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Die Memoiren des ehemaligen Polizei-Präfekten Caussidière,
mitgetheilt in Auszügen.
Der 24. Februar.
Die ganze Nacht vom 23. auf den 24. Februar bot einen schauderhaften Anblick dar. Die Insurrektion schritt mit einer außerordentlichen Thätigkeit vor sich, in der vollkommensten Ruhe, und ohne daß
auch nur eine Spur von bewaffneter Macht sich zeigte, um die Insurgenten in ihrer Arbeit zu stören.
Vom Genter Boulevard bis zur Bastille, Alles wurde barrikadirt und Paris bot nunmehr den Anblick eines Zimmerhofes von Barrikaden dar. Das Volk war aus den Häusern in die Straßen hinabgestiegen,
und hatte seine Arbeitswerkzeuge mitgebracht: morgen galt es, die Werkzeuge mit den Waffen zu vertauschen. Die Bäume auf den Boulevards wurden gefällt, die eisernen Gitter von den Monumenten
heruntergerissen, alle architektonische Verzierungen in Verschanzungen umgewandelt, um den Truppen den Weg zu versperren. Man brachte alle Baumaterialien, Steine und Karren, um sie zwischen den
furchtbaren Pflastermauern als Ergänzung hineinzuschieben: Hammerschläge, Getöse von fallenden Bäumen, hier und da ein in die Dunkelheit sich verlierender Schuß einer Feuerwaffe und dazwischen das
Geläute der Sturmglocke — weiter nichts. Auf den aufgerichteten Barrikaden wurden Schildwachen aufgestellt, vor den Schildwachen brannten Feuerheerde, und rundherum sah man Gruppen von Männern,
die Kugeln gossen und dabei ruhig ihre Pfeife rauchten, mitten in dieser großen Stadt, die ihre Vorarbeiten zur Aufpflanzung der Freiheit traf.
Die Republikaner, die geheimen Gesellschaften, die Arbeiter, Alles war in dieser merkwürdigen Nacht auf den Beinen. Die Einen durchliefen die Barrikaden, die andern proklamirten schon die Absetzung
des Königs; wieder Andere sorgten für Munition und Waffen: bei Allen stand der Entschluß fest und unerschütterlich, endlich die Republik zu erobern, für welche das Volk so viel gelitten hatte.
Mit Anbruch des Tages erwachte Paris in voller Insurrektion. Welches Erwachen für die Indifferenten, als sie den andern Tag eine elegante, prachtvolle und handeltreibende Stadt in ein
unbekämpfbares Schlachtfeld umgewandelt sahen, mit Waffen, Ruinen und Fortifikationen aller Art.
Das Herz von Paris, in einem Umfange von wenigstens einer Quadratmeile gehörte der Revolte an: der Durchgang durch das Saint-Denis-Thor war mittelst einer ungeheuern Barrikade versperrt; und
überhaupt waren die vorzüglichsten Eingänge zum Lager der Insurgenten durch unübersteigliche Barrieren geschützt. Im Centrum der Stadt und zumal in den kleinern Straßen, wie in den Straßen
Transnonain, Beaubourg, Gravillers folgten sich die Barrikaden fast alle 10 Schritte, und die, welche sie vertheidigten, liefen mit wahrem Enthusiasmus in diesen kleinen Citadellen umher, und
unterhielten fortwährend Verbindungen untereinander und mit den benachbarten Häusern. Wenn man so den Enthusiasmus des ganzen Volkes mit ansah, wie Weiber und Kinder und Männer mit festem Glauben
ausriefen: „Es lebe die Republik!“, so konnte man mit Bestimmtheit voraussagen: „die Republik ist vor der Thüre.“
Der Hof war seinerseits nicht unthätig geblieben. Tags vorher hatte man ein Ministerium Molé angekündigt, das an die Stelle des Ministeriums Guizot treten sollte. Aber nach den Gräuelthaten vor
dem Ministergebäude der auswärtigen Angelegenheiten, war die Ausführung dieses Planes unmöglich geworden, und es handelte sich nunmehr darum, sich zu neuen Opfern zu entschließen.
Der König brachte die ganze Nacht in Konferenz zu mit seinen Freunden und Rathgebern. Bugeaud, den man schon im Begriffe stand, zum Militär-Diktator zu ernennen, redete dem König zu, ja nicht
nachzugeben; und da er darauf bestand, daß man ihm die Insurrektion überlasse, mit voller Vollmacht über Paris, so antwortete ihm der König: „Nein, noch nicht.“ Der Marschall hatte ohne
Zweifel im Sinne, sich der für diesen Umstand ganz eigens konstruirten Bastillen (Festungen um Paris) zu bedienen, und wenn auch der König nicht eben entfernt war, von dieser Hülfsquelle Gebrauch zu
machen, so dachte er doch, daß der Augenblick noch nicht gekommen sei, um Gebrauch zu machen von der Verbrennung — seiner eigenen Schiffe.
Herr Thiers war ebenfalls an diesem Abende gleichzeitig mit einigen Redaktoren dynastischer Journale gerufen worden. Der König hatte immer noch eine gewisse Scheu vor einem Ministerium der
Opposition, und vor einer noch so unbedeutenden Wahlreform: und es handelte sich doch nur von einer schwachen Erweiterung der Wahllisten, von der Zugesellung einiger Bourgeois Kapazitäten.
Uebrigens Thiers, der dem Könige schon so wohl gedient hatte, und Barrot, der eben noch eine so große Achtung für den königlichen Willen bezeugte — wie hätten, sage ich, diese beiden Männer
dem Hofe ernstliche Besorgnisse erregen können?
Gegen 3 Uhr Morgens, als der alte Philipp vor Ermüdung nicht mehr konnte, versprach er endlich ein Ministerium Thiers, Barrot und Bugeaud. Unzählige Anschlagzettel sollten an allen Straßen und
Mauern von Paris angeheftet werden, damit die Popularität dieser 3 großen Bürger die Monarchie rette und den Volkssturm bezähme. — Später trat ein andrer Freund und Rathgeber der Krone, Herr
Girardin, in das Schloß und meldete, daß das Königthum kompromittirt und die Dynastie verloren sei, wenn nicht auf der Stelle die Abdankung und die Regence proklamirt würden.
In diesem Augenblicke sahen wir also, wie alle die Männer des alten Regims, alle die klugen und weisen Staatsmänner gar keine Ahnung hatten von der wahren Sachlage. Sie waren wie verdummt, wie mit
Blindheit geschlagen. Guizot ward dum-
[0890]
mer als Duchatel, Duchatel dummer als Thiers, Thiers dummer als der König, der wohl auf einmal der Dummste von allen geworden.
Man hätte aber auch sehen sollen die Aufnahme, welche Bugeaud, Barrot und Thiers bei dem Volke fanden. Dem Herrn Bugeaud wurde geantwortet: Transnonain; dem Herrn Thiers: Septembergesetze und dem
Herrn Odilon-Barrot: Deserteur.
An die Stelle Bugeaud's wurde daher Lamoricière gesetzt; damit glaubte man allen Anforderungen Genüge zu leisten. Offiziere von der Nationalgarde, Polizeikommissäre und Nationalgardisten,
mit Blumensträuchen in den Gewehrläufen, durchliefen die Straßen, um diese glückliche Nachricht dem Volke zu überbringen. Aber das Volk blieb stumm; und die Insurgenten ließen den Ruf ertönen: Nieder
mit Louis Philipp! Es lebe die Republik!
Lamoriciére und Odilon-Barrat, die den Boulevard hinabritten, sahen sich genöthigt, am Boulevard Montmartre an dem Quartier der Barrikaden langsamer zu reiten. Hier vernahmen sie schon
unfreundliche Laute; und als sie nun gar bis zum Quartier St. Denis vorzudringen suchten, traten ihnen die Insurgenten mit gefälltem Bajonette entgegen, und schrieen: es lebe die Republik.
‥‥ Wie 1830 so hatte auch dieses Mal das Volk nur eine Idee, nur einen Plan: direkt in die Tuillerien einzudringen. Der Instinkt des Volkes ist immer richtig und treibt es immer
direkt zum Ziele. Ganze Kompagnien von Nationalgardisten wurden vom Strudel mit fortgerissen und so rollten dann die revolutionären Fluthen hin zum Zentrum der Tyrannei.
Von allen Seiten also rannte man nach den Tuilerien; das Faub. Saint Antoine, du Templé Saint Marceau — Alles strömte dahin, und unterwegs wuchs diese Armee immer mehr und mehr an; es
gesellten sich zu ihr Tausende von Kämpfern mit Beilen und Säbeln, mit Pistolen und Stöcken. Man nahm die Posten, vor denen man vorbeizog weg, fraternisirte mit den Soldaten; oder aber wechselte
Kugeln mit ihnen: ein ernstliches Handgemein fand erst statt am Chateau d'eau.………‥
„Die ersten Hindernisse, auf welche ich stieß, kamen von Seiten des Stadthauses. Die heterogene Zusammensetzung der provisorischen Regierung war nicht der Art, Ordnung in die Geschäfte zu
bringen. Der von jeder Revolution unzertrennliche Zufall hatte in diese diktatorische Commission, ganz entgegengesetzte Elemente gebracht: die Einen vorzugsweise Repräsentanten des National und der
Bourgeoisie, die Andern Repräsentanten des Volkes und der Barrikadenmänner. Während letztere die Republik proklamirten, träumte man neben ihnen noch von sogenannten gemischten Combinationen.“
Am 24. Februar, als noch die letzten Flintenschüsse fielen, schrieb Garnier-Pagées an seinen Freund Léon de Malleville, Ex-Vicepräsidenten der Kammer unter Louis Philipp:
„Die Narren, die Ihnen wohlbekannt sind, haben eben die Republik proklamirt. Halten Sie die Herzogin von Orleans zurück, daß sie sich nicht zeige, der Augenblick wäre ungünstig.“
Es war also völlig unmöglich für die beiden Parteien in der provisorischen Regierung sich zu verständigen. Als Garnier-Pagès zum Maire von Paris ernannt wurde, erfuhr ich, daß seine Absicht war,
die Polizeipräfektur der Mairie unterzuordnen, und daß diese seine Absicht auch von der Majorität der provisorischen Regierung gebilligt worden. Ich empfing daher auch nur den Titel eines Deleguirten,
den ich auch annahm, weil ich entschlossen war, meine Entlassung zu geben, sobald die Regierung einen Haltpunkt gewonnen hätte.
[Deutschland]
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[
*
] Berlin, 6. Decbr.
Gestern ist dem hiesigen Magistrats-Collegium folgende Mißtrauens-Adresse übergeben worden:
An den Magistrat.
Mit tiefster Entrüstung haben die unterzeichneten Einwohner Berlins, die bis zur eingetretenen Militär-Herrschaft verschobene, dann aber endlich an's Licht getretene Gesinnungs-Aeußerung des
Magistrats vom 21. d. M. aufgenommen. Unsere Entrüstung war um so größer, als der Magistrat mit diesem lediglich der Macht huldigenden Manifest sich in den offensten Widerspruch mit den
Stadtverordneten gesetzt hat, aus deren Wahl er hervorgegangen, und die in edlem Aufschwunge sich dazu erhoben hatten, die entgegengesetzte freie und edle Gesinnung durch Wort und That an den Tag zu
legen.
Wir müssen es auf das Schmerzlichste beklagen, daß die oberste Verwaltung der Stadt einem Collegium von Männern der in dem Manifest vom 21. d. M. kundgegebenen Gesinnung anvertraut worden ist.
Berlin, den 27. November 1848.
Die Adresse hat schon in wenigen Tagen 3717 Unterschriften erhalten, sie war schwarz eingebunden und auf dem Rücken als I. Band bezeichnet. Die Deputation bestand aus: dem Justiz-Rath Pfeiffer,
Kaufmann Oestmann, Mechanikus J. G. Greiner, Fabrikant Thouret und Kaufmann Reinicke; sie begab sich auf das Rathhaus und bat um Gehör vor dem versammelten Magistrats-Collegium. Dieses wurde aber
nicht gewährt, die Deputation vielmehr nur von dem Herrn Bürgermeister Naunyn empfangen.
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[
102
] Wien, 6. Dez.
Der neueste Börsenstand heißt: „Panischer Schrecken! ‥ Der Finanzminister Kraus, ein Ihnen aus den Oktobertagen bekannter Verräther, der damals erst 20 Millionen für kroatische
Bedürfnisse erhielt, ist dem erbärmlichen Reichstag zu Kremsier mit einem neuen Panisbrief von 80 Milliönchen auf den Hals gekommen. Auf Sophiens absolutistische Operationen und auf die Liebesbriefe,
die sie durch ihren kaiserlichen Sohn-Sekretär an Windischgrätz hat schreiben lassen, ließ sich natürlich eine kleine Nadelgeldforderung bei dem geächteten Reichstag wohl erwarten. Der neue Kaiser,
der der März-, Mai- u. s. w. Errungenschaften natürlich mit keiner Silbe erwähnt, und die 80 Milliönchen haben mit Rücksicht auf Ungarn und Italien alle Kurse zum Weichen gebracht, und alle
Anstrengungen der Standrechtspresse sind vergebens, dem Volke begreiflich zu machen, es bedeute nichts, und werde sich schon wieder machen.
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61
] Wien, 6. Dez.
Ich schreibe Ihnen unter dem Donner des Geschützes, der aus der Ferne zu uns herübertönt. Nachdem ich nämlich im gestrigen Lloyd, diesem Organ des „starken“ Ministeriums, das gewiß
bedeutungsvolle Geständniß gelesen: „Die Magyaren haben gestern bei Bruck einen Einfall über die Gränze gemacht, und sind bis Rohrau vorgedrungen“, wollte ich mich bereits der süßen
Hoffnung ergeben, die Magyaren seien in unserer Nähe, als ich leider eben höre, Windischgrätz feiere in Schönbrunn, seinem Hauptquartier, ein Ordensfest, und lasse darum seine Kanonen brüllen.
Uebrigens beginnt der magyarische Spuck wieder ganz so, wie im Oktober; diesmal jedoch mit dem Unterschiede, daß selbst die infamsten Blätter des Standrechts ihn nicht ignoriren können. Die Magyaren
sollen den kaiserlichen Truppen in der That gut aufwarten; es soll unmöglich sein, in ihr Land vorzudringen. Die kaiserliche Armee war bereits in Wieselburg, und nun steht sie hinter Bruck;
Windischgrätz hat also Hiebe bekommen.
Auch an der steierischen Gränze gehen die kaiserlichen Operationen schief, wie es scheint. So eben trifft nämlich die Nachricht hier ein, die Magyaren hätten in dieser Nacht Neustadt, unweit Boden,
erobert und in Brand gesteckt. Ebenso heißt es, sie hätten Agram, die Hauptstadt Kroatiens, eingenommen. Nur in Siebenbürgen sind sie im Nachtheile, d. h. in den Distrikten, wo Deutsche und Juden
wohnen.
Sie können sich denken, in welcher Spannung wir wegen des Ausgangs in Ungarn leben. Sowohl die Partei der k. k. Banditen und Raubmörder, als auch das Volk von Wien setzen ihre letzte Hoffnung auf
Ungarn. Regierung und Volk von Frankreich, so spricht man, müssen ja wirklich auf die höchste Stufe der Niederträchtigkeit herabgesunken sein, wenn das wahr ist, was unsere Standrechtsblätter mit
Jauchzen berichten. Wider Gewohnheit bringen dieselben seit einigen Tagen die Verhandlungen in der französischen Kammer, worin unter dem Wortführer Bixio noch immer vom Wiener
„Aufruhr“ und von der römischen „Anarchie“ die Rede ist. Diese Menschen nennen es also Aufruhr, daß wir uns gegen den Kannibalismus, die Bestialität und den
Metternich-Absolutismus gewehrt haben!
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[
121
] Wien 7. Dez.
Die Wiener hatten sich, als sie den Thronwechsel erfuhren, auf Befreiung vom standrechtlichen Zustand, Hoffnung gemacht. Sie hatten erwartet, daß der neue Kaiser die Hand der Versöhnung reichen
würde. Irrthum. Der Kaiser soll, wie's heute heißt, erst um Neujahr hieher kommen und der Belagerungszustand fortdauern.
Nikolaus soll sich erboten haben, den Geldverlegenheiten Oestreichs zu begegnen; man sprach gestern Abend davon, daß er die ganzen 80 Millionen vorstrecken wollte: Glück auf! Dessen ungeachtet
fährt die Börse fort, den herannahenden Sturm zu wittern; die Course fallen, und das Geld wird mit 18 Proz. bezahlt. Der Absolutismus gebärdet sich übrigens, als hätte er wieder ewig zu leben, und man
riskirt Pulver und Blei, wenn man ein Gewitter schnobert. Theater, Kaffee- und Gasthäuser sind täglich voll von Soldaten. Die Verhaftungen dauern nächtlicherweise fort.
Die Abendbeilage zu des edlen Herrn von Rombach Zeitung von gestern ist mit Orden gespickt, welche unter die Armee vertheilt worden. Unter den Dekorirten befindet sich auch ein Schmerling.
Es ging nicht wohl an, den Orden direkt nach Frankfurt zu senden. Jellachich ist wirklich in Ungnade gefallen; man macht ihm nun ein Verbrechen daraus, daß er ohne Befehl vor Wien gezogen. Wie schlau!
Anfangs hat man diese That gelobt; jetzt aber will man den Herrn los sein, und muß daher einen Vorwand haben. — Nikolaus soll neben dem Gelde auch eine Tochter für den jungen Kaiser
angeboten haben. — In der ebenerwähnten Abendbeilage wird auch Welcker's Rechtfertigungsrede in extenso mitgetheilt, und ist voll eingeklammerter Bravo's des Frankfurter
Parlaments. Metternich soll über nichts mehr Reue empfinden, als daß er den trefflichen Welcker so verkannt. Dieser Mensch ist so frech gewesen, die von Zimmermann hervorgehobenen 16 Greuel in Frage
zu stellen, obwohl man dieselben hier sofort mit einigen Schock noch viel ärgerer Schandthaten bereichern könnte.
In allen Blättern, namentlich aber in der Wienerin, trifft man täglich Drohbriefe aus der Armee; sie sind meist in den Redaktionen selbst geschmiedet. Wie man hier behauptet, befindet sich viel
russisches Militär im Heere. Warum nicht? Nikolaus scheut weder Geld, noch Soldaten. — Aus Ungarn soll eine große Zufuhr Ochsen und Schweine hier angekommen sein, die Kossuth angeblich mit der
Bemerkung hat abziehen lassen, er könne die Wiener unter den drückenden Verhältnissen nicht leiden lassen.
Es steht unzweifelhaft fest, daß Metternich seit dem 26. Mai, natürlich mit Nikolaus und einigen französischen Bourgeois (man nennt besonders Thiers) im Bunde, nicht nur die östreichische, sondern
die europäische Bewegung direkt influenzirt hat. Schon früher, bestimmt aber nach dem 26. Mai, empfand unsere Kamarilla tiefe Reue über ihr Betragen gegen Metternich und knüpfte deshalb wieder mit ihm
an. Sophie wurde die Vermittlerin, um den Kaiser nicht zu kompromittiren; durch sie wurde alles geleitet. Die Intriguen der Kamarilla bekamen jetzt eine bestimmte Richtung, in welcher die Czechen mit
dem giftig-blöden baculus Palacky an der Spitze, dessen Czechenreich gränzenlos ist, wie der Ocean, blos die Katzen spielten, mit deren Pfoten die Kastanien aus dem Feuer genommen wurden. Die
Kamarilla rief: „Gleichberechtigung aller Nationalitäten!“ was nichts anders heißt, und heißen sollte, als: „Ihr bekommt alle gar nichts!“ Kroaten und Czechen jauchzten mit
einem Theil blödsinniger Polen diesen Unsinn nach, und verfochten so sämmtliche Interessen der absolutistisch gesinnten Kamarilla. In Oestreich scheint nur Kossuth diese Intriguen ganz erkannt zu
haben. Alle seine Handlungen beweisen das. — Die Kamarilla hat in dem Slaventhum übrigens jetzt schon einen neuen Feind erhalten; die dummen Czechen scheinen zu merken, daß sie bloß ein Schwamm
gewesen, den man ausgedrückt hat. Folgende Stelle aus der Národni nowiny vom 22. Novbr. mag Ihnen zeigen, wie sie es merken, und wie kläglich sie sich annoch mit ihrem Deutschenhaß darüber
gebärden:
„Slaven! Habt Ihr schon die Namen der neuen Minister Oestreichs gehört? Durchgehends deutsche Namen, der größte Theil in Wien geboren, keiner von ihnen auch nur eines slavischen Idioms
mächtig. ‥…
Slaven! Ihr hattet in Oestreich nur eine einzige nationale Armee — die kroatischen Gränzer … Freut Euch, diese Eure Soldaten sind unter das Kommando eines Feldmarschalls gestellt, der
den Slavenkongreß in Prag auseinanderjagte.
Slaven! Italien und das große Wien habt Ihr gedemüthigt, bald, und Ihr habt die räuberischen Truppen der ungarischen Asiaten vernichtet, und doch versteht Ihr es nicht, Euch derer zu
entledigen, die waffenlos Euern Nacken beugen — entledigt Euch ihrer, und
verflucht sei jeder Slave, der da in seinen Rainen von jemand Anderem Befehle annimmt, als von Slaven;
verflucht sei der Slave, der von seiner Regierung eine andere, als slavisch geschriebene Schrift annimmt oder überreicht;
verflucht sei der, wer auf slavischen Landtagen und bei slavischen Gerichten eine andere Sprache spricht, als eine slavische. So lange wir nicht dahin gekommen sind, so lange, Slaven, habt
Acht, vorzüglich auf den Landtag in Kremsier.“
Folgendes sind die Namen der von Windischgrätz in Hetzendorf eingesperrten Geißeln:
Michael Schmidl, gebürtig aus Linz, Logiker; Joseph Valenta, aus Nikolsburg in Mähren, Philosoph; Joseph Rasp, aus Salzburg, Philosoph; Heinrich Wallmann, aus Mattsee in Salzburg, Dr. der
Philosophie; Joseph Lax, aus Reichenau in Oberkärnthen, Bergakademiker; Ignaz Barach, aus Lemberg, Jurist im dritten Jahre; David Kaizes, aus Lemberg, Mediziner im vierten Jahre; Ludwig Hofmann, aus
Groß-Arl in Salzburg, Physiker; Ludwig Wagnerberger, aus Braunau in Oberöstreich, Chirurg im zweiten Jahre; Franz Schmidt, aus Abtenau in Salzburg, Physiker; Michael Kellmann, aus Tyrol, Logiker:
Johann Guttensohn, aus Tyrol.
Die übrigen vom 1. bis 6. Novbr. eingefangenen Legionäre sind in Hetzendorf insgesammt heimlich erschossen worden. Schade, daß Ihr braver Welcker, dieser gut bezahlte ungläubige Thomas, nicht dabei
gewesen!
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Wien, 6. Dez.
Die offiziellen Berichte über die Sitzungen unseres Reichstags übergehen merkwürdigerweise die vorletzte Sitzung mit Stillschweigen; wie man jetzt hört, soll dieses Faktum darin seinen Grund haben,
daß der parlamentarische Kampf in dieser Sitzung in einen andern Kampf ausartete, der sich nicht stenographiren läßt. Es war nämlich die von dem Ministerium verlangte Kreditbewilligung zur Sprache
gekommen; die czechischen Deputirten hatten das Ministerium zu unterstützen versprochen, falls es sich verpflichte, beharrlich gegen jeden Anschluß an Deutschland zu wirken; die deutschen Deputirten
konnten und wollten es nicht ruhig mit ansehen, daß man ihre heiligsten Interessen auf diese Weise verkaufe, besonders da einige Führer der Czechen sich ihnen gegenüber ganz wie übermüthige Sieger
gerirten; das Resultat war, daß es zu höchst tumultuarischen Scenen, wie man sagt zu einem förmlichen Faustkampf kam; Präsident Smolka, der sich vergeblich alle Mühe gegeben hatte, die Ruhe
herzustellen, soll in Folge der heftigen Aufregung noch leidend sein. Daß hierauf in der Sitzung am 4. Dezember die betreffende Vorlage von dem Ministerium gemacht und von dem Reichstage vorläufig an
die Finanzkommission verwiesen wurde, ist bekannt.
[(D. A. Z.)]
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[
*
] Wien, 7. Dezbr.
Die Wiener Zeitung veröffentlicht unter andern folgendes kaiserl. Schreiben:
„Mein lieber Feldmarschall Fürst Windisch-Grätz! Meine vortreffliche Armee hat in allen Zeiten und besonders in den letzten Stürmen das in sie gesetzte Vertrauen vollkommen gerechtfertigt.
Unter Ihrer Leitung war es nicht anders zu erwarten. Sie verschlossen in Ihrer Brust den herben Schmerz, für den ich Ihnen keine Vergeltung zu bieten vermag, und setzten der Empörung den Schild der
Ehre und Treue entgegen; dann eilten Sie herbei und bezähmten mit Muth und Klugheit die Flammen des Aufruhrs in der durch Treulosigkeit verführten Residenz. Ich betrachte es als eine meiner ersten
Pflichten, Ihnen meine volle Anerkennung Ihrer Verdienste sowie Ihrer ritterlichen Tugenden auszusprechen; dieselben sind mir Bürgen, daß Sie mir auch fortan kräftig zur Seite stehen werden, eine
unerschütterliche Stütze des Thrones in der Verfassung. Geben Sie, lieber Fürst, den unter Ihren Befehlen stehenden braven Truppen die Versicherung, daß die Beweise Ihrer Treue und Tapferkeit mit
unverlöschlichen Zügen in meinem Herzen geschrieben stehen. Franz Joseph m. p.“
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[
27
] Breslau, 9. Dezember.
In Betreff der c. 100 ungarischen Husaren, die aus Böhmen über die schlesische Gränze desertirt, um sich nach ihrem Vaterlande zur Theilnahme am dortigen Freiheitskampfe zu begeben, berichtet ein
Lokalblatt aus Neisse einige nähere Details:
Den 1. d. Mts. ist ein Detachement vom k. k. österreichischen Husaren-Regiment, Palucci-Husaren, circa 100 Pferde stark, unter Führung eines Wachtmeisters, über die diesseitige Gränze in den
südlichen Theil des Reichenbacher Kreises getreten, um zu versuchen, nach Ungarn durchzukommen. Die ersten Nachrichten hierüber gingen der Kommandantur von Neisse am 2. d. Mts. Morgens 3 Uhr zu. Es
wurde sofort 1 Kompagnie Infanterie und 30 Husaren von Neisse zur Besetzung der Defileen bei Woitz und Ottmachau beordert. Als die Abtheilungen jedoch hier anlangten, erfuhren dieselben, daß die
ungarischen Husaren bereits vor mehreren Stunden über die Brücke von Woitz auf das rechte Neisse-Ufer gegangen waren. Das diesseitige Husarendetachement folgte ihrer Spur. Um 10 Uhr früh ging in
Neisse die Meldung ein, daß die ungarischen Husaren bereits seit einigen Stunden in Oppersdorf fütterten. Eine schon bereit stehende Abtheilung Infanterie von 80 Mann wurde sofort dahin abgeschickt
und gleichzeitig die Garnison in Neustadt avertirt. Von der Annäherung der Infanterie unterrichtet, brachen die ungarischen Husaren auf und hatten Oppersdorf eben verlassen als die ersteren am
jenseitigen Ausgange des Dorfes anlangten. Die Aufforderung mehrerer nachgesandten Offiziere zur Uebergabe war vergeblich, da die ungarischen Husaren erklärten, sie zögen den Tod vor. Hierauf
marschirten sie in der Richtung über Steinau nach Zülz. Der ganze disponible Rest von 30 Pferden der in Neustadt stehenden Husaren-Schwadron, von dieser Marschdirektion in Kenntniß gesetzt, hatte sich
rechts gewendet und sich am östlichen Ausgange des Dorfes Schmietsch aufgestellt. Als die ungarischen Husaren in dieses eingerückt waren, wurde ihnen die Aufforderung zur Niederlegung der Waffen
entgegengeschickt, sie gingen jedoch hierauf nicht ein, setzten sich in Bereitschaft zum Gefecht und stürzten zum Angriff vor. Diesen nahm das diesseitige Husarendetachement wegen der mehr als 3fachen
Ueberlegenheit des Angreifers nicht an, sondern begnügte sich, diesem auf der Straße nach Zülz auf dem Fuße zu folgen. Vorausgesendete Offiziere hatten die Bürgerwehr in Zülz benachrichtigt, diese
hatte sich mit anerkennungswerther Bereitwilligkeit in unglaublich kurzer Zeit gesammelt und alle Eingänge so vollständig verbarrikadirt und besetzt, daß die ungarischen Husaren bei ihrer Ankunft
nicht durchkonnten, sondern sich nördlich wenden mußten, um einen andern Uebergang über das Defilee zu suchen, den sie, wie überall sehr gut geführt, in Schönowitz fanden. Von hier aus wendeten sie
sich südlich querfeldein in gerader Linie nach der österreichischen Gränze. Das diesseitige Husarendetachement folgte in nahem Abstande, um bei dem jeden Augenblick erwarteten Erscheinen der Schwadron
aus Ober-Glogau einzuwirken. Die letztere langte jedoch erst an, als die ungarischen Husaren zwischen Laßwitz und Paulwitz die Gränze überschritten und damit jede Verfolgung unmöglich machten.
In Betreff der oben erwähnten preußischen Husaren noch Folgendes:
Die preuß. Husaren standen im Defilee, und konnten von den Ungarn nicht gesehen werden. Ein preuß. Major nebst einem Offizier ritten den Ungarn entgegen, fragten wer sie wären, und was sie wollten;
auf ihre Erwiederung, daß sie in ihr Vaterland zurück wollten, erhielten sie den Bescheid, sie müßten ihre Waffen abgeben und wären Gefangene. Der Wachtmeister derselben bat, dieses seinen Landsleuten
mittheilen zu können. Mittlerweile war der Major zurückgekehrt und die preuß. Husaren erschienen auf der Anhöhe. Der ungarische Wachtmeister ritt zurück, und nachdem er einige Worte mit seinen
Kameraden gewechselt, rissen Alle auf einmal die Säbel aus der Scheide, nahmen ihn die Quere in den Mund, dann das Pistol zur Hand, und mit einem furchtbaren Hussah, Hurrah setzten sie sich in
Carriere und schlugen? nein ritten sich glücklich durch. Die überraschten preuß. Husaren stoben rechts und links, jedoch so unglücklich auseinander, daß viele Steiße und Beine in die Höhe reckten. Ein
Offizier stürzte in eine nahe liegende Pfütze und soll sich furchtbar besudelt haben.
Zu Freiburg, c. 8 Meilen von hier, wurde vorgestern der Baron v. Rothkirch und Panthen, Vorsteher des demokratischen Klubs, hier verhaftet.
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[
11
] Dresden, den 8. Decbr.
Am 17. November war unser letzter constitutioneller Landtag aufgelöst worden, und schon in den ersten Tagen des December begann die Wahlschlacht für den neuen, nach einem neuen von dem letzten
Landtage herzlich schlecht berathenen Wahlgesetze. Die Ständewahlen sind gefallen; weder die Ritterschaft, noch die Geistlichkeit, noch auch die Bauern und Bürger sind in geschiedenen
Kreisen zu wählen, sondern das ganze Volk wählt gemeinsam aus seiner Mitte 75 Abgeordnete ohne Census in die II. Kammer. Jedoch maßen unsere Verwaltungs-, wie unsere Stadtbehörden das Prinzip
der Selbstständigkeit nach vormärzlicher Elle und bannten diesen Begriff in so enge Gränzen, daß der größte Theil unserer Arbeiter von der Wahlberechtigung ausgeschlossen blieb, und das gerade
der jüngere Theil, der, wie überall, so auch bei uns, der politisch reifste und unbefangenste ist. Die Partei des entschiedenen Fortschritts verliert dadurch mindestens 100,000 Stimmen.
Leider hat jenes „provisorische“ Wahlgesetz noch die Aufstellung einer I. Kammer beliebt, welche den Grundbesitz vertreten soll. Somit ist der Grundbesitz doppelt
vertreten; denn die Besitzenden wählen natürlich auch für die II. Kammer mit.
Und so hat er denn auch begonnen, der heiße Kampf, und es herrscht ein Drängen und Treiben an den „plakatreichen“ Straßenecken und in den größeren Sälen unserer zahlreichen Bezirke zu
den Wahlbesprechungen, daß es eine Lust ist. Die Ausschüsse
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unserer demokratischen und republikanischen Vereine in Dresden, Leipzig und allen größern Städten, haben sich permanent erklärt; so auch in Dresden und Leipzig die Ausschüsse der deutschen Veretne:
— doch hat man nur von den Erstgenannten bemerkt, daß das Volk sie anerkannt.
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@facs | 0891 |
[
*
] Dresden, 9. Dez.
Es ist vor einigen Tagen der Garde-Infanterie der Beschluß mitgetheilt worden, daß mit Neujahr ihre Auflösung stattfindet. Durch diese Maßregel will man die nöthigen Mittel gewinnen, um den
Unteroffizieren der gesammten Armee ständischem Antrage gemäß einen erhöhten Gehalt anzuweisen.
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@facs | 0891 |
Leipzig, 8. Dezember.
Vorgestern endlich ist aus Wien der Abschiedsbrief Robert Blum's an seine Gattin hier angelangt. Er lautet:
„Mein theures, gutes, liebes Weib, lebe wohl! wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht sein wird. Erziehe unsere, jetzt nur Deine Kinder zu edlen Menschen, dann werden sie
ihrem Vater nimmer Schande machen. Unser kleines Vermögen verkaufe mit Hülfe unserer Freunde. Gott und gute Menschen werden Euch ja helfen. Alles was ich empfinde, rinnt in Thränen dahin, daher nur
nochmals: leb' wohl, theures Weib! Betrachte unsere Kinder als theures Vermächtniß, mit dem Du wuchern mußt, und ehre so Deinen treuen Gatten. Leb' wohl, leb' wohl! Tausend,
tausend, die letzten Küsse von Deinem Robert. Wien, den 9. November 1848 Morgens 5 Uhr; um 6 Uhr habe ich vollendet. P. P. Die Ringe hatte ich vergessen; ich drücke Dir den letzten Kuß auf den
Trauring. Mein Siegelring ist für Hans, die Uhr für Richard, der Diamantknopf für Ida, die Kette für Alfred als Andenken. Alle sonstigen Andenken vertheile Du nach Deinem Ermessen. Man kommt! Lebe
wohl, wohl!“
[(D. A. Z.)]
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g.
] Provinz Sachsen, 8. Dez.
In Erfurt ist Grabesruhe, aber der Belagerungszustand dauert fort und wird mit einer Strenge gehandhabt, als ob es Krieg oder Aufruhr gäbe. Die blutige Emeute vom 24. November, die Wuth der
Soldaten, die Behandlung der Gefangenen, die übermüthige Herrschaft der Reaktion, haben eine unbeschreibliche Wuth erzeugt. Eine russische Zucht kann unmöglich schlimmer sein, als die Zucht in Erfurt.
Die Privilegirten empfinden sie nicht; im Gegentheil, sie petitioniren um Fortdauer des Belagerungszustandes. Man sagt, es sei ohnehin schon Absicht der Regierung, die größern Städte, zur Vermeidung
von Wahlagitationen, in Belagerungszustände zu versetzen und zu belassen. Die herrschende Partei in Erfurt hat sich noch durch eine andere Adresse an das Ministerium charakterisirt: durch eine
Belobigungsadresse für die octroyirte Verfassung. — Kürzlich war der kommandirende General v. Hedemann aus Magdeburg in Erfurt; seitdem ist das Schicksal der Meuterer in den Kasematten etwas
besser geworden. Einer von den Bürgern ist an den Mißhandlungen, welche er nach der Gefangennehmung erlitten, unter großen Qualen gestorben. Trotz des Zustandes von Erfurt, bei welchem die
Reaktionspartei eine vollkommene Diktatur übt, ist dennoch der frühere Abgeordnete Krackrügge unter den Wahlkandidaten für die zweite Kammer.
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@facs | 0891 |
Rendsburg, den 6. Dezember.
In Folge des bereits mitgetheilten Rescripts der gemeinsamen Regierung an des Generalkommando fand sich gestern Morgen hier eine Untersuchungskommission ein unter dem Vorsitze des Generals Krohn
mit dem Armeeauditeur Cartheuser, um eine Untersuchung gegen die 50 Pontoniere einzuleiten, welche dem 7. Bataillon eine Zustimmungsadresse eingeschickt hatten. Dieselben wurden sofort verhaftet und
ein Verhör vorgenommen, welches den ganzen Tag hindurch dauerte. Unter einem Theil der Einwohnerschaft wurde hiedurch eine unseres Erachtens auf mißverstandenen Freiheitsideen und Unkenntniß der
militärischen Justizverhältnisse beruhende Aufregung hervorgerufen, welche sich in Straßenlärm, Fenstereinwerfen und dergl. Meinungsäußerungen Luft machte. Dahingegen gab das hiebei hervortretende
Benehmen des Militärs zu ernsten Befürchtungen Anlaß. Heute sind zwei Schwadronen des ersten Drogonerregiments hier eingerückt.
[(Schl. H. Ztg.)]
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@facs | 0891 |
Flensburg, 6. Dezember.
Vor wenigen Stunden zog die hiesige badische Besatzung, wie es heißt, um einen Aufstand in Rendsburg zu dämpfen, ab.
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@facs | 0891 |
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*
] Von der Schlei, 7. Dezember.
‥‥ Die Pontoniere aufgefordert vorzutreten, bekannten sich zur Unterschrift. Ihre Kameraden trugen Bedenken sie zu entwaffnen, eben so soll das 2. Bataillon dies verweigert haben. Die
Entwaffnung geschah durch die Würtemberger. Das Volk versammelte sich, in der Wohnung wo das Kriegsgericht versammelt war, wurden die Fenster eingeworfen; man verlangte die Befreiung der Inhaftirten.
Die Würtemberger und Schleswig-Holsteiner säuberten die Straße. Indeß ließ Bonin die Dragoner aus Schleswig, die Badenser zu Wagen gestern aus Flensburg requiriren. Die unsinnigsten Gerüchte
cirkulirten. Das Kriegsgericht hat das Urtheil gefällt. Man erwartete heute Morgen die Publikation und Vollstreckung, vielleicht auch Milderung, da im Kriegszustande die unglückselige Geschichte nicht
geschehen ist. Wegen eines Formfehlers soll die gemeinsame Regierung das Urtheil nicht bestätigt haben.
[(Br. Z.)]
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@facs | 0891 |
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*
] Stuttgart, 7. Dezember.
Vor einigen Tagen wurden 25 Mann des 8. Infanterie-Regiments wegen der Emeuten in Heilbornn und Ludwigsburg in die Militär-Strafanstalt abgeführt.
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!!!
] Frankfurt, 9. Dezember.
Sitzung der National-Versammlung. Präsident v. Gagern.
Vor der Tagesordnung werden mehrere Berichte angezeigt, u. a. der Bericht des Finanzausschusses über das Budget vom September bis Dezember 1848. Auch ein Bericht des Polizei-Ausschusses über die
gegen den Dr. Würth in Siegmaringen einzuleitende Untersuchung wegen Hochverrath. Es wird beantragt, die Erlaubniß zur Untersuchung zu ertheilen. Der Bericht wird gedruckt.
Nauwerk interpellirt den Minister des Aeußeren, v Schmerling, welcher nach der deutschen Zeitung von gestern Abend und nach einem viel verbreiteten Gerücht dem Erzherzog seine Dimission
gegeben hat, ob und in welcher Weise die Centralgewalt sich bei den gegenwärtigen Konflikten in Italien zu betheiligen gedenkt?
v. Schmerling beantwortet die Interpellation von Rheinwald wegen des Fruchtausfuhrverbots — die Maßregeln der Centralgewalt sind und bleiben vorläufig ein Geheimniß — aber sie
sind so getroffen, daß sie Deutschland nicht benachtheiligen.
Auf eine Interpellation von Wiesner etc. wegen einer Vermittelung der Centralgewalt in dem Konflikt zwischen Ungarn und Oesterreich: die Sympathien für Ungarn (meint Hr. v. Schmerling) sind
unbestritten, und das Ministerium theilt sie. (Heiterkeit.) Aber eine Vermittlung ist nicht angerufen worden; angeboten kann sie nicht werden; so viel versichere er aber, daß etwaige Einfälle der
Ungarn auf deutsches Gebiet beseitigt werden würden. (Große Vergnüglichkeit unter den Vertretern.) Endlich meint der Minister noch auf die Anfrage von Wiesner wegen zwei aus Gratz nach Wien
wiederrechtlich und ungesetzlich geschleppter Reichsbürger, selbige seien nur als Zeugen nach Wien eingeladen worden. (!!) (Großes Gelächter.) Der Hr. Minister sorgt doch immer für etwas Spaß.
Rheinwald behält sich bezüglich der Schweiz einen dringlichen Antrag vor.
Wiesner behält sich einen Antrag vor:
„Daß man deutsche Reichsbürger, welche man als Zeugen vernehmen will, nicht mehr als Gefangene von Gratz nach Wien schleppen
dürfe.“ (Wiederholte Heiterkeit)
Wesendonk fragt den Ausschuß, welchem sein Antrag wegen Null- und Nichtigkeitserklärung der in Preußen octroyirten Verfassung und des Auflösungsdekrets der preußischen National-Versammlung
übergeben worden, warum er (der Ausschuß) noch nicht Bericht erstattet hat und bittet dies wenigstens bis zum nächsten Montag zu thun.
v. Saucken sucht den Ausschuß zu rechtfertigen.
Der dringliche Antrag von Wesendonk, dem Ausschuß den Auftrag zu geben, bis Montag in dieser Sache zu berichten, wird als nicht dringlich erkannt. (So etwas fällt nicht mehr auf).
Tagesordnung.
Beseler präsidirt.
Nachdem Punkt 1 (Ergänzungswahlen) erledigt, geht man zu der gegen Blum und Günther einzuleitenden Untersuchung über.
Vogt hat präjudiziell beantragt, über alle Anträge auf Untersuchungszulassung wegen Preßvergehen (also Blum, Günther, Jürgens, Levisohn) zur Tagesordnung überzugehen. Vogt hofft, die
National-Versammlung werde sich in dieser Angelegenheit auf den höhern politischen Standpunkt stellen. (Gelächter im Centrum). Man solle die Presse nicht so kitzlich behandeln wie bisher, sondern sich
auf den Standpunkt freier Völker stellen. Von beiden Seiten sei gesündigt worden. Uebrigens würden die inkriminirten Artikel erst dadurch mit einer Wichtigkeit belegt, daß man sie so ängstlich
verfolge. (Beseler macht Bemerkungen).
Langerfeld: Die Untersuchung müsse zugelassen werden.
Der mit überwiegender Mehrheit (mit 11 gegen 2 Stimmen) vom Ausschuß beschlossene Antrag geht dahin:
„Die hohe National-Versammlung wolle beschließen, daß sie zu der vom
Appellationsgerichte der freien Stadt Frankfurt wider die Abgeordneten R. Blum und J. G. Günther als Redakteure der deutschen Reichstagszeitung, wegen der in den Nummern 104 und 106 dieser Zeitung
enthaltenen Beleidigungen verfügten strafrechtlichen Untersuchung und beziehungsweise zur Fortsetzung dieser Untersuchung durch die kompetente Behörde ihre Zustimmung ertheile.“
Reh aus Darmstadt vereinigt sich mit Vogt und bittet bis zum Schluß der National-Versammlung, die Erlaubniß zur Untersuchung nicht zu ertheilen.
Der Minister v. Beckerath meint, gerade vom höheren politischen Standpunkt aus müsse man der Untersuchung freien Lauf lassen. Er meint, indem er auch einmal witzig wird, eben so leicht wie
den Verfassern jener Aufsätze ihre Verdächtigungen geworden seien, würde ihnen wohl ihre Vertheidigung vor Gericht werden. (Wirklich eben so witzig wie edel).
Minkus erklärt, daß wenn Vogts Antrag angenommen wird, er sich zufrieden erklärt. (Gelachter im Centrum).
Der präjudizielle Antrag von Vogt wird hierauf mit großer Majorität verworfen
Scharre aus Sachsen und Jucho sprechen hierauf mit vieler Wärme gegen den Antrag des Ausschusses und werden theils durch Bemerkungen, theils durch Unruhe unterbrochen.
Die Debatte wird geschlossen und wie Sie sich denken können, nach des Minister Beckeraths edler und warmer Empfehlung der Antrag des Ausschusses (wie oben) angenommen, zumal da der
reichsrechtskundige Justizminister R. v. Mohl vor Schluß der Debatte beweist, daß es eine Reichsrechtsverletzung wäre, der Reichsjustiz ins Handwerk zu pfuschen.
Wiesner hatte beantragt, zur Tagesordnung überzugehen, und führt unter den Erwägungen seines Antrags des Kaiser Jsoeph II. Ansichten über Preßfreiheit an. (Natürlich fanden die Centren dies
spaßhaft).
Ein Zusatz von Watzdorf:
„Die Erlaubniß zur Untersuchung nur unter der Bedingung zu ertheilen, daß die Beleidigten selbst auf der Untersuchung bestehen,“ wurde ebenfalls
verworfen.
Auf Antrag Zachariä's, des Berichterstatters, hatte man R. Blums Namen aus dem Antrag weggelassen. (Wirklich sehr gütig und edel!) Ich freute mich schon, daß man Windisch-Gratz zum Trotz nun
R. Blum vor das Frankfurter peinliche Gericht citiren würde).
Hierauf wird nach einer Debatte, an der sich Jürgens und Schoder (unter heftigen Unterbrechungen) und Rösler von Oels (ebenfalls unter Unterbrechungen) wie gewöhnlich ganz fruchtlos betheiligen,
der Antrag des Ausschusses angenommen:
„Die hohe National-Versammlung wolle beschließen, daß sie zu der auf Anklage des Abgeordneten Minkus wider die Abgeordneten Jürgens, Bernhardi und
Fr. Löw als Redakteure der „Flugblätter aus der deutschen National-Versammlung“ vom Polizeigericht der freien Stadt Frankfurt einzuleitenden strafrechtlichen Untersuchung die beantragte
Zustimmung ertheile.“
Rösler von Oels verliest in seinem Vortrag zwei Sätze aus Zeitungen, einer von Kerst, der andere vom Landrath von Selchow (beide Abgeordnete des rechten Centrums). Beide haben ganz planmäßig
und offen mit ihrer Namensunterschrift bei ihren Wählern die Linke der National-Versammlung verdächtigt und des Aufstandes vom 18. Septbr., so wie der Ermordung von Auerswald und Lichnowsky
beschuldigt. Ferner erweist Rösler sehr klar, mit welch scheußlichen Machinationen gegen den Abgeordneten Minkus aus Schlesien verfahren worden ist. Minkus ist nämlich ein armer Kolonist, auf den zum
Aerger seines Gutsherrn das Vertrauen seines Wahlkreises gefallen ist (Inde irae!)
Der bleiche Unterstaatssekretär Bassermann erwiderte: um die Entsittlichung des deutschen Volks zu verhüten (Brutus!) müsse man die Verfasser von solchen (d. h. von aufreizenden und verläumdenden)
Artikeln verfolgen; obschon man gegen die Angriffe der Presse heutzutage gewaffnet sein müsse. — Auf die sittliche Wuth von Brutus Bassermann antworten 3/4 der Versammlung mit wuthentbranntem
Beifallgeklatsch.
Kerst erhält zu einer persönlichen Bemerkung das Wort auf die Rösler'sche Anschuldigung (S. oben). — Statt einer Rechtfertigung rückt er mit einer Denunziation gegen Rösler von
Oels heraus, die aber vom Präsidenten (Beseler) abgeschnitten wird.
Es folgt nun auf der Tagesordnung die Untersuchungsangelegenheit gegen Lewysohn (Abg. für Grünberg). Dieser entwickelt seine Majestätsbeleidigungs-Angelegenheit, daß er bereits zu 1 Jahr Festung in
erster Instanz verurtheilt ist.
Es wird ihm die Autorschaft eines Gedichts zugeschrieben, worin folgende Stelle:
„Du darfst nicht länger athmen mehr,
Pest bringt dein Hauch, er weht Verderben,
Verworfener ha! du mußt sterben!“
Das Gedicht ist an den K[ö]nig von Preußen gerichtet.
Ein zweiter Untersuchungsgrund ist der, daß Lewysohn bei einem Toast auf denselben König nicht mit aufgestanden ist. (Geschmacksache.)
Lewysohn meint, wenn er zur Vertheidigung bei der zweiten Instanz seines Prozesses nach Hause abreisen müßte, wäre er genöthigt, seine Stelle als Abgeordneter niederzulegen. (Rechts
Bemerkungen! Man scheint sich über diese Alternative zu gaudiren.)
Gompard, der Berichterstatter hält hierauf einen spaßhaften Vortrag, durch den er die National-Versammlung für den Antrag des Ausschusses einnimmt.
Nach diesem Antrag wird durch die National-Versammlung die Erlaubniß zur ferneren Untersuchung gegen Lewysohn ertheilt.
Die zunächst auf der Tagesordnung befindlichen Anträge von Jucho und Venedey werden durch Annahme folgenden Ausschußantrages erledigt:
Die National-Versammlung möge
1) den Antrag, daß Mitglieder der Nationalversammlung nicht verpflichtet seien, sich über das, was sich in den Parteiversammlungen zur Zeit der daselbst
stattgefundenen Berathungen bezüglich politischer Verhandlungen zugetragen hat, ohne Genehmigung der Nationalversammlung als Zeugen vernehmen zu lassen,
als unbegründet verwerfen,
2) über den ferneren Antrag, daß Mitglieder der Nationalversammlung nicht verpflichtet seien, sich über das, was sich in den Abtheilungen und Ausschüssen zur Zeit der daselbst stattgefundenen
Berathungen bezüglich politischer Verhandlungen zugetragen hat, ohne Genehmigung der Nationalversammlung als Zeugen vernehmen zu lassen,
zur Tagesordnung übergehen.
Der Central-Legitimations-Ausschuß hatte die Ausschließung der HH. Loew aus Posen, Caspers (Koblenz), v. Platen (Neustadt), Kuentzel und Heister aus Siegburg als nicht legitimirt beantragt.
— Verworfen, nur die Linke stimmte dafür.
Anträge von Waiz und Fuchs:
„Die Wahlen der genannten Abgeordneten (nach dem Prinzip des preuß. Wahlgesetzes) als richtig anzuerkennen, und diese Abgeordneten in der
Versammlung zu belassen.“
Es folgt der Bericht über den Antrag von Rühl auf anzustellende Neuwahlen zur Nationalversammlung, die das Vertrauen des Landes nicht mehr besitzt. Rühl's Antrag war bereits im
September gestellt, und die Neuwahlen sollten nach seinem Antrag bereits am 18. Oktober vollendet sein,
Der Bericht des Ausschusses (der also 3 Monate post festum kommt) beantragt natürlich „Tagesordnung.“
Rühl aus Hanau (dessen Antrag übrigens von 16 Petitionen in demselben Sinne begleitet ist) hält über die Nothwendigkeit von Neuwahlen und über die nothwendige Reorganisation der
Nationalversammlung einen klaren und ernsten Vortrag, welcher besonders vom rechten Centrum fortwährend durch das frivolste Gelächter, durch Bemerkungen und Unruhe unterbrochen wurde. Die Zahl der
Mißtrauensvoten, sagt Rühl, ist ungeheuer, aber noch ungeheurer die Art und Weise mit der die Mißtrauensvoten von den betreffenden Abgeordneten verdaut werden — Man wird sagen, diese Adressen
sind durch Wühler hervorgerufen, aber wo die Sache wühlt, brauchen Personen nicht zu wühlen. — Grade jetzt ist es nöthig, eine nicht schwankende Majorität in die Versammlung zu bringen, welche
in allen Hauptfragen immer in ein paar Stimmen differirt; Stimmen, die theils dem Ministerium, theils den Unterstützern desselben à tout prix angehören. — [unleserlicher Text]Räht wiederholt schließlich seinen
Antrag auf neue Wahlen, die nun bis zum 18. Januar vollendet sein sollen. (Bravo).
Edel aus Würzburg äußert eine wahre Berserkerwuth über Rühls Antrag, meint, man solle ja schnell zur Tagesordnung übergehen, damit das deutsche Volk sich nicht über die Zeitverschwendung bei
Rühl's Antrag entsetzt. Dieser Antrag wäre auf der Pfingstweide am 17. September und bei dem Donnern des Volks an die Kirchthüren der Paulskirche fabrizirt worden. (Links viele Stimmen: Lüge!
Rühl aus Hanau wird zur Ordnung gerufen, weil er Lüge gerufen).
Mehrere Stimmen links: Wir auch! wir auch! (Lärm).
Rühl von Hanau erklärt: Edel aus Würzburg sei am 17. September selbst auf der Pfingstweide gewesen, dort aber sei nichts von seinem (Rühl's) Antrag vorgekommen. (Was ist also
Edel's Behauptung?)
Edel läuft wüthend zur Tribüne, und erklärt es für unwahr, daß er auf der Pfingstweide gewesen, er perhorreszirt dies schreckliche Verbrechen mit sittlicher Entrüstung. (Neuer Tumult!)
Endlich wird mit 311 Stimmen gegen 105 über den Rühl'schen Antrag zur Tagesordnung übergegangen, und gegen 3 Uhr die Sitzung bis Montag vertagt.
Montag Fortsetzung des Entwurfs: „Der Reichstag.“
Französische Republik.
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@facs | 0891 |
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19
] Paris, 9. Dez.
Morgen ist der Tag der Präsidentenwahl, — „der Todestag der honetten Republik,“ wie der Père Duchèsne ausruft. Seit gestern und vorgestern werden bereits an allen
Straßenecken Wahlzettel für Louis Napoleon, Cavaignac und Ledru-Rollin ausgetheilt und von den Vorübergehenden meist zerrissen auf die Trottoirs geworfen. Cavaignac hat neue Dispositionen getroffen.
Die Wachen sind verstärkt, in mehreren Straßen zwei auch drei neue Wahlposten angelegt; seit 3 Tagen ist die ganze Garnison von Paris erstaunt, besonders gute Nahrung zu erhalten: das Brod ist
außerordentlich schmackhaft, der Wein erster Qualität, das Fleisch vortrefflich — nur glauben die Soldaten, wie der „Peuple“ sagt, daß das nach den Wahlen wieder aufhören
werde.
Die demokratischen Wahlkomites haben heute einen letzten Aufruf erlassen. Er lautet: „Protest gegen die Präsidentschaft. Das Central-Wahlkomite der demokratisch-sozialistischen
Republikaner hat beschlossen gegen die Institution der Präsidentschaft zu protestiren, indem es als Kandidaten den Bürger J. V. Raspail proklamirt. Der National-Wahl-Verein der
demokratisch-sozialistischen Republikaner hat beschlossen, gegen die Institution der Präsidentschaft zu protestiren, indem er als Kandidaten den Bürger Ledru-Rollin proklamirt. Die
demokratisch-sozialistischen Republikaner, welche für Einen oder den Andern dieser beiden Kandidaten stimmen, protestiren gegen die Einführung der Präsidentschaft.“
Die Zahl der revolutionären Demokraten soll nach der neuesten Zählung 150,000 wohlbewaffnete Männer betragen. Was aber in Paris ein solcher „Protest“ heißt, weiß sich Jeder selbst zu
sagen.
Wenn die Mobilen nicht bei der Wahl selbst Unruhen provociren, wie man heute behaupten wollte, so werden indeß die nächsten Tage bis zur Verkündung des Resultats ohne Störung
vorübergehen.
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@facs | 0891 |
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17
] Paris, 7. Dez.
Der bekannte Eskrok und Sophist Emil de Girardin, Redakteur der „Presse,“ ist ganz unglücklich, daß er nicht auf der Liste der mit einer Nationalbelohnung zu Beehrenden steht.
Girardin verschmähte nichts, nicht einmal dreihundert Franken. Er schimpft über den Plan, eine Pension Leuten zu geben, wie den Kindern Pepin's (der von Louis Philipp wegen der Höllenmaschine,
um die er nichts wußte, geköpft ward), dieses armen Gewürzkrämers, der blos das Unglück hatte, minder Eskroktalent als der Mörder Armand Carrel's zu besitzen; der Schwester Alibaud's
(den Louis Philipp wegen Attentat köpfen ließ), auch daß Morey's, des großartigen Stoikers, Verwandte bedacht werden sollen, dieses greisen Jakobiners, der düster und theilnahmlos sich von
Louis Philipp's Henkern köpfen ließ, wurmt den Redakteur der „Presse“ gewaltig. Der ganze Kehricht dieser infamen Nationalassemblée erhob sich gegen das Projekt, und das feige
Ministerium zog es zurück. Das Volk aber, wenn es dereinst zu Gericht sitzt, wird sich erinnern der Worte Girardin's: „Das Projekt war nichts als eine Prämie für alle Insurgenten seit
1815; diese doctores barricadarum, diese Professoren des Pflasters, diese
[0892]
Lehrer der Emeute, dieser ganze Schwarm sollte nachträglich beschenkt werden mit dem mühsam eingetriebenen Gelde der Steuerpflichtigen. Aber die öffentliche Meinung erhob sich drohend gegen diese
Verhöhnung der Moral, und mit Recht rief Herr v. Larochejacquelin (einer der verrücktesten Junker alten Schlages notabene): „das Projekt falle ja schon vor dem allgemeinen Unwillen!“ Die
Demokratie hat sich folgende Freiheitskämpfer auf diesem Verzeichniß zu merken: Erste Klasse jährlich 500 Frs. Pension:
Arbogast, Sackträger, 1839 ein Monat Kerker, hat jedesmal mitgekämpft.
Augias, Modellirer, Juliverwundeter, 1846 verurtheilt wegen Verkaufs der Brustbilder Robespierre's.
Bainse, Buchbinder, nach dem republikanischen Aufstande von 1832 zum Tode
verdammt.
Baune, von 1835 bis 37 auf Pairsurtheil im Kerker, jetzt Volksvertreter.
Blondeau, Gemüsehändler, 1832 nach dem Juniaufstande der Republikaner fünf Jahre Galeeren, (und ein
Emil Girardin nebst Frau laufen frei herum und mokiren sich über ihn!!).
Boucheron, Holzsäger, wegen Attentat auf die Herren Söhne Sr. Maj. Louis Philipp's und Widersetzlichkeit gegen
die Polizeigewalt zehn Jahre Kerker.
Tricotel, Unteroffizier, zehn Jahre Kerker wegen des republikanischen Komplottes in Lüneville.
Trümloup, Professor der Baukunst, erwarb in seinem
Fach den zweiten großen Preis, focht 1830, 1833 im Kerker, focht im April 1834, ward revolutionärer Sektionsvorsteher, hat seit 27 Jahren Tag und Nacht das alte System befehdet.
Rogat,
Kupferstecher, 1834 wegen einer aufrührerischen Medaille verurtheilt. Wittwe des Bürgers
Minton, den Louis Philipp wegen Attentat auf ihn zu den Galeeren schickte, wo er starb.
Pillot,
sechs Monate Kerker wegen Association, ungesetzlichem Tragen des Priesterkleides 1839, 300 Franken Strafe; 1840 dito wegen Attentat auf die Regierung. Samuel
Koch, auf der Insel Martinique 1834
als Insurgent zum Tode verdammt, darnach fünfzehn Jahre Galeeren und fünf Jahre Kerker (und Delphine Gay und Girardin laufen frank und frei herum und höhnen!!). Wittwe des B.
Colombier, wegen
fehlgeschlagenem Königsmord auf den Galeeren, wo er starb.
Degeorges 1824 im Kampf gegen die Pfaffen- und Adelssoldaten der Restauration, in Koutumaz zum Tode verdammt.
Lecomte im Kerker
1831 wegen Aufruf zur Emeute. Schwester B.
Lecomte's, der als Königsmörder hingerichtet ward.
Coffineau, Hausbesitzer und Kommunist, sieben Jahre Kerker, angeblich wegen
Diebstahl, in Wahrheit wegen seiner Propaganda. —
Cabet, Marrast, Caussidiere, Gervais (heute Dr. med. und Polizeipräfekt),
Trélat (Dr. med. und Exminister der Staatsarbeiten),
Sobrier, Redakteur der „Commune de Paris“ und jetzt Maigefangener zu Vincennes nebst Barbes;
Flocon, Exminister des Handels und Ackerbaues, stehen auch auf dieser Liste,
neben
Bastide, Minister des Auswärtigen!
Die zweite Liste zu 300 Franken bringt 536 Personen, worunter Carrette, Fabrikant, 3 Monate Kerker und 3000 Franken Buße im Jahre 1833 angeblich wegen Religionsverspottung, Februarkämpfer
und nach dem Juni eine zeitlang verhaftet. Carteron, vom Kaiser Napoleon mit zehn Jahren Galeeren wegen eines gestohlenen Kaninchens beschenkt; von Louis Philipp dreimal mit Einkerkerung wegen
Aufreizung zur Emeute.
Annette Pierre, zwei Jahre eingekerkert wegen Aufreizung zur Emeute, im Kerker wahnwitzig geworden. Virginie Galand, 1846 eingekerkert. Rose Puin fünf Jahre Galeeren 1831 wegen
Emeute. Bürgerin Bourlier, Tagelöhnerin, Kerker und nachherige öftere Verfolgung. Unter den jetzigen Staatsmännern und Beamten, die Louis Philipp's tückischer Rache verfielen, hatten
Trélat, außer Gefängniß, 12000 Franken zu zahlen gehabt; Cabet war 5, Marrast 1 Jahr zu London in freiwilligem Exil gewesen, u. s. w.
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@facs | 0892 |
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12
] Paris, 8. Dez.
Hr. Arago hat, wie man weiß, um 7 ganze Stunden den Abgang der Posten zurückgehalten, damit die Debatte über die Nationalbelohnungen nicht stückweise den Provinzen zukäme. Gingen mit dieser
Mallpost weiter keine Depeschen ab als die der Regierung, so ließe sich diese Verzögerung von Seiten Cavaignacs, der dem Postdirektor diesen Befehl gegeben hatte, begreifen. Hr. Cavaignac benutzt die
Posten zur Beförderung seiner Kandidatur. Er will nicht, daß „das Gift ohne das Gegengift in der Provinz“ anlange. Aber mit dieser Mallpost gehen jeden Tag zur bestimmten Stunde alle
Korrespondenzen von Paris ab: in der Provinz selbst wird die Ankunft dieser Briefe jeden Tag zur bestimmten Stunde erwartet. Nun denke man sich, welche Störung unter den jetzigen Umständen die
mindeste Verzögerung hervorbringen muß: Störung jeder Art, politischer sowohl als kommerzieller Natur. Die „Debats“, welche, wie man weiß, auf Seiten Cavaignac's stehen, rügen mit
herben Worten diese unbegreifliche Maßregel, die man sich zu keiner Zeit, und in keinem Lande noch erlaubt hätte. Vom rechtlichen Standpunkte aber ist diese Maßregel geradezu ein Eingriff in die
Freiheit der Presse, und die Kammer billigt diesen Eingriff. Cavaignac wirft sich zum Censor der Mittheilungen für die Provinz auf, und die Kammer billigt die Sonderung „des Giftes vom
Gegengifte.“ Cavaignac, indem er die Debatten der Provinz mehrere Stunden vorbehält, sagt zu den Departements: Ihr sollt das noch nicht wissen; ihr sollt es zur rechten Zeit nicht wissen; es
ist nicht die rechte Zeit für Euch, es zu wissen. Wir streichen es, wir lassen es eine Zeitlang weiß stehe, indem wir die Postwagen im Stalle stehen lassen; später sollt ihr die gestrichenen Stellen
mit den Randglossen des Censors lesen. Daß die Post in Paris vor allen Dingen ein kommerzielles Institut sei, daran konnten die Leute des Nationals nicht denken. Was war aber nun das
„Gift“, welches nicht ohne Gegengift verabreicht werden sollte, und das man sieben ganze Stunden verborgen hielt? Die nationale Belohnungen! die Guten, welche für die gute Sache gelitten
hatten, sollten belohnt werden. Die gute Sache war die Republik, die böse das Königthum: die Guten sind also die Republikaner, die auf die eine oder die andere Weise gegen das Böse gekämpft haben: ob
im Februar, vor oder nach Februar mußte natürlich gleichgültig sein. Die Restauration hatte eine Milliarde bewilligt, für die, welche nach dem Sturze des Kaiserthums, auf die eine oder die andere
Weise für das Königthum gelitten hatten: die Republik konnte nicht weniger thun, als eine Belohnung denen zu bewilligen, die an dem Sturze des Königthums sich betheiligt hatten.
Im Februar war es das Proletariat in Masse, welche das Königthum in Masse gestürzt hatten; vor dem Februar waren es einzelne Proletarier, die den König einzeln mit Verachtung ihres Lebens stürzen
wollten. Aber diese Proletarier, heißt es, waren Mörder, folglich waren es böse Leute, die nicht belohnt werden dürfen. Sie haben übrigens ihr „Verbrechen“ gebüßt und wenn ihre
Angehörigen, wie die Verwandten Alibaud's, Darmês u. s. w. jetzt dulden und nicht unterstützt werden, so dürfen sie sich darüber nicht beklagen. Andere wieder, wie Marrast, Bastide u. s. w.
haben nicht mit dem Schwerte, sondern mit dem Wort gegen den König angekämpft. Diese „Bösen“ wurden damals bestraft, und sollten nun als „gute Republikaner“ mit einer
jährlichen Rente von 500 Fr. und darüber belohnt werden.
Aber diese „Guten“ haben sich schon alle selbst belohnt und sitzen als Richter über die andern Guten, welche eine Belohnung verdienen. Die andern Guten sind nun aber keine andern als
die Kämpfer im Februar. Die Kämpfer im Februar aber haben auch im Juni gekämpft. Statt belohnt zu werden, sollen sie jetzt deportirt werden. Wenn sie im Februar gut waren, so sind sie im Juni böse
geworden. Wer sind also die „Guten,“ die belohnt werden müssen?
Niemand, außer diejenigen welche sich selbst belohnt haben: das sind die einzig Guten. Das Dekret ist also einstweilen zurückgenommen worden. Damit aber in den Provinzen keine Verwirrung entstehe
über die Begriffe des Guten und Bösen, damit sie nicht das süße Gift des Bösen einsaugen, ohne zugleich das bittere Gegengift mit einzuschlürfen, hat ihnen der ehemalige Bürgermeister von Paris,
Marrast, beides zusammen, wohlverpackt im Postwagen und gehörig zergliedert im National mitgeschickt.
Und das ist die Lehr von der Geschicht,
Traut keinem Bürgermeisters nicht.
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@facs | 0892 |
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19
] Paris, 9. Dez.
Skandal! Skandal! Welcher glorreiche Abend für die Sonne der „honetten“ Republik! War es nicht auch der Skandal, der Schmutz einiger ehrgeizigen Diebe, welche seit der Restauration
jedesmal dem Fall der Ministerien oder „Dynastien“ voranging? Und die Dynastie „National“ hat in konservativer Begeisterung nichts Eiligeres zu thun, als in den letzten
Tagen vor der Präsidentenwahl noch schnell mit Schmutz und Gestank von ihrer honett-republikanischen Herrlichkeit Abschied zu nehmen. Die ehrbare Nat.-Vers. in unanständiger Natürlichkeit, all ihres
honetten Schmuckes entkleidet; die Deputirten mit gesträubten Haaren auf einander losgehend, Einer dem Andern „Infamie“ vorwerfend — ein Landstraßen-Genrebildchen, wie es fast an
eine gewisse komische Versammlung an den Ufern des Mains erinnert: und Alles das um nichts Geringeres als die Reitstiefeln der Couriere Seiner republikanischen Herrlichkeit, des
Präsidentschaftskandidaten Cavaignac.
In der vorgestrigen Sitzung beuteten die Bonapartisten nach Anleitung des Hrn. Thiers eine Liste der Kommission für Nationalbelohnungen aus. Präsident dieser Kommission war unter der provisorischen
Regierung der „Arbeiter Albert“; später wurde eine neue unter dem Vorsitz Guinards gebildet, und als Hr. Senard darauf einen neuen Gesetzentwurf überreichte, gingen die Listen durch den
Minister Dufaure an die mit dem Gutachten beauftragte Abtheilung der Nat.-Vers. Vor drei Tagen denunzirten nun die bonapartistischen Blätter, daß man auf diesen Listen der
„National-Belohnungen“ Diebe, Mörder und Mordbrenner finde. Welche Chancen für den „honetten“ Degen Cavaignac! Mußte nicht die Bourgeoisie bei dem Gedanken an solche
gefährliche Bekanntschaften des Afrikaners fürchten, daß er am Ende noch einmal mit den „Juniräubern“ Brüderschaft trinke? Es kam also vorgestern zu Explikationen, Geschrei, Anklagen,
Interpellationen, Skandal und dem gewöhnlichen Schluß, der Tagesordnung — pur et simple. Hr. Senard gab eine lange Geschichtserzählung zum Besten und Guinard protestirte voll Leidenschaft in
seinem und Alberts, des Gefangenen von Vincennes Namen gegen die Richtigkeit dieser Listen. Hatten also vielleicht die Minister Ehren-Cavaignacs jene „unhonetten“ Bekanntschaften
eingezeichnet? Befand sich ja sogar eine Pension für die Wittwe des Attentäters Lecomte darauf! Unheilvolle Leidenschaft eines honetten Republikaners, die Gattin eines Königsmörders! Hr. Cavaignac
wies sofort im Soldatenton jene Verantwortlichkeit der Listen ab, und Hr. Dufaure machte die Versammlung glauben, daß die fraglichen Listen durch einen Ränkemacher verfälscht seien.
Die Sache war also abgemacht. Aber Hr. Cavaignac fürchtete noch, er fürchtete den Eindruck dieses kleinen Skandals in den Departements, wenn bei der vorgeschrittenen Stunde die Reden
Guinard's und Senard's allein, ohne seine und Dufaures Antworten in die Provinz kämen. Und um dies zu vermeiden, that der „honette Republikaner“, was weder die
ältere noch die jüngere „Dynastie“ jemals gewagt hatte, und was unter dem kaiserlichen Despotismus nur ein Einzigesmal bei einer Aushebung in den Provinzen zur Zeit der Gefahr geschah:
Hr. Cavaignac hielt die Malleposten um 7 Stunden zurück, um den Departements lediglich eine „Fortsetzung“ in der Geschichte der Belohnungslisten zu ersparen. „Man wollte das Gift
nicht ohne das Gegengift abgehen lassen.“ Die Bekanntschaft des honetten insurgentenschlachtenden Säbels mit der Hinterlassenschaft eines königsmörderischen Dolches wäre ein Gift gewesen,
— für die öffentliche „Ruhe“? — nein, für die Kandidatur des Säbels in den Provinzen. Die Arrestation der Post war ein Wahlmanöver, so gut, wie die versuchte päbstliche
Komödie in Marseille. Louis Philipp benutzte seine Staatsgewalt, um an der Börse zu spekuliren und das Volk zu bestehlen; die Dynastie „National“ benutzt die Börse, um auf die
Staatsgewalt zu spekuliren, und die Republik zu bestehlen. Honette Nachfolger des Königs der Krämer und Beutelschneider!
Der Skandal in der Versammlung nach diesen Enthüllungen, die Grobheiten und Drohungen der Montagne gegen die Centren endigten damit, daß die Sitzung ohne Weiteres auf einige Minuten aufgehoben
wurde. Aber in der Bourgeoisie hat der Pascha Cavaignac durch seine Spekulation nichts gewonnen. Die Bourgeoisie wird nichts dagegen erinnern, daß die Dynastie „National“ die
Staatsinstitutionen zu Privatgeschäftchen exploitirt; aber sie wird ihm nachrechnen, daß er durch die Arrestation der Post in die Regelmäßigkeit ihrer Wucherordnung eingegriffen und zahllose Krämer,
die auf ihre Remessen aus Paris warteten, in Angst und Verwirrung gejagt hat.
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Paris, 9. Decbr.
Im Viertel St. Jaques scheint das Volk der dort kasernirten Mobilgarde den Hals brechen zu wollen und machte gestern Abend damit schon einen kleinen Anfang, indem es Koth und Steine in die Kasernen
und Wachtstuben der Mobilen warf, die in Folge dieser Scenen mit Linientruppen umgeben und resp. besetzt worden sind. Sonderbar genug, lauert die Linie aber selbst auf eine gute Gelegenheit, der
Mobilgarde eine derbe Lektion zu ertheilen und man hört sie nicht selten in den Volksruf einstimmen: Nieder mit den Henkern Cavaignac's! Die Mobilen sind demzufolge in die Caserne der
Mouffetardstraße eingeschlossen worden wo sie von Zeit zu Zeit sich mit der Nase ans Fenster wagen und herabrufen: Es lebe Cavaignac! Worauf denn der Skandal losgeht, dessen Ende wir nicht
absehen.
— Aus Madrid meldet man folgendes unterm 5. Dec. (Der Minister Frankreichs an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten.) „Keiner der Mannschaften der Montanera wird die geringste
Verurtheilung zu den Strafen erleiden, welche gegen sie aus Veranlassung der Vorfälle am Bord der Go[unleserlicher Text]lette ausgesprochen wurde.“
— Wir stehen am Vorabende der Präsidentenwahl. In den Mairiehöfen erblickt man wie vor Theaterkassen lange Reihen, die auf ihre Wählerkarte harren. Das Parteispiel in den besuchtesten
Straßen ist höchst erbaulich. Gassenjungen und feingekleidete Damen theilen ganze Stöße von kaiserlichen Stimmzetteln an die Vorübergehenden aus, die sie je nach Laune in tausend Stücke zerreißen und
in die Luft werfen. Dieses Schneegestöber erregt viel Gelächter.
— In Paris hat Cavaignac wenig Hoffnung; dagegen in den Departements viele. Folgende Statistik für die Wahlrechte ist nicht uninterressant. Es unterstützen Cavaignac 190 Journale, darunter
natürlich fast alle Präfekturblätter. Napoleon 103 und den Ledru-Rollin 48 Journale.
— Die „Assemblée Nationale“ sagt: „Das Gegengift, das Cavaignac, Dufaur und Trouvé-Chauvel in die Provinzen schickte und wofür man die Mallposten bis Mitternacht
zurückhielt, besteht aus folgenden Ingredienzen. 1) Ein Kupferstich darstellend das Bildniß Cavaignac in der Generalsuniform. 2) Ein Pakuet Stimmzettel bedruckt Cavaignac. 3) Cavaignac's
Antwort auf die Listen. 4) Dufaure's Entrüstung gegen dieselber.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 9 Decbr. Corbo[unleserlicher Text] Vicepräsident eröffnet um 1 1/2 Uhr die Sitzung.
Corbon: Ich theile zunächst der Versammlung folgendes Resultat des gestrigen Skrutins für die Wahl des provisorischen Staatsrathes mit. Zu Mitgliedern wurden gewählt: Fr. Arago mit 433
Stimmen, Lacrosse 415, Lamartine 407, Bedeau 389, Dupont de l' Eure 336, Senard 335, Goudchaur 338, Billault 316, Martin aus Straßburg 309, Tocqueville 296, Havin 280, Parieu 280, Remusat 272,
Simon (Jules) 272, Stourm 271, Grevy 264; Voudet 259, Chambolle 256, Cormenin 247, Buchez 246, Lichtenberger 237, Carnot 236, Boulatignis 234, Marrast 229, Landrin 225, Ferdinand v. Lasteyrie 223, de
Falloux 219, Vaulabelle 214, Baroche 212, Bixio 197 Stimmen. (Sensation.)
An der Tagesordnung ist das Verantwortlichkeitsgesetz gegen den Präsidenten.
Pascal Duprat findet das Gesetz schon in den Entwürfen zu den organischen Gesetzen. Man könne unmöglich zwei Gesetze aus demselben Teige backen. Er verlangt daher, erst über die Frage zu
berathen, ob man den Vorschlag überhaupt genehmige? (zweideutiger Beifall).
Cremieux vertheidigt seine Arbeit. Die Versammlung habe sie bereits auf die Tagesordnung gesetzt; sie müsse sie also diskutiren.
St. Gaudens findet den Antrag verfassungswidrig. Er durfte nicht vom Bürger Cremieux gestellt werden, sondern mußte vom Verfassungsausschusse ausgehen. Dieser habe in den organischen
Gesetzen bereits vorgesehen. Man wirft ein, wir könnten doch unmöglich in Gegenwart des Präsidenten deliberiren. Warum denn nicht? Wir werden doch immer noch stark genug sein, um unsere
gesetzgeberische Würde zu behaupten. Ich trage also auf Vertagung bis zu den organischen Gesetzen an. (Ja, Ja, Nein.)
Die Vertagung wird entschieden.
Die Versammlung schreitet zur Abstimmung darüber, in welcher Reihen[f]olge die organischen Gesetze zu berathen?
Baroche schlägt Vertagung vor, da die Geister gar zu aufgeregt seien. (Ja, Ja! Nein, Nein!)
Man ruft nach Abstimmung darüber. Dieselbe erfolgt durch Zettel.
329 gegen 224 stimmen gegen die Vertagung. Die Reihenfolge der organischen Gesetze wird also sofort berathen.
In erster Linie kommt das Gesetz über Verantwortlichkeit der Staatsbeamten (also auch des Präsidenten). Dann das Gesetz über den Staatsrath; drittens das Wahlgesetz. (Die Frage: Ob auch die
Departements- und Gemeinde-Organisation in dieser Reihe aufzunehmen? wird mit 359 gegen 221 Stimmen bejaht.
380 gegen 179 Stimmen entscheiden ferner, daß auch viertens die Gerichtsordnung unter die organischen Gesetze aufzunehmen sei.
Hwyn Tranchére ruft einigen Tumult hervor, weil er die nachfolgenden Gesetze ausschließen will (über Unterricht u. s. w.).
Es beginnt ein viertes Skrutiums.
Die Versammlung entscheidet, daß auch der sogenannte subsequente Theil der organischen Gesetze (worunter das Unterrichts- und Belagerungs-Gesetz) in obiger Reihenfolge Platz finden soll.
Joly: Ich verlange das Wort über die Tagesordnung.
Corbon: Sie haben das Wort.
Joly: Ich besteige die Bühne, um den Minister des Innern über die Lage von Paris zur Rede zu stellen. (Hört, hört!) Eine große Agitation herrsche in der Stadt. Alle Straßen, namentlich die
Viertel um den Vendomeplatz seien vollgepfropft und die Cirkulation gehindert. Ein Bürger, der es gewagt: Es lebe Cavaignac auszurufen, sei fast gesteinigt worden Alle Welt habe ihm entgegengerufen:
N[i]eder mit Cavaignac! (Erstaunen.) Die Elemente des Hasses seien verschiedener Natur. Darunter die Versammlung der Obersten bei Dufaure. Die ministerielle Willkür der letzten Tage habe sie genährt.
Der Kriegsminister habe z. B. „rothe“ Offiziere verfolgt. (Der Redner liest einen Brief aus dem Journal Republique) Ferner gehe das Gerücht, die Klubs würden am Montag geschlossen u. s.
w. Er wünsche darüber Auskunft.
Dufaure: Ich erwidere auf die verschiedenen Punkte: 1) ich ließ die Bürgerwehr-Obersten zu mir kommen, um sie zu konsultiren. Das war meine Pflicht in Rücksicht auf die Lage. 2) Die Gruppen
waren bis jetzt friedlich und daß man nieder mit Cavaignac geschrien, hat auch noch nicht zu Gewaltmaßregeln gezwungen. Wenn ich sie aber unterdrücken wollte, werde ich es nicht mit Polizeigesetzen,
sondern mit dem Attroupementsgesetz thun. 3) Betreff, der Clubs erwidere ich: daß die Regierung dann sie aufheben wird, wenn sie selbige für gefährlich halten wird, und sie wird ihr Gesetz selbst auf
die Wahlversammlungen ausdehnen. Für jetzt ist dieß nicht nöthig. Ist der Präsident gewählt, dann wird die jetzige Exekutive zu gehorsamsten Dienern [herabsinken]. (Stimme Bouleys: Wir Alle! —
Lachen zur Linken.)
Ledru Rollin widerspricht energisch; setzt seiner Seits die Punkte auseinander und weist dem Minister nach, daß er verhehle, namentlich was in der Versammlung der Obersten der Bürgerwehr
geschehen.
Der Minister habe eine Insurrektion prophezeit, die vom Berge unterstützt würde. Er negirt dieß und erntet großen Beifall.
Lamoriciere erklärt, daß alle Vorsichtsmaßregeln getroffen seien. Was die Offizierversetzung betreffe, so glaube er sich in seinem Rechte. Eine Regierung, deren Offiziere rothe Clubs
besuchen dürften, wäre verloren.
Die Sitzung wird um 6 1/2 Uhr geschlossen. Der Vorfall hat keine Folgen.