[Deutschland]
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@facs | 0983 |
[Fortsetzung] sich fortwährend aus dem ganzen Lande Vertrauensvota zuschreiben lassen, meinten es redlich konstitutionell. Sie bedenken nicht, daß Ferdinand ebendarum abgesetzt worden ist, damit Romulus
Augustulus in Bezug auf die Errungenschaften ganz ungebunden handeln kann. Sie könnten sich überdies eines Bessern belehren, wenn sie die Intriguen dieses Ministeriums, namentlich dem Auslande
gegenüber, belauschten. Man gibt sich alle Mühe z. B. Frankreich in sein Interesse zu ziehen; man expedirt täglich Kuriere nach Petersburg und läßt, um sie wider Deutschlands Einheit aufzustacheln,
die kleinen deutschen Hofjunker zum Dalai-Lama nach Olmütz bescheiden; man wartet endlich den Sieg in Ungarn ab, um sich vollends als russischer Knutenteufel zu entlarven. Wer das nicht sieht, der ist
stockblind und stockdeutschdumm. Ueberdies sprechen es die Standrechtsblätter und die täglichen Handlungen des Ministeriums ganz laut aus, daß man die tempora Metternichiana wieder herbeiführen
müsse.
„Schild und Schwert,“ ein Blatt, welches privativ-ministeriell schreibt, versichert z. B. am 22. Dez., alle liberalen Schritte des Ministeriums seien blose Finten, weil es die
oktroyirte Verfassung noch nicht fertig habe und die Wiederherstellung der Ordnung in Ungarn abwarten wolle. Sei diese Zeit erst gekommen, dann werde das Ministerium schon mit seiner wahren Farbe
herausrücken. Es werde den Reichstags auflösen und ein Dutzend Deputirte in Anklagezustand versetzen. — Die Bewegungen Metternichs in London werden auch wieder genau kontrollirt und von den
Standrechtsblättern mit der alten „dem Leiter der Geschicke Oestreichs“ gebührenden Unterwürfigkeit verkündet. Unterliegt Ungarn, so wird, dessen können Sie gewiß sein, Metternich im
Triumphe heimkehren, um Oestreich mit dem Einzigen wieder zusammenzufügen, womit ein Stadt mit ursprünglich absolutistischem Fundamente zusammen zu halten ist, mit dem Despotismus.
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@facs | 0983 |
[
X
] Berlin, 26. Dez.
Ich bin im Stande, Ihnen die zuverläßige Nachricht mitzutheilen, daß man beschlossen hat, Berlin zu befestigen, nicht etwa gegen einen äußern Feind, sondern
gegen das Volk selbst. In dem von Sachverständigen abgehaltenen hohen Rath bei Sr. Erz. General D'ruf, hat man den Plan gefaßt, sämmtliche Thore zu befestigen, und in der Stadt selbst Häuser
anzukaufen, dieselben mit bombenfesten Dächern versehen und Geschütze auf denselben aufstellen zu lassen. Man kann auf diese Weise dann recht hübsch die Kanaille massakriren. Louis Philipp suchte
wenigstens durch Hrn. Thiers die Befestigung von Paris in der Kammer erst durchzusetzen und dann zu bauen, Friedrich Wilhelm winkt, und Brandenburg-Manteuffel bauen sofort darauf los.
Der Abgeordnete Rodbertus ist aus Berlin ausgewiesen. Hr. Harkort ist noch immer hier, und bearbeitet jetzt die Bauern Pommerns durch Lügenartikel, die theils in Plakaten, theils durch die deutsche
Reform verbreitet werden. — In der letztern zählt er die Wohlthaten alle auf, welche Friedrich Wilhelm den Bauern erzeigt hat; es sind dies z. B. alle die Gesetze, welche von der Nat-Verf.
berathen worden, und auf der andern Seite zeigt es, daß die Revolution und die Nat.-Vers. dem Staat 6 Mill. kosten, verschweigt, aber wohlweislich, daß wöchentlich 2,000,000 Thlr. als außerordentliche
Zuschüsse zum Staatshaushalt erforderlich sind. Auf diese Weise sucht man die Herren Pommern zu bearbeiten. Glück auf!
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@facs | 0983 |
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068
] Berlin, 27. Dez.
Wie weit die truthahnartige Wuth unserer Behörden gegen die rothe Farbe geht, davon mag folgende Thatsache Zeugnitz abgeben. Die unter der Leitung des
Ministeriums für Handel und Gewerbe stehenden Arbeiter haben den Befehl erhalten, falls sie noch fernere Beschäftigung von Seiten des Staats haben wollten, alle ihre rothen Fahnen an das
Ministerium abzuliefern. Die Arbeiter, denen man so das Messer an die Kehle setzte, mußten sich natürlich fügen und lieferten ihre Fahnen ab, von denen die meisten gar nicht als Symbole der Republik
gelten konnten, da sie, wenn auch auf rothem Grunde, doch Abzeichen und Inschriften trugen, welche aller politischen Natur meist entbehrten.
Der bekannte Statistiker Freiherr v. Reden genoß seit längerer Zeit eine durch die Vermittlung Alex. v. Humboldts ihm verschaffte Sinecure mit 2000 Thlr. Einkommen im Ministerium des
Auswärtigen. Derselbe ist jedoch seit einiger Zeit zur Disposition gestellt worden und zwar, weil er den nicht genug zu büßenden Frevel begangen hatte, in dem Konflikt zwischen Nat.-Vers. und Krone
durch Unterzeichnung einer von Preuß. Abgeordneten in Frankfurt ausgegangenen Adresse, Partei für die volksthümliche Seite zu nehmen. So wüthet die Regierung in ihrem eigenen Fleische, denn
Reden ist bekanntlich einer der enragirtesten Rechten der Paulskirche.
In der Deckerschen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei werden jetzt nur noch Arbeiter von bewährter reaktionärer Gesinnung beschäftigt. Alle demokratisch Gesinnte sind nach und nach
ausgemärzt worden.
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@facs | 0983 |
[
29
] Berlin, 27. Dez.
Hr. Leonhardt, Inquisitoriats-Direktor, eifriger Demagogen-Riecher und Richter in den 30ger Jahren, damals schon voll royalistischen Wetteifers mit Dambach,
Kamptz und ähnlichen Kreaturen, hat die Voruntersuchung gegen die steuerverweigernden Mitglieder der Nat.-Verf. überkommen.
Der Centralausschuß der Demokraten Deutschlands, bestehend aus den Herren Dr. Hexamer, Dr. d'Ester und Gr. Reichenbach, hat gegenwärtig in Halle seinen Sitz genommen. Eine zwangslos
erscheinende Zeitschrift, „der Urwähler“, ist dort als Organ des Ausschusses begründet. Auch Hr. Jung hat sich nach Halle begeben.
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@facs | 0983 |
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120
] Frankfurt, 25. Dez.
Die von Ihnen in Nro. 177 mitgetheilte Nachricht, daß der Dr. Stieber aus Berlin sich hier aufhalte, um unter dem Deckmantel demokratischer
Gesinnungen die Mörder der Herren Lichnowski und Auerswald zu ermitteln, ist eine durchaus irrthümliche. Hr. Stieber ist allerdings in Frankfurt gewesen, hat sich aber dort nur wenige
Stunden in einer ganz unschuldigen Privatangelegenheit aufgehalten und ist längst nach Berlin zurückgereiset. Wir hören, daß die fälschliche Nachricht, Hr. Stieber verfolge in Frankfurt polizeiliche
Zwecke, von einem Berliner reaktionären Blatte böswillig verbreitet worden ist, um der erfolgreichen Thätigkeit, welche Hr. Stieber in letzter Zeit als Defensor zu Gunsten der angeklagten Demokraten
entwickelt hat, schädlich zu sein.
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@facs | 0983 |
Frankfurt, 27. Dez.
So eben erhalten wir die zuverlässige Nachricht, daß Hr. v. Schmerling auf seiner Reise nach Olmütz in Leipzig durch einen nach Frankfurt gehenden Courier der
östreichischen Regierung eine Zuschrift des östreich. Ministeriums erhielt, wodurch er zum östreich. Bevollmächtigten bei der Centralgewalt ernannt wurde.
[(Fr. O. P. A. Z.)]
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@facs | 0983 |
[
S
] Aus dem Reich.
Herr von Schrenk hat sich von Frankfurt nach München begeben, um das ihm angebotene Ministerium des Innern zu übernehmen. Er soll Hrn. Abel den Weg
bereiten, damit dieser seinen Fuß an keinen Stein stoße. Hr. Max, König von Baiern, und seine Hofclique, scheinen immer noch eine gewisse Scheuheit — von den Märztagen her — zu besitzen.
Hatten sie einige Wochen Potsdam, Babelsberg u. Brandenburg-Manteufel studirt: sie würden nicht so viel Umstände machen und Hrn. Abel sofort zum Ministerpräsidenten ernennen. Der münchener
Reichs- und Bier-Philister würde deshalb kein Seidel weniger trinken, im Gegentheil, Bier und Knödel schmeckten ihm besser, wenn Hr. Abel auf einmal das bischen Unsinn, was seit März vorgekommen,
auslöschte und die gute alte Zeit wieder zu Ehren brächte. Indeß geschieht vorläufig nach dieser Richtung hin ganz Anerkennungswerthes. Damit münchener Reichsbürger die Christnacht ruhig begehen
können, publizirt die hohe Polizeidirektion, daß sie alle Vorkehrungen gegen Ruhestörungen getroffen. Gesagt, gethan! Schon Mittags am 24. d. ritten und schritten zahlreiche Patrouillen durch die
Stadt, die eine gewisse Aufregung und Unruhe hervorriefen — Alles lediglich, um die Ruhe für den Christabend vorzubereiten. Man frägt sich trotz der Patrouillen, was wohl der heil. Ludwig
seiner angebeteten Lola einbescheeren wird. Tausende von Conjekturen tauchen darüber auf. So vertreibt man sich die Zeit im Reiche. Allein die Amüsements wechseln je nach Zeit und Ort. In
Braunschweig, wo man statt „bairisch“ nur „Mumme“ trinkt, hat man für andre Kurzweil gesorgt. Der Landtag der braunschweigschen Reichs-Nation hat nämlich erklärt, daß das
„Reich“, die „Mumme“ und alle mit diesen schönen Sächelchen verknüpften Herrlichkeiten zu Grunde gehen müßten, wenn nicht
1) ein Haupt,
2) ein erbliches Haupt an Deutschlands Spitze tritt,
3) wenn nicht das preußische Haupt in ein Reichshaupt umgemodelt wird.
Ein Glück für unser Reich, daß es nicht aus lauter Braunschweigs besteht und nicht mit lauter braunschweig'schen Wilhelms beglückt ist. Wäre das der Fall, so erhängte sich das halbe Reich,
und die andre Hälfte müßte das Erhängte abschneiden. Und welches Unglück, wenn nun unsere Dutzende von theuern Landesvätern gleich in der ersten Hälfte wären? Was fingen wir dann an? wo bliebe
dann
1) das Haupt, 2) das erbliche Haupt, und 3) das preußische erbliche Haupt für die Reichs- „Mumme“?
Das Reich ist groß und wir flüchten uns zur Abwechselung und Erholung nach Detmold. Die Detmolder Nationalversammlung hat mit überwiegender Majorität ein Wahlgesetz angenommen, dessen
Grundprinzip direkte Wahl ist. Dabei findet keinerlei Census statt; mit 25 Jahren ist Jeder Wähler und mit 30 Jahren Jeder wählbar. Es wäre gut, wenn das deutsche Reich lieber in Detmold, statt
in Oesterreich, oder Preußen, oder in bairische Klösel aufginge.
Das altenburgische und sächsische Militär, das sich bisher in Weimar und Umgegend unter der Firma von „Reichstruppen“ abgefüttert, wird nächstens nach Schleswig-Holstein aufbrechen.
In Schwaben sammeln die Pietisten Unterschriften zu einer Adresse, worin sie den theuren Landesvater bitten, doch ja auch fernerhin sich „von Gottes Gnaden“ zu nennen. Die Schwaben
sollen jetzt an Schaffhausen den Unteroffizier ausliefern, der kürzlich einen Schweizer Bürger mit dem Säbel tödtlich verwundete. Der bekannte Dr. Strauß, Reaktionär vom reinsten Wasser, ist aus der
Kammer der Abgeordneten ausgetreten. Die Mißtrauensadressen haben also doch gewirkt; „spät geht Ihr, Doktor, doch Ihr geht.“ Der Herr Dr. wird sonach bald zur Mythe werden.
Französische Republik.
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@facs | 0983 |
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236
] Paris, 27. Dezbr.
Die Reden auf dem deutsch-französischen Verbrüderungs-Banket vom 24. dieses haben einen neuen Kummer den hiesigen Reaktionären aufgeladen; die Trinksprüche:
„Hoch leben Robespierre, Couthon, Marat, St. Just und alle ihre Nachfolger, die das soziale Werk weiter führen“ (Ewerbeck); „ Hoch lebe die Vereinigung deutscher und französischer
Demokratie, sie mögen über die Leichnahme ihrer Todfeinde schreiten“ (Kapp); „Hoch lebe die Propaganda“ (Schmitz, Arbeiter und deutscher Freischärler); „Hoch das
social-demokratische Frankreich“ (Appuhn) u. s. w. werden vom „Constitutionel“ als besonders „antisocial“ aufgeführt, und „Assemblée nationale“
weist auf die aus solchem Fraternisiren „der Gesellschaftsumstürzer in verschiedenen Nationalitäten“ entspringende Doppelgefahr hin. Das letztere biedere Blatt sagt: „Die Zeiten
des Antichrist scheinen zu nahen; schon reichen die Bösen verschiedener Lande und Zungen, über Fluß- und Berg- und Meergränzen hinüber, sich die räuberischen Hände; unsere Landessprache dient ihnen
dabei als geistiges Band, unsre gastliche Hauptstadt als materieller Boden. Französische Mitbürger entblödeten sich nicht, die revolutionäre Irrlehre den Fremdlingen zu bringen, und jetzt beschenken
uns letztere zum Danke mit ihrer eigenthümlichen Umsturzphilosophie; wahrlich es scheint eine Epoche zu kommen wie jene, wo französische Kalvinisten mit deutschen Reformirten konspirirten und das Heil
des französischen Patriotismus vaterlandsverrätherisch aus den Augen setzten. Bewahre uns der Himmel die Bartholomäusnacht zu loben … aber u. s. w.“ Ad vocem Bartholomäusnacht, so möge
man wissen, daß der von Bonaparte zum Kultusminister erhobene legitimistische Jesuitenschüler Falloux in einer Schrift demonstrirt, sie sei ein Werk des Zufalls, habe mit dem Katholicismus nichts zu
thun, sei nicht so übel gewesen u. dgl. Er wird die Kammer nächstens mit einem famosen Vorschlag über „Unterrichtsfreiheit“, was in Frankreich gleichbedeutend ist mit Anheimgebung des
gesammten Volksunterrichts an den römischen Klerus, erfreuen; er kann die „demokratisirenden Volkskatechismen, Kalender, Fibeln und Hausbüchlein“ deren seit März doch eine Menge durch
die Klubs und vom Staate besoldeten Gemeindeschullehrer in Umlauf gebracht wurden, nicht länger verdauen. — Die „Assemblée nationale“ belehrte ferner neulich ihre Leser:
„Die etwaigen Blutscenen der Windischgrätz'schen Truppen in Wien, seien leicht zu entschuldigen, sintemal im Kriege es heißer hergeht denn im Frieden; selbst der rühmlichste Krieg bringt
hie und da Gräuel mit sich, aber kein Verständiger wird ihn deswegen verdammen. Was fällt also dem National ein, daß er immerfort die Grausamkeiten der k. k. Soldaten in phantastischer Redeweise
bespricht? Möge er bedenken, daß sie Ordnung und Gesetz in Wien hergestellt haben. Der National posaunt seine wiener Mordhistörchen wohl den Bauern zu Gefallen, die in den langen Winterabenden um den
Heerd sitzen und dergleichen gern hören.“ Der National hatte, unter andern Scheußlichkeiten, die philanthropische Exekution jener Studenten berichtet, die ihre eigenen Gräber schaufeln mußten,
während die Offiziere rauchten und lachten und nach der Uhr sahen. „Assemblée nationale“, diese emsige Junimörderin, die „jede Amnestie, selbst eine noch so wenig zählende,
für lächerlich und unreligiös“ erklärt, fühlt sich offenbar durch jenen k. k. Mordwitz momentan überflügelt und läßt ihren Verdruß am National aus. „Die Kroaten, sagt sie, haben ihm
zufolge in Jahr und Tag in Italien und Oesterreich mehr kleine Kinder gefressen, als seit den Zeiten des Saturn und Polyphemus konsumirt wurden. Uebrigens müßte man auch Spaniens Patrioten und Bauern
tadeln, die gegen Napoleon's Krieger mit Gift, Dolch, Feuer und Martern ankämpften, und doch wird kein Verständiger heute ihnen es vorwerfen.“ Dies verständige Blatt schließt mit dem
erbaulichen Geständniß: „Die Skandäle und Gräuel, die man den Juniinsurgenten nachsagte, sind sämmtlich erlogen“ (es war notabene selbst am geschäftigsten bei diesem Erlügen gewesen)
„ und um nur zwei Exempel zu liefern: weder die Köpfung der sieben Mobilen ist, trotz der angeblichen Augenzeugnisse erwiesen worden, noch die Absägung des Halses jenes Mobilen die zwischen
zwei Brettern von einer Frau geschehen sein sollte. Diese arme Frau war auch laut Augenzeugen angeklagt; man zerprügelte sie entsetzlich und schleuderte sie in einen Kerker, aus dem sie erst jetzt vor
Gericht geschleppt, und auf dem Flecke losgesprochen ward.“ Der Leser nehme diesen Ausspruch des niederträchtigsten aller französischen Reaktionsjournale (Granier Cassagnac, der Vertheidiger
des Negerhandels, schreibt z. B. darin) zu Akt; er steht in der Nummer vom 17. dieses. — Das „Journal des Debats“ jubilirte gestern in einem brillanten Leitartikel von drei
Kolonnen über Odilon Barrot's Präsidentur; dahin also sei die Februarrevolution glücklich zurückgebogen, nach zehnmonatlichem Ab- und Ausschweifen; aber das Unheil der „honnetten,
festen“ Regierung Louis Philipp's sei eben sein zu großes Vertrauen in die konstitutionelle Gesetzlichkeit des vom Revolutionsgeist längst durchtränkten Frankreichs gewesen; folgt eine
lange Litanei über die tristen Resultate des Februarschlags, eine brutale Vergleichung der Proletariatsbewegung mit dem altrömischen Sklavenkriege unter Spartacus — wobei noch zwei historische
Schnitzer unterlaufen — und der Rath: „Die Bourgeoisie, welche von jetzt ab Jahre lang auf der Bresche stehen und die Gesellschaft mit den Waffen schirmen muß, möge nicht versäumen, ihre
Reihen den aus dem Proletariat sich empor arbeitenden fleißigen Leuten zu öffnen. Plinius rief einst: Italien geht unter durch die übergroßen Grundstücke. Laßt Frankreich nicht untergehen durch die
große Industrie.“ Interessant ist jedenfalls das Geständniß der Bertin'schen Börsenblatts von der Bresche und der Gesellschaftsvertheidigung.
Die statistische Situation dieser Bertin'schen Gesellschaft ist so eben in ziemlich erschöpfender Weise geschildert durch den fourieristischen talentvollen Schriftsteller Perreymond, der mit
deutscher Literatur bekannt ist. Ich werde Auszüge davon liefern.
Bilanz Frankreichs.
Napoleon rief: „Guter braver Henri IV.! der auch hat seine armen Knochen viel gerührt!“ In der That, Henri IV. hat eine Regierung zu führen gewußt, die für die Entwicklung des
modernen Prinzips der Weltgeschichte Epoche ist. Auf seinen Ruf verstummten die miserabeln Geldluchse, Bourgeois, Schriftführer und Justizbeamten, wie die Junker, welche unter dem Vorwande
katholischer oder protestantischer Religion das Arbeitsvolk in Stadt und Land fünfzig Jahre lang ausgepreßt hatten. Im Jahre 1596 rief er die Generalstaaten nach Rouen und verlangte ihren Rath,
„wie den Armen möglichst zu helfen sei?“ Statt hierauf einzugehen, proponirte der Rouener Reichstag, nachdem er sich der Adelsdeputirten geschickt entledigt und „versammelte
Rotabeln“ getauft hatte, eine Steuer auf den Detailverkauf, und eine Rechnungskammer, die sich mit Besoldung der Bourgeoisbeamten aller Sorten abgeben sollte. Der König und der Minister Sülly
opponirten. Die Nationalversammlung von 1789 erklärte: La misère des peuples est un tort des gouvernemens: das Elend des Volks ist eine Schuld der Regierungen; sie dekretirten das droit
à la subsistance und au travail. Heut zu Tage stehen wir aber noch so weit zurück, daß die Malthusianer in unsrer Kammer Zeter schreien bei dem bloßen Wort droit au travail. Von Ausgleichung
der Wohnungs-, Kleidungs- und Nahrungsverhältnisse wollen diese Leute auch nichts wissen, obwohl die Tabellen nicht ganz steril sind; sie würden daraus lernen, daß bei Gelegenheit der 1835 neu
aufgelegten Thür- und Fenstersteuer in Frankreich waren:
[Spaltenumbruch]
346,401 |
535,926 |
834,064 |
1,328,937 |
1,816,398 |
[unleserlicher Text]aber die ungeheure Summe
1,817,328 |
[Spaltenumbruch]
Häuser mit |
Häuser mit |
Häuser mit |
Häuser mit |
Häuser mit |
Häuser mit |
[Spaltenumbruch]
1 Oeffnung. |
5 Oeffnungen. |
4 Oeffnungen. |
3 Oeffnungen. |
6 und mehr |
nur 2 Oeffn.
|
Das bedeutet: mehr als die Hälfte aller Wohnungen, mehr als 3 Mill. hatten eine Thür ohne Fenster, eine Thür und ein Fenster, eine Thür und zwei Fenster; will man das menschenwürdige Häuser
nennen?
Ferner: 1,817,328 Häuser mit zwei Oeffnungen (d. h. einer Thür und einem Fenster) stehen in den Landgemeinden; dort sind auch 1,328,937 mit drei Oeffnungen, und die 346,401 mit einer. Eine Summe
von fast 600,000 Häusern mit sechs Oeffnungen und darüber spreizt sich in den über 5000 Einwohner zählenden Städten, und in diesen mit glücklichem Licht- und Luftzutritt begabten Häusern wohnen
zehn Mill. Franzosen (in großen Städten 10, mittlern 4, auf Dörfern 5 Mann per Haus). In den mit 5 Oeffnungen wohnen über drei Mill. In den mit 4 wohnen über zwei Mill. Summa wie
oben erwähnt: die kleinere Hälfte der 33,319,000 Bewohner Frankreichs hat Wohnungen von mehr
[0984]
als 3 Oeffnungen; und volle 16,570,000 hocken in Häusern mit 3, 2 und 1 Oeffnung. An 214,000 Personen haben nicht einmal Zutritt in diese, und verbergen sich in Erdhütten oder Bodenlöcher. Ein
Drittel Franzosen bewohnt Städte, zwei Drittel gehören den Ländereien an.
Allerdings, die uns verketzernden Malthusschüler gehören nicht zu denen die in Höhlen mit 3 oder 2 Oeffnungen wohnen. Nein, diese Sorte thront gar gehäbig in vielfenstrigen Palästen. Jetzt
an's Einzelne.
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@facs | 0984 |
[
12
] Paris, 27. Dez.
Nichts loser, nichts unhaltbarer als die jetzige offizielle Regierung Frankreichs; denn sie steht in keiner Verbindung mehr mit ihrem Ursprunge, der Februar-Revolution. Frägt man z. B. Napoleon, ob
er aus der Februar-Revolution hervorgegangen sei, so wird er dreist antworten: Nein; die 5 Mill. Stimmen sind für ihn 5 Mill. Herzen, die ihm vor wie nach der Revolution zugethan gewesen. Frägt man
Odilon-Barrot, ob er ohne die Revolution hätte existiren können, so wird er dreist antworten, daß er bereits existirt habe, ohne die Revolution, im Augenblicke, wo die Wahlreform auf ihrem höchsten
Punkt angelangt war. Um von Louis Philipp auf Napoleon zu kommen, waren Februar und Juni überflüssige Dinge: so denkt der Präsident der Republik. Um von Guizot auf Barrot zu kommen, ist ein
Königsstamm treiben gegangen, das ist das Unglück der Revolution, so wähnt Barrot. Das einzige, was aus der Revolution noch datirt, das sind die 900 Mitglieder der Kammer: die unglückseligsten
Geschöpfe, die man sich denken kann. So lange sie gegen die rothen Gespenster der Republik anzukämpfen hatten, war doch wenigstens ein Gegenstand, eine Farbe da; jetzt stehen sie auf einmal vor einem
Dinge still, das farbenlos wie Wasser ist; einem Manne, den sie gar nicht geahnt haben, und der mit ihnen verfährt, als wären sie, die Deputirten, die rothgefärbten! Besser konnten die Socialisten und
Kommunisten, Blanc und Barbes nicht gerächt werden.
In Folge der Besteuerung der Bauern und der andern falschen Finanzmaßregen überhaupt, kam eine Kammer zu Stande, die, obgleich aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangen, der Revolution
schnurstracks entgegentrat, in dem Wahne, das Eigenthum vertheidigen und die Anarchie bekämpfen zu müssen. Nach dem Juni-Siege blieb von der Revolution weiter nichts übrig als die Republik, die sich
in dem National, d. h. in Cavaignac verkörperte. Mit dem Falle Cavaignac's fällt die Kammer, und Napoleon behandelt sie mit der ihr gebührenden Verachtung. Bei der großen Revue, die Napoleon
abhielt, lief sie hinter seinem Pferde her, und die 900 Mitglieder liefen jeden Augenblick Gefahr, unter die Pferde des zahlreichen Generalstabes des neuen Präsidenten zu gerathen. Früher konnten sie
sich noch stark wähnen, weil sie, aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangen, zu glauben berechtigt waren, das Volk hinter sich zu haben. Seitdem das allgemeine Stimmrecht mit einer ungeheuren
Majorität einen Mann an die Spitze gestellt hat, den sie beständig bekämpft haben, verlieren sie das Bewußtsein ihrer Kraft, und irren daher wie verlassene Schaafe. Vergebens ruft die Reforme ihnen
zu: Euer Mandat ist noch nicht vollendet. Sie fühlen ihre eigene Ohnmacht, da sie zur Zeit ihrer Macht dieselbe gegen sich selbst gerichtet haben
Der eigentliche Cavaignac ist jetzt nicht mehr in der Kammer, sondern außerhalb derselben und nimmt ihr gegenüber eine feindselige Stellung ein. Dieser Cavaignac ist Changarnier mit seinem Kommando
über die National- und Mobilgarde, und einen großen Theil der Linientruppen. Diese ungeheure Gewalt, welche dem Kommandanten der Nationalgarde übertragen, ist eine den bestehenden Gesetzen gerade
zuwiderlaufende Maßregel. Was antwortete Odillon-Barrot, als er von Ledru-Rollin darüber zur Rede gestellt wurde? Die Maßregel ist ungesetzlich, das giebt er in seiner gewöhnlichen Phraseologie zu;
aber in diesem Augenblick läuft die ganze Gesellschaft noch größere Gefahren als die Republik. Die ganze Gesellschaft müsse in diesen außerordentlichen Umständen beschützt werden. Nun ist aber die
Gesellschaft die Republik: also die Republik läuft Gefahr, und diese Republik müsse beschützt werden gegen eine andere Republik. Was ist die andere Republik? Doch keine andere, als die Republik der
Kammer, die jetzt dem Napoleon gegenüber auf demselben Fuße steht, wie die andere Republik, die sie, die Kammer, im Juni bekämpfte.
Napoleon trotzt, weil er sich auf 5 Millionen Herzen beruft; Barrot, weil er, während der Februar-Reform vom Ministerium anfangend, wieder an's Ministerium gelangt ist; und die Kammer, die
Alles dieser hat geschehen lassen, weiß nicht mehr, woran sie hält. Indessen rückt der Februar immer näher heran; während das Volk Napoleon mit seinen 5 Millionen Herzen und dem Herzen Barrot's
gewähren läßt, bereitet es seine Arme auf's neue vor, um die Februar-Revolution auf ihren wahren Ursprung zurückzuführen.
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@type | jArticle |
@facs | 0984 |
Paris, 27. Decbr.
Der Moniteur enthält folgende Verordnungen:
1., Dekret, das die Professoren: Michel Chevalier, Portest, Lerminier, Alix Desgranges und Tissot wieder auf die fünf Lehrstühle setzt, welche die Provisorische Regierung, als dem Geiste der
Februarrevolution zuwider, am 7. April 1848 abschaffte. Dieses Dekret ist indeß nur eine natürliche Folge des Beschlusses der Nationalversammlung, die in ihrer Sitzung vom 14. November [unleserlicher Text]. bereits jene
Wiederbesetzung dekretirte.
2., Dekret, welches das Institutsglied Eugene Burnouf zum Administrator des College de France an Letronne's Stelle ernennt.
3., Hr. v. Chabrier, ehemaliger Universitätsinspektor und Mitglied des historischen Ausschusses im Unterrichtsministerium, tritt an Letronne's Stelle als Oberaufseher sämmtlicher
Nationalarchive.
4., Hr. Chasserian, vom Staatsrathe, ist zum Kabinetschef im Marine-Ministerium ernannt.
5., Ein Spezialbefehl des Unterrichtsministers dehnt die Neujahrsferien aller Schulen um Einen Tag aus, damit deren Zöglinge die Proklamation Bonaparte's in Freude genießen können.
6., Obergeneral Changarnier erläßt einen Tagesbefehl an sämmtliche Truppen und Bürgerwehren, die an der vorgestrigen Parade Theil nahmen, um ihnen die Satisfaktion des Präsidenten für ihren
Diensteifer zu erkennen zu geben.
Die Obergerichtskollegien und die Advokatenzunft haben dem Justizminister und Siegelbewahrer ihre Aufwartung gemacht. Hr. Odilon Barrot antwortete ihnen unter Anderem:
„So sehe ich mich denn in einem Alter, wo der Mensch auszuruhen pflegt, in der Mitte politischer Stürme. Ich bedarf, um mein Amt zu erfüllen, des Beistandes aller guten Bürger. Frankreich
muß fortfahren, einen so allgemeinen Theil an den Regierungsgeschäften zu nehmen, wie es so eben bewiesen. Dies ist das Eigenthümliche der freien Länder; sonst gibt es keine Aufopferung, keine
persönliche Macht, die es (gegen Anarchie??) retten könne. Ich rechne daher auf Sie und den Beistand aller anständigen Leute u. s. w.“
— Louis Napoleon Bonaparte stattete heute Mittags 11 Uhr dem Präsidenten der Nationalversammlung, Hrn. Marrast, einen Besuch ab, der längere Zeit dauerte. Es wäre möglich, daß er außer
formeller Höflichkeit sich auf die Vizepräsidentschaft (über die immer noch nichts entschieden zu sein scheint) bezöge. Die bisher in den Blättern enthaltenen diesfälligen Bezeichnungen sind durchaus
falsch oder voreilig. Zu bemerken ist, daß Marrast ihm früher Visiten machte.
— Cavaignac's Zurückgezogenheit erscheint nicht ganz unschuldig. Im Gegentheile entwickelt er heimliche politische Thätigkeit, die sich zunächst in der Bildung eines neuen
Repräsentantenklubs kundthut. Derselbe versammelt sich in der Rue Nevue Saint Georges bei Sax und zählte gestern Abend 72 Mitglieder, worunter Senard, Degoussée, Billault, Havin, Tillancourt,
Perrée, (vom Siecle), Clement Thomas, Landrin, Raynal, Babeaud-Laribiere etc. In den betreffenden Einladungsschreiben wird zur Verschwiegenheit ermahnt.
— National-Versammlung. Sitzung vom 27. Dezember. Anfang 2 Uhr. Präsident Marrast.
Das Protokoll wird verlesen und angenommen. Ihm folgen mehrere Urlaubsgesuche. Bewilligt.
Rollard legt seinen Bericht über Reorganisation des Kommunalwesens nieder.
Die Versammlung nimmt ihre Tagesordnung, die gestern unterbrochene Salzsteuerdebatte, wieder auf.
Cordier tritt energisch gegen dieselbe auf. Diese Steuer laste am härtesten auf den armen Landproduzenten und gleiche einer Progressivsteuer im umgekehrten Sinne, darum müsse sie abgeschafft
werden. Sonst entfremde man den Landbürger von der Liebe zur Republik.
Avond nimmt seine gestern abgebrochene Debatte wieder auf und erklärt die ministerielle Absicht, diese Steuer erst 1850 zu mildern, für eine schreiende Ungerechtigkeit. Man solle schon mit
dem Neujahr damit beginnen. Dies könne ja mäßig geschehen und werde dann sicher nicht den Staatsschatz ruiniren.
Passy, der neue Finanzminister, protestirt gegen jede Erniedrigung oder Abschaffung der Steuer. Ich will, sagt er, die Vortheile nicht bestreiten, die sie für den Ackerbau und die Viehzucht
äußern dürfte, allein als Finanzminister muß ich mich jeder derartigen Maßregel widersetzen. Meine Vorgänger haben Ihnen mehrere Finanzübersichten vorgelegt, allein ich muß Ihnen melden, daß sie große
Unrichtigkeiten enthielten. (Hört! Hört!) Sie gaben Ihnen das Defizit pro 1848 und 1849 auf 460000,000 Fr. an, ich aber erkläre Ihnen, daß dasselbe um mindestens 60 Millionen höher steigt und sich
vielleicht zu der enormen Höhe von 560,000,000 erheben dürfte. (Agitation im ganzen Saale.) Nach diesen Umständen muß ich gegen jede Steuerherabsetzung protestiren vor dem Jahre 1850.
Nach dieser Verwahrung tritt der Minister in ein Zahlenheer, wohin wir ihm nicht folgen können.
Seiner Rede folgt große Gährung.
Marrast: Eine große Zahl Deputirter stellt mir so eben den Antrag zu, die gleiche Briefportotaxe vom 1. Januar an noch nicht einzuführen. (Lärm.) Marrast liest einen Theil dieses Antrags,
der neuen Tumult hervorruft, dann wird die Salzsteuerdebatte wieder aufgenommen.
Lagarde erhält das Wort
Lagarde, Berichterstatter des Ausschusses, der die Anträge rücksichtlich der Salzsteuer zu prüfen hatte, unterstützt die Ansicht seines Ausschusses, welche in der absoluten Abschaffung des
Dekrets der provisorischen Regierung vom 15. April besteht und sich nur vom 1. Juli 1849 an mit Herabsetzung der Salzsteuer auf 10 Centimen für das Kilogramm begnügt
Die ausländischen Salze wären demnächst folgendermaßen zu bezollen:
a. an der belgischen Gränze 2 Fr. für 100 Kilo;
b. an der deutschen und spanischen Gränze ½ Fr. für 100 Kilo;
c. vom Mittelmeer her ½ Fr. für 100 Kilo unter französischer Flagge, unter fremder Flagge 1 Fr. für 100 Kilo
Rodot hält alle diese Reformen für den Ackerbau unnütz und will sie
höchtens vom 1. Januar 1850 zugestehen. Darum sei er mit dem Redner eigentlich nur über die Periode uneinig und unterstütze den ministeriellen Antrag für Neujahr 1850.
St. Romme bekämpft diese Lauheit für die wichtige Steuer und stellt den förmlichen Antrag, das Dekret der provisorischen Regierung (vom April) aufrecht zu erhalten und diese Steuer schon mit
bevorstehendem Neujahr abzuschaffen.
Mcaulle schlägt vor, ausländische Waaren und andere Konsumtionsartikel statt des Salzes zu besteuern.
Viele Glieder unterbrechen ihn und verlangen schriftlich, daß man über St. Romme's Antrag durch Stimmzettel abstimme.
Dies geschieht und gewährt folgendes Resultat:
336 verlangen sofortige Abschaffung der Steuer, d. h. Aufrechthaltung des Aprildekrets.
417 Glieder stimmen aber dagegen.
St. Romme's Antrag fällt also durch.
Mcaulle entwickelt von Neuem seine Reformen. Aber kein Mensch hört ihm zu.
Sein Antrag wird verworfen und die Sitzung um 6 Uhr aufgehoben.
Das Dekret vom 15. April bleibt abgeschafft.
Großbritannien.
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] London, 26. Decbr.
In der Botschaft des Präsidenten der nordamerikanischen Union ist derjenige Theil, der über die Hülfsquellen und namentlich die reichen Mineralprodukte Californiens handelt, von besonderem
Interesse. Wir lassen daher diese Stellen in wörtlicher Uebersetzung folgen:
„Ober-Californien nimmt, abgesehen von seinen ungeheuern, erst kürzlich entwickelten mineralischen Schätzen in Betreff der Wichtigkeit für die Union gegenwärtig den nämlichen Platz ein, wie
Louisiana, als es vor 45 Jahren von Frankreich an die Vereinigten Staaten überging. Ober-Californien erstreckt sich fast 10 Breitengrade längs des stillen Meeres; es umfaßt die einzig sichern und
bequemen Häfen, die an jener Küste auf Hunderte von Meilen anzutreffen sind. Das Klima ist gemäßigt und im Innern eine ungeheure Fläche fruchtbarer Ländereien. Daraus geht hervor, daß sein Reichthum
kaum eher abzuschätzen ist, bis es unter der Herrschaft unserer Gesetze und Einrichtungen alle seine Hülfsquellen frei und vollständig entwickeln kann. Seiner Lage nach muß es den reichen Handel mit
China, Asien, den Inseln des stillen Ozeans, mit West-Mexiko, Central-Amerika, en südamerikanischen Staaten, wie mit den russischen Besitzungen im Norden beherrschen.
Zweifelsohne wird an der californischen Küste rasch ein Handelsplatz erstehen, der bestimmt sein dürfte, an Wichtigkeit mit Neu-Orleans selbst zu rivalisiren. Das Depot des unermeßlichen Handels,
der am stillen Ozean erblühen muß, wird sich wahrscheinlich an irgend einem Punkt der Bay von San Franzisco etabliren und in Betreff der ganzen Westküste jenes Ozeans die nämliche Stellung einnehmen,
wie Neu-Orleans bezüglich des Mississippi-Thales und des mexikanischen Golfs.
Nach diesem Depot werden sich unsere zahlreichen Wallfischfänger mit ihren Ladungen begeben, um zu verkaufen, Ausbesserungen vorzunehmen und Proviant anzuschaffen. Dies allein wird mächtig zur
Erbauung einer Stadt beitragen, die bald der Mittelpunkt eines großen und reißend zunehmenden Handels werden muß. An einem sichern Hafen gelegen, der zur Aufnahme aller Handels- und Kriegsflotten der
ganzen Welt geräumig genug ist und zur Erlangung von trefflichem Schiffsbauholz aus der Union herrliche Gelegenheit bietet, wird diese Stadt unsere große westliche Seestation werden.
Es war zur Zeit der Erwerbung Californiens bekannt, daß dort Lager edler Metalle von bedeutender Ausdehnung vorhanden waren. Die neuesten Entdeckungen machen es wahrscheinlich, daß jene Lager noch
ausgedehnter und werthvoller sind, als man vermuthet hatte. Die Berichte über den Reichthum an Gold in jenem Territorium sind so außerordentlicher Art, daß sie kaum geglaubt würden, wenn sie nicht
durch authentische Berichte öffentlicher Beamten, welche den Distrikt der Erzlager besucht und persönliche Beobachtungen angestellt haben, Bestätigung erhielten. Weil der, unsere Streitmacht in
Californien kommandirende, Offizier den über die Goldmassen umlaufenden Gerüchten keinen Glauben schenkte, begab er sich letzten Juli selbst nach dem Minendistrikt. Sein Bericht an's
Kriegsdepartement wird hiermit dem Kongreß übermacht. Bei seinem Besuch daselbst waren circa 4000 Personen mit Goldsammeln beschäftigt. Es ist mit Grund anzunehmen, daß sich seitdem die Zahl vermehrt
hat. Die bisherigen Erforschungen bestätigen, daß der Vorrath sehr bedeutend ist und daß das Gold auf einer weiten Landstrecke an verschiedenen Stellen gefunden wird.
Es geht zugleich aus diesen und andern Berichten hervor, daß in der Nähe der Goldregion auch Quecksilber-Minen aufgefunden worden. Der Ueberfluß an Gold und die Alles bei Seite setzende Aufsuchung
desselben haben in Californien den Preis aller Lebensbedürfnisse auf eine unerhörte Höhe hinaufgebracht.
Um rasch und vollständig aus dem noch unentwickelten Reichthum dieser Minen für uns Nutzen zu ziehen, scheint es von ungemeiner Wichtigkeit, noch während Ihrer jetzigen Session, eine Zweiz-Münze in
Californien zu errichten. Außer andern in die Augen springenden Vortheilen würde sie auch den haben, daß das Gold in jenem Territorium auf al pari seines Werthes gebracht würde. Eine Zweig-Münze der
Union im großen Handelsdepot der Westküste würde nicht blos das aus den reichen Minen herbeifließende Gold, sondern auch alle durch unsern Handel von der Westküste des mittlern und südlichen Amerikas
zugeführten Barren und Münzen in unsre eigene Landesmünze verwandeln. Die Westküste Amerikas und das angränzende Innere umfassen die reichsten und besten Minen von Mexiko, Neu-Granada, Mittelamerika,
Chili und Peru. Die jetzt aus diesen Ländern, namentlich aus Westmexiko und Peru, gezogenen Barren und Münzen, die jährlich viele Millionen Dollars betragen, werden jährlich von englischen Schiffen
nach ihren eigenen Häfen gebracht, damit sie umgeprägt oder zur Aufrechthaltung der englischen Bank benutzt werden und so dienen sie dazu, Englands Macht zur Beherrschung des Welthandels um eben jene
Summen zu vergrößern. Die europäischen Mächte, durch den atlantischen Ozean von der Westküste Amerika's getrennt und durch eine langweilige und gefährliche Umschiffung der Südspitze von Amerika
verhindert, sind niemals im Stande, in dem reichen und ausgebreiteten Handel, der sich für uns durch die Erwerbung Californiens mit so viel geringern Kosten betreiben läßt, jemals mit den Vereinigten
Staaten erfolgreich konkurriren zu können.“