Deutschland.
@xml:id | #ar192_001 |
@type | jArticle |
@facs | 1037 |
[
*
] Köln, 10. Jan.
Der Oberlandesgerichtsrath Rintelen (zu Paderborn) hat der Redaction der „Neuen Rheinischen Zeitung“ die unten nachfolgende „Entgegnung“ zugesandt mit der
„ergebensten Bitte“, sie in die „nächste“ Nummer aufzunehmen und derselben „den Platz anzuweisen, an welchem sich der angreifende Artikel befunden hat“, alles
unter „Bezug auf das Gesetz über die Presse vom 17. März 1848 u. s. w. Wir weisen dem Artikel des Hrn. Rintelen einen noch höhern Rang an, als den beanspruchten. A tout seigneur toute honneur.
Keineswegs halten wir uns aber zur Aufnahme der ganzen Entgegnung verpflichtet. Das Gesetz verpflichtet die Presse nur zur Aufnahme thatsächlicher Erwiderungen, keineswegs aber dazu, ihre Spalten mit
Grobheiten gegen ihren eigene Korrespondenten oder mit pathetischen Ergießungen ihrer Gegner anzufüllen. Wenn wir demnach die „Entgegnung“ des Herrn Rintelen in ihrer Vollständigkeit
geben, so geschieht es nur, weil wir vergeblich nach dem Theile gesucht, der eine thatsächliche Wiederlegung enthielte und daher dem Publikum überlassen müssen, sie selbst herauszufinden.
Der Brief des Herrn Rinteln an die Redaktion schließt mit den Worten:
„Gleichzeitig bitte ich, den Einsender des erwähnten Artikels mir zu nennen: widrigenfalls ich eine wohllöbliche Redaktion dafür verantwortlich machen müßte.“
In seiner „Entgegnung“ selbst erklärt Hr. Rintelen, persönlich stelle ihn die durch den angreifenden Artikel hervorgerufene allgemeine Indignation vollständig zufrieden.
Antworte er öffentlich, so geschehe es nur aus Pietätsrücksichten. Mit keinem Worte deutet er dem Publikum auch nur entfernt an, daß er gerichtliche oder sonstige Verfolgungen gegen den
tief verachteten „Anonymus“ beabsichtigt. Die Redaktion appellirt daher von dem Privatbriefe des Hrn. Rintelen an seinen öffentlichen Brief und macht die Namensnennung von dem
Gutdünken ihres Korrespondenten abhängig.
Nun das besagte Aktenstück:
Entgegnung.
In Nr. 185 der Neuen Rheinischen Zeitung vom 3. Januar d. J. ist in einem Artikel, bezeichnet: „ Aus Westphalen, 30. Dezember“, der Name Rintelen auf eine hämische Weise zu
verdächtigen gesucht. Der Unterzeichnete, welcher diesen Namen mit Ehren zu tragen sich rühmen darf, würde eine derartige Schmähung eines Anonymus auf ihrem Unwerthe beruhen lassen, und eine
vollkommen ausreichende Genugthuung in der allgemeinen Indignation erblicken, welche dieser Artikel überall da hervorgerufen hat, wo die Mitglieder der Familie Rinteln näher gekannt sind, wenn nicht
diese Schmähschrift hauptsächlich durch Verdächtigung der Integrität des verstorbenen Vaters desselben, des vormaligen Konservateurs Rintelen, zu begründen gesucht wäre, und also nicht Rücksichten der
Pietät ihn gezwungen, in dieser Beziehung derselben öffentlich entgegen zu treten, und solche als boshafte Verläumdung mit Entrüstung zurückzuweisen. Die Todten zu beschimpfen ist nicht die Sache
eines Mannes von Ehre: de mortuis nil nisi bene. Sie mit Hülfe von Lügen unter dem Schutze der Anonymität zu verdächtigen, ist — ich überlasse es dem geehrten Leser, den passenden Ausdruck
dafür zu finden. Es ist aber eine grobe Entstellung der Wahrheit, und hierin bekundet sich eben das hämische, wie das besonders verdächtigende, daß der verstorbene Konservateur Rintelen bei dem Grafen
Bocholz als General-Rentmeister in Dienste gestanden habe. Wohl war er dessen General-Mandatar: eine Kasse hat er aber nie für denselben zu verwalten gehabt. In welcher Weise derselbe
sein Mandat geführt hat, das kann Jeder, welchem daran gelegen, bei dem jetzt in Münster wohnenden Grafen von Bocholz ganz genau erfahren.
Paderborn, den 8. Januar 1849.
Rintelen, Oberlandesgerichtsrath.
@xml:id | #ar192_002 |
@type | jArticle |
@facs | 1037 |
[
19
] Köln, 8. Jan.
Vor einiger Zeit berichteten wir de dato Paris, wie die Frankfurter Flüchtlinge in Straßburg, Metz u. a. O. durch die Fürsorge deutsch-jüdischer Polizeispione gefangen gesetzt, geschubt und theils
sogar mit Auslieferung an die deutsche hoch- und nothpeinliche Gerechtigkeit bedroht wurden. Heute können wir die erfreuliche Mittheilung machen, daß nicht allein die honette Republik wie das komische
Musterland des Coburgers, sondern auch die interessante Bourgeois-Polizei Altenglands den Agenten des Herzogs Johann ohne Land freundlichst unter die Arme greift.
Friedrich Wiedecker, Tapetendrucker, verfolgt wegen Theilnahme an der Frankfurter Insurrektion und „Ermordung“ des heiligen Lychnowski, wurde in Straßburg auf Denunciation von drei
deutschen Juden verhaftet, durch das energische Auftreten des Kommandanten der Nationalgarde, Schützenberger, der angedrohten Auslieferung entzogen, und mit einem Zwangspaß über Metz spedirt, wo ihm
abermals zwei deutsche Juden den Aufenthalt abkürzen halfen. Von Paris gelangte er durch die Hülfe der deutschen Demokraten nach London. Die Chartisten und deutschen Kommunisten verschafften ihm
Arbeit in einer Fabrik, und der Reichsverräther würde das Glück, ein Deutscher zu sein, sehr bald verschmerzt haben, wenn ihn nicht unverhofft die Londoner Constabler daran erinnert hätten. Wiedecker
wohnte bei einem Deutschen, dem Arbeiter H. Bauer, dessen Name auch in Deutschland durch die „kommunistischen Forderungen“ bekannt geworden ist. Eines schönen Morgens erschien ein
Frankfurter Jude, Schmidt oder Schmitz, in Bauer's Wohnung, um Arbeit zu bestellen, und fragte bei dieser Gelegenheit nach dem Flüchtling Wiedecker. Bauer hatte keine Veranlassung, dem
Neugierigen die gewünschte Auskunft zu geben; der Frankfurter Jude indeß zog drei, auf der Londoner Post konfiscirte Briefe (zwei von Windecker nach dem Auslande bestimmte, einen aus der
Schweiz für ihn angekommenen) aus der Tasche, stellte sich als „ordentlichen Polizeiagenten“ vor, und erklärte, daß alles Verleugnen Wiedecker's vor dem angeborenen
Polizei-Instinkt deutsch-jüdischer Reichsspürhunde vergebens sei. Den interassanten Ueberführungsstücken gegenüber leugnete Bauer die Anwesenheit Wiedecker's nicht weiter, und eine Stunde
darauf erschien ein Sheriff mit zwei Constablern, um Bauer anzuzeigen, daß, wenn sich Wiedecker nach 12 Stunden noch „auf englischem Boden“ befinden ließe, nicht allein er, sondern auch
Bauer mit Frau und Kindern aus dem Lande transportirt werde. Bekanntlich sind die Maigesetze von vorigem Jahre die Antwort auf die Vorstellungen von englischer Bourgeois-Gastfreiheit und
Gesetzlichkeit:
„Kein flüchtig Haupt hat Engelland
Von seiner Schwelle noch gewiesen!“
In Calais traf Wiedecker dieselben deutschen Juden, die ihn in Metz denuncirt hatten, und ihn jetzt nach Paris begleiteten. Die Pariser Demokraten haben ihnen indeß auch diesmals die Spur
verleidet, und Wiedecker in einen Welttheil geschafft, wo den deutschen Polizisten keine andere Ehre, als die summarischste, die Lynchjustiz blühen könnte.
Die deutschen „Unterthanen“ können aus dieser Geschichte eine doppelte Moral ziehen, einmal daß die honette Bourgeoisehre, wie die englische Post beweist, in allen Ländern gleich
beschaffen ist, und dann, daß Baiern, Hannoveraner, Schwaben bloß deshalb zu den neuen Kosten der deutschen Reichsgewalt beisteuern, damit der „preußische“ Gesandte, Ritter
Bunsen, in London billiger zu „deutschen“ Reichsspionen gelange.
@xml:id | #ar192_003 |
@type | jArticle |
@facs | 1037 |
[
*
] Köln, 9. Januar.
Von verschiedenen Seiten kommen uns Klagen zu über die willkürliche Weise, wie die Wählerliste zur ersten Kammer zusammengesetzt wird. Jedenfalls geht aus den uns bekannten Thatsachen so viel
hervor, daß die größte Ungewißheit darüber herrscht, wie die Vorschriften in Betreff des Census zur Anwendung zu bringen seien. So kennen wir vier nebeneinanderliegende Gemeinden, von denen jede ihre
besondere Art, die gedachte Liste zu bilden erlebt hat: In der Einen nahm der Bürgermeister nur die auf, welche 8 Thlr. Klassensteuer zahlen und berücksichtigte die, welche 5000 Thlr. besitzen oder
500 Thlr. Einkommen haben, gar nicht. In der Andern verfuhr der Bürgermeister gerade so, nahm aber auch die evangelischen Geistlichen auf, weil, wenn dieselben überhaupt Klassensteuer zahlen
würden, sie gewiß 8 Thlr. zahlen müßten. In der Dritten berief der Bürgermeister den Gemeinderath und fertigte in Gemeinschaft mit demselben nach bestem Wissen die Wählerliste an. In der Vierten
endlich fertigte der Bürgermeister ganz aus eigener Machtvollkommenheit und höherer Einsicht eine Liste derer an, deren Vermögen resp. Einkommen der gesetzlichen Vorschrift ihm zu entsprechen schien.
Alle vier Gemeinden haben das Gemeinsame, daß nirgends die Einsassen selbst befragt worden sind, daß die Bürgermeister auch keine Reklamationen über behauptete Mängel angenommen, sondern die
Beschwerdeführer an die Landräthe verwiesen haben. Uebrigens lauten fast aus allen ländlichen Bezirken die Nachrichten dahin, daß sich die Bauern lieber der Eintragung in diese Liste entziehen, als
daß sie ihre politischen Rechte ausüben wollen. Sie meinen nämlich, es seien preußische Pfiffe im Werke und hinter dieser Ermittelung ihres Vermögens und Einkommens lauere die Steuerhöhung. Die Zahl
der Wahlmänner wird demnach sehr gering ausfallen und das Meusebach'sche Wahlcomite leichtes Spiel haben.
@xml:id | #ar192_004 |
@type | jArticle |
@facs | 1037 |
[
*
] Köln, 9. Jan.
Die Karnevalslust der gottbegnadeten Regierung wird allmählig zur Orgie. Suspensionen, Kriminaluntersuchungen, Einkerkerungen, Vordereitung von Haftsbefehlen en masse: das ist der jetzige
Hauptinhalt preußischer Blätter. Das Suspendiren und Verhaften trifft bereits Leute, die noch vor einigen Monaten für höchst loyal galten. Jetzt ist vor Liebesbeweisen der Kamarilla nur noch sicher,
wer als Royalist von altem Schrot und Korn, d. h. als Anhänger der ganzen bisherigen Staatswirthschaft, der Bevorrechtung und Junkerei in Civil und Militär, auf dem Probirstein der
„Kreuzzeitungen“ und der Vereine mit Gott für König und Kosackenthum für probehaltig befunden wird. Diese Probe hat der Regierungsrath v. Merkel, Sohn des frühern Oberpräsidenten
und bisheriger Bürgerwehr-Oberst in Liegnitz, nicht bestanden, ist daher suspendirt und wird disziplinarisch gemaßregelt. Das Ministerium hat ihn aufgefordert, seine Entlassung zu nehmen. Er hat dies
verweigert. Der Ex-Oberpräsident von Schlesien, Hr. Pinder, der doch als Mitglied der Rechten in der Nationalversammlung zu Berlin und als Verbündeter des Hrn. Baumwollen-Milde das Volk Monate
lang an die Contrerevolution verrathen half, ist ebenfalls vom Ministerium ersucht worden, seine Demission einzureichen: Herr Pinder hat, wie von Merkel, das ministerielle Ansinnen zurückgewiesen.
In Stettin ist der Oberlandesgerichts-Referendar Bredow wegen einer Rede im November, der es an Schwarzweißthum gefehlt, verhaftet und gegen den Abgeordneten Bucher in Stolp die Untersuchung
eingeleitet worden.
Auch die mit einer beträchtlichen Gehaltsreduktion verbundene Verwandlung des Herrn Oberprokurator Zweiffel in den jüngsten Appellationsrath zu Köln ist ein Akt offenbarer Ungnade. Herr Zweiffel
stimmte stets mit der äußersten Rechten der Vereinbarervesammlung. Wir erwähnten aber schon in unsrer Nummer vom 17. November unter Vorwarnung dieser Herrn, daß die „Neue Preußische
Zeitung“ in Zweiffel und Schlink Leute erblicke, die Robespierre weit hinter sich ließen. Die jetzige preußische Regierung beweist Energie, die wir auf jeder Seite anerkennen.
Wie in England beim Wiedereintritt der prosperity in den Fabrikgegenden die Hände und Maschinen kaum auslangen, um der Fluth der Bestellungen zu genügen: so mangelt es in der schönen
prosperity-Zeit, die jetzt für die Contrerevolution angebrochen ist, lediglich an Arbeitern und Arbeitsinstrumenten, wie Gefängnissen etc., um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.
@xml:id | #ar192_005 |
@type | jArticle |
@facs | 1037 |
[
081
] Bonn, 7. Jan.
Vor einigen Wochen brachte das hiesige Wochenblatt, die würdige Theeklatschbase der theuern Kölnerin, einen feinen Artikel, worin unter Anderm gesagt war, „es wäre sonderbar, die Demokraten
wären überall thätig, während ihre Gegner nichts thäten; die Konstitutionellen sollten sich doch einmal rühren!“ Diese Worte scheinen gewirkt zu haben, denn der hiesige konstitutionelle
Bürgerverein hat sich gerührt und am gestrigen Tage, auf Anstiften eines übergegangenen Demokraten, Hermann Hirsch geheißen, Leute aus seiner Mitte „zur Besprechung der Wahlen“ nach
Siegburg gesandt, wo schon vorher deshalb eine Volksversammlung angesagt war. Es gelang ihnen wirklich, zwölf Mann, darunter Prof. Hälschner, Dr. Grimm, die Studenten Hirsch, Walesky u. A. dahin
entsenden zu können. Die Herren hatten so vortrefflich ihre (theilweise niedergeschriebenen) Reden studirt, daß sie sicher dachten, weil sie allein da wären, hätten sie auch allein Recht. Aber der
Mensch denkt und Gott lenkt. Vorab waren die Siegburger nicht sehr neugierig, denn die Versammlung, welche um 1 Uhr anfangen sollte, war bei ihrer Eröffnung um 1/2 3 mit Einschluß der zwölf Bonner
Apostel kaum 30 Mann stark.
[1038]
Prof. Hälschner setzte nun weit und breit auseinander, wie man vor Allem an der Verfassung festhalten müsse, die man allenfalls noch etwas verbessern (d. h. auf gut Deutsch verschlimmern) könnte, daß
man dann für die deutsche Einheit sorgen müsse (d. h. indem man überall Uneinigkeiten hervorruft), und daß man endlich auch für die Noth der ärmeren Klasse zu sorgen hätte (d. h. durch Kanonenfutter)
— Alles sehr menschenfreundlich! Mit derselben Wässerigkeit gestand darauf Dr. Grimm ein, daß im Bonner konstitutionellen Verein auch Reaktionärs wären, die Abgeordneten desselben aber seien
trotzdem die Bravsten der Braven. Sie wollten die Leute nicht „beschwätzen,“ sondern sich bloß unterreden und deshalb räth er den Siegburgern, doch ja nicht für die Rechte zu wählen,
denn das seien „Reaktionärs,“ aber auch nicht auf die Linke, denn das seien „Demokraten!“ Die letzteren hätten übrigens weniger zu bedeuten, da ja der größere Theil des
Volkes aus sogenannten Geldsäcken bestehe; das Proletariat sei nur ein unbedeutender Bestandtheil desselben. So fein und schlau dies berechnet war, wurden diese schönen Lehren dennoch von einem
zufällig anwesenden Bonner Demokraten über den Haufen geworfen, welcher unter den zwölf Aposteln, zum größten Schrecken der Herren, auch einen Judas aufdeckte. Da trat dieser selbst auf, der
Schreckliche, der Gewaltige, Judas-Hirsch kam mit seiner Ueberzeugung, wurde aber, als er im weiteren Verlauf seines pantomimisch-oratorischen Vortrags heraushob, die Demokraten seien an den blutigen
Auftritten zu Paris, Berlin, Wien, sogar an der Flucht des „heiligen Vaters“ Schuld (Judas-Hirsch ist Israelit!), von den inzwischen zahlreicher hinzugekommenen Siegburgern mit Zischen,
Pfeifen und Poltern auf eine Weise zur Ruhe gebracht, daß der Präsident die Versammlung schloß, und Judas-Hirsch in seiner Herzensangst durch's Fenster entsprang, man sagt, er sei in den
„Geißenstall“ gekrochen. Seine Mitapostel fanden es für gut, sich unbemerkt zu entfernen, schlichen auf Feldwegen aus der Stadt, und wollten sogar über die dünne Eisdecke der Sieg
entwischen, sahen sich aber doch endlich genöthigt, den offenen Weg zu wählen. Aber die Siegburger hatten vergessen, die „Herrn“ für ihre Bemühungen zu bezahlen, und daher waren die
Flüchtlinge unterwegs noch einigen handgreiflichen Anfeindungen ausgesetzt, deren Spuren sie vielleicht noch nach einigen Tagen daran erinnern werden:
„Denkst du daran, wie wir in
Siegburg waren?“
Die armen Konstitutionellen!
@xml:id | #ar192_006 |
@type | jArticle |
@facs | 1038 |
[
68
] Neuß, 8. Januar.
Ich beeile mich, Ihnen die Nachricht mitzutheilen, *) daß bei der heute Morgen
stattgefundenen Wahl eines Abgeordneten zum Frankfurter Parlament an die Stelle des ausgetretenen Prof. Dieringer von Bonn, der O.-L.-G.-Präsident Temme gewählt wurde. Darf man nicht diese Ersatzwahl
für einen Dieringer eine höchst merkwürdige nennen? Ja, die Wahlmänner wollen auch eine Adresse an ihn richten, worin sie ihn ihrer besondern Sympathien versichern. Sie sehen, daß die Macht der
liberalen Ideen endlich auch hier durchzudringen beginnt, trotz der vielen Hemmschuhe, die man hier von der andern Seite anzulegen versucht. Auch für die Wahlen nach Berlin macht man hier von beiden
Seiten viele Anstrengungen. Während die liberale, demokratische Partei ihre ganze Agitation wie immer offen und ehrlich treibt, arbeitet die andere Seite mit allen möglichen Verdächtigungen,
Schmähartikeln etc., ohne sich indeß bis heute eines besondern Erfolges erfreuen zu können.
@xml:id | #ar192_007 |
@type | jArticle |
@facs | 1038 |
[
68
] Münster, 9. Jan.
Auf das Schreiben des Hrn. Temme antwortet Justizminister Rintelen, indem er auf seine Verfügung vom 31. Dez. verweist, wonach Temme sich mit seinen Beschwerden nach Paderborn zu wenden habe.
Unsere Komödie tritt in ein neues Stadium. Es werden an allen möglichen Orten, Dülmen, Soest, Dortmund etc. Untersuchungen angestellt gegen die „Verschwörer,“ um die Geschichte
gemüthlich lang zu ziehen.
@xml:id | #ar192_008 |
@type | jArticle |
@facs | 1038 |
[
103
] Berlin, 6. Januar.
Wenn ich Ihrem Leserkreis und den zahlreichen Freunden Temme's hiermit dessen zweites Schreiben übergebe, so geschieht dies auch deshalb, um dann die Antwort des Ministers hierauf damit zu
vergleichen.
Euer Excellenz
muß ich leider eine neue Beschwerde über den Kriminalsenat des hiesigen Ober-Landesgerichts vortragen.
Derselbe hat mir heute durch den Inquirenten eröffnen lassen, zuerst: daß er durch Beschluß vom 30. Dezember auch wegen Theilnahme an dem sogenannten Steuerverweigerungsbeschluß der
National-Versammlung mich zur Untersuchung gezogen; so dann, daß er durch Beschluß vom 23 Dezember von meinem richterlichen Amte mich suspendirt habe.
Der erste Beschluß kann nach der mir unterdeß gewordenen Verfügung Ew Excellenz vom 31. Dezember kein Gegenstand der Beschwerde weiter für mich sein.
Desto monströser ist der zweite!
Nach der bisherigen Gesetzgebung hätte nicht einmal dem Plenum des Oberlandesgerichts, geschweige dem Kriminalsenate, sondern nur Ew Cxc. das Recht, meine Suspension auszusprechen, zugestanden.
Nach der Verfassungsurkunde vom 5. Dezember v. J, § 86, können Richter nur durch Richterspruch aus Gründen, welche die Gesetze vorgesehen und bestimmt haben, — ihres Amtes entsetzt, zeitweise
enthoben oder unfreiwillig an eine andere Stelle versetzt — werden!
Wie hilft sich nun der Kriminalsenat des hiesigen Ober-Landesgerichts, um seine Zwecke zu erreichen, die um jeden Preis zu erreichen, er sich nun einmal vorgesetzt hat? Er dekretirt unterm 22. die
Einleitung der Untersuchung wegen Hochverrath gegen mich und erläßt dann am 23., gleich am folgenden Tage, eine weitere Verfügung, worin er, „weil er jene Untersuchung gegen mich eingeleitet,
weil ich durch das mir angeschuldigte Verbrechen meine Amtswürde kompromittirt und weil zu den Strafen dieses Verbrechens die Kassation gehöre,“ gegen mich ausspricht: „daß ich wähend
der Untersuchung vom Amte suspendirt werde.“ Diese Verfügung nennt er einen „richterlichen Spruch,“ diesen „richterlichen Spruch“ erläßt er, ohne auch nur
über die mir gemachten Beschuldigungen oder sonst über etwas mich gehört zu haben.
In der That, ich weiß nicht, ob man mehr über die Verfolgungssucht oder die richterliche Unfähigkeit dieses Kollegiums erstaunen soll.
Daß dieser „richterliche Spruch“ als ein richterliches Erkenntniß in keiner Weise betrachtet werden kann, ist keine Frage; denn ein Erkenntniß kann nur nachdem der zu Verurtheilende
gehört worden, aus geschlossenen Akten erfolgen. Ich war aber gar nicht gehört worden. Eben so wenig ist es eine Frage, daß der „Richterspruch“ des § 86 der Verfassung nur ein
richterliches Erkenntniß bedeuten kann. Denn es würde sonst ja der Richter ungehört auch versetzt und selbst kallirt wreden können und der Richterstand, dessen Unabhängigkeit durch die Verfassung
anerkannt und gewährleistet werden soll, würde anstatt dessen der bodenlosesten Willkür Preis gegeben.
Noch weniger genügt der Beschluß des Kriminalsenats der Anforderung des § 86 der Verfassung, nach welcher die Suspension nur aus Gründen, welche die Gesetze vorgesehen und bestimmt haben, erkannt
werden darf. Die von dem Kriminalsenat angeführten Gründe mögen in Ministerial-Instruktionen ausgesprochen sein, in einem Gesetze sind sie aber nicht enthalten. Namentlich weiß auch die
Kriminalordnung nichts von ihnen und das Gesetz vom 29. März 1844 gilt nicht mehr für richterliche Beamte.
Jener sogenannte „richterliche Spruch“ ist indeß in Wahrheit nichts als eine einfache gerichtliche Verwaltungsmaßregel, gegen die ein prozessualisches Rechtsmittel nicht ergriffen
werden kann, eben weil es dazu an einem Gegenstande, nämlich an einem auf den Grund von ordentlichen Prozeßverhandlungen erlassenen Erkenntnisse fehlt.
Als Verwaltungsmaßregel ist er völlig ungerechtfertigt. Einmal hätte diese nur von Ew. Excellenz getroffen werden können. Zum andern gestattet gegenwärtig die Verfügung sie nicht mehr.
Abgesehen hiervon, ist er materiell nicht begründet. Dies ergiebt meine Beschwerde vom 30. v. M., auf welche ich mich hier lediglich beziehen kann.
Jedenfalls sind nur Ew. Excellenz die Behörde, welche eine solche nach allen Seiten hin ungerechtfertigte und ungerechte Maßregel wieder aufheben kann. Ich wende mich demnach mit dem gehorsamsten
Antrage an Sie:
auch hier Gerechtigkeit zu üben und die von dem Kriminalsenat gegen mich verfügte Amtssuspension aufzuheben!
Eine Abschrift dieses Suspensionsbeschlusses kann Ew. Excellenz ich nicht überreichen; die Mittheilung derselben ist mir verweigert worden.
Münster, am 3. Januar 1849.
(gez) Temme.
Die Antwort des Ministers morgen.
@xml:id | #ar192_009 |
@type | jArticle |
@facs | 1038 |
[
68
] Berlin, 7. Jan.
Wir sind in den Stand gesetzt, nachstehend zwei interessante Beiträge zur Geschichte der unablässig wühlenden Thätigkeit der reaktionären Partei in Wahlangelegenheiten zu liefern.
Das erste der beiden Dokumente, die uns vorliegen, heißt:
„Enthüllung der Wahloperationen der Demokraten;“ es datirt vom 3. d. Mts. und geht von einem (nur figurieten) „Verein zur Wahrung der Interessen der Provinzen“
aus, und bringt eine angebliche Darstellung der Organisation der demokratischen Partei behufs der Wahlen. Das Bestreben, diese im radikalen Sinn zu bewerkstelligen, wird als ein Bestreben bezeichnet,
„die alte Anarchie wieder zu erneuern.“ Es wird alsdann erzählt, daß die republikanische Partei, als die Festigkeit der Mitglieder der Rechten und des rechten Centrums und das kräftige
Einschreiten der Regierung ihr gezeigt hatte, daß für den Augenblick ihrem unmittelbarem Wirken in Berlin kein Feld geblieben sei, beschlossen, aus ihrer Mitte nur einen Central-Wahlausschuß
zurückzulassen und werden die Abg. Waldeck, Jung, v. Unruh, Rodbertus als Mitglieder desselben bezeichnet. Weil diese Namen aber „die Tendenzen der Linken allzusehr an der Stirne
trugen“, mußte „für einen Strohmann“ gesorgt werden. Als solchen bezeichnet das reaktionäre Aktenstück „das Central-Comite für volksthümliche Wahlen.“ Dasselbe sei
nur „der öffentliche Geschäftsführer des im Geheimen wirkenden Central-Ausschusses der Linken „von dem letztern“ — heißt es weiter — „wurden zugleich
Mitglieder seiner Fraktion als Vorstände der Wahlumtriebe in den Provinzen ernannt. Diese Vorstände stehen im direkten Verkehr mit dem Centralausschuß in Berlin und bilden ihrerseits wieder in den
Provinzen Lokalkomites, die von ihnen Instruktionen erhalten.“ Es wird alsdann die Liste dieser Haupt-Agenten in den Provinzen, „die ihrerseits auch wieder gleich dem Centralausschuß
durch Strohmänner vertreten sind“, gegeben. Es sind meist Abgeordnete und finden sich darunter folgende hervorragende Namen: Phillips in Elbing, Kosch in Königsberg, Reut,
Steimmig, Richter, Canonicus; Bauer in Krotoschin, Czieskowski, Stein, Elsner, Bucher, Dehnel, Rodbertus, Gierke, Wachsmuth, Anwandter, Kämpff, Uhlich, Schulze in Wanzleben, Berg,
Arntz, Bredt, Kyll, Esser, Euler, Schornbaum, Schlink.
Man braucht übrigens nur die vielen, dem Centrum entnommenen Namen dieser Liste zu betrachten, um an der Authenticität der ganzen Mittheilung vollkommen gerechtfertigte Zweifel zu hegen.
Es heißt alsdann weiter: „Sobald von der Regierung in einer Provinz die Eintheilung der Wahlbezirke festgestellt ist und die Hauptwahlorte bekannt sind, wird in jedem dieser Wahlorte ein
Comite aus drei Personen niedergesetzt, das wieder einen Agenten in jedem Ort des Wahlkreises hat und für die Uebereinstimmung des ganzen Kreises wirken soll. Die Urwähler werden auf alle mögliche
Weise, namentlich in den Versammlungen bearbeitet, unbedingt bei der Wahl demjenigen Kandidaten als Wahlmann die Stimme zu geben, auf welchen bei den geheimen Vorwahlen die Majorität fällt. Auf diese
Weise soll jede Zersplitterung der Stimmen vermieden werden. Als Kandidaten zu Wahlmännern werden nur solche aufgestellt, welche sich vorher mündlich oder schriftlich verpflichtet haben, dem vom
Hauptprovinzial-Comite aufgestellten demokratischen Kandidaten für die Wahl ihre Stimme zu geben. Die Agitation wird namentlich auf diejenigen Kreise gerichtet, welche zu der vorigen Nat.-Vers.
Abgeordnete der Rechten gewählt haben. Die Hauptkandidaten der Demokratie, deren Wahl in ihren bisherigen Wahlkreisen gesichert ist, treten zugleich in andern Kreisen als Kandidaten auf, um, wenn hier
ihre Wahl durchgeht, in ihrem ersten Kreise einen andern radikalen Kandidaten einschieben zu können. Dies Manöver wird z. B. von Waldeck, Unruh und Andern versucht werden.
Für die Wahlagitation in Berlin hat Hr. Waldeck einen besondern Plan entworfen, der auch bereits in voller Ausführung ist. Danach ist die ganze Stadt in 5 Hauptbezirke getheilt: Königsstadt,
Friedrichsstadt, Louisenstadt, Frankfurter Viertel und Voigtland.
Die Hauptbezirke zerfallen wieder in zahlreiche Unterbezirke. In jedem Unterbezirk ist eine Anzahl demokratischer Agenten und einem jeden eine bestimmte Anzahl Häuser übergeben. Mit den Bewohnern
dieser Häuser hat sich der Agent in Verkehr zu setzen, sie möglichst für die Sache der Demokratie zu bearbeiten und sie namentlich dafür zu gewinnen, die geheimen Versammlungen für die Vorwahlen zu
besuchen. In diesen Versammlungen geschieht dann die eigentliche Bearbeitung in Masse und werden die Besucher derselben schließlich dahin bestimmt, schriftlich sich zu verpflichten, bei der Wahl
demjenigen ihre Stimme zu geben, auf welchen bei den Vorwahlen die Majorität gefallen ist. Diese Bezirkseinrichtung wird auch über die Wahlen hinaus beibehalten, um erforderlichen Falls
Demonstrationen, Adressen etc. im Sinne der Demokratie auf das Schleunigste verbreiten und erwirken zu können.“
„Außerdem werden in die Versammlungen der konservativen Partei zuverlässige im Bezirk wohnende Demokraten eingeschmuggelt, welche sich bis zum letzten Augenblick des Abfalls, ganz mit den
Tendenzen der Conservativen einverstanden erklären sollen, um die Partei selbst auf diese Weise über ihre Stärke zu täuschen.“
Ebenso perfide und zugleich lächerlich ist auch, wenn es als ein „Kunstgriff“ bezeichnet wird, daß das hiesige „Central-Comite für volksthümliche Wahlen im Preuß.
Staate“ seine Ansprachen an die Urwähler bei Jul. Sittenfeld hat drucken lassen, weil diese Buchdruckerei dadurch bekannt ist, daß in derselben während der Zeit der Gefahr nur Schriften
loyalen und guten Inhalts gedruckt wurden.“
Als eine Lüge ferner muß es erklärt werden, wenn erzählt wird, Waldeck habe am 11. Nov. an den Redakteur der Oderzeitung Robert Bürkner in Breslau einen Brief geschrieben,
„worin er diesen auffordert, sobald ihn das Gerücht von einem in Berlin erfolgten Aufstand erreiche, nur sofort durch die Zeitung die Nachricht zu verbreiten, daß die Demokratie in Berlin
gesiegt habe, und die Republik und als Präsident derselben Waldeck ausgerufen sei!“
@xml:id | #ar192_010 |
@type | jArticle |
@facs | 1038 |
[
68
] Berlin, 7. Jan.
Der heutige Publicist, dessen Herausgeber durch seine amtliche Stellung als Criminal-Gerichts-Aktuarius im Stande ist, aus bester Quelle zu schöpfen, entwirft ein sehr schlechtes Bild von
dem Sicherheitszustande der Hauptstadt. „Täglich, ja fast stündlich werden Diebstähle und Verbrechen jeder Art auf die frechste Weise ausgeführt und nur zu selten gelingt es, die Verbrecher zu
ermitteln, noch viel seltener aber, obgleich dies eigentlich die Hauptaufgabe der Polizei sein müßte, wird das gestohlene Gut wieder herbeigeschafft.“ Mit Recht schreibt der Publicist
dieses Ueberhandnehmen der gemeinen Verbrechen der allzugroßen Beschäftigung der Polizeibeamten mit politischen Dingen zu, welche sie abhält, den Verbrechern gegenüber präventive Thätigkeit zu
entfalten. Anderer Seits darf jedoch auch nicht unberührt bleiben, daß die Anzahl der durch Mangel an Beschäftigung und Elend zum äußersten Mittel der Selbsthülfe und Eingriffe in das bürgerliche
Eigenthum Gezwungenen hier täglich zunimmt, und daß für diese unvermeidliche Consequenz unserer ganzen socialen Institutionen die bloße polizeiliche Thätigkeit keine Abhülfe gewähren kann.
Obzwar gestern schon über einen der sogenannten „Aufrührer“ vom 31. Oktbr. v. J. abgeurtheilt worden, dauert doch (laut dem Publicist) die Voruntersuchung gegen Karbe und die
übrigen, vermeintlichen Anstifter der Vorgänge vor dem Schauspielhause noch fort, und wird sobald noch nicht geschlossen werden.
Unsere Leser erinnern sich der von der Neuen Preuß. oder Lügen-Zeitung vielverbreiteten Verläumdung, daß in der Nacht vom 11. bis 12. Nov. in einer Versammlung von Majoren der
Bürgerwehr, der auch Deputirte der Linken beiwohnten, eine Vesper, eine Ermordung der eingerückten Soldaten verabredet ward. Jeder Vernünftige hielt diese Nachricht natürlich nur für eine der
Münchhausenschen Erfindungen, in denen das genannte Blatt eine rühmliche Virtuosität besitzt. Unser Staatsanwalt aber sah hierin einen genügenden Anlaß zur Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung,
in der sich mehrere Zeugen, unter Andern auch der Herausgeber des Publicisten, Gerichts-Aktuarius A. F. Thiele, welcher damals Major des 14. Bürgerwehr-Bataillons und Vorsitzender der in
Rede stehenden Versammlung war, vernommen worden sind. Derselbe sieht sich hiedurch in der heutigen Nummer des Publicisten zu einer Erklärung veranlaßt, die als Beitrag zur Geschichte jener
denkwürdigen Epoche von hohem Interesse ist und der wir nachstehend das Wichtigste entnehmen.
Der Kommandeur Rimpler hatte die Bataillonsführer und die Führer der fliegenden Korps am Abend (des 11. Nov.) versammelt, um ihnen die Mittheilung zu machen, daß die Auflösung und Entwaffnung der
Berliner Bürgerwehr durch eine vom gesammten Staatsministerium gegengezeichnete Ordre des Königs ausgesprochen worden sei und daß er in Folge dessen für seine Person seine Entlassung bereits
eingereicht habe. Sämmtliche anwesende Führer erklärten darauf, daß sie unter solchen Umständen zwar gleichfalls ihre amtlichen Chargen in die Hände des Kommandeurs niederlegten, daß im Uebrigen
jedoch ihre Stellung aus dem Vertrauen ihrer Bataillone hervorgegangen sei, daß sie es mithin für eine Feigheit und für einen Verrath an diesem Vertrauen erachten müßten, wenn sie nun sogleich sich
gänzlich zurückzögen und die Mannschaften allein ihrem Grimme und ihrer Auflösung und Aufregung überließen. Es wurde deshalb einstimmig für gut befunden, die Sitzung fortzusetzen und da Hr. Rimpler
den Vorsitz zu übernehmen sich entschieden weigerte, so wurde Thiele durch Akklamation zum Vorsitzenden berufen. Das Resultat der nun stattfindenden Debatte war:
1) sämmtliche Bataillone
und fliegenden Korps sofort zu versammeln und ihnen von der angeordneten Auflösung und Entwaffnung Kenntniß zu geben;
2) demnächst um 12 Uhr Nachts wieder zusammen zu kommen, um sich die Beschlüsse und Ansichten der Bataillone über die Entwaffnung gegenseitig mitzutheilen, damit man daraus erfahre, wie die Majorität
der Bürgerwehr sich zu verhalten gedenke.
Dies war der Zweck der nächtlichen Versammlung im Café de Bavière, welche gleichfalls unter Thieles Vorsitz gehalten ward, wie dieser keinen Augenblick läugnet. Hier erschienen indessen
nicht nur die Bataillons- und Corps-Commandeurs, sondern auch eine so große Anzahl anderer Personen, daß der Saal bald bis zum Erdrücken angefüllt war. Vergeblich wurden die nicht in jener Eigenschaft
Anwesenden zum Fortgehen aufgefordert; vergeblich auch blieb der Versuch einer Rekognition.
So fand eine mehrstündige, höchst tumultuarische Sitzung statt, der auch fünf Abgeordnete — Waldeck, Berends, D'Ester, Schramm und Reuer — beiwohnten. Es wurden viele Reden
gehalten und es mag, bei der in der Versammlung herrschenden, sehr erklärlilichen Aufregung auch wohl manches hitzige Wort gesprochen worden sein, das für das Ohr eines Denunzianten nicht berechnet
war. Das Ergebniß dieser Debatte war jedoch nur, daß man, in Uebereinstimmung mit den Beschlüssen fast aller Bataillone es für unehrenhaft für die Berliner Bürgerwehr hielt, jetzt auf die erste
Aufforderung „freiwillig“ die ihr anvertraute Waffe wiederzugeben, nachdem sie acht Monate lang im Dienste der Ordnung und Sicherheit die größten Opfer gebracht hatte, namentlich während
der letzten Wochen fast nicht aus den Kleidern gekommen war. In diesem Bewußtsein der in vollem Maße gethanen Schuldigkeit erschien die befohlene Entwaffnung mit der Ehre des Mannes nur dann
verträglich, wenn er der unwiderstehlichen Gewalt sich fügte. Aus diesen Gründen war man auch der Ansicht, daß die Bürgerwehr zuvörderst die durch General Wrangel angedrohten Zwangsmaßregeln zu
erwarten habe, und unter diesem Ausspruche trennte man sich.
„Wahrscheinlich mußten aber in der Versammlung Spione sich befunden haben, die aus einzelnen, vielleicht in der Aufregung hingeworfenen Worten eine Denunciation wegen Aufruhrs, Hochverraths,
oder der Himmel weiß was zusammengestoppelt haben.“ Thiele erwähnt nun die oben berührte Lüge der N. Pr. Ztg. betreffs einer sicilianischen Vesper gegen die eingerückten Soldaten, und
sagt, daß er gegenüber der hinlänglich bekannten Tendenz des denuncirenden und verleumdenden Blattes schweigen konnte, und fährt alsdann fort: „Nachdem aber wegen dieser Angelegenheit eine
gerichtliche Untersuchung eingeleitet worden ist, nachdem ich selbst in dieser Untersuchung als Zeuge vernommen worden bin, und ich aus meiner Vernehmung erfahren habe, daß man jene Versammlung der
Bürgerwehrführer beschuldigt, Beschlüsse dahin gefaßt zu haben: „die bei den Bürgern damals einquartirten Soldaten zu ermorden, gewisse mißliebige Häuser in Brand zu stecken, ferner, daß auch
bereits ein Schlachtplan für einen zu beginnenden Kampf gegen die königlichen Truppen entworfen worden sei, — bin ich es der Wahrheit, meiner eignen und der Ehre meiner Kameraden, wie der oben
genannten Abgeordneten schuldig, die Denunciation der „Neuen Preuß. Ztg.“ und die ihr zum Grunde liegende Quelle entweder für eine hämische und freche Verleumdung oder für die Ausgeburt
eines höchst beschränkten Verstandes zu erklären.“
Wie in der Praxis das Kultusministerium sein eigenes Circular betreffs der Theilnahme der Lehrer an der Entwickelung der politischen Verhältnisse unseres Staates interpretirt; wie dasselbe
namentlich den Satz seines eigenen Cirkulars ehrt, worin es sagt: „für solche persönliche Meinungen und Ueberzeugungen, und die Aeußerung derselben auf dem Gebiete der allgemeinen gesetzlichen
Freiheit, also außerhalb des besondern Amtes als Lehrer, kann eine „Zurechnung und Verantwortlichkeit auf dem Gebiete der Dienst-Disciplin nicht stattfinden.“ — Dafür
liefert die nachstehende Thatsache, die wir vollständig verbürgen können, einen lehrreichen Beweis. Ein Lehrer an einem hiesigen Gymnasium, seinen Gesinnungen nach Demokrat, der aber politische
Thätigkeit selbst in dem beschränkten Kreis der Bezirksversammlungen nur selten entfaltet hatte, ward dieser Tage im Disciplinarwege zu seinem (reaktionären) Direktor beschieden. Derselbe theilte ihm
mit, das Kultusministerium beabsichtige, ihn seiner Stelle zu entsetzen, weil ja seine Schüler unmöglich Respekt vor ihm haben könnten, wenn sie im elterlichen Hause über ihn als einen Demokraten mit
Verachtung sprechen hörten. Er habe sich also, wenn seine Stelle ihm lieb sei, fortan jeder politischen Thätigkeit zu enthalten.
[1039]
@xml:id | #ar192_011 |
@type | jArticle |
@facs | 1039 |
[
68
] Berlin, 8. Jan.
Das zweite gestern von uns erwähnte reactionäre Flugblatt, das die Demokraten dem Landvolke verdächtigen soll, theilen wir als Curiosum vollständig mit. Der berüchtigte Harkort soll
Verfasser desselben sein. Dasselbe gleicht in Druck und Format ganz den vom Central-Comite für volksthümliche Wahlen im preuß. Staate veröffentlichten Ansprachen, auch deren Ueber- und
Unterschrift.
„An die Wähler auf dem Lande. 1. Demokratische Briefe. — Die neue demokratische Steuervertheilung
Lieber Bruder! Wir haben gestern in unserm demokratischen Hauptvereine über die neue Steuervertheilung berathschlagt und ich säume nicht, Dir unsere desfalsigen Beschlüsse mitzutheilen, damit Du
sie zur Kunde der übrigen geheimen Mitglieder unseres Bundes bringen kannst.
Es stellte sich von vorn herein heraus, daß wir mit den bisherigen Steuern in Zukunft nicht ausreichen werden; wir werden dir Staats-Einnahmen von den 60 Millionen, die sie bisher betrugen, auf 90
Millionen steigern müssen. Bei der Frage: wie dieser Mehrbetrag aufzubringen sei? wurde einstimmig beschlossen:
1) Die Städte mit mehr als 20,000 Einwohnern dürfen nicht höher angezogen werden,
als bisher, weil die demokratische Partei in ihnen ihre wesentliche Unterstützung findet;
2) Der Mehrbetrag von 30 Millionen muß auf die Städte unter 20,000 Einwohnern und auf das platte Land vertheilt werden.
Als die geeignetsten Steuern wurden in dieser Beziehung mit 41 gegen 10 Stimmen angenommen:
a) eine allgemeine Viehsteuer, wie solche auch im demokratischen Frankreich gebräuchlich ist.
— Als vorläufige Sätze wurden festgestellt:
Für 1 Pferd 1 Thlr. jährl. Steuer, |
Für 1 Zugochsen 20 Sgr. jährl. Steuer, |
Für 1 Kuh 15 Sgr. jährl. Steuer, |
Für 1 Schwein 10 Sgr. jährl. Steuer, |
Für 1 Schaf oder Ziege 5 Sgr. jährl. Steuer, |
Für 1 Dutz. Stück Federvieh 5 Sgr. jährl. Steuer |
Wir hoffen auf diese Weise mindestens 15 Millionen vom Ausfall zu decken
b) eine Jagdsteuer für diejenigen Bauern und Grundbesitzer, welche durch Gesetz vom 7. October ohne Entschädigung in
Besitz der Jagdberechtigung gekommen sind.
Man ging von der Annahme aus, daß der Grundbesitzer, wenn er fleißig hinter der Jagd her ist, auf jedem Morgen Landes jährlich, mindestens einen Hasen erbeuten kann; — daß diesem Hasen
mindestens ein Durchschnittswerth von 10 Sgr. beigemessen werden muß, und daß diejenigen, welche nach dem oben angeführten Gesetz ohne Entschädigung in den Besitz der Jagdberechtigung gekommen sind,
also noch 50 pCt. verdienen, wenn man sie mit einer Jagdgrundsteuer von jährlich 5 Sgr. auf den Morgen belegt.
Gegen den Einwand, daß man sich auf diese Weise den größten Theil der Bauern und kleinen Grundbesitzer wieder abgeneigt machen werde, wurde hervorgehoben:
a) daß von der Aufhebung des
Jagdrechtes nur die Bauern und die Grundbesitzer in den kleinen Städten und auf dem Lande einen Nutzen gehabt hätten und daß es gegen das erste Gesetz des demokratischen Staates, gegen die Gleichheit
verstoße, wenn einem Staatsbürger eine Rechtswohlthat zu Theil werde, von welcher der andere keinen Vortheil habe;
b) daß die Bewohner der kleinen Städte und des platten Landes sich trotz der Bevorzugung, welche ihnen von Seiten der Demokraten geworden sei, so wenig erkenntlich gegen sie bewiesen und ihre hohen
Zwecke so wenig mit Geldmitteln unterstützt hätten, daß man weiter hin gar keine Rücksicht auf sie nehmen müsse, sondern daß man, wenn sie nur erst wieder so gewählt hätten, wie sie sollen, die Maske
fallen lassen, und den dummen Teufeln das wahre Gesicht zeigen wolle König und Regierung haben bis dahin das Landvolk ohnehin immer verhätschelt und verzogen, und ist es die höchste Zeit, daß man dem
Uebermuth der Bauern auf den Kopf tritt und wieder zur alten Regel umkehrt, nach welcher es am gerathensten ist, ihnen das eine Auge auszustechen und das andere zu verzollen.
Von der Jagdgrundsteuer erwarten wir einen Ertrag von 2 Million jährlich.
Zur Aufbringung der noch fehlenden 13 Millionen wurde die Aufhebung aller Sonn- und Festtage beschlossen. Wir werden auf diese Weise einige fünfzig Arbeitstage mehr bekommen, und der Lohn, der den
Arbeitern und Tagelöhnern somit mehr zufällt, soll von ihnen als Entgelt und Entschädigung für die politischen Rechte, welche wir Demokraten ihnen verschafft haben, in die Staats-Kasse gezahlt werden
Außer dem Vortheil, der durch diese Einrichtung den Staats-Einkünften erwächst, werden wir hierdurch auch dem einfältigen Kirchengehen ein Ende machen, das den Leuten die Köpfe verrückt und sie für
die wahren Wohlthaten der demokratischen Freiheit unempfänglich macht.
Wir wühlen hier trotz Wrangels und seines Belagerungszustandes tüchtig an den Wahlen, und ich hoffe, der Erfolg wird zeigen, daß wir wackere Maulwürfe sind. Es fehlt uns nur an Geld, die Franzosen
können nichts mehr geben, die Juden wollen nichts mehr geben, und wir haben keins. Also müßt Ihr Anstalt treffen, die Ihr auf dem Lande seid; schmiert den Landleuten nur das Maul recht gehörig mit
Versprechungen, verheißt den Bauern Abgaben-Freiheit; sagt den Arbeitern und Taglöhnern so viel Land von den Aeckern der Gutsbesitzer zu, als sie haben wollen, und es müßte des Teufels sein, wenn sie
nicht ihren letzten Pfennig herausrückten.
Jedenfalls erstatte mir bald Bericht. Gruß und Bruderschaft!
Jacob.“
@xml:id | #ar192_012 |
@type | jArticle |
@facs | 1039 |
[
68
]Berlin, 8. Januar.
Die öffentliche Gerichtsverhandlung gegen den Vergolder Dümcke bot wieder die eigenthümliche Erscheinung dar, daß der Hauptbelastungszeuge seine in der Voruntersuchung abgegebenen Aussagen,
ungeachtet er solche beeidigt hatte, mehr oder weniger erheblich zu Gunsten des Angeklagten modificirte.
@xml:id | #ar192_013 |
@type | jArticle |
@facs | 1039 |
[
104
]Löwenberg, in Schlesien, 4. Jan.
Weil man doch nicht im Stande ist, trotz Wrangel und octroyirter Verfassung, alle Demokraten einzusperren und auf diese Weise unschädlich für die bevorstehenden Wahlen zu machen: so ist man
in Schlesien jetzt auf ein anderes Mittel zur Erreichung dieses Zweckes verfallen: „Die Soldaten müssen niederschlagen, was von Demokraten noch frei herumläuft.“
Allwöchentlich einmal kommen die Bewohner unserer Stadt in einem öffentlichen Lokale Behufs gegenseitiger Unterhaltung und Belehrung zusammen. Diese Vereinigung führt den Namen einer
Bürger-Ressource und wenn in den letzten Monaten die daselbst gepflogene Unterhaltung, sowie alle Vorträge, Vorlesungen u. s. w. politischen Charakter gewonnen und eine demokratische Farbe angenommen
haben, so liegt dies in der Natur der Sache und im Geiste der Bewohner unserer Stadt. — Seit längerer Zeit wurde die Bürger-Ressource stark von den hier einquartirten Soldaten besucht, was die
Bürgerschaft ruhig geschehen ließ, da die Versammlung ja in einem öffentlichen Lokale stattfand.
Die letzte Versammlung vor den Feiertagen wurde zum ersten Mal durch die preußischen Krieger zum Auseinandergehen bewogen, indem dieselben — Rauferei suchend — an einer der
vorgelesenen Stellen Anstand nahmen und Händel anzuknüpfen suchten. Der Vorsitzende ermahnte zur Ruhe und forderte die Bürger auf, die Vernünftigen zu spielen und ruhig das Lokal zu räumen. —
Um aber dergleichen Störungen in Zukunft vorzubeugen, sorgte man für ein anderes Lokal und belegte dasselbe für den bestimmten Abend als geschlossene Gesellschaft.
Gestern Abend kam man das erste Mal daselbst zusammen, bald erscheinen 2 Soldaten, verlangen eingeschenkt zu erhalten, leisten aber dem Wirth Folge, da er sie in ein anderes Zimmer einzutreten
bittet, indem hier eine geschlossene Gesellschaft sei. Bald kommen abermals 2 Soldaten, welche jeder Aufforderung des Wirthes Trotz bieten und durchaus in's Lokal der Bürger-Ressource Eingang
verlangen. Sie dringen ein. Der Vorsitzende — Justiz-Verweser Schulze — fordert bei dem entstehenden Lärm abermals die Bürger auf, nachzugeben und nach Haus zu gehen. Sofort aber ist er
von den Kriegern überfallen: man verlangt Auslieferung „der Akten“ und schlägt ihn zu Boden. Mehr Soldaten dringen ein. Spalierförmig und mit Knütteln bewaffnet stehen sie durch das
ganze Haus bis auf die Straße hinaus, und nun beginnt eine so scheußliche Prügelei der Soldaten gegen die wehrlosen Bürger, daß die Feder sich sträubt, in der Beschreibung fortzufahren. — Kaum
5 der zahlreich versammelten Bürger kommen unverletzt davon; 5-7 Kopfwunden hat Mancher allein davon getragen, Einige liegen lebensgefährlich darnieder.
Sogleich bei Beginn des scheußlichen Scandals hatte man den Major v. Puettichau zu Hülfe gerufen. Seine erste Aeußerung bei seiner Ankunft war: „Ja, meine Soldaten haben gute Fäuste.“
— Seine zweite: „Die Bürger werden wohl Veranlassung gegeben haben.“ — Er, so wenig wie der herbeigeholte Landrath, haben dem Scandal Einhalt gethan; trotz ihrer
Anwesenheit und ihrer Beschwichtigungs-Versuche nahm die Bestialität ihren Fortgang bis Niemand mehr zu prügeln da war.
Diese Soldaten sind vom 8. Landwehr-Regiment.
@xml:id | #ar192_014 |
@type | jArticle |
@facs | 1039 |
[
121
] Wien, 5 Januar.
Heute bin ich dem Grunde zu der von Windischgrätz gegen die beiden Juden Pova und Podovani geübter Milde, von welchen ich Ihnen gestern berichtet habe, näher auf die Spur gekommen. Dieser Grund ist
kein anderer, als ein von Podovani an der Demokratie, namentlich aber an Blum begangener Verrath. Podovani hat sich nach der Einnahme Wiens aus einem Demokraten-Chef sofort in einen
österreichischen Spion und Denunzianten zu verwandeln gewußt. Während er Blum und Fröbel, vielleicht im Auftrage ihrer Henker, zu dem Proteste vermocht hat, auf welchen man Blum augenblicklich mit dem
Tode antwortete, soll er sich durch verrätherische Enthüllungen von der eigenen Schuld rein gewaschen haben. Die Verurtheilung zu 12 Jahren Kerker ist nur pro Forma geschehen, wie die geschehene
Freilassung und ihr doch zu naiver Grund sattsam beweisen müssen. — Europa ist gegenwärtig wirklich in seiner tiefsten Erniedrigung; in Rußland die Knute, in Oesterreich Strang und Standrecht,
in Preußen eine oktroyirte Verhöhnung, in Frankreich die Infamie und Narrheit auf dem Piedestal Bourgeoisie, in Italien wenig Hoffnung. Die Politik wird degoutant, aber um so schmackhafter für die
deutschen Zeitungs-Breihelden à la Colonia.
Dennoch muß ich Ihnen folgende neue Verurtheilungen mittheilen:
Karl Brand, angeblich Freiherr v. Brand, aus Leipzig gebürtig, 48 Jahre alt, evangelisch, verheirathet, Schauspieler, ist durch sein mit dem erhobenen Thatbestande übereinstimmendes Geständniß in
Verbindung mit den beeideten Aussagen glaubwürdiger Zeugen überwiesen, durch seinen Eintritt in das Freikorps der akademischen Legion in der Mitte des Monates Oktober, dann durch Uebernahme der
Dienste eines Ordonanz-Offiziers bei dem Ober-Kommandanten Messenhauser, und sorgfältige Ueberbringung der Befehle an die aufständischen Korps-Kommandanten, endlich durch Escortirung einer zum
Beschießen der k. k. Truppen bestimmten Kanone vor die Lerchenfelder Linie, an dem bewaffneten Aufruhr verbrecherischen Antheil genommen zu haben, weßhalb er in dem mit ihm abgehaltenen Kriegsrechte
nach Anleitung der auf dieses Verbrechen Bezug nehmenden Civil-Strafgesetze zu zweijährigem schweren Kerker verurtheilt worden ist.
In Berücksichtigung jedoch seines im Jahre 1846 besonders in Galizien an den Tag gelegten loyalen Benehmens, so wie auch dessen, daß er in den letzten Oktobertagen zur Einstellung des Feuers
auf die k. k. Truppen wesentlich beitrug, und am 31. Oktober die kaiserl. Fahne selbst auf dem Stephansthurm aufhißte, ist dieses kriegsrechtliche Erkenntniß von der k. k.
Central-Militär-Untersuchungs. Kommission auf zehnmonatlichen leichten Kerker gemildert, und somit heute kundgemacht worden.
Martin Halmdienst, von Guntramsdorf in Nied. Oestreich gebürtig, 41 Jahre alt, katholisch, verheirathet, Hausmeister auf der Landstraße, ist bei gesetzlich erhobenen Thatbestande theils durch
beeidete Zeugen, theils durch eigenes Geständniß überwiesen, in den letzten Tagen des Oktober, daher nach der Veröffentlichung der allbekannten Proklamationen Sr. Durchlaucht des Herrn General
Feldmarschall Fürsten zu Windischgrätz, nicht nur selbst stets bewaffnet und bei Vertheidigung einer Barrikade thätig gewesen zu sein, sondern auch andere Personen unter Drohungen und Beschimpfungen
zur Ergreifung der Waffen gegen k. k. Truppen, jedoch ohne Erfolg, aufgefordert zu haben.
Er ist daher in dem mit ihm abgehaltenen Kriegsrechte der Theilnahme am Aufruhr für schuldig erklärt und blos in Berücksichtigung der hartbedrängten Lage seiner schuldlosen Familie, so wie auch des
Umstandes, daß seine Betheiligung am Aufruhr mit keinem Schaden verbunden war, zu sechsmonatlichen einfachen Kerker verurtheilt, und diese Sentenz heute auch kundgemacht worden.
Wien, den 4. Januar 1849.
Von der k. k. Central-Untersuchungs-Kommission.
Daß man absichtlich die Fremden heraussucht, habe ich Ihnen schon gestern bemerkt, Sie sehen es heute wieder. Die Denunzianten erhielten anfänglich für jedes ihrer Opfer 25 fl. K.-M. bezahlt. Den
Kulminationspunkt der hier verübten Greuel bildet die Ordensvertheilung an die, welche sich in den Gefechten bei und in Wien ausgezeichnet haben, womit die gestrige Wienerin angespickt ist. Sie
liefert den unumstößlichen Beweis, daß die Dynastien zu ihrem eigentlichen Ursprung zurückgekehrt sind.
Die gestern überall ausgeschrieene Einnahme von Pesth hat sich offiziell nicht bestätigt. Wir haben überhaupt seit vielen Tagen keine offiziellen Nachrichten aus Ungarn. Gleichwohl erzählte sich
der Janhagel gewöhnlich vornehme Welt genannt, bereits gestern mit dem dem Oesterreicher so eigenthümlichen Behagen eines Kretins, umständlich die Art und Weise, wie Kossuth zu Tode gemartert
worden.
Nach dem Lloyd soll in Pesth eine Contrerevolution unter Leitung des berühmten Deak gegen Kossuth und seine Partei sich gebildet haben. In einer Sitzung des ungarischen Repräsentantenhauses
habe Deak plötzlich eine donnernde Philippika gegen Kossuths Politik mit solchem Erfolge gehalten, daß der Agitator ohnmächtig weggetragen werden mußte.
Deak, ungarischer Justizminister, spielte seit dem März anscheinend Kossuth's eifrigsten Freund, Ungarns eifrigsten Patrioten; ein Verrath von ihm wäre die entsetzlichste Scheußlichkeit.
Doch Sie können, da selbst die Standrechtsblätter davon reden, auf einen solchen Verrath rechnen. Verrath heißt der Gott, welcher die „tapfere, glorreiche Armee Oesterreichs“ beschützt;
er war in Italien ihr Patron, war's in Wien und wird es schon, dem eigenen Geständniß nach nun auch, in Ungarn sein.
Ein gewisser Dr. Hammer hat eine Brochüre veröffentlicht, in welcher er nachweißt, daß die galizischen Greuel von 1846 von der dortigen Büreaukratie ausgebrütet und ausgeführt worden sind. Sophiens
Festungs-Korrespondent von Olmütz antwortet darauf mit folgendem Kuriosum.
„Die polnische Centralisation in Paris sendete vor dem Ausbruch der Revolution im J. 1846 zwei Klassen von Emissären nach Posen und Galizien.
Die Einen wußten nichts von den Zweiten, aber diese Zweiten hatten Kenntniß von Ersteren.
Diese Letzteren nämlich eiferten die Edelleute zur Schilderhebung und Revolution an, forderten sie zu Geldbeiträgen auf, und flößten ihnen Haß gegen ihre angeblichen Bedrücker ein.
Die andern hingegen predigten den Bauern im kommunistischen Sinn, Haß gegen die Edelleute und Gutsbesitzer, stellten dieselben als Tyrannen und Bedrücker vor ihre Augen, eiferten überall, wo sie
nur konnten, die Bauern zur Widerspenstigkeit gegen die Grundherren und deren Pächter, und selbst gegen adelige Familien ohne Rücksicht auf das Geschlecht, an; — diese Klasse von Emissären
hatte überdieß noch die Aufgabe, durch kühne Sprache und Reden den Bauern zu beweisen, daß die, von den Adelichen besessenen Gründe, von lange her ein Eigenthum der Bauern gewesen, daß Acker- und
Wirthschaftsgeräthe, und der fundus instructus, oder das sogenannte Inventar nur ein durch Frevel der Edelleute entrissenes bäuerliches Eigenthum sei, u. s. w.
Hier liegt also der Beweis, daß eigene Landsleute, d. i. Polen, zu den, in dem Schreckensjahr 1846 so gräßlich verübten Morden und Plünderungen der galizischen Edelleute Veranlassung gegeben, und
den Brudermord mittelbar selbst verübten, keineswegs aber darf diese Schandthat der Bureaukratie, wie es der scheußliche Pamphletist und die galizische Deputation behauptete, zur Last gelegt
werden.
Wie es heißt, sollen von den zum Kerker Verurtheilten, neulich 13 heimlich erschossen worden sein.
Der Vorgang mit Pàdovini beweist zum wenigsten, daß das Ministerium eine komplette Null auch außerhalb Wien ist. Der Abgeordnete Löhner soll von dem Ministerium einen Zwangspaß zur Entfernung aus
dem Reichstage erhalten haben, ebenso Füster und andere, alle geistig sehr untergeordnete Demokraten, obschon hier bedeutende Lumina.
Die österreichischen Artikel, welche Girardin jetzt schreibt, werden, das können Sie sich denken, mit Haut und Haaren hier übersetzt und verschlungen. Was Ludwig Philipp und Metternich nicht
vermocht haben, dessen getraut sich Herr Girardin im Bunde mit unsern Bluthenkern, nämlich Palmerston zu stürzen.
@xml:id | #ar192_015 |
@type | jArticle |
@facs | 1039 |
[
61
]Wien, 5. Januar.
Die Verhandlung der Grundrechte soll einer telegraphischen Depesche zufolge bis zum 8. d. M. verschoben sein; die kremsierer Post ist gestern ausgeblieben. — Der demokratische Verein von
Klagenfurt ist auf Verordnung des Ministeriums aufgelöst worden. Aus Ungarn nichts von eigentlicher Bedeutung.
Unter den letzten Beschlüssen der Central-Slovanska Lipa hat einer eine kleine demokratische Bedeutung; nämlich der Beschluß, die Ruthenen durch eine Zuschrift aufzufordern, Alles zu unterlassen,
was zwischen ihnen und den Polen Haß und Feindschaft erzeugen könnte. Die frühern Beschlüsse athmen eben nur diesen Nationalhaß, diese Feindschaft und czechisch-kroatische sogenannte
slavisch-demokratische Dummheit. In dieser czechisch-kroatisch-slavisch-demokratischen Eselei behauptete die Slovanska Lipa neulich, es befänden sich allein 60,000 Czechen pur sang in Wien, und
beanspruchte für dieselben in allen Beziehungen den albernsten National-Kasten-Separatismus. Nichts kam den Absolutisten erwünschter in Oesterreich, als diese slavisch-demokratische Eselei und
Bosheit, die aber eben von demselben Absolutismus bald noch bestraft werden wird, wenn einmal alle Kastanien aus dem Feuer genommen sind. Die „Presse“, nachdem sie gesagt, einige der
Frankfurter Reichsoberhaupts-Vorschläge streiften an's Verrückte, läßt sich, wie schon oft, aus Köln einen Brief schreiben, nach welchem man meinen sollte, die Bevölkerung der
Rheinprovinz, da sie antipreußisch fühlt und nicht oktroyirt denkt, habe österreichisch-konstituirende Gelüste. Es ist unglaublich, welchen Unsinn ein Standrechtsblatt faseln kann, indem es Preußen
aus der Oktroyirung ein Verbrechen macht, um die österreichische Banditen- und Mörder-Regierung unter ein günstiges Licht zu bringen, obwohl es bekannt ist, daß dieselbe keineswegs aus Rechtsgefühl,
sondern nur darum den kremsierer Hans-Jörgel nicht zersprengte, weil sie in ihrem Dalai-Lama-Supremat-Hochmuth zu stolz war, Preußen, das mit der Auflösung der Nationalversammlung vorausging, blos zu
folgen.
@xml:id | #ar192_016 |
@type | jArticle |
@facs | 1039 |
Wien, 3. Januar, Abends 3/4 7 Uhr.
Unter diesem Datum meldet die „N. L. Z.“ Folgendes:
Die Schwesterstädte Pesth und Ofen haben erklärt, keinen Widerstand gegen die k. k. Truppen leisten zu wollen. Fürst Windischgrätz rückte darauf ungehindert vor und schlug am 1. Januar Nachmittags
in Alt-Csuth, 2 Stunden von Ofen — sein Hauptquartier auf. Am 2. Jan. besetzte das k. Heer Ofen und Pesth. Kossuth hat sich mit allen Truppen nach Szegedin zurückgezogen, wohin alle ungarischen
Korps beordert sind. Bei Totis haben die Ungarn ihre Hauptschlacht geschlagen und Wunder der Tapferkeit und die größte Ausdauer bewiesen, aber vergebens; sie sind der Uebermacht (an Kanonen und
Disciplin) erlegen.
Ueber diese Ereignisse sprechen sich die „C. Bl. a. B.“ folgendermaßen aus:
Die österreichischen Truppen fanden bei Pesth so große Verschanzungen, daß deren Vertheidigung, so kostspielig sie auch gewesen sind, den Ungarn rein unmöglich war. Das Ministerium, die
Landeswehr-Commission, Kossuth und sein Personalanhang sind gegenwärtig in Debreczin, wohin sich auch die Studenten und Freiwilligen der ungarischen Armee flüchteten. Aus dem Umstande, daß sich
Kossuths beste Truppen in Süd-Ungarn befinden und tüchtig schlagen, geht unwiderleglich hervor, daß der Agitator sich den Weg übers Banat nach Türkisch-Bosnien sichern und frei halten will. —
Es scheint, daß Oberstlieutenant Frischeisen dem Cadre des k. k. Feldmarschalls Grafen Wrbna zugetheilt und nach Komorn detachirt werden wird, während Feldzeugmeister Graf Nugent jetzt, nach der
Einnahme von Budapest, vielleicht die Weisung erhalten dürfte, eine Diversion gegen Essek und weiter hinab zu machen, um den bedrängten Serben in Ungarn zu Hülfe zu eilen.
Der serbische Woiwode, Generalmajor Suplikatsch, ist zu Pantschowa plötzlich am Schlage gestorben.
@xml:id | #ar192_017 |
@type | jArticle |
@facs | 1039 |
[
*
]Wien, 5. Januar.
Das 10te Armeebülletin lautet: Zu Folge einer eben erhaltenen Mittheilung von Sr. Durchl. dem Hrn. Feldmarschall Fürsten zu Windischgrätz hat Hochselber sein Hauptquartier am 3. d. Mts. nach Bicske
und am 4. nach Bia, 4 Stunden von Ofen verlegt. — Am 3. Jan. Nachmittags kam eine von dem ungesetzlich fortbestehenden ungarischen Reichstag an Seine Durchlaucht gesendete Deputation im
Hauptquartier zu Bicske an, welche aber von Sr. Durchl. dem Feldmarschall als solche nicht angenommen, und unbedingte Unterwerfung als der einzige Weg bezeichnet wurde, fernerem Blutvergießen ein Ende
zu machen. — Der Banus hat mit dem ersten Armee-Corps nach siegreichen Gefechte bei Moor, um den Rebellen Perczel, der sich nach der erlittenen Niederlage gegen Stuhlweissenburg zurückzog, und
seine Vereinigung mit dem Rebellen-Oberst Sekulich bewerkstelligen wollte, von dessen vermeintlicher Rückzugslinie nach Ofen abzuschneiden, seinen Marsch über Lovas Bereny fortgesetzt, wodurch Ofen am
rechten Donauufer von unseren Vorposten umgeben ist. — Feldzeugmeister Graf Nugent in Vereinigung mit Feldmarschall-Lieutenant Dahlen hat sich gestern den 4ten über Szalba-Egerszegg in der
Richtung gegen Kanisa in Marsch gesetzt. Zur Vereinigung mit Warasdin blieb eine starke Besatzung in Lendva, zur Verbindung mit Steiermark eine Besatzung in Körmönd zurück, und das Oedenburger und
Eisenburger Komitat wird durch die mobile Kolonne des Oberstlieutenants Graf Althann durchzogen, womit die Verbindung mit der Hauptarmee erhalten wird. — Die von der Armee Sr. Durchl. des
Fürsten Windischgrätz eingetroffenen Nachrichten über die günstigen Operationen gegen Ofen und Pesth, bestimmten den Feldmarschall-Lieutenant Grafen Schlick, um in Uebereinstimmung mit diesen
offensiven Operationen zu handeln, gegen Miskolz vorzurücken. — Diesem gemäß wurde am 26. Dez. 1848 die Brigade des Hrn. General-Majors Grafen Pergen von Kaschau bis Hidas-Némethi
vorgeschoben, welcher die Brigade des Hrn. General-Majors Grafen Deym als Reserve bis Enyizki nachgefolgt war. — Die Brigade Fiedler blieb in Kaschau als Besatzung. — Am 27. rückte die
Brigade Pergen bis
[1040]
Forró, die Brigade Deym bis A. Novaj. Bei Forró hatte der Feind die erste Stellung eingenommen, und es waren daselbst nebst mehreren Geschützen die polnische Legion und einige Hundert Husaren
postirt. — Beim Herannahen der Avantgarde zog sich der Feind, ohne das Gefecht anzunehmen, zurück. — Am 28. wurde die Vorrückung gegen Miskolcz der Art kombinirt, daß die Brigade Pergen
durch eine Umgehung der feindlichen Stellung bei Szikszö, deren linke Flanke und Rücken bedrohte, während die Brigade Deym die Fronte derselben an der Hauptstraße anzugreifen beordert war. —
Der Plan gelang; die Brigade Pergen, geführt vom Major Baron Gablenz des Generalstabs griff Szikszö im Rücken an, wobei eine halbe Kompagnie Honvéd gefangen genommen wurde. Eine andere
Honvéd-Abtheilung wurde durch die Chevauxlegers der Avantgarde ereilt und gleichfalls gefangen. —
Die an der Straße vorgerückte Brigade Deym konnte sofort diesen Ort ungehindert und mit klingendem Spiel passiren. Nachdem die Insugenten mit bedeutenden Streitkräften die vortheilhafte Position an
den Höhen bei Szikszö besetzt hatten, beschloß der Korpskommandant, trotz der vorgerückten Tageszeit und der Ermüdung seiner Truppen, dennoch den Feind anzugreifen, um ihn aus der Nähe von Szikszö
gegen Miskolcz zurückzudrängen. Die sämmtliche Kavallerie mit einer 6pfündigen Batterie rückten an der Straße gegen Miskolcz in der Ebene vor, und es entspann sich beiderseits ein lebhaftes
Geschützfeuer, welches eine erfolgreiche Wirkung gegen die in Uebermacht aufgestellte feindliche Kavallerie übte, so zwar, daß sie sehr bald die Flucht ergriff. — Große feindliche
Infanteriemassen nebst Artillerie und eine Husarenabtheilung, hatten sich auf dem Höhenzuge westlich der Straße festgesetzt. Die Brigade Pergen mit der Raketen-Batterie wurde beordert, diese Höhen zu
erstürmen, welches auch mit dem günstigsten Erfolge geschah; — nur die einbrechende Nacht rettete den Feind von der gänzlichen Niederlage. — Dieses Gefecht kostete dem Korps des
Feldmarschall-Lieutenant Schlick nur 5 Verwundete.
Der Verlust des Feindes ist bedeutend, und es wurden von demselben 85 Mann, darunter 1 Offizier und mehrere Unteroffiziere gefangen genommen.
Wien, den 5. Januar 1849.
Der Militair- und Civil-Gouverneur: Welden, Feldmarschall-Lieutenant.
Nachschrift. Es langt so eben die Nachricht an, daß die k. k. Truppen in Budapesth ohne Schwertstreich eingerückt sind.
@xml:id | #ar192_018 |
@type | jArticle |
@facs | 1040 |
[
*
] Kremsier, 4. Jan.
In der gestrigen Sitzung des Reichstags wurden mehrere Interpellationen verlesen und von Hrn. Stadion mehrere der früher gestellten beantwortet und zwar 1) wegen der Entwaffnung in
Niederösterreich. Antwort: Das Standrechts-Ministerium billigt sie vollkommen. Hierauf kommt nochmals die Anlehnsfrage vor und wird ganz im Sinne des Ministeriums, gegen den Antrag von Borrosch
erledigt. Zuletzt wird beschlossen, daß bei Berathung der Grundrechte jedesmal nur einzelne Paragraphen auf die Tagesordnung gesetzt werden. Hr. Helfert (im Ministerium und längst erprobter
Volksverräther) hat eine Abänderung der Grundrechte drucken lassen, in welcher der von der Standrechtspresse so sehr angefochtene §. 1. weggeblieben ist.
@xml:id | #ar192_019 |
@type | jArticle |
@facs | 1040 |
[
20
] Aus dem Reich.
Kein Reich ist reicher, als unser Reich — in gewissen Beziehungen. So kann man kaum den Fuß fortsetzen, ohne auf irgend einen aufgelösten oder bald aufzulösenden Volksvertreter, ja auf
Deputirten-Embryonen zu treten, denen das Auflösungsurtel schon vor der Geburt auf der Stirn geschrieben steht. Es ist eine so angenehme Beschäftigung für die allerhöchsten Herren „von Gottes
Gnaden“ und ihre Helfershelfer, die National-, Vereinbarungs-, Landes-, konstituirende etc. Versammlungen aufzulösen, daß die bisherigen Exempel gewiß noch zahlreiche Nacheiferung finden
werden. In Reichs-Dresden geht schon das Gemunkel, daß wenn die am 10. Januar zusammentretende Kammer nicht „Ordre pariren“ sollte, man sie nach dem preußischen Auflösungs-Recept
behandeln werde. Mit Schmerz wird Jeder, der Dresden auch nur einmal gesehen, eine andere am 1. Januar vorgenommene Auflösung vernehmen. Jene verwunderlichen Karnevalsgestalten des ächten feudalen
Königthums, jene Männer mit den kolossalen Bärenmützen, den silbernen Behängen, rothen Röcken, sammtgelben Kragen, Unterfutter und Rabatten, und ihren weißgelben Westen — sind nicht mehr! Die
„Garde-Division“ hat aufgehört, die dritte Merkwürdigkeit Dresdens zu sein. Der Fremde muß sich also von nun an mit den beiden noch übrigen, dem Wahrzeichen unter der Brücke und dem
grünen Gewölbe, begnügen. Aber man eile, sonst könnte letzteres in Zeiten, wie die unsrigen zu werden versprechen, eines schönen Tages ebenfalls der Auflösung verfallen, um es in Kartoffeln für die
erzgebirgischen Hungerleider zu verwandeln.
Doch zum Reichthum des Reiches zurück. Es hat, wie kein anderes Land, einen Ueberfluß an „geliebten Landesvätern.“ Leider bringt uns das neue Jahr die traurige Kunde, daß sich Einer
derselben auflösen und mit dem königlich-sächsischen „Landesvater“ verschmelzen will. Es wird blos noch über die Abfindungssumme verhandelt. Bestätigt sich dieses, wie ein anderes
Attentat auf die bisherige Reichsgeographie und den genealogischen Kalender — Annexation des Sigmaringischen Vaterlandes an Preußen — : so könnten diese Präcedentien leicht zu noch
Schlimmerem führen. Rüttelt man erst solchergestalt an allem Heiligen und Altehrwürdigen, fangen die Herren „von Gottes Gnaden“ selber an, sich „zu drücken:“ wer bürgt uns
dafür, daß wir nicht endlich um die schöne, wiewohl etwas „kostenspielige“ Erfindung von einem halben Schock „geliebter Landesväter“ plötzlich geprellt und verwaist
dastehen und wegen Verwendung der 50 Mill. Thlr., die wir jährlich für jene Erfindung ausgeben, in äußerste Verlegenheit gerathen?
Der Patriot gibt für die Landesväter eben so gern, als letztere es nehmen. Blos einige Leute im Reich machen sich jetzt zu Knickern und Knausern. So wollen die Schwaben ihrem Landesvater die
Civilliste beschneiden; der aber hält fest und wird, statt sich mit seinen politischen Nachtwächtern und Genossen in seinen und der Fräulein Stubenrauch Genüssen verkürzen zu lassen, lieber der
knickerigen Kammer ihr Dasein abkürzen.
Gleiche Knauserei in dem traulichen Gotha! Ja in diesem Gotha, das mir stets wie ein lebendiger Verein „für Gesetz und Ordnung“ vorkam, erklärt der Landtag, daß die Domänen der Krone,
und der Herzog erklärt, daß sie seiner herzoglichen Person gehören. Des Herzogs Erklärung scheint gewichtiger. Der Landtag hat blos Landes-, aber der Landesvater hat Reichs-Argumente, Argumente ad
hominem, bestehend in königl. sächsischen Reichstruppen, die vor einigen Tagen mehreren Bürgern den Schädel einschlugen, um dem beschränkten Unterthanenverstande einiges Licht zu verschaffen. Da lobe
ich mir den Reichsmax von Baiern, der hat ein treues Volk und eine Civilliste, die ihm nicht geschmälert wird, und dafür wird er ein Reichskorps an der Rheingränze aufstellen, so daß dort den
Franzosen gegenüber das Bockbier und am nördlichen Rhein unter Wrangel das preußische „Reichssauerkraut“ würdig vertreten sein werden.
@xml:id | #ar192_020 |
@type | jArticle |
@facs | 1040 |
[
*
] Frankfurt, 8. Januar.
117te Sitzung der Nationalversammlung. Sie wird um 10 Uhr von Hrn. Simson eröffnet. Der Lärm ist so groß, daß selbst ein starker Simson ihn kaum bezwingen kann.
Es erfolgen einige Interpellationen. Der Justizminister legt endlich 28 Aktenstücke, welche sich auf die standrechtliche Behandlung R. Blum's und J. Fröbel's beziehen,
der Versammlung vor. Kirchgeßner theilt mit, daß der östreichische Ausschuß mit einem Majoritäts- und einem Minoritäts-Erachten niedergekommen. Jenes und dieses lauten:
I. In Erwägung,
daß das Verfassungswerk für das deutsche Reich von der Nationalversammlung einzig und allein festzustellen und sonach die Vereinbarung mit den einzelnen Regierungen Deutschlands nicht zulässig ist, in
Erwägung, daß die Feststellung des Reichsgebietes ein Bestandtheil der Reichsverfassung ist, in Erwägung, daß es die Nationalversammlung mit dem ihr gewordenen Beruf, für alle zum früheren deutschen
Bunde gehörigen Länder eine gemeinsame Verfassung zu geben, für unvereinbar erachtet, in die Ausscheidung der zum früheren deutschenBunde gehörigen Lande Oesterreichs aus dem deutschen Bundesstaate zu
willigen, in fernerer Erwägung der eigenthümlichen Verhältnisse, die sich aus der bestehenden Verbindung deutscher und nichtdeutscher Länder in Oesterreich ergeben, in endlicher Erwägung, daß die
Feststellung der deutschen Reichsverfassung eine innige, sowohl politische als kommerzielle Verbindung nichtdeutscher Länder Oesterreichs mit dem dem deutschen Bundesstaate nicht ausschließt, sondern
eine solche vielmehr im offenbaren Interesse beider Länder gelegen ist, — beschließt die Nationalversammlung:
1) Die vom Reichsministerum in dessen Erklärung vom 5. d. M. ausgesprochene Zurückweisung des Vereinbarungs-Prinzipes für die deutsche Reichsverfassung im vollsten Maße anzuerkennen.
2) Die Centralgewalt zu beauftragen, über das Verhältniß der zum früheren deutschen Bunde nicht gehörigen Länder Oesterreichs zu dem deutschen Bundesstaate zu geeigneter Zeit und in geeigneter Wrise
mit der österreichischen Regierung in Verhandlung in treten.
II. Minoritäts-Antrag: Dem Reichsministerium die auf Vorlage vom 18. Dez. v. J., modifizirt durch Schreiben vom 5. Januar l. J., erbetene Vollmacht zu ertheilen.
Unterz.: Barth, Paur, v. Buttel, Dr. v. Linde, Rüder.
Es folgen nun Redeübungen hinsichtlich Aufhebung der Hazardspiele, der öffentl. Spielbanken, der Lotterie und des Lotto. Die Versammlung beschließt:
„Alle öffentl. Spielbanken sind
vom 1. Mai 1849 an in ganz Deutschland geschlossen und die Spielpachtverträge aufgehoben.“
Ferner wurde beschlossen:
a. „die Staats-Klassenlotterien zwar vorjetzt fortbestehen lassen, jedoch die provisorische Centralgewalt zu beauftragen, auf deren Aufhebung in den
Einzelstaaten thunlichst hinzuwirken, und
b. Privatlotterien nur gegen Concession der Regierungen der einzelnen deutschen Staaten und lediglich zu gemeinnützigen Zwecken gestatten, zugleich aber
c. zu beschließen, daß die Errichtung neuer Klassen-Lotterien gänzlich untersagt werde.“
Sodann wird Folgendes genehmigt:
„Die Nationalversammlung wolle die Aufhebung des Lotto in allen deutschen Staaten, „in welchen es noch besteht“, beschließen und
dieselbe von der provisorischen Centralgewalt in kürzester Zeit bewirken lassen,
die Beschlüsse über Lotterie und Lotto an die provisorische Centralgewalt zur Ausführung zu überweisen.“
Es kommt hierauf der Bericht des Verfassungs-Ausschusses über die Nachträge zu §. 19 des Entwurfs „vom Reichstage“ zur Verhandlung. Der Bericht beantragt:
„Die
Uebereinstimmung der Reichsregierung und des Reichstags ist erforderlich:
„Wenn der Reichshaushalt festgestellt wird, wenn Anleihen kontrahirt werden, wenn das Reich eine im Budget nicht vorgesehene Ausgabe ubernimmt oder nicht vorgesehene Steuer- oder
Martikularbeiträge erhebt.
Wenn von Reichswegen Banken angelegt oder bewilligt werden.
Wenn die Steuererhebung der Einzelstaaten von der Zustimmung der Reichsgewalt abhängig gemacht ist.“
Hinzugefügt werden soll jedoch und als ein besonderer Paragraph:
„Bei Feststellung des Reichshaushaltes treten folgende Bestimmungen ein:
1) Alle — die Finanzen betreffende Vorlagen der Reichsregierung gelangen zunächst an das Volkshaus.
2) Bewilligungen von Ausgaben dürfen nur auf Antrag der Reichsregierung und bis zum Belauf dieses Antrages erfolgen.
3) Die Dauer der Finanzperiode ist ein Jahr.
4) Das Budget über die regelmäßigen Ausgaben des Reichs und über den Reservefonds, so wie über die für beides erforderlichen Deckungsmittel wird auf dem ersten Reichstag durch Reichstagsbeschlüsse
festgestellt. Eine Erhöhung dieses Budgets auf späteren Reichstagen erfordert gleichfalls einen Reichstagsbeschluß.
5) Dieses ordentliche Budget wird auf jedem Reichstag zuerst dem Volkshaus vorgelegt und von diesem in seinen einzelnen Ansatzen und nach den Erläuterungen und Belegen, welche die Reichsregierung
vorzulegen hat, geprüft und bewilligt.
6) Nach erfolgter Prüfung und Bewilligung durch das Volkshaus wird das Budget an das Staatenhaus abgegeben. Diesem steht, innerhalb des Gesammtbetrages des ordentlichen Budgets, so wie derselbe auf
dem ersten Reichstage oder durch spätere Reichstagsbeschlüsse festgestellt ist, nur das Recht zu, Erinnerungen und Ausstellungen zu machen, uber welche das Volkshaus endgültig beschließt.
7) Alle außerordentlichen Ausgaben und deren Deckungsmittel bedürfen, gleich der Erhohung des ordentlichen Budgets, eines Reichstagsbeschlusses.
8) Die Nachweisung über die Verwendung der Reichsgelder wird dem Reichstage und zwar zuerst dem Volkshause zur Prüfung und zum Abschluß vorgelegt.“
Wir übergehen, was für und wider geredet worden, genug, die Abstimmung ist auf morgen vertagt. Also morgen das Resultat.
@xml:id | #ar192_021 |
@type | jArticle |
@facs | 1040 |
[
68
] Frankfurt, 3. Januar.
In Nro. 8. des „Reichsgesetzblattes sind nun die sogenannten „Grundrechte des deutschen Volkes“ veröffentlicht worden.
Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet sein. Sie sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine Verfassung oder Gesetzgebung eines
deutschen Einzelstaates soll dieselben je aufheben oder beschränken können.
Artikel 1. § 1. Das deutsche Volk besteht aus den Angehörigen der Staaten, welche das deutsche Reich bilden.
§ 2. Jeder Deutsche hat das deutsche Reichsbürgerrecht. Die ihm Kraft desselben zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben. Ueber das Recht, zur deutschen Reichsversammlung zu
wählen, verfügt das Reichswahlgesetz.
§ 3. Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben und darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu
betreiben, das Gemeindebürgerrecht zu gewinnen.
Die Bedingungen für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimathsgesetz, jene für den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung für ganz Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt.
§ 4. Kein deutscher Staat darf zwischen seinen Angehörigen und andern Deutschen einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und Prozeßrechte machen, welcher die letzteren als Ausländer
zurücksetzt.
§ 5. Die Strafe des bürgerlichen Todes soll nicht stattfinden, und da, wo sie bereits ausgesprochen ist, in ihren Wirkungen aufhören, soweit nicht hierdurch erworbene Privatrechte verletzt
werden.
§ 6. Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschränkt; Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Fürsorge des Reichs.
Artikel 2. § 7. Vor dem Gesetze gilt kein Unterschied der Stände.
Der Adel als Stand ist aufgehoben.
Alle Standesvorrechte sind abgeschafft.
Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.
Alle Titel, in so weit sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind aufgehoben und dürfen nie wieder eingeführt werden.
Kein Staatsangehöriger darf von einem auswärtigen Staate einen Orden annehmen.
Die öffentlichen Aemter sind für alle Befähigten gleich zugänglich.
Die Wehrpflicht ist für Alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet nicht statt.
Artikel 3. § 8. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergreifung auf frischer That, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls. Dieser Befehl muß im Augenblicke der
Verhaftung oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Verhafteten zugestellt werden.
Die Polizeibehörde muß Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe des folgenden Tages entweder frei lassen oder der richterlichen Behörde übergeben.
Jeder Angeschuldigte soll gegen Stellung einer vom Gerichte zu bestimmenden Caution oder Bürgschaft der Haft entlassen werden, sofern nicht dringende Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens
gegen denselben vorliegen.
Im Falle einer widerrechtlich verfügten oder verlängerten Gefangenschaft ist der Schuldige und nöthigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und Entschädigung verpflichtet.
Die für das Heer- und Seewesen erforderlichen Modifikationen dieser Bestimmungen werden besonderen Gesetzen vorbehalten.
§ 9. Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, oder das Seerecht im Falle von Meutereien sie zuläßt, so wie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen
Züchtigung sind abgeschafft.
§ 10 Die Wohnung ist unverletzlich.
Eine Haussuchung ist nur zulässig:
1. In Kraft eines richterlichen mit Gründen versehenen Befehls, welcher sofort oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten
zugestellt werden soll.
3. Im Fall der Verfolgung auf frischer That durch den gesetzlich berechtigten Beamten.
3. In den Fällen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet.
Die Haussuchung muß, wenn thunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen erfolgen.
Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein Hinderniß der Verhaftung eines gerichtlich Verfolgten.
§ 11 Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, außer bei einer Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls, vorgenommen werden, welcher
sofort oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soll.
§ 12. Das Briefgeheimniß ist gewährleistet.
Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen.
Artikel 4. § 13. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern.
Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Censur, Konzessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der
Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden.
Ueber Preßvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch Schwurgerichte geurtheilt.
Ein Preßgesetz wird vom Reiche erlassen werden.
Artikel 5. § 14 Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren.
§ 15. Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Uebung seiner Religion.
Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen.
§ 16. Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch
thun.
§ 17. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.
Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche.
Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht.
§ 18. Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.
§ 19. Die Formel des Eides soll künftig lauten: „So wahr mir Gott helfe.“
§. 20. Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Civilaktes abhängig; die kirchliche Trauung kann nur nach der Vollziehung des Civilaktes stattfinden.
Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehinderniß
§. 21. Die Standesbücher werden von den kirchlichen Behörden geführt.
Artikel 6. §. 22. Die Wissenschaft und die Lehre ist frei.
§. 23. Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staats, und ist, abgesehen vom Religionsunterricht, der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher enthoben.
§. 24. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen, zu leiten und an solchen Unterricht zu ertheilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er seine Befähigung der betreffenden Staatsbehörde
nachgewiesen hat.
Der häusliche Unterricht unterliegt keiner Beschränkung.
§. 25. Für die Bildung der deutschen Jugend soll durch öffentliche Schulen überall genügend gesorgt werden.
Eltern oder deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegbefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die unteren Volksschulen vorgeschrieben ist.
§ 26. Die öffentlichen Lehrer haben die Rechte der Staatsdiener.
Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden aus der Zahl der Geprüften die Lehrer der Volksschulen an.
§. 27. Für den Unterricht in Volksschulen und niederen Gewerbeschulen wird kein Schulgeld bezahlt.
Unbemittelten soll auf allen öffentlichen Unterrichtsanstalten freier Unterricht gewährt werden.
§. 28. Es steht einem Jeden frei seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will.
Artikel 7. §. 29. Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubniß dazu bedarf es nicht.
Volksversammlungen unter freiem Himmell können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.
§. 30. Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden.
§. 31. Die in den §§. 29 und 30 enthaltenen Bestimmungen finden auf das Heer und die Kriegsflotte Anwendung, insofern die militärischen Disciplinarvorschriften nicht entgegenstehen.
Artikel 8 §. 32. Das Eigenthum ist unverletzlich.
Eine Enteignung kann nur aus Rücksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund eines Gesetzes und gegen gerechte Entschädigung vorgenommen werden.
Das geistige Eigenthum soll durch die Reichsgesetzgebung geschützt werden.
§. 33. Jeder Grundeigenthümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden und von Todeswegen ganz oder theilweise veräußern. Den Einzelstaaten bleibt überlassen, die Durchführung des Grundgesetzes der
Theilbarkeit alles Grundeigenthums durch Uebergangsgesetze zu vermitteln.
Für die todte Hand sind Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, im Wege der Gesetzgebung aus Gründen des öffentlichen Wohls zulässig.
§. 34. Jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband hört für immer auf.
§. 35. Ohne Entschädigung sind aufgehoben:
1) Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die grundherrliche Polizei, sammt den aus diesen Rechten fließenden Befugnissen, Exemptionen und Abgaben.
2) Die aus dem guts- und schutzherrlichen Verbande fließenden persönlichen Abgaben und Leistungen.
Mit diesen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche dem bisher Berechtigten dafür oblagen.
§. 36. Alle auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen, insbesondere die Zehnten sind ablösbar: ob nur auf Antrag des Belasteten oder auch des Berechtigten, und in welcher Weise, bleibt
der Gesetzgebung der einzelnen Staaten überlassen.
Es soll fortan kein Grundstück mit einer unablösbaren Abgabe oder Leistung belastet werden.
§. 37. Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eignem Grund und Boden.
Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnden und andere Leistungen für Jagdzwecke sind ohne Entschädigung aufgehoben.
Nur ablösbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch einen lästigen mit dem Eigenthümer des belasteten Grundstückes abgeschlossenen Vertrag erworben ist; über die Art und Weise
der Ablösung haben die Landesgesetzgebungen das Weitere zu bestimmen.
Die Ausübung des Jagdrechts aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und des gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten.
Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder als Grundgerechtigkeit eingeführt werden.
§. 38. Die Familienfideicommisse sind aufzuheben. Die Art und Bedingungen der Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten.
Ueber die Familienfideicommisse der regierenden fürstlichen Häuser bleiben die Bestimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten.
§. 39. Aller Lehnsverband ist aufzuheben. Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.
Die Strafe der Vermögenseinziehung soll nicht stattfinden.
Hierzu eine Beilage.