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] Berlin, 19. Dezember.
Heute endlich bringt der „Pr. St. A.“ zwei Verordnungen wovon die eine die „Abänderung der Injurienstrafen“, die andern
„die bäuerliche Erbfolge in der Provinz Westphalen“ betrifft. Hierzu kommt noch ein ministerieller Erlaß über den Ausdruck: jeder „selbstständige Preuße.“ Die ministerielle
Erläuterung, die ihrerseits wieder einer Erläuterung zu bedürfen scheint, ist in folgendem Satze enthalten:
„Wenn der Begriff der politischen Selbstständigkeit zur Zeit einer scharfen gesetzlichen Abgränzung ermangelt, so folgt daraus eben nur, daß eine solche Begriffsbestimmung im Wege der
Gesetzgebung wird bewirkt werden müssen, und daß, so lange dies nicht geschehen ist, Niemand von der Theilnahme an der Wahl wird ausgeschlossen werden dürfen, der die sonstigen gesetzlichen
Bedingungen des aktiven Wahlrechts erfüllt und von dem nicht feststeht, daß er sich zur Zeit der Wahl nicht in der Lage befindet, über seine Person und sein Eigenthum zu verfügen.“
Das nämliche Blatt bringt endlich, nachdem Hr. Geheimer Ober-Hof-Buchdrucker Decker seinen Profit mittelst der betreffenden Broschüre in die Tasche gesteckt, folgende Wahlreglements:
Reglement
zur Ausführung des für das erste Jahr der nächsten Legislatur erlassenen provisorischen Wahlgesetzes zur Bildung der ersten Kammer vom 6. dieses Monats.
Urwahlen.
§ 1. In jeder Gemeinde wird sofort von der Ortsbehörde nach dem beiliegenden Schema ein Verzeichniß derjenigen Einwohner aufgestellt, welche das dreißigste Lebensjahr vollendet und seit 6 Monaten
ihren Wohnsitz oder Aufenthalt in der Gemeinde gehabt haben, nicht in Folge rechtkräftigen Erkenntnisses den Vollgenuß der bürgerlichen Rechte entbehren, und entweder 20 Sgr. monatlicher Klassensteuer
zahlen, oder binnen 8 Tagen nach in ortsüblicher Weise erfolgter öffentlicher Aufforderung ein Grundvermögen im Werthe von mindestens 5000 Thlr. oder ein reines jährliches Einkommen von mindestens 500
Thlr. glaubhaft nachweisen.
§ 2. Das Verzeichniß (§ 1) wird nebst den dazu gehörigen‥ [?], dem Landrathe innerhalb einer von demselben zu bestimmenden Frist eingereicht. Der Landrath prüft dasselbe, stellt die
Urwählerliste danach fest und veranlaßt, daß dieselbe in der Gemeinde auf ortsübliche Weise sofort bekannt gemacht wird.
§ 3. Einwendungen gegen die Wählerliste sind innerhalb fünf Tagen nach der Bekanntmachung bei der nach dem § 4 zur Entscheidung berufenen Kommission durch Vermittelung des Landrathes unter
Beifügung der Beweismittel schriftlich anzubringen
§. 4. Die Entscheidung über die erhobenen Einwendungen erfolgt innerhalb 5 Tagen nach Ablauf der Präklusivfrist (§ 3) für die klassensteuerpflichtigen Ortschaften durch die nach der Verordnung
vom 17. Januar 1830 (G.-S.-S. 19) zur Mitwirkung bei der Klassensteuerveranlagung bestimmte Kommission, in den nicht klassensteuerpflichtigen Orten durch eine besondere Kommission, deren
Mitgliederzahl vom Gemeindevorstande (Magistrat, Bürgermeister) zu bestimmen ist. Die Mitglieder der letzteren Kommission werden zur Hälfte vom Gemeindevorstande, zur Hälfte von den Gemeindevertretern
gewählt. Der Landrath hat für den rechtzeitigen Zusammentritt der Kommission zu sorgen.
§ 5. Sobald die erhobenen Einwendungen erledigt sind, werden die Urwählerlisten von dem Landrathe nach den erfolgten Entscheidungen berichtigt. Derselbe zeigt demnächst die Zahl der in den
einzelnen Gemeinden seines Kreises vorhandenen Urwähler der Regierung übersichtlich an, damit diese zu beurtheilen vermag, ob nach Artikel 5 des Gesetzes vom 6. d. M. in einem Wahlbezirke direkte
Wahlen vorzunehmen sind.
§ 6. Hat eine Gemeinde, oder eine nicht zu einem Gemeindeverbande gehörende bewohnte Besitzung nach den festgestellten Listen weniger als 100 stimmberechtigte Urwähler, so wird dieselbe durch den
Landrath mit einer oder mehreren benachbarten Gemeinden zu einem Wahldistrikt verbunden. Der Landrath bestimmt zugleich den Ort, wo die Wahl der Wahlmänner vorzunehmen ist. In allen Gemeinden, welche
nach der festgestellten Liste 200 oder mehr Urwähler haben, werden von dem Gemeindevorstande (Magistrat, Bürgermeister, Amtmann, Ortsbehörde) Wahlabtheilungen dergestalt gebildet, daß in keiner
derselben mehr als 5 Wahlmänner zu wählen, also höchstens 599 Wähler enthalten sind.
§ 7. In jedem Wahlbezirke (Gemeinde, Distrikt, Abtheilung) wird auf jede Vollzahl von 100 Urwählern Ein Wahlmann gewählt.
§ 8. Die Wahl wird von einem Wahlvorsteher geleitet. Derselbe wird in denjenigen Städten, welche 100 oder mehr Wähler enthalten, von dem Gemeindevorstande (Magistrat, Bürgermeister), in allen
übrigen Wahlbezirken von dem Landrathe ernannt. In gleicher Weise wird ein Stellvertreter des Wahlvorstehers für etwaige Verhinderungsfälle ernannt. In den Landgemeinden der Rheinprovinz und der
Provinz Westphalen ist in der Regel ein in dem Wahlbezirke wohnender Bürgermeister oder Amtmann, in den übrigen Provinzen ein geschäftskundiger stimmberechtigter Einwohner mit der Leitung der Wahl zu
beauftragen.
§ 9. Die Wahlen in allen Wahlbezirken werden im ganzen Umfange der Monarchie am 29. Januar 1849 abgehalten. Wenn in demselben Orte mehrere Wahlabtheilungen sind, so werden die Wahlen überall zur
nämlichen Stunde vorgenommen.
§ 10. Die Wähler sind zur Wahl durch öffentliche Bekanntmachung in ortsüblicher Weise vorzuladen.
§ 11. Abwesende können in keiner Weise durch Stellvertreter oder sonst an der Wahl Theil nehmen.
§ 12. In der Versammlung werden zunächst die Wählerlisten vorgelesen und die erschienen Wähler als abwesend verzeichnet. Jeder nicht stimmberechtigte Anwesende wird zum Abtreten veranlaßt und so
die Wahlversammlung konstituirt. Später erscheinende Wähler haben sich bei dem Wahlvorsteher zu melden und werden nachträglich als anwesend vermerkt.
§ 13. Aus der Mitte der Anwesenden ernennt der Wahlvorsteher einen Protokollführer und 2 bis 8 Stimmzähler und verpflichtet sie mittels Handschlags an Eidesstatt.
§ 14. Der Wahlvorsteher läßt durch die Stimmzähler gestempelte, für jede Abstimmung noch besonders zu bezeichnende Stimmzettel an die einzelnen Wähler austheilen.
§ 15. Jeder Wähler schreibt auf den ihm übergebenen Zettel den Namen des von ihm gewünschten Wahlmannes. Zettel, auf welchen mehr als Ein Name, oder der Name einer nicht wählbaren Person
geschrieben steht, oder aus welchen der Gewählte nicht unzweifelhaft zu erkennen ist, eben so ungestempelte und nicht gehörig bezeichnete Zettel sind ungültig. Wähler, welche nicht schreiben können,
lassen ihre Stimmzettel durch den Protokollführer schreiben.
§ 16. Die Stimmzettel werden von den Stimmzählern gesammelt und in das vor dem Wahlvorsteher und dem Protokollführer stehende Gefäß gelegt.
§ 17. Nach vollendeter Einsammlung der Stimmzettel erklärt der Wahlvorsteher die Wahl für geschlossen. Es dürfen alsdann Stimmzettel für diese Abstimmung nicht mehr abgegeben werden.
§ 18. Die uneröffneten Zettel werden laut gezählt. Sollte diese Zählung durch ein mit der Zahl der Anwesenden im Mißverhältniß stehendes Resultat Bedenken erregen, so sind Wahlvorsteher und
Stimmzähler befugt, die Abstimmung für ungültig zu erklären und eine neue anzuordnen.
§ 19. Die Stimmzettel werden durch einen Stimmzähler unter Vorzeigung und in Gegenwart der Versammlung laut verlesen, vom Protokollführer bei dem Namen bis Kandidaten vermerkt und vorweg laut
gezählt.
§ 20 Derjenige, welcher die absolute Stimmenmehrheit erhalten hat, ist für gewählt zu erklären.
§. 21. Zur absoluten Stimmenmehrheit gehört mehr als die Hälfte der gültigen Stimmzettel.
§. 22. Hat sich eine absolute Mehrheit nicht ergeben, so sind diejenigen fünf Candidaten, welche die meisten Stimmen erhalten haben, auf eine engere Wahl zu bringen. Wird auch bei dieser Wahl
keine absolute Mehrheit erreicht, so sind diejenigen beiden Candidaten, welche die meisten Stimmen in der engeren Wahl erhalten haben, auf eine zweite engere Wahl zu bringen. Tritt in dieser letzten
Wahl Stimmengleichheit ein, so entscheidet das Loos, welches durch die Hand des Wahlvorstehers gezogen wird. Bei Ausmittelung derjenigen Candidaten, welche nach den vorstehenden Vorschriften auf eine
engere Wahl zu bringen sind, entscheidet bei Stimmengleichheit ebenfalls das Loos.
§. 23. Bei engeren Wahlen sind die Stimmzettel mit anderen Namen als den auf die engere Wahl gebrachten Candidaten ungültig.
§. 24. Ueber die Gültigkeit einzelner Stimmzettel entscheiden Wahlvorsteher und Stimmzähler.
§. 25. In Wahlbezirken, wo mehr als Ein Wahlmann zu wählen ist, findet vorstehendes Verfahren mit der Maßgabe Statt, daß für jeden Wahlmann eine besondere Wahlhandlung vorzunehmen ist.
§. 26. Das Wahl-Protocoll, welches nach den anliegenden Formularen aufzunehmen ist, wird vom Wahlvorsteher, den Stimmzählern und dem Protocollführer unterzeichnet und sofort dem Wahl-Commissar
(§. 29) eingereicht, welchem die Prüfung der Wahl in formeller Beziehung obliegt.
§. 27. Wenn gegen die formelle Gültigkeit einer Wahl Bedenken obwalten, so sind dieselben der Versammlung der Wahlmänner vorzulegen, welche darüber entscheidet, und sodann mit Ausschließung des
Wahlmannes, dessen Wahl für ungültig erklärt ist, unmittelbar zu ihrem ordentlichen Wahlgeschäfte fortschreitet.
Wahl der Abgeordneten.
§. 28. Die Bezirke zur Wahl der Abgeordneten sind von den Regierungen nach Maßgabe der Bevölkerung zu bilden. (Art. 5 und 6 des Wahlgesetzes.)
Bei der Abgränzung derselben ist darauf Rücksicht zu nehmen, daß eine Theilung der Kreise möglichst vermieden und den Wahlmännern die Theilnahme an der Wahl nicht unnöthig erschwert wird.
§. 29. Die Regierung bestimmt den Wahl-Commissar, so wie den Wahlort, und läßt davon die Wahlvorsteher durch die Landräthe benachrichtigen.
§. 30. Falls in einem Wahlbezirke sich weniger als 1000 Urwähler befinden (Art. 5 des Gesetzes vom 6. d. Mts.), hat die Regierung die Wahl-Abtheilungen für die alsdann vorzunehmenden directen
Wahlen zu bilden und die Wahl-Commissarien, so wie die Wahlorte, für die Abtheilungen zu bestimmen.
§. 31. Der Wahl-Commissarius stellt aus den eingereichten Wahl-Verhandlungen ein Verzeichniß der Wahlmänner auf und ladet dieselben zur Wahl der vom Wahlbezirke zu wählenden Abgeordneten
schriftlich ein, eben so die Wähler im Falle der directen Wahl (Art. 5 des Wahlgesetzes).
§. 32. Die Wahl der Abgeordneten wird im ganzen Umfange der Monarchie am 12. Februar k. J. vorgenommen.
§. 33. Bei der Wahl der Abgeordneten kommen die Vorschriften der vorstehenden §§. 12-25 mit Ausnahme der §§. 13-22, an deren Stelle folgende Bestimmungen treten, zur Anwendung.
§. 34. Die Stimmzähler und der Protocollführer werden auf Vorschlag des Wahl-Commissarius von den anwesenden Wahlmännern aus ihrer Mitte durch Acclamation oder vermittelst Aufhebens der Hände
nach absoluter Stimmenmehrheit gewählt und vom Wahl-Commissar mittelst Handschlags an Eidesstatt verpflichtet.
§. 35. Hat sich auf einen Candidaten die absolute Stimmenmehrheit vereinigt, so ist derselbe als gewählt zu erklären. Hat sich keine absolute Stimmenmehrheit ergeben, so wird zu einer weiteren
Abstimmung geschritten. Dabei kann keinem Candidaten die Stimme gegeben werden, welcher bei der ersten Abstimmung keine oder nur Eine Stimme gehabt hat. Die zweite Abstimmung wird unter den übrig
bleibenden Candidaten in derselben Ordnung wie die erste vorgenommen. Jeder Stimmzettel ist ungültig, welcher einen anderen als einen der in der Wahl gebliebenen Candidaten enthält. Wenn auch die
zweite Abstimmung keine absolute Mehrheit ergibt, so fällt je in der folgenden Abstimmung derjenige, welcher die wenigsten Stimmen hatte, aus der Wahl, bis die absolute Mehrheit sich auf einen
Candidaten vereinigt hat. Stehen sich mehrere in der geringsten Stimmenzahl gleich, so entscheidet unter ihnen das Loos, welcher aus der Wahl fällt.
§. 36. Wenn die Abstimmung nur zwischen zwei Candidaten noch Statt findet, und jeder derselben die Hälfte der gültigen Stimmen auf sich vereinigt hat, entscheidet das Loos, welches durch die Hand
des Wahl-Commissars gezogen wird.
§. 37 In den Versammlungen sowohl der Urwähler als der Wahlmänner dürfen weder Discussionen Statt finden, noch Beschlüsse gefaßt werden, vorbehaltlich der in §. 28 der Versammlung der
Wahlmänner überwiesenen Prüfung.
§. 38. Die Gewählten sind durch den Wahl-Commissarius von der auf sie gefallenen Wahl in Kenntniß zu setzen und zur Erklärung über die Annahme derselben, so wie zu dem Nachweise, daß sie nach
Art. 8 des Gesetzes wählbar sind, aufzufordern. Im Falle der Nichtannahme der Wahl, oder der eingeräumten Nichtbefähigung ist sofort eine neue Wahl zu veranlassen.
§. 39. Sämmtliche Verhandlungen über die Wahl sowohl der Wahlmänner als der Abgeordneten werden vom Wahl-Commissar durch Vermittelung der Regierung dem Minister des Innern zur weiteren
Mittheilung an die erste Kammer eingereicht.
§ 40. In den keinem landräthlichen Kreisverbande angehörigen Städten werden die nach Obigem dem Landrath obliegenden Functionen von dem Magistrat oder Bürgermeister ausgeübt. In der Stadt Berlin
versieht der Magistrat sowohl die Funktionen des Landraths als die der Regierung.
Berlin, 8. December 1848.
Königliches Staats-Ministerium
(gez.) Graf von Brandenburg. von Ladenberg. Manteuffel.
von Strotha. Rintelen. von der Heydt.