Deutschland.
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] Köln, 6. Jan.
Da die Berliner Post gestern Abend ausgeblieben, so fehlen uns auch die Korrespondenzen und Zeitungen aus Wien und Breslau.
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Edition: [Karl Marx: Das Budget der Vereinigten Staaten und das christlich-germanische, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
[
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] Köln, 6. Januar.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
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21
] Bornheim, 4. Jan.
Die Reaktion erhebt in nie gekannter Kühnheit überall mächtiger, als je ihr Haupt; es sind ihr gleich einem mächtigen Raubvogel die scharfen Krallen wiedergewachsen, welche man im März schon genug
beschnitten zu haben glaubte. Die Bornirten glaubten das freilich. Auch in unsere stille Gemeinde hat sich ein solcher Todtenvogel eingenistet, — er horstet und brütet in den eleganten Salons
eines hohen Aristokraten. Se. Herrlichkeit, der königl. Kammerherr v. Carnap, Majoratsherr auf Bornheim, Ordensritter etc., unser gnädiger Bürgermeister und Herr hat die Agentur der „Neuen
Preuß. Zeitg.“ übernommen und gibt sich alle erdenkliche Mühe, die ganze Gemeinde mit Exemplaren gen. Zeitung zu beglücken. Zu diesem Geschäfte hat derselbe sich einen Gehülfen gesucht und in
der Person eines hiesigen Lehrers gefunden. Dieser hat nun in seiner Schule ein förmliches Zeitungsbureau etablirt und gebraucht die Schulkinder als Colporteurs der Blätter, welche ihm in genügender
Anzahl „gratis“ vom Herrn Ritter geliefert werden. Es ist derselbe Lehrer, welcher, wahrscheinlich im Vorgefühle seiner künftigen Staatsdienerpflichten, mit der bekanntlich von Amtswegen
verfaßten und sauber lithographirten Dankadresse, für das Auseinandertreiben der Volksvertreter und für die höchst gnädigst oktroyrte Verfassung, von Haus zu Haus lief und mit Ach und Krach ein ganzes
Dutzend Unterschriften zusammenbrachte. — Unseres Erachtens würde es besser sein, wenn der „gnädige Herr“ seinen armen Tagelöhnern, anstatt sie mit der „Neuen
Preuß.“ zu füttern, den Tagelohn von 5 Sgr. auf mindestens 6 Sgr. erhöhte. Doch der Geist will auch Nahrung haben, und was liegt daran, ob einige Proletarier darben, wenn sie nur darben
— für König und Vaterland! O glückliche „Neue Preuß.“, für deren Verbreitung Ritter und Schulmonarchen sich brüderlich verbinden! Glückliche Gemeinden, in deren Schulen Adreß- und
Zeitungsbureaus errichtet werden! Dreimal glückliche Eltern, deren Kinder schon in der Schule zu Trägern einer neuen politischen Aera herangebildet, wollte schreiben: zu Trägern schwarz-weißer Blätter
gebraucht werden.
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43
] Berlin, 3. Januar.
Mit großer Freude beeile ich mich, Ihnen hiermit einen Brief Temme's an den Justiz-Minister zu überliefern. Dies Document ist zu wichtig, als daß es dem Publikum vorenthalten werden
könnte. Hätte ich das Schreiben nicht aus zuverlässiger Hand, die ruhige, leidenschaftslose Sprache fanatischen Gegnern gegenüber, würde Temme errathen lassen. Mein Name bürgt Ihnen übrigens dafür,
daß das Schreiben Temme's nicht etwa auf dieselbe Weise in meine Hände gekommen ist, wie dies mit dem Exemplar der deutschen Reform vom 5. Dez., das jetzt in den Händen des Münster'schen
Gerichts sich befindet, geschehen sein soll.
Exellenz!
Am 28. d. M. wurde ich auf Anordnung des hiesigen Land-u. Stadtgerichts plötzlich arretirt, und zur gerichtlichen Haft im hiesigen
Zuchthause gebracht. In dem mir mitgetheilten
Verhaftsbefehl wurde mir bekannt gemacht, daß durch Verfügung des Criminal-Senats des hiesigen Ober-Lan-
[1020]
desgerichts vom 22. December gegen mich die Criminal-Untersuchung eingeleitet sei
weil ich den bekannten Steuerverweigerungsbeschluß vom 15. Novbr. zur Ausführung und Geltung gebracht,
wenigstens dies versucht und dazu hingewirkt habe.
Die Untersuchung und Haft war verfügt, ohne irgend eine Voruntersuchung, namentlich ohne daß ich vorher irgend wie vernommen war. In dem nach meiner Verhaftung mit mir angestellten Verhör
wurde mir eröffnet: wie der mir gemachte Vorwurf und die gegen mich eingeleitete Untersuchung darauf gegründet sei, daß die in Berlin erscheinende „deutsche Reform“ in ihrem Blatte vom
5. Decbr. den bekannten Aufruf der Abgeordneten der National-Versammlung an das Volk, vom 27. Novbr. enthalte, unter welchem auch mein Name mit abgedruckt sei.
Das Exemplar der Zeitung wurde mir vorgelegt! Weiter war mir nichts zur Last gelegt. Lediglich auf Grund dieses Zeitungsblattes war nach ausdrücklicher Versicherung des Inquirenten durch
Beschluß des O.-L.-G. die Criminal-Untersuchung wegen Hochverraths gegen mich eingeleitet und meine Verhaftung verfügt und bewirkt worden.
Es verstand sich von selbst, daß ich in dem Verhöre jede Auslassung verweigern mußte. Zwar bestimmte mich dazu nicht der völlige Mangel an irgend einem Thatbestande eines Verbrechens, so wie an
irgend einem Verdachte der Thäterschaft gegen mich, also an allem Rechtsgrunde zu der Einleitung der Untersuchung und zu meiner Verhaftung.
Einzig und allein auf den Grund eines
Zeitungsartikels, in dessen Inhalt an sich nichts verbrecherisches zu finden, über dessen Ursprung und Verfasser gar nichts bekannt war, ungehört verhaftet und zur Criminal-Untersuchung gezogen zu
werden, und zwar „wegen Hochverraths“, des mit der schwersten Todesstrafe bedrohten Verbrechens, der Fall mag in den Annalen, wenigstens der preußischen Rechtspflege, allerdings
bis jetzt wohl unerhört! dastehen. Als Inquisit mußte ich indeß mich dem fügen.
Es waren andere Gründe, die mich zur Verweigerung einer Auslassung veranlaßten und veranlassen mußten. Ich erklärte sie dem Inquirenten zu Protokoll.
Zuerst konnte ich das O.-L.-G. zu Münster überhaupt nicht für competent erachten wegen des Aufrufs vom 27. Nov. eine Untersuchung einzuleiten. Dieser Aufruf, datirt von Berlin und sollte
auch dort verbreitet sein. Der Gerichtsstand des begangenen Verbrechens (!) ist also in Berlin und nur die dortigen betreffenden Gerichte können die competenten zur Einleitung und Aburtheilung der
Untersuchung sein: Wollte man auch aus unserer Gesetzgebung eine secundaire Competenz für das Gericht zu Münster deduciren können, so würden daraus doch für den vorliegenden Fall die unauflöslichsten,
die Gerechtigkeit gerade zu verletzenden Widersprüche sich ergeben. Entweder würde nämlich alsdann dem O.-L.-G. zu Münster, indem es mich zur Untersuchung zu ziehen berechtigt war, die Cognition über
die ganze incriminirte That, und deren sämmtliche angebliche Urheber, also gegen die sämmtlichen 180 Abgeordneten, deren Namen unter dem Aufrufe abgedruckt waren, zustehen müssen. — Das Gericht
hat aber gegen die in seinem besonderen Gerichtssprengel nicht wohnenden Abgeordneten keine Untersuchung eingeleitet. Oder es würden über eine und dieselbe Handlung an 180 verschiedene Untersuchungen
eingeleitet, und an 180 verschiedene Erkenntnisse von eben so vielen verschiedenen Gerichtshöfen verfaßt werden müssen. Das erstere enthielt eine furchtbare Ungerechtigkeit gegen mich. Wie wahrhaft
monströs die zweite Consequenz in der Wirklichkeit sich da benehmen möchte, brauche ich wohl nicht auseinander zu setzen.
Zum Zweiten mußte ich das O.-L.-G. Münster als parteiisch perhorresciren. Durch die Immediat-Vorstellung vom 9. d. M., welche seitdem von allen denen, die an unparteiischen und unabhängigen
Richterstand glauben, welche von der ganzen öffentlichen Meinung gerichtet ist, hatten die Mitglieder des hiesigen O.-L.-G. Sr. Majestät gebeten, sie außer aller amtlichen Beziehung mit mir zu
setzen, weil ich durch meine Theilnahme an den Sitzungen der National-Versammlung in Berlin nach dem 9. Novbr. mich in offenbarer Auflehnung gegen Sr. Majestät Regierung befunden, durch Betheiligung
an dem Steuerverweigerungs-Beschlusse vom 15. aber den Boden der Revolution betreten und die Brandfackel der Anarchie in das Land zu schleudern gesucht hätte. Das gesammte O.-L.-G hat hierdurch nicht
nur überhaupt, sondern auch namentlich in Beziehung auf die Steuerverweigerung im Voraus eine feindliche parteiische Stellung gegen mich eingenommen, die es unmöglich machte, mein Richter zu
sein.
Zum dritten konnte ich in der Sache selbst überhaupt für irgend einen Richter keine Competenz anerkennen.
Was mir zum Vorwurfe, zum Verbrechen gemacht wurde, sollte ich als Abgeordneter der preußischen National-Versammlung gethan haben Als solcher bin ich aber nach dem Gesetze unverletzlich. Ueber
meine Handlungen, die ich in meiner Eigenschaft als Abgeordneter vorgenommen, habe ich nur meinem Gewissen, aber sonst keinem irdischen Richter Rechenschaft abzulegen. — Aus diesen Gründen habe
ich in dem mit mir abgehaltenen Verhöre eine jede Auslassung verweigert. Zugleich habe ich einen Protest gegen das wider mich eröffnete ungesetzliche Verfahren an Ew. Excellenz zu Protokoll erklärt.
Ich habe darin bei Ew. Excellenz angetragen:
„meine sofortige Entlassung aus der Haft zu verfügen, in der Sache selbst aber sodann weiter, was Rechtens befinden.“
Ich bat meinen Inquirenten um Beförderung dieses Protestes. Ich weiß nicht, ob er Ew. Excellenz bereits zugekommen ist. Auf dem langsamen Wege der Behörden kann er sich verzögern. Mir aber muß an
einer baldigen Entscheidung meiner Angelegenheit liegen.
Ich schreibe an Ew. Excellenz aus dem Zuchthause. Indeß nicht dies ist es, was mich auffordert, eine schleunige Erledigung meiner Angelegenheit herbeizuführen, wie wohl es einen merkwürdigen
Beitrag zu der merkwürdigen Geschichte dieses Prozesses liefert, daß der Criminal-Senat des O.-L.-G. für seinen Präsidenten gerade in dem hiesigen Zuchthause eine Gefängnißzelle bestimmen mußte,
die vielleicht, um ihm Aufnahme zu verschaffen, so eben erst von Räubern und Mördern geräumt war. Glaubt er etwa, jedenfalls dadurch mir den Wiedereintritt in seine Mitte unmöglich zu machen? Es
ist ganz etwas Anderes, was mich veranlassen muß, die schleunigste Wirksamkeit Ew. Excellenz anzurufen.
Recht und Gesetz sind durch das hier gegen mich beobachtete Verfahren auf das empörendste verletzt. Nur ein Ruf der Entrüstung darüber kann und wird durch ganz Preußen, durch ganz Deutschland
gehen. Das Ansehen des Gesetzes muß sinken, das Vertrauen der Gerichtshöfe muß zu Grunde gehen, wenn solche Ungerechtigkeiten fortdauern dürfen; wenn sie Bestand gewinnen können. Ew. Excellenz sind
der Chef der Justiz-Verwaltung in Preußen, der oberste Wächter des Gesetzes. Ew. Exeellenz Beruf ist es, dem Unrechte, wo Sie es finden, auf das kräftigste, zugleich auch auf das schleunigste zu
steuern.
Ich habe eine persönliche, ich habe aber auch nicht minder eine allgemeine Verpflichtung, Ew. Excellenz hier auf das dringendste anzugehen. Ew. Excellenz können es nicht zugeben, daß das hiesige
O.-L.-G sich die Eröffnung und Führung der Untersuchung gegen mich anmaßt. Ist hierzu eine Gerichtsbehörde competent, so kann es nur das Kammergericht in Berlin sein. Das hiesige O.-L.-G kann wegen
der zur Untersuchung gezogenen That weder gegen mich allein, noch gegen die übrigen 179 in allen Provinzen des Staats wohnenden Abgeordneten inquiriren. Ew. Excellenz in Ihrer Stellung können
das nicht dulden, denn Sie können nicht wollen, daß entweder ich allein als Opfer ausersehen werde, oder aber, daß der Gerichtshof zu Münster ein neuer privilegirter Gerichtshof für die in Berlin
begangenen politischen Verbrechen werde. Das wurde geradezu gegen Verfassung und Gesetz verstoßen und die Wohlthaten des in Berlin geltenden mündlichen und öffentlichen Strafverfahrens mit Einem
Schlage für politische Verbrechen vernichten, zu einer Zeit, wo für politische Verbrechen sogar Geschwornen-Gerichte durch das Gesetz verbürgt werden.
Ew. Excellenz können ferner unmöglich zugeben, daß Mitglieder des hiesigen O.-L.-G in irgend einer Weise noch über mich zu Gericht sitzen. — Man mag über das Immediat-Gesuch desselben vom 9.
d. M. im übrigen denken, wie man will; Eins ist nicht wegzuläugnen: das Collegium hat bereits im Voraus ein Verdammungsurtheil über mich ausgesprochen, bevor es die richterliche Cognition in die Hand
genommen hatte; es ist als Partei gegen mich aufgetreten, und kann am allerwenigsten in derselben Frage ferner mein Richter sein. Dies ist ungesetzlich! Es ist aber auch in den Anforderungen
begründet, die man an die Ehre von Richter-Collegien machen muß. Das leiseste Gefühl von Ehre würde das hiesige O.-L.-G. zu der Einsicht bringen müssen, daß es nach jenem Immediat-Gesuche und
nach den damit in Verbindung stehenden Vorgängen eine Untersuchung gegen mich nicht mehr einleiten durfte.
Am 19. Dezember theilte ich in einer Plenarsitzung dem Kollegium meine Entschließung in Folge jenes Immediatgesuches dahin mit, daß ich von meinem hiesigen Posten nur durch Urtel und Recht weichen
würde. Am 22. Dezember wird darauf nun ein längst verbreitetes Zeitungsblatt vom 5. Dezember hervorgesucht und auf Grund desselben die Kriminal-Untersuchung wegen Hochverraths und die Verhaftung gegen
mich eingeleitet. Wird durch solche Thatsachen nicht jedem Unbefangenen der Glaube an ein rein persönliches Motiv aufgedrängt, zumal, wenn er weiß, daß ich nach meiner Anciennität der jüngste Rath
eines Collegii sein würde, dessen zweiter Präsident ich jetzt bin? Muß nicht Jedermann annehmen, daß das, was auf dem einen Wege nicht erreicht werden konnte, nun auf dem andern erreicht werden
sollte? Das Ober-Landesgericht Münster mag in der That der Rechtsansicht gewesen sein, daß mit Untersuchung gegen mich zu verfahren sei, niemals aber, wenn es von Grundsätzen der richterlichen Ehre
sich leiten ließ, durfte es selbst damit vorgehen; es konnte nur Ew. Excellenz die Bestellung eines andern Gerichtshofes anheimgeben. So wie es jetzt verfahren, trägt es allein die Schuld, wenn es
sich für alle Zeiten den Ruf eines ehrenhaften und unparteiischen Gerichtshofes zu Grabe gebracht hat.
Ich fordere von Ew. Excellenz Gerechtigkeit! So wie ich nicht mehr fordern kann und werde, so werde ich auch nicht weniger fordern. Ich trage daher an:
„Daß dem
zuständigen und unparteiischen Richter die rechtliche Beurtheilung der mir zur Last gelegten Handlung überlassen werde.“
Zugleich muß ich aber auch:
„meine sofortige Entlassung aus der Haft beantragen!“
Ich will zur Begründung meines Antrages mich nicht darauf berufen, daß mir nur in meiner Eigenschaft als Abgeordneter eine verbrecherische Handlung vorgeworfen ist. Ich will mich auch nicht darauf
berufen, daß es mir scheinbar eine mindestens stark ans Unrecht gränzende Unbilligkeit ist, wenn ich von 180 Abgeordneten der einzige sein soll, der seiner Freiheit beraubt wird. Ich will mich nur auf
das Gesetz berufen. Nach § 209 der Kriminalordnung soll mit der Verhaftung des Verbrechers in der Regel dann verfahren werden, wenn „durch das Bekenntniß oder durch einen vollständigen Beweis
die Person des Thäters ausgemittelt ist.“ Nach §§ 206, 207 wird aber unter allen Umständen erfordert, daß die Existenz eines Verbrechens mindestens wahrscheinlich und ein hinreichender
Verdacht zur Verhaftung gegen eine bestimmte Person vorhanden sei. Dieses Letztere soll in jedem einzelnen Falle von dem Richter mit pflichtmäßiger Sorgfalt erwogen werden.
Ich darf es einzig und allein dem Ermessen Ew. Excellenz anheimstellen, in wie fern jenes Zeitungsblatt der deutschen Reform von einem pflichtmäßigen Erwägen des hiesigen Kriminalsenats bei meiner
Verhaftung Zeugniß abzulegen im Stande ist. Ich habe die meiste Zeit meiner richterlichen Laufbahn hindurch als Kriminalrichter fungirt, aber mein Gewissen und die Anerkennung aller meiner
vorgesetzten Behörden, die ich mir stets erworben habe, sprechen mich davon frei, daß ich auf einen bloßen Schein hin, geschweige auf solch ein Nichts hin, jemals eine Verhaftung veranlaßt hätte.
Vielleicht hat noch kein anderer preußischer Richter in so leichtsinniger und ungerechter Weise Ehre und Freiheit eines Menschen auf das Spiel gesetzt.
Münster, den 30. Dezember 1848.
(gez) Temme, Ober-Landesgerichts-Direktor.
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126
] Paderborn, 4. Januar.
In Temme's Angelegenheit ist an das hiesige Ober-Landesgericht ein Schreiben eingegangen, von dem ich mir eine Abschrift verschafft habe, die ich ihnen hiermit übersende:
„Das Ober-Landesgericht Münster hat wider den Direktor Temme daselbst
„wegen des gegen ihn begründeten Verdachts: den Steuerverweigerungsbeschluß — erlassen von
Abgeordneten der National-Versammlung d. d. Berlin, 15. November d. J., — zur Ausführung gebracht, wenigstens dies versucht, darauf hingewirkt zu haben,
„ auf Grund des
allgemeinen Landrechts, Thl. 2, Tit. 20, § 92, resp. 233 und 167 die Kriminal-Untersuchung eröffnet, auch seine Verhaftung verfügt.
„In dem nebst dem Berichte des Kriminalsenats vom 28. urschriftlich beifolgenden Protokolle vom 24. d. M. perhorrescirt der Ober-Landesgerichts-Direktor Temme den Kriminalsenat des
Ober-Landesgerichts Münster. Da die Mitglieder desselben in dem abschriftlich beifolgenden Immediatgesuch vom 9. Dezember c. sich dahin ausgesprochen haben: daß der Temme sich durch die Handlungen,
wegen welcher jetzt die Untersuchung wider ihn eröffnet worden ist, „ihrer Ansicht nach“ in offenbare Auflehnung gegen die Regierung Sr. Maj. gesetzt, den Boden der Revolution
betreten und wissentlich den Feuerbrand der Anarchie in das Vaterland zu schleudern gesucht, so will der Justizminister, damit auch der Schein vermieden werde, als ob bei dem Verfahren wider
Temme irgendwie von vorgefaßten Meinungen ausgegangen wäre und diese bei Aburtelung der Sache einen Einfluß ausüben könnten, dem Perhorrescenzgesuch Statt geben.
„Demgemäß beauftrage ich hiermit das Ober-Landesgericht Paderborn, resp. dessen Kriminal- und zweiten Senat, als im Allgemeinen durch die Cirkularverfügung vom 11. Juli 1835 —
Jahrbücher Bd. 46, S. 118 — substituirtes Gericht mit der Leitung der Untersuchung — deren Führung dem Land- und Stadtgericht Münster wird verbleiben können, so wie demnächst mit
der Entscheidung in der Sache.
„Aus dem in vidimirter Abschrift beigefügten allerhöchsten Erlasse vom 15. Dezember 1845, so wie den gleichfalls beigelegten Grundzügen, wird das königl. Ober-Landesgericht Paderborn das
Verhältniß des Land- und Stadtgerichts Münster als Untersuchungsgericht, zu dem Ober-Landesgericht daselbst ersehen, und hiernoch über die Anträge und Beschwerden des Temme an Stelle des
Ober-Landesgerichts Münster zu beschließen haben. Dasselbe ist angewiesen, dem königl. Ober-Landesgericht Paderborn die bisherigen Verhandlungen sofort zuzusenden.
Berlin, 31. Dezember 1848.
Justizminister (gez.) Rintelen.
An das Ober-Landesgericht Paderborn.“
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X
] Münster, 4. Jan.
Der „Aberglaube an den Richterstand,“ von dem unser Volk sich so lange hat bethören lassen, war ein Aberglaube nach zwei Seiten hin: ein Aberglaube an den
„Unabhängigkeitssinn,“ und ein Aberglaube an die „Weisheit“ des k. pr. Richterstandes. Nachfolgendes wird Ihnen zeigen, von welcher Beschaffenheit die
„Weisheit“ unseres Kriminalsenats ist.
Temme wurde am 22. Dez. verhaftet. Am 23. verfaßte der Kriminalsenat folgenden „Richterspruch:“
In Erwägung, daß wider den Oberlandesgerichts - Direktor Temme wegen des Steuerverweigerungsbeschlusses vom 15. Nov. und wegen versuchter Beihülfe zur Ausführung desselben die Untersuchung eröffnet
ist,
In Erwägung ferner, daß das ihm zur Last gelegte Verbrechen die richterliche Amtswürde kompromittirt,
In Erwägung endlich, daß darauf die Strafe der Kassation steht,so ertheilt der Kriminalsenat, bestehend aus den Ober-Landgerichtsräthen Sethe, v. Detten und Freusberg und dem
Ober-Landgerichtsassessor v. Druffel zum richterlichen Spruch, daß etc. Temme während der Dauer der Untersuchung von seinem Amte zu suspendiren ist.
Dieser famose Richterspruch wurde Hrn. Temme am 23. Dez. nicht mitgetheilt, sondern reservirt. Vielleicht nahm der Verhörrichter Rücksicht auf Temme's Gehalt für den laufenden Monat
und dessen Familie, bestehend aus Frau und sieben Kindern. Unterdessen hatte Temme das hiesige Obergericht beim Justizminister perhorreszirt und den Bescheid erhalten, daß dem hiesigen Obergericht die
Führung der wider ihn eingeleiteten Untersuchung genommen und dieselbe dem Obergericht zu Paderborn übertragen sei. Was unter solchen Umständen der Kriminalsenat mit seinem reservirten
„Richterspruch“ hätte thun sollen, das überlassen wir dem Urtheil des Publikums. Was der Kriminalsenat aber wirklich that, war, daß er Hrn. Temme jenen Richterspruch am 3. Jan.
vom Verhörrichter vorlesen ließ.
Hrn. Temme wurde überdem nicht gestattet, eine Abschrift von diesem juridischen chef d'oeuvre zu nehmen.
Die Kritik dieses Richterspruchs unter aller Kritik mag sich auf Folgendes beschränken:
Entweder soll sich dieser „Richterspruch“ auf Art. 86 der oktroyirten Verfassung gründen, (dieser aber besagt ausdrücklich: Richter können nur durch Richterspruch, d. h. nur durch
richterliche Erkenntniß nach Abschluß des Kriminalprozesses, aus Gründen, welche die Gesetze [welche noch gar nicht da sind] vorgesehen und bestimmt haben, ihres Amtes zeitweise entsetzt werden,) oder
es liegt diesem Richterspruch die altpreußische Gesetzgebung bezüglich der Suspension der richterlichen Beamten zum Grunde. Diese bestimmt aber in dem Reskripte vom 15. Nov. 1832 ausdrücklich: daß
wirklich angestellte Richter nur vom Justizminister suspendirt werden können.
Es giebt irgendwo, im Landrecht oder sonst wo, einen Paragraphen, wonach man Richter wegen Blödsinn oder Unfähigkeit belangen kann. Wir rathen Hrn. Temme, mit diesem Paragraphen gegen den
Kriminalsenat von Münster, eventuell gegen die obengenannten vier Biedermänner vorzugehen. Unsere politische Prozeßkomödie könnte dadurch sehr viel an Heiterkeit gewinnen.
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Löwenberg, 27. Dez.
Die Katastrophe, welche in den letzten Wochen in den öffentlichen Zuständen des ganzen Staates eingetreten ist, macht sich auch in unserer Gegend auf vielfache Weise fühlbar. Starke militärische
Kräfte sind in sämmtliche schlesische Gebirgskreise hereingezogen, und selbst die kleinsten Städte, wie Lähn, Liebenthal, Friedeberg haben ihre Garnison erhalten. Es sind hierzu meist Truppentheile
aus andern Provinzen, namentlich märkische Landwehr, verwendet. Obwohl nicht geradezu der Belagerungszustand proklamirt ist, so sind die Folgen für die freie Bewegung des politischen Lebens doch so
ziemlich dieselben.
[(Br. Z.)]
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] Wien, 1. Jan.
Das neunte Siegesbülletin ist erschienen. Darin berichtet Jellachich aus „Moor, 30. Dez.,“ daß er das Perczel'sche Korps unweit Moor angegriffen und vollständig geschlagen
habe. Er spricht von Tausenden von Gefangenen, die er gemacht haben will. Der Rest habe sich, 8000 Mann stark, gegen Stuhlweissenburg zurückgezogen.
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*
] Frankfurt a. d. O., 3. Jan.
Nicht bloß die Mitglieder der Nationalversammlung, welche die Steuerverweigerung beschlossen und das darauf bezügliche Manifest an's Volk erlassen haben, werden als
„Hochverräther“ vor Gericht gezogen, sondern selbst Buchhändler und Buchdrucker, welche jenes Manifest gedruckt oder verbreitet haben. So ist auch hier Hr. Kosky, Buchdruckerei-Besitzer
wegen Druck jenes Manifestes zur Kriminal - Untersuchung gezogen worden.
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Posen, 30. Dezbr.
Nach einer Handelskorrespondenz aus Warschau wird daselbst vom 1. Januar ab, wie dies bisher schon in Rußland selbst der Fall war, die Kaufmannschaft in Gilden oder Klassen eingetheilt werden,
wodurch derselben zugleich eine neue und sehr hohe Steuer aufgelegt wird. Die erste Gilde umfängt die Großhändler, und jedes Mitglied hat eine jährliche Steuer von 300 S.-Ru. außer den seitherigen
Abgaben zu zahlen. Die weiteren Abstufungen waren leider in dem Schreiben nicht angegeben.
[(Osts.-Z.)]
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Aus Westpreußen, 31. Dez.
Vor etwa sechs Jahren wurde auf Staatskosten die Königsberger Allgemeine Zeitung unter der Redaktion des bekannten Historikers und Statistikers, Professor Schubert, jetzigen Abgeordneten in
Frankfurt, gestiftet, um die Grundsätze des damaligen Gouvernements zu vertheidigen. Herr Schubert erhielt dafür ein außerordentliches Gehalt von 800 Thlrn. Indeß fand die Zeitung wenig Leser und noch
weniger Freunde. Auch Hr. Schubert konnte es nicht ertragen, daß die Tendenz, welche sein Blatt verfolgen mußte, und welche insbesondere aus den ihm eingesandten Artikeln hervorleuchtete, auf seine
Rechnung geschrieben wurde. Er legte die Redaktion nieder; die Zeitung veränderte ihren Titel in den einer „Zeitung für Preußen“, und Herr Dr. Metzel trat an ihre Spitze, die Subvention
aus der Staatskasse dauerte fort, während das Blatt immer mehr an Abonnenten und an Credit verlor. Endlich im März d. J. wurde die Subvention zurückgezogen, und am 1. April war die „Zeitung für
Preußen“ eines unbetrauerten Todes entschlafen. Aber man glaubt sie nur todt. Was im März und in den folgenden Monaten des heute dahinscheidenden Jahres geschah, war ja nur, so hoffte manches
Gemüth, eine Episode in unserer Geschichte, durch die die Herrschaft des auch von jener Zeitung vertretenen Systemes zwar unterbrochen, aber keinesweges auf immer zerstört werden konnte. Jetzt feiern
diese Hoffnungen ihren reichsten Blüthenfrühling. Das Alte taucht unter neuem Namen wieder auf, und die absolutistische „Zeitung für Preußen“ erwacht nach neunmonatlichem
Winterschlafe als „die konstitutionelle Monarchie“. Hr. Metzel ist wieder in Königsberg; er redigirt wieder die alte Zeitung unter neuem Namen, und wie er früher Jeden einen Feind
der Wahrheit nannte, der nicht zur Fahne „der reinen Monarchie“ schwor, wie Jeder ihm als Wühler galt, der den Constitutionalismus vertheidigte, so ist er jetzt ein Ritter der
konstitutionellen Monarchie geworden. Jetzt ist der Konstitutionalismus seine „Wahrheit“ und nicht nur der Republikanismus, sondern auch der Absolutismus sollen von ihm als
„Wühlerei“ und als „Lüge“ bekämpft werden. Aber Hr. Metzel ist derselbe geblieben, seine Zeitung ist dieselbe geblieben, sein System ist dasselbe geblieben, und seine
Gönner sind dieselben, die sie immer gewesen sind. Nur der Name hat gewechselt und weiter nichts als der Name.
[(N. Ztg)]
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Lübeck, 2. Jan.
Ein heute veröffentlichtes Rathsdekret spricht die politische Gleichstellung der Israeliten mit den Christen aus.
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Oberkirch, 2. Jan.
In unserer ganzen Gegend wird militärische Einquartierung eingelegt. Der Stab kommt heute mit einer Kompagnie hier her. Soll der Rhein besetzt oder Baden occupirt werden?
[M.
Ab.-Ztg.)]
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Aus dem badischen Oberlande, 1. Jan.
Am zweiten Weihnachtsfeiertage wurde in sämmtlichen katholischen Kirchen Badens ein Hirtenbrief des Freiburger Erzbischofs gegen die Einführung von Communalschulen verlesen.
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24
] Frankfurt, 4. Januar.
146ste Sitzung der National-Versammlung. Beseler eröffnet sie um 9 1/2 Uhr. Auf der Tagesordnung steht unter Nro. 1.
„Berathung des vom Abg. Zachariä Namens des
Biedermann'schen Ausschusses erstatteten Berichtes über den Antrag des Hrn. Wesendonck, die Auflösung der preuß. National-Versammlung und die Octroyirung einer Verfassung für Preußen
betreffend.“
Der Antrag des Ausschusses lautet auf einfache Tagesordnung. Eine Masse Verbesserungsanträge sind gestellt. Raveaux, Simon etc. beantragen motivirte Tagesordnung, in Erwägung, daß die
in Preußen octroyirte Verfassung nur als Grundlage einer neuen Vereinbarung zu betrachten sei. Andrerseits wird verlangt, daß die sogenannte preußische Verfassung schon ihres Ursprunges wegen für eine
des Volks unwürdige und für ungiltig erklärt werde.
Wesendonck hat zuerst das Wort gegen den Ausschuß-Antrag.
Der Ausschußbericht sei unklar. Er reihe eine Menge von Fragen aneinander, deren Beantwortung er schuldig bleibe, und der daran geknüpfte Antrag endlich scheine sich die Entscheidung des Bundestags
in der hannoverschen Verfassungsfrage zum Muster genommen zu haben. Wolle er (Wesendonck) auch nicht läugnen, daß die alte Bundesakte noch zu Recht bestehe, so könne doch kein Zweifel aus ihr über die
Competenz der National-Versammlung abgeleitet werden. Die preußische Verfassung ist nun keine vorläufige, sondern eine endgiltige, die nur durch die Uebereinstimmung beider Kammern abzuändern sein
soll. Dies Zweikammersystem widerspricht dem Grundsatze, nach welchem die Verfassung Preußens von Einer Kammer zu errichten war. Der Rechtsboden ist mithin schon in diesem Punkte verletzt, und von der
Seite dieses Hauses, die beständig von sich verkündete, sie stehe auf dem Rechtsboden, erwarte ich, daß sie sich in der verliegenden Frage treu bleiben werde. Es sei kein Kläger vorhanden, wendet man
ein. Handelt es sich denn aber um eine Civilsache? Außerdem bin ich, der Antragsteller, preußischer Staatsangehöriger, und allerdings sind Beschwerden wider die octroyirte Verfassung beim Hause
eingegangen von Naumburg, Neisse und anderen Orten her.
Das Motiv, womit die Verlegung und Vertagung der preußischen Landesversammlung gerechtfertigt werden soll, nämlich die Unfreiheit der Versammlung, vermag ich nicht anzuerkennen. Die
[1021]
Schreckbilder, von denen man uns erzählt hat, daß sie durch die Berliner Straßen schritten, lebten nur in dem Gehirne eines Furchtsamen. Der Traum eines rothen Republikaners freilich, er befindet sich
noch hier in unserer Mitte. (Gelächter.) Der Steuerverweigerungsbeschluß, den man den preußischen Volksvertretern zu so schwerem Vorwurfe macht, ist nichts als eine Konsequenz des Beschlusses, der das
Ministerium Brandenburg für ein hochverrätherisches erklärte. An Hochverräther zahlt man keine Steuern. Dazu ist die octroyirte Verfassung nicht erst ausgearbeitet worden, nachdem die äußersten
Konflikte eingetreten. Sie war längst vorbereitet und vorhanden. Sie ist wohl selbst aus Einflüssen hervorgegangen, die in diesem Saale ihren Ursprung haben. (Unruhe.) Die Verweigerung der Theesteuer,
von der die amerikanische Erhebung datirt, rühmt man uns. Was geschah denn in Preußen Anderes? Die octroyirte Verfassung aber wird mit Unrecht eine freisinnige genannt. Die erste Kammer stellt die
Bevorrechtigung des Reichthums wieder her, und was die Grundrechte anlangt, so tritt sie in Widerspruch selbst zu den in Frankfurt getroffenen Bestimmungen. Das Petitionsrecht z. B. wird nur den
anerkannten Korporationen zugesprochen, und Volksversammlungen unter freiem Himmel bedürfen einer vorläufigen Anzeige. Das absolute Veto, welches wir hier verworfen haben, in der preußischen
Verfassung findet es seinen Platz. Wär' aber die Verfassung selbst eine freisinnige zu nennen, so wird sie allen Anzeigen nach nicht gehalten werden. Alle Verfügungen des Ministers Rintelen
erinnern an das alte System, an das System der Despotie. Dazu kommt ein neuester Armeebefehl, der den Offizieren verbietet, von einer andern politischen Meinung als ihr König zu sein (Bewegung und
Widerspruch), dazu der königliche Neujahrsgruß an das Heer, worin auf die Märzbewegung herabgeblickt wird, als auf eine Empörung. Selbst das Vertrauen auf die Redlichkeit und Unabhängigkeit der
Gerichte ist vernichtet. Sie sinken zu Polizeianstalten herab. Unter den verschiedenen Anträgen, die Ihnen vorliegen, scheint mir der des Abgeordneten Uhland der empfehlenswertheste, der von der
Ansicht ausgeht, was in Preußen geschehen, das sei ein Verfassungsbruch. Das Ministerium Brandenburg habe nichts für das Wohl des Landes gethan, wohl aber die Berliner Versammlung, die ihre Zeit
wahrhaftig nicht vertändelt habe. Die Gründe der Auflösung, die man vorgeschoben habe, seien falsch. Spreche man es aus durch einen Beschluß, daß die preußische Regierung abermals ihr Wort gebrochen,
die Berliner Versammlung aber sich um das Vaterland verdient gemacht habe. — Lebhafter Beifall von der Linken und von der ungesperrten Gallerie, die auf Anlaß der heutigen Verhandlung mit einem
überaus zahlreichen Publikum besetzt ist.
Ihm folgt Hayn für den Ausschuß. Höchst verworren legt er seine schwache Lanze für Brandenburg-Manteuffel ein und für das gottbegnadete Werk der Contrerevolution. Beifall von der Rechten
lohnt ihm dafür. Der dritte Redner ist
Simon (Breslau): Alle stützenden Momente hat man zu die Macht der Versammlung stürzenden gemacht, so in der Malmöer Frage. Deutschland liegt am Boden, wir werden es nicht aufrichten. Ich
kann Sie diesmal nicht auffordern, Deutschland zu retten, Sie sind es nicht mehr im Stande! — Sie haben seit 9 Monaten vergessen, daß Ihre Macht und Kraft ausschließlich in den Sympathien des
Volkes liegt, und das deutsche Parlament, ein Riese auf diesem mütterlichen Boden, wird diesem enthoben, in der Diplomaten Armen erdrückt. (Bravo! Bravo!) Was haben Sie aber dadurch erreicht, daß Sie
den Kabinetten Rechnung getragen? Ich weiß wenigstens nicht, daß man Sie anerkannt hätte! Oesterreich erklärt geradezu, an unsere Beschlüsse nicht gebunden zu sein, betrachtet nicht Deutschland als
über Oesterreich stehend, verweigert die Zahlung der ausgeschriebenen Beiträge, will nicht mit dem Ministerium des Innern, wohl aber mit dem Ministerium des Aeußern unterhandeln: denn was hat auch
Oesterreich mit dem deutschen Ministerium des Innern zu thun? Hannover erklärt: die Grundrechte vorläufig nicht zu publiziren; Baiern hat keine Instruktion bezüglich dieser Grundrechte und
verweigert ebenfalls die Beiträge; Preußen hat zwar keine unumwundene Erklärung gegeben, aber es handelt einer solchen gemäß. Denken Sie an den Beschluß in der Posener Frage. Preußen hat ihn ignorirt.
In der oktroyirten Verfassung finden Sie eine unserm Beschlusse entgegenstehende Beantwortung! Sie hatten den Muth, der Krone Preußen auszusprechen, sie solle ihr Ministerium Brandenburg entlassen; es
war aber ausschließlich bestimmt, jenen Gewaltstreich zu begehen und man hat Sie nicht beachtet! Ihrem Beschlusse hat man es zu danken, daß es noch am Leben ist; man weiß jetzt, was man auf Ihre
Beschlüsse für Werth legt. Das ist aber der Unsegen aller Halbheit. Sie haben die Krone Preußen durch die Aufforderung, das Ministerium Brandenburg zu entlassen, verletzt und im Volke Alles Vertrauen
verloren, wenn Sie den Beschluß der Vertagung der Versammlung als ein Recht bezeichnen. Man sieht in Preußen und Oesterreich nicht mehr nach Frankfurt, weil man nichts mehr von Ihnen hofft, und da
läßt sich in diesem Momente wenig dagegen thun. Der Umschwung aber kommt bald, und ich tröste mich mit der Zuversicht, daß Deutschland die Begeisterung für Einheit und Freiheit noch nicht aufgeben
wird, weil es mit seiner ersten Versammlung nicht zufrieden ist. Es wird seine Idee nicht aufgeben, weil sie in ihm Wurzel gefaßt. Sie können aber diese Idee gründlich ruiniren, wenn Sie auf dem
eingeschlagenen Wege fortfahren; und Sie thun das, wenn Sie den Beschluß der Oktroyirung einer Verfassung als rechtlich darstellen und indem Sie über den Antrag Wesendonck's zur Tagesordnung
übergehen, den Antrag des Ausschusses annehmen. Als Solon gefragt wurde, welches die beste Verfassung sei, antwortete er: „Diejenige, wo die geringste Beleidigung des geringsten Bürgers als
Schmach für die Verfassung betrachtet wird.“ Wenn man dies als Maßstab an unsere preußische Verfassung legen wollte, wie würde wohl die Antwort lauten? Man hat nach der Märzrevolution nicht
gleich die Resultate gezogen, die Errungenschaft war eben das Versprechen, die Zusage der Vereinbarung einer Verfassung. Wehe aber dem Volke, welches nicht fühlt, daß in der Art des Erscheinens jener
Verfassung etwas Entwürdigendes liegt! Wehe dem Volke, welchem der Titel gleichgültig ist, unter welchem es sein Heiligstes empfängt; — und es kann ein Augenblick kommen, wo die preußische
Regierung erklären dürfte, sich an diese Verfassung nicht gebunden zu erachten. Gewalt hat gesiegt, wir sind noch an das Verfahren vor dem März gewöhnt, aber das muß ich entschieden tadeln, daß man
die preußische Nationalversammlung von dieser Tribüne herab geschmäht hat; der Ausschuß ist dabei nicht zurückgeblieben! Auch ich erkenne eine potische Nothwendigkeit an, aber nicht in dieser
Verfassungsfrage. Selbst dem Ausschusse sind Rechtszweifel hierüber aufgestoßen, aber sie zu untersuchen, ist ihm nicht eingefallen. Man sagt, schon die Unthätigkeit der preußischen
Nationalversammlung habe diese unfähig gemacht, sie habe nur drei Paragraphen fertig gebracht, aber eigenthümlich ist es, daß man dann, wo sie eben mit Ernst vorzugehen beginnt, das „Gottes
Gnaden“ streicht, Adel, Orden und Titel aufhebt, sie auflöst. Man fand, daß sie zu ernst vorging, darum hob man sie auf. Was den Umschwung der öffentlichen Meinung anlange, so möge man doch
dieselbe nicht überschätzen und dabei jene Einflüsse nach Gebühr in Anschlag bringen, wie andererseits allerdings es auch viele Leute gebe, welche den materiellen Druck höher schätzen, als den Sieg
der Idee. „Allein meine Herren, ist es nicht zum großen Theile unsere Schuld, die wir durch unser Zögern und Zagen, durch unser Zurückgehen und durch den Bankrott aller Ideen von Freiheit und
Einheit, mit welchen die Revolution geschah, das Volk erschlafft und ihm das letzte Vertrauen geraubt haben? Die alte schlechte Wirthschaft ist wieder in voller Blüthe. Von den preußischen Deputirten,
welche hier sitzen, wird kaum einer sein, welcher nicht einen Freund dermalen auf der Flucht oder im Gefängnisse, ja, selbst im Zuchthaus hat. Die Reaktion hat selbst die Unverletzbarkeit des
Richterstandes angegriffen. Wahrlich, solche Zeiten erinnern mich an die neapolitanische und spanische Periode, als die Bourbons mit dem ganzen Apparat ihrer Inquisition zurückkamen. Ich stehe nicht
an, vor ganz Deutschland, von dieser Tribüne herab zu bepaupten, daß sich der preußische Richterstand durch seine Dankadressen und die Verfolgung seiner Mitglieder einer schmachvollen Servilität
schuldig gemacht hat. (Stürmischer Ausbruch von allen Seiten des Hauses; von der äußersten Rechten wird zur Ordnung gerufen. Der Präsident erklärt unter lautem Beifall, daß er sich durch die
vorangegangene Aeußerung zu dem Ordnungsruf nicht für berechtigt halte.) Den Herren, welche mich zur Ordnung gerufen wissen wollen, rufe ich zu: daß die Unabhängigkeit der Gerichte das köstlichste
Palladium eines Volkes ist, welches feststehen muß, wenn alles Andere in Trümmer fällt. Die Richter dürfen nur das Gesetz und das Recht kennen und sollen daneben keine anderen Götter haben. Denn wenn
in den Rechtsbestand die Reaktion hineindrängt, so erscheint sie in ihrer fluchwürdigsten Gestalt und beweis't, daß die Krone bereits an den Grundfesten jeder Rechtsverfassung gerüttelt hat.
(Stürmischer, langdauernder Beifall von der Linken, so wie von allen Gallerien.) Meine Herren! Ich wälze nicht ausschließlich die Schuld auf diese Versammlung, denn ein Volk, dessen Wille Jahrhunderte
lang untergegangen war in der Geschichte seiner Fürsten, schwingt sich nicht in wenigen Monaten zur Freiheit. Aber wir, die Auserwählten, dürfen nicht dulden, daß die Rechtsidee geschwächt werde, und
nicht an uns ist es, das Banner der Freiheit zu senken, das uns in die Hände gedrückt worden ist, um es hoch in die Lüfte zu erheben, ja, selbst noch im Fallen festzuhalten. Uns gebührt es,
auszusprechen, daß die Auflösung der berliner Versammlung und die Octroyirung einer Charte eine Rechtsverletzung ist und daß diese Rechtsverletzung dermalen noch fortdauert. Darauf ist mein Antrag
gerichtet, und ich empfehle ihn der Versammlung zur Annahme. (Der Redner verläßt die Tribüne unter rauschendem Beifalle.)
Reichsminister der Finanzen v. Beckerath: der Rath, den der Verfasser von „Annehmen oder Ablehnen“ ertheilte, war dahin gerichtet, daß der vereinigte Landtag die patentirte Verfassung
einfach zurückweisen sollte. Wie aber, wenn der Rath befolgt worden wäre, wenn mithin der vereinigte Landtag der politischen Entwickelung Deutschland's gefehlt hätte? Das formelle Recht ist in
großen politischen Fragen nicht das allein Entscheidende. Ueberhaupt hat Simon mit Vorliebe die Schattenseite unserer Verhältnisse hervorgehoben.
Dieser tapfere Ritter von der Wiege am unbekannten Webstuhl, findet, daß die preußische Regierung endlich (!!) das Ihrige gethan. (Sehr natürlich in Herrn v. Beckerath's Munde). Der brave
Mann ist, wie sich von selbst versteht, für den Ausschuß.
Es wird Schluß beantragt und namentliche Abstimmung. Die Fortsetzung wird beschlossen. Es erhalten daher Wachsmuth (Hannover), um zu vermitteln, und Göben (Krotoszyn), um in gottbegnadeter
Reaktionswuth gegen Anarchie etc. zu faseln, das Wort. Martini (von der äußersten Linken) wird oft unterbrochen, weil er der Rechten und den Centren bittre Pillen verabreicht. Er schließt mit
folgenden Worten: „Meine Herren, ich will Ihnen auch meinen letzten Rath nicht vorenthalten: Gehen Sie nach Hause!“
Wieder Schluß gefordert und verworfen. So kommt denn Löwe aus Calbe zum Wort, der sehr richtig bemerkt: „Ich bedaure, meine Herren, den leeren Streit, den Sie führen; denn darüber scheinen
Sie einig zu sein, daß Sie nichts thun wollen; nur über die Form sind Sie verschiedener Meinung. (Sehr wahr! Bravo!)
Dritter Ruf nach Schluß und abermals abgelehnt.
Fr. Raveaux: Daß das preußische Volk kein Vertrauen mehr zu uns hat, ist auch meine Ansicht, und ich bin auch mit den Motiven vollständig einverstanden. Als die preußische Nation sah, daß
wir nicht im Stande waren, unsern Beschluß vom 20. November auszuführen, als es sah, daß wir nicht die Kraft hatten, seine Rechte in Wirklichkeit zu wahren, erhielten wir keine Adressen mehr und Sie
werden auch keine mehr erhalten; und ich gebe den preußischen Abgeordneten in so fern Recht, daß das preußische Volk nur auf sich selbst sich verläßt. Gegenwärtig geht aber eine gesetzliche Revolution
in Preußen vor, nämlich die Wahlen. Das Volk bemüht sich, Männer hinein zu bringen, welche den Gewaltstreich schon in nächster Zukunft beleuchten und Verwahrung dagegen einlegen werden. Das Volk wird
sich nicht wieder täuschen, und die Mehrheit schon protestiren. (Widerspruch. — Beifall.) Die Zukunft wird es lehren. Das preuß. Volk war für die Nation.-Vers. (Widerspruch.) Ich spreche
von dem Momente, wo die Adressen gegen Brandenburg, also auch für die Versammlung und gegen die Krone Preußen's eingingen. Ist es jetzt anders, so liegt es auch nahe, warum. Nach dem Beschlusse
der Steuerverweigerung ist die öffentliche Meinung umgeschlagen, und das Einschüchterungssystem Preußens hat seine Früchte getragen. (Widerspruch.) Ja, meine Herren, der Belagerungszustand, die
Militärcensur, das Alles ist weit schlimmer als Reaktion, das ist seit 1815 nicht da dagewesen. Ein Ministerium, welches Sie selbst entfernt wissen wollten, steht noch an der Spitze. An der Spitze der
Gewalt ein Ministerium, was diese Versammlung nicht will, das will viel sagen. (Heiterkeit.)
Wir standen bloß durch das Volk, von ihm haben wir die Macht, und wir haben sie Preis gegeben und werden sie durch die Fürsten nicht wieder bekommen. Beschließen Sie, was Sie wollen, einfache oder
motivirte Tagesordnung. Die Kommission, welche noch zusammensitzt für die Berathung der Blum'schen Todtenfeier, mag denn, meine Herren, über die Todtenfeier dieses Hauses ihren vollständigen
Bericht erstatten. (Stürmischer Beifall von der Linken und den Gallerieen.)
Endlich Schluß und namentliche Abstimmung.
Die einfache Tagesordnung mit 230 gegen 202 Stimmen verworfen.
Die motivirte Tagesordnung des Hrn. Wachsmuth etc. mit 214 gegen 167 verworfen.
Der Antrag von H. Simon und Genossen, lautend:
„Die Reichsversammlung beschließt: in Erwägung, daß die Berechtigung des preuß. Volkes, seine Staatsverfassung durch Vereinbarung mit der Krone festzustellen, als die Errungenschaft der
März-Revolution zu betrachten, eine Errungenschaft, die demnächst durch das von dem Vereinigten Landtag genehmigte Wahlgesetz vom 8. April 1848, durch die auf Grund des Letzteren erfolgten Wahlen und
das achtmonatliche Tagen der Nationalversammlung, Seitens der Krone und Seitens des Volkes anerkannt wordon ist und daher einseitig nicht vernichtet werden kann — in Erwägung, daß selbst vom
Standpunkte eines Nothrechtes der Krone die letztere nicht zur Oktroyirung einer Verfassung, sondern immer nur zur Vereinbarung mit andern Bevollmächtigten des Volkes gelangen konnte — in
Erwägung des im Beschlusse der deutschen Nationalversammlung vom 20. Nov. ausgesprochenen Willens, die dem preuß. Volke gewährten und verheißenen Freiheiten und Rechte gegen jeden Versuch eine-
Beeinträchtigung zu schützen, und der auf diesen Beschluß der Nationalversammlung hin erlassenen Proklamation der Centralr Gewalt vom 21. Nov., daß sie die Bürgschaft der National-Versammlung für die
Rechte des preuß. Volkes zur Geltung bringen werde; — in Erwägung jedoch, daß die Absicht des preuß. Volkes nicht zu verkennen ist, auf Grund des Patentes v. 5. Dezbr. v. J. die Wahlen zu der
auf den 26. Febr. d. J. zusammen berufenen Nationalversammlung vorzunehmen, somit die oktroyirte Verfassung mindestens als vorläufige Grundlage weiterer Verhandlungen mit der Krone anzuerkennen,
— aus allen diesen Gründen geht die Nationalversammlung zur motivirten Tagesordnung über.“
wird mit 236 gegen 158 verworfen.
Ein Antrag Schmidts (aus Berlin) und Genossen auf eine motivirte Tagesordnung des juste milieu mit 200 gegen 190 verworfen.
Endlich, da Schüler seinen Antrag zurücknimmt, kommt der Uhlands an die Reihe. Er lautet:
„Die National-Versammlung, als Vertreterin der neu errungenen Freiheit und politischen Ehre
und des deutschen Gesammt-Vaterlandes erklärt, daß sie die von der Krone Preußen einseitig verkündete Verfassung für rechtsbeständig und mit dem Selbstgefühle eines freien Volkes verträglich nicht
anerkenne, so lange dieselbe nicht mit den Vertretern des preußischen Volkes vereinbart sei.“
Wir brauchen wohl Niemanden, der diese hübsche Frankfurter Gesellschaft auch nur ein wenig beobachtet hat, mitzutheilen, daß der Uhland'sche Antrag mit Glanz verworfen wurde. Alles
verworfen, wie die Versammlung es selbst ist, verworfen vom deutschen Volke als die Bruthölle des Verraths, welcher, um seine Pläne besser zu bemänteln, stets von Anarchie nach unten schwazt, während
die Anarchie da oben desto herrlicher sich zu entfalten Gelegenheit findet. —
Die Versammlung geht also nach mehr als 9stündigem Geschwätz unverrichteter Sache auseinander. O Samiel, hilf!