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] Paris, 10. Januar.
Lesenswerth ist die Fortsetzung der Charles Dupin'schen Vorträge im Kunst- und Gewerbe-Conservatorium über Statistik. Darin heißt es unter Anderem:
„Das Volk von Paris trug in dem sehr tolerablen Jahre 1846 für 20,602,895 Frk. Kleiderpfänder ins Leihhaus und in dem Hungerjahre 1847 für 20,699,388 Frk., also nur 4 Frk. 68 Centimen von
1000 Frk. mehr. 1846 wurden für 1,737,135 unausgelöseter Pfänder verkauft und 1847 für 1,918,266 Franken.
Im Jahre 1846 betrug die Ein- und Ausfuhr des französischen Handels 2,232,091,258 Frk. und im Jahre 1847 dagegen 2,275,690,496 Frk. Vom Jahre 1848 fehlen die Zahlen.
Auffallend ist das Sinken der Preise für die Rohstoffe, welche Paris für seine Luxusartikel vom Ausland bezieht. Die Cochenille ist um 10 Prozent, die Steinkohle um 20, Indigo um 22, Blei um 32,
Zink um 34, Zinn um 36, rohe Schaafwolle um 45, Gußeisen um 49, Kupfer um 50, Mahagoniholz um 82 Prozent gefallen, was von der verminderten Produktion (schwächeren Nachfrage) herkömmt. Im gleichen
Verhältniß sanken die Eskomptirungen an der Bank. Im März 1848 zahlte sie 145 Millionen, im Mai 121 Mill, im Juni 117 Mill., im August 92 Mill., im September 88 Mill, im Oktober 71 und im December 59
Millionen Franken aus. Vom März bis December entzog also die Bank dem Handel 57 Prozent ihrer Kapitalshilfe und eben so viel beträgt die Abnahme des Bedarfs an Rohstoffen in den Arbeitsvierteln der
Faubourg St. Denis, St. Martin und St. Antoine.
Herr Dupin (junior) schreibt den größten Theil des über die Pariser Fabrikation gekommenen Unglücks (natürlich) der Observationsarmee zu, welche an den Marken der Pariser Industrie unter den Titel
„Nationalhandwerkstätten“ lagerte und von 5000 Arbeitern am 15. März auf 117000 Faullenzer bis zum 1. Mai schwoll und wöchentlich Eine Million Franken verschlang, während der eigentliche
Hilfsbedürftige der Stadt vergebens an die Pforten der Mairieämter klopfte.“ Schließlich schleudert er einige Donnerkeile gegen die modernen Satane (Sozialisten und Kommunisten), welche den
Saamen der Zwietracht zwischen Arbeiter und Meister gesäet hätten. Sie predigten: „Man müsse den Profit des Meisters aufheben, dann würde man das Schicksal des Arbeiters bessern. (Verblendung.)
Vor zwei Jahren brauchte der Arbeiter nur 40 Cent. Brodzulage zu verlangen, heute stehen dieselben Werkstätten still und er kann nicht einmal die 28 Cent. auftreiben, welche das Brod kostet. Der
Stadtrath muß einem Drittel der Pariser Bevölkerung das Brod kaufen, weil er keine Arbeit hat. Das ist die „immense Le[unleserlicher Text]on“, die Paris von den sogenannten Arbeitsorganisatoren
erhalten.“ Ergötzlich ist endlich die Schadenfreude, mit der Herr Dupin inzwischen ausruft: „Glücklicherweise verliert England seit unseren Desastern und der europäischen Erschütterung
100 Millionen Franken an seinem bisherigen Absatz nach dem Continent. (Folgen die diesfälligen Waarenartikel.) „Diesen Verlust mag es als Lehrgeld betrachten, den es dem französischen
sozialistischen Genie zahlt. Der englische Kapitalist und Arbeiter sind zu einsichtsvoll und überlegt (intelligents et refléchis) um nicht zu begreifen, daß man die Subsistenz des Arbeiters
vernichtet, wenn man die Opulenz und Securität des Käufers zerstört. Tant mieux pour la paix du travail et la félicité du monde!“
— Die Syndikatskammer der sämmtlichen Pariser Bäckermeister hat beim Präsidenten Bonaparte um eine Audienz nachgesucht und auch erhalten.
— Heute marschiren wiederholt Truppen an die Barrieren. Es scheint, eine zweite Auflage der Wein Emeute ist im Anzuge.
— Thiers führte gestern bei der Falloux'schen Schulkommission den Vorsitz im Universitätssaal.
— Die Pariser Anklagekammer des Appellationshofes hat gestern ihre Berathungen über die Maigefangenen in Vincennes geschlossen. Ihre Conclusionen sind jedoch noch ein Geheimniß.
— Die Nationalversammlung, die sich heute mit dem Assistenzgesetz beschäftigt, das den Almosen zum Staatsrecht erhebt, verspricht für übermorgen eine stürmische Sitzung. Sie wird darin
nämlich den Rateauschen Antrag über Auflösung der Nationalversammlung diskutiren.
— An den Straßenecken fordern elegant gedruckte kolossale Affichen mit der Ueberschrift: „Auf! Auf! nach den Goldminen!“ zur Ueberfahrt nach Californien auf. Die Rheder in
Havre haben hiefür ein appartes Büreau bei Hrn. Ferdinand de Courseulles in der Rue de Provence Nro. 60 errichtet, wo alle Goldgierigen sich von Mittags 12 bis 2 Uhr einfinden sollen, um gegen gutes
Geld eingeschrieben zu werden.
— Ricci, den man als gänzlich in Ungnade gefallen nach Turin zurückkehren ließ, geht als Vertreter Sardiniens zu den Conferenzen nach Brüssel.
— Arago in Berlin und Leflo in Petersburg haben, hört man, auf baldige Ersetzung angetragen.
— Francois Bouvet, der jüngst die Brüsseler Friedens-Farce präsidirte, hat bei der Nationalversammlung den Antrag gestellt, einen allgemeinen Congreß am 1. Mai 1849 in Konstantinopel
zusammenzurufen, wo man über die Mittel berathen wolle, die stehenden Heere abzuschaffen.
— Gestern stand Simon Bernard, heute Vasbenter (vom Peuple) vor den Assissen. Die Verurtheilungen, obgleich gelind, folgen Schlag auf Schlag auf einander.
— Morgen wird uns der Moniteur für seine heutige Leere entschädigen und uns ein ganzes Heer vor neuen Präfekten und Unterpräfekten bringen.
— Reynal (vom Berg) wäre heute früh beinahe von einer Hyäne in Stücke zerrissen worden. Dieser junge Deputirte hatte nämlich eine dieser Afrikanerinnen wie einen Hund erzogen, das Thier war
ganz zahm geworden, scheint aber in einem Anfall von Wuth sich gegen das Gesicht seines Herren beim Frühstück gestürtzt zu haben. Die Beschädigungen sind indeß wie man hört nicht gefährlich und der
Unvorsichtige wird wohl mit einigen Beißnarben davon kommen.
— Das reaktionäre Blatt L'Opinion publique behauptet, daß Marrast auf den Austritt Fallour's etc. und den Eintritt Dufaure's, Lamoriciére's, Vivien's und
Cremieux's ins Kabinet dringe.
— National-Versammlung. Sitzung vom 10. Januar. Anfang 2 1/4 Uhr. Präsident Marrast. Viel Zerstreuung im Saale.
Deludre macht bemerklich, man solle doch den Artikel 20 des Reglements befolgen. (Adhesion).
Ein Deputirter überreicht eine Petition von der Goldküste, welche die Droits reunis nicht mehr bezahlen will. (Heiterkeit).
An der Tagesordnung sind neue 67,078 Fr. für das Kultusministerium pro 1849 und 1850, deren Berathung ohne alles Interesse.
Marrast: Wollen Sie, daß ich die neuen Bestimmungen der Geschäftsordnung anwende, welche Abstimmung durch Stimmzettel über die Gesammtheit der Gesetze vorschreibt. (Ja, ja! Nein!)
Dies geschieht. Der Kredit wird von 620 gegen 3 genehmigt.
Bravard Verriere stattet über die zur nochmaligen Prüfung überwiesenen neuen Bestimmungen der Geschaftsordnung Bericht.
Marrast bestimmt, daß das Ausschußgutachten morgen diskutirt werde.
Die Versammlung geht zur eigentlichen Tagesordnung (Assistenzgesetz) über, aus welchem wir neulich Auszüge nach dem Moniteur bereits brachten
Frichon, Berichterstatter, giebt die Geschichte des Gesetzvorschlags zum Besten, als dessen Urheber er Hrn. Dufaure bezeichnet.
Dufaure gesteht nur zu, die Grundzüge entworfen zu haben. Nach der Februarrevolution ward eine Staatsassistenz nöthig. Er habe die Grundsätze dafür aufgestellt. Man solle nur über diese
diskutiren und den Modus der Ausfuhrung dem Staatsrathe überlassen. Administrativ-Reglementsbestimmungen sei nicht Sache der National-Versammlung.
Frichon erwiedert einige Worte, worauf die Versammlung die Generaldebatte schließt, und sogleich zur artikelweisen Berathung des Entwurfs schreitet
Artikel 1 (von der Organisation des Armen- und Krankenwesens in Paris) wird stark debattirt.
Buchez, Besnordt, Repellin, Gillon, Dufaure und viele Andere stellen eine Menge Zusätze zum Artikel 1, nach deren Erledigung Artikel 1 endlich durchgeht.
Artikel 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8 gehen rasch hinter einander durch.
Marrast läßt über das Gesammtgesetz abstimmen.
Dasselbe wird genehmigt.
Die Staatsalmosengeberei wäre somit geregelt. Allelujah!
Jetzt giebt es eine Scandalgeschichte.
Laussedat verlangt nämlich das Wort, um den Unterrichtsminister wegen gewisser Universitätsprofessorenumtriebe zur Rede zu stellen. Bouillaud, von der medizinischen Fakultät, sei abgesetzt
worden, weil er den großen Chemiker Orfila als einen Betrüger entlarvt habe. Der Staat zahle nämlich bedeutende Gelder an diesen Professor für Experimente u. s. w. und da habe es sich herausgestellt,
daß Hr. Orfila die Bagatelle von 28,443 Fr. unterschlagen.
Trousseau, Freund des Angeklagten, will die Existenz dieses Defizits zwar nicht leugnen, sucht aber zu beweisen, daß Orfila diese Gelder zu andern wissenschaftlichen Zwecken verwand habe.
(Oh! Oh!)
Auch Falloux vertheidigt ihn.
Deslongrais aber nennt dieses Betragen ein Falsum und erregt durch seine berühmte Heftigkeit großen Lärm.
Tresneau, Ex-Kultus- und Unterrichtsminister, der den Papst in Marseille empfangen sollte, rechtfertigt den Angeklagten vom Vorwufe des Betrugs und sagt, der Administration der betreffenden
Fonds sei eine Ruge zugegangen. Man solle sich damit begnügen. (Ja, ja! Nein, nein!)
Die Tagesordnung wird ausgesprochen. Hr. Orfila, der Dynastiker, wird als ehrlicher Mann erklart.
Die Sitzung wird um 6 1/2 Uhr geschlossen.