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] Wien, 17. Dez.
Damit Sie sich einen Begriff von der Wirksamkeit des Gemeinderaths machen, theile ich Ihnen folgendes aus dessen letzten Verhandlungen mit: Karoline Herrmann,
Dienstmädchen, hat die zwei verwaisten Kinder des Wirthes Ivenz am Schüttel nach dem Tode(!) der Eltern (soll heißen, nachdem sie von Kroaten zu Tode gebraten worden) zu sich genommen, und
bittet um Abnahme und Versorgung der Kinder, da sie selbst dazu nicht länger im Stande sei. Die Sache wird dem Civilgerichte und der „politischen Abtheilung des Magistrats“(!)
zugewiesen. — Weiter. — „Johann Schreiber überbringt eine freundliche (!) Zuschrift des Herrn (!) Banus von Kroatien an den Gemeinderath, in welcher ersucht wird (!) dem
Ueberbringer eine Lieutenantsstelle in der Munizipalgarde zu Fuß zu verleihen. Es wird beschlossen, auf dieses Schreiben gehörige Rücksicht zu nehmen, und an den Herrn Banus ein Antwortschreiben zu
richten.“ Darauf. „Frau Plattensteiner bittet den Gemeinderath, sich zu verwenden, daß ihr in Haft befindlicher Gatte auf freiem Fuß untersucht werde“. Vertagt.
Welden hat einen Akt übermäßig-österreichischer Freisinnigkeit begangen; er hat den Blättern, welche die Ultra-Bestialität vertreten, eine gute Lehre gegeben, indem er in einer Erklärung von
gestern sagt: „Schreibt konstitutionell (d. h. bestialisch), die Regierung will ja redlich den gesetzlichen Fortschritt, muß aber gegen den ultra-bestialischen Verwahrung einlegen! Das ist der
Sinn von Welden's zärtlicher Ermahnung an eine „Geißel“, an „Schild und Schwert“, an das „monarchisch-konstitutionelle Oesterreich.“ Für anders
Denkende heißt die kürzere Ermahnung: Strang, Pulver und Blei, Schanzarbeit, Verschwinden. — Das giftgeschwollenste Blatt Oesterreichs ist in diesem Augenblicke wohl der in Olmütz, dem heiligen
Mekka, erscheinende „österreichische Korrespondent.“ Er bläst mit den andern ministeriellen Blättern in ein Horn, und sucht dem blöden Volke, welches in seiner Verzweiflung die
preußische Verfassung lobt, immer vorzudemonstriren, daß dieselbe auf eine Art entstanden sei, die sich die Majestät des „ehrwürdig-mächtigen Oesterreichs“ (offiziell) niemals erlauben
würde. Er sagt: „Das Mißtrauen ist von neuem thätig, die Saat erneuerter Hoffnungen zu vergiften. (Sie sehen, ein österreichisches Lieblingswort: „vergiften!“) Nichts
gefährlicher, als mit eigenem und fremdem Glauben zu spielen. Seit etlichen Tagen ward viel vom Beispiele Preußens gesprochen. Man bemüht sich vielfältig, den Glauben zu verbreiten, es werde wie dort
auch bei uns eine oktroyirte Verfassung beliebt werden. Man konjekturirt für diesen Fall auf das Gewagteste, entblödet sich nicht mit dem Fäulnißstoffe (!) dieses Gerüchtes das keimende,
wechselseitige Vertrauen (!!!) zu verpesten u. s. w.“ Das Wort vergiften spielt überall darin die Hauptrolle. — Was der Oesterreicher erwarten darf, das erfährt man täglich vor
dem Neuthor, bei der Spinnerin am Kreuz, bei den Kriegsgerichten und bei einem Spaziergang durch die niederkartätschten Straßen, über die Basteien, und endlich, wenn man die Verhandlungen des
Reichstags von Kremsier liest. Man löst denselben nicht auf, man begnügt sich, ihn zu degradiren, zu hundsfottisiren und zu ignoriren. Er darf jetzt nur Geschäftsordnung treiben. Die übrige Zeit wird
verjubelt. So berichtet die „Presse“ aus der Sitzung vom 14.: „Abgeordneter Pitteri, welcher eine Bittschrift komischen Inhalts in recht entsprechender Weise vortrug, erregte
einen wahrhaften Beifallsjubel“ (!!!) Es gibt gar nichts Unmögliches mehr; der Reichstag ist der „Hans Jörgel“ von Oesterreich geworden!
Neulich hieß es, es bestehe hier ein — Klub. Ich bin schon todt, wenn mir hier nur das Wort in die Feder fährt. Augenblicklich umringten zwei Bataillons mit 5 Kanonen das Haus, worin der
angebliche Klub eben Sitzung halten sollte. Man fand — einige Spießbürger beim Champagner. Aber das Haus blieb umzingelt, die Spießbürger wurden vor's Militärgericht geschleppt. —
Ein anonymer Spaßvogel denunzirte vor einigen Tagen, im Gallizienberge seien Waffenvorräthe und Flüchtlinge verborgen. Sofort wird eine Riesenarmee gegen den Galizienberg expedirt und mit wahrem
Wahnsinnseifer gesucht, aber nichts gefunden. Das ist unser Humor zum täglichen Todesröcheln. Aus Ungarn noch keine Berichte; selbst die Standrechtsblätter können kein Vorrücken, kein siegreiches
Treffen, keine Einnahme, gar nichts als die schauerlichsten Verläumdungen melden. Es muß der tapferen Armee dort nicht besonders gehen.
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!!!
] Frankfurt, 20. Dezember.
Sitzung der National-Versammlung.
Tagesordnung:
Fortsetzung (und wahrscheinlich Schluß) der zweiten Lesung der Grundrechte.
W. Beseler prasidirt.
Vor der Tagesordnung zeigt derselbe die Mitglieder des neuen Ausschusses an, dessen Präsident Kirchgessner, Vicepräsident Hildebrand und Schriftführer Max Simon von Breslau ist.
(Sensation und Heiterkeit folgt dieser Mittheilung.)
Man geht zur Tagesordnung.
Artikel VIII.
§. 35.
„Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eignem Grund und Boden.“
„Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnden und andre Leistungen für Jagdzwecke sind ohne Entschädigung aufgehoben.“
„Nur ablösbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch einen lästigen, mit dem Eigenthümer des belasteten Grundstücks abgeschlossenen Vertrag erworben ist: über die Art und
Weise der Ablösung haben die Landesgesetzgebungen das Weitere zu bestimmen.“
„Die Ausübung des Jagdrechts aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und des gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten.“
Dazu ein Amendement von Ziegert aus Minden (Mitglied der Linken):
„Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder als Grundgerechtigkeit bestellt werden.“
§. 36.
(Von den Familienfideikommissen).
Die rechte Seite beschließt eine Diskussion.
Präsident theilt mit, daß leider die Rednerliste verloren gegangen, soviel sich jedoch das Sekretariat erinnert, war Moritz Mohl zuerst eingeschrieben. (Gelächter).
Moritz Mohl stürzt schleunigst zur Tribüne. (Unauslöschliches Gelächter.) Mohl spricht gegen das fernere Bestehen der Familienfideikommisse mit äußerster Bitterkeit. Zumal dürften die
regierenden und reichsständischen Häuser keine Ausnahme machen. (Herr Beseler und sein Verfassungsausschuß-Genossen haben in §. 36 nämlich für die regierenden Herren, seine Hausgötzen, ein
Ausnahmegesetz gemacht.)
v. Vinke nennt die Untersagung und Beschränkung der Familienfideikommisse einen unerlaubten (!!) Eingriff (!!!) in das Privatvermögen von Familien. Den Adel als Stand habe man aufgehoben,
nun wolle man ihn noch an seinem Vermögen kränken. v. Vinke spricht noch lange Zeit pro domo. Grade in Norwegen z. B., worauf sich als auf einen ganz demokratischen Staat die linke Seite gern bezieht,
bestünden und würden gehegt die Majorate unter dem Bauernstand, was jenen Stand so blühend gemacht. Der alten Aristokratie, die in unserer Zeit ohnedies dahingesunken (aber Vinke!) werden Sie (zur
Linken) durch Ihren Beschluß entgegenwirken, während Sie der eigentlichen Aristokratie unserer Zeit, der Geldaristokratie unter die Arme greifen. — Die Familienfideikommisse beruhen auf dem
Gefühle der Selbstverläugnung, welches grade das Prinzip republikanischer Staaten ist!
Zum Schluß dieser und ähnlicher Vollbluts-Phrasen und Sophistereien langer Beifall rechts!
Man schließt die Debatte alsbald wieder, und der Berichterstatter Zell bespricht die Amendements, deren Zahl zu §. 36 nicht gering ist.
Moritz Mohl behält namentliche Abstimmungen vor.
v. Baumbach-Kirchheim spricht gegen die namentlichen Abstimmungen und verbreitet sich unter Tumult über den Zweck derselben. Er fragt, ob man glaubt, daß es hier Mitglieder gibt, die aus
Scheu in namentlicher Abstimmung anders stimmen? (Mehrere Stimmen: Ja, ja!).
Tumult bringt Herrn von Baumbach von der Tribüne und Vogt bemerkt sehr richtig, daß ein Antrag auf Abänderung der Geschäftsordnung nur durch 50 Mitglieder unterstützt ins Haus gebracht werden darf,
eine Diskussion über die Abstimmungsart jedoch ganz unzulässig.
Man kommt zur Abstimmung. — Mohl's Antrag auf namentliche Abstimmung wird nicht genügend unterstützt Sein Antrag, so lautend:
„Die Familienfideikommisse sind aufgehoben. Die Art und Weise der Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten.“
„Ueber die Familienfideikommisse der regierenden fürstlichen Häuser bleiben die Bestimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten.“
wurde mit 6 Stimmen Majorität, mit 199 gegen 193 verworfen.
Das Votum der Minorität des Verfassungsausschusses, welches fast ganz ebenso lautet, wird mit 213 Stimmen gegen 189 angenommen.
Nach diesem Antrag lautet
§. 36.
„Die Familienfideikommisse sind aufzuheben. Die Art und Bedingungen der Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten.“
„Ueber die Familienfideikommisse der regierenden fürstlichen Häuser bleiben die Bestimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten.“
§. 37.
„Aller Lehensverband ist aufzuheben (statt „aufgehoben“!). Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelnstaaten
anzuordnen.“
ohne Diskussion angenommen.
§. 38.
„Die Strafe der Vermögenseinziehung soll nicht stattfinden“ (früher war gesagt „Gütereinziehung“).
Ein Zusatz von Schüler, Schlössel, Wesendonk etc.:
„Ebensowenig die Vermögens-Beschlagnahme (Sequester) als Maßregel des sttrafrechtlichen Verfahrens“
verworfen.
Artikel IX.
§. 39 ohne Diskussion unverändert angenommen.
§. 40. ebenso, aber mit einem neuen Zusatz:
„Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte sollen nie stattfinden.“
§. 41. unverändert ohne Diskussion.
§. 42. Der erste Absatz wurde in unveränderter Fassung angenommen, wie folgt:
„Kein Richter darf, außer durch Urtheil und Recht, von seinem Amte entfernt oder an Rang und Gehalt beeinträchtigt werden. Suspension darf nicht ohne gerichtlichen Beschluß
erfolgen.“ (Der Punkt von der Suspension war früher radikaler gefaßt.)
§. 43. „Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein.“ (Unverändert.)
Der edle von Maltzahn wollte den Zusatz:
„Ausnahmen bestimmt das Gesetz.“
Dieses wurde verworfen, dagegen ein Amendement von Cnyrim angenommen:
„Ausnahmen von der Oeffentlichkeit des Verfahrens bestimmt im Interesse der Sittlichkeit das Gesetz.“
§. 44. unverändert ohne Diskussion.
§. 45. ebenso.
Ein Zusatz von Culmann zu §.44:
„Ebenso wird nur durch Schwurgerichte über den Thatbestand der wegen politischer Vergehen oder Verbrechen erhobenen Civilentschädigungsklagen erkannt“
wurde leider verworfen.
Statt der Fassung des §. 46 wird folgende von Werner vorgeschlagene Fassung angenommen:
„Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig sein.
„Ueber Competenzconflicte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden in den Einzeln-Staaten entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender Gerichtshof.“
§. 47. unverändert ohne Diskussion mit dem Zusatz:
„Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu.“
Ein Antrag von Höfken:
„Das Bestehen und Errichten einer geheimen Polizei u. s. w. ist unstatthaft“
wurde leider verworfen, ebenso wurde für das Kriegsheer das Schwurgericht nicht genehmigt.
§. 48. „Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in allen deutschen Landen gleich wirksam und vollziehbar. Ein Reichsgesetz wird das Nähere bestimmen“.
(Veränderte Fassung.)
Somit ist die 2te Lesung dieses (größten) Theils der Grundrechte vollendet.
Noch wird dem §. 7 nach dem Antrag des Herrn Deiters eine veränderte Fassung gegeben, die aber nichts im Materiellen ändert. Da nach der zweiten Lesung der Entwurf aufs Neue zu drucken ist, wird
das Einführungsgesetz erst Morgen berathen, und auf diese Art das deutsche Volk doch noch zu Weihnachten mit seinen Grundrechten beglückt werden. (Mit der praktischen Anwendung unserer
„Grundrechte“ hat man uns schon vor Weihnachten in Form von Bombardements, Belagerungszuständen, Standrechten, Militärgreueln aller Art, wie durch Hetzjagden auf Demokraten,
Wiederherstellung der Censur, geheime Polizei, Unterdrückung des Associationsrechtes etc. zu beglücken gewußt.)
Der Gesetzgebungsausschuß wird nach dem Antrage von Arntz mit Ausarbeitung einer Reichsgerichtsordnung beauftragt. Herr Beseler (aus Greifswald) hat dagegen gesprochen.
Zimmermann aus Stuttgart frägt den Biedermannschen Ausschuß, wie weit die Begutachtung des Wesendonkschen Antrags „wegen Oktroyrung der preußischen Verfassung“ gelangt, und ob
der Herr Berichterstatter immer noch krank ist? (Heiterkeit.)
Zachariä beruhigt Herrn Zimmermann dadurch, daß er anzeigt, der Ausschußbericht sei fertig und habe über Herrn Wesendonks Antrag „Tagesordnung“ beantragt. (Links: Aha! Aha!)
Nach einigem Zwist zwischen v. Vinke und Schoder setzt der Präsident nach dem Wunsch des Letzteren auf die morgige Tagesordnung:
Zuerst das Einführungsgesetz der Grundrechte, dann die Berathung über's Budget.
Viele Urlaube werden gestattet und die Sitzung gegen 2 Uhr geschlossen.