Deutschland.
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Z
] Düsseldorf, 18. Dezember.
Das Puppenspiel unseres sogenannten Belagerungszustandes löst sich in Wohlgefallen mit vieler Heiterkeit auf. Der Hr. Oberpräsident Eichmann geruhte uns von Civilwegen zu besuchen, und der Hr. v.
d. Groeben dito von Seiten der Kriegsmacht. Man speiste ganz wohlgemuth im Hotel Disch, und hatte die Gnade die 6 suspendirten Regierungsräthe des hiesigen Kollegiums einzuladen. Summa Summarum: Herr
Oberpräsident Spiegel, welcher mit Hrn. Kommunist Drigalski die Vorsicht gebraucht hatte, unsere gemüthliche Rheinstadt in Belagerung zu setzen, fand es für gut, zur Zeit des Zweckessens zu
verschwinden; sein Barbier sagt, er seie krank. Kurzum er ist jetzt suspendirt, und die unlängst suspendirt gewesenen 6 Regierungsräthe werden morgen Dienstag ihre Funktionen
wieder wahrnehmen. So wendet sich das Blatt! Als neuer Regierungspräsident wird Hr. Putkammer genannt. Hr. Drigalski, unser liebenswürdiger Kommunist und Bürger, der so klug war, der Stadt jährlich,
d. h. so lange er hier blieb, 1000 Thlr. zum Besten der Armen zu machen, — NB. mit der Bedingung, sämmtliche Militär-Armen hierselbst, — ihre Zahl ist unnennbar — als bürgerliche
Armen aufzunehmen, wofür sich der Gemeinderath klüglich bedankte und demnächst das kommunistische Anerbieten zurückwies, — soll auch versetzt, suspendirt oder sonst so was sein oder werden.
Jedenfalls, er zieht in Gnaden heim. Unterdeß geht unser sogenannter Belagerungszustand seinen Verlauf. Gestern erst noch fand eine bedeutende Prügelei zwischen Bürgern und Militär statt, worin
Letzteres den kürzern zog; das alles gehört zum Belagerungszustand. Man arbeitet in den hiesigen Kasernen Tag und Nacht an Landwehrröcken, und spricht von einer Truppenmacht von 15-30,000 Mann, welche
am Niederrhein zusammenzogen werden soll.
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73
] Jülich, 15. Dez.
Die arme Reaktion hat doch in jüngster Zeit, wo sie so stolz und höhnisch ihr Haupt in den Nacken zu werfen begann, manchen Schabernack erleiden müssen. Manche noch so fein und vorsichtig
eingefädelte Klüngelei wurde vereitelt, manche noch so schöne Hoffnung auf sichern Erfolg zerrann in dem Augenblicke, als man sich dem sichern Ziele schon nahe glaubte, wie ein Luftbild in der
Sandwüste, und wurde wie man sagt, zu Wasser. Und so etwas hat denn auch unser Landsmann und wackerer Kämpe Hr. Freiherr v. Mylius erfahren müssen, der hochbegnadete Doppeldeputirte, als er der Welt
das nie gesehene Schauspiel zu geben im Begriffe war, wie man nämlich mit einem Fuße im Brandenburger Dom und mit dem andern in der reformirten Kirche stehen könne, und doch noch obendrein ob dieser
Komödie von seinen Wahlmännern für ein politisches Chamäleon gehalten, und mit einem derben Mißtrauensvotum auf die Reise geschickt werden könne.
Und der wackere Ritter zog gen Brandenburg, nicht hoffen dürfend, seinen Stellvertreter, Hrn. v. Berg, unschädlich zu machen, und die furchtbare rothe Republik zu bekämpfen, nein — jetzt nur
um mit den andern kühnen Recken dem armen hungernden und gaffenden Volke wo möglich noch bis zu Weihnachten mit einer fertigen Verfassung eine Bescheerung zu machen, die an einem ewig grünen
Brandenburger Tannenbäumchen hängend, sich herrlich ausgenommen haben würde. Aber der Mensch denkt, und Brandenburg lenkt!
Den Hrn. v. Berg hatten die wackren Eupener Bürger gewählt und inzwischen machte man in Brandenburg den Dom zu, und die Pinschgauer zogen um den Dom herum!
Mittlerweile war aber Hr. v. Berg zurückgekehrt. Er hatte in Berlin bis zum letzten Augenblicke ausgeharrt und es verschmäht, nach Brandenburg zu gehen. Jülich's Bürger fühlten es, daß sie
ihrem Abgeordneten dafür Anerkennung schuldeten, und diese Schuld haben sie ihm auf eine würdige Weise am Sonntage abgetragen. Eupen hatte seinen neuen Deputirten schon auf das festlichste empfangen,
als er sich dahin begeben, um seinen Wählern zu erklären: daß er es seinem Gewissen nicht verantworten könne, nach Brandenburg zu gehen. — Eingeladen, erschien Hr. v. Berg am Sonntage hier in
einer äußerst zahlreichen Volksversammlung, gab seinen Wählern Rechenschaft über sein Wirken in Berlin, und riß die Versammlung durch seinen eben so klaren als unparteiischen Vortrag, zum Ausbruche
des stürmischsten Beifalls hin. Am Abende brachte ihm die Bürgerschaft einen glänzenden Fackelzug. Obgleich eine gewisse Partei es nicht an Aufreizungen hatte fehlen lassen, so störte auch nicht der
kleinste Mißlaut diese ernste und würdige Feier! So ehrt das Volk seine Vertreter!
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41
] Münster, 18. Dez.
Da der glänzende Empfang des am 13. Abends aus Berlin angelangten Herrn Temme von Seiten unserer Bürgerschaft hauptsächlich eine Demonstration gegen die Bodelschwingh-Olfers'sche
Partei so wie gegen das Untersuchungsgericht und den Kriminalsenat, deren reaktionäre Mitglieder unter dem Einflusse jener Partei stehen, bezweckte, so kann man sich die Wuth dieser Leute denken, die
um so größer ist, als Herr Temme von nun an dem Kriminalsenate präsidiren und sich durch den von diesem gegen seine Mitgliedschaft beim „hochverrätherischen“ Ministerium eingereichten
Protest nicht abhalten lassen wird, seine Kräfte der Sache des Volkes zu widmen. In ihrer feigen Wuth schmiedeten sie für den servilen Merkur einen infamen Artikel, in welchem sie die
„Bürgerschaft“ als bei dem Empfange Temme's gar nicht betheiligt darstellten. Und doch weiß hier jedes Kind, daß mit wenigen Ausnahmen unsere ganze Bürgerschaft, die in
Temme einen rettenden Engel wähnt, seiner Ankunft als einem freudigen Ereignisse in unserer Reaktionsnacht entgegen jauchzte. Was thut Herr Brüggemann? Er druckt jenen infamen Artikel, der gegen
seinen eigenen Berichterstatter gerichtet ist und denselben als einen Lügner kompromittiren soll, wörtlich nach. Auf eine Blamage mehr oder weniger, kommt's freilich der braven
„Kölnischen“ nicht an. Unsere Reaktionswirthschaft nimmt übrigens ihren ungestörten Fortgang. Täglich werden Gefangene hereingeschleppt und man hat über 100 Zellen in dem neuen
pensylvanischen Gefängnisse zu deren Empfange in Bereitschaft gesetzt. Man beabsichtigt, sämmtliche Mitglieder des im vorigen Monat hier abgehaltenen Provinzialkongresses zur Unterstützung der
Nationalversammlung gefänglich einzuziehen. Die Anklage lautet auf Hochverrath. Und doch waren unter den Mitgliedern des Kongresses ganz zahme Konstitutionelle, ganz „gemäßigte“
Leute, selbst solche, die nur die Frankfurter Versammlung als kompetent zur Schlichtung der zwischen der preußischen Krone und Nationalversammlung ausgebrochenen Konflikte erachteten. Viele haben kein
Wort gesprochen. Da muß es doch auch dem Kurzsichtigsten einleuchten, daß man diese Männer und ihren Einfluß auf die bevorstehenden Wahlen unschädlich machen will.
Der Kriminalsenat, der die Einleitung der Untersuchung befohlen hat, in Gemäßheit des von mir bereits früher erwähnten Manteuffelschen Reskrips an die hiesige Regierung, steht, wie oben bemerkt,
unter dem Einfluß und der Leitung der Bodelschwing-Olfersschen Partei, und das Untersuchungsgericht hinwiederum unter dem Einflusse und der Leitung des Kriminalsenats. Der mit der Untersuchung
beauftragte Richter ist der Kriminalgerichtsdirektor Giese, ein Mann von ungeheuerer Ehrsucht, der sich durch die Härte, womit er die Untersuchung führt, einen guten Posten bei der bevorstehenden
Reorganisation der Gerichte verdienen wird; früher stand er in liberalem Geruche, dieser hat sich aber in einen derartig reaktionären verwandelt, daß man ihm jetzt schon auf zehn Schritte aus dem Wege
geht. Das die Untersuchung zunächst überwachende Land- und Stadtgericht, von dem das Untersuchungsgericht nur eine Abtheilung, ist nicht blos aus reaktionären, sondern auch mit einigen Ausnahmen aus
geistesbeschränkten Menschen zusammengesetzt. Der Direktor desselben, Hr. Hülsmann, alter Krieger, der sich auch auf dem Krieger- — und Kriecherfest hat hören lassen, ist der konfuseste Mensch,
den es in der Welt geben kann. In Folge eines glänzenden Berichts, den ein junger Assessor für ihn ausgearbeitet haben soll, vor einigen Jahren von Dortmund oder Unna ins Geheime Obertribunal berufen,
erkannte man bald seine Unbrauchbarkeit und schickte ihn als Direktor des Stadtgerichts hierher. Unter solchen Verhältnissen hat der Prozeß begonnen und unter solchen Leuten wird er zu Ende geführt
werden.
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68
] Berlin, 17. Dez.
Die Nachricht der „Neuen Preußischen Zeitung“, der Abgeordnete d'Ester sei per Zwangspaß aus Berlin gewiesen worden, können wir entschieden als unwahr bezeichnen.
d'Ester ist freiwillig nach Köthen abgereist.
Als Nachtrag zur Geschichte des 11. November theilen wir folgendes, aus zuverlässiger Quelle uns zugehendes Faktum mit. Am Nachmittag des 11. November, an dessen Abend bekanntlich die Auflösung der
Bürgerwehr dekretirt wurde, ließ Minister Manteuffel den Kommandanten derselben, Hrn. Rimpler zu sich kommen. Der Minister suchte ihn durch alle möglichen Gründe von der Nothwendigkeit der
Auflösung zu überzeugen und namentlich seine Mitwirkung zu dieser Maaßregel zu erlangen, Rimpler lehnte dies ganz entschieden von sich ab und schilderte dem Minister weitläufig die Stimmung der
Bürgerwehr und wie er lediglich als ein vom Volksvertrauen getragener Führer, nicht bei einer Handlung mitwirken könne, die so gänzlich dem Volkswillen zuwiderlaufe und eine so durchaus
ungerechtfertigte und unrechtmäßige sei. Nach Beendigung des sehr langen Gespräches und als Rimpler schon im Begriff stand, den ministeriellen Salon zu verlassen, trat plötzlich aus einer Portière
ein Beamter hervor und hielt ihm ein Protokoll über den Inhalt der ganzen Unterhaltung mit dem Minister zur Unterzeichnung hin. Rimpler lächelte verächtlich über dieses kleinliche und erbärmliche
Manöver und unterzeichnete das Protokoll mit der einfachen Bemerkung: „Als Offizier bin ich gewöhnt daran, für das von mir Gesagte in jeder Weise einzustehen.“
In Bernburg hat die preußische Contrerevolution Nachahmung gefunden. Auch dort ist der Landtag aus einander gejagt und eine Verfassung octroyirt worden. Nikolaus wird sich freuen, daß
Alles so trefflich von Statten geht.
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Berlin, 17. Dezbr.
Im vergangenen Frühjahre hörte bekanntlich der größte Theil der Berliner Setzer und Drucker zu arbeiten auf, weil sie bei den Prinzipalen höhere Lohnforderungen gestellt hatten. Die
Arbeitseinstellung währte wochenlang, bis die zwischen Gehülfen und Prinzipalen damals schwebenden Unterhandlungen zu einem für beide Theile befriedigenden Endresultate geführt hatten. Gegen
diejenigen Gehülfen, vier an der Zahl, welche sich in dieser Beziehung gewissermaßen zu Parteiführern ihrer Kollegen aufgeworfen hatten, ist gegenwärtig die Anklage vom Staatsanwalte beim
Kriminalgericht erhoben worden.
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X
] Breslau, 16. Dez.
(Fortsetzung des Berichts über den Bürgerwehrkongreß.) Und es war Abend und Morgen der zweite Tag, und ein spießbürgerlicher Geist schwebte über den Debatten und es war ziemlich wüst und leer. So
war der 1. Tag verstrichen. Die Verhandlungen beginnen damit: Für die Bewaffnung der Bürgerwehr muß der Staat sorgen. Walesrode erscheint jetzt, die Debatte verstummt, die Begrüßung beginnt, der
Präsident selbst bewillkommt den Ankommenden. Die Verhandlungen werden wieder aufgenommen. Jeder erzählt Geschichtchen seiner Bürgerwehr. Brünnersdorf zeigt auf die Intention des Gesetzes hin, daß man
eine Bourgeoisbewaffnung habe einführen wollen, die Unbemittelten und Armen sollten ausgeschlossen bleiben. Um dieser Absicht aber entgegenzutreten, sei grade nöthig, daß der Staat für alle die Kosten
trage. Die Majorität entschied sich für diese Ansicht. Große Freude folgte dieser Schöpfung, und, wie es schien, auch Erschöpfung; denn so verworren sind niemals die Debatten gewesen. Das Präsidium
zeigt sich überaus schwach. Die Anträge überstürzten sich; man wußte kaum woher und wohin. Ueber die Artillerie spricht Walesrode. Er bemerkt dabei, daß die Pferde zur Bewaffnung und zum Gebrauch des
Geschützes nöthig sind. Einzelne Redner widerstreiten dieser Ansicht!
Der zweite Punkt der Vorlage lautete: „Der Unterschied zwischen Dienst- und Hülfswache muß wegfallen“. So einfach dieser Satz ist, und so offen die Berechtigung Aller vor Augen
liegt, entspann sich doch eine ziemlich lange Debatte. Für das Prinzip in der Vorlage sprach Breinersdorf. Von Einzelnen wurde der Gesichtspunkt möglichst verdreht; sie fabelten von
Droschkenkutschern, Fabrikarbeitern etc. — dachten wahrscheinlich aber nur an — ihren Geldbeutel. Die guten lieben Bourgeois! Wie besorgt sie doch sind für die Arbeiter (?!) Nach
der Rede des Referenten Linderer, für obigen Punkt, verwarf die Versammlung mit unbedeutender Majorität den Unterschied zwischen Dienst- und Hülfswehr.
Die Vorlage lautete weiter: „Die Befugniß der Gemeinde-Vertretung, die waffenfähigen Einwohner unter 24 Jahren auszuschließen, muß wegfallen“. O Wunder! Die deutsche Redseeligkeit
zeigt sich aufopfernd.
Ueber den wichtigen Punkt: „Die Vereidigung darf nur auf die Verfassung erfolgen“ entspann sich eine kurze Debatte. Friedensburg erklärte sich gegen jeden Eid, das jeder
professorische Eid ebenso unsinnig als schädlich sei.
[0934]
Die „wächserne Nase des Rechts.“ Meyer, ist für den Commissionsvorschlag, die Gründe — fehlen. Wehrmann versichert uns, die Stadt Magdeburg habe noch immer ihre alte Liebe zum
angestammten Herrscherhaus; vertheidigt den Eid für den König, denn der König verletzt die Verfassung nie, sondern die Minister, der König ist unverletzlich und ähnlicher Wahnwitz in Menge.
Der Congreß wurde hier radical; er verwarf jede Vereidigung der Bürgerwehr. Allein nun bekommen einzelne Redner Angst und zittern und wollen sich wo möglich verwahren gegen jede Folge dieses
Beschlusses. Schrecklich! Feuer und Schwert droht, und die Herren haben doch „Frauen und Kinder.“
§. 5. „Jede Beschränkung der Wahl der Führer muß aufgehoben werden“ wird zuerst ohne Debatte angenommen, dann doch darüber debattirt und in der Fassung angenommen: „Die
Ernennung aller Führer erfolgt durch die Wahl!“
Consequenz ist Mannestugend, dieß auch der Grundsatz vieler Deputirten; In seltner Consequenz wünschen die Herren ihren Katzenjammer wegen des Beschlusses über Nicht-Vereidigung der Bürgerwehr
loszuwerden. Sie bringen daher Anträge: auf Gelöbnisse der Treue gegen die Verfassung, werden aber mit 31. gegen 25. Stimmen abgewiesen. Um den ruhigen Schlaf der Gelöbnißbedürftigen ist's
geschehen.
Unabhängig von den Vorlagen beantragt Simon aus Berlin: die Wahl der Führer mag alle Jahre erneuert werden und hierzu amendirt Walesrode: „Der Oberst möge auf drei Jahre sein Amt
bekleiden.“ Bravissimo, unten im Volke mag Veränderung eintreten, die Hauptleute brauchen nur ein Jahr ihre Ehrenstellung einzunehmen; aber in den höchsten Kreisen muß es eine 3jährige
Stabilität geben.
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@facs | 0934 |
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33
] Olmütz, 14. Dez.
Schimpf und Schande über die Kanaille, welche in Frankreich das Ruder führt! Allen Versicherungen unterrichteter Personen, ja den lauten Aussagen unserer ministeriellen Blutblätter nach, hat diese
Kanaille mit unserem Seresanerstaate wirklich Brüderschaft gemacht — zur Unterdrückung Italiens, Ungarns und Deutschlands. — Daraufhin hat Radetzki von hier aus den Auftrag erhalten,
30,000 Kroaten von der Armee nach Ungarn, das von einer überwiegenden Heeresmacht erwürgt wird, zu entsenden. Der moralische Eindruck, den das Bündniß Frankreichs mit dem ägyptischen Mumiendespotismus
auf Italien machen muß, wird, so hofft man, alle seine Anstrengungen paralysiren; Oestreich und Neapel werden nöthigenfalls mit den Waffen dazu operiren. Früher hat Europa sich über die Greuel
entsetzt und gegen sie gehandelt, welche sich die Türken erlaubten; die Greuel aber, die hier geschehen sind, noch geschehen, die bestialischer sind, als alle je dagewesenen, sieht es mit
Gleichgültigkeit an, und die Republik Frankreichs, die Hoffnung der Völker, verbündet sich mit ihnen!
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121
] Wien, 14. Dez.
Das Ministerium läßt sich über sein Programm in die hiesigen Blätter von allen Seiten Hosiannah's schreiben, die es natürlich selber fabrizirt und theuer bezahlt. Das Programm des
Ministeriums ist indessen nichts weiter als ein in Pulver und Blei metamorphosirter Kranz; ein Rosenkranz, an dem es nach Art der kalabresischen Banditen als ave Maria die Schlagworte,
Gesammtmonarchie, Gleichberechtigung der Nationalitäten, Anarchie u. s. w. herableiert. Ich will Ihnen sagen, was das bedeutet. Unter Gesammtmonarchie versteht das Ministerium den Gesammtraub
der Habsburger, der nur durch Verleugnung und Abstreifung aller Nationalität, außer der habsburgisch-dynastischen zu erhalten ist. Gleichberechtigung aller Nationalitäten heißt danach soviel wie:
„Ihr bekommt alle nichts; eure Dummheit muß uns alles verschaffen!“ Wer etwas wider diese östreichischen Axiome einzuwenden hat, treibt Anarchie, [i]hm wird mit dem Strang geholfen. Ich
sage das nur zum Vortheil auswärtiger Gelehrter und Zeitungsschreiber, die sich über östreichische Wirren — (herrliches deutsches Wort!) — die Köpfe zerbrechen. Mit der Devise
„Gleichberechtigung aller Nationalitäten“ werden beliebige Barbarenhorden des Landes zu Nationen heranfanatisirt, sie erhalten beliebige Hundenamen, und werden dann wie Bestien wider
einandergehetzt zur Erhaltung der Gesammtmonarchie und Vernichtung der Anarchie. Das ist das Geheimniß der östreichischen Wirren, die für's Ausland so räthselhaft erscheinen. Durch den
östreichischen Gesandten in London hat das Ministerium unter Bunsens Verwendung sogar in den Morning Chronicle einen sein Programm lobenden Aufsatz einzuschmuggeln gewußt, den uns die Wienerin in der
deutschen Urschrift gestern in extenso mitgetheilt hat, worauf sie im Abendblatte mit dem langen Salbader östreichischer Polizeiberedsamkeit ein ähnliches Lob aus der Kölnischen Zeitung singt,
indem sie ausruft: „Es thut dem aufmerksamen Beobachter wohl, endlich einmal in der deutschen Presse die Stimme der Vernunft u. s. w. über Oestreich zu vernehmen. Oestreich beginnt, so sagt das
erste Organ der deutschen Journalistik am Rheine, nach langer ängstlicher Spannung freier zu athmen und wieder einmal an eine hoffnungsreiche Zukunft zu glauben. Die neuen Formen, nach welchen es
ringt, haben neue Träger gefunden, und das Bewußtsein bricht sich Bahn, daß damit die Revolution geschlossen ist.“ — Wo die Gegenwart Belagerungszustand, Standrecht, Pulver und Blei,
Strang, kroatische Banditen, Kanibalismus u. s. w. heißt, kann für die „Kölnische Zeitung allerdings eine hoffnungsreiche Zukunft als Frucht aufblühen.
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@facs | 0934 |
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102
] Wien, 14. Dez.
Gestern sagte man, Preßburg sei nach dreistündigem Bombardement von den kaiserl. Truppen genommen worden. Da aus Galizien viele Freikorps nach Ungarn ziehen, so hat die dortige Verwaltung den
Landsturm organisirt und verwendet ihn zu einen Kordon längs der ungarischen Grenze. 80,000 Russen, von denen viele ins östreichische Heer aufgenommen werden, stehen im Hintergrunde. Ungarn, von jeder
Hülfe entblößt, wird von der Uebermacht erwürgt werden. Windischgrätz soll Kossuth, wider welchen unsere Tagespresse unaufhörlich giftgeschwollene Aufsätze schleudert, die entsetzlichsten Martern
zugeschworen haben. — Ein Anschlag verkündet, daß man ja nicht annehmen solle, die Einziehung und Bestrafung der an den Vorfällen des Oktober Betheiligten sei eingestellt. Zur Beseitigung einer
solchen hier allerdings irrthümlichen Ansicht hat die Militärkommission, die übrigens ununterbrochen zum Strang verurtheilt, denn gestern sofort auch einen übergetretenen Bombardier erschießen lassen.
Die Motivirung der Urtheile besteht jetzt nur mehr in der Angabe des „eigenen Geständnisses und des Zusammentreffens von Umständen.“
Unter standrechtlichen Drohungen hat man nun auch die Wahlmänner der Frankfurter Abgeordneten zu zwingen angefangen, ihnen vorgelegte Mißtrauensvota zu unterzeichnen, die dann mit begleitendem
Hallo in der Wienerin prangen. „Was ist des Deutschen Vaterland?“ darf seit dem 31. Okt. von keiner Straßenorgel mehr gespielt werden, und wo die Spione es von einem Klavier hören, wo
sie die deutschen Farben sehen, wird augenblicklich Untersuchung und Verhaftung gehalten.
Um Ihnen ein neues Pröbchen von der Verworfenheit unserer bessern Presse zu geben, will ich schließlich eine Stelle aus einem in der „Presse“ enthaltenen „Serbische
Zustände“ genannten Aufsatze mittheilen. Es heißt daselbst: „Noch vor einem Jahre war der Name Serbe ein so unbekannter Laut, daß selbst genauere Kenner östreichischer Statistik die
Serben als einen der vielen in das Ungarland eingesprengten Stämme ohne höhere Bedeutung betrachteten.“ Ein schönes Geständniß, wie die Kamarilla die Nationalitäten hervorzuzaubern versteht, um
sie wider einander zu gebrauchen! „Das nationale Bewußtsein des Serben erwachte,“ wird fortgefahren, „die Erinnerung an Leiden (!) und Unterdrückung (!) entflammte ihn und er
griff zu den Waffen. Das erste Auftreten dieser neu erwachten Nation war nicht eben sehr manirlich. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß die Serben in ihrem Kriege manchen jener Gebräuche (!)
verletzten, welche civilisirte Nationen als stehende Normen (!), als Etikette-Sache (!) bei dem Geschäfte (!) vielseitigen Mordens und Brennens unter sich eingeführt haben. (!!!) Das Spießen und
Todtschlagen scheint in jener Gegend zur Landessitte zu gehören. (!!!!) Das Land grenzt an die Türkei, möglich daher, daß diese patriarchalische (!!!!) Landessitte auf historischen Erinnerungen
beruht.“ (!!) In den andern östreichischen Blättern gibt es noch Entsetzlicheres zu lesen. — Die russische Flotte ist 20 Segel stark vor Triest erschienen, und wird mit der
östreichischen gemeinsam Venedig nehmen. Die franz. Bourgeois thun dem Absolutismus dabei den Gefallen, in Brüssel lange hin und her zu konferenzeln.
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@facs | 0934 |
Gratz, 12. Dez.
Nach gestern hier eingelangten Briefen ist die russische Flotte, bestehend aus mehr als 20 größeren und kleineren Schiffen, auf der Rhede vor Triest eingetroffen (?) und vor Anker gegangen. Wie man
erwartet, wird nun die österreichische Flottille aus Pola auslaufen, und gegen Venedig operiren. Wenn diese Nachricht richtig, so wird wohl die offizielle Bestätigung dieser Tage erfolgen, und dann
Venedig in Kürze wieder in unseren Händen sein.
[(Gr. Z.)]
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@facs | 0934 |
München, 14. Dez.
Heute mußten abermals drei Kompagnien vom Infanterie-Leibregiment in's Gebirg abmarschiren, man sagt in die Gegend von Tölz, wo wiederholt bedeutende Jagdfrevel und dergleichen begangen
worden seien. Es ist dies im Lauf des Jahres schon das dritte Mal, daß Truppen nach jener Gegend beordert werden.
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@facs | 0934 |
[
X
] Nürnberg, 15. Dez.
Was wird das für eine Kammer werden, welche in den letzten Tagen dieses Jahres in München zusammentreten soll? So fragt man sich verwundert, wenn man die Ergebnisse der baierischen Landtagswahlen
durchgeht. In ganz Altbaiern, Oberbaiern, Mittelbaiern und der Pfalz mit Regensburg nichts als Pfaffen, Bauern und höchstens Regierungsräthe, die man aber als zu liberal und unchristlich in der Regel
durchfallen ließ. In Schwaben nur zum Theil Demokraten, und, wie zu hoffen, einige talentvolle; in Augsburg und den meisten Orten Schwabens unbedingte Monarchisten; in Franken dagegen fast mehr
Demokraten als Konstitutionelle; namentlich in Bamberg und Nürnberg haben die demokratischen Vereine gesiegt. In der Rheinpfalz endlich entschieden gute Demokraten, von denen wir namentlich erwarten,
daß sie für unsere diesseitigen die Führer abgeben werden. Aber sie werden der Zahl nach immerhin schwach sein gegen die ultramontane Partei, die Hr. v. Abel unter seinem Banner sammeln wird.
Es wäre zum Verzweifeln, wenn man nicht auf die Macht der Revolution seine Hoffnung setzen könnte, die ihr entscheidendes Wort vielleicht an einem andern Orte sprechen wird, bevor noch unsere
Landesvertreter in München zusammenkommen. Wenn irgend ein deutsches Land bestimmt ist, von der Revolution ins Schlepptau genommen zu werden, so ist es Baiern. Von dem Grad der Verdummung bei unsern
altbaierischen Bauern macht man sich auswärts keinen Begriff, und die Städter sind kaum besser. Nur in Franken ist der demokratische Geist siegreich durchgedrungen und hat Stadt und Land mächtig
ergriffen. Die konstitutionellen Vereine spielen hier eine traurige Rolle, sie sind in der kläglichsten Desorganisation. Sie hatten sich beständig gerühmt, die große Mehrheit des Volks zu
repräsentiren und nun konnten sie bei der letzten Wahl in Bamberg gar keinen, in Nürnberg nur einen Kandidaten durchsetzen, und diesen auf eine Weise, die nur ihre Ohnmacht beurkundet. Sie
überrumpelten nämlich die bäuerlichen Wahlmänner einiger Landgerichtsbezirke, versprachen diesen für einen ihren Lokalsympathien entsprechenden Kandidaten zu stimmen, was sie natürlich nachher nicht
hielten, gewannen sich aber durch diese falsche Vorspiegelung die Stimmen der politisch noch sehr unmündigen Bauern. Unser vortreffliches Wahlgesetz hat es nämlich weise also geordnet, daß die
Wahlmänner eines großen Wahlkreises, die einander gar nicht kennen und die höchst verschiedenen Interessen vertreten, zusammengeworfen werden, um gemeinschaftlich 3-4 Abgeordnete zu wählen. Hier hat
dann natürlich die Intrigue ein weites Feld.
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@facs | 0934 |
[
14
] Darmstadt, 17. Dez.
Gestern beriethen unsere Volksvertreter in dem privilegirten zweiten „Schlafkämmerchen“, wie der „Mann der That“, zu sagen beliebte, die abermalige Verlängerung der
Finanzperiode auf 6 Monate. Es war dies eine Lebensfrage für das Ministerium Jaup, denn nur durch die unkonstitutionelle und ungebührlich lange Kammervertagung wurde die Nothwendigkeit einer
nochmaligen Prorogation des Büdgets hervorgerufen. Hr. Jaup hatte noch zudem den Ständen versprochen, ihnen bei ihrer Wiedereinberufung nur das Wahlgesetz zur Berathung vorzulegen. Trotz alledem und
alledem wurde jedoch gestern die Prorogation mit 32 gegen 13 Stimmen angenommen, und das Ministerium der „That“ bleibt uns somit unverloren. Bürger Zitz erklärte feierlichst, er
werde nie in irgend eine Verlängerung der Finanzperiode willigen, so lange der Herr Minister nicht die Gründe der Vertagung, durch die er die Majorität der Kammer verhöhnt habe, angeben werde.
Abg. Behlen erklärte zum betäubenden Schrecken der Jaherren: „Ich werde nie einem Ministerium, das der Mehrheit der Kammer und des Volks so sehr in's Gesicht geschlagen hat (der
Präsident unterbricht ihn durch einen Ordnungsruf, und gestirt sich dabei wie eine Gouvernante, die ihrem Zögling mit der Ruthe droht; der „Mann der That“ sitzt blutroth vor Verlegenheit
da) — das der Mehrheit der Kammer so sehr in's Gesicht geschlagen, die Mittel zu fernerer Existenz gewähren.
Ergötzlich war in derselben Sitzung eine Debatte zwischen Zitz und dem Niersteiner Napoleon, Herrn Wernher, genannt der „Reichstelegraph“. Abg. v. Rabenau II. hatte den
Kriegsminister nach den Summen gefragt, welche die Vermehrung des stehenden Heeres bis zu 2 Prozent der Bevölkerung Hessen-Darmstadt kosten werde, und die Befürchtung geäußert, daß es mit dieser
Maßregel auf die Selbstständigkeit der kleinern Staaten abgesehen sei. Zitz hielt eine sehr interessante Rede gegen diese volksfeindliche Maßregel des Reichsministeriums. Aber wie Zeus von
seinem Wolkenthron herab, hub der Niersteiner Napoleon, genannt der „Reichstelegraph“ an, gegen Zitz von „Einheit“, „Patriotismus und der Nothwendigkeit zu donnern,
daß in dem demnächstigen Kriege mit Frankreich“ die deutschen Offiziere deutsche Binden um die deutschen Hüften und deutsche Feldzeichen an den Helmen hätten. Sprach von der
„kühlen“ Besonnenheit des Staatsmanns, und schloß mit der ergreifenden Phrase: „Königliche Hoheit haben in patriotischem Interesse so manche goldne Schnur von ihrem Herzogshute
geopfert, Königl. Hoheit würden nie in irgend eine Maßregel willigen, wodurch das Interesse der Einheit verletzt würde.“ Also sprach Wernher von Nierstein, genannt der
„Reichstelegraph“. Zitz legte in seinem und seiner Meinungsgenossen Namen die Verwahrung zu Protokoll nieder:
„Sie würden nie ihre Zustimmung dazu geben, daß die Regierung Ausgaben, welche durch eine Verfügung des Reichsministeriums herbeigeführt worden wären, ohne Einwilligung der Stände vornähme.
Er erklärte gegen Wernher, er sei Partikularist sobald er durch die Einheit die Interessen der Freiheit gefährdet sehe.“
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@facs | 0934 |
[
34
] Darmstadt, 16. Dez.
Unter der Erbschaft, welche das neue Reichsministerium vom Herrn v. Schmerling übernimmt, befindet sich auch eine Untersuchung, welche hier „auf Befehl des Reichsministeriums“ wegen
einer Versammlung im Lokale des Volkslesevereins am 18. September, dem Tage der Frankfurter Barrikaden, geführt wird. Von diesem Lokale aus bewegte sich ein Zug, Heckerlieder singend, durch die Stadt,
und dem Minister Jaup wurden am selben Abend die Fenster eingeworfen. Grund genug für die Centralpolizeigewalt, um auf eine weitere Verzweigung der „Frankfurter Verschwörung“ los zu
inquiriren. Da man den Leuten, auf die man's abgesehen hatte, nicht beikommen konnte, hat man sich begnügt, einige untergeordnete „Verschwörer“ einzustecken.
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@facs | 0934 |
Altenburg, 16. Dez.
In diesen Tagen haben wir wieder einmal einen sichern Maßstab für die hiesige Stimmung, bei der Wahl eines Kommandanten für unsere neu zu organisirende Bürgergarde, erhalten. Von der demokratischen
Partei war Advokat Dölitzsch, von der Gegenpartei Hr. Hermann, Hauptmann der altenburgischen Jägerkompagnie, als Kandidat aufgestellt. Die demokratische Partei siegte mit großer Majorität, wenn wir
nicht irren, mit 522 gegen 244 Stimmen.
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@facs | 0934 |
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*
] Hamburg, 16. Dezbr.
Die hiesige sogenannte konstituirende Versammlung hat sich endlich in ihrer gestrigen Sitzung nach viel unnützem Geschwätz für die „Vereinbarung“ entschieden. Berlin und Bernburg
haben gezeigt, wohin man damit gelangt; Hamburg will es gleichwohl ebenfalls probiren.
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100
] Glückstadt (in Holstein), 15. Dez.
Wie in Preußen und dem übrigen Deutschland, so wird auch in Schleswig-Holstein die Knechtung des Volks systematisch ausgeübt, jeder freiere Aufschwung unterdrückt: die Schleswig-Holsteiner sind vom
Regen in die Traufe gekommen. Die Partei des Herzogs von Augustenburg, wozu vorzüglich die Bourgeoisie und die Aristokratie mit Beseler an der Spitze gehört, haben das schleswig-holsteinische Volk
endlich in den sichern Hafen gebracht, wo es aus seinem Freiheitstraume, unter der Säbelherrschaft Bonins (der Wrangel der Herzogthümer), dem Polizeistock Schmerling's und den Fittichen eines
Brutus-Bassermann, erwachen kann. Die Bourgeoisie zeigt aber auch hier in ihren Handlungen, daß sie mit der in andern Staaten in gleichem Range steht, doch davon nachher.
Ihren Lesern haben Sie die Adresse des 7. schleswig-holsteinischen Bataillons mitgetheilt; auch das, wenn ich nicht irre, daß der Verfasser ein gewisser Luttermersk aus Altona ist. Gestern Abend
nun, mit dem Bahnzuge von Rendsburg kam um 7 Uhr dieser Luttermersk hier an, unter einer Bedeckung von 40 Badensern vom 4. badischen Regiment. Wie es sich von einem Manne erwarten ließ, der seine
Feder zur Hand genommen, um den preußischen Soldaten zuzurufen, keinen Verrath ferner am Volke zu üben, so schritt Luttermerck in der Mitte seiner Schergen einher.
Um kein Aufsehen zu erregen führt man ihn nicht mitten durch die Stadt, nach dem Zuchthause; denn hier müssen die Opfer der Reaction ihre über sie verhängte Strafe erleiden. Wie sich dann die
Kerkerthore öffneten, in ihren Angeln krächsten, und auf vier Jahre sich hinter ihm schlossen, — da unwillkührlich stieß ich die Drohung hervor, es am Tage der Vergeltung, der
hoffentlich nicht mehr fern ist, den rothen Monarchisten zu gedenken und keine Schonung zu üben, und es trieb die Wuth mir Thränen in die Augen.
Wenn es übrigens hier bei uns so fort geht und immerfort Militär nach dem Zuchthause geschickt wird, muß noch ein besonderes für dasselbe gebaut oder eingerichtet werden.
Was Bonin anbelangt, so ist dem schon vor 8-10 Wochen, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt, durch eine Mißtrauensadresse, der Wunsch seiner Entfernung zu erkennen gegeben; und auch jetzt
geschieht es von vielen Seiten. Hier aber zeigt sich die Bourgeoisie wie schon oben bemerkt in ihrem Lichte. In Rendsburg ist vom altstädter Bürgerverein eine Deputation mit einer Vertrauensadresse
abgeschickt um den General Bonin zu bitten, sein Ohr nicht dem Gerede einiger Uebelwollenden zu öffnen, und für die Stimmung des ganzen Landes zu halten. Ebenfalls soll hier in der Stadt eine
Adresse in gleichem Sinne zu Stande gebracht werden, und gehen zu dem Ende zwei der angesehensten Bourgeois damit von Haus zu Haus um Unterschriften zu sammeln. An vielen Stellen müssen die Herren vom
Geldsacke aber mit der Antwort abziehen: „Es ist mir schon recht wenn Bonin geht oder „Wir brauchen uns nicht von Bonin knuten zu lassen, laß ihn nur gehen woher er gekommen ist“
und spottweise wird dann noch hinzu gefügt „zu seinem guten König.“
Man ist soweit bei dem hier in Kantonnement liegenden 4. Battaillon gegangen, daß man erst zu den Soldaten sagte: „Wer Bonin nicht mehr behalten will, der trete vor.“ Es trat aber
selbstverständlich keiner vor, denn ein oder zwei Jahre Zuchthaus hätten den sicher getroffen. Jetzt aber fordert man die Soldaten auf die Adresse zu unterschreiben.
Französische Republik.
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Paris, 17. Decbr.
Obgleich Sonntag, setzt doch der Kammerausschuß seit eilf Uhr die Prüfung der aus allen Richtungen der Republik herbeiströmenden Wahlprotokolle fort. Er will bis Mittwoch damit fertig werden, um
schon am Donnerstage zur Installation des neuen Präsidenten zu schreiten.
Im Elysée-National (schräge gegenüber der Nationalversammlung) arbeiten Tapezierer, Vergolder, Maler etc. Tag und Nacht, um wie sich der „Constitutionnel“ ausdrückt, den etwas
vergilbten Luxus der kaiserlichen Gemächer neu herzustellen und den Bedürfnissen der Zeit anzupassen.
In den Gängen des an die elysäischen Felder stoßenden Parkes, wo noch jüngst Volksconzerte stattfanden, streuen die Gärtner bereits weißen Sand. etc.
Bis heute Mittag war in Paris ungefähr folgendes Wahlresultat bekannt:
1) Für Louis Napoleon Bonaparte 4,850,000 Stimmen.
2) Für den General Cavaignac nur 1,240,000.
Also über 7 Millionen Franzosen nahmen an der letzten Wahl Theil und noch fehlen mehrere Distrikte; ebenso Corsika, Algerien und die Kolonien.
Dieser enorme Sieg veranlaßt, das „Memorial bordelais“ zu folgendem Vergleich:
„Im Jahre 1800 (VIII.) stimmten 3,011,007 gegen 1562 für das zeitweilige Consulat an Bonaparte, Cambaceres und Lebrün.
Für das Consulat auf Lebenszeit stimmten 3,568,888 gegen 8,374 und für das erbliche Kaiserthum (1804) stimmten 3,520,075 gegen 2,579.
— Die vornehme Welt strömt in Masse nach Paris zurück, wo große Vorbereitungen für die Präsidenteninstallirung getroffen werden. Alle Luxusfabrikanten haben die Hände voll. Im Bazar de
voyage allein sind mehrere Millionen bunte Laternen zur Illumination bestellt. Viele große Hauseigenthümer lassen Gaskränze anlegen. in deren Mitte der Name des Gefeierten in Flammenschrift prangen
wird. Diese Gaskränze und Güirlanden sind aus dünnen Bleiröhren mit feinen Oeffnungen gebildet, die sich längs der Thüren und Fenster der Häuser hinziehen und einen großen Effekt machen. So lange
dieser Charlatanismus auf Kosten jener Eigenthümer geschieht, wollen wir nicht dagegen protestiren.
— In den Ministerialbüreaus wird aufgeräumt. Jeder abtretende Minister möchte vor seinem Ende noch recht viel für das Volk thun. Es ist ein wahrer demokratischer Eifer unter sie gefahren. So
erläßt heute Vivien der Staatsbauten Minister eine Verordnung, welche die am 15. Juli 1848 verfügten 2 Prozent Lohnabzüge von den Staatsarbeitern in den Staatswerkstätten zu einem Kapitalstock
zusammenwirft, aus welchem verstümmelte Arbeiter und ihre Familien ernährt werden sollen. Alle Staatsbaumeister werden angewiesen, pünktliche Berichte über die Lage des Proletariats einzusenden. Die
Jahresgehalte für jede Familie betragen 300 Franken.
— Cavaignac beabsichtigt, wie es scheint, vor seinem Abschied noch eine große Aenderung im Marinepersonal vorzunehmen. Man spricht von mehreren Admirälen, 18 Kapitainen, 32
Linienschiffs-Offizieren etc. Allein Verniac, Marineminister, soll Bedenken geäußert haben. Auf diese Nachricht hin protestirt der „Constitutionel heute sehr energisch gegen diesen Wechsel.
„Diese Initiative, meint er, gehöre dem neuen Präsidenten.“
— Der Moniteur beeilt sich, folgendes Handschreiben des Papstes an Cavaignac zur öffentlichen Kenntniß zu bringen:
„Herr General! Mein Herz ist gerührt und ich bin von Erkenntlichkeit durchdrungen für die schnelle und edelmüthige Erhebung der ältesten Tochter der Kirche, die sich beeifert und sich
bereits in Bewegung setzt, um dem souveränen Pontifex zu Hülfe zu eilen. Die günstige Gelegenheit wird sich mir ohne Zweifel bieten, um in Person Frankreich meine väterlichen Gefühle zu
bezeugen und auf französischem Boden mit meiner eignen Hand die Segnungen des Herrn auszuspenden, wie ich jetzt schon mit meiner Stimme ihn anrufe, zu gestatten, daß sich diese Segnungen reichlich
über Sie und ganz Frankreich ausbreiten.
Gegeben zu Gaeta am 7. Decbr. 1848.
(gez.) Pius Papa Nonus.
— 405 Deputirte der Nationalversammlung haben bereits ihre Visitenkarten zum Zeichen ihrer Unterwerfung unter den demokratischen Kaiser abgegeben.
— Barbes richtet aus dem Donjon von Vincennes ein Schreiben an die demokratischen Journale, in welchem er sagt, daß — stände er wirklich auf den berüchtigten Listen — dies
gegen seinen Willen geschehen wäre. Wenn er von jeher die volksfeindlichen Regierungssysteme bekämpft habe, so habe er dies keineswegs in Aussicht auf einen Geldlohn gethan.
— Das römische Geschwader in Marseille ist ausgeschifft. Die Truppen haben aber Befehl erhalten, sich auf den ersten Wink wieder bereit zu halten. Sie bleiben auf dem Kriegsfuße.
— Die Bankdirektion veröffentlicht heute ihren Wochenbericht. Die Baarbestände sind in Paris bis 138,067,641 Frs. und in den Departements auf 111,246,545 Frs. gestiegen. (Schlimmes Zeichen).
Die rückständigen oder protestirten Papiere belaufen sich immer noch auf 11,948,890 Frs. 95 Ct.
— Konsul Thouardt, der seinem ehemaligen Herrn und Meister Hetzel, Generalsekretär des Ministers des Auswärtigen (jetzt wieder Buchhändler) im Saale der Pas-Perdus ins Gesicht spie: ist
gestern zu drei Monaten Gefängniß und 100 Frs. Geldbuße verurtheilt worden.
— Barbet, der als Verfasser einer feurigen Flugschrift, „Le Coup de Sabre oder das Reich des Satans,“ ebenfalls vor Gericht stand, ist freigesprochen worden.
— Letronne, der auch im Auslande nicht unbekannte Wächter unserer literarischen Nationalschätze in der Politik, ist gestorben. Seine verschiedenen Aemter brachten ihm jährlich etwa 40,000
Frs. ein.
— „Siecle,“ offenbar von Cavaignac beauftragt, erklärt die Gerüchte, welche den Cavaignac, in Anerkennung seiner großen Verdienste, von Louis Bonaparte zum Marschall von
Frankreich mit dem Großcordon der Ehrenlegion erheben lassen, als lächerliches Geschwätz. Auch habe Lamoriciere nie daran gedacht, dem Herrn Louis Bonaparte seine Dienste anzubieten.
— Man befürchtete einige Zeit — sagt die ultra-reaktionäre „Assemblée Nationale“ — daß sich Bugeaud und Changarnier (bekanntlich in ewiger Spannung in Algerien)
schwerlich vertragen würden. Wir können jedoch versichern, daß dem nicht so ist. Hr. Changarnier war der Erste, der dem Marschalle bei seiner Ankunft in Paris aufwartete. Es ist auch nicht einmal mehr
ein Schatten von Mißstimmung zwischen den beiden (royalistischen) Generalen vorhanden. Es herrscht das herzlichste Einverständniß unter ihnen.
— Der Legitimistenklub in der Duphot-Straße ist überaus thätig. Er hat folgende Beschlüsse gefaßt: 1) Alle legitimistischen Journale leihen in der ihnen speziell zu bezeichnenden Weise dem
neuen Präsidenten Louis Bonaparte ihre ganze Unterstützung. 2) Sie werden Alles aufbieten, um die Auflösung der Nationalversammlung zu erwirken. 3), 4) und 5) sind der Aufbringung und Verfügung von
Geldmitteln gewidmet.
— (Proklamation des Junihelden Lamoriciere an die Armee.)
Tagesbefehl, Paris, 14. Decbr. 1848 „Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten! Zum ersten Male war das ganze Volk berufen, den Präsidenten der Republik zu wählen. In wenigen Tagen wird die
Nationalversammlung den Namen proklamirt haben, den das allgemeine Stimmrecht bezeichnete. Wenn inmittelst Aufhetzer Euch zu sträflichen Manifestationen verleiten wollten, werdet Ihr Eure Pflicht zu
erfüllen wissen. Die Regierung ist bereit, dem Erwählten der Nation die temporäre Macht zu übergeben, die ihr von der Nationalversammlung verliehen wurde; sie soll und will sie unberührt und geachtet
zurückgeben. Der Kriegsminister, der Euch so brav und so ergeben im Kampfe und so geduldig und ruhig in den Tagen sah, die ihm folgten, er zählt auf Euch, um ihn bis ans Ende in seinem Auftrage zu
unterstützen, der darin bestand, die Ordnung aufrecht zu erhalten und dem Gesetz Achtung zu verschaffen.
Der Kriegsminister und Oberbefehlshaber der Armee (gez.) de Lamoriciere
— Der Moniteur veröffentlicht heute noch folgenden Briefwechsel zwischen Cavaignac und dem Papst zur nachträglichen Rechtfertigung des Ersteren.
I. General Cavaignac an Se. Heiligkeit.
Paris, 3. Dezember 1848.
Sehr heiliger Vater!
Ich übersende Ew. Heiligkeit durch einen meiner Adjudanten gegenwärtige Depesche nebst einer Beilage vom Erzbischof von Nicea, Ihrem Nuntius bei der Regierung der Republik. Die französische Nation,
tief betroffen von dem Kummer, dem Ew. Heiligkeit in den letzten Tagen ausgesetzt war, fühlt sich nicht weniger gerührt von dem Wunsche väterlichen Vertrauens, das Ew. Heiligkeit bewog, bei ihr eine
zeitweise Gastfreundschaft anzusprechen, welche Ew. Heiligkeit würdig zu gewähren sie glücklich und stolz sein wird. Ich schreibe deshalb an Sie, damit kein Gefühl der Beunruhigung, keine Furcht ohne
Grund Ihren ersten Entschluß verdränge und Ew. Heiligkeit davon abbringe. Die Republik, deren Bestehen schon durch den wohlüberlegten, ausdauernden und souverainen Willen der französischen Nation
schon consekrirt ist, würde mit Stolz zusehen, wie Ew. Heiligkeit der Welt das Schauspiel einer religiösen Consekration dieses Willens geben durch Ihre Gegenwart, und welche sie mit der Würde und der
religiösen Achtung empfangen würde, welche dieser großen und edelherzigen Nation zukommt. Ich fühlte das Bedürfniß, Ew. Heiligkeit diese Versicherung auszusprechen und ich hege das Verlangen, daß
Ihnen dieselbe ohne Zögerung zugehen möge.
In diesen Gefühlen, sehr heiliger Vater, bin ich Ihr respektvoller Sohn.
(gez.) General Cavaignac.
II. Antwort (abschlägige) des Papstes.
Mein Herr General!
Ich habe durch Vermittlung des Hrn. v. Corcelles einen Brief an Sie gerichtet, worin ich Sie bat, Frankreich meine väterlichen Gefühle und meine äußerste Dankbarkeit auszudrücken Diese Dankbarkeit
wächst mehr und mehr beim Anblick der neuen Schritte, die Sie, Hr. General, bei mir sowohl in Ihrem als im Namen Frankreichs thun, indem Sie mir durch einen Ihrer Adjudanten einen Brief senden, in dem
Sie mir die Gastfreundschaft eines Landes anbieten, welches stets reich an entschieden katholischen und dem päpstlichen Stuhle ergebenen großen Geistern war und es auch stets bleiben wird.
Hierbei fühlt mein Herz von Neuem das Bedürfniß, Ihnen zu versichern, daß die günstige Gelegenheit nicht ermangeln wird, wo ich mit meiner eigenen Hand den apostolischen Segen über die große und
edelmüthige französische Familie werde spenden können. Hat mich auch die Vorsehung durch überraschende Wege an den Ort geführt, wo ich mich augenblicklich aufhalte, ohne daß ich das Geringste
premeditirt noch verabredet hätte, so wird mich dies Ereigniß doch nicht hindern, schon hier mich vor Gott nieder zu werfen, dessen, obgleich unwürdiger, Statthalter ich bin und ihn anzuflehen, über
Sie und ganz Frankreich seinen Segen zu ergießen.
Gegeben zu Gaeta, den 10. Dezember 1848.
(gez.) Pius, papa nonus.
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*
] Paris.
Banketts folgen sich auf Banketts. Toaste werden gebracht dem Louis Blanc, Caussidiere und Ledru-Rollin. In allen Provinzen, in allen Departements, wo doch allenthalben Louis Napoleon die Majorität
gehabt, wird seines Namens nicht erwähnt: man gibt stillschweigend zu verstehn, daß man seinen Namen geschrieben, und sich einen andern Namen dabei gedacht habe. In dem Departement von Puy-de-Dôme
fanden sich dieselben Wähler, die für Louis Napoleon gestimmt hatten, zusammen, um die Montagne leben zu lassen. Die Bedeutung Napoleons tritt immer mehr an den Tag.
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12
] Paris, 17. Dez.
Was aus dem Allen nun werden wird? Wie soll das Alles werden? Diejenigen, welche beständig diese Frage aufstellen, und weiter nichts als das Ende von dem Allen sehn und wissen wollen, wissen und
sehn nicht, was da Alles geworden, und wie das Alles angefangen hat. Es sind kleine, harmlose Krämer, die stets ruhig hinter ihrem Comptoir gesessen und um jeden Preis wieder, wie ehemals, dahinter
sitzen wollen, wenn nur die Geschäfte ein wenig besser gingen, als ehemals. Ja ehemals, ich meine vor 2 oder 3 Jahren, daß hätten sie gezittert vor jeder Störung, vor jeder Stockung in den Geschäften.
Sie lebten damals noch in dem süßen Wahne, nach 2 oder 3 Jahren ihre Geschäfte der Maßen ausgedehnt zu haben, da sie, was der Franzose nennt, ihre Fortune gemacht hätten und nun sich gänzlich von den
Geschäften hätten zurückziehen können. Das ist so der Traum, das Ideal, des Pariser Kleinhändlers. Aber die 2 bis 3 Jahre verflossen, die Geschäfte gingen immer schlechter, die Käufer und Kunden
wurden immer spärlicher und der arme Mann fand sich immer mehr und mehr unter dem Drucke des Banquiers und Wucherers, der seine Wechsel esokmptirte. Um diesem Drucke mit einem Male ein Ende zu machen,
ging der Mann auf die Börse, ließ sich in Spekulationen ein, und wurde völlig ruinirt.
Die hohe Bourgeoisie, die Aristokratie der Finanzen, profitirte allein bei diesem allgemeinen Ruine der Kleinbürger. Bei der Wahlreform, die damals von der Linken betrieben wurde, waren die
Ideologen der Kleinbürger, die Advokaten und Aerzte, die sogenannten Capacitäten allein thätig. Indem sie ihre politische Stellung zu erringen suchten, mußten sie natürlich der Klasse, welche sie
vertraten, ebenfalls zur Herrschaft verhelfen. — Die Wahlreform schlug in eine Revolution um. Jeder Franzose ist ein geborner Soldat und jeder Krämer geborner Nationalgarde. Er ließ die
Revolution ruhig geschehn. Die Republik ward proklamirt — die politische Herrschaft der Finanziers war gestürzt. Alle Geschäfte lagen brach. Die „Politiker“ griffen nach ihrem
Kopfe, die Geldmänner nach ihre Tasche, und die meisten nach dem Einen und dem Andern. Diejenigen, welche in der gestürzten Verwaltung die Geldverhältnisse regulirt hatten, einzig und allein zu
Gunsten der Geldaristokratie, liefen Gefahr ihren Kopf, und letztere ihren Kredit zu verlieren.
Die Furcht, die Bestürzung in der gestürzten Klasse war so groß, daß sie zu Allem eingewilligt hätte. Aber die Bestürzung war nicht minder groß unter den Siegern. Sie trauten sich nicht, die Zügel
zu ergreifen; sie wußten nicht, wer eigentlich die Sieger waren. Der „Populaire“ mit Cabet an der Spitze, als die am meisten vorwärts geschrittene Partei, wandte sich an die Reforme, die
Reforme an den National, der National an die Partei des Odillon-Barrot, mit welcher die Wahlreform begonnen hatte. Indessen war in der Kammer die Republik von Ledru-Rollin proklamirt und die Partei
Odillon-Barrots, welcher für die Regentschaft gestimmt hatte, geschlagen worden. Die Partei des Nationals und der Reform, mit dem versöhnenden Geiste Lamartine's in ihrer Mitte, bildeten die
provisorische Regierung. In dem Kampfe, der sich jetzt zwischen der Partei des Nationals und der Reform entspann, spielte Lamartine die Rolle eines Schleichhändlers. Alle Maßregeln, welche die
provisorische Regierung hätte nehmen können zur Sicherung des errungenen Sieges, waren entweder falsch oder wurden vereitelt durch die Partei des Nationals. Die Männer der geschlagenen Partei drängten
sich zu den Wahlen: sie merkten, daß, da nichts an den Eigenthumsverhältnissen geändert war, sie mit ihrer Spezialität sich wieder herandrängen durften. Der National, der weiter nichts that, als die
alten socialen Verhältnisse in die politisch-republikanische Sprache zu übersetzen, mußte einer Partei willkommen sein, der im Grunde jede politische Form gleichgültig ist, wenn sie nur die socialen
Verhältnisse zu ihrem Vortheil bestehen läßt. Freilich wären ihr die alten erprobten Männer wie Thiers, Molé, und zumal Guizot lieber gewesen. Aber sie unterdrückte diesen ihren Widerwillen und das
Journal des Debats wurde der Lobredner des National, um auf die Reform schlagen zu können.
Nach dem 24. Juni war der National völlig an der Herrschaft, Lamartine entfernt und die Partei der Reforme gänzlich geschlagen. Der National rückte mit seiner Spezialität, der Konstitution, zum
Vorschein. Diese Konstitution, das Machwerk des Herrn Marrast, war weiter nichts als der Abdruck der alten Verhältnisse. Sie war aus diesen Verhältnissen hervorgegangen, und auf die wirklichen
Verhältnisse angewandt, mußte sie in die alten Verhältnisse zurückführen. Die erste Anwendung der Konstitution war die Präsidentenwahl: Sie wurde vollzogen mittelst der Konstitution und durch
die Konstitution. Der erste Akt des Nationals, mit dem er in's Leben treten wollte, mußte ihm den Tod zuführen. Sein Leben war das alte vergangene Leben, blos in einem andern Ausdrucke. Der
National als Journal konnte fortleben ohne den National als Regierung. Von dem Augenblicke an, wo dies Journal wirklich Regierung wurde, mußte die Regierung wieder Journal werden. Marrast, der
Präsident einer Regierung, welche die alten Verhältnisse in einer andern Sprache wiedergab, muß wieder Journalist werden, sobald die Sprache sich löste von den Verhältnissen, und die Verhältnisse
nicht mehr ihre Inkorporation in den mit dieser Sprache verbundenen Personen fanden. Aber die jetzt frei gewordene Sprache des National von dem Augenblicke an, wo sie aufgehört hat, die nationale
Sprache zu sein, macht auch die früher gebundene Sprache der anderen Journale, der Debats u. s. w. frei. Die Revolution vom Februar war nur ein coup de main, bloß der Handstreich einer Minorität:
diese Minorität ist geschlagen, besiegt: die Franzosen sind keine geborene Republikaner (meint das Journal des Debats). Nach der Februar-Revolution war das „Debats“ ein Republikaner,
ganz wie der National: Es sah das fürchterliche Proletariat vor sich, in unabsehbaren Zügen, die so leicht seiner Herrschaft, seinem Leben hätten ein Ende machen können. Es klammerte sich an den
früher so verhöhnten Lamartine an. Jetzt verhöhnt es auf's neue Lamartine, nennt ihn einen Revolutionär, und die Revolution einen Handstreich! Diese Leute haben ganz die Seele der Kourse
bekommen!
Auf den leichtesten Hauch schwellen sie an oder fallen. Weil 5 Millionen für Louis Napoleon gestimmt haben, und Louis Napoleon zu Ministern Leute wie Thiers und Molé nehmen will, hat sich in den
Augen der Bourgeois-Partei die Sachlage verändert. Als wenn die Entfernung der Partei nicht der größte Gewinn für die Demokratie wäre! Zeigt sich nicht jeden Augenblick noch die Stärke der ganzen
demokratischen Partei in ihrem Zusammenwirken mit der Armee, die offen erklärt, daß sie nie mehr gegen Juni-Insurgenten kämpfen wird, und den Beweis davon gibt, indem sie gegen Cavaignac und
für Napoleon stimmt, um aus den engen Gränzen wieder herauszutreten und die Feinde der Demokraten, die Windischgrätze und Consorten, zu vernichten.