Deutschland.
@xml:id | #ar165_001_c |
@type | jArticle |
@facs | 0881 |
Edition: [Karl Marx: Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
[
*
] Köln, 9. Dezbr.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
@xml:id | #ar165_002 |
@type | jArticle |
@facs | 0881 |
[
*
] Köln, 9. Decbr.
Das „Todtenkäuzchen“ kündigt nach dem Volksglauben einen Sterbefall in der Familie desjenigen Hauses an, in dessen Nähe es seinen Nachtsitz aufschlägt und seine unheimliche Stimme
ertönen läßt.
Seit einigen Monaten fliegen in Deutschland andere „Todeskäuzchen“ herum, deren Erscheinen an einem Orte als sicherstes Zeichen von bald herannahendem Unheil, von Mord, Brand,
Plünderung, Nothzucht, Belagerungszustand, Standrecht etc. zu betrachten ist.
Diese politischen „Todeskäuzchen“ sind — die Commissäre der Centralgewatt. In Betreff ihrer ruht der Volksglaube nicht auf Vorurtheil, sondern auf der
„breitesten“ Grundlage praktischer Erfahrung.
Schleswig-Holstein hat als Vorboten seines Mißgeschick's vor dem schmähligen Waffenstillstande einen Abgesandten der Centralgewalt, nach jenem Waffenstillstande einen zweiten
in der Person des Hr. Stedtmann gehabt, mit dessen Einzug das begonnene Unheil fortgesetzt wurde. Und war nicht Hr. Wrangel auch ein Central-Commissär?
Kaum ist das edle Brüderpaar Welker-Mosle in Olmütz eingekehrt und an kaiserlicher Tafel abgefüttert, so bricht gegen Oesterreich's Hauptstadt der contrerevolutionäre Sturm los und Gräuel
vollenden sich, wie sie seit Jahrhunderten nicht mehr vorgefallen.
Brutus-Bassermann etc. erscheinen in Potsdam und Berlin als Reichskommissäre, und ihnen folgt die „wilde Jagd“ der Wrangel'schen Heerschaaren auf die Nationalversammlung, ihnen
folgen alle jene Gewaltthaten gegen die Habeas-Corpus-Acte, gegen Preßfreiheit und Vereinsrecht, mit denen die preußische Contrerevolution ihren Einzug in Berlin feierte.
Als nun gar der „Edle“ von Gagern eine Reichssendung nach Berlin überkam, da konnte es wohl Wenigen zweifelhaft sein, daß noch Aergeres bevorstünde. Und in der That zeigte es sich,
daß er als Vorbote des letzten Gewaltstreiches der Potsdamer Kamarilla und ihrer Partei auftrat. Seine „kühnen Griffe“ fanden in Potsdam gelehrige Schüler. Der Potsdamer
„Griff“ bestand in Fortjagung der Nationalversammlung und Herstellung der Gottesgnadenwirthschaft durch Octroyirung einer Charte, das heißt, durch Verletzung der feierlichsten
Erklärungen und Verheißungen.
Der „Edle“ konnte beruhigt nach Hause reisen; er hatte die Funktionen eines Reichs-„Todeskäuzchens“ genügend erfüllt.
Aber bald ruft ein anderes „Todeskäuzchen“, und diesmal gilt es der Centralohnmacht selbst mit sammt ihren „kühnen Griffen.“
@xml:id | #ar165_003 |
@type | jArticle |
@facs | 0881 |
[
*
] Berlin, 7. Dez.
Sämmtliche hier noch anwesende Oppositionsmitglieder der Nationalversammlung begaben sich heute Morgen nach Brandenburg. Unter dem Vorsitz des Präsidenten Unruh werden die versammelten Abgeordneten
im Saale des Kasino eine Privatberathung abhalten und eine gemeinschaftliche Protestation gegen die letzten Schritte der Krone erlassen. Im Falle sich 202 Mitglieder zu dieser Versammlung eingefunden,
wird dieser Protest als von einer beschlußfähigen und ordentlichen Sitzung der Nationalversammlung ausgegangen, anzusehen sein.
Einige Blätter hatten gestern zu einer allgemeinen Illumination, als Feier der Publizirung der Verfassung aufgefordert. Mit Genugthuung können wir berichten, daß dieser Aufforderung nur sehr wenige
nachkamen. Dies mag als Beweis dienen, wie richtig das Volk von Berlin die Octroyirung der Verfassung beurtheilt.
Die Ausweisungen Seitens der Polizei nehmen täglich zu. Der aus dem Preßprozesse über den „republikanischen Katechismus“ bekannte Dr. Bader ist heute ausgewiesen. Die Ausgewiesenen
verlieren überdem bei der bevorstehenden Wahl alle politischen Rechte, da bekanntlich zu deren Ausübung ein Aufenthalt von sechs Monaten an einem Orte gehört.
@xml:id | #ar165_004 |
@type | jArticle |
@facs | 0881 |
[
*
] Berlin, den 7. Decbr.
Ein hiesiges Blatt berichtet, daß die baierische Regierung in einer an das preuß. Cabinet gerichteten Note gegen ein etwa beabsichtigtes deutsches Kaiserthum protestirt habe.
@xml:id | #ar165_005 |
@type | jArticle |
@facs | 0881 |
[
27
] Breslau, 7. Dezbr.
Aus der Nähe von Kreuzburg sind Berichte hieher gelangt, nach denen es auf einigen Dörfern zu wahrhaft galizischen Scenen gekommen ist. Die zusammengerotteten Bauern stürmten das Schloß
eines Gutsbesitzers, dem sie Alles demolirten. Ein zweiter Gutsherr wurde durch einen Axthieb in den Kopf zu Boden gestreckt. Der Kirchvater, der sich dem Sturmläuten widersetzen wollte, erfuhr
bedeutende Mißhandlungen. Die Bauern hatten zwar alle nach der Kreisstadt führenden Wege besetzt, um das Heranziehen von Militär zu verhindern. Trotzdem gelang es einem Gutsherrn, die Nachricht von
den Vorfällen nach Kreuzburg zu befördern, von wo denn auch noch mitten in der Nacht Militär auf Wagen nach den im Aufstand befindlichen Dörfern abgesandt wurde. Die Wuth der Bauern ist besonders in
der letzten Zeit aufs Höchste gestiegen, da sie merken, daß der Adel wieder seinen hochmüthigen Ton anstimmt, der schwerste Theil der Feudallasten ihnen auf dem Halse bleiben oder zum Vortheil der
gnädigen Herren abgelöst und so ziemlich die alte Wirthschaft „von Gottes Gnaden“ wieder eingerichtet werden soll.
@xml:id | #ar165_006 |
@type | jArticle |
@facs | 0881 |
Glatz, 4. Dez.
Am 2. d. M. wurde an die hiesige Kommandantur ein ungarischer Husar durch einen Neuroder Gränzaufseher, der ihn in Roth-Waltersdorf aufgegriffen hat, abgeliefert. Des unglücklichen Husaren Pferd
war gefallen und verwundet, wodurch er von seinen Kameraden, deren etwa 70 auf preußisches Gebiet gekommen waren, zurückgeblieben war. Die erwähnten Husaren sind nach einem Gerüchte in der Nähe von
Ottmachau durch ein Detachement preußischer Soldaten aufgehoben, und nach Neisse gebracht worden, nach einem andern Gerüchte aber glücklich wieder über die östreichisch-schlesische Gränze gekommen. So
viel ist gewiß, daß sie nach Troppau wollten.
@xml:id | #ar165_007 |
@type | jArticle |
@facs | 0881 |
Rosenberg, 4. Dezbr.
Ein armer Bauer von der gräflich Renard'schen Herrschaft, der in den herrschaftlichen Forsten nach Holz gegangen, und dessen Axt — sein einziger Reichthum — von einem Förster
gepfändet worden war, zog in Begleitung mehrerer Dorfbewohner vor die Wohnung des gedachten Försters, um sein
[0882]
Eigenthum zurückzuverlangen. Er erhielt dagegen von einem hier stationirten Jäger mehrere Stichwunden, und von einem andern Jäger einen Schuß ins Bein, in Folge dessen er den Geist aufgab. Der
Verstorbene hinterläßt eine Wittwe nebst 5 unerzogenen Waisen, und wird als ein sonst ordentticher und rechtlicher Mann bedauert. Die Folge dieses traurigen Vorfalls sollen arge Demonstrationen auf
gedachter Herrschaft sein, zu deren Dämpfung noch gestern Abend spät Militär aus der Kreisstadt herbeigeholt wurde.
[(Telegr.)]
@xml:id | #ar165_008 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
Stettin, 4. Dez.
Zur Vervollständigung unsern Berichts vom 27. über gewisse Vorfälle in Colberg, in Folge deren eine Untersuchung gegen Militärs eingeleitet wäre, theilen wir heute Nachstehendes mit. An einem in
Colberg bestehenden Vereine: zur Wahrung der Volksrechte, betheiligten sich außer den Lieutenants v. Duecker, v. Menz, dem Regimentsarzte Grunow, dem Assistenzarzte Schmitz, auch der Oberfeuerwerker
Fenz, der Feuerwerker Westphal und mehrere andere Artilleristen. Der Lieutenant von Duecker, welcher einst wegen Betheiligung an der Anneke'schen Angelegenheit nach Stettin und später nach
Colberg versetzt wurde, war Präsident jenes Vereins. Nach Ausbruch des Konfliktes zwischen der Krone und der Nationalversammlung erklärte sich der Verein für die Nationalversammlung in einer Adresse,
in welcher unter andern die Stelle vorkam, daß man die Versammlung nöthigenfalls mit Gut und Blut unterstützen wolle. Der Lieutenant v. Duecker nahm außerdem noch thätigen Antheil an einer
Versammlung, die auf einem Dorfe in der Nahe von Colberg stattfand. Mehrere Bürger Colberg's, welche die Thätigkeit des ganzen Vereins und namentlich die Theilnahme der obengenannten und
bezeichneten Männer mit dem größten Mißtrauen und Argwohn betrachtet hatten, denuncirten darauf in einem nach Berlin gesandten Schreiben obige Data mit weitern Angaben, worauf das hiesige
General-Kommando auf eine scharfe Weise mit weitern Anweisungen von den Vorgängen in Colberg in Kenntniß gesetzt wurde. Der Major Schach v. Wittenau eilte von Stettin sogleich nach der gedachten
Festung, wo auch der frühere General-Adjutant des Königs, v. Brühl, eingetroffen war. Den erkrankten General v. Ledebur, welcher die Militärs in Ausübung der ihnen zustehenden staatsbürgerlichen
Rechte als Ehrenmann nicht rechtzeitig gestört hatte, suspendirte man vom Amte und verabschiedete ihn darauf. Obwohl nichts weiter vorlag, als daß die genannten Männer als Mitglieder eines Vereins
sich in einer Adresse für die Nationalversammlung erklärt hatten (einzelne Militärs waren nicht einmal bei der Abfassung zugegen gewesen), so drang man mehrfach in den Auditeur Stolberg, bei allen
denuncirten Personen sogleich Haussuchungen vorzunehmen. Obwohl Hr. Stolberg anfänglich erklärte, daß Nichts zu einem solchen Schritte vorläge, so wurde doch, um Allen Genüge zu thun, die Haussuchung
ohne weiteres Resultat veranstaltet, die Vollziehung eines Verhaftsbefehles lehnte aber Herr Stolberg trotz wiederholten Dringens als ungesetzlich ab.
Man hätte nach dem wirklich kindischen Eifer gewisser Männer glauben müssen, das Vaterland sei in Gefahr, und die jungfräuliche Festung auf dem Punkte, Pommer'schen Demokraten ohne
Belagerung in die Hände zu fallen. Inzwischen sprengte man das Gerücht aus: von einem Oberfeuerwerker und einem Feuerwerker seien mehrere tausend Patronen in der Stille angefertigt, um für die Zwecke
der Nationalversammlung verwandt zu werden, und die bleiche, unmännliche Furcht lieh auch den abgeschmacktesten Gerüchten ihr williges Ohr. Der Lieutenant v. Duecker, welcher bereits nach Stralsund
versetzt war, wurde gefänglich eingezogen, nach Colberg transportirt und von dort nach unserer Stadt gebracht, wo er sich jetzt als Patient in einem Zimmer des Militär-Lazarethes befindet. Herr v.
Duecker stand hier früher in Garnison, war Mitglied des Nordklubs und wir lernten denselben als einen gebildeten, anspruchslosen Mann hochschätzen. Außerdem erhielten der Oberfeuerwerker Fenz und der
Feuerwerker Westphal Ordre, sich nach Stettin zu begeben; dieselben befinden sich zwar in Untersuchung, jedoch thnn dieselben als Unteroffiziere bei der 2. Kompagnie Dienste. Der Regimentsarzt Grunow,
der Assistenzarzt Schmitz und der Lieutenant von Menz bekamen später Befehl, sich auch hierher zu verfügen, wo ihnen weitere Quartiere angewiesen werden würden. Diese Herren trafen gestern am 3. hier
ein, befinden sich jedoch noch auf freiem Fuße.
Wir halten es für angemessen, der Untersuchung und der Entscheidung des Richters durch Mittheilung unseres Urtheils über diese ganze Angelegenheit nicht vorzugreifen; nach den uns zugegangenen
Daten liegt jedoch gegen die zur Untersuchung gezogenen Männer Nichts weiter vor, als daß sie von ihren staatsbürgerlichen Ehrenrechten, dem Rechte der Association Gebrauch gemacht und ihre
Parteinahme für die treugebliebenen Abgeordneten, an deren Wahl bekanntlich auch Militärs Theil nahmen, ausgesprochen haben.
[(Ostf.-Z.)]
@xml:id | #ar165_009 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
Rheden, 30. Nov.
Der Landrath des Kreises Stuben, Graf Rittberg, wohnhaft in Stangenberg, sammelte im Dorfe Tiefensee Unterschriften mit der Frage: Wollt Ihr preußisch oder polnisch sein? Die Bauern erklärten sich
natürlich Alle, preußisch bleiben zu wollen und unterzeichneten — ohne Zweifel die Petition um Verlegung der Nationalversammlung nach Brandenburg. Wie verlautet, soll der Herr Landrath so im
ganzen Kreise herumgefahren sein.
Den Kreisblättern werden überall Erklärungen der Rechten der Nationalversammlung, Baumstarks und Konsorten, die Rede des Wilhelm Jordan in der Frankfurter Versammlung u. s. w. hinzugefügt und an
die Schulzen versandt. Der Landrath des Graudenzer Kreises, Hr. Brauns, ersuchte vor einigen Tagen einen Graudenzer Buchdrucker, denen, die ihn nach der Ursache dieser wunderbaren Maßregel fragen
möchten, zu erklären, daß dies nicht aus seinem, des Herrn Landraths eigenem Antriebe, sondern auf höhere Weisung geschehe. Da nun aber die Regierung in Marienwerder sich für die Nationalversammlung
erklärt hat und daher gewiß nicht an solchen Umtrieben Schuld ist, so muß der Befehl dazu doch wohl direkt vom Ministerium ausgegangen sein.
[(Ostf.-Z.)]
@xml:id | #ar165_010 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
[
121
] Wien, 5. Dez.
Beim Empfang dieses werden Ihnen die Urkunden, welche die neuesten Manöver der Frau Sophie enthalten, bereits bekannt geworden sein. Kaiser Ferdinand I. wird abgesetzt. Sophiens pantoffelgedrückter
Gemahl muß entsagen, damit Sophie selber in der Gestalt ihres ältesten Jungen den Thron der Gesammtmonarchie besteigt, sofort das konstitutionelle Puppenspiel zum Teufel wirft, um nach alter Weise
wieder „von Gottes Gnaden“ nicht sowohl zu den Völkern Oesterreich's als zu den geliebten Herrn Windischgrätz und Jellachich, und deren Armeen hochtriumphirend zu reden. Das ist
der wahre Inhalt der Olmützer Kamarilla-Sauce aus Sophiens Küche. Der Küchenjunge Stadion und die beiden Leibhusaren Windischgrätz und Jelachich haben zu der Hexenbrühe bedeutend mitgeholfen. Aber
Jelachich hat sich dabei doch schon die Finger verbrannt, und ist, damit seine unbequemen Forderungen besser verhallen, zum Civil- und Militärgouverneur von Dalmatien und Fiume ernannt worden. Den
Titel „Banus von Kroatien“ hat man ihm freilich gelassen, aber die Gewalt gehört dem Windischgrätz. Läßt Jelachich sich dieses Spiel gefallen, so ist er ein Verräther an seinen Kroaten
geworden, oder, was glaubliger, von jeher gewesen.
Kaiser Ferdinand wurde mit dem Titel „der Gütige“ nach Prag in Pension gethan, und das ganze Gericht dann dem Reichstag, und nebenbei den Völkern als „welthistorisches
Ereigniß“ von dem „starken“ Ministerium und den standrechtlichen Zeitungen vorgesetzt. Dies ist der richtige Gesichtspunkt, unter welchem die Olmützer Klüngelei geschehen; ja, es
ist eine Thatsache, die kein Eingeweihter leugnet, die ich von Eingeweihten selbst gehört habe.
Damit das Volk wegen des weggeworfenen Kaisertitels „konstitutionell“ nicht erschrecke, hat das ministerielle Blatt, der „Lloyd,“ den Auftrag erhalten, es darüber zu
belehren, und es entledigt sich denn auch in seiner heutigen Nummer zur Freude aller „von Gottes Gnaden“ Wohlgesinnten dieses Auftrags vortrefflich. Nachdem „Lloyd“ nämlich
tüchtig über die Menschen geschimpft, welche „Monarchen und Fürsten zu ihren Kreaturen“ hätten machen wollen, und die konstitutionell gesinnten guten Oesterreicher versichert hat, auch
die konstitutionellen Monarchen Großbritaniens nennten sich von Gottes Gnaden, beruhigt er sie zum Schluß vollends damit, daß er sagt: „Sollten die Völker der österreichischen Monarchie irgend
einen Grund zur Unzufriedenheit zu haben vermeinen, weil der Monarch heutigen Tag's sich so nennt, wie Marie Therese, wie Joseph der Zweite (wie pfiffig, Sophie und ihren Sohn mit einer solchen
Anspielung zu beglücken!) und Andere seiner Ahnen sich vor ihm genannt haben, so steht es ihren Vertretern frei (unter dem Schutze des Standrechts!), einen Gesetzvorschlag zur Abänderung der Titulatur
zu machen etc.“ — Uebersehen Sie auch nicht, daß in der Thronbesteigungsurkunde von Sophiens Sohn nur von der „Theilnahme der Volksvertreter an der Gesetzgebung“ die Rede
ist; also nicht einmal „Vereinbarung,“ geschweige souveräne Konstituirung.
Da die Wiener nicht sprechen dürfen, so habe ich noch wenig über den Eindruck zu vermelden, den dieser neue Kamarillasieg auf sie macht. Die schwarzgelben Bremsen summen natürlich lustig darein.
Das Volk aber sagt: „Kaiser ist Kaiser!“ Es fühlt sich ganz besonders indignirt, daß in dem Manifeste des neuen Kaisers auch nicht ein versöhnendes Wort vorkommt, und auch der
pensionirte Kaiser nur unter Verwünschungen geschieden ist. Am 16. soll Franz Joseph nebst Mama hier eintreffen; ich bin begierig, ob die Huldigung unter dem Standrecht und unter dem
Belagerungszustand stattfinden wird.
Windischgrätz soll in einer Privatgesellschaft geäußert haben, er möchte eine Million geben, wenn er Blum und Messenhauser nicht hätte erschießen lassen. Er läßt alle Redaktionen ersuchen, diese
Erklärung in ihren Spalten aufzunehmen. Die Armee steht in drei Treffen gegen Ungarn aufgestellt, es wird aber erst angegriffen, wenn das kaiserliche Thronwechselspiel bekannt gemacht worden.
Die Zeitungen fahren fort, die auswärtigen, namentlich die deutschen Verhältnisse in ihrer niederträchtigen Weise darzustellen, und mit ihrem Geifer zu besudeln.
Die Börse läßt sich von den Thaten des starken Ministeriums und der starken Frau Sophie nicht irre machen; sie macht fast keine Geschäfte, und bezahlt Gold mit beinahe 16%, Silber mit 8%.
Die standrechtlichen Zeitungen geben sich umsonst alle Mühe, diesen Status zu beschönigen und dem Volke vorzumachen, Künste, Wissenschaften, Handel und Wandel begännen wieder zu blühen; die
Wahrheit kriecht immer wieder hervor.
Man hat das Gerücht verbreitet, Frau Sophie sei, um allen Schein zu vermeiden, mit ihrem Gemahl nach München abgereist. Glauben Sie es nicht, und wenn es wahr wäre, so würde es nur eine neue Farce
sein.
@xml:id | #ar165_011 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
[
*
] Wien, 5. Dezember.
Dem Punch, einem illustrirten Scherzblatt, das von dem Marschall des Concession die Erscheinens erhalten, ist diese vom Gouverneur sogleich bei der ersten Nummer wieder entzogen worden, weil das
Plakat, welches an den Straßenecken zur Pränumeration einlud, nicht der Militärkommission vorgelegt war. Der Gouverneur bedeutete dem Redakteur, er werde durchaus kein Scherzblatt dulden, so lange er
etwas dreinzureden habe. — Der Gesangsverein soll vom Gouverneur mit dem Gesuche, wieder singen zu dürfen, abgewiesen worden seyn. Es wäre schon gut, daß die Wiener eine Zeit lang trauern, sie
brauchen keinen Gesang! — Die Gymnasien sind gestern eröffnet worden. Alle andern Lehranstalten sind noch geschlossen, und ist vor der Hand kein Absehen, daß sie geöffnet werden.
@xml:id | #ar165_012 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
[
*
]Wien, 3. Dez.
Wie die Kamarilla und ihre „schwarz-gelbe“ Partei den Sieg auszubeuten wissen, mögen Sie aus folgendem entnehmen.
Das Theresianum (eine exklusiv-adlige Studien-Anstalt), welche vom Reichstage bereits aufgehoben worden, ist seit vorgestern wieder eröffnet. Was hingegen die zweite Lycealklasse betrifft, deren
Eröffnung vom Unterrichtsminister bewilligt worden, so hat sie Hr. Welden (Gouverneur von Wien) für auch fernerhin geschlossen erklärt. Natürlich, denn diese Klasse nähert sich in ihren Studien der
Universität.
@xml:id | #ar165_013 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
[
*
] Wien, 3. Dez.
Man will die Abdankung des Kaisers mit einer friedlichen Ansgleichung in Ungarn vereinigen, die unter dem bisherigen Kaiser wohl nimmer zu Stande gekommen wäre, nachdem dieselben für Rebellen
erklärt worden waren. Allein erwägt man auf der andern Seite, daß in Folge eines stattgefundenen Scharmützels, in dem die Ungarn Sieger geblieben waren, seit zwei Tagen 6000 Mann auf der Nordbahn
fortgeschafft wurden, und zwar so eilig, daß sogar die Güterzüge ausgeladen wurden, um Militär aufzunehmen, so folgen daraus Schlüsse, die der friedlichen Ausgleichung mit Ungarn
widersprechen.
@xml:id | #ar165_014 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
Ollmütz, 2. Dezember.
Der serbischen Deputation sind alle ihre Forderungen bewilligt. Die Wojwodschaft ist bestätigt. Ich möchte wissen, was Rußland für diese Nachricht zahlt!
Mit den Ungarn sind Unterhandlungen angeknüpft worden. Der bekannte Bischof Lonovics ist heute Nachts hier angekommen.
@xml:id | #ar165_015 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
[
*
] Schwerin, 3. Dez.
Der Generalmajor und Brigadekommandeur v. Elderhorst hat vor einigen Tagen folgenden Brigadebefehl erlassen: „Vorkommenheiten veranlassen mich, dem Militär die Betheiligung an politischen
Vereinen und Versammlungen hiemit bis zur Einführung der desfallsigen in Aussicht stehenden reichskriegsgesetzlichen Bestimmungen zu untersagen.“ Marcus beantragte nun die Aufhebung des Befehls
und stützte sich bei Motivirung seines Antrages vornämlich darauf, daß der Großherzog in seiner Proklamation vom 23. März allen Mecklenburgern das Associationsrecht zugesagt habe, und daß demnach der
Befehl des Generals v. Elderhorst ein Eingriff in das allgemeine Vereinsrecht sei. Es wurde der Marcus'sche Antrag mit 69 gegen 20 Stimmen vom Landtag angenommen.
@xml:id | #ar165_016 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
[
*
] Cöthen, den 4. Decbr.
In der heutigen Landtagssitzung kam die Berathung über den Jagdpolizei-Gesetzentwurf an die Reihe. Dieser Entwurf, von dem Ministerium in Gemeinschaft mit einer Commission des Landtags
ausgearbeitet, bestimmt, (§. 4.) daß der Jagdberechtigte (Grundeigenthümer) nur dann zur wirklichen Ausübung seines Rechtes soll gelangen dürfen, wenn er einen Grundbesitz von mindestens 300 Morgen
bei einander nachweisen könne. Darüber entstand ein außerordentlich hartnäckiger Kampf. Minister Habicht fragte, ob, wenn die Anträge der Linken angenommen werden, auch der Staat und der Herzog als
Mitglied der Communen behandelt werden, also ihm die selbstständige Ausübung des Jagdrechtes entzogen werden solle? und da ihm Wolter entgegnet: „Ja, der Herzog solle dieser Ehre theilhaftig
werden,“ erklärt er: „Für diesen Fall würde der Herzog schwerlich die Sanktion des Beschlusses ertheilen.“ (Der Herzog ist ein großer Jagdfreund.) Allein dies erschütterte die
außerordentlich compacte Majorität nicht; bei der Abstimmung ward der §. 4. verworfen. — Das Ministerium hat in dieser Sitzung eine vollständige Niederlage erlitten.
@xml:id | #ar165_017 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
Hildburghausen, 4. Dez.
Selbst die früheren schrecklichen Kriegszeiten sind nicht so hart und drückend für die Stadt Hildburghausen gewesen, als die jetzige Einquartierung der Reichstruppen. Denn seit dem 11. Okt. liegen
fortwährend starke Korps hier, zuerst Baiern mit Geschütz, dann Sachsen mit Infanterie, Kavallerie und Artillerie, nebst dem Generalstab, und nun, da heute diese abziehen und nach Gotha und Arnstadt
marschiren, ziehen sofort wieder 450 Weimaraner ein und in manchem einzelnen Hause liegen vier und mehr Mann oder mehrere Offiziere, da der Kommandeur die Kaserne nicht will beziehen lassen. Viele
Unbemittelten müssen ihren schmalen Bissen noch mit Soldaten theilen; auch die größten Reichssteuern waren nicht so drückend, und noch ist kein Ende abzusehen.
[(Dorfz.)]
@xml:id | #ar165_018 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
[
*
] Kassel, 6. Decbr.
Die „Kass.-Zeit.“ enthält folgende Mittheilung:
Aus Newyork ist, mittelst Schreiben an den nordamerikanischen Konsul für Kurhessen, Hr. Grabe, welcher bekanntlich als Gesandter der Union bei der Reichs-Centralgewalt fungirt, die amtliche
Benachrichtigung eingetroffen, daß der Marine-Offizier von dem Range eines Kommodore, welcher die technische Leitung des deutschen Seewesens übernehmen wird, die Reise nach Europa mit dem ersten von
dort abgehenden Dampfschiffe anzutreten gedenkt. Derselbe darf daher schon in nächstkünftiger Woche zu Frankfurt erwartet werden.
@xml:id | #ar165_019 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
Stuttgart, 5. Decbr.
Kürzlich gelangte von Frankfurt her das Gerücht zu uns, die Central-Behörde der Reichsohnmacht beabsichtige den ehemaligen würtembergischen Geschäftsträger in Paris und in London, Baron v.
Hügel, Sohn des ehemaligen Kriegsministers und Bruder des Stallmeisters in gleicher Eigenschaft bei den neuen deutschen Diplomaten zu benützen. Eine Anstellung dieses raffinirten Ultra war ein
Beweis mehr, wie erbärmlich die Motive sind, welche die Frankfurter Camarillaleiter haben und wie der sogenannte Minister der auswärtigen Angelegenheiten Herr von Schmerling ein gefügiges Werkzeug der
frechsten Reaktion ist, denn bekanntlich war Herr von Hügel in Paris und London als würtembergischer Legationsrath angestellt, nicht blos ein dem Könige blind ergebenes Instrument, sondern derselbe
war zugleich ein Kavalier im Solde Metternichs und diente dem österreichischen Staatskanzler, so wie dem österreichischen Gesandten Grafen Appony zu allerlei geheimen Diensten. In Paris sind ja nach
der Revolution hierüber bei den vorgefundenen Notizen über die in Paris befindlichen offiziellen und geheimen Agenten der fremden Mächte die bestimmtesten Belege gefunden worden, und in London fuhr
Herr v. Hügel, der zugleich eine reiche Prinzessin heirathete, fort, eine besondere Besoldung vom Fürsten zu beziehen.
Uebrigens würde sich ein solcher Charakter ganz zu dem Personal der Frankfurter Camarilla passen, denn in kleinen wie in großen Dingen liegt dort verübter Volksverrath offen zu Tage.
[(M.
A.-Z.)]
@xml:id | #ar165_020 |
@type | jArticle |
@facs | 0882 |
[
!!!
] Frankfurt, 7. Dezember.
Sitzung der National-Versammlung.
Tagesordnung:
2te Lesung der Grundrechte fortgesetzt. Dr. Schrieber aus Görlitz (der ein sehr bedeutendes Mißtrauensvotum erhielt) tritt aus.
§. 8. (Art. III.) wird ziemlich unverändert nach der ersten Fassung angenommen; blos in folgendem Punkte trat eine Veränderung ein, indem er jetzt lautet:
„Im Falle einer
widerrechtlich verfügten oder verlängerten Gefangenschaft ist der Schuldige und nöthigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und Entschädigung verpflichtet.“
Ferner nahm man folgenden Zusatz an:
„Die für das Heer- und Seewesen erforderlichen Modifikationen dieser Bestimmungen werden besondern Gesetzen vorbehalten.“ (Dieser Punkt ist
neu; die Linke stimmte dagegen.)
§. 9.
Zu diesem Paragraphen sind viele Veränderungen vorgeschlagen, z. B. wird folgendes Amendement gestellt:
„Die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung
sind abgeschafft.“
(Osterrath, Bassermann, Beseler, Plathner, Briegleb etc.)
Diese Herren wollen demnach die „Todesstrafe“ beibehalten.
Es wird über Abschaffung der Todesstrafe namentlich abgestimmt und dieselbe mit 256 Stimmen gegen 172 abgeschafft. (Also mit 84 Stimmen Majorität.)
Herr Schneer, der für Beibehaltung der Todesstrafe gestimmt hatte, erklärt jetzt zu Protokoll, daß er mit gewissen Ausnahmen gegen die Todesstrafe ist. — Herr Schneer vermuthete nicht, daß
eine Majorität von 84 herauskommen würde.
Der Minoritäts-Antrag des Verfassungs-Ausschusses:
„Die Todesstrafe, ausgenommen in den Fällen, wo in Zeiten des Krieges mit auswärtigen Mächten das Kriegsrecht sie vorschreibt, ist
abgeschafft.“
wird mit 283 Stimmen gegen 155 verworfen.
Ebenso wurde folgender Antrag von Wigard und Schreiner:
„Kein Ort in Deutschland darf, ausgenommen in Fällen des Krieges mit auswärtigen Staaten, in Belagerungszustand versetzt
werden; das Standrecht findet nur Anwendung in Zeiten des Krieges mit auswärtigen Staaten für die Fälle, wo das Kriegsrecht es vorschreibt“
verworfen.
§ 9 lautet schließlich so:
„Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt oder das Seerecht im Fall von Meutereien sie zuläßt, sowie die Strafen des Prangers, der
Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung sind abgeschafft.“
Die Strafe der öffentlichen Arbeit in Eisen, ebenso die der bürgerlichen Ehrlosigkeit wurden beibehalten. — (Die Linke strengte sich fruchtlos an.)
Ueber die Frage der Zulässigkeit des Belagerungszustandes fand eine kurze Diskussion statt.
Wigard nennt es eine eigenthümliche Ironie des Schicksals, daß über diese Frage nach den Märzerrungenschaften diskutirt werden muß. — Während man vor dem März den Belagerungszustand
gar nicht kannte, wird jetzt nächstens ganz Deutschland unter dem Standrecht stehen.
(Schmerling geht lächelnd im Hause auf und ab.)
Ein Antrag von Makowizka: die Zulässigkeit des Belagerungszustandes durch ein Reichsgesetz zu bestimmen, ward ebenfalls mit 247 Stimmen gegen 194 verworfen.
Der definitiv angenommene §. 10 lautet:
„Die Wohnung ist unverletzlich.“
„Eine Haussuchung ist nur zulässig:
1) In Kraft eines richterlichen mit Gründen versehenen Befehls, welcher sofort oder innerhalb der nächsten 24 Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soll.
2) Im Fall der Verfolgung auf frischer That durch den gesetzlich berechtigten Beamten.
3) In den Fällen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet.“
„Die Haussuchung muß, wenn thunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen erfolgen.“
„Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein Hinderniß der Verhaftung eines gerichtlich Verfolgten.“
Die Fassung des § ist durchaus verändert, und (nach Beseler) „gemäßigt mehrere Amendements (von der Linken) z. B. eins von Wiesner: „Zur Nachtszeit keine Haussuchungen
zuzulassen“, kommen gar nicht zur Abstimmung.
Der §. 11 wird, wie folgt, angenommen:
„Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, außer bei einer Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Gründen
versehenen, Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nächsten 24 Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soll.“
[0883]
§. 12 lautet jetzt:
„Das Briefgeheimniß ist gewährleistet.“
„Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen.“
Ein zusätzlicher Paragraph von Mayfeld und anderen:
„Das Bestehen oder das Errichten einer geheimen Polizei zur Ueberwachung von politischen etc. ist
unzulässig,“
soll zur Abstimmung kommen, wird jedoch, wegen eines Formfehlers, für heut unterdrückt. Drechsler aus Rostock (ein sehr tüchtiges Mitglied von der Linken)
bemerkt: „M. H. um Zeitverlust und Streit zu verhüten, ziehen wir diesen Antrag für heut zurück, wir werden ihn aber seiner Zeit ganz gehörig und in aller Form wieder einbringen.“
(Allgemeine Heiterkeit.)
Die neue Fassung des §. 13 (Art. IV.) „Von der Preßfreiheit“, zeigt wiederum, wie weit wir selbst seit der ersten Lesung zurückgekrebst sind. Sie läßt im vorletzten Satz das Wort
„suspendirt“ weg, und schiebt hinter den Worten „in keiner Weise“ die Worte ein: „durch vorbeugende Maßregeln.“
Auf die Diskussion wird verzichtet, aber namentliche Abstimmung vorbehalten. Bei der Fragestellung erhebt sich d[i]esmal eine heftige Debatte. Nachdem durch den Präsidenten endlich [d]ie
Fragest[e]llung oktroyirt worden, und derselbe eine von der Linken vorgeschlag[e]ne Fragestellung in etwas zweifelhafter Art mit dem Worte: „unsinnig“ bezeichnet hat, wird noch arg
tumultuirt während der Zettelabstimmung selbst. — Zimmermann von Stuttgart wird zur Ordnung gerufen.
Schließlich erhält der §. 13 folgende Fassung:
„Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Preßfreiheit
darf unter keinen Umständen und in keiner Weise (!) durch vorbeugende Maßregeln (!), namentlich Censur, Conzessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des
Buchhandels, Postverbote oder andre Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden.“ — „Ueber Preßvergehen, welche von Amtswegen verfolgt
werden, wird durch Schwurgerichte geurtheilt. — Ein Preßgesetz wird vom Reich erlassen werden.“
Der Zusatz „durch vorbeugende Maßregeln“ wurde angenommen mit 338 Stimmen gegen 67
Dieser Abstimmung folgen protestirnde Erklärungen. Sehr viele Mitglieder der Linken haben nicht mitgestimmt wegen der unpassenden Fragestellung.
Das Wort „suspendirt“ wurde mit 263 Stimmen gegen 181 wieder aufgenommen.
Unter andern stimmten für den Wegfall des Wortes Brutus Bassermann, Beseler (ohne Fonds), Briegle[unleserlicher Text], Dahlmann, Jahn, Sauken, v. Soiron, Sommaruga, Waitz, Osterrath, Jordan von Marburg (Ah! Ah!) und
Veit.
Artikel 5.
§ 14 wird so angenommen:
„Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.“
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren. (Mit 226 Stimmen gegen 10 wieder angenommen).
Der zweite Satz des § 14 war in der modifizirten Fassung weggeblieben. Der Zusatz: „oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen,“ wurde mit 227 gegen 198 Stimmen
ausgemerzt.
Hierauf beschließt man die Vertagung.
Noch bringt Wesendonk den dringlichen Antrag:
„Die Auflösung der preußischen National-Versammlung und die Oktroyirung einer Verfassung für Preußen (welche am 5. d. M. erfolgte)
für null und nichtig zu erklären.“
Der Antrag wird nach Wesendonks Wunsch dem s. g. Biedermannschen Ausschuß zur schleunigsten Berichtung übergeben.
Morgen Feiertag und keine Sitzung.
Sonnabend Erledigung einer großen Menge Berichte.
Schluß der Sitzung 1/2 4 Uhr.
@xml:id | #ar165_021 |
@type | jArticle |
@facs | 0883 |
[
*
] Frankfurt, 6. Dez.
Die zur Fraktion des „Augsburger Hofs“ gehörigen Abgeordneten haben einen Ausschuß zur Vorberathung wegen Wahl des künftigen Oberhauptes niedergesetzt und den mit ihnen im Kartell
stehenden Fraktionen Anzeige davon gemacht. Letztere sind dem Beispiel gefolgt. Es sollen auch noch andere Fraktionen zur Niedersetzung solcher Ausschüsse eingeladen werden.
Französische Republik.
@xml:id | #ar165_022 |
@type | jArticle |
@facs | 0883 |
[
12
] Paris, 7. Dez.
Warum die ganze Bewegung in Paris und in Frankreich sich an 2 oder 3 Namen knüpft? Wenn die Kinder das sogenannte Schlangenspiel spielen, dann stellen sie sich in einer ungeheuren Reihe auf, mit
ausgedehnten Armen und ineinandergeschlungenen Händen. Derjenige, welcher an der Spitze der Kette steht, bildet den „Kopf der Schlange“, dessen Schweif durch allmähliges Ansetzen sich
willkürlich verlängern kann. Der Kopf gibt die Richtung an, und die kleinste Bewegung, die er bildet, wiederholt sich am Schweife in unendlichen Kreisen, und mit solcher Schwungkraft, daß bei der
geringsten Lösung der Kette die hintersten Glieder weit über den ursprünglichen Raum hinausgeschleudert werden. In Frankreich bilden sich nunmehr 3 riesenhafte Schlangen, die jeden Tag riesenhafter
werden, und deren Zuckungen sich über den ganzen Boden Frankreichs erstrecken. Jede der Schlangen will die längste sein, und sucht immer mehr Menschen in seinem Schweif heranzuziehen, und wenn erst
die Schlangenköpfe sich zu rühren anfangen, dann werden von allen Seiten ihre langen Leiber über Frankreich hin in elektrische Schwingungen gerathen, und bei der geringsten Lösung der Kette werden die
Schweife fliegen weit über Frankreich hinaus in die fremden Staaten. Die Bewegung hat in diesem Augenblicke den wahren Charakter einer physischen Bewegung. In den verschiedenen Reihen herrscht ein
fieberhafter Eifer, die Ausdehnung in die Länge auf jede mögliche Weise zu befördern. Wir müssen also in jeder dieser Schlangenreihen unterscheiden den Kopf, den Schweif und die Mittelglieder. Die
Masse, welche in diesen Reihen den Schweif bildet, ist in allen dieselbe kompakte Masse, und aus fast gleichartigen Elementen zusammengesetzt. Sie ist unlösbar, und wird bei der geringsten Störung in
der Continuität der obern Theile ihre Schwingungen mit furchtbarer Kraft fühlen lassen. Den Kopf der ersten Schlange bildet Cavaignac; an ihn klammert sich Marrast und die ganze Clique des National,
hinter ihnen her das „goldene Kalb“ Rothschild in aufrechter Stellung, die eine Hand dem National reichend, und die andere den finanziellen Debats, mit der einen Pfote auf Cavaignac
gelehnt, mit der andern auf Bertin. Nach dem goldenen Kalbe kommen alle die silbernen Kälber, die Boutiquiers und Krämer, welche die „Ruhe und Ordnung“ um jeden Preis aufrecht erhalten;
dann alle diejenigen, welche noch „etwas Republik“, ein „klein Bischen“ Republik retten wollen, etc. Der Schweif der Schlange Cavaignac's besteht, wie immer, aus
Düpirten, aus Soldaten und Mobilgardisten, die es aufrichtig meinen, aus jungen Republikanern u. s. w.
Das Eigene „dieser Kette“ besteht darin, daß sie am kompaktesten gelöthet oben am Kopfe ist; daß die Hände hier krampfhaft in einander halten, und dasi Marrast um keinen Preis die
Hand Cavaignac's oder Rothschild's fahren lassen würde. Das umgekehrte Verhältniß findet bei der Kette Napoleon's statt: an der Spitze steht der ungeheure Hut, der früher der
kleine Hut genannt wurde; dann kommen die Männer mit den eingedrückten Hüten, Thiers, Bugeaud, Guizot, Girardin; dann kommen die Hüte mit den Federbüschen, die alten Generäle Louis Philipp's:
hier ist der Kopf nichts weniger als kompakt Kaum wird die Schlange ihre Bewegungen beginnen, so läßt Thiers die Hand Napoleon's fahren; aber ebenso schnell läßt Guizot die Hand Thiers, Thiers
die Hand Molé's, Molé die Hand Girardin's, Girardin die Hand Odilon-Barrot's fahren. Alle diese Köpfe mit den eingedrückten Hüten werden plötzlich getrennt vom Rumpfe stehen,
und alle Leitung verlieren über den Schweif, der aus Bauern mit nervigten Fäusten besteht, die fest ineinander geklammert halten
Keine Macht ist im Stande, die Bewegung zu bemeistern, sobald sie einmal nach abgelöstem Haupte dem über ganz Frankreich sich schlingenden Schweife mitgetheilt worden. Die dritte Reihe hat keinen
bestimmten Kandidaten an der Spitze. Man nennt zwar Ledru-Rollin, oder Raspail oder Barbes: aber man weiß, daß die beiden in Bincennes festgehalten sind, und wenn diese Namen genannt werden, so
geschieht es mehr des Prinzips, der Sache, als des Namens wegen. Die dritte Kette hat keinen Mann, keinen Namen, kein menschliches Wesen an der Spitze, sondern ein Gespenst, der blasse Hunger, das
schauderhafte Elend, und dahinter kommen alle die bleichen Gesichter, die auferstandenen Insurgenten, und bilden einen stillen Reihen, der sich durchschlängelt durch die beiden andern Ketten und neben
ihnen hin und hinter ihnen her den fürchterlichsten Tanz aufführt. Er tanzt und singt die Carmagnole und alle Erinnerungen steigen auf in die Gemüther der alten Franzosen; sie werden stumm und
lauschen des ersten Gesanges:
dansons la carmagnola
vive le son, vive le son
du canon!
Tanzt die Carmagnole, die gute alte Carmagnole. Tanzt, tanzt. Morgen beginnt ein anderer Tanz, ein neuer Tanz, der Tanz der Bachanten, wie er noch nie in Frankreich getanzt wurde.
Der Schlange soll das Haupt zertreten werden!
Kein Mittel der Verführung bleibt unversucht von beiden Seiten, um ihren Anhang zu vermehren. Die armen Köpfe mit oder ohne eingedrückte Hüte: sie denken nicht an die Schwungkraft des Schweifes.
Hundertmal geschieht es, daß ein Cavaignacscher den ganzen Rothschildschen Eisenzug in Beschlag nimmt, und die ganze Bahn mit Manifesten, Apologieen Cavaignac's besäet. Die Aufregung ist
unbeschreiblich. Der Sieg soll entschieden werden durch die Zahl, durch Zählen, durch die numerische Masse der Köpfe. Glaubt man durch das Zählen der Köpfe vermeiden zu können, daß man sich nicht bei
den Köpfen greift? Einzelne Duelle fallen jetzt schon vor zwischen den Anhängern Cavaignac's und Bonaparte's. Aber was liegt den Arbeitern und den bleichen Gesichtern daran? Für sie
handelt es sich blos darum, diese Feindseligkeiten zu benutzen. „Cavaignac oder Bonaparte,“ heißt es in den Klubs, „haben nichts mit uns gemein: für uns handelt es sich blos
darum, das Kapital zu tödten und der Arbeit zu ihrem Siege zu verhelfen. Wir haben Männer genug, die unsere Führer sein können. Wir wollen loosen, und wen das Loos trifft, dem wollen wir
dienen.“ Der Deputirte Joly vom Berge, der im Namen Ledru-Rollins sprach, sagte noch gestern im Klub vom Temple: „Nach den Wahlen wird man Eure Klubs schließen wollen; aber Ledru-Rollin
ist da; er will mit dem Volke das Kommunismusfest feiern; er wird Euch einen Klub eröffnen und wir wollen sehen, wer es wagen wird, in das eroberte Recht einzugreifen.“
@xml:id | #ar165_023 |
@type | jArticle |
@facs | 0883 |
Paris, 7. Dez.
Die Legitimisten und Philippisten (die Union, Constitutionnel und Presse) geben sich alle erdenkliche Mühe, zum Losschlagen zu stoßen; aber Cavaignac zeigt ihnen diesen Morgen im National in
folgender Weise die Zähne:
„Den bonapartistischen Abendblättern nach zu urtheilen, können wir uns heute auf einen schönen Putsch gefaßt machen. Das Schlagwort ist bereits auf der ganzen Linie ausgetheilt und man
möchte gar zu gern im Interesse des Hrn. Bonaparte die Mißstimmung ausbeuten, welche der Rückzug des Dekrets über die Nationalbelohnungen hervorgerufen. Aber mögen diejenigen, die auf einen Skandal
rechnen, der ihren Umtrieben nützlich sein könnte, auf ihrer Hut sein. Der Boden brennt unter ihren Füßen. Kennen sie nicht in ihren Reihen einen Mann, der heute um die höchste Nationalbelohnung
sollizitirt, welche das Land zu vertheilen im Stande? Wenn sie es vergessen haben sollten, so rufen wir ihnen ins Gedächtniß zurück: daß Hr. Louis Bonaparte „ihr Kandidat zur
Präsidentschaft,“ in Boulogne im Jahre 1840 in geringer Entfernung eine Pistole gegen einen französischen Offizier abschoß und obgleich er den Offizier fehlte, die Kugel dennoch ihr Ziel nicht
ganz vermied, indem ein Soldat des zweiten Gliedes, von ihr getroffen, niederstürzte. Diesem Unglücklichen hatte der kaiserliche Präsident den ganzen untern Theil des Gesichts (Kinnlade)
zerschmettert.“
— Der Moniteur enthält heute folgende mysteriöse Erklärung:
„Die ungegründetsten Nachrichten zirkulirten an der Börse und scheinen auf den Kurs der Fonds bösen Einfluß geübt zu haben. Erstens hieß es, der Pabst habe die ihm von der franz. Regierung
angebotene Gastfreundschaft geradezu verweigert. Nichts aber in allen Depeschen, welche die Regierung bisher empfing und die sie der Nat.-Vers. genau mittheilte, berechtigt zu einer solchen
Voraussetzung.
Ferner ist kein wahres Wort an der angeblichen Demission oder Absetzung des Oberkommandanten der Pariser Bürgerwehr, noch an den Gründen, welche man einer Versammlung des Generals Changarnier und
vieler Obersten beim Minister des Innern unterschiebt.“
Im Gegensatze zu obiger Widerlegung veröffentlicht der monarchische Constitutionnel folgenden Brief:
„Gaeta, 27. Novbr. Am Bord des Tenare.
Wir waren kaum an's Ufer gerückt, als der Kardinal Antonelli an unserm Bord erschien. Wir zeigten ihm an, daß wir auf höheren Befehl kämen, um uns zur Verfügung des heiligen Vaters zu
stellen und ihn nach Frankreich überzuschiffen. Diese Mittheilung schien im Kardinal großes Erstaunen zu verursachen. Er besann sich eine Weile und antwortete uns dann wörtlich: Seine Heiligkeit gab
niemals die Absicht zu erkennen, sich nach Frankreich zu begeben und sollte sie Italien verlassen, so würde sie sicher nicht einem Lande zueilen, das in voller Revolution ist und wo der Chef der
Exekutivgewalt Sohn eines Königsmörders (der Vater Cavaignacs stimmte bekanntlich für den Tod Ludwig XVI.) ist.“
Stellen Sie sich unser Erstaunen vor, als wir diese Worte hörten, die der Kardinal mit einem Ernst und einer Würde aussprach, die die Kirchenväter stets beobachten, wenn sie von Sr. Heiligkeit
reden. (Ohne Unterschrift.)
— Der Pabst soll Gaeta verlassen und sich nach Caserta oder Portici bei Neapel begeben haben.
— Der Marseiller Courrier vom 4. Dez. sagt, das italienische Geschwader (Brigade Molliere) habe sich allerdigs eingeschifft und sei abgefahren. Allein sie habe sich auf der Höhe von Endoume
(vor der Marseiller Rhede) aufgestellt und scheine dort noch Befehle abzuwarten. Seit gestern bemerkten die Fahrzeuge der Umgegend, daß die Fregatten unaufhörlich mit einander Signale wechselten.
Nachschrift. Ein Bataillon des 33. Regiments wird soeben wieder an's Land geschifft. Man zerbricht sich den Kopf über diese unvermuthete Landung. Die abenteuerlichsten Gerüchte sind
darüber in der Stadt im Umlauf.
— Die Patrie besteht auf ihrer Behauptung, daß Karl Albert vergiftet worden und noch bettlägerig sei. Nur der schnellen ärztlichen Hülfe sei es gelungen, den König vom sichern Tode zu
retten.
Wir bemerken, daß die „Patrie“ zu jener Legion reaktionärer Blätter gehört, welche alle möglichen Depeschen hervorzaubern, um die Demokratie, wozu sie sogar (hört, hört) seit Kurzem
Hr. Cavaignac und die gesammte Nationalpartei wieder zählt, anzuschwärzen.
— Strohwaaren (Hüte, Körbe und sonstige Strohflechtereien), die das Ausland nach Frankreich zu schicken pflegt, um dort geformt und vollendet zu werden, dann in ihr Ausland zurückgeführt
werden, aber dennoch einen nicht unbedeutenden Eingangszoll zahlen mußten, sind laut eines Erlasses im Moniteur von jetzt an frei herein und wieder heraus zu lassen. Dies ist den Gränzbehörden
angezeigt worden.
— Die Journale veröffentlichen heute zum großen Ergötzen des Pariser Publikums lange Listen derjenigen Personen, welche Nationalbelohnungen erhalten sollten.
Das Journal des Debats und die monarchische Union ringen die Hände, indem sie die Freunde, Wittwen und Waisen aller Königsmörder und Verschwörer seit 1820 in diesen Listen neben Marrast
erblicken!
— Unser päpstlicher Moniteur, der „Univers,“ sagt: „Wir waren im Voraus darauf gefaßt, daß die Marseiller-Expedition nichts weiter als diplomatischer Elektoralwind war.
Wie konnte man auch nur einen Augenblick glauben daß unsere Regierung gegen die römischen Demagogen zu Felde ziehen würde?!“
— Der Unterrichts und Kultusminister Freslon wird morgen aus Marseille zurückerwartet. Die französischen Kardinäle und Bischöfe, die sich bereits ebenfalls nach Marseille bemühten, haben die
Reise vergebens gemacht.
— Louis Napoleon Bonaparte schickte auf die Nachrichten von der Landung des Papstes in Marseille, seinen Vetter Peter dahin ab; um dem Papst seine Huldigung darzubringen.
— Aus Corsica ist abermals ein Bonaparte (Louis Lucian) in die Nationalversammlung getreten. Wir haben nun deren fünf (Louis, Peter, Jerôme, Lucian und Murat.)
— Der kleine „Moniteur“ bestätigte die von uns bereits am Sonntag gegebene Nachricht daß Brüssel definitiv zum italienischen Congresse auserkoren ist und Hr. von Toqueville die
französische Republik vertreten werde.
— Caussidière's „Memoiren“ sind erschienen. Den Auszügen nach zu urtheilen, welche die Pariser Blätter heute daraus geben, enthalten sie über die Ereignisse in Paris
vom 22. Febr. bis in die Nacht vom 26. August viel Neues.
National-Versammlung. Sitzung vom 7. Dezember. Vicepräsident Bixio eröffnet die Sitzung um 2 Uhr. Während einer der Schreiber das Protokoll vorliest, füllen sich alle Bänke. Man erwartet
interessante Aufschlüsse über die Liste derjenigen 6000 Individuen, welche bisher Staatspensionen als Nationalbelohnungen erhielten und worunter man die Maitressen Fieschi's und Alibauds an der
Seite des Herren Marrast und Felix Pyats erblickt. Kaum hat der Schreiber das Protokoll vollendet, so verlangt Senard das Wort.
Senard (tiefe Stille): Ich darf keinen Augenblick stillschweigen zu den Thatsachen, von denen gestern diese Bühne und heute die Presse wiederhallt. Ich war gestern nicht anwesend, als der
Minister des Innern einen Beschluß vorlegte, der ein Dekret zurückzieht, das sich über die Nationalbelohnungen ausspricht und von mir als damaligen Minister des Innern bewirkt wurde. Ich habe die
herbe Erklärung des Herrn Larochejaquelin gelesen, und wünsche, daß die Debatte hierüber fortgesetzt werde. Zunächst erkläre ich, daß ich durchaus keine Kenntniß von dem Inhalt der Listen hatte, auf
welche sich das Dekret vom 19. September bezog. Hätte ich den Inhalt der Papiere gekannt, welche den Antrag auf Nationalbelohn[u]ng begleitete, so würde ich jenes Dekret nicht erwirkt haben.
Meuchelmördern gebühren keine Nationalbelohnungen; eben so wenig entlassenen Sträflingen etc. Unsere Absicht war eine gute. Zu jeder Zeit setzte man Denjenigen Belohnungen, die sich für ein politische
Partei, deren Sieg sie erringen helfen, aufopferten. Die alten Bourbonen thaten dasselbe bei ihrer Rückkehr nach dem Sturz Napoleons, indem sie dem emigrirten Adel ein Milliarde auszahlten. Das Dekret
vom 19. Sept. beruhte übrigens auf einer Verordnung der provisorischen Regierung. Drei Kommissionen waren eingesetzt, sich mit Prüfung der Papiere zu beschäftigen. An der Spitze dieser Kommissionen
standen Albert, Guinard u. A. Alle drei Kommissionen operirten einzeln. Sie wurden am 5. Mai eingesetzt. Ihre Arbeit befindet sich heute in den Blättern. Die Gesammtzahl der ursprünglich
Eingeschriebenen betrug 7504, sie wurde auf ungefähr 4500 ermäßigt; die Unterstützungen und Geldsummen, welche bisher gezahlt wurden, geschahen nur provisorisch. Etwa 850,000 Fr. mochten noch in Kassa
sein, als mich die Präsidenten der Ausschüsse im Ministerium besuchten und mir ihre Dossiers überwiesen. Diese Dossiers waren in Abtheilungen gespalten, welche die Ueberschriften trugen, 1.
Februarkämpfer, 2. Februarverwundete, 3. politische Verurtheilte, 4. politische Gefangene.
Im Ganzen mochte es ungefähr 4-600 Hefte seinn. Ich überflog sie nur oberflüchlich und berichtete darüber im Ministerrathe. Es wurde beschlossen, im Sinne der provisorischen Regierung das
Septemberdekret auszuwirken. Dies ist geschehen, und daß ich nicht das leiseste Arge dabei dachte, geht aus meinem Antrage hervor, die sämmtlichen Aktenstücke der National-Versammlung mitzutheilen,
damit sie eine Kommission ernenne, die jede Pension prüfe und sie im Moniteur veröffentliche. Wie groß war daher mein Erstaunen, als ich bei näherer Kenntniß einsah, daß ich für Räuber, Mörder,
Galeerenslaven und Kebsweiber von Königsmördern jenes Dekret bewirkt hatte. Der jetzige Minister hat jenes Dekret vernichtet; er hat wohl daran gethan. (Aufregung folgt dieser Rede).
Guignard vertheidigt den in Vincennes sitzenden Albert. Habe etwa die Republik kein Recht, ihre Anhänger zu unterstützen? Zahlte die Monarchie nicht viel fettere Pensionen den Verdets, den
Mördern des Marschalls Brune. (Sturm zur Rechten.) Sie, Hr. Thiers, unter dessen Macht ich ins Gefängniß geworfen wurde, können uns mehr erzählen.
Thiers: Sie waren nicht mein Gefangener, sondern des Gesetzes.
Guignard: Gleich viel! In der Hauptsache füge ich noch bei, daß die Liste noch unvollendet war, und es ist befremdend, daß sie in einem solchen Zustande der National-Versammlung und der
Tagespresse mitgetheilt worden.
Dufaure (Minister) behauptet, daß alle Listen die Unterschriften der Ausschußpräsidenten und Sekretaire trügen. Der Minister vertheidigt seinen Vorgänger sehr geschickt. Man sieht, er will
den Rothen schaden.
Vignerte frägt, wer die Listen den Pariser Journalen mitgetheilt?
Cavaignac besteigt die Bühne. Er bedauert, diese Thatsachen von der Presse früher als von der Regierung selbst aufgeklärt zu sehen. Er läßt den Verdacht auf die Prüfungskommission fallen.
Diese scheint die ihm schmerzlichen Mittheilungen gemacht zu haben.
Baroche (Glied jener Kommission) verwahrt sich sehr feierlich gegen diesen Verdacht. Die Kommission beschäftige sich erst seit 3 Tagen mit diesem Gegenstande.
Cavaignac erläutert seine Aeußerungen und drückt wiederholt seinen Schmerz aus, den ihm diese Enthüllungen verursache.
Larochejacquelin antwortete: seine Absicht war, eine Enquete zu verlangen.
Montry fragt, ob die Mitglieder der Kommission den Journalen Pamphlets mitgetheilt hätten.
Tresneau (Mitglied der Kommission): Was man hier Pamphlets nennt, sind offizielle Aktenstücke. Es ist die Pflicht der Kammer, davon Kenntniß zu nehmen. (Nein! Nein!)
Dufaure: Keins der Aktenstücke, welche den Journalen mitgetheilt worden, ist aus der Liste über die Februarkämpfer entnommen worden. Die Regierung hatte keineswegs die Absicht, Belohnungen
für den Meuchelmord zu bewilligen. Man wollte an sogenannte Pensionäre des Chefs der exekutiven Gewalt durch diese unvollständige Mittheilung glauben machen. Man wollte blos damit der Kandidatur
Cavaignacs schaden.
Der Präsident: Montry verlangt eine Enquete über die Art und Weise wie die Aktenstücke den Journalen zugekommen sind.
Lacrosse verlangt, daß man zur Tagesordnung übergehe. Angenommen.
Die Sitzung ist aufgehoben.