Französische Republik.
@xml:id | #ar201b2_002 |
@type | jArticle |
@facs | 1099 |
[
12
] Paris, 18. Januar.
Der Justizminister Odilon-Barrot ist heute in würdiger Weise aufgetreten. Er hatte das Wort genommen, um der Kammer eine Mittheilung der Regierung zu machen. Und was war diese Mittheilung? Was
bewog den olympischen Gott und zeitigen Amtmann Napoleon's des Frommen, auf die Tribüne zu steigen? Die Regierung und der Präsident Napoleon bestehen darauf, die Angeklagten und Mitschuldigen
vom 15. Mai, die nun bereits über 9 Monat theils in Vincennes gesessen, theils auf flüchtigem Fuße sich befinden, vor ein — ich hätte beinahe gesagt Kriegsgericht zu stellen. — Nein es
ist kein Kriegsgericht; es ist der sogenannte haute cour nationale, der hohe Gerichtshof der Nation — das klingt weit feierlicher; das macht mehr Effekt, das erinnert fast an
Hochgericht, und sicherlich an alle die außerordentlichen und exceptionellen Gerichtshöfe unter der Restauration. Die Wirkung welche in der Kammer diese Mittheilung hervorbrachte, war wirklich
unbeschreiblich. Erstens wer sind die Männer, die in den Anklagezustand versetzt sind? Barbes, Sobrier, Albert, Louis Blanc, Caussidiére — also lauter Männer, die theilweise in der
provisorischen Regierung waren, theilweise dieselbe begründen halfen. Und wessen sind diese Männer angeschuldigt? Sie sind angeschuldigt, ein Attentat auf die Kammer begonnen zu haben. Also desselben
Verbrechens, das Odilon-Barrot selbst moralisch auf die Kammer vollbringen will, und derselbe Odilon-Barrot ist's, ihr moralischer Complice, ihr moralischer Mitschuldiger und Helfershelfer, der
sie in den Anklagezustand versetzt, der ein Hochgericht verlangt, um diese Männer verurtheilen zu lassen. Das Attentat wurde ausgeübt ehe Odilon-Barrot Minister, ehe die Konstitution ausgearbeitet,
und ehe folglich auch ein Hochgericht, une haute cour nationale bestand. Denn der hohe Gerichtshof ist ja eben durch die Bestimmungen der Konstitution eingesetzt worden. Und Odilon-Barrot will Männer
durch diesen Gerichtshof verurtheilen lassen, die dasselbe wünschten und wollten, was er jetzt will; die damals eine Kammer sprengen wollten, welche Polen Preis gab und in Begriff stand mit allen
kommenden Windischgrätz Hand in Hand zu gehen; eine Kammer, welche aus lauter Cavaignac's und Odilon-Barrots zusammengesetzt war, und die bloß Minister wie Odilon-Barrot in letzter Instanz
schaffen konnte. Und die Kammer, durch das Verlangen Odilon-Barrot's, ihres moralischen Meuchelmörders, sieht sich in die Nothwendigkeit versetzt, zwischen zwei Feinden, die beide ihre
Vernichtung wollten, eine Partei zu ergreifen; sich als Freundin zu erklären des Einen oder des andern ihrer Todfeinde.
Und in demselben Augenblicke, wo Odilon-Barrot den Anklageakt vorliest, stellt ein anderes Mitglied der Kammer den Antrag, wegen desselben Verbrechens, Auflösung der Kammer, denselben Odilon-Barrot
in der Person des Präsidenten Napoleon in den Anklagezustand zu versetzen. Und dieselbe Volkspartei, die am 15. Mai die Kammer angriff, spricht sich jetzt in allen Klubs für die Aufrechthaltung der
Kammer aus, und ist bereit, zu ihrer Vertheidigung eine ganz dem 15. Mai entgegengesetzte Partei zu nehmen. Und dann ist wieder die Kammer par anticipation die Mitschuldige derjenigen Männer, deren
Mitschuldigen post festum eben dieser Barrot ist. An dieser Verwirrung der Rechtsbegriffe werden die armen Bourgeois irre: sie sind rein außer sich! Sie wissen nicht mehr, wie das Alles ins Reine
kommen kann. Daher eine völlige Stockung in allen ihren Geschäften; mit der Ruhe und Ordnung ist es soweit gekommen, daß die völlige Zerrissenheit ihres „Gemüthes“, die Unruhe und
Unordnung ihrer „Seelenstimmung“ sie allenthalben verfolgt. Sie wissen jetzt nicht mehr, auf was sie sich vertrösten sollen, um wieder etwas Handel und Wandel, etwas Leben auf die
Course, etwas Thätigkeit in die Fabriken zu bringen. Alles stockt. Ihre frühere Hoffnung, ihr Napoleon, der wie ein leuchtender Stern von allen Seiten begrüßt wurde, steht bleich und lichtlos da.
Vielleicht probirt er im Spiegel seinen neuen Bonapartshut und seinen neuen Kaiserrock an. Aber Niemand kümmert sich um ihn, und die Bourgeois selbst gönnen ihm dieses unschuldige Vergnügen.
Früher sagten sich die Bourgeois immer: Nun der Zustand ist nur provisorisch, mit der Kammer, mit Cavaignac, mit Napoleon u. s. w. hört er auf. War es dies nicht, so war es jenes; aber immer war es
ein Etwas, das dem Provisorium ein Ende machen sollte. Jetzt ist man mit allen Provisoria zu Ende und die Trostlosigkeit und die Unbeholfenheit ist in allen Regionen, nur nicht in der Arbeiterklasse,
die sich immer mächtiger organisirt. Der arme Napoleon! Tiefer kann man nicht gefallen sein als er, und daß er noch seinen Fall auf so bourgeoisschmutzige Weise bekundet! Das verdrießt die Bourgeois
am meisten. Und wie die Proletarier selbst den armen Mann, den armen Napoleon moralisch vernichten, indem sie ihm ihre Pfandzettel von ihren Röcken und Matratzen zuschicken. Der philanthropisch
gesinnte „Kaiser“ nimmt dies Alles ernstlich, und will helfen und beklagt sich in seinen offiziellen Blättern über diese Sendung „in massa“ und trauert über sein geringes
Gehalt, das ihm nicht erlaube, den Leuten die Röcke wieder auf den Rücken zu verschaffen und trägt indirekt auf eine Gehaltserhöhung an, um Matratzen auszulösen! Kann man bescheidener sein? Kann man
in demüthigenderer Form eine Erhöhung der Civilliste verlangen? Dazu kömmt noch die Geschichte mit dem Papste, dem man gerne helfen möchte und doch wieder nicht kann, weil der Mann des „guten
Willens“ sich so offen blamirt, indem er sein ganzes Land mit dem Bannfluche bedroht, und denselben theilweise schon ausspricht. Das Journal des Debats vertheidigt zwar den Papst, und sucht das
Lächerliche des Bannfluches zu beschönigen, indem es theologisch darzuthun sich bestrebt, daß das Schreiben von Pius IX nur ein sogenannter „Monitoire“ sei. Aber die Römer sind Franzosen
geworden: sie lachen über das jesuitische „Debats“ sowohl, als über die Blitze des Papstes, welche an allen Ecken Roms angeheftet sind, ohne die geringste Wirkung zu thun. Die päpstliche
Bulle gleich einer förmlichen Affische, einem Zettel zur Belustigung der Leser. Der Papst, statt die Kroaten und Windischgrätz zu exkommuniziren, exkommunizirt die Feinde aller Windischgrätz, die
Feinde der Kroten. Mehr bedurfte es nicht, um die Römer über alle Exkommunikationen für alle Zeiten hin zu blasiren. Sie durchlaufen Rom mit dem Rufe: „Es leben die Exkommunizirten!“
Odilon-Barrot und Napoleon stehen auf Seiten des Papstes und sind einverstanden mit den Exkommunizirenden! Die Pariser Proletarier stehen auf Seiten der Römer und lassen die Exkommunizirten hoch
leben. Scheiterhaufen für Scheiterhaufen, haben wir die Bulle des Papstes noch lieber als das Hochgericht, als Odilon-Barrot. Um dem Publikum einen Begriff des „Hochgerichts“ zu geben,
citiren wir hier die betreffenden Stellen der Constitution:
Art. 92. Der hohe Gerichtshof besteht aus fünf Richtern und zwölf Geschwornen. Der Kassationshof ernennt jedes Jahr, in den ersten Tagen des Novembers, die Richter und Ersatzmänner aus seiner
Mitte. Die Wahl geschieht mittelst geheimen Scrutiniums und mit absoluter Majorität. Die fünf definitiven Richter erwählen selbst ihren Präsidenten. Die Magistrate, die das Amt des öffentlichen
Ministeriums versehen, werden durch den Präsidenten der Republik ernannt, und in Folge einer Anklage gegen den Präsidenten und die Minister, durch die Nationalversammlung. Die Geschwornen, 36 an der
Zahl, werden aus den Mitgliedern der Generalräthe der Departements genommen. Die Volksvertreter können nicht als Geschworne sitzen.
@xml:id | #ar201b2_003 |
@type | jArticle |
@facs | 1099 |
Paris, 18. Jan.
(Gesetzentwurf.)
Art. 1. Die Urheber und Mitschuldigen des Attentats vom 15. Mai 1848, welche ein Beschluß des Pariser Appelhofs vom 16. Januar 1849 in Anklagestand versetzte, werden vor den hohen
Nationalgerichtshof gestellt.
Art. 2. Dieser Nationalgerichtshof tritt binnen einem Monat nach Annahme des gegenwärtigen Gesetzentwurfs durch die National-Versammlung, in Bourges zusammen.
Art. 3. Der Justizminister ist mit Ausführung dieser Maßregel beauftragt
Gegeben im Elysée-National, 17 Januar 1849.
(gez) Louis Napoleon Bonaparte.
(gegengez.) Odilon-Barrot.
— Laut Artikel 92 der Verfassung ist der Nationalgerichtshof aus fünf Kassationsräthen und zwölf Geschwornen zu wählen, welche nach Anweisung der Artikel 93, 94 und 95 derselben Verfassung
aus einer Liste von resp. sechszig, von den Departementsräthen zu ziehen sind. Die Stadt Bourges, zwar ziemlich weitläuftig, aber ziemlich verödet, wird gleich Vendome vor sechszig Jahren, plötzlich
sehr rege werden und dramatisches Interesse bieten.
— Die Bureaux der Nationalversammlung wählen so eben die Kommission, welche ihr, gegen 3 Uhr über die Dringlichkeit des ministeriellen Antrages: „die Maigefangenen vor einen
Nationalgerichtshof zu stellen,“ Bericht zu erstatten hat. Die Diskussion ist sehr lebhaft. Die Ansicht des Appellhofs, die Angeklagten vor die Jury des Seinedepartements zu stellen, findet
viele Vertheidiger. Wie kann ein Gesetz gegen sie angewandt werden, das viele Monate später erst entworfen und angenommen wurde? Die Verfassung könne doch unmöglich eine rückwirkende Kraft üben? Da es
sich jedoch blos um die Dringlichkeit handelt, so müssen wir den Kern der eigentlichen Frage für die öffentliche Debatte aufsparen.
— Cabrera's Niederlage scheint sich zu bestätigen. Laut Depeschen aus Bayonne vom 13, warf sich ein Karlisten-Korps von 600 Mann über die spanische Gränze auf französischen Boden,
entwaffnete dort mehrere Posten und wird uns somit in eine unangenehme internationale Streitigkeit verwickeln.
— In den Marseiller und Touloner Blättern nichts Wesentliches über die Expedition nach Italien. Einigen Zeilen im Pariser „National“ zufolge dringt Sotomayor im Namen Spaniens
vorzüglich in das Kabinet, um zu wissen, was Frankreich eigentlich für den Pabst zu thun beabsichtige? Das Kabinet, viel zu sehr mit dem Innern beschäftigt, zeigt sich aber zähe und unschlüssig. Es
gibt ausweichende Antworten: „Wahrhaftig, ruft darum das Organ Ledru-Rollins, wir kehren in die Zeiten Karls des Großen zurück. Unter dem Pretext, daß Frankreich die älteste Tochter
Rom's sei, scheint unser Präsident gar nicht übele Lust zu haben, eine französische Division gegen die revolutionären Römer zu schleudern. Der Bannfluch des Pabstes soll das Zeichen zu einem
neuen Kreuzzuge geben. Die ganze Christenheit möchte aufbrechen; Spanien rüstet seine acht lecken Kriegsschiffe, die seine Marine noch zählt; Portugal stellt seine Flotten und Armeen (!!) dem Pabste
zu Gebote, und selbst die Türkei ist schon auf dem Wege, Sr. Heiligkeit zu Hülfe zu springen.
— So hätten wir denn endlich die Vicepräsidentenliste! Herr Leon Faucher, Minister des Innern, bestieg heute Nachmittag um 3 1/2 Uhr die Bühne und schlug der Nationalversammlung im Namen des
Präsidenten Bonaparte die Deputirten vor:
1) Boulay (Meurthe), ein Centrier, der mitunter im Juni schrie.
2) Baraguay d'Hilliers, Junigeneral und Präsident der Rue de Poitiers.
3) Vivien, Ex-Vicepräsident des alten Staatsrathes unter der Monarchie.
Alle Welt wird sich über diese Nullitäten wundern. Aber der Vicepräsident muß von Rechts- oder Constitutionswegen eine Null sein.
Darum erklärt auch Odilon Barrot im heutigen 3stündigen Ministerrathe, daß er eher sein Portefeuille niederlege, als die Vicepräsidentschaft anzunehmen.
Passy erklärte, daß auch er zurücktrete, wenn Barrot nicht mehr Conseilpräsident bleibe.
So kam obige Liste zu Stande.
— Während die Ledru-Rollin'sche „Revolution“ den Präsidenten Bonaparte einen Kreuzzug gegen die Römer unternehmen läßt, benachrichtigt uns der Moniteur, daß der
Präsident von einem Gastmahle zum anderen zieht. Das amtliche Blatt meldet uns auf seiner ersten Seite, daß der Präsident der Republik gestern Abend einem Mahle bei seinem Unterrichtsminister Hrn. v.
Falloux beiwohnte, zu dem die hervorragendsten Männer aller Parteien (?) und Religionen geladen waren. Der Moniteur hebt besonders die Anwesenheit des protestantischen Kirchenfürsten Cuvier und des
jüdischen Rabbiner Cerfbeer hervor. Auch die Schildträger Changarnier, Bugeaud und der berüchtigte Marquis v. Pastoret (Haupt-Agent Heinrich V.) befanden sich unter den Geladenen.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 18. Januar. Marrast eröffnet sie um 2 1/2 Uhr. Nach Vorlesung des Protokolls folgen einige Ratifikationen.
Alem Rousseau entschuldigt sich, daß er gestern bei Vorlesung einer Petition gegen die Jesuiten den Berichterstatter Kerdrel unterbrochen.
Koenig (Elsaß): Unter dem gestrigen Petitionsstoße befand sich auch ein Antrag auf Errichtung eines Universitätslehrstuhls über Atheismus. Ich trage darauf an, daß dieser böse Antrag dem
Unterrichtsminister Behufs Einleitung einer Untersuchung gegen den Antragsteller überwiesen werde. (Widerspruch vom Berge.)
Marrast zeigt der Versammlung die Namen der gewählten Commission zur Begutachtung des Dringlichkeitsantrages gegen die Maigefangenen an. Gewählt wurden: Reynaud, Dupin, Corne, Verne,
Bauchart, Baroche, Ponc[unleserlicher Text]let, St. Rome. Er ersucht sie, sich zurückzuziehen, um bald zu berichten.
Dies geschieht und dann geht es an die eigentliche Tagesordnung, welche in unerheblichen Kredit-Anträgen besteht.
Inmitten der geräuschvollen Debatte (gegen 4 Uhr) nimmt Leon Faucher im Namen des Gouvernements das Wort.
Leon Faucher, Minister des Innern, liest einen Beschluß des Präsidenten vor, der Boulay, Baraguay d Hilliers und B[unleserlicher Text]ten als Kandidaten zur Vizepräsidentschaft verfassungsgemäß vorschlägt.
Baze. Erst müsse sein Gehalt festgestellt werden.
Die Debatte wird auf Samstag beschlossen
Goudchaux verlangt das Wort über neue Motive zur Tagesordnung. Er protestirt gegen die Form, mit welcher man das Pflanzerentschädigungsgesetz bei Seite geworfen. Er ist ein Anwalt der
reichen Colonialkapitalisten.
Cremieux hebt den Handschuh auf und rechtfertigt das beobachtete Verfahren
Damit war Goudchaux vorläufig geschlagen.
Mauguin beklagt sich, daß der Finanzausschuß die Getränkesteuer-Anträge nicht erledige. Die Sache sei wichtig.
St. Beuve antwortet im Namen des Ausschusses, daß die Nachlässigkeit den Redner selbst treffe; denn man habe ihn drei Male schriftlich in seine Sitzungen geladen. Er sei nie gekommen.
(Gelächter.)
Der Antrag wird als dringend in die Büreau's gewiesen
In diesem Augenblick erscheint die M[unleserlicher Text]igefangen-Commission wieder im Saale.
Fladin erklärt in ihrem Namen, daß die Commission über die Dringlichkeit einstimmig sei und die Debatte für Sonnabend verschlage und zwar in öffentlicher Sitzung.
Grandin möchte Vordiskussion in den Büreau's.
Senard bekämpft dies.
Lagrange belästigt die Versammlung abermals mit der — Amnestie. Sie solle der Maidebatte vorangehen. So langweilig dieser hohle Lagrange ist, kann man ihm doch nicht zürnen und sein
Antrag fand ziemlich Unterstützung.
Nach zweimaliger Stimmprobe fiel er jedoch durch und es bleibt bei Sonnabend.
Laribiere deponirt seinen Bericht über die — Zeitungspreßgesetzgebung. (Ah! Ah!)
Die Versammlung überweist dann schließlich noch die Colonialarbeitsverhältnisse den Büreaus.
Die Sitzung wird um 1/4 vor 6 Uhr geschlossen