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Aus den Memoiren Caussidiere's.
Vom Monat April an funktionirte die Polizeipräfektur so ziemlich regelmäßig, ungeachtet der Uebelstände, welche mit ihrer neuen Stellung verbunden waren. Denn die Polizeipräfektur war auch eine
geworden; auch sie war aus der Februar-Revolution hervorgegangen. Die Geschäfte wurden pünktlich und schnell expedirt, und zum Beweise führe ich nur an, daß innerhalb 3 Wochen über 8000
Naturalisationsgesuche bewilligt wurden, in Uebereinstimmung mit dem Dekrete über die allgemeinen Wahlen. Meine Agenten wandten mit großem Erfolge die Versöhnungsmittel an, die um so wirksamer sich
zeigten, als ich die Mittel in Händen hatte, Strenge eintreten zu lassen, wo erstere nicht ausreichen sollten. Die Polizeikommissäre waren die einzigen, die sich nicht so ganz in das neue Regime zu
fügen schienen, weniger aus gutem Willen, als aus Aengstlichkeit. Ich berief sie daher insgesammt zu mir; es war so gegen Ende April; von 48 stellten sich 45 ein.
Ich sprach mit ihnen in einer ruhigen Weise, wie das Genie der Republik es es mir eingab. Ich stellte ihnen die Nothwendigkeit vor, eine unausgesetzte Wachsamkeit auszuüben, um das Volk vor den
Aufreizungen seiner Feinde zu schützen. Ich zeigte ihnen, wie alle die Vernichtungs- und Verbrennungs-Pläne, welche die Bourgeoisie in beständiger Unruhe' erhielten, gar nicht im Sinne der
Arbeiter lägen, und daß wir vor allen Dingen die Vormünder, nicht aber die Unterdrücker des Volkes sein müßten. Ich lud sie ferner ein, die Bourgeoisie darauf aufmerksam zu machen, daß sie ja
vorsichtig und mäßig sein möchten in ihrer Sprache und ihren Manieren gegenüber dem Arbeiter. Ueberhaupt hatte meine Rede an die Polizeikommissäre keinen andern Zweck, als die Anwendung von
Versöhnungsmitteln anzurathen, um die Gemüther der Tausende zu beruhigen, die das Jahre lange Unglück erbittert hatte gegen die privilegirte Klasse.
Von allen Seiten kamen mir Briefe zu, welche mich von der Wirksamkeit meiner Ermahnungen im Einzelnen überzeugten, ungeachtet aller geheimen Intriguen von Seiten des tugendhaften Odilon-Barrot,
Bouchard's und Consorten. Was soll ich weiter sagen? Wen Odilon-Barrot treffen wollte, das war der Republikaner: wird dieser Mann es wagen können, noch fernerhin an die Volksgnade zu
appelliren?
Der seit dem 25. Februar neu organisirte Dienst in der Polizeipräfektur hatte im Personal wenig Veränderungen erlitten; das Kabinet des Präfekten ist allein mit neuen Beamten besetzt worden. Dem
Herrn Allard, der wegen seiner Geschicklichkeit in ganz Frankreich bekannt ist, wollte ich ein Kommissariat übertragen, wenn ich länger in der Präfektur geblieben wäre. Denn in diesen schwierigen
Momenten hatte er die ganze Thatkraft seiner schönsten Tage wieder erlangt. Die Nützlichkeit seiner Sicherheits-Brigade kann nicht in Abrede gestellt werden. Vor dem Februar bestand diese Brigade,
welche immer auf gewagte und für sie gefährliche Operationen ausging, aus höchstens 45 Personen; bei meinem Austritte aus meinen Funktionen als Polizeipräfekt belief sie sich auf das Doppelte dieser
Zahl. Mit 100 thätigen Polizeiagenten und der nöthigen aus der Erfahrung hergeleiteten Polizei-Wissenschaft, ist es ein Leichtes, für die vollkommene Ruhe einer Stadt, wie Paris, zu sorgen.
Die Agenten der Sicherheits-Brigade müssen vor allen Dingen schlaue, gewandte Männer sein, die sich in alle mögliche Verkleidungen und Vermummungen zu schicken wissen. Ich habe Agenten unter mir
gehabt, welche die Kunst des Verkleidens so weit zu treiben wußten, daß selbst ihre nächsten Verwandten sie nicht wieder zu erkennen im Stande waren. In Folge der beständigen Ausübung ihrer
Funktionen, erlangen sie eine solche Geschicklichkeit, daß sie ihr Wild, wie die Spürhunde, wittern bei der bloßen Annäherung. Mit der Zeit macht ihnen eine mit Gefahr verbundene Arrestation eben so
viel Spaß, als Andern eine Landpartie. Ihr Handwerk ist eben so sehr zu entschuldigen, als das des politischen Mouchard's verächtlich ist. Die Archive sind angefüllt von Berichten, die sie
beständig bringen, und dabei einem die Hand so fest drücken, daß man versucht wäre, die ihrige einzuzwängen, wie in einem Schraubstocke.
Die politischen Agenten besuchen am fleißigsten den Saal der „pas perdus“ in der Nationalversammlung. Einige unter ihnen sind dekorirt. Sie suchen beständig anzubinden mit den
republikanischen Volksvertretern und sammeln sorgfältig die hingeworfenen Worte, welche für oder gegen die Regierung gesprochen werden. Sie drängten sich an mich heran mit der größten Unverschämtheit.
Der unverschämteste von Allen aber war ein gewisser Carl Marchand, der bei Gelegenheit der Kammer-Invasion vom 15. Mai arretirt worden war und sich bei dieser Gelegenheit geradezu zu Herrn Cremieux
führen ließ, der ihn natürlich wieder in Freiheit setzte, sobald er sich als Mouchard legitimirt hatte. Sein Tummelplatz war eben der Saal „des pas perdus“, wo er sich in Unterredung
einließ mit den Deputirten.
Eines Tages hielt er auch mich an. „Ah, ah, sagte ich ihm auf der Stelle, Sie sind Carl Marchand.“ — „Ja wohl,“ erwiederte er mit der größten Ruhe.
„Sie haben die Nummer 580 (die Mouchards nämlich sind alle numerirt.) Machen Sie, daß Sie aus meinen Augen kommen.“
Eines Tages wollte er sich auch an den Herrn Larochejaquelin heranmachen, um ihn auszuspioniren. Ich beeilte mich, Larochejaquelin vor dieser gefährlichen Bekanntschaft zu warnen. Unter Louis
Philipp hatte Marchand seine Dienste dem damaligen Polizeipräfekten Delessert angeboten; er verlangte eine Million, um den Herzog von Bordeaux umzubringen. „Ich habe Erziehung genossen,“
schrieb er, „und habe etwas in meinem Wesen und Um-
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gange, das die Menschen an mich fesselt. Ich komme zu ihm heran mit großem Aufwande und meinem aristokratischen Luxus und werde bald sein Vertrauen gewinnen. Der Zufall und mein Muth werden für den
Rest sorgen.“
Ich las am Rande dieses Briefes folgende Note:
„Wenn der Elende abermals mit seinem Gesuche kommt, so verhafte man ihn.“
Nun denke man sich, daß dieser Mensch noch die Unverschämtheit hatte, die Sekretärstelle bei der Polizeipräfektur zu verlangen, und bei der Nationalversammlung um eine Pension einzukommen, als
ehemaliger politischer Gefangener, der der republikanischen Sache nützliche Dienste geleistet habe. Wirklich war er zu einer Gefängnißstrafe verurtheilt worden, wegen einer Brochure gegen Louis
Philipp, und am Gerichte kam es heraus, daß er gerade im Solde des Hofes von Louis Philipp gestanden. Die Brochure gegen seinen alten Protektor hatte ihren Grund in der Verweigerung einer Geldsumme,
welche er vom Exkönige verlangt hatte.
Um die Sicherheitspolizei vollständig zu machen, kam man damals auf den Gedanken, die sogenannten „Pariser Wächter“ nach Art der Londoner Policemen einzuführen. Der Plan davon war vom
Minister des Innern der Regierung vorgelegt worden, und diese hatte ihn in allen Punkten gebilligt.
Ledru-Rollin übertrug mir die Ausführung dieses Planes. Ich wandte mich deshalb an Hrn. Clonie, Chef der Munizipalpolizei, der damals sehr vielen Eifer an den Tag legte und mir tagtäglich hundert
Mal seine Treue und Ergebenheit betheuerte. Seit meinem Austritte aus der Präfektur hat sich diese Ergebenheit in einer unausgesetzten Ueberwachung meiner geringsten Handlungen bekundet.
Die Zahl der „Pariser Wächter“ wurde auf 2000 festgesetzt; ihr Kostüm sollte einfach sein, nur an die Stelle des magischen Stockes des Policemen sollte der Säbel treten. Das Symbol
des Gesetzes, wie es der englische Konstabler trägt, hätte nicht Stich halten können vor dem sarkastischen Geiste unserer Nation. Ohne Zweifel wird eine Zeit kommen, wo wir aller dieser Symbole der
Sicherheit uns erwehren können. Statt unsere Zeit mit Schildwachestehn zu verlieren vor unsern Mauern, mit einem Gewehre im Arme, werden wir dann, wie der wahre Cavaignac, mein Freund Godefroi sagte,
wechselweise uns ablösen, um die Maschinen zu überwachen, welche des Menschen Hand frei machen. Die politischen Anwendungen des jetzigen Cavaignac sind schlechte Vorbereitungen zu den socialistischen
Theorieen seines Bruders.
Wenige Tage nachher meldeten sich ungefähr 4000 Mann, die über Paris zu wachen verlangten.
Der Vorzug sollte den Männern gegeben werden, die für ihre politischen Ueberzeugungen gelitten haben. Kein alter Ex-Sergeant sollte in dieses Korps aufgenommen werden.
Einige Hundert Wächter waren bereits in Funktion getreten, als man mir zu wissen that, daß Marrast im Stadthause ebenfalls ein Bureau eröffnet habe, wo man sich anmelden konnte, und wo offenbar ein
Korps in duplo gebildet werden sollte.
Um diesem Eskamotirungsversuche von Seiten des Hrn. Marrast vorzubeugen, ließ ich auf der Stelle veröffentlichen, daß jeder, der in Usurpation der Funktionen eines „Pariser Wächters“
angetroffen würde, auf der Stelle arretirt und nach dem Gesetze bestraft werden würde. Mit dem Entschlusse, alle Strenge des Gesetzes in Uebertretungsfällen eintreten zu lassen, übergab ich den
Kommissären die nöthigen Befehle. Zugleich that ich meinen Entschluß dem Minister des Innern zu wissen, der sich darüber mit dem Maire von Paris erklärte. Hr. Marrast schob seine Unwissenheit vor; er
habe geglaubt, die „Pariser Wächter“ gehörten unter seine Administration, und er schien keineswegs geneigt, von seinem vorgeblichen Rechte abzustehen. Die Diskussion ward lebhaft: in den
Ansprüchen des Hrn. Marrast glaubte man eine gewisse Perfidie zu finden, und der Minister kündigte mir am Schlusse an, die „Pariser Wächter“ sollen vor wie nach in den Attributionen die
Polizeipräfektur bleiben.
Ledru-Rollin war derjenige, welcher zuerst auf den Gedanken dieser Institution kam. Er sah ein, daß es Zeit sei, dem brutalen Wesen der Pariser Sergeanten ein Ende zu machen, und während der ganzen
Zeit meiner Verwaltung habe ich mich von der Vortrefflichkeit dieser neuen Einrichtung überzeugen können.
Selbst die Bourgeoisblätter waren erstaunt über die Ordnung, die in Paris herrschte, und der Constitutionnel, der gewiß nicht mein Freund ist, macht mir in einem Artikel sein Kompliment
darüber.
Ja, damals hieß es, ich sei allein der Mann gewesen, der das gegenseitige Zutrauen einigermaßen wiederhergestellt habe; die öffentlichen Promenaden seien verschwunden, und man werde nicht mehr in
Schrecken gesetzt von unerwarteten Gesängen, die mitten in den versammelten Gruppen ausbrachen.
Es war dies in der Nummer vom 9. April und in demselben Artikel giebt man mir den wohlgemeinten Rath, doch ja in dieser Weise fortzufahren und ich würde den Dank aller guten, honetten Bürger
einärndten.
[Deutschland]
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Edition: [Karl Marx: Prozeß gegen Gottschalk und Genossen, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
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[
068
] Köln, 21. Dez.
Heute war abermals Dr. Marx wegen angeblicher Verläumdung des „Bürgers und Kommunisten“ Hrn. Drigalski vor den Instruktionsrichter
geladen. Der wie vielste Preßprozeß gegen die „N. Rh. Z.“ dieser neue ist, läßt sich bei der Menge derselben schwer bestimmen. Wir bedauern übrigens, daß Herr Drigalski uns so verkannt
hat. Unsern Artikeln über ihn hat er's allein beizumessen, wenn ihm ein Stückchen europäischer Berühmtheit zu Theil wird. Welch' schwarzer Undank, Herr „Bürger und
Kommunist“ Drigalski!! Ein Zeichen, daß die Zeiten immer verderbter werden, wenn selbst aus einem königlich-preußisch-kommunistischen Herzen die Erkenntlichkeit für geleistete Dienste
entflohen ist.
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[
074
] Wesel, 18. Dezbr.
Wie in andern gesinnungstüchtigen Orten, so ist auch im hiesigen, zur Feier der von Sr. Majestät allergnädigst verliehenen „freisinnigen“
Verfassung, ein erhebendes Fest begangen worden, an welchem alle Stände in rührender Harmonie sich betheiligten. Da sah man neben dem General den gemeinen Soldaten, neben dem Handwerker den
Staabsoffizier, neben dem Unteroffizier den reichen Kaufmann, und — damit das Fest der wahrhaft christlich-germanischen Weihe nicht ermangeln möge — auch einen evangelischen —
Geistlichen.
Unterm 14. November hatten die Bürgerschaft, ein paar Tage darauf der Gemeinderath energische Adressen an die Nationalversammlung in Berlin abgehen lassen, worin man sich mit den getroffenen
Maßregeln gegen das Ministerium Brandenburg einverstanden erklärte. Und am 17. Dezember drückten der Stadt- und Gemeinderath ihre innigste Freude aus über das wahrhaft
königliche Geschenk, womit ein unterthäniges Volk beglückt worden war. Was Wunder, daß dies dem Kommandanten, welcher den ersten Toast ausbrachte, erwünschten Anlaß bot, neben dem
konstitutionellen König auch jenes hochverrätherische Ministerium Brandenburg hoch leben zu lassen; d. h. nicht etwa das Ministerium Brandenburg schlechtweg, sondern (ipsiss. verb.) das
hochverrätherische Ministerium Brandenburg.
Die Herren vom Rechtsboden machten freilich lange Gesichter und verargten es dem sonst so harmlosen Manne gar höchlich, daß er ihre einstigen Verirrungen, ihren juristisch-revolutionären Schwindel
so schonungslos brandmarkte. Aber was war da zu machen? Welchen kolossalen Hohn der Toast auch enthielt, er war einmal gebracht und so mußte man mit den Gläsern schon darauf anklingen.
Eine sehr freisinnige Gerichtsperson, welche dem Landwehroffizierstande angehört, brachte demnächst einen Toast auf die Landwehr aus, dieses Korps, dessen würdigem gemessenen Verhalten
hauptsächlich die befriedigende Lösung der traurigen Wirren zuzuschreiben sei. Der Mann hatte ohne Zweifel noch kurz vorher die „Kreuz-Zeitung“ gelesen, denn er fügte hinzu, daß auf den
ersten Wink Sr. Majestät 60 Bataillone bereitständen, alle Rebellen zu Paaren zu treiben.
Zwei Oberlehrer des hiesigen Gymnasiums, bekannt wegen ihrer Phraseologie, toastirten auf die Verfassung und — Deutschlands Einheit. Auch diese Trinksprüche fanden, wie sich's von
selbst versteht, den gebührenden Anklang. Was aber dem Feste die Krone aufsetzte, war unbezweifelt die Rede des Präsidenten des konstitutionellen Vereins. Dieser Mann, welcher hinsichts seiner
politischen Bestrebungen schon mancherlei Unbill erdulden mußte, übrigens aber, bei der logischen Klarheit seiner stets tiefsinnigen Deductionen, mehr wie irgend ein Anderer geeignet ist, den
Constitutionellen zu repräsentiren, konnte dem Verlangen nicht widerstehen, gegen ein ebenfalls anwesendes Mitglied des politischen Vereins, seinen alten Widersacher, persönliche Ausfälle zu wagen, so
daß sich ein Mitglied des Festcomités veranlaßt fühlte, dem Redner das Wort zu entziehen.
Ein anderes Mitglied des Comités paralysirte dieses Verbot, indem es für Jeden die Redefreiheit vindicirte, vermittelte aber den drohenden Zwiespalt durch eine der salbungsreichsten
Expectorationen, die wir jemals gehört haben.
Es sprachen außer den Genannten noch viele Andere; das Resultat aber war und blieb — ein moralischer Katzenjammer.
So endete dieses herrliche Fest, welches in manchen der Theilnehmer, vermöge einer gewissen Ideen-Association höchst pitoyable Besorgnisse rege gemacht hat.
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[
103
] Aus dem Kreise Grevenbroich.
Jeden Tag hat seine Freuden. Die Hetzjagden auf Demokraten, Viertels- und Achtelsdemokraten beginnt auch hier. Auf der rechten Rheinseite,
Düsseldorf, Münster etc.: geht die Sache ja ohne Aufruhr oder sonst unangenehme Ereignisse von statten. Warum sollten die civilversorgten Getreuen des linken Ufers hinter ihren Kollegen zurückbleiben?
Warum sollten sie nicht konkurriren? Schon der gute Willen wird ja sicher anerkannt und belohnt. Wenn nicht in klingender Münze, so doch wenigstens mit einem Orden, und sollte selbst ein neuer
„ponr les mouchards“ gestiftet werden.
Einige unschuldige Volksversammlungen, in welchen man eine Dankadresse an die gewesene Vereinbarerversammlung und einen Protest gegen die, durch die Wahl eines zweiten Abgeordneten stattgefundene
Ueberschreitung vulgo Mißbrauch des Mandates von Seiten der Wahlmänner unterzeichnete; dann dem beschränkten Unterthanenverstande der hiesigen Erdumwühler in Betreff des Beschlusses der
Steuerverweigerung, der Ermordung Robert Blum's, ihrer Pflichten als Landwehrmänner u. s. w. zu Hülfe kam, sollen den Sporen der hiesigen Krautjunker neuen Glanz bereiten. Der Säbel regiert und
schön ist es wieder auf Gottes Erde. Alle Ducker und Mucker athmen frei, der Schnurrbart verträgt wieder die Luft, im Wupperthal macht man Bukskin und Bajonette, der Stadtrath zu Köln am Rhein dankt
für die octroyirte Verfassung, kurz, schöner war's nie. Aus Dank für die Erlösung macht denn auch das ganze Schwarz-Weißthum es sich zur Gewissenssache, Alles, womit ihr treues Herz seit sieben
Monaten gefoltert wurde, der heiligen Hermandad zu berichten. Hier hat man berichtet und protokollirt.
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[
X
] Meschede.
Die Verhaftung des Justizkommissär Gierse in Münster hat hier, in seinem heimathlichen Kreise, die größte Aufregung hervorgebracht; derselbe gilt nicht allein als ein
sehr tüchtiger Jurist, sondern auch als besonnener Mann, und die von dem Münsterschen Kongresse heimgekehrten Abgeordneten haben sein Bemühen als Präsident, die Verhandlungen von allen extremen
Zuthaten fern zu halten, sehr lobend anerkannt. Der Justizkommissär Gierse auch von dem Vereinigten Landtage zum Abgeordneten nach Frankfurt gewählt, sollte später in den Kreisen Meschede und Arnsberg
als Deputirter für Berlin gewählt werden, und es wäre dies der liberalen Partei ohne allen Zweifel gelungen, wenn nicht die geistliche Partei, die es bekanntlich in Westphalen mit dem Adel hält, durch
allerlei Manöver in beiden Kreisen, zwei Geistliche durchgesetzt hätte. In Meschede mußte Gierse mit dem Pastor Bigge losen, da sich dieser auf den Rath des Landrath Roese in der engern Wahl selbst
die Stimme gegeben. In Arnsberg fehlten ihm nur wenige Stimmen. Dem Vernehmen nach hat er ein ähnliches Loos in drei Kreisen des Münsterlandes gehabt, wo er doch zuletzt in Coesfeld gewählt ist. Er
ist sich treu geblieben, obwohl er in den Jahren 1835-1840 schwere Prüfungen für die Burschenschaftsbestrebungen, die jetzt zur Geltung gekommen, erlitten hat.
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[
12
] Aus dem westphälischen Sauerlande, 21. Dez.
Unsere Gebirgsgegend, vor einigen Jahrhunderten der Schauplatz der Hexenprozesse, sieht in diesen Tagen wieder eine wunderbare
Erscheinung, nämlich eine Demokratenjagd, betrieben mit einer Wuth, einem Ingrimme, wogegen die heilige Hermanbad und die Kamptz-Dambach'schen Demagogenverfolgungen noch gelinde erscheinen. Tag
und Nacht wird gegen Männer inquirirt, die für des Volkes Wohl thätig gewesen, die nichts gethan, als die Zeit und ihre Gestaltungen einem von Natur scharfsinnigen, kräftigen Menschenschlage zu
erklären, und zur Einigkeit zu ermahnen. Richter von der reaktionärsten Färbung, die durch Betheiligung an den allerservilsten Adressen in der jüngsten Zeit sich von dem Standpunkte der
Unpartheilichkeit entfernt, haben mit Gier die von der Verwaltungsbehörde ersehnten Maßregeln ergriffen. Ihre verklärten Stirnen weissagen Verhaftsbefehle nach allen Richtungen hin. Einer, wer weiß
wie langen, Vorhaft zu entgehen, die nach dem verrotteten preußischen Landrechte so ungemein leicht zu verhängen, sollen sich daher Männer des Volkes, wie v. Orsbach, Koch, Schlozer, Grasshof,
Reinecke u. A einstweilen in's Ausland begeben haben. Sauerländer, verzaget nicht! denn die Zeit wird sich erfüllen, und zwar recht bald!
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@facs | 0942 |
[
*
] Berlin, 19. Dezember.
Gegen Dr. Berend, Redakteur des Pommernvereins-Blatt ist eine Voruntersuchung, wegen eines sog. hochverrätherischen Artikels, dieser Tage eingeleitet
worden. —
Das in Spandau stehende 10. Regiment hat: gestern Befehl erhalten, sich für den 1. Januar zum Abmarsch nach Hamburg bereit zu machen z ob diese Truppen zum „Reichs-Aufsehen“ in
Holstein gegen dänische Uebergriffe bestimmt sind oder ob sie nur dazu dienen sollen die Linke der Hamburger constituirende Versammlung in Schach zu halten, läßt sich für den Augenblick noch nicht
bestimmen.
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[
*
] Berlin, 19. Dezember.
Es ist immer gut, wenn die „getreuen“ Unterthanen wissen, wie man in höchsten und hohen Regionen über gewisse
„Märzerrungenschaften“ denkt und welche Pläne für die nächste Zukunft in Ausführung gebracht werden sollen.
Die „Kreuzritterin“ giebt uns diesmal die Ansichten der Kamarilla in Betreff der Bürgerwehr kund.
„Es war,“ sagt das Brundenburg-Manteufel'sche Organ, „ein arger Mißgriff und eine nicht gewöhnliche Arroganz der reich- und darum (!!) übermüthig
gewordenen Bourgeoisie, so wie eine diesem Stande eigenthümliche Kurzsichtigkeit zu glauben, durch eigenen Waffendienst die viel nachhaltigere Wirkung militärischen Einschreitens ersetzen zu
können.“
Und weiterhin heißt es:
„Die Marotte, daß das Militär erst auf Requisition der Civilbehörden einschreiten soll, könnte eine ganze Stadt unglücklich machen, denn der Weg vom Wehramte bis zum Gouvernement, durch das
Polizeipräsidium, ist ein so weiter und schmeckt so sehr nach ehemaliger Reichsunmittelbarkeit, daß kaum zu denken ist, daß in Zeiten, wo Augenblicke Stunden gelten, auf diesem Wege rechtzeitige Hülfe
gebracht werden könne. Wie viel besser war hierin der frühere Organismus der Behörden! Militär und Polizei stellten ein einiges, untheilbares Ganze dar. Der Soldat war Beistand der Polizei. Reichte
die letztere mit den gewöhnlichen Mitteln nicht aus, so war ihr Amt zur Zeit beendigt, sie zog sich zurück, und ließ sich in der Regel in der Oeffentlichkeit nicht sehen, um die Erbitterung nicht zu
steigern. Es bedurfte nur einer einfachen Anzeige des Polizeipräsidiums, welches im Verein mit dem Gouvernement die oberste Polizeistelle bildete, über die Unzulänglichkeit der polizeilichen Kräfte,
so war das Militär sogleich zur Stelle. Wenn nun das Soldatenspiel der Bürgerwehr für die öffentliche Sicherheit gar
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keine Frucht bringt, so ist es für diejenigen, welche daran Theil zu nehmen gezwungen sind, entschieden nachtheilig.“
Die contrerevolutionäre Pointe kommt natürlich am Schluß und lautet.
„Gegen alle diese Uebel, welche durch kein Gutes aufgewogen werden, giebt es nur Ein Mittel — Auflösung der Bürgerwehr. Dahin neigt auch der Sinn aller derjenigen, welche in
dieser leidenschaftlichen aufgeregten Zeit noch nicht verlernt haben, der ruhigen Erwägung der Umstände Raum zu geben, und welche stark genug sind, den Einflüsterungen derer, welche in ihr
revolutionäres System keine Lücke gerissen sehen wollen, Widerstand zu leisten“
Daß der Wunsch, jener „Märzerrungenschaft“ los zu werden, seiner vollen Verwirklichung entgegengeht: davon zeugen die hübschen Anfänge in Berlin in Erfurt und vielen andern Städten
und Bezirken der Provinz Sachsen; das sieht man ebenso in den belagerten schlesischen Kreisen, wie in den Städten und Dörfern am Rhein und an der Mosel.
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*
] Berlin, 19. Dezember.
In dem Bericht der Finanzkommission, dessen schon mehrfach erwähnt worden, befindet sich unter vielen andern Lücken eine besonders merkwürdige. Die
preußische Regierung hat nämlich für die Sache des legitimistischen Rebellen Don Carlos nicht weniger als 727,000 Thlr. nach Spanien geschickt.
Werden mit der Zeit erst diese und und ähnliche Dinge aufgedeckt, so wird doch endlich das Volk begreifen, wie theuer ihm das jetzt mittelst Wrangel'scher und Manteufel'scher
Gewaltstreiche wiederhergestellte Königthum „von Gottes Gnaden“ schon zu stehen gekommen ist und wird sich aus dem Facit hoffentlich eine Lehre für die Zukunft ziehen.
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X
] Berlin, 19. Dezember.
Die „Neue Preußische Zeitung“ enthält folgende Mittheilung:
„Aus guter Quelle kann mitgetheilt werden, daß der Criminalsenat des Ober-Landesgerichts zu Münster seinen von Herrn Märker ihm zugedachten Direktor, Herrn Temme, selbst zur
Criminal-Untersuchung gezogen hat. Möchte dieses Beispiel entschiedenen, treuen Muthes in allen Gerichtshöfen Nacheiferung finden!“
Freilich über Vorfälle, wie der nachstehende, schweigt die brave „Kreuzritterin“ oder umwickelt sie mit königlich preuß. Lügen so dick, bis die Thatsachen in ihren Kram passen. Das
Faktum ist folgendes:
Der Buchhändler Zawitz, in der Königsstraße, hatte einige Exemplare des Kladderadatsch in seinem Auslegekasten zum Verkauf ausgestellt. Zwei Constabler kamen alsbald in den Laden, forderten und
nahmen eine aufliegende Anzahl dieser Blätter hinweg. Als der Buchhändler, nach Mittheilung, daß das Blatt wieder erlaubt sey, das Päckchen zurückfordente und zurücknehmen wollte, packten ihn die
Häscher, zerrissen ihm die Kleidungsstücke, warfen ihn zu Boden, stießen ihn mit Füßen und schleppten ihn dann nach der Stadtvogtei.
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121
] Wien, 15. Dez.
Damit die Welt ja nicht glaube, es könne in Oesterreich „von Gottes Gnaden“ je ein humaner Grundsatz anerkannt werden, hat Windischgrätz heute
einen armen Soldaten Namens Krziwan hängen lassen. Der Oberjäger hatte denselben immer militärisch malträtirt, und ihm zuletzt auf einem Marsch durch die Leopoldstadt in conspectu omnium eine Ohrfeige
gegeben, worauf Krziwan, ein Pole, sofort sein Gewehr anlegte und den Oberjäger niederschoß. Derselbe wurde nun heute Morgen nach dreitägiger Todesfolter in Eisen geschlossen, und von einer imposanten
Infanterie- und Kavalleriemacht umzingelt zu Fuß auf den Richtplatz zur Spinnerin am Kreuz geführt, und dort aufgehängt. Außer dem Militär begleiteten nur wenige aus dem Volke den fürchterlichen Zug;
das Entsetzen hält bei solchen Exekutionen die Leute in den Häusern. Es sollen noch 1500 Personen in den Kerkern schmachten, die man absichtlich ununtersuchen läßt. Windischgrätz hat geäußert, die
Militärkommission hätte vollauf drei Jahre zu thun, wollte sie die schriftlich eingegangenen Denunziationen alle berücksichtigen. Das kann Ihnen zur Statistik des Spionenwesens dienen.
Das Gerücht, Preßburg sei genommen, war eine Lüge, welche die Generäle selbst ausgesprengt, um das aus lauter Deutschen bestehende dritte Treffen zum Marsch nach Ungarn aufzumuntern. Sie logen den
Soldaten die Einnahme Preßburg's ohne weiteres vom Pferde herab vor, und so kam dieselbe unter die Menge; das Militär aber marschirte gestern ab. Gleich darauf erfuhr man, daß es nur eine List
war, und auch das Abendblatt zur Wienerin erlaubte sich nicht, von einer Einnahme Preßburg's zu sprechen. Unser Militärstand ist dadurch sehr gering geworden, die Vorsicht aber um so größer.
Die hier gebliebenen Soldaten müssen, um die Schwäche vor dem Volke zu verbergen und ihm zu imponiren, des Tags über in den Straßen herumlaufen, marschiren und exerziren. Es sollen nunmehr 15,000 Mann
hier sein; die Basteien und Vorstädte sind darum auf das Aengstlichste bewacht. Unter den Kroaten in Ungarn sollen sich sichern Angaben nach 4000 Russen befinden, die täglich verstärkt werden. Die
Rekrutirung findet in Deutsch-Oesterreich einen solchen Widerstand, daß sie fast überall mittelst Militärexekution, bei welcher ganze Aufstände zu unterdrücken sind, ausgeführt werden muß. —
Obwohl nach Angabe der Wiener Zeitung von 20,000 sogenannten, Proletariern 15,000, Sie wissen nur zu gut wie, verschwunden sind, so befinden sich nach Angabe des Fremdenblatts doch noch 30,000
brodlose Menschen hier, die es gewagt haben, sich als solche bei dem Gemeinderathe vorzustellen. 5000 davon hat man verschwinden gemacht, 4500 werden beschäftigt und 20,500 überläßt man ihrem
Schicksal. — Die Presse fährt fort, Gift und Galle, List und Bosheit wider jede Regung, namentlich aber wider das deutsche Ausland zu speien, und die Reden Welcker's und ähnlicher
Subjekte in extenso mitzutheilen. Die tägliche Lektüre unserer hundertköpfigen Preß-Hyder ist für mich ein schauerliches Frühstück. Man will den Oesterreichern zeigen, daß das armselige Deutschland
sich eine Ehre daraus machen muß, von Oesterreich zum Strang verurtheilt und mit Pulver und Blei malträtirt zu werden.
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61
] Wien, 15. Dez.
Zwischen dem Ministerium und der Bank ist eine vehemente Kriegserklärung erfolgt. Das Ministerium läßt letztere in seinem Blatte Lloyd mit allen ihm zu Gebote
stehenden Mitteln und Drohungen angreifen. Alle Welt ist erstaunt über solch' ganz antibourgeoismäßiges Auftreten der ritterlichen Junker. Die Erklärung dazu ist folgende: Das Finanzministerium
bedarf dringend 80-100 Milliönchen; der Reichstag zeigt wenig Neigung, dieselben ganz zu bewilligen, selbst dann nicht, wenn man alles, was links ist, aus ihm herauswirft und Kremsier mit Kanonen
umstellt, denn er weiß, daß er an der Staatsleitung keinen Theil mehr nehmen soll. Indessen würde das starke Ministerium mit ihm dennoch fertig werden; es weiß, wie flexibel die souveränen Ansichten
werden, wenn Seresaner, Kartätschen, Pulver und Blei, Stränge u. s. w. sie zurecht machen. Es hat darum schon direkt mit den geldbekanntesten Schachern negoziren wollen; aber diese erklärten dem
mächtigen Oesterreich (noch immer offizieller Titel), sie seien selber am Bankerott, und könnten zu gar keinem Prozent die Milliönchen herbeischaffen. Darauf wandte das Ministerium sich um neue
Vorschüsse an die Bank. Allein diese, welche der Vorschüsse schon sehr bedeutende vorgeschossen, und sehnsuchtsvoll auf endliche Rückzahlung hoffte, verweigerte rundweg die neuen Vorschüsse. Inde
odium et irae! Das ist der Kommentar zu den Bankaufsätzen des „Lloyd“. Das Ministerium hat sich damit auch die reiche Bourgeoisie, Inhaberin der Bank-Aktien, zur Feindin gemacht, und
diese drückt nun alle Papiere mehr herab. In seiner Verzweiflung will das Ministerium jetzt neue Steuern ausschreiben, denn es muß um jeden Preis Geld haben, und zwar sogleich. Gegen diese Steuern
wird sich aber, so fürchtet es selbst, das ganze Land erheben. Unter solchen äußerst kritischen Umständen soll Nikolaus ein Almosen angeboten haben, das jedoch nicht zureicht. — Wer Kapitalien
hat flüchtet sich ins Ausland; die Papiere werden täglich werthloser, wogegen das Metall einen enormen Preis hat. Die ministeriellen Blätter nennen diesen Zustand, wenn sie von der Börse reden
„fest.“ — Der Kaiser hat die Truppen vom Huldigungseide unter dem Vorgeben entbunden, weil die vielen Beweise von Treue, Hingebung und Tapferkeit sie als die wahre Stütze
des Throns, als sicherer Hort der Gesetzlichkeit u. s. w. bewährt hätten. Diese Entbindung geschah absolutistisch ohne ministeriellen Akkoucheur. Ihr wahrer Grund liegt darin, daß es vorläufig
Aergerniß gegeben hätte, — vielleicht in der Armee selber, — wenn der Eid blos dem absoluten Kaiser geleistet worden wäre; man wird ihn aber nachträglich schon verlangen, wenn man von
keiner Verfassung mehr zu reden braucht. — Die Polen der Provinz Galizien sind sämmtlich in Ruthenen umgetauft worden; die Straßen Lemberg's werden ruthenisirt. Fruher hat man in
Galizien kaum diesen Namen gekannt; man konnte 1846 dort mit den Bauern erreichen, was man jetzt mit den Ruthenen erlangen will. Man hat zu einer beliebigen Horde gesagt: Ihr seid Ruthenen, seid
bisher von den Polen immer unterdrückt worden, (als ob unter Metternich Jemand anders an's Unterdrücken hätte denken können!) ihr müßt euch rächen! Und die Ruthenen riefen: „ Ja! wir
sind Ruthenen, wir kennen, wie die Kroaten, nur einen Kaiser und einen Gott und schlagen alle Polen tod!“ So geschieht's in diesem Augenblicke. Mit diesem Kniff werden die Nationalitäten
Dutzendweise aus der Erde gestampft; wir haben neuerdings eine Slovakei, Hanakei u. s. w. erhalten; uns fehlt daher nichts als der offizielle Völkername Kannibale, Irokese, Karaibe, Troglodyte,
Zigeuner, Botokude u. s. w. Glückseliges Oesterreich mit deinem Appendir Deutschland!
Freund Dümont läßt sein Blättchen heute in allen Zeitungen des Standrechts und Galgens zum Abonnement anbieten!
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102
] Wien, 17. Dez.
Die gestrige Hinrichtung des Polen Krziwan war schauerlich. Er mußte mit Ketten an Händen und Füßen, den Geistlichen und die Henker hinterher, von der
Alsterkaserne zu Fuß bis zum Richtplatz, die Spinnerin am Kreuz, hinwandern. Eine imponirende Masse Militär eskortirte den armen Menschen durch die entsetzten Vorstädte, und stellte sich in einem
Quarré um den Galgen auf. Der Henker brauchte nach den gräuelvollen Vorbereitungen und nachdem er dem Opfer schon den Strick um den Hals geworfen, noch 5 Minuten, um Krziwan zu tödten. Sie
erlassen mir, Ihnen die Scheußlichkeit des Anblicks zu schildern. Die Soldaten sahen schweigend und mit herabgesenkten Köpfen diesem Kunstgräuel österreichischer Bestialität zu. Krziwan starb wie ein
Held. Sein Verbrechen besteht darin, daß er seinen Unteroffizier erschossen hat. Damit verhält es sich aber also. Krziwan hatte, in Mailand glaub' ich, zuerst eine Barrikade erstiegen, er
sollte einen Orden erhalten. Das verdroß den Unteroffizier, und er denunzirte Krziwan als ordensunqualifizirt, weil er einmal bestraft worden. Darauf erhält der Unteroffizier statt Krziwan den Orden,
und martert nun den armen Menschen ununterbrochen. Auf einem Marsch durch die Straßen der Leopoldstadt bemerkt er, daß an Krziwans Uniform ein Knopf fehlt, und versetzt ihm darüber ohne Weiteres eine
furchtbare Ohrfeige. Auf's tiefste in seiner Ehre vor dem ganzen Publikum gekränkt, schießt Krziwan ihn darauf sofort nieder. Ungeachtet dieser gewiß mildernden Umstände, die den Oberjäger arg
graviren, nahm das Militärgericht darauf keine Rücksicht, Windischgrätz aber noch weniger. Die Armee muß in Furcht erhalten werden, meint er, denn er weiß, daß es in der Armee selbst spukt. Die
heutigen Zeitungen ignoriren Krziwans Schicksal gänzlich, indem sie nicht einmal das Urtheil oder die Exekution publiziren. — Ein anderer Mann wurde wegen „Aeußerungen“ zu 8
Jahren Schanzarbeit in Eisen verurtheilt. Sie sollten einmal sehen, wie das Militär beim Exerziren auf dem Glacis mißhandelt wird; mit welcher Insolenz und Mandarinenweitläufigkeit sich in den
büreaukratischen Kasernen die Beamtenhorden benehmen! — Es gab hier mehre Gasthäuser, Kaffeehäuser, Waarengewölbe u. s. w., die an Deutschland erinnernde Schilder führten, z. B. zur deutschen
Fahne; allein die Offiziere haben sich fast überall das Vergnügen gemacht, dieselben in der Nacht mit den Säbeln herabzuschlagen. — Neulich geschah ein Einbruch in das Gewölbe eines
Juwelenhändlers, den man nicht verfehlte, dem Proletariate zur Last zu legen; es stellt sich nun glaubhaft heraus, daß eine Patrouille jetzt abmarschirter Kroaten, den Einbruch verübt hat. Das Elend
unter dem Volke wächst entsetzlich, aber es darf sich nicht zeigen, weil die härtesten Maßregeln dawider ergriffen werden. Meistens heißt's: „Zur Armee:“ Wohin aber die Leute
eigentlich kommen, wird man nicht gewahr. Um den äußersten Terrorismus immer länger zu legitimiren, werden unwahre Gerüchte verbreitet, als da sind: Das Volk habe schon mehrmals auf Patrouillen
geschossen. Wir leben in der erstickendsten Luft von Brand, Mord, Inquisition, in einem wahren Schwefeläther dumpfer Scheußlichkeit.
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24
] Wien, 16. Dezember.
Windischgrätz hat gestern sein Haupt quartier nach Petronell verlegt. Jellachich ist von Haimburg nach Bruck gerückt. Es hat gestern nur ein kleines
Gefecht stattgefunden. Heute operiren auf allen Linien der Laitha und March wenigstens 85,000 Mann und 272 Kanonen. Es scheint, daß ein Hauptangriff stattfindet. Man hörte gegen Mittag starken
Kanonendonner.
Zwischen Raab und Comorn dürfte es in den nächsten Tagen zu einer Schlacht mit den magyarischen Truppen kommen. — Heute wird Windischgrätz schriftlich Preßburg auffordern lassen, sich zu
ergeben.
Baron Schlechta, bekannter unter dem Schriftsteller-Namen „Camillo Hell,“ ist gleichzeitig mit einem Wachsfabrikanten kriegsrechtlich zum Tode durch den Strang verurtheilt, jedoch
sind beide vom Fürsten Windischgrätz mit 12jährigem Festungsarrest begnadigt worden.
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301
] Olmütz, 15. Dez.
Grausen durchrieselt die Seele des ehrlichen Menschen, der in die Schrecknisse der innersten Politik Oesterreichs eingeweiht wird. Mittelst der Generäle
werden ganze Völkerstämme und Stände ausgemordet, während in den höheren Regionen die Staatsmänner mit Gift operiren. Man fährt auf der Basis fort, die vor dem März so lange ausgeholfen —
Metternich ist wieder durch seine Kreaturen Stadion (besorgte 1846 das Geschäft in Galizien), Schwarzenberg (Metternich's Gesandter beim Pabst), Bruck (eine gemeine Polizeinatur, unter welcher
jetzt die Post steht) u. s. w. zur fast direkten Herrschaft gekommen. Mit der Ernennung Johann's zum Reichsverweser konnte man sich vorläufig begnügen; er war ein Habsburger, wenn auch ein
ausgestoßener; mit ihm blieb Oesterreich wenigstens nominell an der Spitze Deutschlands, denn er fand auch seinen Schmerling. Wer ihn aber verdrängen will, der hüte sich vor dem Gifte, das schon für
ihn bereitet ist. Pabst Pius wäre schon 1847 vergiftet worden, wenn er Metternich nicht versichert hätte, daß er durchaus nicht an eine liga italiana denke, und nur im eigenen Lande einige
unbedeutende Formen umändern wolle. Die Habsburger wollen nicht untergehen, ohne sich furchtbar gerächt zu haben. Diese Rache besorgt Metternich durch seine Kreaturen. Seine Verbindung mit Wien und
mit der Kamarilla hat er bisher fortwährend durch den Geschäftsträger eines kleinen deutschen Hof's unterhalten. Derselbe stand von je mit Metternich in Intimität; an ihn werden alle Pakete
gesendet, er ertheilt die Briefe und Entwürfe. Die Post ist angewiesen, keins dieser ihr bezeichneten Pakete an einen Briefträger zu verabfolgen, sondern blos anzuzeigen, wenn eins angekommen.
Es wird dann abgenommen. Durch diesen Geschäftsträger werden auch Metternich's Geldbedürfnisse und Spekulationen besorgt; vielleicht noch ganz andere Dinge. Die berüchtigsten Kreaturen
Metternich's stehen mit ihm in ununterbrochener Verbindung. Von Petersburg bis Neapel wird das Geschäft in dieser Weise betrieben. Soviel für die dummen deutschen Tölpel und Verräther, welche,
wie die O.-P.-A.-Zeitung Oesterreich und seine Gräuel vertheidigen; welche es lobpreisen, und hülfreiche Hand bieten, daß dieser Schauerstaat Centraleuropa von neuem knechte.
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*
] Krakau, 16. Dezember.
Es ist heute folgende Proklamation des Generalkommando's erschienen:
„Ein heute Nacht aus dem Hauptquartier des Feldmarschalls Schlik angekommener Courier hat folgende amtliche Depesche überbracht: In der bis zum 11. d. M. sich hinziehenden Schlacht bei
Budamir, nicht weit von Koszyce, neigte sich der Sieg nach einem heftigen 6stündigen Kampfe mit einem 25,000 Mann starken Feinde auf Seite der kaiserlichen Armee, und wendete der geschlagene Feind den
Rücken. Der General zog hierauf als Sieger in Koszyce ein. Außerdem haben die Sieger reiche Beute gemacht.
Krakau, 16. Dezember 1848.
Legeditsch, k. k. Feldmarschall.
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119
] Prenzlau, 18. Dez.
Seit einigen Tagen garnisonirt ein Pommer'sches Landwehr-Bataillon hier. Am Tage des Einzugs wurde dasselbe von den hiesigen Preußenvereinern
festlich empfangen; des Abends gab der Verein mit Gott für König und Vaterland eine außerordentliche Sitzung. Die lange gepreßten Herzen mußten sich endlich Luft machen. Das Uckermärkische Junkerthum
brachte mehrere Vivats und Hochs auf die tapfere preußische Landwehr, insbesondere auf das hiesige Bataillon aus. — Ungeachtet dieses zärtlichen Empfanges ist die hiesige Bevölkerung schon sehr
unzufrieden mit den Truppen. Bereits Tags darauf hörte man Klagen über die schlechte Disziplin derselben laut werden, und täglich mehren sich dieselben. Abends durchziehen trunkene Soldaten lärmend
und tobend die Straßen, auf denen sonst eine Todtenstille herrschte. Wirthshausraufereien zwischen Militär- und Civilpersonen fallen täglich vor, jedoch ohne besondere Bedeutung. Gestern Abends wurden
im Schießhause Fenster etc. von Soldaten zertrümmert. Die Weigerung des Wirths, nach 10 Uhr Abends Getränke zu verabreichen, soll diesen Exceß verursacht haben. Soviel über die vielgepriesene
Disziplin des preußischen Militärs.
Die Leute sind nicht zufrieden mit der Aufnahme in Prenzlau. Die reichen Bourgeois quartiren die Soldaten aus, so daß bei armen Bürgern 4 bis 5 Mann zusammenliegen. Die Landwehrmänner erklären
übrigens ganz treuherzig, wenn sie nicht spätestens in vierzehn Tagen in ihre Heimath entlassen würden, dann sollten die Prenzlauer noch ganz andere Dinge erleben.
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!!!
] Frankfurt am Main, 19. Dezbr.
Abends 6 Uhr. Der Ausschuß zur Begutachtung des vom Minister H. v. Gagern vorgelegten Programms, die Stellung der Centralgewalt zu Oesterreich
betreffend, ist so eben aus der Wahl der Abtheilungen in folgender Komposition hervorgetreten:
Rüder aus Oldenburg (ganz rechtes Centrum).
Kirchgeßner aus Baiern, Max Simon aus Breslau, Rheinwald und Venedey (Linke).
von Buttel aus Oldenburg (rechtes Centrum).
Paur aus Augsburg (Ministerialkandidat; sein Gegenkandidat Wesendonk erhielt leider 1 Stimme weniger).
Barth (zweifelhaft).
von Linde (ultramontan, in dieser Frage entschieden links).
von Sommaruga (ganz rechts — hier ganz links).
Christmann, Reitter aus Prag, Makowiczka aus Oesterreich, Giskra aus Mähren und Hildebrandt (Linke).
Neun Mitglieder der Linken. Zwei, welche in dieser Frage mit der Linken gehen. Also 11 Antiministerielle gegen kaum 4 Ministerielle. Die Sache wird köstlich!
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[
*
] Frankfurt, 19. Dez.
Ein hiesiges halboffizielles Blatt, die „D. Z.“. (deren kölnische Korrespondenten, nebenbei gesagt, bekannte preußische Spione sind und andererseits gegen Baarzahlung berichten, daß
die „Rh. Volkshalle“ mehr Anklang in Köln finde, als die „Neue Rheinische Zeitung“), diese aus Heidelberg übergesiedelte Ablagerung deutschen Professoren- und
Philister-Schmutzes ist heute beauftragt, das Publikum über einen Wahlgesetz-Entwurf zu sondiren. Dieser saubere Entwurf ist dem Verfassungsausschusse von seinem vorberathenden Comitee vorgelegt
worden. Wie weit es die Bourgeoisie mit der großen Masse des Volks, vor dem sie einige Zeit lang in so großer Angst lebte, nun wieder zu treiben gedenkt, ergibt sich schon aus diesem einen
Aktenstücke. Es ist betitelt:
Gesetz
über die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause.
§. 1. Wähler ist jeder selbstständige, unbescholtene Deutsche, welcher 1) das fünf und zwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat, 2) in dem vom Gesetz ihm angewiesenen Wahlbezirke zur Zeit der Wahl
seinen festen Wohnsitz hat; er darf jedoch nur an Einem Orte wählen.
§. 2. Als nichtselbstständig, also von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen, sollen angesehen werden: 1) Personen, welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen, oder über deren Vermögen
Konkurs oder Fallitzustand gerichtlich eröffnet worden ist, und zwar während der Dauer dieses Konkurs- oder Fallit-Verfahrens; 2) Dienstboten; 3) Gewerbegehilfen; 4) diejenigen, welche für Taglohn,
Wochenlohn oder Monatslohn arbeiten; (?) 5) diejenigen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln beziehen oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben; 6) diejenigen,
welche eine Einkommensteuer, wo eine solche Steuer schon besteht oder noch eingeführt werden wird, zu entrichten nicht verbunden sind, oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre nicht bezahlt
haben, oder, wo eine solche Steuer noch nicht besteht, ein jährliches Einkommen von 300 Gulden nicht haben.
§. 3. Als bescholten, also von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen, sollen erachtet werden: 1) diejenigen, welche durch rechtskräftiges Erkenntniß wegen Diebstahls, Betrugs oder
Unterschlagung, oder zu einer Zuchthaus-, Arbeitshaus-, Festungsarbeits-Strafe oder zum Verlust der bürgerlichen Ehren oder Rechte, oder zur Stellung unter polizeiliche Aufsicht — und zwar
während der Dauer der letztern — verurtheilt worden sind; 2) diejenigen, welche durch rechtskräftiges Erkenntniß überführt worden sind, bei den Wahlen Stimmen erkauft, ihre Stimmen verkauft,
oder in mehr als einer Wahlversammlung, bei der für einen oder den nämlichen Zweck bestimmten Wahl, ihre Stimmen abgegeben zu haben.
§. 4. Das Recht zum Wählen ruhet bei den Kriegern, welche in aktivem Dienste stehen, mit Ausnahme der Unteroffiziere und Offiziere.
§. 5. Wählbar zum Abgeordneten des Volkshauses ist jeder selbstständige, unbescholtene (§. 2, 3) Deutsche, welcher: 1) in einem deutschen Staate das Staatsbürgerrecht besitzt; 2) das dreißigste
Lebensjahr zurückgelegt hat.
§. 6. In jedem Einzelstaate sind Wahldistrikte von 100,000 Seelen der wirklichen Bevölkerung zu bilden. Dieselben werden zum Zweck des Stimmenabgebens in kleinere Bezirke eingetheilt, in welchem
für den ganzen Wahldistrikt Ein Abgeordneter zum Volkshaus zu wählen ist.
§. 7. Ergibt sich bei der Bildung der Wahldistrikte ein Ueberschuß von wenigstens 50,000 Seelen, so ist für diesen ein besonderer Wahldistrikt zu bilden, welcher einen Abgeordneten zu wählen
hat.
§. 8. Kleinere Staaten mit einer Bevölkerung von wenigstens 50,000 Seelen haben einen Abgeordneten zu wählen. — Die Stadt Lübeck soll diesen gleichgestellt werden.
§. 9. Die Staaten, welche keine Bevölkerung von wenigstens 50,000 Seelen haben, werden zum Zweck der Wahl der Abgeordneten mit anderen kleineren oder größeren Staaten, nach Maßgabe der
Reichs-Wahlmatrikel zusammengelegt, und haben in dieser Vereinigung Wahldistrikte zu bilden.
[0944]
§. 10. Die Wahl erfolgt durch einfache Stimmenmehrheit aller in einem Wahldistrikte abgegebenen Stimmen. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Loos.
§. 11. Stellvertreter der Abgeordneten sind nicht zu wählen.
§. 12. Das Wahlrecht muß in Person ausgeübt, die Stimmen mündlich zu Protokoll abgegeben werden.
§. 13. Staatsdiener bedürfen zur Annahme der auf sie gefallenen Wahl keiner Genehmigung ihrer Vorgesetzten.
§. 14. Die Wahldistrikte und Bezirke, die Wahldirektoren und das Wahlverfahren, in so weit dasselbe nicht durch das gegenwärtige Gesetz festgestellt worden ist, werden von den Regierungen der
Einzelstaaten angeordnet.
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@facs | 0944 |
[
!!!
] Frankfurt, 19. Dezember.
Sitzung der Nationalversammlung.
Tagesordnung: Zweite Lesung der Grundrechte, Artikel 8, § 30 ff.
Vizepräsident Beseler sitzt auf dem Präsidentenstuhl.
Nach Genehmigung des Protokolls beantwortet der Justizminister von Mohl eine Interpellation von Wesendonk wegen der gegen Zitz, Schlöffel und Simon von Trier obschwebenden Untersuchung vom 18.
September her. Mit den Einzelnheiten dieser Untersuchung ist das Ministerium unbekannt, aber das peinliche Verhöramt hat angezeigt, daß noch im Dezember I. J. die ganze Untersuchung geschlossen sein
wird.
Auf eine Interpellation Maifelds wegen Mittheilung der Reichsgesetze in Oesterreich, theilt der Minister mit, daß jedes Stück des Reichsgesetzblattes, also auch das Schutzgesetz der
Reichstagsabgeordneten vom 29. September allen Bevollmächtigten der Einzelstaaten mitgetheilt und zumal der Empfang des letzteren vom österreichischen Bevollmächtigten schriftlich bescheinigt worden
ist. (Darum hat man Blum und Fröbel auch so in Schutz genommen!)
In der Blumschen Angelegenheit (nach welcher Dietsch von Annaberg mit mehren andern sich erkundigt hat) ist der vollständige Bericht noch nicht ans Reichsministerium gelangt, wird aber bald
geschehen.
Endlich auf eine Anfrage des Abgeordneten Schoder wegen der Verhaftung Ludwig Raveaux in Wien und der noch fortbestehenden Ausnahmsmaßregeln — wegen der Person des Raveaux sind von mehreren
Seiten Schritte zum Schutz gethan worden, aber die Ausnahmemaßregeln, welche die k. k. Regierung mit (!) Widerwillen (!) ergriffen, seien zur Wiederherstellung der (!) Ordnung (!) noch nöthig.
Ueberhaupt müsse man Oesterreich jetzt ungeschoren lassen, bis die deutsch-österreichische Krise entschieden.
Um 10 Uhr geht man zur Tagesordnung, und nimmt folgende Paragraphen in definitiver Fassung an:
Art. 8. § 30.
„Das Eigenthum ist unverletzlich. (Unverändet.)
„Eine Enteignung kann nur aus Rücksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund eines Gesetzes und gegen gerechte Entschädigung vorgenommen werden. (Neue Fassung.)
„Das geistige Eigenthum soll durch die Reichsgesetzgebung geschützt werden.“ (Neu.)
§. 31. (in neuer Fassung).
„Jeder Grundeigenthümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden und von Todes wegen ganz oder theilweise veräußern. — Den Einzelstaaten bleibt überlassen, die Durchführung des
Grundsatzes der Theilbarkeit alles Grundeigenthums durch Uebergangsgesetze zu vermitteln. (Minoritäts-Erachten). Für die todte Hand sind Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben und über
sie zu verfügen, im Wege der Gesetzgebung aus Gründen des öffentlichen Wohls zulässig“ (neu).
Der erste Satz wurde in namentlicher Abstimmung mit 237 gegen 189 Stimmen angenommen.
§. 32.
„Jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband hört für immer auf“ (unverändert).
§. 33.
„Ohne Entschädigung sind aufgehoben:
1) Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die grundherrliche Polizei, sammt den aus diesen Rechten fließenden Befugnissen, Exemptionen und Abgaben.“
2) „Die aus dem guts- und schutzherrlichen Verbande fließenden persönlichen Abgaben und Leistungen.“
„Mit diesen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche dem bisher Berechtigten dafür oblagen“ (neu).
Amendement von Trützschler: „Alle Bannrechte sind aufgehoben“ wird mit sehr schwacher Majorität verworfen.
Lewisohn's Antrag: „Alle Bann- und Zwangsrechte sind aufgehoben“, mit 262 Stimmen gen 164 verworfen. Ebenso die Aufhebung des Blutzehnten und Neubruchzehnten und noch
anderer Lasten. Man läßt die Lasten auf dem Volke lasten.
§ 34.
„Alle auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen, insbesondere die Zehnten, sind ablösbar: ob nur auf Antrag des Belasteten oder auch des Berechtigten, und in welcher Weise,
bleibt der Gesetzgebung der einzelnen Staaten überlassen“ (neu und sehr gekürzt!).
Ein Zusatz von Schoder: „Der Gesetzgebung der einzelnen Staaten steht die Befugniß zu, wo sie es begründet findet, jene Leistungen unentgeldlich aufzuheben“, wurde mit 231
Stimmen gegen 207 verworfen.
Ein Zusatz der Minorität des Verfassungs-Ausschusses: „Es soll fortan kein Grundstück mit einer unablösbaren Abgabe oder Leistung belastet werden“, wurde mit 232 Stimmen gegen 221
angenommen. (Verwunderung).
Ueber keinen der vorstehenden §§. wurde diskutirt.
Um 3/4 3 Uhr vertagt man sich und geht in die Abtheilungen zur Wahl des neuen Ausschusses für Begutachtung des Gagern'schen Ministerprogramms.
Morgen ist Sitzung. Tagesordnung: Grundrechte.
Großbritannien.
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@facs | 0944 |
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*
] London, 19. Dec.
Die engl. Politiker halten jetzt gewissermaßen ihren Winterschlaf. Die Lords sitzen auf ihren Schlössern im Innern des Landes, Besuche machend und Besuche
empfangend, ohne je etwas von dem verlauten zu lassen, was sie in der nächsten Session zu thun gedenken. Die Bourgeoisie, Kaufleute und Fabrikanten reguliren ihre Bücher und blicken zurück auf den
Gang der Geschäfte des letzten Jahres, in dem es ihnen nur zu oft schwül genug um's Herz wurde, wenn sie den schlechten Erndten von 45 und 46 und der Geldkrise von 1847 eine Periode der
Revolutionen folgen sahen, an die sie gewiß am allerwenigsten gedacht hatten. Die Arbeiter endlich, die manche ihrer Hoffnungen am 10. April scheitern sahen, sind nicht weniger ruhig; sie trösten sich
einstweilen mit dem Aufschwung, den neuerdings die Industrie nahm, der ihnen in diesem Winter vielleicht mehr Arbeit gibt, als sie es zu andern Zeiten gewohnt waren.
Dieser politische Winterschlaf der Engländer hat wirklich etwas trauriges und unheimliches. Es ist als ob er die Menschen noch einförmiger machte, als sie es wirklich schon sind; als ob er den
Himmel noch nebliger und düstrer verhängte, als er es wirklich schon ist. Um die Flamme des Kamins gereiht, sehen wir die riesigen, energischen Gestalten der Provinzen, schweigend und mit gesenktem
Kopfe niedersitzen, in regelmäßigen Zwischenräumen den Rauch ihrer gekrümmten, irdenen Pfeife in das Zimmer hinausblasen; in noch regelmäßigern Pausen den dampfenden Grog hinunterschlürfen, und immer
ernst, gravitätisch, großbritannisch.
Stunden lang sitzen sie so da, in das Feuer stierend, in das Glas, oder auf die eigenen Fußspitzen, bis endlich einer der Gesellschaft den Mund öffnet und von einem Pferderennen zu sprechen
beginnt, von einer Fuchsjagd, oder gar von einem politischen Ereigniß der letzten Vergangenheit — — Tief seufzen alle auf. Das Eis der Konversation ist endlich gebrochen und ehe eine
viertel Stunde vergeht, da hat man sich auch aller Parlamentssitzungen seit dem Passiren der Reformbill erinnert und die Namen Lord John's, Sir Robert Peel's, Lord Brougham's und
Cobden's und Bright's tönen herüber und hinüber, die Leidenschaft vergangener Jahre wird auf's Neue lebendig, man raucht mit Leidenschaft und man trinkt mit Leidenschaft, die
kolossalen Figuren der Yorkshire- und der Lancashire-Männer sind wie aus einem Traume erwacht und wir fühlen uns plötzlich wieder mitten unter einem Volke, das seine Heerden auf der letzten Küste
Australiens weidet, das seinen „Erebus“ und seinen „Terror“ in das Eis des Polen sendet und seine Krieger auf den Hochebenen Asiens dem Feinde die Stirn bieten läßt, zu
immer neuen Eroberungen, zu immer glorreichern Siegen.
Mit einem Worte, wir fühlen endlich wieder, daß wir in England sind.
Seit langer Zeit war indeß der politische Winterschlaf der Engländer, nicht uninteressanter als in diesem Jahre, denn es ist den Engländern noch nie passirt, daß sie unberücksichtigter geblieben
waren in der Weltgeschichte, als gerade jetzt. Wer kümmert sich denn gegenwärtig um einen Sir Robert, wer gar um einen Cobden, oder um einen Bright? Die schönen Tage des Freihandelsenthusiasmus sind
längst vorüber. Die Begeisterung, welche dem Vertreter der West-Riding, dem „großen Richard“, dem „Baumwollheiland“ bei seiner Kontinentalreise, in hundert Banketts, von
St. Petersburg bis nach Palermo entgegentönte, hat dem Donner der Revolutionen Platz gemacht, die besser argumentirten, als alle die winzigen Manchester Paschas, welche die dicken ökonomischen Barren
eines Adam Smith, eines Ricardo und anderer Autoritäten in so unzähligen Scheidemünzen über das Ausland zu verbreiten suchten. Selbst die offizielle Partei ist in totale Vergessenheit gerathen. Seit
der kleine Lord John seine großen Maßregeln, die Abschaffung der Schifffahrtsgesetze und die Umgestaltung des irischen Armenwesens, eben so kläglich zurücknahm, als er sie einst geräuschvoll genug vor
das Haus der Gemeinen brachte: hat sich Niemand mehr an die Resultate der letzten Session gekehrt. Der Mann der Reform-Bill schwand zu einem Zwerge hinab, zu einem müden, ungeschickten Steuerburschen,
der nur deshalb das Ruder in Händen behielt, weil eben alle Uebrigen eingeschlafen waren.
Und nun gar Lord Palmerston mit seiner auswärtigen Politik! der alte revolutionäre Dandy, der früher der Welt so viel zu schaffen machte, er zog sich wie eine Schnecke, in das sichere Gehäuse
zurück und ließ den Sturm ruhig toben, wenig bekümmert um frische diplomatische Lorbeerkränze, die er früher so gern auf die erblichenen Locken zu drücken strebte. Seit er es in Folge des verlorenen
spanischen Heirathsgeschäfts ertragen mußte, daß sein Gesandter am Hofe zu Madrid den Befehl erhielt, in 24 Stunden die Stadt zu räumen, sank der alte Held mit seinen politischen Eroberungen immer
tiefer und tiefer.
Die Ereignisse des 24. Februar brachten ihn ganz außer Fassung. Schlecht nur zeigte er bei der schleswig-holsteinischen Angelegenheit seine stumpfen Zähne — wäre er des russischen Einflusses
nicht sicher gewesen, er würde schwerlich so viele Worte darum gemacht haben. Aber die eigentliche Blamage stand dem edlen Lord erst in Nord- und Süd-Italien bevor, in der Lombardei und vor Messina,
als er die bekannte Intervention eben so komisch wieder aufgab, wie er sie eben noch voller Würde unternommen hatte. Die Häupter des Ministeriums der Whigs, Lord John Russell und Lord Palmerston
zeigten sich in der That gleich heroisch. Der eine mit der Navigationsakte und mit hundert kleinern Maßregeln; der Andere mit seinen berühmten Interventionen.
Doch die Engländer sind zufrieden mit ihren Ministern. Was will man mehr? Die englische Bourgeoisie, nachdem sie den 10. April glücklich überstanden hatte, nachdem die Chartisten wenigstens für den
Augenblick aus dem Felde geschlagen waren, wünschte nichts weiter als Ruhe und Frieden. Es war ihnen recht genug, daß die Minister sich durchaus nicht mehr in anderer Leute Sachen mischten. Die alte
Phrase, daß es den Britten lieb sei, wenn da draußen die Freiheit siege, daß es der Würde Großbritanniens angemessen sei, den Aufschwung der Völker zu unterstützen, zieht nicht mehr. Alle Welt weiß,
daß sie zum Kindergeschwätz geworden. Man wollte also nichts mehr davon wissen und die englische Presse machte es sich mit sehr wenigen Ausnahmen zur täglichen Aufgabe, über die Bewegung des
Kontinents in so brutaler Weise herzufallen, wie es auch dem größten Feinde des „perfiden Albion“ wie im Traume eingefallen war. „Wir sind reich genug, um unsern Ruhm zu bezahlen
—“ sagte einst ein französischer Redner — und noch dazu einer von den schlechtesten. Die Engländer drehten dies um und sagten: „Wir sind zu arm, um uns Ruhm zu
kaufen,“ und die Leute, welche dies sagten, gehörten wirklich zu den besten. Getrost ließ man der Reaktion des Kontinents freies Spiel. Messina wurde bombardirt, in Mailand wütheten die
Kroaten, über den Fall Wiens frohlockte man wie über die Nachricht eines Nelsonschen Sieges, und die oktroyirte Verfassung der Preußen pries man als ein Muster der Staatsweisheit!! (Daß eine Anzahl
preußischer Friedrichsd'or den Ruhm steigerten, versteht sich von selbst.)
Aber die Bourgeoisie Britanniens wollte es so. Sie wollte Ruhe, sie wollte, daß das Geschäft sich hebe, sie wollte, daß sie endlich wieder einen ruhigen Winterschlaf feiere, ruhig wie den jetzigen,
denn trotz aller australischen Besitzungen, trotz Erebus und Terror und trotz aller indischen Siege, ist John Bull ein Krämer, ein Mann, der sich den Teufel um die Freiheit schiert, wenn sie nicht zu
verwandeln ist in Pfunde, Schillinge und Pence.
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@type | jArticle |
@facs | 0944 |
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] London, 19. Decbr.
Ich schrieb Ihnen neulich, daß der Ex-König von Frankreich vor einem der hiesigen Polizeigerichte gegen mehrere aus Frankreich herübergekommene Personen,
angeblich, weil sie im Besitz von Eigenthum seien, das ihm, dem Ex-Könige, aus den Tuilerien und dem Schlosse von Neuilly geraubt worden, geklagt habe. Das vorläufig in Beschlag genommene Vermögen
wird auf 30,000 Pf. St. geschätzt. Die Sache war das vorige Mal vertagt worden. Am Sonnabende beantragte nun der klägerische
Hierzu eine Beilage.