Deutschland.
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068
] Köln, 18. Jan.
Die Wahlen sind vor der Thür. In 4 Tagen, den 22., haben wir die Wahlmänner zu ernennen, die dann ihrerseits für uns Deputirte nach Berlin bestimmen sollen. Daß wir uns viel Zeit, Lauferei und Mühe
ersparten, wenn wir geradewegs unsere Deputirten wählten: das begreift jedes Schulkind. Allein solch einfaches Verfahren, das bei den gescheuten Völkern zum Beispiel in Amerika, in der Schweiz, bei
den Franzosen, in England u. s. w. im Gebrauch ist, paßt nicht in den Kram der preuß. Regierung und der mit ihr gegen das Volk verschwornen Adels-, Beamten- und Geldsack-Kaste. Denn bei dieser krummen
Wahlart stehen den Feinden des Volkes tausend Mittel zu Gebote, die bei der geraden nicht anwendbar oder erfolglos wären.
Um so mehr müssen wir auf unserer Hut sein. Die von unsern Feinden bereiteten Hindernisse sind groß.
Einer der vielen Regierungskniffe besteht in der Eintheilung der Wahlbezirke. Die ist so getroffen, daß den Leuten auf dem Lande und in den kleinern Städten eine Vorbesprechung und Verständigung
sehr erschwert wird, zumal in dieser Jahreszeit. Außerdem ist die Eintheilung absichtlich so spät bekannt gemacht worden, um das Volk an der Vereinigung zu hindern. Die Anhänger der preuß.
Gewaltregierung kannten sie aber wochenlang zuvor, um danach ihre Pläne einzurichten.
Doch die Regierung hat sich noch ganz anderer Mittel bedient, um bei den Wahlen nur Stockpreußen: das heißt: gnädige Landjunker, Beamte, Lämmelbrüder, allerunterthänigste Ja-Herren und dicke
Geldsäcke durchzusetzen.
Abgesehen von den offenen und geheimen Anweisungen an die Beamten, abgesehen von dem Rundschreiben des Ministers Manteuffel und dem Ladenberg'schen Liebesbriefchen an die Volkslehrer, die
uns für die saubern Pläne der Polizeiregierung gewinnen sollen: ist das Land mit den lügenhaftesten, auf Irremachung des Volkes berechneten Plakaten und Flugblättern förmlich übersäet worden.
Diese Flugblätter sind sämmtlich von bankerutten Landjunkern, heruntergekommenen Fabrikanten, von Landräthen und Mitgliedern der Preußenvereine ausgegangen und werden auf Staatskosten, also auf
Kosten unseres eigenen Geldbeutels gedruckt und versandt.
Meistens wenden sich die Volksfeinde an die Bewohner des platten Landes. In der Voraussetzung, daß der Landmann den Zusammenhang der Verhältnisse weniger kennt, weniger Gelegenheit zum Austausch
richtiger Ansichten, als der Städter, hat: glauben sie hier ihre Verläumdungen und Lügen am leichtesten an den Mann bringen und aufs Herrlichste für sich im Trüben fischen zu können.
Unter den unzähligen Flugblättern dieser Art ist dieser Tage auch ein offener Brief eines „rheinischen Bauern an seine Nachbarn“ erschienen.
Der „rheinische Bauer“ ist ein bankrutter Fabrikant und steht im Solde der Regierung.
Er fängt's ganz schlau an, um die Landleute für das jetzige volksverrätherische Ministerium und dessen mit Rußland und Oesterreich zusammen ausgesponnenen Pläne zu gewinnen. Daß er wie ein
Rohrsperling auf die Demokraten schimpft, versteht sich von selbst. Der Mann mit seinem offenen Briefe gleicht dem Fuchse, der den Hühnern die besten Schmeichelworte gibt, sich als reumüthigen und
völlig gebesserten Sünder hinstellt und sie doch ein Bischen auf seine Seite zu kommen bittet, um ihnen seine Liebe und Freundschaft zu beweisen. Die Hühner waren klug genug, den Schalk unverrichteter
Dinge ablaufen zu lassen. Sollten die rheinischen Bauern einfältiger sein, als jene Hühner? Wer das glaubt, der kennt den rheinischen Bauer nicht.
Nein, Herr Flugblattschreiber; in der Rheinprovinz wissen wir doch so ziemlich, schwarz von weiß zu unterscheiden und was hinter Eurem Schwarzweiß steckt, das haben wir leider seit 1815 mehr, als
wir wünschten, erfahren.
Wenn Ihr uns die Republik als die Herrschaft des Lumpengesindels schildert: so vergeßt Ihr, daß Millionen Landsleute aus Deutschland nach Amerika gewandett sind und dort in der Republik leben, wo
sie nicht den 20sten Theil unsrer Steuern zu zahlen, wo sie keine hochmüthige Beamtenkaste, keinen auf ihre Kosten faullenzenden Adel und dergl. Sächelchen des preußischen Königthums zu ertragen
haben.
Und was Ihr gar von Kommunismus schwatzt; mit dieser Vogelscheuche macht ihr selbst alten Weibern nicht mehr Bange. Wenn das preußische Budget, das in einigen Jahren von 50 Millionen auf 100
Millionen gestiegen ist, in demselben Verhältnisse fortwächst, eine nothwendige Folge eures Armen-, Polizei-, Beamten- und Hofwesens, so wird das ganze Landesvermögen bald der Staatskasse verfallen
und der „königlich preußische Kommunismus“ hergestellt sein.
Was Ihr von den „rheinischen Bauern“ wollt, aber natürlich nicht sagt, besteht darin, daß sie Leute wählen sollen, die aus Selbstsucht oder Beschränktheit, um ein Ordensbändchen, Geld
und dergl. alle bisherigen Gewaltthaten der preußischen Regierung gutheißen und welche die Karre wieder in's alte Gleis vor'm 18. März 1848 zurückbringen helfen.
Ihr wollt Leute gewählt haben, welche die gebrochenen Frühjahrs-Verheißungen in Vergessenheit begraben und die mit Wrangel'schen Kanonen, Belagerungszuständen und massenweisen Einkerkerungen
eingeweihte Gewalt-Verfassung lobpreisend hinnehmen; Leute, die nicht begreifen, oder nicht begreifen wollen, daß wir mit dieser Verfassung, trotz mehrerer, dem Anschein nach freisinnigen Phrasen und
Artikel, doch sehr bald 1000 mal schlimmer daran sein würden, als zur Zeit der löblichen Provinzialstände und des vereinigten Landtags.
Doch trotz aller bisherigen Anstrengungen, trotz der schnödesten und schamlosesten Mittel der Volksberückung und Wahlverfälschung trautet Ihr dem Ausgange der Sache nicht.
Drum hattet Ihr Euch ein letztes Mittel aufgespart bis zu guter Letzt. Es ist Euer höchster Trumpf; Ihr habt ihn kürzlich ausgespielt. Aber verlaßt Euch darauf, bei den rheinischen Bauern gewinnt
Ihr Euer Spiel doch nicht. Die setzen Euch als Gegentrumpf ihre Erfahrung und Behutsamkeit und Ihr werdet mit langer Nase abziehen.
Dieser höchste Trumpf der volksfeindlichen Partei besteht darin, daß auch der König von Preußen ein eigenhändiges Flugblatt in Betreff der Wahlen abgefaßt hat, das nun in Millionen Exemplaren unter
das Landvolk in den verschiedenen Provinzen ausgetheilt wird. Den Inhalt dieses Schriftstücks wollen wir morgen mit einigen Worten beleuchten.
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X
] Vom Rhein, 16. Januar.
Von den reaktionären Flugblättern, durch welche man die Demokraten beim Volke zu verdächtigen sucht und deren eins (nach Nr. 192 d. Ztg.) den berüchtigten Harkort zum Verfasser haben soll, scheint
die Elberfelderin den Vertrieb übernommen zu haben; uns wenigstens sind mit ihr die betreffenden Lügenwische zugegangen. Similis simili gaudet. Ob die Elberfelderin, um die Lüge glaublicher zu machen,
die Unterschrift des einen Flugblattes durch Hinzufügung eines mit Dinte geschriebenen y vermehrt und verbessert hat, so daß aus Jacob „Jacoby“ wurde, wird sie selbst am besten
wissen.
Es entspricht ganz dem frommen Charakter und der edlen Rolle dieser bekehrten Sünderin, daß sie zu Wahlkandidaten solche Leute empfiehlt, die sie vor dem 18. März selbst bekämpft hat, von denen es
auch bekannt ist, daß sie mit Leib und Seele dem alten System angehörten, und die noch im September von Wittenberg aus einen Bußtag gegen den März ausgeschrieben haben. Diese Männer, die Gunstlinge
und Helfershelfer von Eichhorn-Thiele, die evangelischen Professoren in Bonn, die Consistorialräthe, die Moderatoren der Synoden und Bethmann-Hollweg; sie, die nie den Mund aufthaten, weder für die
Schule, noch für die Kirche, noch für das Volk, sollen nach der Elberfelderin die besten Vertreter dieser Freiheit sein.
Doch, Herr Venedey, esgibt genug Deutsche, die niederträchtig sind.
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X
] Grevenbroich, (im Januar.)
Die Wahlmanöver der Restauration, die im Jahre 1815 ein für Ludwig XVIII. selbst zu kontrerevolutionäre Kammer ergaben, werden bei weitem überboten durch die Operationen unsers Manteuffel. Es ist
von allgemeinem Interesse, wenn die allgegenwärtigen Intriguen der gottbegnadeten Regierung von allen Theilen des Landes aus enthüllt und ihre Kandidaten dem öffentlichen Urtheil preisgegeben
werden.
Die Zusammenwürfelung liberaler Kreise mit schwarzweißen in Einen Wahlbezirk ist eines der bekannten Hauptmanöver unsers Manteuffel und seiner Trabanten.
So wählen die Kreise Grevenbroich, Gladbach, Crefeld und Neuß zusammen zwei Deputirte für die erste Kammer in Neuß, die Kreise Grevenbroich und Gladbach zwei Deputirte für die zweite Kammer
in Rheidt, dem verrufensten Sitze des Schwarzweißthums.
Auf einer vor Kurzem in Düsseldorf stattgehabten Versammlung der Landräthe der angeführten Kreise ist in Folge des Manteuffelschen Wahlrescripts ein Schlachtplan entworfen worden. Als Kandidaten
der ersten Kammer wurden festgesetzt, der gefürstete Altgraf Salm zu Dyk (Alter zwischen 75 und 80 J.) und der Geh. Commercienrath Diergardt zu Viersen; als Kandidaten der zweiten Kammer: der
Landrath von Grevenbroich, Freiherr von Gudenau und Regierungsrath Ritz von Aachen, der weggelaufene Deputirte, der von Gladbach gewählt.
Ritz ist hinlänglich bekannt. Sprechen wir von dem Freiherrn v. Gudenau, königl. preuß. Landrath zu Grevenbroich?
v. Gudenau hat in Nr. 53 des „Grevenbroicher Kreisblattes“ ein Glaubensbekenntniß abgelegt, worin es unter anderm heißt:
„Ich bin derselbe noch, der ich war, nur, wie wir alle, um große Erfahrungen reicher; denn meine politische Ueberzeugung gründet sich nicht auf Barrikaden, sondern auf die
Weltgeschichte.“
Sehn wir also, was Herr von Gudenau war! Vorher aber noch ein Wort über die sonderbaren Erlebnisse seines im Kreisblatt veröffentlichten Glaubensbekenntnisses.
Als im Anfang November der Deputirte, Friedensrichter B. von Grevenbroich, durch Familienverhältnisse veranlaßt, sein Mandat niederlegte, wurde an seine Stelle v. Gudenau den 17. Nov. zum
Deputirten gewählt. Gleich nach der Wahl hielt er eine Rede. In dem nächsten Kreisblatte vom 19. Nov. (Nr. 47) wurde er zur Veröffentlichung dieser Rede aufgefordert. Er schwieg damals und ging
nach Brandenburg. Jetzt in Nr. 52 läßt er sich selbst durch einen Anonymus über jene Rede zur Rechenschaft ziehn. So erfolgte dann in Nr. 53 der Abdruck der angeblich am 17. gehaltenen Rede.
Gudenau behauptet, seine Rede am Tage nach der Wahl, „wie er glaube wortgetreu“ niedergeschrieben zu haben.
Der dem Freiherrn gehorsamst unterthänige Bürgermeister und sonstige von ihm ressortirende Beamte sind seit lange schon fur ihn im Kreise thätig.
Gudenau ist ein Junker von ächtem Schrot und Korn. Wie hätte er sonst vom Grafen v. Mirbach adoptirt werden können? v. Gudenau ist ein geborner Oestreicher und in Wien erzogen.
Der Ritterhauptmann Graf v. Mirbach zu Haus Harff, Stifter und Protektor der Ritterakademie zu Bedburg, ist kinderlos: derselbe suchte unter seinen jugendlichen Verwandten den junkerhaftesten
heraus, um ihn zum Erben seines zur Verewigung des Junkerthums in hiesiger Gegend gestifteten Familienfideikommisses oder Majorats zu machen. Die Wahl fiel auf v. Gudenau. Er wurde groß und mußte
beweibt werden, um für die Vermehrung der Junker wirken zu können.
Natürlich wurde nur in altadliger Familie sich umgesehen. Die Tochter des Grafen Hoyos (des berüchtigten Gliedes der den Kaiser Ferdinand umgebenden Camarilla) wurde ausersehen.
Da der v. Gudenau zwar Junker, aber auch nur erst noch Junker und nur erst noch ein armer Junker, noch ohne Majorität (v. Mirbach lebt noch) und ohne jede öffentliche Stellung war, so erklärte Graf
Hoyos, daß er ihm seine Tochter erst dann geben könne, wenn er zu irgend einer Stellung gelangt sei. Darauf erscheint von Gudenau auf einmal als Referendar in der Regierung zu Düsseldorf. Der alte
Landrath von Propper zu Grevenbroich wird bald darauf durch v. Gudenau vertreten. Von Propper läßt sich nach einiger Zeit pensioniren. In der stattfindenden Landrathswahl wird der im Kreise geschätzte
und beliebte Friedensrichter Bruch zum ersten und v. Gudenau zum dritten Candidaten vorgeschlagen.
Zum größten Erstaunen des ganzen Kreises wird v. Gudenau zum Landrath ernannt und v. Propper bezog in Folge Uebereinkunft bis an sein Lebensende aus dem Gehalte des v. Gudenau 500 Thlr. jährlich zu
seiner reglementsmäßigen Pension, so daß dadurch seine Pension seinem frühern Gehalte gleich kam.
Der östreichische Junker v. Gudenau ist also preußischer Landrath — Schwiegersohn des östreichischen Grafen v. Hoyos, Schwager des vom Volke zerrissenen Grafen Lamberg und Erbe des
preußischen Ritterhauptmanns, Gafen v. Mirbach und damit in Zukunft preußischer Graf und Majoratsherr.
Die Wahl im November wurde nicht öffentlich bekannt gemacht. Wenige Tage vor der Wahl wurden vielmehr die Wahlmänner schriftlich zur Wahl nach Grevenbroich einberufen und der Kreis fand sich nie
mehr überrascht, als durch die Proklamation des Wahlkommissars v. Gudenau zum Deputirten. Die Wahlmänner, meistens Geistliche, waren im Stillen gehörig bearbeitet worden.
Die damals befolgte Taktik genügt nicht mehr, denn die alten Wahlmänner werden neuen Platz machen müssen. Daher diese neue Taktik. Man versucht den Kreis durch Phrasen zu erobern.
v. Gudenau war Deputirter auf dem vereinigten Landtag. Dort hat er stets mit der Regierung gestimmt, so oft die Regierung dem Volke gegenübertrat und sogar gegen die Regierung, wenn diese
ausnahmsweise dem Volke eine halbe Konzession machte.
So stimmte er gegen die Regierungsvorlage, betreffend die Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer und die Einführung der Einkommensteuer.
In der Frage wegen der großen Ostbahn stimmte er mit der fürstlich-gräflichen Minorität.
Endlich hat von Gudenau das berüchtigte Harkort'sche Manifest mitunterzeichnet und jetzt ruft er dem Wahlkreis höhnisch zu:
„Ich bin derselbe noch, der ich
war.“
Der Kreis wird dem Herrn Junker nicht noch einmal die Mühe machen, „an großen Erfahrungen reicher zu werden.“
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Altenkirchen, 15. Jan.
Der Oberpräsident Eichmann hat Folgendes verfügt:
„Nachdem der königl. Regierungs-Assessor Wilhelmy daselbst die meinerseits an ihn gerichtete Frage: ob er die in Nro. 98 des Altenkirchener Intelligenz- und Kreisblattes abgedruckte
Adresse an des Königs Majestät abgefaßt und veröffentlicht habe? in einem Schreiben vom 23. l. M. bejaht hat, beauftrage ich Sie, dem etc. Wilhelmy anzukündigen, daß er durch das königl. Ministerium
für landwirthschaftliche Angelegenheiten seines bisherigen Commissoriums enthoben sei, seine sämmtlichen Dienstpapiere unverzüglich an Sie abzugeben habe und daß das königl. Ministerium die weitere
Verfügung über ihn sich vorbehalte.
Koblenz, den 25. Dezember 1848.
Der Oberpräsident der Rheinprovinz, gez. Eichmann.
An den königl. Landrath Hrn. Frhrn. v. Hilgers zu Altenkirchen.“
[(Rh.- u. M.-Z.)]
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] Berlin, 15. Januar.
Der Unterrichtsminister, Hr. Ladenberg, hat an alle k. Regierungen folgendes Rundschreiben zu erlassen geruht:
„Die königl. Regierung veranlasse ich, obenstehende Verfügung des Hrn. Ministers des Innern an die Volksschullehrer Ihres Bezirkes zu vertheilen. In diesem Erlaß ist die Bedeutung der
bevostehenden Wahlen in die preußischen Kammern für die weitere Entwicklung unseres neuen Staatslebens, und die Aufgabe der Behörden in Bezug auf diese Wahlen klar dargelegt. Bei dem Einfluß, welchen
die Volksschullehrer, namentlch auf dem Lande, in ihrem steten Verkehr mit den Familien und Gemeinden, nach Maßgabe des ihnen zugewendeten Vertrauens auf die Berichtigung irrthümlicher Ansichten und
Mißverständnisse, auf die Belehrung des Volkes über die Fragen, um deren Entscheidung es sich gegenwärtig handelt, üben, kann es für dieselben nur ein Beweis meines in sie gesetzten Vertrauens sein,
wenn ich durch Mittheilung des obenstehenden Erlasses die Ueberzeugung bethätige, daß sie den gegenwärtigen Zeitpunkt als einen solchen verstanden haben, wo nicht die Regierung, sondern das Vaterland,
die Vergangenheit und die Zukunft des Volkes fordert, daß nicht durch ihre Unthätigkeit und Versäumniß oder gar durch ihre Schuld die Wähler unaufgeklärt bleiben über ihre Pflichten und die
Anforderungen, welche die höchsten Interessen des Staates und des Volkes gebieterisch an seine jetzt zu wählenden Vertreter stellen. — Die Wahlen, welche das Volk jetzt trifft, werden
entscheiden, ob die schreckliche Lehre der nächsten Vergangenheit verstanden worden ist, oder ob der frevelhafte Versuch wiederholt, und die Existenz eines auf Sitte, Wahrheit und Recht gegründeten
Staats nochmals auf die gefährliche Probe gestellt werden soll. Nur solche Vertreter, welche mit der nöthigen Einsicht in das Wesen und die Aufgabe des Staates selbstständige Erfahrung in ihrem
nächsten Lebensberuf verbinden; deren Herz nicht weniger lebendig für die gesetzliche Freiheit des Volkes, wie treu für den König und das angestammte Herrscherhaus schlägt; die durch rechtliches und
unbescholtenes Leben in Familie und Gemeinde das Recht als die Grundlage jedes Gemeinwesens haben achten gelernt; welche wahre Bildung und echt religiösen Sinn als die Bedingungen der weiteren, auch
materiell gedeihlichen, Entwicklung des Volkslebens schätzen, und welche fern von allen eitlen und selbstsüchtigen Zwecken den Muth und die Hingebung besitzen, diese ihre Erkenntniß und ihren Willen
zum Besten des Volkes geltend zu machen: nur solche Vertreter werden im Stande sein, im treuen Bunde mit einer starken, das Gesetz und die Ordnung schirmenden, freisinnigen Regierung das Werk zu
vollenden, welchem der einsichtsvolle und treue Theil des Volkes sehnsüchtig entgegensieht. Das Volk hat solche Männer genug in seiner Mitte! Es liegt mit in der Hand der Lehrer, solche Männer zu
bezeichnen, ihre Wahl zu sichern und in dieser Weise in einer freien, ihnen als Bürger des Staates zustehenden Thätigkeit den Behörden die Lösung der Aufgabe erleichtern zu helfen, welche denselben
durch den vorstehenden Erlaß des Herrn Ministers des Innern gestellt worden ist Mir genügt es, die Lehrer auf diese ihre Pflicht als Bürger aufmerksam gemacht zu haben, und glaube ich erwarten zu
dürfen, daß dieselben bei dieser Gelegenheit beweisen werden, wie sie die hohe Aufgabe verstanden haben, die der Schule, und in derselben den Lehrern durch die neue Verfassung zugewiesen ist.
Berlin, den 30. Dezember 1848.
Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten.
v. Ladenberg.
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Berlin, 15. Jan.
Als noch die äußerste Linke der aufgelösten Nationalversammlung bei Mylius tagte, begab es sich eines Abends, daß man einen nicht dahin Gehörigen, einen Spion, entdeckte, wie sich nachher ergab,
einen Schutzmann in Civilkleidern, welcher geständlich dahin abgeschickt worden war, um die Versammlung zu belauschen. Die Aufregung darüber war sehr groß. Der Ertappte mußte unfreiwillig ins vierte
Stock hinaufsteigen, wo mehrere, nicht zur Nationalversammlung gehörige Personen, welche der damals herrschenden Volkspartei angehörten, ein Gericht über ihn eröffneten. Der Spruch fiel, wie es im
Kriegsrecht bei Spionen üblich ist, auf den Tod aus, und zwar auf den Tod durch den Strang. Man kann sich denken, daß dem Diener der Gerechtigkeit, der seinen Diensteifer mit dem Leben büßen sollte,
nicht wohl zu Muthe ward. Indem man vor den erschrokkenen Augen des armen Sünders eben schon Anstalten zur Vollstreckung des blutigen Urtheils traf, erschien der Abg. Jung und befreite den
geängstigten Missethäter aus den Händen seiner Richter. Ohne Zweifel war das Ganze nichts weiter, als eine improvisirte Komödie, um dem Schutzmann für die Zukunft die Luft zum Spioniren zu verleiden.
Inzwischen hört man aber jetzt, daß der Vorfall Gegenstand gerichtlicher Verhandlungen geworden sein soll.
[(Publizist.)]
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X
] Berlin, 15. Januar.
Nach Aufzählung der bekannten Bedingungen, unter denen Vater Wrangel die Abhaltung von Wahl-Versammlungen gestattet hat, sagt der Publicist: „Diese Beschränkungen und Controlen scheinen
jedoch zur Aufrechthaltung der belagerungsmäßigen Ruhe und Ordnung und zur Beseitigung aller deshalb stattfindenden Befürchtungen der Polizeibehörde noch nicht genügend, denn es sind außerdem theils
Polizeibeamte in Uniform, theils Schutzmänner in Civilkleidung in den Versammlungen erschienen, wie Erstere ausdrücklich auf Befragen erklärten (wir führen namentlich den Polizeikommissarius Hermann
an), um die Versammlung zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten, wobei er ein Papier vorzeigte, welches den desfallsigen Befehl enthalten sollte. Man kann daraus schließen, daß den
Schutzmännern, welche sich als Urwähler in den Bezirks-Versammlungen einfinden, ähnliche Befehle zugegangen sein werden und wie man hört, sollen von solchen doppeltgestaltigen Urwählern in der That
bereits Denunciationen wegen gehaltener Reden erfolgt und gerichtliche Verfolgungen deshalb eingetreten sein.
Von allen Seiten und aus den verschiedensten Bereichen der Beamtenwelt gehen uns Mittheilungen über politische Inquisitionsversuche Seitens der Ministerien und der höhern Beamten zu. Diese
Maaßregelung der politischen Handlungen und sogar der Denkweise der Unterbeamten ist förmlich durch Instruktionen aus den verschiedenen ministeriellen Departements organisirt worden und macht sich
sowohl hier als in den Provinzen auf die gehässigste Weise geltend So versichert man uns namentlich und liefert uns auch die thatsächlichen Belege dazu, daß die Präsidenten und Direktoren der
verschiedenen Gerichtshöfe vom Justizministerium aus die strengste Anweisung erhalten haben die politischen Gesinnungen und Handlungen der Mitglieder und Unterbeamten ihrer Collegien sorgfältig zu
überwachen, dabei ihre Aufmerksamkeit namentlich auf Diejenigen zu lenken, welche republikanischen Gesinnungen huldigten oder in der otroyirten Verfassung weder eine Erfüllung der Wünsche des Volkes
noch der Versprechungen des Königs sehen. Einzelne Chefs von Gerichtshöfen entfalten denn auch schon einen löblichen Eifer in Verfolgung demokratisch gesinnter Subalternen. Unter diesen Inquisitoren
zeichnet sich der hiesige Stadtgerichts-Direktor Schröder rühmlichst aus, welcher seiner Untergebenen nicht einmal gestatten will in Privatgesprächen „sich so zu äußern, daß ein schwankendes
politisches Gemüth der Regierung abwendig gemacht werden könne.“
In gleicher Weise wirkt auf einem andern Felde die Elberfelder Celebrität, der neue Direktor unseres Gewerbe-Instituts Dr. Egen. Derselbe hat den sogar schon mit Gehalt versehenen und 24-30 Jahr
alten Zöglingen der ersten Abtheilung des von ihm geleiteten Instituts die politische Selbstständigkeit abgesprochen und die Theilnahme an den Urwahlen untersagt, wenn sie Zöglinge des Instituts
bleiben wollen. Auch hat er überhaupt den ferneren Besuch des Instituts als unverträglich mit demokratischer Gesinnung dargestellt. In Folge dieser Gesinnungsinquisition ist denn auch der älteste
Zögling, obgleich ein verheiratheter, seines Gehalts bedürftiger Mann aus seiner Stellung ausgeschieden.
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@facs | 1082 |
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X
] Berlin, 16. Jan.
Immer allgemeiner verbreitet sich hier das schon früher erwähnte Gerücht, daß der Belagerungszustand am Vorabende der Wahlen aufgehoben werden wird, jedoch nicht, ohne daß vorher zwei Gesetze für
Bestrafung von Preßvergehen und Behufs Beschränkung der Versammlungsfreiheit oktroyirt werden.
Nachstehend ein kleines, erbauliches Pröbchen von den Mitteln, zu denen Polizeibeamte greifen, um den Preußenvereinen den Einfluß auf die Wahlen zu erleichtern. Zugleich wird man den hohen Grad der
Achtung bemessen lernen, den unsere Polizei vor der Habeas-Corpus-Akte hat.
Am 18. März ward bekanntlich die Berliner Landwehr einberufen. Am 19. jedoch leisteten nur sehr Wenige der Aufforderung Folge. Unter den Nichterschienenen war auch ein junger Mann von guter
demokratischer Gesinnung aus dem 47. Bezirk, Namens Ulrich. Den ganzen Sommer und Herbst über ward derselbe, wegen seiner nicht erfüllten Pflicht als Landwehrmann, nicht im Entferntesten
beunruhigt. Gestern Morgen aber ward er plötzlich vor den Polizeikommissär seines Bezirks geladen und dieser erklärte ihm sofort bei seinem Eintritt, er sei sein Arrestant und habe sich sofort ins
Militärgefängniß zu begeben. Jede Frage nach einem richterlichen Urtheilsspruch oder Verhaftsbefehl, sowie alles Protestiren des Betheiligten, der freilich bei den Wahlversammlungen des Bezirks eine
gewisse Thätigkeit zu Gunsten der demokratischen Partei entfaltet hatte, halfen nichts. Ein Gensdarm und einige Konstabler brachten ihn in Militärarrest. Aber diese ungerechtfertigte Verhaftung
erzeugte bald im Bezirke selbst, wo man den wahren Grund dieser Gewaltmaßregel leicht durchschaute, eine solche Aufregung, daß die einflußreichsten Personen der reaktionären Partei selbst, es für
gerathen hielten, ihren Einfluß behufs der Entlassung Ulrichs aus der Haft zu verwenden. Diese erfolgte auch noch gestern Nachmittag, konnte jedoch nicht verhindern, daß ein großer Theil der sich
konstitutionell-monarchisch nennenden Partei zu der demokratischen übergingen.
Unsere heutigen Zeitungen bringen plötzlich eine Erneuerung des Steckbriefes gegen Gustav Julius, frühern Herausgeber der „Zeitungshalle.“
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*
] Berlin, 15. Jan.
Die Vorlesungen, welche Bruno Bauer auf Veranlassung des Vereins der jüngern Kaufmannschaft im Börsensaale zu halten beabsichtigte, sind durch das Polizeipräsidium untersagt worden.
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61
] Wien, 13. Jan.
Die unter der Firma: „Gleichberechtigung aller Nationalitäten“ zum Vergnügen des Olmützer „jugendlichen“ Tsintschiskhan und Sultanin-Mutter in unserm
europäisch-chinesischen Kaiserthum angestellten Nationalhetzjagden sollen abermals an Ausdehnung gewinnen. Die wegen ihres romanhaften Wesens früher so angestaunten Tigerhetzjagden treten vor der
österreichischen Bestienjagd zum Vergnügen obgedachter Herrschaften bescheiden in den Hintergrund. — Die Wasserpolaken nämlich, deren auch Oesterreich sich erfreut, sollen zur 101ten Nation des
„mächtigen“ Standrechtreiches erhoben werden. Wie den Ruthenen, so hat Olmütz nunmehr den Wasserpolaken, die sich bei der Entschleierung der österreichischen Natiönchen vergessen sahen,
zurufen lassen: „Ihr seid Wasserpolaken; seid von den Polen von jeher unterdrückt worden, ihr müßt euch rächen, die Polen todt schlagen!“ Die Wasserpolaken antworten, wie die Ruthenen:
„Ja, wir sind die berühmte Nation der Wasserpolaken, und schlagen die Polen todt!“ Nun geht's los. Galizien wird reorganisirt, Lemberg wird zur Hauptstadt von Ruthenien, Krakau
aber zur Hauptstadt der Wasserpolakei gemacht. Wer da behauptet, Krakau sei eine urpolnische Stadt, ist nicht nur ein Ignorant, der die berühmte Historie der Wasserpolaken nicht kennt, sondern er ist
auch ein Hochverräther und Freiheitsfeind, weil er die „Gleichberechtigung“ desavouirt, d. h., das nur dem Tsintschiskhan und Sultanin-Mutter zustehende Recht, die eine Nation je nach
Belieben mit der andern todt zu schlagen. — Indessen gibt es ungeachtet der österreichischen National-Freiheits-Bestrebungen selbst unter den Wasserpolaken bedeutende Sympathien für die nach
der Olmützer Behauptung in der Geschichte nur als Idee dagewesenen Polen; es gibt daselbst noch bedeutendere Sympathien für die Magyaren und für ihren Kampf. Man gesteht dies nun zwar in Olmütz nicht
offiziell, aber man weiß es doch offiziell und handelt energisch-offiziell dagegen. Man hat dort z. B. einen besondern Pick gegen die preußische Wasserpolakei, die umgekehrt, wie die türkischen
Serben, nicht nur keine Freischaaren zur Unterstützung von Tsintschiskhans Armee über die Gränze sendet, sondern sich so wenig genirt, daß sie die Magyaren ziemlich unterstützt. Wenigstens behaupten
die zahlreich in die preußische Wasserpolakei geschickten österreichischen Spione dies als Thatsache.
Olmütz soll unter diesen Umständen eine offizielle Anfrage in Berlin gemacht, und dann durch den bekannten General Brühl die Antwort erhalten haben, man werde die Gränze noch besser, als geschehen,
beaufsichtigen, und auf die ungarischen Flüchtlinge vigiliren. In Betreff der letztern soll man sich namentlich wegen etwaigem Eintreffen Kossuth's in der preußischen Wasserpolakei vereinbart
haben. Oesterreich würde immer zittern müssen, wenn Kossuth frei entkäme, Preußen wird ihn daher vorkommenden Falls packen. Das Verhältniß zwischen Olmütz und Potsdam ist überhaupt nicht so schroff,
als man glaubt. Preußen bleibt, wie zu Metternich's Zeit, Oesterreichs unterthäniger Diener und exequirt dessen und Rußlands Befehle.
Die preußische Kaiserlichkeit ist nur ein Weihnacht-Abendmährchen, das am Tage verschwindet. Man begreift in Potsdam wie in Olmütz, daß man die Völker mit glänzendem Weihnachtsplunder berücken muß,
damit sie ihre wahren Interessen vergessen oder übersehen. Mit dem Feindschafts-Schein gewinnen Oesterreich und Preußen jetzt weit mehr, als mit dem früheren Freundschafts-Schein; denn die Völker
beschäftigen sich mit dem erstern, während die Kabinete ihnen mit aller Freundschafts-Wirklichkeit die Haut über die Ohren ziehen. Zu den Gränzgefälligkeiten Preußens gehört auch noch folgende: Um die
Ausfuhr von Silber und Gold hintertreiben zu helfen, hat Preußen alles österreichische Geld amtlich taxiren lassen. Die Taxe ist sehr gering ausgefallen, sowohl für österreichisches Papier, als für
Metall. Dadurch wird namentlich letzteres, welches sich sonst hier sehr verbreiten müßte, in Oesterreich zurückgehalten. Preußen könnte schöne Geld-Gränzgeschäfte machen, allein sein österreichischer
Patriotismus ist zu delikat. Eine weitere Gefälligkeit Preußens besteht darin, daß seine Beamten zugleich österreichische sind. Die schaarenweise im Lande umherziehenden Spione Oesterreichs wissen
dieselben sehr geschickt zu dingen, und erfahren von ihnen dann alles, was sie zu wissen und nach Wien, wie Olmütz, zu berichten nöthig haben. Man muß sich daher hüten, wenn man aus der preußischen
Wasserpolakei nach der österreichischen reist, denn dort kennt einen dann schon alle Welt. Dieselben preußischen Beamten verrichten nebenbei dann auch noch dieselben Dienste für Rußland und strafen
auf diese Weise das Sprichwort Lügen, daß man nicht dreien Herren auf einmal dienen könne.
Unter die wichtigen Geschäfte der östreichisch-preußischen Spione gehört endlich auch, überall im Volke Nachrichten von magyarischen Niederlagen zu verbreiten, die Magyaren als Feiglinge, die
magyarische Sache als eine rein verlorene darzustellen. Während es z. B. gewiß ist, daß Schlick von Kaschau bis Eperies zurückgeworfen worden ist, und die Banden der Hukuler zur Abhaltung der Magyaren
herauffanatisirt werden mußten, wird dieses Umstandes mit keiner Silbe erwähnt, aber großsprecherisch verbreitet, die Magyaren seien von Schlick furchtbar zusammengehauen worden.
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*
] Wien, 13. Jan.
Die amtliche Zeitung verkündigt mit Wollust, daß § 1 der Grundrechte von den feigen Memmen in Kremsier verworfen ist. Sie st[e]llt diese Nachricht an die Spitze ihres amtlichen Theils. Sodann
enthält sie eine „Kundmachung“ des Wiener Pascha, Freiherrn von Welden, worin es heißt:
„Es sind gestern Nachmittags aus dem sogenannten rothen Hause drei Schüsse auf vorübergehende Militärs gefallen, und bei Untersuchung des Hauses hat man bei Johann Schleifer einen Pack
scharfer Patronen gefunden.
Schon als die Abgabe der Waffen jeder Art, somit auch der Schießwaffen, unter Androhung der standrechtlichen Behandlung befohlen wurde, hätte sich Jedermann die Folgerung selbst ableiten können,
daß darunter auch die Munition begriffen sei, nachdem ohne diese von den Schießwaffen kein Gebrauch gemacht werden kann. Um aber darüber jeden Zweifel zu benehmen, findet man das Verbot des
ungesetzlichen Aufbewahrens und Erzeugens von Pulver und Schießbaumwolle und scharfen Patronen ausdrücklich auszusprechen, und festzusetzen, daß jene, welche derlei Munitions-Vorräthe besitzen, selbe
an das k. k. Zeughaus binnen drei Tagen, vom 12. d. M. an gerechnet, abzuliefern haben.“
Der nämliche Pascha verkündet ferner, daß die „Ostdeutsche Post“ auf Befehl des hohen Ministerraths wegen eines Artikels: „das Ereigniß von Kremsier“ unterdrückt worden
und dies geschehen ist, damit es „den Redakteuren der übrigen Zeitschriften zur Warnung diene.“
Wieder ist ein Hausknecht wegen mißliebiger Aeußerungen in einem öffentlichen Schenklokale zu 6 monatlichem Arrest in Eisen verurtheilt worden.
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@facs | 1082 |
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*
] Wien, 13. Jan.
Die schon früher erwähnte Proklamation des Windischgrätz an die Ungarn lautet wörtlich:
1) Jeder Einwohner, der mit was immer für eine Waffe in der Hand gefangen genommen wird, ist augenblicklich „durch den Strang hinzurichten.“ 2) Jede Ortschaft, aus welcher mehrere
Einwohner vereint sich erkühnen, von der k. k. Armee Kouriere, Transporte oder einzelne Kommandanten anzugreifen, oder ihr auf welch' immer für eine Art zu schaden, wird „der Erde gleich
gemacht.“ 3) Die Ortsobrigkeiten bürgen „mit ihrem Kopfe“ für die Aufrechthaltung der Ruhe.
General Bem soll mit seinem Korps über die Gebirgspässe in dte Bukowina eingedrungen sein und Oberst Urban sich schon bis Seret zurückgezogen haben. In Czerniowice ist man darüber in der größten
Bestürzung.
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@facs | 1082 |
Wien, 12. Jan.
Das Ministerium des Innern hat wieder die Verordnung vom Juli des Jahres 1846 gegen die Deutschkatholiken in Wirksamkeit gesetzt. Diese Verordnung erklärte bekanntlich die Deutschkatholiken als zur
Kategorie der verbotenen Gesellschaften gehörig, und versagte jedem den Eintritt über die Gränzen Oesterreich's.
Das starke österreichische Ministerium fordert von dem schwachen Sachsen die Auslieferung der nach den Oktobertagen aus Wien nach Dresden und Leipzig geflüchteten Schriftsteller.
Baron Kulmer, der Minister für Kroatien, äußerte sich, daß er die Slowanska Lipa in Agram nicht dulden werde.
[(C. Bl. a. B.)]
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@facs | 1082 |
Triest, 7. Januar.
Im Frühjahre soll der Bau einer Insel vor dem Hafen zwischen dem Leuchtthurm und dem Lazareth beginnen, auf welcher ein zwei Stock hohes Befestigungswerk mit 20 Kanonen aufgeführt werden wird. Es
ist dies ein alter Plan des Feldzeugmeisters Grafen Nugent, dem wir auch die Befestigung des Hafens von Pola zu verdanken haben, über welche in jener Zeit auch vielfach gelächelt wurde, deren
Zweckmäßigkeit sich aber im vergangenen Jahre so glänzend bewährt hat. Der Bau obenerwähnter Insel wird viel kosten, aber er wird Hafen und Stadt vor jedem Angriff, jeder Beschießung schützen.
Nebenbei wird sie freilich auch nicht ungeeignet sein, die Stadt in Respekt zu halten. — Vorgestern kam ein Schweizer-Offizier hier an, um die Ankunft von 4000 Schweizern anzuzeigen, die der
König von Neapel in Gold genommen und die hier nach Neapel eingeschifft werden sollen. — Heute Morgens ist ein neapolitanisches Kriegsdampfschiff in unseren Hafen eingelaufen, wahrscheinlich um
die Schweizer abzuholen.
[(C. Bl. a. B.)]
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@facs | 1082 |
Breslau, 15. Jan.
Von der „A. Od.-Ztg.“ wird folgendes interessante und lehrreiche Dokument, bestehend in einem Hirtenbriefe des Direktoriums der oberschlesischen Eisenbahn-Gesellschaft an seine
Beamten, der Oeffentlichkeit übergeben:
„Der Geist der Gesetzlichkeit und Ordnung, welcher unsere Verwaltung beleben muß, der Mechanismus unseres Dienstes und die Stellung unseres Eisenbahn-Unternehmens zum Gouvernement, als
höchst betheiligtem Aktionär und als aufsichtsführende und kontrollirende oberste Landespolizeibehörde, macht es unabweislich, daß unsere Beamten mit den Grundsätzen unserer
konstitutionell-monarchischen Staatsverfassung sich nie in Opposition befinden und sich daher unter keinen Umständen an Volksversammlungen oder andern Vereinbarungen durch Wort, Schrift und That
betheiligen, die den Umsturz des bestehenden Staatsorganismus herbeiführen könnten.
Sollte einem der Beamten aber eine derartige Opposition Gewissenssache sein, so gewärtigen wir, daß er unseren Dienst unverzüglich verläßt. Wir werden fortan mit aller Energie auf die Durchführung
dieser Grundsätze wachen lassen, und denjenigen Beamten, welcher denselben entgegenhandelt, aus unserer Administration entfernen.
Gleichzeitig machen wir Ihnen bekannt, daß wir den Dienst in der Bürgerwehr unverträglich mit dem Dienst unserer Beamten erachten, und Ihnen daher in Gemäßheit des §. 11 sub 4 des
Bürgerwehrgesetzes vom 17. Oktober 1848 den Eintritt, resp. das Verbleiben in der Bürgerwehr, untersagen.
Sollte diese Anordnung Ihnen zu erfüllen zu lästig werden, so erwarten wir ebenmäßig Ihre Kündigung unseres Dienstes.“
Das nämliche Blatt theilt noch Folgendes mit:
Der Volksvertreter Eduard Reichenbach hat vor ein paar Tagen in Reichenstein einen seltsamen Zwischenfall erlebt. Reaktionäre, die dort seine Ankunft auf der Durchreise erfuhren, hatten mit Geld
und guten Worten einen Volksauflauf bewerkstelligt, um unseren Reichenbach aus der Stadt zu bringen. Die Sache fiel aber schief aus, Reichenbach trat furchtlos unter die Menge, klärte sie über sein
Wirken und die Absichten ihrer Verführer auf, diese wurden entlarvt und der schmählichen Bestechung mit 5 Sgr. für den Mann überführt, mußten schimpflich das Feld räumen und Reichenbach trug, wie
immer das offene Wort, den Sieg davon.
Um die Stadt Friedeberg werden an 5000 Mann Truppen zusammengezogen, weil — nun weil ein Bauer, dem einer der Soldaten die Geliebte abspenstig gemacht, den Soldaten durchprügeln ließ und bei
der Gelegenheit auch eine Patrouille etwas abbekam!
Der Landrath des Kreutzburger Kreises hat für die Dauer des dortigen Belagerungszustandes das hier erscheinende Blatt, der „Putsch“ betitelt, verboten. Wrangel's Lorbeeren
ließen den guten Mann (einen Grafen von Monts) nicht schlafen. Am „Putsch“ hat er sich die ersten gewonnen und die Ruhe ist wieder bei ihm eingekehrt.
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@facs | 1082 |
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086
] Aus Netzcroatien.
Das sind also die Heldenthaten des wohldisziplinirten
treuen Heeres des Potsdamer Königs, daß es Wehrlose in die Scheunen trieb und diese dann anzündete, daß es den Bräutigam an der Seite
seiner geliebten Braut und im Beisein der jammernden Mutter niederschoß, daß es wehrlose Polinnen, die die Nationalhymne sangen, mit Ruthen peitschte. Und dafür den schönen Neujahrswunsch,
dafür
die Orden?! Also Orden werden jetzt schon gegeben, wenn ein Bruder den andern erschlägt, denn war der Aufstand in Polen etwas anderes, als ein Bürgerkrieg? Wo sind die goldenen Versprechungen?
Ich bedarf des Heeres, nicht des Volkes jetzt; daher auch nur
mein
[1083]
Glückwunsch zum neuen Jahr an jenes. Wer aber seine Macht auf Bajonette stützt,
fällt bald! denn das Volk lebt länger als ein König und des Volkes Rechte bedürfen nicht der Gottes Gnaden und
keine Macht der Erde darf sie ungestraft verkümmern.
Wie jämmerlich hier der Preußenverein (alias „Patriotischer Verein) agirt, wie er die demokratischen Wahlen hintertreiben will, ist wirklich lächerlich. Der General-Lieutenant v. W. läßt
sich herab, den Lehrer J. zu denunziren, weil derselbe seinen Schülern auf inständiges Bitten die Geschichte des Volksmärtyrers Robert Blum erzählte. General-Lieutenant v. Wedell dringt auf
Untersuchung gegen den Referendarius Szobbeon, weil er wahre Worte über den König gesagt.
Die hier stationirten höchst reaktionären Offiziere wollen eine Petition einreichen des Inhalts, die „Neue Rheinische Zeitung soll in Belagerungszustand versetzt werden!“ O gerum,
gerum gerum!
Alles jauchzt dem Februar entgegen, wo endlich das Volk über die Fürsten zur Tagesordnung übergehen wird. Während der Kammersitzungen, wird hier erzählt, soll die Presse ganz und gar verboten
werden.
So eben erfahre ich, daß der Referendarius S. seines Amtes ex officio suspendirt ist.
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@facs | 1083 |
[
!!!
] Frankfurt, 16. Januar.
National-Versammlung. Fortsetzung der Kaiserdebatte.
H. Simon von Breslau frägt den Minister Gagern, ob das (soi-disant) Reichsministerium Kenntniß hat von der Wahl des Kreises Neuß im Rheinland, welche auf den im Zuchthaus sitzenden Temme
gefallen, und was unter den obwaltenden Umständen das Ministerium in dieser Sache thun wird?
Der „Edle“ von Gagern meint: Das Ministerium hat noch keine Kenntniß (wenn hätte es je Kenntniß) und was es thun wird, darüber wird es Donnerstag antworten.
(Die alten Schmerlingschen Witze. Wird der Kreis Neuß nichts thun?)
Der Handelsminister beantwortet einige Interpellationen und einige unbedeutende Berichte werden angezeigt.
Der Finanzminister v. Beckerath giebt Rechenschaft über die deutschen Regierungen, welche ihre Matrikularbeiträge zur Gründung der deutschen Flotte gezahlt haben. Oesterreich hat
nichts gezahlt. Mecklenburg, Luxenburg und Limburg sind noch im Rückstande. Kurhessen will eine Gegenrechnung machen wegen Reichstruppen. Mit Sachsen wird noch geschachert. Die Uebrigen haben
merkwürdiger Weise gezahlt.
Zur Tagesordnung.
Die Linke hat einen Antrag eingegeben:
„Das deutsche Reichsoberhaupt darf nicht zugleich Regent eines deutschen Einzelstaates sein.“
In der Reihe der Redner kommt
Phillips (ein unbekannter Ultramontaner aus Baiern) beginnt mit einer Lobrede auf Görres. Dieser große Mann (Gelächter) sei nie für ein erbliches Kaiserthum gewesen. (Gelächter). Folgt
ähnlicher Blödsinn. Sein spezielles Vaterland (Baiern) würde sich sehr unwohl bei einem preußischen Kaiserthum befinden. (Die andern werden sich sehr wohl befinden!) Herr Phillips ist endlich für ein
Direktorium (wobei Baiern zwei Stimmen hat).
Professor Stahl aus Erlangen ist fürs erbliche Kaiserthum. In der langen Rede dieses Herrn erfahren wir u. a. auch, daß baierisches Blut in seinen Adern fließt. (Wie mag das wohl aussehen,
baierisches Blut?)
(Zum Schluß Beifall des ganzen Centrums und der Rechten. Die Herren werden schon ihren Erbkaiser propariren!)
Venedey: Stahl hat gesagt, zu einem gesegneten Handel sei eine monarchische Staatsverfassung unumgänglich nöthig. Deutschland habe 1000 Jahre Monarchien und doch einen schlechten Handel.
Amerika dagegen guten Handel und keine Monarchie. (Das begreift ein dummer Junge, aber die Herrn von Frankfurt wollen es anders begreifen.) Wenn man nun schon einen Kaiser wählen wolle, solle man
wenigstens kein gekröntes Haupt dazu wählen. Ein königlich preußisches Kaiserthum würde den Bürgerkrieg bringen.
Bassermann (endlich!): Das Direktorium erklärt er von vornherein für verderblich. Vor dem Gedanken, daß jeder Deutsche wählbar sei, erschrickt Hr. Bassermann nicht wenig. (Er erschrickt aber
nicht mehr wie wir, man könnte ja Brutus-Bassermann, den Bravsten der Braven wählen!) Lamartine, Cavaignac etc. seien das beste Zeichen, daß die Sympathien des Volkes für seine Gewählten nicht lange
dauern. (Brutus hätte bei sich stehen bleiben können.) Auch gegen einen sogenannten Turnus spricht sich Hr. Bassermann aus. Was bleibt nun noch übrig? Der erbliche Kaiser! Bassermann spricht's
und damit basta! Bassermann giebt die Möglichkeit zu, daß dies Haus (das s. g. Parlament) in der Oberhauptsfrage zu gar keinem Resultate kommt, aber, sagt er, es wäre mir gewissermaßen recht lieb,
wenn es so käme, denn dann weiß ich, daß es in Deutschland Männer giebt (die 34) welche sagen werden, da ihr (Herren von Frankfurt) nicht die Spitze der Verfassung zusammenbringt, so werden wir euch
eine machen. (Gut!) Dies sage ich schon im Voraus, sagt Bassermann, damit das deutsche Volk nicht verzweifelt (Haha, haha, haha!), wenn wir zu keinem Beschlusse kommen. Zuletzt meint er u. a, die
preußische National-Versammlung sei mit dem höchsten Recht auseinandergetrieben worden, und dieser (der Frankfurter Versammlung) wäre es längst eben so gegangen, wenn nicht die Majorität sich so
konsequent und würdig benommen hätte. (Nur die Gallerien lachen. Die Centren bringen sich ein Bravo.) Unter andern Allotrien erzählt auch Brutus, das die O.-P.-A-Ztg. 2000 Abonnenten mehr und die
Reichstagszeitung 400 weniger hat seit dem 1. Jan. (Der große Mann kann die Buchhändlererinnerungen nicht los werden.)
Zum Schluß seiner Rede bricht die Linken in höhnisches langes Bravo aus).
Venedey erhält das Wort zu einer Zwischenbemerkung. Er erklärt, es sei kein Wunder, daß die O.-P.-A.-Ztg. mehr Abonnenten habe, denn sie müßte als offizielles Organ gelesen werden. Daß aber
die Stimmung für demokratische Blätter sich keineswegs gemindert habe, das zeige sich bei der Neuen Rheinischen Zeitung in Köln, die von 800 auf 3000 Abonnenten gestiegen sei.
(Lautes Bravo von den Gallerien).
Reichensperger spricht für ein Direktorium (ich gehe frühstücken) und gegen einen erblichen Kaiser.
Hierauf spricht Ostendorf für den Erbkaiser.
Von Schluß der Debatte ist heute (vielleicht morgen) noch keine Rede.
Morgen Fortsetzung.
Französische Republik.
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@facs | 1083 |
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17
] Parie, 15. Jan.
Antonio Watripon, ein junger geistreicher Schriftsteller, uns persönlich befreundet, hat so eben eine Geschichte der Hochschulen vom 12. Jahrhundert bis zum Jahre 18[unleserlicher Text]9 in französischer Sprache
publicirt, von der die „Reform“ und „Revolution“ mehrmals schon sehr gelungene Stücke mittheilten. Die pariser und montpelleser Universität im Mittelalter, die deutschen
Universitäten unter Napoleon's Joch und unter dem wohl noch härtern, weil perfidern, der Restaurationskongresse, die Karbonaria u. s. w. werden darin noch Quellenstudien abgehandelt. Die
Tendenz ist rein social-demokratisch, und das nächste Ziel eine möglichst innige, aktive Verbindung zwischen Deutschland's und Frankreichs Studenten jetzt hervorzurufen. Wir empfehlen dies von
allem Nationalitäts- und Patriotismusschwindel freie Werk dringend den deutschen Studirenden. — Die Freimaurer auch regen sich seit der Junikatastrophe energischer als seit fünfzig Jahren;
namentlich im „Großen Orient“ predigt man reinen Socialismus. So geht allmälig in der französischen Bourgeoisie selber ein organischer Zersetzungsprozeß vor. Daß die jetzige Formation
nicht lange bestehen könne, ist klar. „Männer des National“, (ruft ein Provincialblatt) „wie schlecht euch zu Muth sein muß! euer altes Ideal, euer Idol, Armand Carrel, wird nur
noch von den niederträchtigsten Reactionsjournalen citirt; Godefroy Cavaignac's großer Name ist entehrt; Armand Marrast — nun was es mit dem auf sich hat, seht ihr alle Tage. Und
doch war er einst ein wackrer Kämpe, ein Ideologe immerhin, ein Rhetoriker und Schulmeister, aber ein Mann am Platz viele Jahre lang: und heute ist das Rad der unerbittlichen Geschichtsentwicklung ihm
über die Füße gefahren und er liegt zerquetscht am Wege. Männer des National, wir verweisen euch auf die vor 14 Jahren erschienene Broschüre: Vingt jours de secret (Zwanzig Tage geheimer Haft, von A.
Marrast, Redakteur en chef der „Tribüne“). In dieser berühmten Vertheidigungsschrift, bei Gelegenheit des Aprilprozesses, wo Louis Philipp's pharisäischer Pairshof im Jahre 1834
so viele junge und alte Heldenherzen als Aufwiegler und Plünderer, Rebellen und Volksverführer vor seine unheiligen Schranken schleppte und in Riesenprozessen verdammte, hat Marrast Worte gesprochen,
die er im April 1848 gar nicht mehr von Barbes und Blanqui hören wollte. Abtrünniger Professor der Rhetorik, wo sind deine jungen schönen Tage hin, als du die unbezähmbaren Sturmartikel der Tribüne
schriebst mit Godefroy Cavaignac; der Tribüne, die über hundert Prozesse durchfocht; wo du spät nach Mitternacht aus der Oper im Ballanzug auf die Redaktion hinflogest und im Kreise der ascetischen
mürrischen Mitarbeiter die unbesiegbare Feder in den schlanken parfürmirten Fingern führtest, jeder Ruck ein treffender Stoß auf die Drachenhaut des Julikönigs und der Finanzbrut!“ Folgen viele
Citate aus der Brochüre, von welchen hier nur eins: „Die Polizei hat wieder provocirt, nach alter Art, aber diesmal übertraf sie sich selber. In Paris, Lyon, Chalons und Dijon glühte das Feuer
des republikanischen Aufstands unter der trügenden Rinde konstitutioneller Ruhe; durch halb Frankreich erstreckte er seine Verzweigungen, und die Polizei war darin, halb Paris und Lyon haben in sich
ein gewaltiges Proletariat, und was ist natürlicher, als daß es sich durch Associationen gegen Arbeitsmangel, gegen den Druck gemeinsamer Leiden sichern will? In Lyon steht die Sache des Proletariers
wo möglich noch schlimmer als in der Hauptstadt; in Lyon schaffen 30,000 Arbeiter mit kompaktem, gemeinschaftlichem Interesse: aber ach! wie leicht fehlen dem Einzelnen dort die elenden 15 Sous, deren
er täglich für sich, Weib und Kinder benöthigt ist. Seine Entbehrungen erzeugen Krankheiten, der Hunger tödtet die Einen, die Ueberarbeit die Andern; die Kinder erben das Leiden des Vaters; die Race
wird immer schwächlicher, die Töchter müssen die Jugend in Prostitution, das Alter, falls sie es erreichen, in Hospitälern zubringen. Und zu all diesem Kreuz und Jammer kommt die Konkurrenz, die
Rohstoffe vertheuern, der Tagelohn trägt die Last. Aus den 15 Sous werden 12, werden 10. Die Fabrikherren verstehen sich. Die Arbeiter dürfen sich nicht verstehen. Jene sagen — ich citire zwar
nicht des Herrn Thiers Worte, aber gewiß den Inhalt einer seiner Kammerreden und den Sinn einer Menge Aufsätze des Courrier de Lyon: Jene sagen, laßt uns nur warten … Der Arbeiter ist geldlos,
hat nur Arme und Verstand, braucht uns folglich; wir hinderten ihn am Ersparen, folglich wird er uns bald wieder in's Haus laufen ‥‥ Und wenn diese Arbeiter sich koalisiren, d. h.
wechselweise helfen, um gemeinsam denjenigen zu widerstehen, die auf ihre Verzweiflung spekulirten: dann schlägt sie das Gesetz, das Herr Persil durchbrachte … Zählt nur das Elend, wenn
ihr's wagt, welches die Bourgeoisie seit König Philipp dem Dicken bis heute um sich erzeugte. Sie verschuldete das Unglück der Reaktion nach Robespierre's Fall, und nicht das Volk. Sie
hatte das Komité des öffentlichen Wohls eine Zeit lang unterstützt … dann grüßte sie den Ersten Konsul … dann den Kaiser … verrieth ihn … räucherte den Bourbonen und
heulte ein Lebehoch dem Engländer und dem Russen! Sie fand ihren Profit und Schacher bei der Invasion … sie nahm im südlichen Frankreich Theil an den scheuslichen Prevotal- oder
Kriegsgerichtshöfen, die so viel Menschenglück und Blut der Rache der restaurirten Bourbonen opferten. Später fand sie ihre egoistische Rechnung nicht mehr, appellirte an's Volk, jagte Charles
X fort, und raffte den Proletariern alles aus der Hand, sich selbst aber setzte sie stolz an die Stelle der verjagten Privilegirten, und verbot, daß über 150,000 Wähler im Lande bestehen sollten.
… Sie regiert … aber sie zittert vor der untern Volksklasse und in dieser Furcht wird sie vom Julisystem exploitirt; sie votirt seit 4 Jahren für es und doch hat es schon alle mögliche
Schande nicht bloß, sondern auch Betrügerei gegen sie sich zu Schulden kommen lassen. Diese unsere Bourgeoisie wird geradewegs vom Julisystem an der Nase herumgeführt. … Welch scheuslicher
Gerichtshof, diese Pairskammer! Es ist als hätte der Strom der Zeit am Palast Luxembourg vorbeigeflutet und dort allen Schmutz und Schaum seiner Wasser abgelagert als Pairs de France … aber
Geduld.“
„Unser Jahrhundert ist noch jung, und hat schon ein Konsulat, ein Kaiserthum, eine Restauration in Trümmern geschlagen; bald wird es auch mit der Bourgeoismonarchie fertig werden, trotz
ihrer dynastischen Gelüste; sie sitzt hoch und stolz auf dem Throne an dessen Fuß die Flut andonnert, und dieser Thron steht über Ruinen … Nichts ist sicher was auf Ruinen und Staub gebaut ist.
Und noch schlimmer wenn dieser Staub aus dem Asphalt besteht den die Juliussonne schmelzen und entzünden kann; das darüber gewölbte Gebäude wird dann nicht lange unversehrt bleiben ‥‥
Die Orleans haben stets nach der Krone gefischt seit Louis XIV.; ihnen fehlte die Keckheit ihres Stammherrn Hugo, mit der hätten sie viermal wenigstens seit 2 Jahrhunderten auf den Thron steigen
können. Erst als das Volk diese Krone auf die Erde geworfen, fand sich der Sohn des Egalité ein und bückte sich und hob sie sachte auf. Dieser Egalitätssohn hat acht Kinder … Teufel, welche
blühende Rasse! Platz gemacht für die Dynastie des Egalité ‥‥ Aber die Zeit wird wieder kommen wo das Volk nochmals den Hammer der Revolution zur Hand nimmt; es kann nicht anders, denn
die von Angst vor ihm bethörte Bourgeoisie hat fast Alles der Krone geopfert; die Bourgeoisie wird bald dem Proletarier die Hand reichen; dann werden die materiellen Interessen als Bindemittel und
Tragepfeiler den Ideen dienen, und die Nation wird wieder revolutionär drein schmettern und allen Nationen Europa's das erste Beispiel einer starken, freien Regierung geben, die vom Willen
Aller ausgeht und vor jedem gewaltsamen Stoß gesichert ist durch eine periodische, regelmäßige Bewegung. Möge unsre Bourgeoisie nicht allzu spät einsehen, daß dies Ende nothwendig allen unsern Kämpfen
bevorstehe! Möge unsere Bourgeoisie nicht noch beitragen zur Vermehrung der Wuth, und folglich der Volksjustiz! … Was ist die Bourgeoisie? nicht das Gehirn, nicht die Nerven, nicht das Herz;
sie ist die passive Muskulatur des Socialkörpers, die aber die vollste, substanziellste Zufuhr bekommt. Die Bourgeoisie ist nie direkt revolutionär, sie profitirt beim Fortschritte der Völker, sie
bewirkt ihn aber nicht. Sie unterstützt jeden Sieger, nur darf er nicht brutal gegen sie sein und ihre friedliche Existenz stören. Das Stichwort dieser Bourgeoisie ist nicht die Ordnung — sie
verstehen sie nicht — sondern die Ruhe.“
„Und Juvenal's Wort auf das verderbte römische Volk ist auf sie anwendbar, denn sie will Ruhe mit gewissen Freiheiten, die ihr behaglich sind, die sie aber nicht errungen hat mit
gewissen Schauspielen, Bällen, kurz mit einer gewissen Summe intellektueller wie materieller Vergnügungen … sie speist gern die Früchte der Bildung, aber sie kämpft gegen den künstlerischen
Schöpfungsgedanken, d. h. gegen die Arbeit und die Arbeitenden, durch die eben jene Bildungswelt entsteht … Kunst und Arbeit, das sind die Grundelemente der Republik, unter die Herrschaft
dieser zwei Mächte wird einst Alles, Alles ohne Ausnahme gerathen. — Jawohl die Kunst, dieser generische Ausdruck der Intelligenz, die die Gesetze des Weltsystems nicht weniger als die des
Menschengeschlechts entdeckt, die Kunst, dieser Urschatz aller Genie's und aller Glorie der Nationen; ‥‥ aus ihr wird eine Politik entstehen, die wahre republikanische, ohne die
es der Erziehung unmöglich bliebe nach wie vor, die Sitten zu bessern, Brüderlichkeit, Gleichheitsliebe im menschlichen Herzen zu erwecken; nicht von spartanischer Gleichheit rede ich, das wäre ein
lächerlicher Rücktritt in graue Vorzeit; ich meine die andere Gleichheit, welche nichts als die heiligste, religiöseste Verwirklichung der Gerechtigkeit, und jeglichem Sterblichen die volle Entfaltung
aller seiner Fähigkeiten sichert; insonderheit aber Belohnungen nur der nutzbarsten Arbeit, den aufopferndsten Diensten aufzusparen weiß. Warum, nach der Bekränzung so viel elender und gedungener
Eitelkeiten, sollte nicht endlich auch die Epoche des ernsten, gediegnen Verdienstes kommen? Nach so vielen, von Verderbniß zernagten Aristokratieen, warum sollte nicht die Aristokratie der Tugend
endlich einmal geachtet werden? Warum sollte die Menschheit nicht den Codex der Hingebung (dévoûment) schreiben, nachdem sie den des Egoismus und der Unmoralität geschrieben? … Das sind
Utopieen, flatterndes Hirngespinnst, ruft man uns entgegen. Ja, Hirngespinnst in den Augen derer, die mit wenig Vernunft begabt sind, und denen der kühne Sinne mangelt, Hand zum Verwirklichen
anzulegen. Für uns Republikaner jedoch sind obige Betrachtungen mehr als Traum, sind der Kern unsrer Seele. Was schadet's im Grunde, wenn auch die ganze jetzige Generation darüber
geopfert wird? … uns winkt ein hohes Ziel und edles Beispiel.“
„Das Revolutionswerk verlangt nicht Männer von halbem,
[1084]
sondern von ganzem Muth. Jedesmal wenn ich nachdenke über unsere Situation, bemerke ich in der Ferne, in vollster geschichtlicher Majestät und unvergänglicher Glorie, die seelengroßen, beherzten
Männer, welche uns vorauswandelten auf dieser Bahn, und die unter ihre Leichname tief in den Boden hinein die Prinzipien der Revolution zu schlagen verstanden, so fest und gewaltiglich, daß sie
immerdar aufrecht ragen und selbst Zweige und Blüthen über ganz Europa treiben trotz eines dreißigjährigen über sie hingebrausten Reaktions-Orkans. Uns, ja uns gehört die Jugend und die Kraft, uns
folgt der schaffende Künstler, das arbeitende Volk, das Genie und das Wissen, ihnen allen enthüllt sich prophetisch die unvermeidlich heraufziehende Weltherrschaft der Demokratie! Muth! die bösen
Stunden werden entfliehen, unsere Verfolger sind Greise, der Wahre nah, und die Zeit ist für sie noch härter als für uns; uns peinigt sie, läßt uns aber leben; sie aber erschöpft und tödtet
sie.“ — „Es ist gut (sagt Peuple souverain) den Leuten von Zeit zu Zeit zu zeigen, was ein Renegat ist. Wir halten diesen Marrast, Schreiber obiger Zeilen, und 14 Jahre später
reaktionäres Mitglied im Provisorium, für einen der straffälligsten Menschen, die unsre Nation seit Chlodowig hervorgebracht hat. Wollte er nicht mehr Politik treiben, nun so konnte er in Ehren nach
Amerika oder sonst wohin pilgern; wir können es uns vorstellen, daß manche Persönlichkeiten sich abnutzen durch Vorkämpfe, und sich matt fühlen, wenn der Kampf losbricht. Aber daß der Ermattete den
Verräther spielt, muß er sühnen. Und da gibt es unter uns Revolutionären nur
eine Sühne; Marrast kennt sie. Bevor aber die Stunde des Gerichts über die Volks-Renegaten schlägt, möge Frankreich
sich das Sündenregister jedes Einzelnen ins Gedächtniß rufen. Wir z. B. werden fortan in dieser Weise die Schriftstücke derselben nach der Reihe dem Publikum in Revue vorbeiführen.“
Abermals kommen der Democratie pacifique Beiträge für Blum zu: z. B. „französische Patrioten von den Hyerischen Inseln“ 15 Fr. und „ein Zirkel Demokraten am atlantischen
Ocean“ in Rochefort 15 Fr. Eine große Menge polnischer Namen steht auf der 9. Liste. Blum hieß bei ihnen nur „der Freund“ oder „der Advokat unsrer Nation;“ wie denn
fast auch alle Emissäre, die von Paris und London seit 1831 todtesmuthig nach Polen zogen, alle Broschüren und Proklamationen, alle Gelder und sonstige Sendungen durch Blum's gastliches Haus zu
gehen pflegten. Verbannte Polen durften dreist auf seinen Rath und Beistand rechnen. Diese Notiz habe ich aus dem Munde eines glaubwürdigen polnischen Demokraten.
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@type | jArticle |
@facs | 1084 |
[
12
] Paris, 16. Jan.
Nach Guizot Dupin; nach der Moral- und Staatsphilosophie die Rechtsphilosophie. Guizot spricht als Professor, Dupin als Generalprokurator. Guizot betitelt sein Buch: „Democratie en
France“, Dupin: „Commentarien zur Konstitution“. Dupin war immer bekannt durch seine bon mots; bald Konservateur, bald in der Opposition, überhäufte er beide Theile mit seinen
Sarkasmen, so lange die Frage eine politische war, so lange weder im Code civil noch im Code pénal irgend ein Artikel zur Beleuchtung der Legitimitätsfrage enthalten war, so lange der Code civil wie
der Code pénal ebenso gut mit den ältern wie mit den jüngern Bourbonen, ebenso gut mit der octroyirten Charte, wie mit der Charte von 1830 fortbestehen konnte, und dieses Fortbestehen der Codes sich
inkorporirte in der Unabsetzbarkeit des Richterstandes, ungeachtet des Wechsels in den politischen Regionen. Dupin, der für die Regence gestimmt, war es, welcher nach Proklamirung der Republik den
Anklageakt verfaßte gegen Guizot und Konsorten! Dupin hätte auf Ansuchen der provisorischen Regierung gegen seinen eigenen Bruder den Ankageakt abgefaßt, wenn es sich darum gehandelt, die ganze
Pairskammer nach der Februarrevolution in den Anklagestand zu versetzen. Die Herrschaft der einen oder der andern Partei war für Dupin ein Gegenstand des Zufalls, des Glücks, und er behandelte sie
alle scherzhaft, weil alle Parteien in seinen Augen rein politisch waren. Wenn er nun auch im Herzen „monarchisch“ gesinnt war, so hätte er sich doch mit dem „National“
sehr gut vertragen, wenn nicht neben dem „National“ die sozialistische Partei zum Vorschein trat. Hätte die Politik nicht in den Code civil hinübergestreift, wäre die Eigenthumsfrage
nicht in Anregung gekommen, so wäre Dupin vielleicht ein tüchtiger Republikaner geworden. Als aber der Code civil in Gefahr gerieth, als die politische Frage nach der Februarrevolution in eine soziale
umschlug, als es sich nicht mehr um diese oder um jene Königsbranche, sondern um diese oder jene Klasse handelte, als die Civilpositionen einer ganzen Klasse in Gefahr geriethen, da hörte der Scherz
auf; Dupin ward ernst. Seine Existenz stand auf dem Spiele: durch einen unbesonnenen Ausdruck, der ihm über die Nationalateliers entschlüpft, gingen die Arbeiter hin und ließen ungeheuere Plakate
drucken, und analysirten gleichsam seinen ganzen Lebenslauf, sein ganzes Einkommen, seine Civilposition. Seit der Zeit hat man nicht mehr ein bon mot aus dem Munde Dupin's gehört. Der älteste
der drei Grachen war stumm geworden. Jetzt, wo die Republik und die Revolution ihm gehörig eingeengt erscheinen durch die Konstitution, wo die Civilfrage erledigt ist durch die neue Verfassung,
bekommt Dupin neuen Muth, und spricht und scherzt über die Verfassung, ganz wie Guizot, dessen Moral selbst in England schwieg, so lange er in England das Toben der Windhose zu vernehmen glaubte.
Dupins „Commentarien über die Konstitution“ beginnen mit einer Einleitung. Die Einleitung beginnt mit Plato's imaginärer Republik. Plato hat ganz „mit Muße
gearbeitet“ und hat selbst für eine imaginäre Republik keine vollkommene Konstitution zu Wege gebracht. Solon hat ebenfalls mit Muße gearbeitet „und hat nur solche Gesetze zu Tage
gefördert, die, wenn nicht die besten, aber die bestmöglichsten für die damaligen demokratischen Athenienser waren.“ „Also, schließt Dupin, wenn man schon in voller Muße keine
vollkommene Konstitution fertig bringen kann, wie dann inmitten einer revolutionären Zeit?“ Gott allein hat nach Dupin's Ausspruch unveränderliche, ewig gute Gesetze diktiren können;
aber als Gott diese Gesetze gab, war es nicht im tobenden Sturme der revolutionären Zeit: es war oben in aller Seelenruhe, von dem Berge Sinai herab. Und welches sind diese Gesetze, was ist diese
Konstitution, die Dupin so sehr bewundert? „Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht tödten.“ Zweierlei tritt hier hervor; erstens der Jurist, der kein anderes Eigenthum kennt, als das,
welches gestohlen, kein größeres Verbrechen als das des Todschlages. Dupin unterscheidet sich hier von Guizot, daß die ganze Moral des letzteren bei Dupin in letzter Instanz juristisch ausgedruckt
also lautet: Du darfst keine langen Finger machen und keine Faust ballen. Die Konstitution ist am Ende in Dupin's Augen weiter nichts, als die Regulirung der verschiedenen Verhältnisse und
Beziehungen von Menschen, die gleich Anfangs sich gegenseitig verbindlich gemacht haben, unter der Beobachtung dieses göttlichen Verbotes zu leben. Unterstellt man dieses, dann ist es ein Leichtes,
eine Konstitution mit Muße auszuarbeiten. Der zweite Punkte also, worauf Dupin hindeuten will, ist der, daß, wenn die gegenwärtige Konstitution Mängel trägt, wenn sie der göttlichen Konstitution nicht
so nahe als möglich kommt, dieses seinen Grund darin habe, daß die Konstitution in einer revolutionären Zeit zusammengekommen sei, zu einer Zeit des Stehlens und Tödtens. Die Art und Weise des
Stehlens im Dupin'schen Sinne war zu allen Zeiten dieselbe. Was aber nicht immer dasselbe war, das ist die Art und Weise des ehrlichen Erwerbens. Der ehrliche Erwerb hängt mit der ehrlichen
Produktion zusammen. Hierin sind Dupin und Guizot, wie überhaupt alle Ideologen, im Irrthume, daß sie, wie sie nur eine Art des Stehlens, so auch nur eine Art des Erwerbens und Produzirens sehen: sie
sehen nur die Bourgeoisproduktion in ihrer einfachsten Form.
„Am 24. Februar, sagt Dupin, als die Deputirten die Regence mit Akklamation beschlossen hatten, drang ein anderes Auditorium in den Saal. Lamartine wandte sich an das neue Publikum, mit dem
Antrage, eine provisorische Regierung zu konstituiren, was auf der Stelle mit Jubel von den „Assistenten“ angenommen wurde.
Die Deputirten-Kammer ist die Kammer, welche die Gesetze für den ehrlichen Erwerb macht: sie ist also im Sinne Dupin's die einzige legale Gewalt. Mit der „Legitimität“
ist Dupin, der damals auch zu den Akklamirenden gehörte, bald fertig: er beseitigt Louis Philipp und setzt eine Regence ein. Was dem Herrn Dupin über die Legitimität geht, das ist die Legalität: und
diese hörte auf von dem Augenblicke, wo es im Saale keine Deputirten, sondern „Assistenten“ gab.
Wie die Legalität wieder gekommen, das werden wir in der Fortsetzung sehen.
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] Paris, 16. Jan.
Die Kammer hat sich rächen, sie hat zeigen wollen, daß sie etwas ist und sein kann, den Herrn Barrot und Napoleon gegenüber und sie hat in ihren Bureaux mit fast völliger Einstimmigkeit ihre
Erhaltung beschlossen. Aber wie hätte es auch anders sein können, wenn man an die trotzige Herausforderung denkt, welche Barrot ihr hingeworfen. Die Kammer hat ihre Selbsterhaltung beschlossen, nicht
des Landes, nicht der Interessen wegen, welche sie in ihrem Wahne wirklich und in der That nur scheinbar vertritt; sie hat ihre Selbsterhaltung dem Herrn Barrot, dem Herrn Napoleon zum Trotze
beschlossen. Kammer und Napoleon sind jetzt gegeneinander quitt. Wie Napoleon ihr vom Lande, dem Cavaignac zum Trotze aufgedrungen ward, so dringt sie sich jetzt als Person, als juristisch-legale
Person, dem Napoleon auf. Und Lamartine? Er ist allenthalben der Beschützer der Waisen und Wittwen; er hat für Napoleon, für Barrot und gegen das Fortbestehen der Kammer gesprochen. Konnte man etwas
anderes von dem enttäuschten Manne erwarten, als eine neue Selbsttäuschung; den Wahn, in bevorstehenden neuen Wahlen von Frankreich Anerkennung zu finden? Und hierzu liegt freilich ein Grund vor.
Dem Beispiele Guizot's und Dupin's folgend, hat Lamartine sich ebenfalls wieder auf die Literatur geworfen. Die Ideologen der Burgeoisie haben begonnen mit der Literatur; sie sind
durch die Literatur hindurch zur Staatsgewalt gedrungen, und jetzt wo sie durch die Verhältnisse aus der Staatsgewalt herausgetrieben, wieder zur Staatsgewalt sich hinaufarbeiten wollen, enden sie wie
sie angefangen: mit der Literatur.
Unter Louis Philipp und, als seine Regierungszeit sich zu Ende nahte, kam es häufig vor, daß man Domänen, Güter, Grundbesitz mit der Empfehlung zum Verkaufe anpries, daß der künftige Besitzer
derselben mit dem Gute die Gewißheit erkaufte, Deputirter zu werden. Nun weiß man, daß, so lange der Wahlcensus existirte, ein Deputirter, der einigermaßen die Neigung zeigte, sich zur konservativen
Partei zu schlagen, die sichere Aussicht hatte, für diese Bekehrung Präfekt, Receveur oder irgend eine andere Staatsmacht zu erlangen. Nachdem also anfangs die bürgerliche Ideologie zur bürgerlichen
Macht und die bürgerliche Macht wieder zum bürgerlichen Besitze führte, ging man in der letzten Zeit gerade vom bürgerlichen Besitz aus, um wieder zur bürgerlichen Macht, zu bürgerlichen Ehrenposten
und mit ihnen wieder zu neuem Besitz zu gelangen.
Man nannte diese Preiode die Periode der Corruption. Im Grunde war es weiter nichts als der Ausdruck der bürgerlichen Interessen, die in der Kammer durch die hohe Bourgeoisie vertreten wurden. Die
Revolution kam, und mit ihr kamen die Proletarierinteressen zum Durchbruch. Lamartine wie Guizot gehörte unter Louis Philipp der Kategorie der Ideologen an, die mit der Literatur, mit der Ideologie
begannen.
Lamartine machte poetisch den ganzen Regierungswechsel, die Legitimität und Quasi-Legitimität mit, welche Guizot praktisch, literarisch und politisch begründete. Er gab seinen Schwankungen eine
politische Farbe, und stand nach dem Ausbruch der Februarrevolution als harmloser, unbewußter Jesuit da. In einem einzigen Monate, vom Beginne des 24. Februar an, arbeitete sich Lamartine auf die Höhe
der Bildungsstufe heran, wozu Guizot Jahre gebraucht hatte: in einem Monat war Lamartine ein bewußter Jesuit mit poetischem Anstriche geworden. Aber auch wenige Monate hatten hingereicht, um ihn in
seine anfängliche Karrière zurückzuwerfen. Er wird abermals Literat, aber nicht doktrinär, wie Guizot, sondern lyrisch; mit Wehmuth auf die Vergangenheit hinblickend, und zugleich sich selbst
rechtfertigend durch „seine vertraulichen Mittheilungen.“ Die „schöne Seele“ Lamartine's wendet sich an schöne Seelen, welche ihn verstehen und würdigen können. Dazu
sind die Juni-Insurgenten und die Sozialisten nicht geeignet. Sein Buch trägt den Titel:
Confidences. Wir behalten uns vor, darauf zurückzukommen.
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Paris, 16. Jan.
Moniteur und Constitutionnel beobachten auch heute ein sehr geheimnißvolles Stillschweigen hinsichtlich der Rüstungen in Toulon. Das offizielle Blatt erklärt nur, daß General Pelet nicht mit
diplomatischen Aufträgen nach Turin geschickt sei, sondern dem Könige Karl Albert den Dank des Präsidenten Bonaparte für die ausgesprochenen Glückwünsche darbringen solle. „Bei Gelegenheit der
Wahl Louis Napoleon Bonapartes zum Präsidenten der Republik, (sagt der Moniteur) sandte S. M. der König von Sardinien einen Spezialagenten nach Paris, um den Präsidenten zu beglückwünschen. Die
Absendung einer Person an Karl Albert, um diese Glückwünsche zu erwiedern, ist also nur ein Akt der, den internationalen Traditionen angemessenen Höflichkeit (courtoisie).
— Die Ministerialkrisis ist bis zum nächsten Sonnabend vorüber An diesem Tage dürfte der Vorschlag von Kandidaten für die Wahl eines Vicepräsidenten eine Ministeränderung herbeiführen.
— Zu Toulon dauerte am 11. Januar die größte Thätigkeit in Hafen und Rhede fort; doch erwartete man noch nähere Befehle aus Paris, die aber wahrscheinlich noch lange ausbleiben dürften; denn
das französ. Cabinet wird sich in der italienischen Angelegenheit zum dritten Male blamiren, sobald sich die Nationalversammlung, wie es allen Anschein hat, des Gegenstands bemächtigt und die Minister
zur Rede stellt, wozu National bereits auffordert.
— Aus Rom fehlt die Post vom 7. Jan. „Il Nationale“ vom 9. (ein Florenzer Blatt) will von einem Volkssturm zu Rom im reaktionären Sinne gehört haben, den die Bürgerwehr
mit Waffengewalt unterdrückt habe.
— Es liegt außer allem Zweifel, daß an den Vice-Admiral Baudin neue Verhaltungsbefehle abgegangen sind.
— Guizot ist gestern in Paris (Passage Panoramas) gesehen worden.
— Das Ministerium beabsichtigt der Nationalversammlung einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher eine Gehaltszulage von 480,000 Fr. für den Präsidenten Bonaparte verlangt.
— Der Seine-Departementsrath hat in seiner letzten Sitzung eine Billardsteuer beschlossen, um sein Budget zu vergrößern
— Zwischen den Bäckergesellen und ihren Meistern soll es nach verschiedenen Straßenschlachten zum Verständniß gekommen sein. Die Minister des Innern und des Kriegs hatten den Bäckermeistern
mehrere Tausende von militärischen und sonstigen Bäckergesellen, außer der Truppenhilfe, angeboten, um die Coalition zu erdrücken. Die Bäckergesellen werden nun zur tödtlichen Waffe (der Assoziation
unter sich zu kommerziellem Zweck) allgemein greifen. Auf diese Weise hoffen sie die Knechtschaft des Kapitals zu brechen. Die einzige bisherige Bäckergesellen-Assoziation, welche hier seit einigen
Wochen besteht, soll hierfür zum Muster dienen.
— Fräulein A. B. … und der Gefängnißwärter N. N. sind, als der Begünstigung der Lacambre-Barthelemy'schen Flucht verdächtig, gestern verhaftet worden. General Tisseul,
Oberkerkermeister, ist vor Wuth ganz außer sich.
— Die Reform erläßt einen Aufruf an die preußischen Wähler, nur erprobte Demokraten in die nächste Berliner Kammer zu schicken.
— Lichtenberger (Elsaß) ist zum Präsidenten und Peter Bonaparte zum Schreiber der berüchtigten Rateau-Kommission ernannt worden. Neuer Schlag für das Ministerium.
— Der wandernde Clubchef Bernard wollte gestern Abend unter Buvigniers Vorsitz im großen Valentinosaale eine Sitzung halten, in der Guizots hohle Broschüre gegen die Demokratie kritisirt
werden sollte. Allein das Ministerium gab Contrebefehl und der Saal blieb geschlossen. Eine Kompagnie sperrte den Eingang.
— Die Morgenblätter zittern an allen Gliedern wegen der gestrigen Enthüllungen des Moniteur über das Steuerjahr 1848; viele von ihnen sehen das Gespenst des Nationalbankerotts schon vor der
Thüre. Den Debats wird es offenbar ganz unheimlich, während der Constitutionnel nach einigen Seitenhieben gegen die provisorische Regierung die haute finance tröstet.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 16. Januar. Anfang 2 Uhr. Präsident Marrast läßt das Protokoll vorlesen, aber die Bänke sind noch leer, denn alle Deputirte befinden sich in den
Büreausälen, wo heftige Debatten wegen der Rateaukommission und der Commissariatswahlen für das Departements- und Gemeindewesen [unleserlicher Text](Organisches Gesetz) stattfinden. Gleich nach dem Protokoll wird über
die Wahlen am Senegal berichtet und der gewählte Durand zugelassen.
De Mareay giebt seine Demission.
An der Tagesordnung befindet sich zunächst ein Nachkredit von 2,700,000 Franken für die berüchtigten Nationalwerkstätten. Die Debatte soll beginnen.
Stimmen links: Aber wir sind noch nicht beschlußfähig
Marrast läßt die Urnen vertheilen, um die Zahl durch Zettelabstimmung zu ermitteln.
Marrast: Da Niemand über den Kredit das Wort verlangt so wird die Erste Deliberation (Neues System) als geschlossen betrachtet und zur Abstimmung gebracht, um in fünf Tagen wiederholt zu
werden.
Während dieser Zeit strömen die Deputirten aus den Büreau's und es ergiebt sich folgendes Resultat.
Es stimmen 636; davon für die 2te Deliberation 630 dagegen 6.
Die 2te Deliberation soll in fünf Tagen stattfinden.
Passy legt einen Beschluß des Präsidenten der Republik vor, der den Gesetzentwurf über die mobilen Einkünfte zurückzieht. (Beifall zur Rechten.)
Goudchaux (bitter) Ich benütze das Recht meiner parlamentarischen Initiative, um den Gesetzentwurf wieder aufzunehmen (Beifallssturm vom Berge.)
Lacrosse, Staatsbautenminister, überreicht mehrere Gesetzvorschläge, welche die Städte Troyes, Luneville, Vienne etc. etc. zur Uebersteuerung ermächtigen, um ihr Proletariat zu beschäftigen.
An der Tagesordnung steht demnächst die Einführung einer neuen Steuer auf Kauf- und Erwerbverhältnisse beim Eigenthumswechsel der Güter aus todter Hand.
Grellet bekämpft im Interesse religiöser Körperschaften den Entwurf und erklärt die Hoffnung des Finanzministers, durch ihn 3 1/2 Millionen Frk. sich zu verschaffen als illusorisch.
Grevy findet gerade das Gegentheil, es müsse Gleichheit herrschen. Die geistl. Güter wären bisher viel weniger herangezogen worden als die bürgerl. Grundstücke.
Nach längerer Debatte wird die 2te Berathung geschlossen. Die Versammlung geht zur beabsichtigten Revision des Artikel 1781 des Civilcodex über.
Artikel 1781 des Civilgesetzbuchs gesteht bekanntlich bei Zeugenverhören dem „Herrn“ mehr Glaubwürdigkeit als seinem „Diener,“ dem „Meister“ mehr fidem als
seinem „Arbeiter“ zu. Man faßte darum den löblichen Gedanken, diese schreiende Ungerechtigkeit zu ändern und eine gleiche gerichtliche Elle für beide einzuführen. Alle Welt glaubte, so
etwas könne auf keinen Widerspruch stoßen und würde ohne alle Diskussion durchgehen Fehlgeschossen!
De Brunel, ein Centrier, erhebt sich gegen den Antrag und sieht den Untergang aller Gesetzbücher „dieses schönsten Erbtheils des Kaisers Napoleon“ hereinbrechen, wenn die
National-Versammlung ihre zerstörende Hand daran lege. Sie habe schon den Handelscodex angegriffen und jetzt wolle sie sich auch am Civilgesetzbuch vergreifen (Gelächter zur Linken.)
Corbon, der sogenannte Proletarier, unterstützt den Antrag und findet es doch gar zu antidemokratisch, wenn das Gericht dem Patron mehr Glauben bei Zeugenverhören und sonstigen Streitigkeiten
schenken müsse als dem Gesellen etc.
Die Versammlung beschließt nach fünf Tagen zur zweiten Debatte zu schreiten.
Dann nimmt sie einen Antrag rücksichtlich der ehelichen Aufgebote vor dessen zweite Deliberation nach fünf Tagen ebenfalls beschlossen wird.
Marrast zeigt der Versammlung an, daß ihm von dem Prokurator der Republik zwei Anträge auf gerichtliche Verfolgung zweier Deputirten zugegangen sind.
Stimmen: Lesen Sie vor! Lesen Sie vor!
Marrast erklärt dies reglementswidrig. Aber die ungeduldige Versammlung beschließt, daß er ihr die Requisitorien sofort vorlesen müsse. Sie erfährt daß es die beiden Deputirten Bourbousson und
Reynaud Lagardette sind und eine Duellgeschichte betrifft.
Sie weist das Verlangen des Prokurators an die Büreau's zur begutachtung.
Die Sitzung wird schon um 5 1/2 Uhr geschlossen.