Deutschland.
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X
] Paderborn, 14. Januar.
Rintelen hat folgendes Schreiben an das Ober-Landes-Gericht zu Paderborn erlassen:
„Das Königliche Ober-Landes-Gericht zu Münster hat in dem abschriftlich beifolgenden Berichte vom 23. v. M. mir angezeigt, daß es mit der Einleitung der Criminal-Untersuchung wider den
Ober-Landes-Gerichts-Direktor Temme zugleich dessen Amtssuspension beschlossen habe und die Bestätigung jenes Beschlusses beantragt.“
„In dem abschriftlich angegebenen Rescripte vom 27. v. M. ist dem Ober-Landes-Gericht eröffnet, aus welchen Gründen der Justizminister eine solche Bestätigung für unzulässig erachtet
und es hat darauf das Ober-Landes-Gericht die beschlossene Amtssuspension ohne dieselbe zur Ausführung gebracht.“
„Hierüber beschwert sich der Ober-Landes-Gerichts-Direktor Temme in dem urschriftlich beigefügten Gesuch vom 3. d. M.“
„Das Collegium, als die dem Ober-Landes-Gericht zu Münster substituirte Behörde, hat auch über die Beschwerde des Temme zu entscheiden und der Justiz-Minister läßt darum dieselbe dem
Kollegium zur schleunigen Prüfung und Beschlußnahme hiermit zu gehen.“
Berlin, 9. Januar 1849.
An das Ober-Landes-Gericht zu Paderborn.
Der Justiz-Minister Rintelen.
Das Ober-Landes-Gericht zu Paderborn lehnt dagegen in folgendem Schreiben an Temme seine Competenz ab:
„Euer Hochwohlgeboren eröffnen wir auf die an den Kriminal-Senat unseres Kollegii gerichteten Eingaben vom 3. und 7. d. M., daß wir uns nicht für berechtigt erachtet haben, die vom Herrn
Justiz-Minister durch das Reskript vom 31. v. Mts. uns aufgetragene Leitung der vom Kriminal-Senate des Ober-Landes-Gerichts zu Münster wider Sie beschlossenen Kriminal-Untersuchung, sowie die
künftige Entscheidung dieser Sache in I. und II. Instanz zu übernehmen, indem wir der Ansicht sind, daß nach §. 5 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit vom 24. Septbr. v. J., womit auch
der Art. 7 in Verbindung mit Art. 88 der Verfassungs-Urkunde vom 5: Dezbr. v. J. übereinstimmt, dem Justiz-Ministerium nicht mehr die Befugniß zusteht, in Strafsachen im Falle der Perhorrescenz des
zuständigen Obergerichts einen andern Gerichtshof, dessen Kompetenz nicht schon durch die Gesetze begründet wird, mit der Führung der Untersuchung zu beauftragen. Demzufolge haben wir dem Herrn
Justiz-Minister, unter Vorlegung sämmtlicher inzwischen an uns abgegebenen Untersuchungs-Verhandlungen anheim gestellt, den Staatsanwalt am Königlichen Kammergerichte zu Berlin zu veranlassen, in foro
delicti commissi die erforderlichen Anträge wegen Erledigung der Sache anzubringen.“
Paderborn, am 9. Januar 1849. Lange.
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068
] Geilenkirchen, 13. Jan.
Den Stuhl der Inquisition, worauf, nach der letzten Nummer Ihrer Zeitung vom vorigen Jahre, die Verwaltungsbehörde saß, hat nun die Justiz eingenommen. Wir haben einige Tage einen
Landgerichtsassessor von Aachen hier beherbergt, welcher eine Menge von Zeugen in der Steuerverweigerungs-Angelegenheit vernommen hat. Nach der getroffenen Auswahl der Zeugen und nach mehreren anderen
Umständen zu schließen, ist es sehr wahrscheinlich, daß der Maschinist und Dekorateur bei diesem neuen Lustspiele abermals der hiesige Citoyen-Patrizius, Herr v. Fisenne, ist. Nach den Berichten
einiger vernommenen Zeugen scheint diese Untersuchung jedoch nicht gegen den hiesigen Bürgerverein zu gehen, sondern nur gegen ein Mitglied desselben, den hiesigen Richter, welchen schon früher ein
polizistisch-blauwunderlich-patrizisches Triumvirat mit allen Minen zu sprengen versuchte. Dieser, sowie der Vorsitzende des Bürgervereins, hat in der fraglichen Sitzung Alles gethan, um die
aufgeregten Gemüther zu beschwichtigen; aber, was thut das? daß ein richterlicher Beamter überhaupt eine politische Meinung haben soll und dieselbe ausspricht, das ist ein Verbrechen, vor welchem ein
schwarz-gelbes Kohlen- und Lehm-Gewissen schaudert: wenn in unserer ganzen Gesetzgebung nur ein kleines Häkchen ist, das einen solchen Delinquenten packen kann, das muß als Harpune benutzt werden, So
wird man nun auch dem Verlauten nach, wenn es sonst nicht geht, dem hiesigen Richter auf dem Disziplinarwege beizukommen suchen. Nun ist in dieser Inquisition, daß Zeugen bei der Vernehmung außer dem
„Verwandt“ und „Verschwägert,“ auch noch gefragt wurden, „Sind Sie mit dem Richter befreundet?“ Wir wissen nicht, ob diese Formel von unserm Rettungsanker
Manteuffel-Rintelen vorgeschrieben ist; in der Gesetzsammlung hat wenigstens noch nichts davon gestanden. Es thut uns leid für Citoyen-Patrizius et Komp., daß sogar der als Zeuge vernommene hiesige
Steuer-Einnehmer, Herr von Eynatten, (Bruder des landräthlichen Kommissars) zu Protokoll erklärt hat, er habe von den Folgen der Steuerverweigerung nichts gespürt.
Citoyen-Patrizius erklärte mit vollen Backen, auf den Artikel von hier in Ihrem Blatte würde eine famose Entgegnung kommen; er reiste sogar nach Aachen zum Orakel des „Blauen
Wunders.“ Wahrscheinlich hat dessen Seife nicht mehr geschäumt, denn die famose Entgegnung ist ausgeblieben; dafür haben wir aber jetzt eine neue famose Inquisition. — Den weitern
Verlauf werden wir Ihnen seiner Zeit getreulich berichten.
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068
] Aus dem Bergischen, im Januar.
Das Städtchen Velbert bildet eine merkwürdige Erscheinung im bergischen Lande. Während dasselbe von allen Seiten nur von Heulern umgeben, ist es selbst echt demokratisch. Etliche Beamten, ein
Pastor und ein paar Geldsäcke, die nur Heil und Segen vom „unfehlbaren“ König von Gottes Gnaden erwarten, bilden eine Ausnahme. Der rechte Bürger- und Arbeiterstand bekennt sich zur
Demokratie. In den Wirthshäusern werden nur freisinnige Zeitungen gelesen und nimmt die Neue Rheinische Zeitung hier die erste Stelle ein. Die pietistische Mutter von Elberfeld und die charakterlose
Tante von Köln haben nur bei der Heulerpartei Quartier. Welche Mittel sich diese Partei bedient, um zum Zwecke zu gelangen, beweist folgende Thatsache: Als im November der Konflikt zwischen
Nationalversammlung und Krone ausbrach und der größte Theil der hiesigen Schlosserarbeiter die Adresse für die Nationalversammlung unterschrieb, wurden die Namen dieser Arbeiter den Kaufleuten von
Remscheid und Solingen mit dem Ersuchen mitgetheilt, „solchen Menschen keine Arbeit mehr zu geben!“
Es passirt noch Vieles hier, was wir uns vorbehalten, später an's Licht zu ziehen!
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103
] Berlin, 13. Jan.
Ich theile Ihnen nachstehendes, so eben in vertrauteren Kreisen bekannt gewordenes Schreiben Temme's an den Justizminister Rintelen mit:
„Ew. Excellenz
haben bereits am 31. v. M. mein Perhorrescenz-Gesuch gegen das hiesige Ober-Landes-Gericht für begründet erachtet und die Entscheidung über die von demselben gegen mich eingeleitete Untersuchung etc.
dem Ober-Landes-Gericht zu Paderborn überwiesen. Bis jetzt habe ich von diesem Collegium einen Bescheid noch nicht erhalten. Dagegen liest man schon seit dem 10. d. M. in öffentlichen Blättern, daß
dasselbe nicht sich, sondern einzig und allein das Königliche Kammergericht in Berlin für competent in dieser Sache erklärt habe. An der Richtigkeit dieser Nachricht kann ich nicht
zweifeln.“
„Das ungesetzliche Verfahren des hiesigen Ober-Landes-Gerichts hat die Sache allerdings von vorn herein in einen Weg bringen müssen, auf dem sie nur mit Schwierigkeit zu dem Rechte wird
zurückgeführt werden können. An sich kann mir dies in dem Bewußtsein stets nur meiner Pflicht gemäß gehandelt und in keiner Weise zu den gegen mich verübten Ungerechtigkeiten Veranlassung gegeben zu
haben, um so mehr gleichgültig sein, als diese Ungerechtigkeiten von der öffentlichen Meinung bereits laut und entschieden gerichtet sind. Eins aber ist klar. Habe ich auch schon lange genug das Opfer
eines schmählichen Unrechtes sein müssen, so darf ich nicht auch noch das Opfer eines Competenzconfliktes werden.“
„Schon seit mehr als 14 Tagen sitze ich hier im Zuchthause in einer Haft, in die mich die empörendste Willkühr hineingeworfen hat. Mit derselben Willkühr bin ich gegen Gesetz und
Recht von meinem Amte suspendirt worden. Meine Haft und Suspension dürfen unter dem entstandenen Konflikte der Behörden nicht länger fortdauern, wenn nicht der ohnehin schwer genug verletzten
preußischen Rechtspflege eine neue Schmach zugefügt werden soll. Ew. Excellenz sind das dem Rechte, Sie sind es mir und meiner mit mir tief leidenden Familie schuldig.“
„Ich trage demnach gehorsamst an,
daß Ew. Excellenz sofort meine Haft und die gegen mich verfügte Amtssuspension aufheben wollen.“
Münster, 12. Januar 1848. Temme.
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*
] Berlin, 12. Jan.
Die schönen Tage von Aranjuez kehren wieder! Gerade, weil die Reichspapageien von der Zweckdienlichkeit der Entlassung Brandenburg-Manteuffels geplappert hatten, wurde Brandenburg-Manteuffel
beibehalten, und gerade, weil die „Vereinbarer“ den gottbegnadeten Ordensschnickschnack für Unsinn und abgeschafft erklärten: wird er mit Ostentation, gesteigerter Pracht und
wohleinstudirter Volksverhöhnung auf's Beste restaurirt. Das Publikum mag sich aus folgender Bekanntmachung davon überzeugen. Dieser christlich-germanische Karnevalswitz kostet etwa 100,000
Rthlr. — eine wahre Bagatelle, wenn man die Entzückungen des Potsdamer Königthums, des besternten und gerothvögelten Adels und die patriarchalische Wollust der mit dem
„Hundezeichen“ Beehrten in Anschlag bringt. Können die Steuern des preußischen Volkes wohl zweckmäßiger verwandt werden? Ist es nicht des Volkes höchster Genuß, mit seinem Schweiß und
Blut der preußischen Adels- und Beamtenkaste nebst einigen Kommerzienräthen, Dorfschulzen und royalen Flurschützen alljährlich einen Januar-Kitzel zu bereiten? Wahrlich, die getreuen und geliebten
„Unterthanen“ müssen sich für einige lumpige hunderttausend Thaler schon durch nachstehende amusante Einladung hinreichend entschädigt finden. Sie lautet:
„Auf Befehl Sr. Maj. des Königs wird die Feier des Krönungs- und Ordensfestes am Donnerstag den 18. d. Mts. stattfinden. Der beschränkte Raum gestattet jedoch nur die Anwesenheit der Herren
Ritter und Inhaber Königlicher Orden und Ehrenzeichen, welche ausdrücklich zu dem Feste und zur Königlichen Tafel Einladungen erhalten werden.
Demzufolge fordern wir die in Berlin anwesenden Besitzer Königl. Orden und Ehrenzeichen, welche weder im aktiven Militärdienste noch im Staatsdienste stehen, hierdurch auf, am 13. d. M. in den
Stunden von 9 Uhr Vormittags bis 3 Uhr Nachmittags in unserem Buraeu, Friedrichstraße Nro. 139, ihren Namen, Charakter, die Orden und Ehrenzeichen, welche ihnen verliehen sind, und ihre Wohnungen,
persönlich oder schriftlich anzuzeigen, damit sie nach Maßgabe des verfügbaren Raumes zur Theilnahme an diesem Feste eingeladen werden können.
Berlin, den 10. Januar 1848.
Königl. General-Ordens-Kommission.“
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Magdeburg, 14. Januar.
Der „Magd. Ztg.“ wird von Berlin aus geschrieben: Unter den Gesprächsgegenständen in allen politischen Kreisen nimmt jetzt die österreichische Note den ersten Platz ein. Wir würden
auf dies viel beurtheilte Aktenstück nicht auch noch zurückkommen, wenn wir nicht der Ansicht wären, daß ein wesentlicher Grund, dem es seine Entstehung verdankt, bisher vergessen worden ist. Diese
Note ist augenscheinlich aus der Feder des Baron Werner hervorgegangen, eines Staatsmannes, der bereits unter dem Fürsten Metternich in der Staatskanzlei von Einfluß, damals als Hofrath für die
deutschen Angelegenheiten Referent war und jetzt dieselbe Stellung mit dem Titel eines Unterstaatssekretärs einnimmt. Herr v. Werner ist, nach dem übereinstimmenden Urtheile der Leute, welche die
innern Verhältnisse der österr. Verwaltung kennen, der talentvollste Arbeiter im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, der, obwohl Anhänger des alten unglücklichen Systems, von jeher für einen
Deutschgesinnten angesehen wurde. Natürlich kann dies Prädikat nur in sehr einseitiger Bedeutung ausgelegt werden, und findet seine Kraft nur in dem Widerstande, der von dem Baron Werner und andern
österreichischen Staatsmännern dem slawischen Einflusse, welcher seine Hauptstütze in der Mutter des jungen Kaisers hat, entgegengesetzt wird. Neben der Absicht also, die Hand in Deutschland im Spiele
zu behalten, ist jene österreichische Note von dem Wunsche insperirt worden, nicht ganz von Deutschland getrennt und dem Slaventhum überwiesen zu werden. Wir machen übrigens darauf aufmerksam, daß
Baron Werner seit langer Zeit mit dem Herrn von Radowitz liirt war, und mit demselben sehr delikate Verhältnisse zu arrangiren hatte, die auf die Thätigkeit dieses Ultramontanen ein eigenthümliches
Licht werfen. Noch im März 1848, als Herr v. Radowitz, mit einer Specialmission beauftragt, in Wien unterhandelte, dauerten diese Beziehungen fort, die die jetzige Richtung des ehemaligen preußischen
Generals in der Kaiserfrage ebenfalls mit aufklären können. Wie sich diese Richtung mit den Grundsätzen, Ansichten und Daten vereinigen läßt, welche Herr v. Radowitz in seiner Schrift
„Deutschland und Fr. Wilh. IV.“ veröffentlicht hat, muß allerdings einer spätern Zeit überlassen bleiben.
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@facs | 1069 |
[
!!!
] Frankfurt, 13. Januar Abends.
Schluß der Sitzung der National-Versammlung.
Gegen 4 Uhr begann die Sitzung wieder und der Ministerpräsident v. Gagern sprach für sein Programm — aber schwach.
Der Berichterstatter der Minorität verzichtete nach Gagern aufs Wort.
Sie erinnern sich, daß das Ministerium die Anträge der Minorität zu den seinigen gemacht — so wie es erklärte, mit der Annahme der Anträge der Majorität des Ausschusses fallen zu müssen.
Für die Majorität des Ausschusses sprach in begeisterter Rede, bei ganz erleuchtetem Hause und überfüllten Tribünen Giskra aus Oesterreich.
Stürme von Beifall unterbrachen seine Rede. Er vertheidigte Oesterreichs Regierung freilich nicht, aber er wies nach, daß mindestens alle Regierungen der andern Einzelstaaten eben so wenig taugen.
Man müßte also mit Oesterreichs auch die andern Abgeordneten aus der Paulskirche herausschmeißen.
Die Anträge der Majorität lauten:
„Die National-Versammlung beschließt:
1. Die vom Reichsministerio in dessen Erklärung vom 5. Januar c. ausgesprochene Zurückweisung eines Vereinbarungsprinzips für die deutsche Reichsverfassung im vollsten Maß anzuerkennen.
2. Die Centralgewalt zu beauftragen, über das Verhältniß der zum früheren deutschen Bunde nicht gehörigen Länder Oesterreichs zu dem deutschen Bundesstaate zur geeigneten Zeit und in geeigneter Weise
mit der österreichischen Regierung in Unterhandlungen zu treten.
Der Ministerpräsident hatte seine Rede unter dem langen Beifall der fast größern Hälfte des Hauses geschlossen, Giskra, welcher in einer fast zweistündigen Rede die Aufmerksamkeit des Hauses
dennoch nicht erschöpfte, begeisterte dies trockene Haus dergestalt, daß sogar ein großer Theil des rechten Centrums sich die Hände wund klatschte. Selbst Gagern, dessen Programm Giskras Rede
zerdonnerte und zermalmte, konnte sich nicht erwehren, Beifall zu klatschen. Auch Ritter Vincke applaudirte.
Auf der vollgepfropften Damentribüne sieht man auch die Frau Reichsverweserin (Erzherzogin Johann) mit ihrem Sohne, dem kleinen Grafen v. Merom.
Die Wurzel des Baumes der deutschen Einheit liegt bloß, so schloß Giskra, ein Schlag, und der Baum fällt, schlagen Sie, wenn Sie es wagen!
Hierauf geht man um 1/2 7 Uhr zur Abstimmung.
Vor derselben erklären fast sämmtliche österreichische Abgeordnete, daß Sie gegen jeden etwa zum Nachtheil und Ausschluß Oesterreichs zu fassenden Beschluß feierlich protestiren und unter keinen
Umständen aus dem Hause weichen werden — bis man sie mit physischer Gewalt forttreibe. (Bravo links).
Nach einem längeren Streit über die Reihenfolge der Abstimmungen beginnt man damit um 7 Uhr.
Zuerst stimmt man über den Antrag des v. Wulsen, welcher durchaus dem der Minorität gleichkommt und deshalb von derselben adoptirt ward.
Der Minoritäts-Antrag lautet:
„Die National-Versammlung wolle dem Reichsministerium die in der Vorlage vom 18. December 1848 — modificirt durch das
[1070]
Schreiben vom 5. Januar 1849 — erbetene Ermächtigung ertheilen.“
Wulfen hat noch beigefügt:
„In Erwägung der persönlicher. Erklärung des Ministers in der Sitzung vom 11. d. Mts“
Bei der Abstimmung antwortet das alte Kind Arndt, der Dichter des Liedes: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ mit Ja! Ein langes „Pfui!“ und lange Katzenmusiken von den
Tribünen belohnten den greisen Verräther dafür. — Herr Dahlmann, der „Deutsche Professor“, ward für sein „Ja“ mit einem gleichen „Pfui!“ belohnt.
— Der edle Minister von Gagern verschmäht es nicht, für seine eigne hohe Existenz mit Ja zu stimmen. — Der „fundirte“ Beseler stützte gleichfalls das Ministerium. Jahn und
Jordan aus Berlin ebenso, auch Mittermaier verrieth seine Partei. Radowitz hat sich fortgeschlichen! Reh aus Darmstadt verrieth ebenfalls seine Partei. Schmerling, der Freund Gagerns, war bei der
Abstimmung herausgelaufen (Langes höhnisches Bravo.) — Der alte Ludwig Uhland blieb treu bei der Linken. — Die Minoritäts-Anträge wurden mit 261 Stimmen gegen 224 Stimmen angenommen.
Also für's Ministerium Gagern eine Majorität von 37 Stimmen! — Aber genug für ein — Reichsministerium. —
Nach Abzug des Ministeriums selbst, welches mitstimmte, verblieben dem Ministerium ungefähr ein Dutzend Stimmen Die ganze Linke legt eine feierliche Protestation ein, gegen den vorliegenden
Beschluß, welcher Deutschland theilt, Oestreich abreißt, den Dynasten sich in die Arme wirft u. s. w. Morgen die ganze Protestation.
Hierauf erfolgten noch 100,000 Erklärungen, — so machens diese Burschen — erst abstimmen, dann hinterdrein durch Erklärungen ihre Abstimmungen negiren. — O du Deutschland!
Vor Schluß der Sitzung frägt Wesendonk den Centrallegitimatiosausschuß, ob er bereits Kenntniß von Temme's Wahl hat. (Bravo von den Gallerien.)
Plathner im Namen des Ausschusses, er wisse nichts von Temme noch von dessen Wahl.
Um 8 Uhr wird die Sitzung geschlossen.
Montag Tages-Ordnung: Entwurf vom Reichsoberhaupt.
Nun werden sie den Kaiser ausbrüten. Wohl bekomm's!
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@facs | 1070 |
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34
] Darmstadt, 13. Jan.
Dem Antrage auf ein königlich preußisches Erbkaiserthum ist von dem Abg. Heldmann ein anderer entgegengestellt:
„Die Kammer möge erklären, daß sie es mit Vergnügen sehen würde, wenn
der Großherzog von Hessen (der nebenbei bemerkt, in Bezug auf die Erblichkeit mit Friedrich Wilhelm dasselbe Schicksal theilt) zum Reichsstatthalter ernannt werde.“
Es wird hoffentlich nicht gar zu lange dauern, daß die ganze Geschichte von dem neugebackenen Erbkaiserthum von Jedermann als ein schlechter Witz angesehen wird.
In ihrer vorigen Sitzung hat die zweite Kammer über die Geschäftsordnung für die neu zu wählenden Kammern berathen. So ängstlich vermeidet man jeden Sprung, so behutsam hält man den Weg der
„gesetzmäßigen Reformen“ ein, daß man es den neuen Kammern nicht einmal überläßt, sich selbst eine neue Geschäftsordnung zu geben. Die alte konnte man ihnen freilich auch nicht gut
überantworten, sie war gar zu niederträchtig. So hatte früher der Großherzog das Recht, den Präsidenten der ersten Kammer zu ernennen, und die beiden Präsidenten der zweiten Kammer aus sechs
vorgeschlagenen Mitgliedern zu wählen, und diese fungirten dann natürlich für die ganze Diät von sechs Jahren. Anstatt dessen soll für die neuen Kammern die freie Wahl eintreten und dieselbe alle acht
Wochen wieder erneuert werden.
Die wichtigste Aenderung in der Geschäftsordnung wird auf den Antrag Lehne's beschlossen. Danach soll die Regierung ersucht werden, die in Art. 6 der alten Geschäftsordnung enthaltene
Beschränkung, welche der Kammer das Einbringen von Gesetzentwürfen verbietet, und dasselbe zu einem Vorrecht der Regierung macht, aufzuheben, und beiden Kammern die Initiative in der Gesetzgebung zu
verleihen.
Freilich etwas Anderes, als ein demüthiges Ersuchen steht der Kammer jetzt nicht mehr zu, nachdem sie von vornherein durch die Steuerbewilligung sich alle Macht aus den Händen gegeben hat. Die
ministerielle Partei ist bei der Abstimmung zwar mit 30 gegen 8 Stimmen erlegen; aber was soll das? Hat sie doch noch die erste Kammer und die großherzogliche Sanktion hinter sich!
Art. 21 hebt das den Regierungskommissarien zustehende Recht, andere Redner zu unterbrechen, auf. Im Art. 25, wonach Interpellationen nur dann zulässig sind, wenn sie von fünf Mitgliedern
unterstützt, vorher dem Präsidium überreicht sind, — wird der Passus: „von fünf Mitgliedern unterstützt,“ mit 27 gegen 10 Stimmen verworfen.
Zuletzt setzt die zweite Kammer ihrem „segensreichen Wirken“ noch dadurch die Krone auf, daß sie die Diäten der neuen Abgeordneten von 5 Fl. auf 3 Fl. 30 Kr. reduzirt. So lange sie
selbst am Ruder waren, haben sie die 5 Fl. ganz gemüthlich in die Tasche gesteckt; warum lassen sie diese Ersparniß nicht wenigstens schon sogleich ins Leben treten, wenn sie von ihrer Nothwendigkeit
so überzeugt sind. Wie mir scheint, haben die meisten Herren wohl nur in der Voraussicht so gestimmt, daß ihre politische Carriere ein Ende erreicht hat; sie wollen ihren Nachfolgern noch einen
kleinen Schabernack spielen. Will man sparen, dann beginne man bei den Civillisten, bei den Soldaten- und Beamtenheeren; das hilft jedenfalls besser, als die paar Gulden, welche man den Abgeordneten
abzwackt. Man darf nicht vergessen, daß eine zu niedrige Besoldung derselben nichts weiter als ein indirekter Census ist.
In der heutigen Sitzung ward über einen Gesetzentwurf, die Weideberechtigungen auf landwirthschaftlichem Boden betreffend, diskutirt. Es geht also schon wieder munter über die Gesetzgebung her,
obschon diese eigentlich ganz und gar den neuen Kammern vorbehalten bleiben sollte. Ein Antrag Kretzschmar's, den Gesetzentwurf kurzer Hand beruhen zu lassen, weil von dieser Kammer eigentlich
nur das Wahlgesetz und die Geschäftsordnung berathen werden solle, ward gegen 3 Stimmen (!!) abgelehnt. Kretzschmar fügte noch hinzu: Es sei wahr, daß das Volk Aufhebung dieses angemaßten
Rechtes wolle; aber es wolle die Aufhebung ohne Entschädigung, dasselbe sei ganz analog dem Jagdrecht. — Die Kammer wird wahrscheinlich nach Vorschlag des Ausschusses einen Mittelweg
einschlagen; die ersten 10 Artikel, welche mit einigen Modifikationen angenommen sind, beschränken die Aufhebung der Weideberechtigung ohne Entschädigung auf einen bestimmten Umfang, für das Weitere
wird eine Entschädigung stipulirt werden. So haben's unsere Volksvertreter halters mit allen mittelalterlichen „Rechten“ gemacht. Sie überantworten den Grundbesitz den
Hypothekengläubigern und zeigen dadurch selbst dem Bauer den Weg, den er in der nächsten Revolution für seine Befreiung einzuschlagen hat.
In dieser Woche haben wir auch die angenehme Erfahrung gemacht, daß wir Kroaten ganz in unserer Nähe haben. Das erste Regiment, welches lange Zeit in Frankfurt die Ruhe und Ordnung aufrecht
erhalten hat, und uns statt des demokratisirten zweiten geschickt wurde, hat auch hier für die Ordnung zu sorgen begonnen, indem es die Kneipe eines demokratischen Bierwirthes vollständig demolirt
hat. Wie aus Allem hervorgeht, war die Sache angestiftet, und wird die eingeleitete Untersuchung deshalb auch wohl ohne Erfolg sein. Weitere Heldenthaten haben sich diese Grau- (nicht Roth-) Mäntel
vorbehalten, über die ich Ihnen vielleicht in nächster Zeit berichten kann.
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@facs | 1070 |
Hannover, 12. Jan.
Von wie trauriger Art die Ausflüchte sind, mit denen man in Hannover Etwas zu erreichen gedenkt, davon liefert die jüngst veröffentlichte Note vom 4. November ein Beispiel. Es war darin gesagt, die
hannoversche Regierung befinde sich nicht in dem Besitze des authentischen Protokolls über den Bundesbeschluß vom 10. Juli, wodurch bekanntlich im Namen sämmtlicher Regierungen alle Bundesgewalt auf
den Reichsverweser übertragen würde. Nun wird in der Zeitung für Norddeutschland die bestimmte Versicherung gegeben, „es existirt überhaupt kein Protokoll über jenen angeblichen Bundesbeschluß
vom 10. Juli. Es war eine diplomatische Lüge, wenn am 12. Juli die Uebertragung der Centralgewalt als ein Beschluß vom 10. Juli mitgetheilt wurde; es war kein solcher Beschluß am 10. gefaßt, sondern
nur mündlich in der Verwirrung und Rathlosigkeit des Augenblicks hatten die Bundestagsgesandten sich kurz vorher darüber verständigt. Weder die hannov. Regierung kann daher das Protokoll dieses
Beschlusses publiciren, noch kann die Centralgewalt es ihr mittheilen. Das hannov. Ministerium mußte es durch den hannov. Bundestagsgesandten wissen, daß die Centralgewalt das nicht kann, — und
dennoch begründet es jetzt vor dem Publikum seine Weigerung auf die oben angegebene Weise!“
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@facs | 1070 |
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20
] Aus dem Reiche.
„Du hast ja gar keinen Vater!“ warf ein Junge dem andern vor, während sie sich auf der Straße bei den Haaren hin- und herzausten. „Mehr als Du, dummer Junge!“ antwortete
auf's Tiefste empört, der Andere.
Das germanische „Reichs“-Volk kann in ähnlicher Weise jeder Nation auf dem Erdenrunde entgegentreten. Bei den Haaren kann man es zausen nach Belieben, man kann es knuten und
maulschelliren, man kann es mit Koth bewerfen und ihm in's Gesicht spucken: Ein Nuhm bleibt ihm unangetastet, ein Ruhm, der alle spießbürgerliche Bornirtheit, alle Misère im Innern und
nach Außen vergessen läßt: der Ruhm, mehr Landesväter zu haben, als die Völker des Erdballs, mit Einschluß der Zigeuner, zusammengenommen.
Die alten Römer, die wir als Gymnasiasten und Professoren in gewisser Beziehung pflichtschuldigst zu bewundern haben: brachten es in ihrer besten Zeit noch nicht bis zu einem Dutzend Kaiser oder
Gegenkaiser. Sie waren hinter uns schmählig zurück: Wir schlagen die alten, wie die neuen Völker mit der einfachen Bemerkung aus dem Felde, daß wir mehr als ein halbes Schock theurer
„Landesväter“ bis auf den heutigen Tag zu konserviren verstanden haben. Es stehe irgend eine Nation des ganzen Erdrund's auf und weise uns einen ähnlichen Reichthum nach! Kühn
fordern wir alle Jahrhunderte in die Schranken!
Da uns der Himmel mit so außerordentlichem Segen begnadet hat, der uns jährlich bloß die Lumperei von 50 Mill. Thalern Preuß. Cour. kostet: so sollten wir dankerfüllt uns damit begnügen.
Wir Reichskinder sind nun wohl auch ziemlich zufrieden, ja mehr als befriedigt. Allein unsere geliebten und sehr theuren „Landesväter“ haben in unablässiger Fürsorge für das Reich
entdeckt, daß wir zu den 3 Dutzend Landesvätern noch einen 37sten, obersten Landesvater bedürfen.
Es wäre das ganz herrlich ohne die kitzliche Frage: Wer soll oberster Landesvater sein?
Unsere gottbegnadeten Fürsorger haben längere oder kürzere Zeit die germanischen „Vaterfreuden“ durchgekostet. Dürfen wir uns wundern, wenn nun Jeder sie zur höchsten Potenz zu
erheben resp. sich zum obersten Landesvater zu machen sucht?
Ist nicht Jeder unserer Landesväter par inter pares, gleich unter Gleichen? Hätte Heinrich der 281ste von Reuß-Greitz sich nicht während ein Paar Dezennien auf dem bekannten Prinzip wund geritten
und in Folge dessen abgedankt: so wäre er der Mann.
„Böse Beispiele verderben gute Sitten.“ Dieses schönen Spruches scheinen die ehrenwerthen und uns sehr theuern Landesväter gänzlich vergessen zu haben. Statt uns mit Friede und
Einigkeit voranzuleuchten: balgen sie sich unter einander herum ärger wie Hunde und Katzen und entblößen dabei gegenseitig ihre Schaam, daß wir Reichskinder wohl „roth“ werden
müssen.
Ihre Majestäten von Vaduz und Bückeburg halten sich an den Ohren gefaßt und beweisen sich gegenseitig durch Püffe, daß Jeder von ihnen der würdigste ist, aus dem Frankfurter Hexenkessel mit der
Kaiserkrone bewappnet unter die wonnebeseligten Reichs-Bürger hervorzuspringen. Der hessische Kurfürst keilt sich mit dem hessischen Großherzog. Jener haut mit der Keule zu, die er dem Wilhslmshöher
Herkules entlehnte; dieser hat trotz seines Schildknappen Jaup nicht zu pariren vermocht und zieht sich heulend, aber seinen Ansprüchen nicht entsagend in seine Behausung zurück. Dort reiten
Vaterwonne schnaubend der baierische Reichs-Max auf einem Oxthoft aus dem Bockskeller und die hannoveranische Majestät auf dem als ungeheures Roastbeef präparirten Stüve in die Schranken. Aus einer
andern Ecke stürzt die Dresdner Majestät hervor, in Kleidung und Rüstung jenen am 1. Jan. 1848 leider zu früh verschiedenen zweibeinigen Bärenmützen täuschend nachgemacht. Von dritter Seite schreitet
ein schwäbischer Gottesgnadenmann in die Schranken, dessen Krone mit dem niedlichen Nachtshäubchen der Fräulein Stubenrauch umhangen ist. Mit geballten Fäusten manövriren unsere altenburgischen,
schwarzburgischen, hechingischen, mecklenburgischen, meiningischen, oldenburgischen etc Landesväter dazwischen. Nur Se. Majestät der Großherzog von Baden steht in die Lektüre von Kaspar Hausers
Lebensgeschichte vertieft, auf jede Mitbewerbung resignirend da.
Wie wenn eine Menge kleiner Kläffer sich eine Zeit lang herumgezaust und Lärm geschlagen und nun auf einmal still werden und den Schwanz zwischen die Beine nehmen, sobald große Bulldogs, ungarische
Wolfshunde etc. unerwartet zwischen sie fahren: so stehen plötzlich unsere kleineren geliebten Landesväter verblüfft und erschrocken da, als sie die Majestäten mit dem Kroatenkopf, dem Wrangelschen
Schleppsäbel und den Reichs-Max und das Roastbeef und die Dresdner Bärenmütze unter sich gewahren.
Aber bald erwacht die Kampfeslust von Neuem. Der kroatische stürzt auf den christlich-germanischen Landesvater los mit einem Ziska-Schwerte.
Die schwarz-weiße Majestät wechselt ebenfalls die Farbe und wird schwarz-gelb vor Aerger.
Da ruft von fern eine bekannte Walhalla-Stimme in den urwäldlich-teutoburgischsten Satz-Construktionen:
„Haltet ein, denn nicht gedacht habend meiner, schnöden Undanks, Ihr Euch selber zerfleischt: dem geliebten Reichsvolke zum üblen Muster seiend. Ich, der Teutscheste von Teuts Söhnen, weil
augenblicklich außer Condition, mich erbietend Euch für Teutschlands Kaiserthron: Lola Eure Kaiserin! billig machend, viel gespart habend; Walhalla nach Frankfurt versetzend: Ihr sämmtlich hinein und
auch meinen Beisele und Matthy, Beseler und Welcker und Mosle und sonstige Teutsche!“
Einen Augenblick ruhen die Schwerter.
Benutzen wir diese Pause, um uns ebenfalls einen Augenblick auszuruhen. Bald geht der Reichsvater-Spektakel wieder los und Schade wär's, wenn sich Reichskinder diese karnevalistische
Ergötzlichkeit entgehen ließen.
Italien.
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@facs | 1070 |
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Nach dem „Corriere mercantile“ von Genua haben bereits mehrere Vorpostengefechte zwischen östreichischen und römischen Truppen in der Nähe von Bologna und Ferrara stattgefunden, die,
obwohl an sich unbedeutend, dennoch als wahrscheinliches Vorspiel größerer Ereignisse von Wichtigkeit sind. Ebenso ist zu bemerken, daß aus Mantua zwölf Geschütze und verschiedene Truppenabtheilungen
ausgerückt sind, um, wie man sagt, an die römische Gränze zu marschiren. Nach andern Berichten jedoch hätte dies Korps Ordre, sich nach Venedig zu wenden, was das frühere Gerücht von einer
beabsichtigten Unternehmung Radetzky's gegen Venedig bestätigen würde. Uebrigens soll Radetzky, wie Briefe aus Mailand melden, in den Angelegenheiten der Lombardei die Vermittlung des
Erzbischofs von Mailand angerufen haben, den er zu einer Reise nach Olmütz zu bestimmen sucht, um persönlich mit dem Kaiser zu verhandeln.
Briefen aus Alessandria zufolge wären auch bereits piemontesische und östreichische Vorposten aneinandergerathen.
Die „Alba“ spricht mit großer Bestimmtheit von einem zu Piacenza ausgebrochenen Aufstande.
Aus Rom wenig Neues. Briefe aus Livorno berichten, daß Sterbini nach Auflösung der Junta bis zum Zusammentreten der Constituante zum Diktator ernannt worden ist. Der „Corriere
mercantile,“ welcher diese Maßregel voraussagte, giebt ihr seinen vollen Beifall zu erkennen. In einem so kritischen Augenblicke, sagt er, kann nur eine volle, konzentrirte Gewalt das Land
retten.
Der Prolegat von Bologna hat seine Demission eingereicht. Die Regierungskommission hat ihn durch den Prolegaten von Ferrara, Grafen Lavatelli, ersetzt.
Der Pabst, schreibt man aus Rom am 4. Jan., wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach doch ehestens nach Frankreich begeben. Die Intriguen der Diplomatie haben keine Fäden zu Gaeta. Unter der Maske
Spaniens entwickelt Rußland dort die größte Thätigkeit. Der Pabst scheint nicht zu glauben, daß die Angelegenheiten Italiens durch die Italiener selbst geordnet werden können.
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Von der italienischen Grenze, 3. Jan.
In Calabrien fanden neuerdings an 5 Punkten Gefechte statt, und bei Brancaleone wurden die kön. Truppen geschlagen: es wäre thöricht, diese Gefechte als Räuberscenen zu behandeln. Zu Reggio machte
der bekannte Agostino Plutino einen neuen Aufwiegelungsversuch, indem er sich von der sicilischen Küste hinüberwagte. Der König befindet sich ganz und gar in den Händen Rußlands: er ist ein
Seitenstück zum Vladica von Montenegro, d. h. er ist russischer Vasall geworden. Chreptowitsch leitet alles, und die vorige Woche kamen drei russ. Couriere in Neapel und Gaeta an. Während noch vor
wenigen Jahren alle neapolitanischen Blätter die Behauptung aufstellten in Sicilien herrsche kein Haß gegen Neapel, ist man jetzt endlich so aufrichtig geworden, in den Hofblättern einen Aufsatz:
„Ueber die Abneigung der Sicilier gegen die Neapolitaner“ abdrucken zu lassen, welcher jedoch mit den Worten schließen muß „che la Demagogia soccomba.“ In Messina, Palermo,
Catania, in ganz Sicilien ist der Haß gegen Neapel unbeschreiblich groß. Die Wiederholung der Entthronung Ferdinands, der Anschluß an die italische Constituante und viele andere Dinge legen davon
Zeugniß ab. Noch fehlen 16,000 Einwohner in Messina, und kein Sicilier nimmt eine neapolitanische Stelle in dem kleinen eroberten Bezirk an. Kürzlich desertirten neapolitanische Soldaten zwischen
Patti und Barcellona zu den Siciliern: sogar Schweizer zeigten solche Gelüste. Das 3. Schweizerregiment ist auf 670 Mann zusammengeschmolzen. Hr. v. Gonzenbach, der schweizerische Konsul zu Messina,
welcher sich mündlich und schriftlich (auch in dem Bericht an die Tagsatzung) über das Benehmen seiner Landsleute mißbilligend ausgesprochen, mußte der ihm geschwornen Rache wegen einige Zeit nach
Catania entfliehen. Filangieri benimmt sich sehr gefällig gegen diejenigen Messinesen, welche ihm Geschenke bringen. Die Einnahme Messinas hat viele Menschen gekostet, und würde, nach dem Urtheil
vieler neapolitanischen und schweizer Offiziere, nie gelungen sein, wenn nicht alle Minen der Sicilier, in denen das Pulver naß geworden, verunglückt wären. Antonini, Generalinspektor der sicilischen
Armee, zeigt sich sehr thätig, er durchstreift die ganze Insel und ordnet alles an. Ich bin der Meinung, daß König Ferdinand niemals allein im Stande sein wird, Sicilien wieder zu erobern. Er bedroht
Neapel mit einem Bombardement, und wird es daher ohne starke Besetzung zügeln, aber Calabrien, Apulien, das Basilikat und ganz Sicilien überwindet er nicht mit einem Heere von 100,000 Mann.
[(A.
Z.)]
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] Von der italienischen Gränze, 10. Januar.
Wie die Horden Radetzki's noch immer in Italien hausen, davon gibt folgender Vorfall ein Beispiel: An dem Tage, wo in Cremona das Te Deum für den neuen Kaiser gefeiert wurde, hielten die
Offiziere der dortigen Garnison ein Bankett, betranken sich nach guter deutscher Sitte, und stürzten dann wie die wilden Bestien, mit gezogenem Säbel, auf die Straße hinaus. Dort liefen sie unter dem
Ruf: Es lebe der Kaiser, hinter den ruhigen Einwohnern her, jagten sie in die Häuser, rissen den Damen die schwarzen Trauerhüte und Hauben ab, welche alle Lombardinnen seit der neuen Knechtung ihres
Landes tragen, begingen die größten Exzesse und zwangen die Bewohner mehrerer Straßen, Lichter an ihre Fenster zu stellen. Nur Signora Guerri, eine Polin, wagte ihnen Widerstand zu leisten. Sie hielt
den Wüthenden von ihrem Fenster herab in deutscher Sprache eine so energische Anrede und gab ihnen ihre Insulte in so würdiger und entschlossener Sprache zurück, daß das edle schwarzgelbe
Offizierkorps sich zurückzog. So feiert die Blüthe des österreichischen und kroatischen Adels die Thronbesteigung ihres jungen Standrechtskaisers.
Fast überall verließ das Volk in Masse die Kirchen, als die Geistlichen auf Radetzki's Befehl das Te Deum wegen des Thronwechsels absangen. Am Neujahrstage ließen die meisten lombardischen
Geistlichen die üblichen Gebete für den Kaiser und das kaiserliche Haus fort, und das Volk jubelte Beifall.
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] Rom, 3. Januar.
Die „Constituente Italiana“ meldet, daß in dem contrerevolutionären Intriguen-Centrum Gaeta jetzt dreierlei Meinungen debattirt werden: Der Pabst will die Entwickelung der römischen
und italienischen Angelegenheiten der Vorsehung überlassen (braver Mann!) und nach Frankreich und Deutschland gehen, um dort den religiösen Geist wiederherzustellen. Die Kardinäle dagegen, die durch
die römische Revolution eine Menge Reichthümer und ein üppiges Leben in aller Gottseligkeit und Trägheit verloren haben, verlangen den offenen Kampf, um entweder den alten Zustand wiederherzustellen
oder in Ehren unterzugehen (wie Se. k. Hoheit der Prinz von Preußen) Endlich das diplomatische Corps, das der französischen Politik noch immer nicht recht traut (welche Lächerlichkeit!), räth Sr.
Heiligkeit zu einer Vereinbarung mit seinen Ex-Unterthanen, in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Welche von diesen drei Ansichten die Oberhand behalten wird, ist schwer abzusehen. Inzwischen soll Pius
IX. eine neue Regierungskommission bestellt haben, die voraussichtlich eben so wenig Anerkennung in Rom finden wird, wie die erste. Sicher ist, daß die geheime Korrespondenz von Gaeta nach Rom
fortwährend mit der größten Emsigkeit betrieben wird. Die Briefe gehen über Cellano nach Frosinone, und werden von da aus nach Rom spedirt.
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] Florenz, 5. Jan.
Unsere Stadt bleibt nach wie vor der Mittelpunkt der italienischen Einheitsbewegung, die hier auch zuerst durch die Proklamation der italienischen Constituante Konsistenz gewonnen hat. Die
italienischen Volksvereine, deren Centrum hier ist, mehren sich in allen Staaten der Halbinsel. Sie streben nach der Herstellung eines einen und untheilbaren Italiens, lassen die zweideutigen
und nothwendig partikularistischen Bestrebungen der Fürsten ganz bei Seite, und bearbeiten so den Boden für die Zeit, wo die Constituante die italische Republik wird proklamiren können. Ueberhaupt
zeigt sich in der ganzen italienischen demokratischen Bewegung eine Konsequenz, ein Zusammenhang, eine Entschiedenheit und ein Bewußtsein des endlichen Ziels, das gegenüber der verworrenen,
schwankenden und wüsten Bewegung Deutschlands im Jahre 1848 einen höchst wohlthuenden Eindruck macht.
[1071]
Seit 1846 haben die Italiäner mit einer an ihnen bisher unbekannten Ausdauer an der Herstellung eines unabhängigen demokratischen Italien's gearbeitet, und wenn sie von dem bereits eroberten
Terrän momentan wieder etwas verloren, so haben sie es sogleich wieder erobert — mit Ausnahme der Lombardei und Neapels. Der Heldenmuth den sie in zahllosen Revolutionen wie im offenen Felde
entwickelt, die Unermüdlichkeit, mit der sie immer wieder den Kampf von vorn angefangen haben, ist nicht ohne Früchte geblieben. Sizilien, der römische Staat, Toskana, Sardinien und Venedig sind für
die Demokratie gewonnen; in der Lombardei harrt das Volk nur auf den Ausbruch des Kampfes, um sich in Masse zu erheben; in Neapel halten Hauptstadt und Provinzen, und namentlich Sizilien, die Söldner
der Bourbonen so im Schach, daß er nirgends einen Angriff auf die italiänische Demokratie wagen darf. Und um der jungen, bis jetzt blos in den Regierungen organisirten Demokratie eine Gestalt zu
geben, wird sich trotz aller Intriguen und Hindernisse die italiänische Konstituante doch versammeln, eine ganz andre Versammlung als die sogenannte deutsche Nationalversammlung der Hofräthe und
Professoren in Frankfurt! Und das Alles setzen die Italiäner durch im Angesicht der in ganz Europa siegreichen Contrerevolution, in die Zähne Radetzki's, und trotz des französischen
Ministeriums der „friedlichen Lösungen“; sie setzen es durch gegenüber einem übermächtigen Feind, und trotz der täglich wachsenden Antipathieen aller europäischen Mächte. Und was thut
inzwischen unser solides, gesetztes, auf dem Wege der „gediegnen Entwicklung“ fortschreitendes (!) deutsches Volk, das keinen auswärtigen Feind auf dem Nacken hat? Die Antwort mögen die
Deutschen sich selbst geben.
Ein neuer Schritt ist von Seiten unsrer Regierung geschehen, um den Zusammentritt der italiänischen Konstituante zu beschleunigen. Sie hat nämlich der römischen Regierung den Vorschlag gemacht, die
Deputirten zur römischen Konstituante zugleich für die allgemeine italiänische Konstituante bevollmächten zu lassen, damit sie alsbald einen Kern für diese letztere bilden, und die
Harmonie der neuen römischen Verfassung mit der italischen von vorn herein gesichert werde.
Französische Republik.
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12
] Paris, 14. Januar.
Après l'orage le calme: das heißt nach dem Sturme gänzliche Windesstille. Die arme Kammer: sie glich gestern völlig einem Menschen, der an irgend einem Uebel leidet, das er aus Furcht vor
dem Schmerz nicht zu sondiren wagt. Um nun aber nicht vollends vom Schmerz überrascht zu werden, entschloß sich die Kammer die Wunde zu sondiren: sie hat die Hände an die leidende Stelle gelegt und, o
weh! welch ein Schmerz! Sie sieht ihr Leben auf's Spiel gesetzt: die Urne soll darüber unterscheiden. Keiner hat jetzt mehr Furcht vor der Urne als der „National“. Das allgemeine
Stimmrecht hat ihm so sonderbare Ueberraschungen vorbehalten. Wenn man denkt, wie bei der Fassung des Artikels in der Constitution über die Präsidentenwahl der „National“ so sicher war,
sein ganzes Personal in die Präsidentur und Vizepräsidentur hineinzubringen, und daß aller dieser Sicherheit zum Trotz auf einmal aus der Urne Leute wie Napoleon und Consorten hervorsprangen, so kann
man sich wohl vorstellen, mit welchem Mißtrauen derselbe National einer zweiten Wahl entgegensieht, wo es sich um seine letzten Reste, um seine Bänke in der Kammer handelt. Wer weiß, ob ihm das Land
nicht abermals einen Streich spielen und ihm gar einen Henri V. aufbinden will? Alles ist möglich! Die neue Kammer braucht nur aus Leuten zusammenzukommen, wie der jetzt gewählte Marquis von
Barbancois, dem das Departement de l'Indre fast alle Stimmen gegeben hat, und Henri V. wäre Präsident trotz der Constitution, trotz Napoleon, trotz der 7 Millionen. Henri V. wäre, wenn nicht
nominel, so doch wirklich derjenige Präsident, der so zu sagen durch indirekte Wahlen, durch die Wahlen der Wahlmänner, resp. der neuen Deputirten zusammengebracht worden wäre. Und hat nicht
Montalembert ganz in diesem Sinne für die Auflösung der Kammer gesprochen?
Scherz bei Seite! National und Reform begreifen ebensowenig die Kundgebungen im Lande für die Legitimisten, als sie vorher die Kundgebungen für Napoleon begriffen. Das ganze Volk ist jetzt in die
Bewegung hineingerissen und spielt weiß oder roth! Wenn die Montagne für die Beibehaltung der jetzigen Kammer gesprochen und gestimmt hat, so ging sie von derselben irrthümlichen Befürchtung aus, wie
bei Napoleon. Noch einmal — in den neuen Wahlen, gleichviel wie und wann sie zusammenkommen, handelt es sich um weiß oder roth. Die Weißen sind die Legitimisten mit Inbegriff der Orleanisten,
die Rothen sind die Partei Ledru Rollin's und Raspail's. Der National hat alle Chancen verloren. Die Einberufung einer neuen Kammer ist, wie wir früher bereits gezeigt, weiter nichts als
eine Zusammensetzung eines neuen Napoleon's.
Der Napoleon, der früher en gros gewäht, wird durch die neue Kammer en détail aufs Neue gewählt. Die einzelnen Parteien, die in Napoleon zusammenschmolzen, zerlegen, zertheilen sich und es hat
sich jetzt bereits herausgestellt, daß der eigentliche Napoleon, der Napoleon, wie er sich in abstracto genommen, der Napoleon in Hut, Sporn und Stiefel in drei Wochen älter geworden, als selbst die
Kammer, ungeachtet aller ihrer Hinfälligkeit.
In der kaiserlichen Familie selbst herrscht bereits Zwietracht und in der Sitzung selbst ist dieselbe durch die Rede Peter Napoleons, der die Partei der Kammer gegen Barrot und Louis Napoleon
ergriff, recht hervorgetreten. Zur Charakterisirung der gestrigen Sitzung müssen wir noch die Schilderung der Debats hinzufügen: Hr. Billault sagt zu Herrn Barrot: „Was thut die Regierung? Die
ganze Zeit ihrer Dauer hat sie nicht eine einzige Maßregel beantragt.“ „Und was thut dann die Kammer?“ versetzte Herr Barrot, „seit zwei Monaten hat sie nicht ein einziges
organisches Gesetz fertig gebracht.“ Hr. Barrot hat Recht, aber Hr. Billault hat nicht Unrecht. Das kommt so ziemlich auf das bekannte Gespräch hinaus: „Peter, was machst Du?“
„Nichts, mein Herr.“ „Und Du Paul?“ „Ich, mein Herr, ich helfe Peter!“ „Und Du, Napoleon?“ fragen wir weiter, „Ich, mein Herr, ich
helfe Paul!“ Alle drei, Barrot, Napoleon und die Kammer helfen sich gegenseitig, nichts zu thun.
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Bilanz Frankreichs.
(Schluß)
[
16
] Paris, 13. Jan.
Die Tabellen ergeben, daß auf 1000 Einwohner 1544 Stück vierfüßiges Vieh kommen. (Esel, Maulesel, Pferde mitgerechnet), und in den 376 Städten über 10,000 Einwohner, also 4,805,415 im Total, die
Fleischkonsumtion des Individuums 100 Pf. jährlich beträgt. Daneben erscheint die jährliche Fleischkonsumtion des Landbewohners um die Hälfte geringer. Im Nordosten Frankreichs (8 Mill. Menschen), im
Südosten (7 Mill. Menschen) findet das nämliche statt; wobei im Nordosten etwa 4 Pf. mehr jährlich auf den Einzelnen kommen, als im Südosten; oder etwa 17 Franken für Fleisch im Nordosten und 15 im
Südosten per Jahr.
Die Weinproduktion Frankreichs im Jahre mag 40 Millionen Hectoliter ausmachen, wovon die im Girondedepartement 1/20; davon exportirt man jährlich 1,100,000 Hectoliter für 40-50 Mill. Franken, etwa
36 Frankan der Hectoliter; auf den Einwohner kämen also etwas über 100 Liter (d. h. ein Hectoliter) jährlich. Im Total beträgt aber der Export jährlich 36 Mill. Hectoliter Wein à 419 Mill. Franken,
und 1 Mill. Branntwein à 59 Mill. Franken; diese offizielle Angabe ist jedenfalls zu gering.
Die Zeugungskräfte des französischen Bodens würden unbestritten durch Kultur steigen; aber schon jetzt ist das empörende Mißverhältniß in den Rationen arg genug. Ist es nicht schändlich, daß bis
zum März 1848 (erst das republikanische Provisorium besaß Verstand genug) der Flottenmatrose niemals warm frühstücken, nur einmal in der Woche Fleisch essen durfte? Erst die Februarrevolution hat ihm
etwa drei Pfund fester und flüssiger Nahrung täglich verschafft; der Soldat, sowohl Kavalerist wie Infanterist, hatte sie schon längst. Und das ist noch nicht gerade hinreichend laut den Chemikern
Dumas und Liebig (ohne das Trinkwasser zu rechnen, sind 1900 bis 2000 Grammen feste und flüssige Speise nöthig). Das scheert aber keinen Malthusianer; der verzehrt mehr als er nöthig hat, und räumt
der producirenden Kanaille blos die Ehre ein, für ihn das Essen zu schaffen, dessen Küchendunst er ihr gütig überläßt.
Auf jeden Einwohner kommen etwa 1248 Gramme täglich; die Kinder unter sechs Jahren und die Greise davon abgezogen, ergibt sich allerdings ein nur dicht unter der Minimumslinie bleibendes Quantum
per Kopf; desto schlimmer steht es aber mit der Quantität dieses Quantums, und das Quantum selbst könnte ein vierfaches durch bessere Kultur werden. Das heutige Arbeitsprodukt entspricht nur den
Arbeitskräften der sieben Millionen Arbeitender, deren wir früher das Nähere erwähnt haben. Diese sieben Millionen armer Teufel stecken dazu in so miserabeln Umständen, daß ihnen Lust und Sinn fürs
Arbeiten bald schwindet. Mit mehr Arbeitern ließe sich nicht nur mehr, sondern auch besser arbeiten.
Die Malthusianer haben die thörichte Gewohnheit stets bei dem Worte „todthungern“ an ein jähes Zusammenfallen und Sterben zu denken; sie begreifen daher nicht wie wir behaupten, diese
und jene Kategorie sei am Todthungern. Die Herren sollten wissen, daß man Jahre lang todthungern kann. Aus unserm niedrigsten Anschlage ergibt sich uns — und welcher Malthusianer mögte es
leugnen, da er wahrlich für seine eigenen Verdauungorgane kein Minimist ist! — daß als absolutes Minimum, unter dessen Niveau bereits todthungern anfängt, für den Mann täglich 1 Fr. 12
Centimen, für die Frau 92 Centimen, für das Kind 32 Centimen festzusetzen sind. Streicht man selbst 1500 Mill. Franken, die Frankreich jährlich für überseeische Produkte ausgeben muß, ab von der
11,075,673000 Franken betragenden Summe, zu deren Belauf wir dreist die Werthe der Nahrungsrationen sämmtlicher 14 Mill. Männer, 14 Mill. Frauen und 5 Mill. Kinder in Frankreich schätzen dürfen, so
bleiben immer noch neuntausend fünfhundert Mill. Fr. Rest, wodurch die für Frankreichs Einwohner nothwendige Nahrung vergoldet werden könnte. Aber Frankreich producirt heute in Landerzeugnissen,
mitgerechnet das Saat- und Viehfutter, nicht über sechstausend Mill. Franken. Es mangelten also zwei Drittel. Wie gefällt das Speisedefizit unsern Optimisten?
Wir müßten heute folgende Karte aufzuweisen haben:
Ackerland im Verhältniß zum menschlichen Bedarf 200 Milliarden (nicht Millionen) an Werth; zum thierischen Bedarf 100; Wohnungen 140, Häuser auf dem Lande 50, Möbeln 28, Kleider 3, ländliches
Mobilar 5, Industriewerkzeuge 10, Summa 536 Milliarden. Und heute besitzt unsre Nation ein Kapital an Mobilien und Immobilien von nur 120 Milliarden.
Desgleichen ist leicht zu beweisen, daß die 33 Mill. menschlicher Leiber in Frankreich für 3 Milliarden 633 Millionen Franken Leinwand und Wollenzeug und Baumwolle verbrauchen sollten, um sich
anständig und gesundheitsgemäß zu kleiden. Aber man producirt bei uns nur für 1 Milliard 600 Millionen; und nach der Juni-Insurrektion schienen die Bourgeois von Paris so wüthend gegen die Ateliers,
wo 25000 Frauen Hemden gemacht hatten, daß Cavaignac selbige Werkstätten schloß, wie die der Männer; Hemden, die freilich bis zur Masse von 600,000 Stück anwuchsen und in den Magazinen des Palais
National aufgestapelt hinter Thür und Riegel gehalten wurden, weil das mit zerrissenem Hemde oder auch ohne Hemde herumirrende Proletariat beides Geschlechts zwar Hemden machen, aber nicht
Geld machen konnte sie zu kaufen. Die Blödsinnigkeit und Bosheit der Bourgeoisie war dabei so groß, daß sie immerfort auf „Ueberproduktion“ schimpfte, während sie das dem
Proletariat zum Kaufen des Hemdes nöthige Geld vergrub; sie selbst hatte freilich zuviel Hemden …
Malthus hat gesiegt; doch nicht auf lange. Arbeiten wir allesammt tapfer; Statistiken dieser Art und Associationen seien fortan unsre Waffen, bis anderes Geschütz nöthig wird. Die Zeit
kommt, wo das behutsam kritisirende Secirmesser, das chirurgische Operationsbisturi ein Schlachtschwert, ein flammendes Schwert des Erzengels wird; wo die stille Lupe ein Feldherrentelescop; wo die
chemische Probirflüssigkeit zur privilegiumvernichtenden Sturmflut, zur Sündflut für die ganze malthusianische Welt wird, deren Inventarium wir aufzunehmen beschäftigt waren.
Hiermit schließt diese Bilanz Frankreichs. (S. Näheres La Phalange, Dezember 1848.) Ihr Verfasser war unser persönlicher Freund, der eben so geist- als kenntnißreiche junge Mitredakteur der
„Demokratie pacifique“, Bürger Perreymond, dem auch die deutsche Literatur nicht fremd geblieben.
Die Herren vom Parket wollen sich rächen für ihre neuliche Blamage, als die Jury den proudhoschen „Peuple“ frei sprach; sie haben ihn wieder konfiszirt und auf den 3. Januar vor
Gericht bestellt. „Diese dummen Teufel bilden sich ein, dadurch zu siegen, die Sozialreformatoren zu ermüden? Wohlauf, wir nehmen die Parthie an und wollen sehen, wer von uns Beiden zuerst das
Maul hält; ihr schmeißt uns in feste Kerker und brandschatzt uns. Wir werden natürlich just das Nämliche, mindestens das Nämliche, mit euch vornehmen müssen, wenn das Blatt der Weltgeschichte sich
gewendet haben wird. Es ist eine Pinselei, eine Feigheit, eine frevelhafte Großmuth sonder Gleichen gewesen, durch die wir selbst in den Tagen des Frühlings 1848 uns von allen Repressalien und
Repressionen abhalten ließen. Wir haben jetzt die bittern Früchte unseres abgeschmackten Philantropisirens a la Lamartine und Comp. zu verdauen. Wir müssen zur Strafe unserer damaligen Lauheit und
Faulheit mit niederträchtigen Hallunken, die sich Redaktoren von Ordnungsjournalen nennen, mit den Skriblern der von Graf Molé diktirten Assamblée nationale, des Constitutionnel, der Hermine, des
bordeaurer Memorial u. s. w. herumdisputiren, statt daß ein Drohen mit dem Finger bereits hinreichen sollte, jenen vaterlandsverrätherischen Franzosen, die, den großen gallischen Nationalnamen
schändend, mit einem Radetzky und Windischgrätz, mit Jellachich und Wrangel, mit Wellington und Narvaez auf du und du stehen (se tutoyent), den Respekt vor der republikanischen Macht in's
Gedächtniß zurückzurufen … Ei was, unsre werthen Landsleute vom Constitutionnel werden mit größtem Kaltmuth uns niederschießen lassen, nachdem sie dem Morde Blum's bekanntlich Beifall
geklatscht. Und wir Demokraten, denen die deutschen Soldateskachefs und Meister der Lanzenknechte seit 4 Monaten öffentlich europäischen Unterricht im Standrechten mit Pulver und Blei gegeben haben,
wir sollen nicht das Spiel umdrehen und unsererseits pulvern und bleien? (et poudrer et plomber quand notre tour de role sera venu). Die gottbegnadeten Könige langer und kurzer Taille,
dünnen und dicken Bauches, jovialen und brutalen Temperaments, gleichviel, haben seit Jahr und Tag, im tiefsten Frieden Europa's und im kühlen Schatten der Wiener Volksschändungsverträge mehr
ihrer treuen Städte in Belagerungszustand erklärt und zusammengeknallt, als im heftigsten Krieg. Mögen aber unsere dermaligen Würger und Belagerer, die Herren Bourgeois und Königsknechte,
sich's gesagt sein lassen, wir schmettern einst in die Posaune und erklären sie für belagert, entwaffnen die ganze Brut und betrauen das bewaffnete Arbeitervolk mit der
unerbittlichen Handhabung des Belagerungszustandes. Dann ist das Arbeitsvolk zur Arbeitsgewalt, Arbeitsmacht (Force ouvrière) geworden, und dann hat das Prinzip der Arbeit gesiegt; der Müßiggänger,
und sei er ein König und Krösus, wird alsdann verhungern, wenn er nicht vorher dem Volksstandrechte unterlag.“ (Constituant von Toulouse). — Die Demokratie pacifique publizirt ein
Schreiben von Lorenzo Valerio, Redakteur der turiner „Concordia“ und Kammermitglied, worin es heißt: „Erlauben Sie der Concordia wenigstens einen kleinen Beitrag zu Robert
Blum's Ehrendenkmale Ihnen einzusenden; leider verstattet die ungeheure Anstrengung Italiens in diesem Augenblick nicht mehr zu thun. Wir senden 25 Franken.“ Die Freude der Volksfeinde
über den Tagesbefehl Radetzky's: „er werde nach zwei Treffen mit seinen Kroaten an die Thore Turins klopfen,“ ist groß und innig; desgleichen ihr Verdruß über gewisse in die
Departementalpresse übergegangene Artikel der „Neuen Rheinischen Zeitung“ über Frankreichs gegenwärtige Situation.
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Paris, 14. Januar.
Bey Callimachi überreichte gesten dem Präsidenten der Republik die Papiere, welche ihn als ausserordentlichen bevollmächtigten Gesandten der Pforte bevollmächtigen.
— Der Moniteur veröffentlicht heute die Liste aller Personen, welche sich im Laufe des vierten Trimesters 1848 durch eine tapfere Handlung ausgezeichnet haben. Minister Leon Faucher schlägt
dem Präsidenten der Republik vor, diesen Braven die Ehren- oder sogenannte Rettungs-Medaille zu verleihen. Diese Liste füllt drei Seiten.
— Das Bedürfniß, den öffenttichen Geist zu kennen und auf ihn zu wirken, veranlaßt den Präsidenten der Republik, das mit Cavaignac eingegangene Büreau de l'Esprit Public wieder
herzustellen. Dasselbe wird jedoch nicht im Ministerium des Innern, sondern im Elysée National selbst angelegt.
— Wir sprachen gestern von den Versuchen, die Auflösungsdebatte in die Länge zu ziehen. Als solche Versuche können folgende Amendements betrachtet werden:
1) Wolowski, Fr. Lasheyrie
und Gerard beantragen: „Artikel I. Die legislative Kammer wird für den 10. April 1849 zusammengerufen. Die Mandate der Nationalversammlung erlöschen an diesem Tage. Artikel II. Die Wahlen für
Ernennung der 750 Glieder jener Kammer sollen am 25. März 1849 statthaben.
2) Dabaur (Haute-Garonne) verlangt die Abschaffung des Gesetzes vom 15. Dezember 1848, das die zehn organischen Gesetze aufzählt, welche sich die Nationalversammlung zu berathen noch vorgenommen
hatte. Sie solle nur das Wahlgesetz berathen und dann unmittelbar die neue Kammer einrufen. Dieser Dabaur ist einer der vollblutigsten Legitimisten, welchen uns die spanische Gränze in die
Nationalversammlung schickte.
3) Endlich liegen noch die Bixio'schen und Pagnerre'schen Anträge vor.
— Die Ersatzwahlen für die Nationalversammlung, welche in mehreren Departements vorgenommen werden mußten, sind eigenthümlich ausgefallen. Im Indredepartement z. B. wurde der berüchtigte
Marquis Barbancois an Bethmont's Stelle gewählt. Dieser Barbancois ist einer der reichsten Grundbesitzer jener Gegend, und wurde durch die Schlauheit berüchtigt, mit welcher er die Flucht des
Don Carlos aus Bourges bewerkstelligte. Er ist ein Stocklegitimist. Der Oberrhein hat uns dagegen einen rothen Republikaner, Fawetier, zugeschickt. Die Manche hat den Bonapartisten Napoleon Darn zu
ihrem Vertreter gewählt.
— Der „Constitutionnel“ läugnet, daß eine Ministerkrisis vorhanden. Das Kabinet, meint er, wäre auch dann noch nicht erschüttert worden, selbst wenn sich einige Stimmen
gegen den Rateauschen Antrag ausgesprochen hätten. Hinter der unbesiegbaren Stütze des Nationalwillens seien die Minister jetzt um so unangreifbarer, als sich bei dem ersten Votum über eine wichtige
Frage, wie die Auflösung ist, die Nationalversammlung sogleich der Ansicht des Kabinets beigesellte!
Man sprach gestern an der Börse und im Operngange von der Ausrüstung einer neuen Flotille gegen die Römischen Demokraten. Es hieß sogar schon, die Regierung habe Befehl gegeben, in Toulon für
Civita Vecchia 7 bis 8000 Mann einzuschiffen. Papa Constitutionnel läßt sich in der That folgende Details hierüber schreiben:
Toulon, 8. Jan.
In unserm Hafen ist plötzlich ein Leben und eine Thätigkeit eingetreten, welche gegen die Ruhe der letzten Tage ganz sonderbar absticht.
Die maritimen Behörden haben mittels des Telegraphen Befehl erhalten, die möglichst große Zahl von Segel- und Dampfschiffen zur Abfahrt bereit zu setzen und die diesfälligen Vorbereitungen mit
größtem Nachdruck zu treffen. Schon haben die Fregatten Cacique und Magellan, die Dampfkorvette Katon und der Dämpfer Limone ihre Gesundheitsatteste genommen und warten nur auf den Wink des
Telegraphen.
Dies ist das dritte Mal, seit Frankreich Republik ist, daß unser Hafen ein solches Schauspiel bietet. Dieses Mal lauten aber die Vorschriften viel umfassender als bei den frühern, denn sie
erstrecken sich auf alle Fahrzeuge, welche irgend wie bewaffnet und ausgerüstet werden können. Eilf Dämpfer können, versichert man uns, vor Ablauf der nächsten Woche ins Meer stechen. Sie sind so
eingerichtet, daß sie Infanterie und Kavallerie an Bord nehmen können. Man arbeitet Tag und Nacht. Es fehlt an Matrosen; es werden daher Aushebungen vorgenommen u. s. w.
10 Uhr Abends. Die Magazin-Verwaltungen erhalten so eben Befehl, die ganze Nacht hindurch offen zu halten. Die Fahrzeuge setzen sich in der Rhede in Bewegung. Man erwartet von einem Augenblick zum
andern die Ankunft einer wichtigen Person, welche die Regierung zum Pabst nach Gaeta sende etc.
Der Marseiller Nouvelliste vom 10. Januar sagt in einem Postscriptum:
Wir können aus bester Quelle versichern, daß eine telegraphische Depesche dem Seepräfekten in Toulon die sofortige Ausrüstung von 11 Dämpfern vorschrieb. Bald nach dem Eingang jener Depesche
heitzte die Dampfkorvette Solon und fuhr nach Gaeta mit einer geheimen Mission an den Pabst ab.
Obgleich über diese Ausrüstungen noch ein Geheimniß schwebt, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß sie nur in Aussicht auf eine Intervention in den Kirchenstaaten geschehen. Wir erfahren aus
einer Quelle, welche unser vollkommenes Vertrauen verdient, daß der Pabst zu diesem, ihm von den Großmächten längst gemachten Vorschlage seine Zustimmung endlich gegeben hat. Man weiß nur noch nicht
den Antheil zu bestimmen, den jede der andern Großmächte bei dieser Intervention zu nehmen übernommen; doch sagt man uns so viel, daß sie alle wenigstens diplomatisch die Intervention unterstützen
werden. Wir erwarten hier in Marseille einen Theil jener Fahrzeuge, um die Mollièresche Brigade einzuschiffen.“
Hier in Paris schüttelt man zu diesen maritimen Hiobsposten sehr bedenklich die Köpfe.
Thatsache ist, daß die Kardinäle von Cambrai und Bourges zum Pabst abgereist sind, um ihm die Erklärung zu bringen, daß es das Bonaparte'sche Ministerium sehr gerne sehen würde, wenn der
Pabst eine Reise nach Frankreich machte.
Dieses zeigt uns das Univers an.
— Die Journalpolemik ist null. Bemerkenswerth ist das tägliche Steigen der Zahl der Brief- und Drucksachen-Expedition seit dem niedrigen Porto.
— Die Nationalversammlung hat morgen zur Erneuerungswahl ihrer Präsidenten zu schreiten.
— General Pelet geht mit einer Spezialmission nach Turin.