Centralgefängnisse versendet. In das Bagno der Galeerensträflinge zu Rochefort kommen die auf Lebenslang und auf 20 Jahre verdammten. In Rochefort nämlich stapelt man seit lange
alle sogenannten unverbesserlichen Galeerensklaven von Toulon und Brest zusammen; Krankheiten der schlimmsten Sorte grassiren somit im Rocheforter Bagno und tödten selbst den stärksten Körper. Auf
diese schlaue Weise bändigt man Kraft des Fiebers diese künstlich krankgemachten wilden Männer. Und aus dem nämlichen Motiv schickt man eben nach Rochefort uns politische Verurtheilte. Doch ist man so
gnädig, uns zu verheißen, die nur zu 10 Jahren verdammten kämen auf die Galeeren von Brest und Toulon. Ein alter Kniff ist, niemals zwei politische Gefangene, sondern einen politischen und einen
kriminellen Gefangenen, also einen Juniinsurgenten und einen Wegelagrer, oder Dieb, oder Nothzüchtler, oder Mordbrenner, oder Schriftfälscher, oder Falschmünzer, an eine und die nämliche Kette zu
schmieden. Man nennt das eine Maßregel von allgemeiner Sicherheit! Nichts also wird gespart, wie man sieht, um die ehernen Charaktere zu bändigen und wo möglich zu brechen, die für die Republik in die
Schranken getreten waren, und deren Name allein schon Uebelkeiten und Gliederzappeln bei den heute triumphirenden Feinden des Volkes erregt, und diesen den Spaß des Sieges schnöde verleidet. Gegen
Abend gingen auf die Bagno's unsre Kampfgenossen Milon, Husson, Vo[i]sombrot, Jaquot, Lefevre, Chamel, Racarie, Largillière, Guérineau. Auch Testulat und der Exgraf Fouchecourt sollten mit,
doch ist jener zu krank, und der Herr Graf ist ein feuriger Legitimist, hat folglich höchste Ansprüche auf Gnade, und so kam dann wirklich Nachts 2 Uhr der Befehl, den Herrn Grafen, diesen Erzfeind
der Republik, mit der Galeerenstrafe höflichst zu verschonen; sie ist in zwanzig Jahre Ketten umgewandelt.“ (Es versteht sich am Rande, daß so ein Herr Graf sehr bald durch hohe Verwendung der
Ketten entledigt und in angenehme Zimmer gesetzt, nach einem Jährchen ganz entlassen wird). „Mit großem Muth hielten unsre Leidensgenossen die schaurige Prüfung des Abschiednehmens von Weib und
Kind im Kerkerhofe aus, ja spendeten noch ganz besonders Worte des Trostes. Dies gewaltige und zugleich rührende Schaustück hätte vielleicht sogar auf die allerfrechsten und cynischsten unserer
Feinde, der Reactionäre, seine Wirkung nicht verfehlt. Die Reactionäre salbadern bekanntlich gern von Heiligkeit der Familie; vermuthlich eben deshalb wüthen sie mit fanatischen Richtersprüchen gegen
das Familienglück der Junimänner, und murmeln geifernd sich in's Ohr: das Volk hat uns die Republik auf den Hals geworfen, Fluch, dreimal Fluch diesem Pöbel! Und oben drein Louis
Philipp's letzter Minister, verschwand er nicht lächerlich zwischen zwei Barrikaden? Das mag Herr Odilon Barrot nimmer verzeihen. — Um 4 Uhr früh kam der Zellenwagen; man legte die Eisen
an die Füße der Abreisenden. Um 5 Uhr trabten die Pferde schleunig fort. Wir folgen ihnen bald. Also Muth und Hoffnung! G. D.“ Geht das so weiter, nur noch ein Jahr, und frißt der Krebs des
Handelssiechthums noch ein Jahr in's Fleisch der Bourgeoisie, so wird letztere total nicht nur ruinirt, sondern auch demoralisirt, „bis zu Krämpfen geängstigt und bis zum Wahnsinn
geärgert“; dann ist die Stunde des Sieges der Arbeiter da, und es wird sich keiner mehr finden, der den Volksvertheidigern Ketten um's Bein schmieden oder Kutscher sein will auf dem
Zellenwagen der sie in die Bagnos führen soll. Die Bourgeoisie ist krank durch und durch; obige Phrase des „Peuple souverain“ von Lyon ist richtig. Die Arbeiterassociationen blühen
empor, und die Associ[i]rten agiren mit merkwürdigem Taktgriff, wie alte Militärs, z. B. die Association der Sattler in der Straße Fontaine St. Georges hatte wegen verspäteter Einzahlungen keinen
Heller in der Kasse, sollte aber 4000 Fr. abtragen; sie rief die Mitglieder durch Circulare auf und siehe, man schleppte Wäsche und Kleider aufs Leihhaus, die Weiber gaben ihren Schmuck, und in 3
Stunden agen 2000 Fr. mehr als erforderlich da. „In Gegenwart solcher einfachen, jetzt schon zahlreichen, Thatsachen kneift die Bourgeoisie die Augen zu wie der Vogel Strauß, aber trotz dem
bleibt das Faktum. Diese Bourgeoisie in Paris ist in ihren höhern Regionen, als Finanzerie durch und durch verderbt und zukunftsuntauglich; gegen diese Familien, deren Patriarchen im Verwaltungsrath
der Bank Frankreichs thronen, 4/5 der großen Eisenbahn- und Industriekapitalien in der Tasche haben und damit über die Hypothekbelasteten Kleinbauerngütchen, auf denen die kleine Summe von nur
elftausend Millionen ruht, vollständig verfügen, gegen diese großen Nichtsthuer und reichen Faulenzer wird sich die Volksjustiz zunächst richten. Sie sind unverbesserlich: grausam, eigensinnig,
bornirten Fassungsvermögens, und hoffärthig. Wir haben unter Louis-Philipp schon nicht an sogenannte friedliche Bekehrungen unter diesem reichen Adels- und Bourgeoisgesindel geglaubt, wenn die
Cabetisten und Fourieristen gottesfürchtigen Choralgesang anhuben und sanftmüthiglich und brüderlich unter den Reichen, die ja viel schwerer zu behandeln als ein Kameel, Propaganda machten, wie sie
meinten.‥ Unter jener -rein reactionären, maliziösen Pluto-Aristo- und Bureaukratie höherer Region, dehnt sich die Mittelbourgeoisie aus und die Kleinbourgeoisie, die letztere ist mit der
Arbeitsklasse bereits vielfach verzweigt. Diese untern Theile der Bourgeoisie sind die Ladenmiether die unter Louis Philipp zuletzt von der Hochbourgeoisie sehr gequält, die Wahlreformbanketts in
allen 86 Departements zu Wege brachten und am 24. Februar auf fatale Weise statt eines gemüthlichen Reförmchens die Republik zu genießen bekamen, Abends sechs Uhr auf dem Hotel de Ville-Platz beim
Flackern der angezündeten Wachthäuser der geschlagenen Polizei-Soldateska.
Daß in dieser Mittel- und Kleinbourgeoisie gar manche Demokraten sind, wissen wir, aber wir leugnen von vorherein, daß sie in Masse socialistisch sei und sein werde. Möglich, daß wenn durch
kommerzielle und Bankieroperationen wieder mehrere tausend Familien aus ihr hinab zum Proletariat geschleudert worden, diese die Sache des Proletariats zur ihrigen machen, aber was sonst bei noch
wohlhäbigen Bourgeois sich von Socialismus, d. h. Eigenthumsreform, zeigt, ist und bleibt unseres Dafürhaltens nur rare Ausnahme.“ (Constituant.)
Interessant und belehrend für die Charakterisirung der obern pariser Finanzokratie und ihrer Domestiken (zu letztern rechne man ja auch alle Courtiers, Zwischenhändler, Arbeitszersplitterer und
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Arbeitsverschleuderer aller Sorten) ist es, in diesem Augenblick eins der Theater zu besuchen, wo sie am liebsten sich recken und strecken und Orangen fressen und ihre Bourgeoisdamen lorgnettiren und
zwischen ein an der Foyerthür der Schauspielerinnen mit Gold klimpernd Reihe stehen und sich stoßen.
Dies Vaudevilletheater, auf dem Platze der Börse, zwischen Wechselläden, in deren jedem geladene Pistolen hängen, und reichen Kuchenbäckern und Annoncebureaus, die 100,000 Fr. per annum
„machen“, spielt zum hundert und achten Male die Posse La propriété c'est le vol (Eigenthum ist Diebstahl) worin Proudhon, mit wenig verändertem Namen, allabendlich unter
endlosem Jubel des Publikums verhöhnt, das Proletariat verspottet, die Bourgeoisie vergöttert wird. Zwar erklärt ein Prolog, Aristophanes habe ja auch lebende Personen auf die Bühne gebracht, aber es
bleibt wohlweislich unerwähnt, ob der Autor an die Verspottung Kleon des Gerbers, oder an die des Sokrates gedacht wissen wolle. Der Aberwitz des Stücks gibt ein, uns Demokraten ganz erwünscht
kommendes Maaß von der Seelenkonstitution der Klasse, für die es expreß verfertigt ward; diese Klasse, deren politische Blüthe in der Koterie des Constitutionnel, Corsaire, Journal des Debats und La
Presse, deren Aesthetik in diesem Vaudevillestück und im Tanzlokal St. Cécile, deren Gelehrsamkeit und Moral in Guizot's neuer Broschüre zu finden, ist unrettbar im Sinken, mögen auch ihre
Fonds an der Börse steigen. Sie ist ist nichts mehr als ein leeres Gehäuse, gegen welches das Volk nur noch ganz einfach mit der Pulvermine und Congreve zu verfahren hat; und es wird geschehen.
Die Pointe des Stücks ist — bezeichnend genug für den Gaumen des pariser Bourgeois — eine heiße Pastete. Ein Normalbourgeois, ein Tugendheld sonder Gleichen, der durch Arbeit ein
Hausbesitzer, Besitzer einer jungen Ehefrau, aber keiner Kinder — wieder echt parisisch — geworden und nunmehr dem Nichtsthun sich ergibt, fühlt sich natürlich unangenehm betroffen durch
die Proklamirung des Dekrets vom Arbeitsrecht Aller.
„Dummköpfe und Philanthropen, rief der Citoyen de Dijon neulich, warum proklamirt ihr nicht die Arbeitspflicht Aller? ihr wußtet also nicht, daß die Schlange Bourgeoisie euch stechen,
würde, wenn ihr ihr auf den Schwanz trätet? und nicht stechen wenn ihr ihr den Kopf abhiebet? und der Wolf Privilegium, dem ihr das Ohr kniffet, hätte er euch beißen können, wenn ihr ihm statt dessen
eine Kugel ins Ohr geschossen? Euer Arbeitsrecht hat eure Tyrannen erbittert und erschreckt; Arbeitspflicht, wonach der reiche Faulenzer nothfalls durch körperliche Züchtigung zum
produktiven Arbeiten gezwungen wird, hätte sie höchstens zu einer verzweiflungsvollen, krampfhaften Emeute getrieben, aber es wäre, bei Gott! ihre erste, ihre letzte gewesen, und winselnd hätte sich
diese Finanzokratie der social-demokratischen Republik zu Füßen gelegt.“ (La Voix du Peuple v. Marseille.)
Genug, in jenem Machwerk wird der tugendhafte nicht arbeitende Bourgeois durch die, ihre Arbeit ihm aufdringenden, Arbeiter mit Quittungen überschüttet und ruinirt; zum Beispiel der Stiefelfuchs
wichst und bürstet fortwährend an dem reinlichen Tugendmann herum, ein Zahnarzt zieht dem widerstrebenden einen gesunden Backzahn aus, die Möbelträger bringen ihm neues Hausgeräth wider seinen Willen.
Der Minister des Innern, Corsetfabrikant Proudhon (nur Kopf und Gesicht nebst Brille ist naturgetreu) verfolgt diesen Edeln mit besonderm Nachdruck, wegen seiner Gemalin scheint es — allerdings
drollig, wenn man dabei Proudhon's und seines Krakehls mit socialistischen schönen Damen gedenkt — und läßt seine Güter konfisciren und ihn auf 10 Jahre in die Karre verdonnern, weil er
„mein“ Haus, „meine“ Frau gesagt.
Der Blödsinn des nicht arbeitenden Bourgeois ist aber allein Anlaß, denn er wurde arretirt wegen Holzerei mit dem Exminister Proudhon, der, in dem so eben eingeführten Tauschsystem, ihm eine
Pastete wegnimmt und eine Mütze gibt. In diesem System des Vaudeville muß Jeder direkt tauschen und kann nichts zurückweisen, folglich war die Pastete leicht zu ersetzen. Aber so weit räsonnirt der
Biedermann nicht. Im letzten Akt ist Frankreich eine Wüstenei voll tätowirter Wilder geworden; ein Ruinenhaufen bezeichnet den Platz der Börse. Proudhon erscheint wieder als Mephisto, nachdem er im
ersten Akt als Mephisto die Eva zum Apfelbiß verführt, auch in Mitten des Stücks ein höhnisches Gelächter ausstieß, als er reiche Bourgeois und Bourgeoisen auf einem Reformbankett Champagner genießen
sah: „ihr wollt Reform, ihr Bourgeoisthoren? ich gebe euch Republik.“ Dies ist alles dummes Zeug, das Beste ist die Erscheinung der Eva, einer sehr schönen Belgierin in Naturkostüm, und
völlig entsprechend dem ebenso moralischen als gesinnungsreinen Publikum, welches wie toll applaudirt bei jeder Gebehrde dieser Eva, und bei Sätzen wie: „Das Arbeitsrecht liegt in jedes guten
Menschen Busen, wehe dem Staate der es als Motto öffentlich macht, d. h. entweiht.“ Und bei jeder Scene zischeln die Lions: „ha, er muß sich wieder erkennen, sich getroffen fühlen
— hast du ihn gesehen diesen Proudhon? ist er nicht ganz ähnlich? diese Brillen- und Klapperschlange.“ So unglaublich es klingt: ich sprach einige Philister, die steif dran glauben, dies
Stück bekehre vom Sozialismus und dissipe les mauvaises rêveries des communistes (zerstreue die bösen Träume der Kommunisten). In demselben Vaudevillehause beklatschen diese reichen Faulenzer und
ihre Knechte allabendlich ein Zauberstückchen, worin Mademoiselle „Frankreich“ singt: die Kammermitglieder möchten nur endlich nach Haus reisen und wieder Familienglück genießen, sie
könne sie nicht mehr ernähren mit 25 Frs. per Tag, und wenn sie nicht gutwillig abzögen, dann würde sie sie jagen. Was jedesmal wiederholt werden muß; die zarten Bengels im Parterre und in dem ersten
Range nicken und wedeln und schwenken den Hut und brüllen: c'est ca, c'est vrai (so ist's recht). Das ist die „vergoldete Jugend,“ die berüchtigte jeunesse dorée
die 1795 Robespierre's und Marrat's Büsten aus den Theatern warf. Mademoiselle „Brüderlichkeit“ erscheint und singt dito Provokationen auf die Republik. Monsieur
„Kapital“ erzählt, er habe wieder etwas Muth gekriegt, aber es müsse noch besser kommen, was wieder behurraht wird. Ein Freund von mir widersprach im Zwischenakt der Behauptung dreier
Kerle, deren vertrakte Physionomien auf ihre Spezialbeschäftigung schließen lassen; in der That war der alte ein Banquier, der mittlere ein Laufbursch des Banquiers, der junge ein Lion; diese
Anspielung auf Kammerauflösung entspreche vollkommen dem voeu général (Wünsche Aller), und als der Demokrat hinzufügte: alle Sozialisten — da schrieen die drei Zetermordio, sagten aber in
einem Athem, der Handel geht noch immer nicht, so darf es nicht bleiben.“ Zur Vervollständigung dieses Gemäldes diene, daß viele Philister hierselbst unerschütterlich auf die baldige Einführung
der Regentin Helene v. Orleans mit dem Grafen von Paris harren; wie denn auch ihr getreuer Kämpe Odilon-Barrot die schleunige Herausgabe ihrer sequestrirten Landgüter an sie durchgesetzt hat, mit der
lügnerischen Floskel, die Hälfte der Einkünfte sei für die Mildthätigkeitskassen.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 19. Januar. General Bedeau führt als Vizepräsident den Vorsitz. Er eröffnet um 2 1/2 Uhr die Sitzung.
Albert de Luynes stattet über eine Menge interesseloser Petitionen unter allgemeiner Unaufmerksamkeit Bericht ab
Die Versammlung geht nach Anhörung eines Petitionsberichts zur Tagesordnung und Bestimmung des Gehalts und der Wohnung des morgen zu wählenden Vizepräsidenten über.
Gouin, Banquier und Berichterstatter des Finanzausschusses über den Antrag Etienne's, welcher dem Vizepräsidenten der Republik Klein-Luxemburg zum Wohnsitz anweist und 60,000 Franken
als Gehalt vorschlägt.
Der Finanzausschuß theilt diese Ansicht, nur findet er die Summe etwas klein, indessen, meint er, würden sich wohl später Repräsentationsgelder hinzufügen lassen. (Oh! Oh! vom Berge.)
Rabeaud Laribiere findet diese Summe für die Funktionen eines Supernumerarius viel zu hoch. (Gelächter.) Man solle sie bedeutend herabsetzen. (Nein! Nein! zur Rechten.)
Antony Thouret schlägt 40,000 Franken vor. (Lärm zur Rechten.)
Etienne vertheidigt seine Ziffer.
Chavassin schlägt 48,000 Franken vor.
Gent will nur 24,000 Franken bewilligen.
Perrée vom Siecle hält das unter aller Würde.
Marrast läßt endlich über die höchste Summe (60,000 Franken) abstimmen.
Dieselbe wird 472 gegen 270 verworfen.
Chavassin's Vorschlag geht dagegen unter allgemeinem Erstaunen mit 516 gegen 233 Stimmen durch. (Agitation.)
Artikel II., der Klein-Luxemburg zur Wohnung bestimmt, geht nach einigem Widerspruch Gent's (vom Berge) ebenfalls durch.
Die Appanage wäre somit erledigt.
Lacrosse, Staatsbautenminister, bekämpft nachträglich die Absicht, dem Vizepräsidenten Klein-Luxemburg als Staatswohnung anzuweisen. Er schlägt vor, den Artikel also zu
fassen:
„Der Vizepräsident ist auf Staatskosten zu logiren.“
Diese Redaktionsweise wird angenommen. Es ist mithin beliebig, welchen Palast man ihm später zur Wohnung anweise.
An der Tagesordnung befindet sich demnächst das Colonial- (Pflanzer) Entschädigungsgesetz.
Die Versammlung beschließt, nach fünf Tagen eine zweite Deliberation.
Hienächst wird ein neuer Stoß von Petitionen verlesen.
Die Versammlung würdigt keine einzige ihrer Berücksichtigung und schreitet über alle zur Tagesordnung.
Die Bänke leeren sich allmälig. Wir hören gelegentlich, daß Persigny wegen gewisser Zerwürfnisse mit dem Petersburger Cabinet nach Berlin geschickt worden sei.
Damit zerfielen die ihm untergeschobenen Heirathsmäklergeschäfte in Nichts.
Mehrere Urlaube werden bewilligt.
Morgen die Getränkesteuer; dann die Maigefangenen!
Die Sitzung wird um 6 Uhr geschlossen.