Deutschland.
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*
] Köln, 5. Dezember.
Die Plakate der contrerevolutionären Partei fliegen aus der Decker'schen „Geheimen-Ober-Hofbuchdruckerei“ zu Hunderttausenden nach allen Gegenden des Landes hin. Die
Brandenburg-Manteuffel'sche Bureaukratie hat es mit ihrer Propaganda namentlich auf's Militär und das Landvolk abgesehen. Am eifrigsten wird das Traktätlein: „An das Volk“
mit der Anrede: „Bürger! Bauern! Preußen!“ verbreitet. Schaamloser, als in diesem Machwerk, ist wohl noch nie gelogen worden. Darin wird die Nationalversammlung, mit Ausnahme der
Getreuen auf der „Rechten“, auf's Schnödeste mit Koth beworfen. Nicht genug, daß sie sich „mit lauter Nebendingen“ (allerdigs sind Habeas-Corpus-Acte etc. vor den
Wrangel'schen Bajonetten weniger als Nebendinge geworden) abgegeben, nein, sie habe auch den König viermal beleidigt. Erstens, daß sie dem saubern Verfassungsentwurf, den Hr. Camphausen u.
Comp. ausgeheckt hatten, wenig Geschmack abgewinnen konnte; zweitens, daß sie vor dem Prinzen von Preußen, als er in seiner Eigenschaft als Abgeordneter in den Sitzungssaal trat, nicht auf die Knie
gefallen und unterthänigst erstorben ist; drittens, daß sie dem königlichen Titel die Worte „von Gottes Gnaden“ strich, und viertens, daß sie „Orden und
Ehrenzeichen“ für mindestens sehr überflüssiges Zeug erklärte. Das sind ihre 4 Cardinal-Sünden wider den heiligen Geist.
Die ärgste aber kommt gleich nach — Abschaffung des Adels. Diese Schandthat allein verdient blutige Rache. Zwar:
„Als Adam hackte, Eva spann,
Wo war denn da der Edelmann?“
Aber in einem christlich-gemanischen Staate den offiziellen Gebrauch von Adelstiteln mit sammt den Privilegien des Adels in die Rumpelkammer werfen: das ist ein unerhörtes Attentat; das fordert
Blut!
Das Brandenburg-Manteuffel'sche Traktätlein hebt dann die Kosten der Nationalversammlung hervor und schlägt sie auf 200,000 Rthlr. an. Zu bedauern ist, daß dieses Flugblättchen zu bemerken
vergißt, wie viel in der nämlichen Zeit der König von Preußen an Diäten aus den Taschen des Volkes bezogen hat. Denn die Paar Milliönchen, die er seit dem Zusammentritt der Nationalversammlung
verbraucht haben wird, sind gewiß nicht leichter aufzubringen gewesen, als jene 200,000 Rthlr. für die Deputirten. Bedenken wir ferner, wie viel Geld wir hergeben müssen, um die ungeheuren Kosten für
die täglichen Hin- und Hermärsche der Truppen, für die Mobilmachung der Landwehr etc. zu decken: so muß die Unverschämtheit bewundert werden, die auf jene 200,000 Rthlr. loshetzt, und die 50mal
größeren Summen für das Militär, ja allein für Spione, mit Stillschweigen übergeht. Die enormen Summen für's Militär bezahlen wir, nicht weil ein äußerer Feind abzuwehren, nicht weil das Land
zu vertheidigen ist, sondern damit wir vom Militär, wie in Schweidnitz, in übermüthiger Reaktionsbrutalität zusammengeschossen, in Coblenz, Düsseldorf, Trier etc. etc. mit Kolben traktirt und
niedergestoßen, überall in Belagerungszustand erklärt und trotz aller verheißenen Garantien und Freiheiten für vogelfrei erklärt werden.
Am Schluß jenes Traktätleins heißt es wörtlich:
„Verjagt, verhaftet die Aufwiegler! Unterdrückt die Lärmmacher! u. s. w.“
Daß dieses Lügenprodukt der preußischen Reaktion namentlich zur Einwirkung auf die Soldaten bestimmt ist, ergibt sich daraus, daß es in allen Kasernen des ganzen Landes, an das gesammte Militär
ohne Ausnahme, vertheilt wird.
In hiesiger Stadt wurden die Soldaten zum Lesen des albernen Machwerks förmlich kommandirt. Durch solche und ähnliche Schriften hofft man den Soldaten denjenigen Geist einzutrichtern, der allein
sie zu willigen Instrumenten gottbegnadeter Gewaltherrschaft befähigen und vor unliebsamen Freiheitsgedanken bewahren kann.
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] Köln, 6. Dezbr.
Kürzlich erwähnten wir der Loyalitätsadressen, die von Halleschen und Berliner Professoren an den König eingereicht worden. Wir haben heute zu melden, daß sich Hr. v. Raumer, Reichsgesandter in
partibus, zur Zeit bei Bastide und Cavaignac antichambrirend, der Professorenblamage durch eine Beitrittserklärung zu jener Adresse vollständig angeschlossen hat. Von einem Reichsgesandten, wie Hrn.
Raumer, war in der That nichts Anderes zu erwarten. Seine Erklärung scheint aber noch einen andern Grund zu haben. Hr. Raumer war seit Monaten in Deutschland verschollen. In seiner Sehnsucht, auf
irgend eine Art aus jener Verschollenheit erlöst zu werden, ergriff er begierig die ihm von seinen Berliner Mitbonzen gebotene Gelegenheit und besorgte schleunigst obgedachte Erklärung in die
Oeffentlichkeit. Jenes Raumer'sche Produkt findet sich in der neuesten Nummer des „Preußischen Staats-Anzeigers“ abgelagert.
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109
] Düsseldorf, 3. Dezember.
Heute Nachmittag wurde die 74jährige Greisin, welche bei den letzten Soldatenexzessen der Mordwuth zum Opfer fiel, von einer nicht allzubeträchtlichen Anzahl Bürger zu Grabe geleitet. Das Begräbniß
war äußerst einfach; nichts von dem pomphaften Gepränge, womit jener Dreizehner in den Augusttagen bestattet wurde. Herr Drigalski hatte für echt bürgerliche Nüchternheit gesorgt, er hatte jede
Feierlichkeit verboten, den Gebrauch von Fahnen und Musik ausdrücklich untersagt. Dieser königl. preuß. Pascha von Düsseldorf weiß überhaupt den Bürgern seinen Roßschweif bei jeder Gelegenheit fühlbar
zu machen. Kaum vergeht ein Tag, daß er nicht durch irgend ein schriftstellerisches Exercitium, sei es eine gesetzgebende Verordnung, sei es eine Belehrung über königl. preuß. Kommunismus, Sensation
macht. Zuweilen überrascht er auch durch plötzliche Einfälle, die er sofort in Ausführung bringen läßt. So war neulich Abends auf einmal der Köln-Mindner Bahnhof mit einer starken Schützenabtheilung
besetzt; wer das Thor passiren wollte, mußte vor dem wachthabenden Offizier zuvor ein Examen bestehen. Erklärte er, nicht abreisen zu wollen, so wurde er zurückgewiesen; ergab es sich, daß es ein
Reisender sei, so wurde er von einem Schützen über den Bahnhof bis in das Gebäude eskortirt und nicht eher freigelassen, als bis sein Begleiter sich überzeugt hatte, daß er ein Billet gelöst. Niemand
wußte sich zu erklären was das zu bedeuten habe; fürchtete man einen Aufstand, wollte man der Schreier sich versichern? Das war nicht gut möglich; die Stadt war grabesruhig und die Elberfelder
Eisenbahn, auf der die Wupperthaler hätten heranziehen können, war nicht besetzt. Oder sollten Kölner Demokraten im Anzuge sein, um dem Düsseldorfer Belagerungszustande ein Ende zu machen? Auch diese
Vermuthung war nicht stichhaltig, den von Köln wurde kein Zug erwartet und die Kriegslust Kölner Demokraten war nicht gerade sehr glaubwürdig. Endlich löste sich das Räthsel. Pascha von Drigalski und
Groß-Muffti Eichmann hatten sich in Person in dem Stationsgebäude eingefunden; sie erwarteten nichts als Befehle von Potsdam, wollten aber nicht von dem vorwitzigen Bürgervolke gestört sein, das sich
seit lange Abends auf dem Bahnhofe einfindet, um Neues von Berlin zu hören; darum mußten die Schützen eine Stunde lang Posten stehen und ihre Offiziere Bahnwärterdienste verrichten. Muffti Eichmann
war hieher gekommen, um noch nachtröglich das Martialgesetz (!) verkündigen zu lassen, er stieß aber unerwarteter Weise bei den Militärauditeuren auf Widerstand und mußte von seinem wohlmeinenden
Plane abstehen. Die Prokuratur wäre sicherlich dafür gewesen, sie wurde aber nicht gefragt. Uebrigens ist die Düsseldorfer Bürgerschaft wahrhaft eine verlassene Heerde; von der Regierung verrathen,
von dem Militär geknechtet, von den Gerichten verfolgt, wird sie auch noch schmählicher Weise von ihrem Gemeinderath im Stich gelassen.
Die Väter der Stadt haben sich bisher auch nicht einmal durch Proteste bemerklich gemacht, und das ist doch ein sehr leichtes Mittel, die Unthätigkeit zu beschönigen. Der Belagerungszustand wurde
erklärt; statt die Ungesetzlichkeit dieser Maßregel anzugreifen, ermahnten sie die Bürger zur Ergebenheit. Die Waffen der Bürgerwehr, deren Besitz ihnen das Gesetz garantirt, wurden ihnen gewaltsam
entrissen; kein Wort des Widerspruchs, keine Miene, ihren Besitz auf gerichtlichem Wege zu reklamiren. Die Bürgerschaft wird von der Soldateska überfallen, mißhandelt, Bürger werden verwundet und
getödtet. Die Väter der Stadt bleiben stumm; sie wagen es nicht, die Aufhebung des Belagerungszustandes und die Entfernung der Truppen zu verlangen, obwohl sie auf's dringendste dazu
aufgefordert werden. Sie beruhigen sich und trösten die Bürgerschaft damit, daß die Sache untersucht werden solle. Aber das ist alles noch nicht genug. Die Feigherzigkeit geht so weit, daß die Herren
drauf und dran sind, dem Komplott Spiegel-Drigalski ein Moralitätszeugniß auszustellen und die Kosten des Belagerungszustandes aus der Gemeindekasse zu decken!! Diesem Komplott scheint es nämlich doch
etwas bange geworden zu sein vor all den Ungesetzlichkeiten, die sie sich haben zu Schulden kommen lassen. Sie fürchten, die Stadt werde sich doch nicht Alles so ruhig gefallen lassen; diese Angst,
die den Drigalski bereits zum Kommunisten gemacht hat, läßt sie auf das sinnreiche Mittel fallen, dem Stadtrathe zu drohen, die Regierung soll nach Cleve verlegt werden, das Landgericht nach
Crefeld, das Militär nach Elberfeld, alle „Wohlthaten“ der Verwaltung sollen der Stadt entzogen werden, wenn ihr Vorstand nicht erklärt, daß die Erklärung des Belagerungszustandes
nothwendig, die Behandlung der Bürgerschaft, äußerst gnädig gewesen und die Kurkosten natürlich nur der Gemeinde zur Last zu schreiben seien. Und der Gemeinderath soll wirklich durch diesen
lächerlichsten aller Schreckschüsse in's Bockshorn gejagt sein und ernsthaft mit dem Gedanken umgehen, an das Ministerium Brandenburg-Manteuffel, welches er vor kurzem noch des Hochverraths
schuldig erklärt hat, eine Loyalitätsadresse zu richten und Alles zu versprechen, um die unglückliche Stadt vor dem drohenden Unheil zu bewahren! Die Bürgerschaft ist natürlich mit Ausnahme des
belagerungszustandsfrohen Theils empört über diese Niederträchtigkeit, zu der nur der bornirteste Krämergeist herabsinken kann; aber sie ist ohnmächtig, Mißtrauensvota bleiben unbeachtet und bis zu
neuen Wahlen währt's noch lange.
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68
] Berlin, 4. Dez.
Ueber unsere Nationalversammlung und deren Mitglieder sind hier die verschiedenartigsten Gerüchte im Umlauf. Die nächste Sitzung derselben wird Donnerstag Vormittag 11 Uhr im Dom zu Brandenburg
stattfinden Es ist gewiß, daß sich mehr als 3/4 aller Mitglieder, also über 300 Abgeordnete, zu dieser Sitzung einfinden werden, welche mit der Wahl des neuen Präsidiums beginnen wird. Das Ministerium
soll beschlossen haben, im Falle Unruh als Präsident gewählt wird — was zu erwarten ist — die Versammlung sofort aufzulösen. Alle Parteien machen sich schon mit dieser Idee
vertraut und berechnen ihre ferneren Pläne danach. — Gestern Abend erzählte man, daß der Staatsanwalt aufgefordert worden sei, die Anklage des Hochverraths gegen diejenigen Abgeordneten
einzuleiten, welche den Aufruf vom 27. November, „an die Mitbürger“, unterzeichnet haben. Auch gegen diejenigen Abgeordneten, welche die Entgegnung in Betreff des Bassermann'schen
Berichts unterzeichneten, soll eine Untersuchung wegen Beleidigung der deutschen Centralgewalt angeordnet sein.
Aus sicherer Quelle erfahren wir, daß Gagern's Anwesenheit in Potsdam weniger den Zerwürfnissen zwischen Regierung und Nationalversammlung galt, als dem Plane, Friedrich Wilhelm IV. doch
noch die deutsche Kaiserkrone zu übertragen. Rußland und Oestreich sollen damit einverstanden sein. Die Demarkationslinie und andere Länderabsonderungen stehen mit diesem Plane in enger Verbindung.
Die Vollzähligmachung der Regimenter und die Einberufung von 50 Bataillonen Landwehr in Preußen, sind nicht allein zur Unterdrückung des Volkes, sondern auch für den Fall gutbefunden, daß Frankreich
Einsprache gegen die Ausführung dieser Pläne einlegen sollte. Während die östlichen Kabinette sich zur Vernichtung der deutschen Demokratie verbunden haben, reichen sie auf der andern Seite der
retrograden Partei in Frankreich in's Geheim die Hand, um zu gleicher Zeit dort den Heerd der demokratischen Bewegung Europa's zu zerstören.
Alle mißliebigen Personen, die nicht Berliner Bürger oder Eingeborne sind, werden vom Polizei-Präsidium noch fortwährend ausgewiesen, mit Androhung der Verhaftung, wenn sie nicht binnen 24 Stunden
die Stadt und ihren zweimeiligen Umkreis verlassen. Und das sind nicht etwa bloß „deutsche Ausländer“ welche so ausgewiesen werden, sondern hunderte von preußischen Staatsbürgern. Die
Polizei-Brutalität ist vor dem 18. März nie in solchem Grade geübt worden, als jetzt, wo wir uns der „Märzerrungenschaften“ erfreuen.
Die Versammlungen des Maschienenbauer-Vereins, waren vom General Wrangel als politische angesehen worden und wurden demnach beim Beginn des Belagernngszustandes vom Militär auseinandergesprengt und
verboten. Vorgestern begab sich der Präsident dieses Vereins zu Wrangel und stellte ihm vor, daß die Tendenz des Vereins mehr eine soziale als politische sei, und daß eine Versammlung desselben zur
monatlichen Rechnungsablage, der mit dem Verein verbundenen Kranken- und Unterstützungskasse durchaus nothwendig sei. General Wrangel war endlich so gnädig, die Versammlungen zu erlauben, ja er
übergab auch noch unter schmeichelhaften Aeußerungen über das Benehmen der Maschinenbauer in der letzten Zeit, dem Präsidenten einen Beitrag von zehn Friedrichsd'ors zur Krankenkasse des
Vereins. Als dies in der Versammlung mitgetheilt wurde, soll sich eine bedeutende Anzahl Mitglieder für die sofortige Zurücksendung dieses Beitrags an den General Wrangel ausgesprochen haben, was
jedoch auf Zureden des Präsidenten unterblieb.
Es cirkulirt hier seit einigen Tagen folgende „Mißtrauensadresse“ an den Magistrat: „Mit tiefster Entrüstung haben die unterzeichneten Einwohner Berlin's, die bis zur
eingetretenen Militärherrschaft verschobene, dann aber endlich an's Licht getretene Gesinnungsäußerung des Magistrats vom 21. November aufgenommen. Unsere Entrüstung war um so größer, als der
Magistrat mit diesem, lediglich der Macht huldigenden Manifeste sich in den offensten Widerspruch mit den Stadtverordneten versetzt hat, aus deren Wahl er hervorgegangen und die in edlem Aufschwunge
sich dazu erhoben hatten, die entgegengesetzte freie und edle Gesinnung durch Wort und That an den Tag zu legen. Wir müssen es auf's schmerzlichste beklagen, daß die oberste Verwaltung der
Stadt einem Kollegium von Männern, der in dem Manifeste vom 21. November kundgegebenen Gesinnung, anvertraut worden ist.“ — Diese Mißtrauensadresse ist bereits mit vielen Tausenden von
Unterschriften bedeckt, und wird dem Magistrat von der wahren Stimmung der Stadt ein Zeugniß geben. Hätten übrigens die Verfasser der Adresse noch einige Tage mit der Abfassung der Adresse gewartet,
so hätten sie ihren Tadel auch fofort über die Stadtverordneten aussprechen können, die in ihrer Sitzung vom 29. v. M. mit sehr unedlem Niederfall von der Höhe ihrer „freien und edlen
Gesinnungen“ durch 49 gegen 45 Stimmen beschlossen, keine amtliche Widerlegung des Bassermann'schen Lügenberichts über die hiesigen Verhältnisse zu veranlassen.
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Berlin, 4. Dezbr.
In hiesiger Stadt zirkulirt seit einigen Tagen folgender Logogryph, oder wie man es sonst nennen will:
„Das jetzige Ministerium und sein Ende.
Brandenburg
Strotha
Manteuffel
Ladenberg
Kühne
Rintelen“
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121
] Wien, 30. Nov.
Die Beamten machen ganz was sie wollen, und treiben's noch ärger, als vor dem März. Auf der Post z. B. wird gar kein Papiergeld mehr angenommen, und jeder, der damit bezahlen will,
abgewiesen. Die Beamten verlangen Zwanziger, um sie dann selber gegen Papier umzuwechseln. Auf diese Weise machen sie Geschäfte trotz der Juden, und chikaniren das Publikum. Begeht Jemand die
Unvorsichtigkeit, eine Banknote in einem Brief zu verschicken, so kann er fest darauf rechnen, daß die Postbeamten die Note stehlen und den Brief vernichten, oder gar leer ankommen lassen. Wer sich
darüber beschwert, wird wegen Beleidigung der Postbeamtenehre sofort eingekerkert. Facta sunt. Die Grobheit und Unverschämtheit aller andern Behörden übersteigt jeden Glauben und die Sagen des
Orients.
Um die Korrespondenten mißliebiger Blätter zu erforschen, ist die Post immerfort von Spionen umlagert. — Jeder Ausgang auf die Straße oder zu einer Zerstreuung kann einen Skandal und
folgeweise eine Verhaftung zur Folge haben.
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14
] Wien, 30. Nov.
Obwohl es mich anwidert, die Feder zu ergreifen, um Ihnen aus den Zuständen politischer Bestialität, das ist das rechte Wort, in denen wir stecken, zu berichten, so darf ich es doch nicht
unterlassen, Ihnen mir bekannt gewordene Thatsachen mitzutheilen. Die öffentlichen Hinrichtungen vor dem Neuthore haben zwar aufgehört; was aber heimlich geschieht, darüber raunt man sich gar
mancherlei in die Ohren. Bei Untersuchung der Kanäle sollen sich viele Leichen vorgefunden haben, unter welchen sich 8 Gardisten befinden, welche auf eine ganz fabelhafte Weise verstümmelt sind.
Früher wurden solche Leichen öffentlich ausgestellt, jetzt werden sie sofort in ein Loch geworfen, und die ganze Sache muß geheim bleiben. Wer öffentlich, d. h. tête-à-tête im Kaffeehause,
dergleichen berührt, kann sicher sein, unverhofft verhaftet zu werden. Er ist verschwunden, sagt man alsdann. So verhindert man das Bekanntwerden all der namenlosen Gräuel, die fortwährend verübt
werden. Von dem Extrem der Spionage, von ihrer Brutalität und beispiellosen Gemeinheit können Sie sich trotz Ihrer ähnlichen Verhältnisse in Preußen doch kaum einen Begriff machen. Als ich gestern am
Stephansplatz vorüber kam, bestiegen zwei elegant gekleidete Herren einen Fiaker, um nach der Leopoldstadt zu fahren. Kaum saßen sie im Wagen, als ein Mensch mit ellenlangem Bart und Haaren und in
ganz demokratischem Anzug nachrannte und dem Kutscher befahl, ihm zu folgen. Der Kutscher fuhr weiter, aber der Kerl rannte immer nach und schrie ihm Halt zu. Endlich wurde gehalten und die Herren
stiegen aus dem Wagen, um den Kerl, der übrigens ein Jude war, zur Rede zu stellen, worauf sie wieder weiter fuhren. Aber der Kerl hatte sich nicht beschwichtigen lassen und rannte dem Wagen bis zum
nächsten Picket nach, wo er die Wache ersuchte, denselben anzuhalten. Die beiden Herren wurden darauf sofort unter Brutalitäten verhaftet und mit 10 Manu Bedeckung zur Stadthauptmannschaft gebracht.
Etwa 500 Menschen, die dieser Vorfall zusammengetrommelt hatte, mußten der Scene ruhig zuschauen. Das Verbrechen der Verhafteten soll darin bestanden haben, daß dieselben auf der Straße mehrmals das
Wort „Pesth“ zu einander gesprochen. Der Spion erkannte in ihnen Ungarn und das genügte zum Skandal.
Aehnliches passirt hier jeden Augenblick. Niemand ist vor Verhaftung sicher, und nun gar, wenn er als freisinnig bekannt ist. Ueberall, wo man sitzt, geht und steht, umlauern einen Spione und
Spioninnen in allerlei Proteusgestalten. Auf den Stiegen der Stadthauptmannschaft gehts fortwährend auf und ab von Berichterstattern der östreichischen Vehme. Ich selbst habe Gelegenheit gehabt, mich
von den Berichten dieser Subjekte zu überzeugen. Mit brühheißer Wuth verrathen sie einem Büttel, der das Protokoll führt, jedes Wort, jeden Schritt, jeden Umgang, kurz alle Verhältnisse des von ihnen
verfolgten Wildes und wehe ihm, hat der Spion die Bosheit, eigene Fabrikate noch dazu zu erlügen. Der Verfolgte verschwindet. Was helfen ihm die besten Vertheidigungsmittel, was hilft ihm die
gewisseste Unschuld, der Spion steht da und betheuert, und jede Gegenrede wird Unsinn.
Das sind die Gesetze, welche noch nicht aufgehoben sind, wie ihre Schmerlings sagen. Sie können übrigens versichert sein, daß die elenden Fürstenkreaturen der deutschen Parlamente insgesammt alle
im Solde der Kamarilla stehen, von ihnen tüchtig honorirt werden. Dasselbe gilt von den französischen Thiers', Marrast's und ähnlichem Gesindel. Nikolaus und seine Vettern versäumen
nichts, auf diese Weise die alte Legitimität wieder nach Paris zu bringen. Ich habe das aus verläßlichem Munde. Die Czechen sind ebenfalls alle bestochen; mit ihrer Hülfe wird der Reichstag purifizirt
oder ganz ignorirt und mit Fußtritten abgefertigt werden.
In einigen, namentlich in Stierböcks Kaffeehaus, liegen noch auswärtige Zeitungen auf; die freisinnigen sind aber niemals zu haben, sind immer in Händen. Gewöhnlich liest einer sie vor, worauf eine
allgemeine Indignation sich dann kundgibt und in den drohendsten Ausdrücken Luft macht. Bei vielen ist dieselbe zwar nur scheinbar, denn sie sind gezwungen, sich auf den Standpunkt der östreichischen
Verthierung zu stellen, um vor den Beobachtungen der Spione sicher zu sein. Ich sage östreichische Verthierung, besser Bestialität, weil es niemals und nirgendwo eine ähnliche gegeben, und der
eigentliche Viehzustand weit humaner erscheint.
Bürgermeister Czapka befindet sich auch wieder in unsern Mauern; er will seinen vormärzlichen Posten wieder haben. Metternich, der seit dem März längst wieder die Geschicke Oestreichs lenkt, läßt
seine Villa wieder einrichten und soll mit dem Hof in sehr thätiger Korrespondenz stehen. Bedenkt man, daß unsere Märzrevolution blos eine Adelsrevolution war, weil Metternich den Adel ebenso unter
seiner Fuchtel hatte, wie das Volk, so wird seine Rückkehr unter diesem Adel, der nun die Herrschaft führen zu dürfen glaubt, doch einiges Naserümpfen verursachen. Doch Metternich wird ihn anch jetzt
à la 1846 in Galizien zurechtzuweisen wissen und mit der honetten Bourgeoisie in der Knechtung Europa's Unglaubliches leisten.
Aus Ungarn kommen blos Sagen hierher. Die Magyaren sollen mit glühenden Kettenkugeln in die k. Armee feuern, ihre Kavallerie aber zum Theil schon übergegangen sein. Daß dort Gräuel geschehen, wie
sie auf keiner Seite der 6000jährigen Menschengeschichte zu finden sind, versteht sich am Rande. Die europäische Bourgeoisie schläft dazu sehr gut, bis ihr der gekräftigte Absolutismus die Subsidien
zum Krieg wider das blöde Frankreich abverlangt. Das schwarze Kabinet der Post ist wieder in Flor und soll mit großer Geschicklichkeit verwaltet werden. Man nimmt die Umschläge von den Briefen
denunzirter Adressen und ahmt Hand und Siegel nach.
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Leipzig, 4. Dez.
So eben erhalten wir per Estaffette die Nachricht von Prag vom 2. Dezember Nachts 12 Uhr, daß der Kaiser an diesem Tage früh in Olmütz zu Gunsten des Erzherzogs Franz Josephs (Prinz
von Preußen iu Oestreich) abdicirt hat, und 12 ein halb Uhr Nachts in Prag, zu allgemeinem Erstaunen sammt der Kaiserin eingetroffen ist.
[(Extra-Blatt zur A. D. Z.)]
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@facs | 0864 |
[
!!!
] Frankfurt, den 4. Dez.
Sitzung der National-Versammlung. von Gagern sitzt auf dem Präsidentenstuhl, er sieht gar nicht angegriffen aus. Auf der Tagesordnung ist die Wahl der Präsidenten und die Berathung über den
Entwurf „der Reichstag.“
Der Kriegsminister Peucker beantwortet eine Interpellation Wiesners: was das Ministerium gethan habe, um zu verhindern, daß deutsche Reichstruppen mit jenen schmachvollen Serezaner und
Croatenhorden zusammen dienen? — durch eine von der Rechten und dem rechten Centrum gewaltig beklatschte pomphafte Lobrede, auf die k. k. östreichische Armee nebst Croaten, Sarazenern und
anderem — ! (Links vernimmt man einen langen zischenden Ton! —
Wiesner erklärt, er sei durch die Beantwortung seiner Interpellation zwar überrascht, aber nicht befriedigt, werde aber seine dringlichen Anträge auf jene Zeit vorbehalten, wo die
Dringlichkeit von dieser Versammlung nicht mehr systematisch zurückgewiesen werden würde. (Links Bravo: Beseler macht bedauerliche Handbewegungen. —)
Tagesordnung.
Zum ersten Präsidenten wurde gewählt Heinrich von Gagern mit 313 Stimmen unter 415 Stimmenden. — Heinrich Simon von Breslau erhielt die 99 Stimmen der Linken.
H. von Gagern erklärt mit tiefgerührter Stimme, daß sein Pflichtgefühl immer dasselbe ist. (Niemand zweifelt!)
Zum ersten Vicepräsidenten wurde wieder gewählt Simson aus Königsberg mit 275 Stimmen unter 445 Stimmenden. H. Simon aus Breslau hatte 165 Stimmen der Linken. Simson ist noch in Berlin.
— Unter 425 Stimmenden wurde zum zweiten Vicepräsidenten gewählt Beseler aus Schleswig. 219 Stimmen (Bravo.) Kirchgessner erhielt 154 Stimmen (die Linke).
Weitere Tagesordnung.
Beginn der Berathung über den Entwurf der „Reichstag.“ Artikel I. §. 1 lautet:
„der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Staatenhaus und dem
Volkshaus.
Amendements haben eingegeben Moritz Mohl, dasselbe lautet:
„die Versammlung der Abgeordneten des deutschen Volks bildet den Reichstag.“
Ein weiteres von Vogt und mehreren will an die Stelle des §. 1 sechs Paragraphen stellen, deren allgemeiner Inhalt: „Eine Kammer. Wahlberechtigt und wählbar jeder 21jährige Deutsche der
nicht Criminalstrafe erlitten. Gewählt werden die Abgeordneten alle Jahre.“ Näheres bestimmt das Reichswahlgesetz. Ein eventueller Antrag bestimmt: „Der vom Volk gewählte
Reichstag wählt aus sich 1/4 der Abgeordneten, welche die erste Kammer bilden, — die andern 3/4 bilden die zweite Kammer.“
Es wird eine allgemeine Diskussion beschlossen, welche, wie sich leicht begreifen läßt, nur von „einer Kammer,“ oder „zwei Kammern“ handelt. Als Redner für den
Entwurf, also für zwei Kammern, sind eingeschrieben: Tellkampf, Jahn, Baly, Deetz, Scheller, Welker. Gegen den Entwurf: Golz, Nauwerk, Watzdorf, Freudentheil, Wichmann (!) von Trützschler, Claussen,
M. Mohl, von Dieskau. — Die Diskussion ist uninteressant, theils wegen der Redner, theils weil derselbe Gegenstand wohl bei §. 1 noch einmal speziell diskutirt werden wird. — Nauwerk
sprach nur einige Worte, er nannte den §. 1 nach dem Entwurf einen revolutionären. Schon nach den beiden ersten Rednern verlangt man den Schluß. Er wird abgelehnt. Nachdem Nauwerk, Tellkampf,
Watzdorf sehr kurz gesprochen, erhebt sich unter allgemeiner Sensation der berühmte Mann
Jahn: daß ein Staatenhaus nothwendig sei, versteht sich von selbst. Das Volkshaus sei eine Neuerung, aber eine richtige Neuerung. Nachdem Jahn diese denkwürdige Worte gesprochen, und ein
Verschen aus eigner Fabrik aufgetischt hat, klatscht die Rechte Beifall und die allgemeine Debatte wird ehrfurchtsvoll geschlossen. Die spezielle über §. 1, die aber mit der allgemeinen natürlich
auf eins herauskommt, beginnt mit
Freudentheil. Die Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnde beweist die Unzulänglichkeit des Zweikammersystems. Das Staatenhaus wird weiter nichts als die Vertretung der Regierungen, der
dynastischen Interessen und des Partikularismus bilden. Die Regierungen würden durch die erste Kammer nur ein Mittel erhalten, das Odium des Volks von sich ab und auf die erste Kammer zu wälzen. Er
schließt: „so gewiß ich hier stehe, auch diese Wahrheit (d. h daß die Volksvertretung nur durch eine Kammer möglich ist) wird einstens zur Wirklichkeit werden. (Bravo links.)
Baly folgt mit einigen Phrasen.
Schluß der Debatte. Dahlmann spricht als Berichterstatter für den Entwurf. Hierauf wird in namentlicher Abstimmung der Vogtsche Antrag
„§. 1. Der Reichstag besteht aus den
in einem einzigen Hause vereinten Abgeordneten des deutschen Volkes;“
mit 331 Stimmen gegen 95 verworfen. (Also auch die Linke getheilt.)
Moritz Mohl hatte seinen Antrag zurückgezogen und sich mit Vogt vereinigt.
Der Antrag des Verfassungsausschusses wird hierauf (wie oben) angenommen, und Deutschland wird zwei Kammern haben!!!!
Der eventuelle Antrag von Vogt wird zu §. 2 zurückgestellt. §. 2 wird hierauf auch noch zurückgestellt, und der Bericht des Verfassungsausschusses, über die Selbstständigkeit der kleinern
deutschen Staaten, erstattet von Beseler (Greifswald), vorgenommen. Der Antrag der Majorität des Ausschusses lautet:
„Die National-Versammlung wolle beschließen, über die auf
Mediatisirung gerichteten Anträge zur motivirten Tagesordnung überzugehen.“
Dazu kommen zwei Minor. Erachten und mehrere Anträge einzelner Abgeordneten.
Minoritätserachten I.:
„Die National-Versammlung möge die provisorische Centralgewalt beauftragen, die Mediatisirung der kleinern deutschen Staaten, oder wo dies nicht angeht, deren
Vereinigung in Staatsverbänden auf dem Wege des Vertrags zu vermitteln und kräftigst zu unterstützen.“
(Wigard, Römer, Schreiner.)
Minoritätserachten II.:
„Die National-Versammlung wolle beschließen, die Reichsgewalt aufzufordern, die Zusammenlegung der kleineren Staaten zu Staatenverbänden nach Kräften zu
befördern, unter Umständen die Vereinigung einzelner derselben, mit einem größeren Staate zu vermitteln.
(Waitz. Ahrens. Sommaruga. Mittermaier. Zell.)
Mölling (Oldenburg) spricht für das erste Minoritätserachten. Er gedenkt des Mißverhältnisses der Einzelstaaten Deutschlands, von denen der größte 16 Millionen und der kleinste
(Lichtenstein) 3000 Einwohner hat. In den andern Bundesstaaten, z. B. Schweiz und Nordamerika, fände ein so großes Mißverhältniß nicht statt.
v. Reden aus Hannover spricht für die Majorität des Ausschusses.
Moritz Mohl bleibt bei seinen früheren Anträgen, auf Grund deren ursprünglich der Verfassungsausschuß zur Begutachtung der Mediatisirungsfrage aufgefordert wurde.
Man möchte diese Frage im Wege der Gesetzgebung erledigen, sonst würde sie im Wege der Revolution erledigt werden. Der Fortbestand der kleinern Staaten sei unmöglich. (Kein Mensch achtet auf Mohls
Rede, man unterhält sich nach Herzenslust). Mohl macht die kleinern Staaten mit ihren Diminutivhöfen mit Geschick lächerlich. In einem kleinern Staat tritt man überall auf den Hof. Auch sei die
Ansicht der kleinern Staaten selbst getheilt. Mehrere wollten die Mediatisirung resp. die von Mohl vorgeschlagene Reichsunmittelbarkeit. Sie wollten zwar weder zu Gunsten Baierns, Hannovers u. s. w.
ihre Selbstständigkeit aufgeben, aber wohl zu Gunsten des deutschen Reichs. Ob denn der Verfassungsausschuß die Stimmen des deutschen Volkes so genau gezählt habe, daß er so bestimmt erkläre, es wolle
keinen Einheitsstaat. Amerika sei kein Beispiel. Dies habe keine so gefährliche Nachbarn als Deutschland.
Tellkampf für den Ausschuß.
Zimmermann von Stuttgart für die Mediatisirung. Nur eine Media[t]isirung im großen Styl wird ein Mittel gegen die mißbehagliche Stimmung der Völker sein. Das kleine Unrecht gegen die Fürsten
kommt dabei nicht in Betracht gegen das große Recht der Völker. Die Fürsten müßten selbst so viel Patriotismus haben. (Nicht übel!) Aber alle ohne Unterschied bis auf einen oder alle müssen
mediatisirt werden, nicht blos die kleineren. (Heiterkeit und Bravo.) Ja, meine Herren, ich bin kein verkappter Republikaner, aber will man die Spitze der Regierung noch auf eine Person bringen, und
sie in eine goldene Krone auslaufen lassen, so will ich auch nichts dagegen haben. Aber freilich würde eine solche Mediatisirung nicht durch einen Beschluß dieses Hauses (Heiterkeit), sondern nur
durch eine Revolu[t]ion möglich sein. Und da muß ich denn gestehen (mit Ironie), daß ich das Unglück habe, der Ansicht dieser Seite (nach Links) zu sein. Wir haben einen schwachen Versuch einer
Revolution gemacht, und noch immer macht man uns den Vorwurf über diesen Versnch zu einer Revolution. Dies (d. h. die Mediatisirung) würde eine große Revolution sein. (Heiterkeit. Bravo).
Becker von Gotha meint, die Einheit Deutschlands erfordere keineswegs eine Mediatisirung, aber die Mängel der Verwaltung und die Wohlfahrt der kleinern Staaten selbst, erfordere eine solche.
Hierauf spricht Hr. Becker rührend von der Selbstständigkeit der kleinern Staaten. (Herr Becker ist Hofrath in Gotha!) Schließlich empfiehlt er die motivirte Tagesordnung.
Die Debatte wird geschlossen und die Berichterstaltung auf morgen vertagt.
Die Sitzung wird gegen drei Uhr geschlossen.
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[
!!!
] Frankfurt, 4. Dec.
So eben höre ich von einem Abgeordneten aus Preußen, daß bis Donnerstag das Ministerium Brandenburg ganz bestimmt abgetreten und remplacirt sein wird. Vinke hat kein Ministerium zu Stande
gebracht.
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Nürnberg, 2. Dezember.
Die vorgestern hier stattgefundene Wahlmännerwahl hat ein sehr bemerkenswerthes Resultat geliefert, welches um so bedeutungsvoller erscheint, wenn mann dasselbe mit den Vorgängen bei der
Parlamentswahl vergleicht. Die bei weitem überwiegende Majorität der Gewählten besteht nämlich aus den von den politischen und Volksverein vorgeschlagenen Kandidaten. — Auch in Fürth hat die
„demokratische“ Partei einen Sieg erfochten, indem in sämmtlichen Wahlbezirken, bis auf einen, die Kandidaten derselben gewählt wurden. Auch in Schwabach und Altdorf soll das Resultat
ein ähnliches sein.
[(N. Kur.)]
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Brieg, den 29. Nov.
Bei der Einkleidung unsere Landwehr stellte ein Landmann seinen Sohn mit den Worten: „Wenn Du zum Mörder an Deinen Londsleuten wirst, so lasse Dich nie mehr in meinem Hause sehen!“
—
In unserer Stadt werden von den Frommen jetzt politische Tractätchen im Sinne des Absolutismus eifrig ausgetheilt. Sie sind meist beim Geheimen Ober-Hofbuchdrucker Decker in Berlin gedruckt und
werden den Steuerzahlenden einen schönen Thaler kosten.
[(Br. Samml.)]
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Altona, 1. Dez.
Wie man vernimmt, ist der Soldat Luttermerk, aus Altona, vom 7: Bataillon, verhaftet; der Lithograph J. Meyer, ebendaher, vom 1. Bataillon, in Uetersen gleichfalls inhaftirt; der Soldat Becker, aus
Köln, weil er die von Luttermerk verfaßte Adresse hatte unterschreiben wollen, kassirt worden; der Baron Eugen v. Hammerstein, weil er der Stifter des volksthümlichen Vereins in Uetersen war, von der
Soldateska des ersten Bataillons dergestalt gemißhandelt, daß er sich nach St. Pauli geflüchtet hat. Der Baron v. Hammerstein hat nun, wie wir aus sicherer Quelle wissen, die ganze Sache an das
Generalkommando in Schleswig einberichtet, dagegen auch den Schutz der gemeinsamen Regierung für die Herzogthümer angesprochen und auf exemplarische Bestrafung der Uebelthäter
angetragen.
Italien.
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**
] Mailand, 29. Nov.
Trotz der verbreiteten Gerüchte, Radetzky wolle seinen Bando vom 11. Nov. und die damit ausgeschriebene Brandschatzung zurücknehmen, ist bis jetzt nichts derart offiziell bekannt geworden. Im
Gegentheil, Radetzky fährt fort, die Brandschatzungen eintreiben und die erpreßten Gelder nach seiner Kriegskasse, Contrada di Brera, schleppen zu lassen. Die platte Räuberei, die in diesem Verfahren
liegt, ist für Jeden von vornherein sichtbar. Aber um die ganze Niederträchtigkeit und Schamlosigkeit dieser organisirten Plünderung zu verstehen, muß man etwas näher auf die Sache eingehn.
Der Bando erklärt, die Steuer beabsichtige, die Schuldigen von den Unschuldigen, die Verführer von den Verführten zu trennen. Die ersten sollen bestraft, die zweiten begnadigt werden. Und die
Brandschatzung trifft Kinder unter Vormundschaft, Frauen, fromme Stiftungen ebensogut, wie die Chefs der Revolution.
Der Bando erklärt, da die Reichen ausgewandert seien, so fehle den Armen alle Unterstützung, und deshalb solle die Steuer Armenfonds liefern. Die Ausführung dieses Prinzips der
Radetzky'schen Armenunterstützung besteht darin, daß das Mailänder Hospital mit 400,000 Zwanziger gebrandschatzt wird, — das Hospital, dessen Finanzen ohnehin schon dadurch in Unordnung
gebracht sind, daß die österreichische Tyrannei es zwang, seit zwanzig Jahren auch die Findelkinder aufzunehmen. Dafür sollte denn die Regierung eine beträchtliche Vergütung (jetzt auf mehrere
Millionen aufgelaufen) zahlen; aber daß das nie geschah, brauche ich wohl nicht erst zu sagen.
Aber die Lombarden sind Rebellen, sagt Radetzky, und ich bin verpflichtet, ihnen im Namen des Kaisers eine väterliche Züchtigung zu appliziren. Keineswegs; seitdem das österreichische Ministerium
der lombardischen provisorischen Regierung offiziell den Frieden. die Unabhängigkeit der Lombardei und die Etsch als Gränze anbieten ließ, sind die Lombarden keine Rebellen mehr, sie sind der
eine kriegführende Theil, und stehen unter dem Schutz des Völkerrechts.
Und die Kapitulation von Mailand? Und die Artikel des Waffenstillstandes? Beide garantiren ausdrücklich Sicherheit der Personen und des Eigenthums in der eroberten Provinz. Der
Waffenstillstand schließt ohnehin als eine sich von selbst verstehende Bedingung ein, daß die Okkupationsarmee höchstens das Recht hat, aus der besetzten Provinz ihre nothwendigen Subsistenzmittel zu
beziehen, und weiter nichts. Sie hat aber keineswegs das Recht, das Gesammt-Einkommen des Landes mit Beschlag zu belegen, oder gar seine Produktionskräfte zu konfisziren. Und was thut Radetzky?
Erstens läßt er nicht nur die gewöhnlichen Steuern, sondern den doppelten und dreifachen Betrag erheben. An Prädialsteuer allein hat die Lombardei — Venedigs Gebiet gar nicht gerechnet —
vom 5. Aug. bis zum 15. Nov. nach offiziellen Berichten über 27 Millionen Lire gezahlt. Die meisten Güter haben seit dem 5. August drei Viertel ihres Ertrags an Steuern zahlen müssen. Zweitens
erheben seine Pascha's und Satrapen an allen Ecken und Enden lokale Brandschatzungen, die zusammen auch ein anständiges Kapital ausmachen. Und drittens endlich tritt Radetzky selbst auf mit
seiner Organisation der Brandschatzung, die den Zweck hat, der Lombardei und dem Venetianischen über hundert Millionen Franken ihres industriellen und im Ackerbau angelegten Betriebskapitals zu
Gunsten der österreichischen Räuberchefs und des österreichischen erschöpften Schatzes zu konfisziren. So garantirt der Dey von Mailand das Eigenthum — die Sicherheit der Personen garantirt er
dadurch, daß er sie erschießen läßt.
Aber die Reichen, erklärt Radetzky, sind ausgewandert und entziehen sich dadurch der Steuerzahlung. Gut. Auch der Fall ist vorgesehn. Das Emigrationsgesetz von 1832 bestimmt hierüber alles Nöthige.
Je nach den Verhältnissen verfallen die ohne Erlaubniß Abwesenden entweder einer Geldstrafe von einigen wenigen Gulden, oder ihre Güter werden sequestrirt und für Rechnung der gesetzlichen Erben
verwaltet, oder — sie werden als gewöhnliche Ausländer behandelt. Die lombardische Emigration fällt aber unter keine der drei Kategorieen, denn sie ist nicht ohne Erlaubniß
abwesend. Die Kapitulation von Mailand und der Waffenstillstand gestatten den Lombarden ausdrücklich, der piemontesischen Armee zu folgen.
Radetzky aber versteht die Sache so: der Kaiser hat eine Amnestie erlassen, also ist es die Pflicht aller Lombarden, zurückzukehren. Wer nicht zurückkehrt, dem konfiszirt er das Vermögen, und um
die Amnestie recht anschaulich zu machen, werden an allen Orten Füsilladen angestellt.
Und um das Ganze würdig zu krönen, erklärt Radetzky alle Kauf- und Schuldverträge, die seit dem 18. März abgeschlossen sind, für ungültig. Natürlich! Wie konnten die Mailänder sich
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auch unterfangen, etwas zu verkaufen und zu kaufen, vorzuschießen oder zu verhypotheziren, ohne den allmächtigen Dey Radetzky um Erlaubniß zu fragen! Wieder eine Probe davon, was man im
Oesterreichischen unter Garantie des Eigenthums versteht.
Auf diese Weise bringt Radetzky den Mailändern bei, was Völkerrecht, bürgerliches Recht u. s. w. für Dinge sind. Und die piemontesische Kammer begnügt sich mit einer Nichtigkeitserklärung die
selbst nichtig ist, und die Mächte, die die Mediation übernommen haben, sehen ruhig zu! Die französische Republik hat 90,000 Mann an den Alpen stehn, um ihre Mediation zu unterstützen; aber während
wir hier erschossen, gebrandschatzt, ausgeplündert werden, rühren die 90,000 Mann keinen Finger, und während Radetzky alle Verträge mit Füßen tritt, erklärt Herr Bastide in der Kammer: die Befreiung
Italiens werde die Grundlage des Friedens sein. Die Befreiung Italiens! Noch ein paar Monate Unterdrückung, noch etwas Zeit, daß die römische Revolution überall in Italien wiederhallen kann, und wir
werden dieser wortbrüchigen, verrätherischen, feigen französischen Regierung, dieser zweiten verschlechterten Auflage Casimir Perrier's abermals zurufen: L'Italia farà da se!
Apropos! In der Augsb. Ztg. habe ich gelesen, daß Ihre Reichsminister versichert haben, auch sie hätten ein Händchen im Spiel bei dem Frieden, den man für Italien brauen will. Ich will nicht davon
sprechen, daß die meisten hiesigen „Kroaten“ im Grund lauter deutsche „Reichstruppen“ sind; ich möchte nur fragen, ob die Reichsminister, als mitvermittelnde Macht, nicht
geneigt wären, die Herren Welcker und Mosle an Radetzky mit der Bitte abzuordnen, gütigst die Verträge halten zu wollen?
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*
] Genua, 28. Novbr.
Nach heute hier empfangenen Nachrichten aus Neapel war der politische Moment daselbst ein sehr gewichtiger. Der König, heißt es, hat Rom und Toskana den Krieg erklärt. Darf man einer Korrespondenz
Glauben beimessen, so hat das neapolitanische Ministerium seine Entlassung eingereicht. Hr. Temple, der englische Bevollmächtigte, war am 22. Novbr. noch nicht zu Neapel angekommen. Er soll das
Ultimatum in Betreff Siziliens in der Tasche haben, und da der König dem Vernehmen nach die Kammer nicht vor Erledigung der sizilianischen Angelegenheit eröffnen will, so dürfte das längere Ausbleiben
Temple's vielleicht unangenehme Folgen haben.
Aus Turin vernehmen wir, daß die Ministerkrise so gut wie sicher ist.
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Rom, 25. Nov.
Die Kammern erklärten sich permanent und ernannten eine Kommission von fünf Gliedern zur Redigirung von Proklamationen etc.
Pius IX. verließ Rom am 25. November. Er wird jeden Augenblick in Toulon oder Marseille erwartet. Er hat unter Andern auch den französischen Gesandten, d'Harcourt, zu seinem Begleiter. Es
befinden sich mehrere Kardinäle bei ihm, die sich in Rom nicht mehr sicher glaubten. Der Papst schrieb vor seiner Abreise folgenden Brief an Marquis Sacchetti:
„Wir vertrauen Ihrer wohlbekannten Klugheit und Ehrenhaftigkeit die Sorge an, den Minister Galletti von unserer Abreise zu benachrichtigen, indem Sie ihn, wie alle übrigen Minister,
ersuchen, nicht blos die öffentlichen Gebäude sondern noch mehr die Personen zu schirmen, die zu unsrer Umgebung gehören und die, gleich Ihnen, über unsern Entschluß in völliger Unkenntniß waren.
Allein wenn wir für Sie und die Leute unsers Hauses, weil Sie Alle, wir wiederholen es, von unserm Plan nicht wußten, eine solche Besorgtheit an den Tag legen: so liegt es uns noch mehr am Herzen,
diesen Herren (den Ministern) die Ruhe und Ordnung der ganzen Stadt zu empfehlen.“
24. November 1848.
„P. P. P. IX.“
Als die Flucht des Papstes in Rom bekannt wurde, erließ das neue Ministerium nachstehende Proklamation ans Volk:
„Durch traurige Rathschläge angestachelt hat der Pabst in heutiger Nacht Rom verlassen. In einem so ernsten Augenblick wird das Ministerium die Pflichten uicht vernachlässigen, die ihm das
Wohl des Vaterlandes und das Vertrauen des Volkes auferlegen.
Es sind zur Aufrechthaltung der Ordnung und zum Schutze des Lebens und der Interessen der Bürger alle Maaßregeln getroffen.
Es wird alsbald eine permanente Kommission eingesetzt werden, um Jeden, der auf die öffentliche Ordnung oder das Leben der Bürger einen Angriff wagen sollte, mit aller Gesetzesstrenge zu bestrafen.
Alle Truppen und Nationalgarden werden in ihren betreffenden Vierteln unter Waffen bleiben und sich auf den ersten Ruf bereit halten. Das Ministerium wird, im Verein mit der Repräsentantenkammer und
dem römischen Senat weiter alle Maaßregeln ergreifen, welche die Umstände erheischen werden.
Römer! Baut auf uns! Bleibt Eures Namens würdig und antwortet den Verläumdungen Eurer Feinde durch Eure Seelengröße.“
Rom, 25. November.
Muzzarelli, (Conseilspräsident); Galletti;
Lunati; Sterbini; Campello; Sereni.
Welche Stimmung in Rom bei dieser Nachricht herrschte, läßt sich daraus entnehmen, daß, wie berichtet wird, das Volk auf das Hotel des franz. Gesandten, der des Pabstes Flucht begünstigt hatte,
mehrere Schüsse abfeuerte.
Es wurde früher viel von den Trasteverinern, als deu fanatischen Anhängern des Pabstes, gesprochen. Allein bei der letzten Revolution haben sie sich in einer ganz andern Weise gezeigt. Sie
verhielteu sich keineswegs passiv, wie einige Nachrichten meldeten. Im Gegentheil waren sie es, die mit an der Spitze der Bewegung standen. Ein Trasteveriner, Namens Bietta, war es, der
Guizot's Freund, Rossi, erdolchte. Trasteveriner waren es, die auf Straßen und Plätzen den Ruf hören ließen: „Gesegnet sei die Hand, die den Tyrannen erdolcht hat!“
Die neuen Minister haben auf die Hälfte ihres Gehalts zu Gunsten des Staatsschatzes verzichtet. Es heißt, daß Abbe Rosmini nicht nach Paris gereist, sondern in Rom geblieben ist.
Mit vorstehenden Nachrichten trafen in Marseille die römischen Prälaten Piccolomini und della Palma, so wie Rossi's Wittwe und Kinder in Marseille ein.
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Rom, 26. Nov.
Das Volk, erzürnt über Harcourts Begünstigung der Flucht des Papstes, schießt gegen das französische Gesandtschaftshaus etc.
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Civita-Vecchia, 27. Novbr.
Rom ist vollkommen ruhig. Der Volkszirkel hat seine Macht in die Hände einer provisorischen Regierung niedergelegt.
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*
] Florenz, 26. Nov.
Gestern erfolgte die Abreise des neapolitanischen Gesandten. Sie ist einer Kriegserklärung gleich zu achten.
Der sicilianische Geschäftsträger, der sich hier seit geraumer Zeit aufhält, hatte bei dem Ministerium des Innern um die Erlaubniß nachgesucht, das sicilianische Wappen an seiner Wohnung anbringen
zu dürfen. Das Ministerium trug kein Bedenken, ihm zu willfahren, da es hier nicht verboten ist, irgend ein Wappen an beliebiger Stelle anzubringen. Der neapolitanische Gesandte machte jedoch gegen
dieses Anbringen des Wappens die lebhaftesten Vorstellungen nnd reiste, als sie nicht berücksichtigt wurden, schleunigst ab.
* Es wiederholt sich das Gerücht, daß der Scharfrichter Ferdinand an Rom und Toskana den Krieg erkärt habe.
Französische Republik.
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17
] Paris, 4. Dez.
Während die Cavaignac'schen des Generals Biographie und Reden in etlichen Millionen Exemplaren für das Landvolk abdrucken und das Militär auf alle Art cavaignaciren, erlassen viele höhere,
theils disponible theils aktive Offiziere, an deren Spitze ein Baron (trotz der republikanischen Adelsabschaffung) folgendes: „In Erwägung, daß die Bürger Cavaignac, Lamoriciere und Charras, in
Afrika auf seltsam hastige Weise avancirt sind und zwar ganz außerhalb allen gewöhnlichen Rechts und Administrativwesens; in Erwägung, daß sie seit ihrem Eintritt in die Staatsmacht sich über die
Militärreglements hinweggesetzt, obschon darauf die Konstitution und die Kriegsdisciplin beruht; daß sie gegen viele würdige Militärchefs sehr undankbar gewesen, und nur in herber, verachtungsvoller
Manier stets mit Bürgern und Kameraden korrespondirten; in Betracht ihres sonderbaren Militärverfahrens am 24 Februar, am 15. Mai und 24. Juni, woraus ihre Ungeschicklichkeit und Böswilligkeit
hervorgeht, wie das viele nutzlos verspritzte Blut bezeugt; in Betracht des Mißbrauchs, den sie von ihren hohen Stellungen machen, um die Kandidatur zur Präsidentschaft eines der Ihrigen auf jedwede
Weise durchzusetzen, nnd selber ihre jetzigen Aemter zu behalten; in Betracht ihrer Verbindung mit einer unwissenden, ausschließlichen, selbstsüchtigen, verläumderischen, gehässigen, aller
Vaterlandsliebe baaren Clique: anderseits in Betracht der rühmlichen Erinnerungen der Kaiserzeit und des unsterblichen Genius, des zweimaligen Opfers, das der Kaiser dem ihm so theuren Frankreich in
seiner Krone, Familie, Person und in seinen Schätzen dargebracht hat; in Betracht auch des Exils, der Wackerheit, der Beherztheit, der großartigen Kenntnisse in den Gesetzen, der Kriegskunst, der
Verwaltung und der Sitten Frankreichs, in Betracht der honetten, lautern Gesinnungen, des so wesentlich nationalfranzösischen Manifestes und der edeln Gelöbnisse des kaiserlichen Neffen Louis Napoleon
Bonaparte gegen Volk und Heer; in Betracht der Situation Europas und Frankreichs endlich, sind die Rivolistraße Nr. 26 vereinigten Offi[z]iere der Ansicht vor Gott und Menschen, daß die Armee, die
Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten fortan keinen Unterthänigkeits- sondern freien Bürgerakt als Wahlmänner vollziehen müssen, folglich Eugen Cavaignacs Kandidatur zurückweisen und für Louis
Bonaparte stimmen.“ Auch der greise Runkelrübenbauer und Niedermetzler der Arbeiter und Arbeiterinnen nebst Säuglingen in der Straße Transnonain, der Haudegen Marschall Bugeaud, „der
Eroberer des marokanischen Sonnenschirms“ wie Peuple souverain ihn spöttelnd nennt, meldet heute mit Pomp seine Beistimmung zur bonapartistischen Kandidatur „als Mann der
Ordnung.“ Dito die bekannten „grauköpfigen Staatsschurken“ Adolf Thiers, Odilon Barrot, Graf Molé, Berryer, die louis-philippistischen und legitimistischen Generale Oudinot,
Baraguay d' Hilliers, Rulhieres, Changarnier (Kommandant der pariser Nationalgarde), und Lebreton endlich, alle „diese Schnurrbärte und Glatzhäupter durch deren Kanonen und Bosheit die
französische Nation seit 1831 so elend und thöricht geworden ist“, umgeben den spaßhaften Prinzen Bonaparte in schönstem Kranze. Und der Polizeipräfekt, dieser Freund Cavaignacs, zittert und
weiß nicht Rath; in der Verzweiflung befahl er den pariser Konstablern, sich zu rasiren „da ein Bart der Polizei nicht gezieme;“ der brave Dr. med. Gervais de Caen! Er hat sich sehr
erboßt über seinen Vorgänger in der Präfektur, Dr. med. Ducoux, der mit naiver Offenheit publicirt hatte: „die pariser Prostitution sei ungemein gestiegen sowohl durch das Vorhandensein der
Mobilgarde, als auch (horribile dictu) seit und durch die Gegenwart so vieler Provinzialnationalgardisten zu Paris in Folge der Juniereignisse.“ Dies Geständniß war zu toll, und
der grobe Ducoux mußte dem fein rasirten Gervais Platz machen.
Die Associationen wachsen; schon haben die Köche eine Vereinsküche und bedienen billig und gut. Noch sind diese Anfänge winzig; „ sobald sie den hohen Bourgeois gefährlich zu werden drohen,
wird man ein Koalitionsgesetz zu machen versuchen, und dann geht der Socialkrieg los, denn der Arbeiter, der einmal, auch nur einen Tag lang, das Glück einer Association empfunden, schlägt sich wie
ein Löwe dafür,“ bemerkt der Republicain des Ardennes in Sedan.
Das gestrige Bankett der Studenten, Normalschulzöglinge, Bergwerksschüler u. s. w. auf der Barriere du Maine war 800 Mann stark und streng socialdemokratisch.
Die Gährung steigt, da viele kleine Bourgeois ins Proletariat hinabgestürzt sind und dort revolutionär agitiren, und nach mäßiger Berechnung geht das Schiff, auch ohne Stürme, zum Frühlinge sanft
zu Grunde. Das Budget von 39 sieht entsetzlich aus. Wenn die Bank ihre Wechsel einforderte, sinken mit einem Schlage wieder tausend Familien hinab. Die Bankette werden daher von vielen, kürzlich noch
als Erzbourgeois sich aufführenden Kleinhändlern, Contremaitren, Kleinmeistern u. s. w. selbst in Offiziersuniform der Nationalgarde, besucht; letzten Sonntag fanden neue in und um Paris statt.
„Sammelt Euch, Soldaten der Freiheit und des Völkerglücks (Constituant democrate zu Toulouse) und zaudert nicht; schon triumphirt die Contrerevolution auf allen Schlachtfeldern Europas, von dem
Weichselstrome bis zur Seine, vom Escurialpalast bis zum Schlosse von Schönbrunn tönt das wüste Hurrah des Despotismus, der die schamlosen Orgien seines theils erkauften Sieges feiert und Rache
schnaubt. Windischgrätz, der Blutmann von Wien, präsidirt kaltblütig den Hinrichtungen der dutzendweise herbeigeschleiften Patrioten; Narvaez, der Blutmann von Madrid, versteht es, den edeln
Freiheitsmärtyrern sowohl die Kerker der Presidios, als die Kugeln seiner Garden zukommen zu lassen; in Mailand macht Radetzky Brandschatzungen; in Paris amnestirt eine aus dem Volk hervorgegangene
Kammer den Chef der Exekutive, der mit souveränem Säbel keck und tyrannisch einige tausend Sieger des Februars, die im Juni das Unglück hatten, sich durch Hunger verführen zu lassen, zu verbannen.
Ueberall schmachten die Freiheitskämpfer als Gespenster und lebendige Leichen hinter dem Eisengitter, oder modern im Regen und Wind, unbedeckt mit einer Schaufel Erde. Diese scheußliche Rache nehmen
die Herrscher, deren Thron wackelt und nächstens einbrechen wird. Der General Cavaignac ist ein Knecht der Pfäffischen geworden, er ist kapabel, dem Maulthier des Pabstes um den Hals zu fallen. Aber
wir wollen das Volk aufwecken… Prinz Bonaparte, dieser brave Abentheurer, hat jetzt 200 Provinzialblätter gegen sich; aber ein großer Held wie er, kehrt sich an keinen Stein des
Anstoßes; er stolpert, bis er endlich fällt, um nicht mehr aufzustehen.“
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12
] Paris, 4. Dez.
Die Präsidentschaft: das ist der Glanzpunkt von ganz Frankreich, um den sich Journale, Korrespondenzen, Intriguen und Conversationen drehen. Je näher die Periode heranrückt, je lebendiger werden
die Debatten. Wer wird Präsident werden? Wer wird Frankreich retten? „Frankreich muß gerettet werden“, das ist der allgemeine Ruf, und es kann nur gerettet werden durch die Wahl eines
Präsidenten, durch Cavaignac, sagen die einen, durch Napoleon antworten die andern. Unterdessen lebt man nur noch von der Hoffnung. Das Leben, d. h. das was man im kommerziellen und bürgerlichen Leben
so nennt, die Wiederkehr des Kredits, der Ruhe, der Sicherheit, ist völlig suspendirt; man lebt, wie gesagt, nur von der Hoffnung, daß der neue Präsident das alles wiederbringen wird.
Unmittelbar nach der Februarrevolution war ebenfalls mit einem Male Handel und Wandel verschwunden: aber man war im Rausche des Sieges; man übersah das augenblickliche Elend, und man dachte mit der
Wahl der konstituirenden Deputirten werde der Credit und die Industrie einen blühendern Aufschwung nehmen als je. In dieser bestimmten Voraussicht fühlte man weniger den Druck des Augenblicks: man war
großmüthig, und lebte von der Großmuth. Aber von der Großmuth zehrt man nicht lange. Die konstituirende Versammlung kam zusammen; aber sie brachte den Kredit nicht wieder. Eine Revolution, dachte man,
läßt sich nicht so schnell beseitigen; der Kredit hatte schon viel vor der Revolution gelitten; die Verwaltung Guizot's und Louis Philipp's haben die Finanzen verschleudert. Zudem war
noch alles im provisorischen Zustande und man erwartete die Wiederkehr des Kredits und die Sicherheit der Transaktionen von der Feststellung der Gewalten. Eiee exekutive Kommission wurde eingesetzt;
eine definitive Gewalt trat ein, aber der Verkehr, der Kredit kehrte immer nicht wieder.
„Das ist die Schuld der Spaltung innerhalb der Kommission selbst“, hieß es. „Ein Ministerium mit Cavaignac an der Spitze vermag allein das gestörte Zutrauen
wiederzubringen.“ Aber das Ministerium brachte weiter nichts als noch größeres Elend, noch größere Noth und da richtete man sein Augenmerk auf die Vollendung der Constitution. Die Constitution
ward fertig und dies Zutrauen, der Kredit, der Handel und Wandel, Ruhe und Ordnung — alles fiel noch tiefer als je. So halten wir denn jetzt an der Wahl des Präsidenten. Der soll das große
Wunder thun! Mit seinem Auftreten sollen die Leute auf einmal gegenseitig Zutrauen fassen und mit völliger Sicherheit den Austansch, den Verkehr betreiben. Die jetzt herrschende Partei ist die des
Nationals und diese Partei kann nur am Ruder bleiben durch die Wahl Cavaignac's.
Betrachten wir nun die bevorstehenden Wahlen, vom praktischen, vom „bürgerlichen“ Standpunkte, vom Standpunkte des Handels, der Curse, der Rente, so müssen wir vor allen Dingen uns am
Journal des Debats halten, das einzig und allein die Rothschildschen Interessen vertritt, und vertreten muß, da Bertin Besitzer von Staatsrenten ist. Nun sehen wir: das Journal des Debats tritt für
Cavaignac auf, und alle seine Freunde, seine frühern Helden wenden sich auf Seite Napoleon's. Der Marschall Bugeaud, der selbst anfangs als gepriesener Kandidat der Präsidentschaft da stand,
schreibt dem Blatte Bertins, daß er sich zu der Candidatur Napoleons bekenne, weil von daher bloß „die Ordnung“ wiederkommen könne. Alle Philippisten und Orleanisten, wie Thiers, Molé
und Barrot stehen auf Seite Napoleon's, weil sie durch ihn und mit seinem Sturze wieder zu der alten „königlichen Ruhe“ zu kommen hoffen, und das Journal des Debats, dessen
königl. Gesinnungen nicht bezweifelt werden können, stimmt für Cavaignac!
Molé und Thiers uud Bugeaud stimmen für einen Mann, dem sie früher Fußtritte gaben, und mit Fußtritten vor die Thüren Frankreichs warfen, und das Alles der banquerutt gewordenen Ruhe und Ordnung
wegen; und die Debats stimmen für einen Mann, der ihm und seinen Helden etwas mehr als Fußtritte gegeben hat, damit die Ruhe und Ordnung, wie sie jetzt bestehe, nicht abermals Bankerutt machen. Wie
ist das zu verstehen? Was ist denn die Ruhe und Ordnung der Einen und der Andern? Giebt es zwei Arten von Ordnung und Ruhe?
In den pariser Hospitälern herrscht, wie man weiß, die größte Ordnung, die größte Reinlichkeit. Zu beiden Seiten eines ungeheuren Saales erstreckt sich eine unabsehbare Reihe von Betten mit
blendend weißen Ueberzügen und die schwarzen Schwestern wandeln auf und ab mit den Krankenwärtern zur Seite, und machen, daß Alles in der größten Ordnung und Ruhe und Reinlichkeit verbleibe. Nichts
wandelbarer als die Kranken in diesen Sälen.
Kaum ist Einer verschieden, und es verscheiden in einem ungeheuern Saale und in der jetzigen Noth manchmal 10, 20 zu gleicher Zeit, so werden die Betten auf der Stelle gereinigt, gelüftet und 2
Stunden nachher nimmt ein anderer Kranker die Stelle des Verschiedenen ein. Der Reichthum eines Pariser Hospitals besteht in seinen Betten; die hauptsächlichste Wachsamkeit der Schwestern erstreckt
sich auf die Betten; die Betten sind das Permanente in dem revolutionären Wechsel der Kranken.
Die Betten, das ist die Ruhe und Ordnung — das ist der Reichthum, der die Zinsen abwirft; das sind die eigentlichen Fonds des Journals des Debats, und die schwarze Schwester, das Journal des
Debats, wacht über seine Betten mit wahrhafter Besorgniß: es will die Betten — die Ruhe und Ordnung — um jeden möglichen Preis aufrecht halten, damit noch andere Kranke, noch tausende
Kranker in ihnen verscheiden können. Denn die Zeiten sind schlecht und von jedem Kranken erhält der sogenannte Entrepreneur einen Franken!
Thiers, Molé, Bugeaud u. s. w. verstehen nicht mehr das ehemals so gut von ihnen verstandene Journal des Debats, so wie das Journal des Debats seine ehemaligen Freunde nicht mehr versteht. So
lange Thiers und Molé und Bugeaud u. s. w. an der Spitze der Regierung standen, so lange sie „die Ruhe und Ordnung“ des Kapitals aufrecht hielten und die Betten des Hrn.
Rothschild's machten, war das Journal des Debats ihr natürliches Organ. Jetzt sehen sie sich auf einmal von Leuten auf die Seite geschoben, die ihnen zwar beständig Opposition machten, aber die
in ihren kühnsten Erwartungen sich nie träumen ließen, so plötzlich und mit einem Male an die Spitze zu kommen.
Ein Marrast, Präsident der Nationalversammlung, Fabrikant der Konstitution, vor dem nun eine ganze Reihe von Nationalgardisten die Gewehre präsentiren, wenn er, der frühere Dominospieler,
gravitätisch seinem Präsidentenstuhl zuschreitet. Und nun noch gar ein Bastide, ein Cavaignac! Das ist natürlich zu arg für einen Molé und Bugeaud und Thiers, und sie schlagen sich auf die Seite
Louis Napoleons, weil sie denken: Wir haben schon einmal den Napoleon mit einem Fußtritt über's Meer geschleudert, wir können ihn noch einmal zu den Konstablern schicken! Dem Hrn. Rothschild
und seinem Organe, den Debats, ist es natürlich gleichgültig, wer seine Betten macht, wenn sie nur schnell und sicher gemacht werden und recht viele Kranken aufnehmen können. Cavaignac hat seine Probe
überstanden und er ist der Mann Rothschilds. Die armen Kranken! sie sind am meisten zu bedaueru. Man zankt sich um ihre „Ruhe und Ordnung!“ Es ist die Ruhe und Ordnung des Hospitals und
wenn nun noch gar Cavaignac ihr Krankenwächter wird, so sei ihnen der Himmel gnädig.
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@facs | 0865 |
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*
] Paris, 4. Dezember.
Der Telegraph meldete heute Morgen der Regierung, der Papst sei am 2. Dezbr. in Marseille gelandet. Er hätte bei Corsika Halt gemacht wegen stürmischem Wetter. Kultusminister Freslon war bereits am
Tage vorher in Marseille eingetroffen.
Eine spätere Nachricht 4 Uhr Nachmittags meldet, der Papst sei noch in Gaeta. Ein Courier des Admirals Parker bringt dagegen (5 Uhr Nachmittags) durch Paris nach London dem dortigen Kabinet die
Nachricht, der Papst sei in Malta gelandet.
Einstweilen ist also der Aufenthaltsort des Papstes noch Geheimniß.
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@facs | 0865 |
Paris, den 4. Dec.
„Die Nationalversammlung schickt ihr ganzes Bureau dem Papste bis Bourges entgegen. Sr. Heiligkeit wird sicher sehr erfreut sein, dieses Häuflein Voltairianer ihr ent-
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gegen eilen zu sehen. Auch Pascha Cavaignac will an dieser Wallfahrt theilnehmen.
— Der glänzende Empfang, den Hr. Marrast und seine Partei dem Papste bereiten — ruft das orleanistische Blatt „Assemblée Nationale“ mit vieler Bitterkeit aus —
geschieht lediglich im Interesse der Kandidatur Cavaignac's. Das Volk soll seine Regierung lieben lernen; die Geistlichkeit wird gewonnen ‥‥ Aber man lasse sich ja nicht täuschen.
u. s. w. Die Expedition nach Civita Vecchia ist ein bloßes Gaukelspiel. Acht Tage sind es her, daß Cavaignac den Befehl zur Ausrüstung gab und noch brachte der „Moniteur“ keine Zeile
über ihre Abfahrt. Die Sympathie für den Papst ist eine reine Heuchelei etc.
— Der Marseiller „Semaphore“ vom 1. Dec. meldet: „Die Dampffregatte Magellan nahm gestern die Geschütze nebst Material und einer Ingenieurabtheilung mit einem Bataillon
des 33. Linienregiments an Bord, welche ungefähr ein Drittel der Mollièreschen Brigade bilden. Heute (1. Dec.) werden zwei andere Fregatten aus Toulon erwartet, 2,500 Mann aufzunehmen. Die Offiziere
erhalten von heute an Feldzulage. Die Bestimmung des Geschwaders soll Ancona sein.“
— Das Blat „Assemblée Nationale“ behauptet, sämmtliche Marschälle, 200 Generäle und bedeutenden Offiziere der Armee stimmten für Louis Bonaparte etc. etc. Bisher liegen
durchaus keine Thatsachen vor, welche dasselbe zu dieser Behauptung berechtigen.
[(Moniteur de l' Armée.)]
— Das „Journal du Havre“ meldet: Wir erfahren aus London vom 2. Decbr.: daß England ebenfalls ein Geschwader vor Civita Vecchia schicke. Es scheint dem Pariser Kabinet also
doch nicht vollständig zu vertrauen. Offenbar wird die italienische Frage zu einer unerhörten Wichtigkeit heranschwellen.
— Kriegsminister Lamoriciere hat in der Nationalversammlung angezeigt, daß die Wahlen in Algerien am 19. Dezember stattfinden, wodurch das definitive Resultat der Präsidentenwahl schwerlich
vor dem Ende Dezember bekannt sein dürfte.
— In einem Saale der Rue de Rivoli Nr. 26 versammelten sich gestern sämmtliche Generalstabsoffiziere, welche seit dem Februar außer Dienst gesetzt wurden. General Baron Sourd führte den
Vorsitz und hielt eine fürchterliche Rede gegen Cavaignac und und die Republik Marrast's. Am Schlusse derselben wurde ein sprühender Antrag zu Gunsten der Wahl Louis Napoleons genehmigt, den
heute die „Patrie“ und „Liberté“ mittheilen. Dieser Antrag gleicht einem wahren Anklageakt gegen die Generale Cavaignac, Lamoriciere und Charras, der in der Rue de
Varrennes großes Aufsehen machen dürfte.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 4 Decbr.
Anfang 1 1/2 Uhr. Präsident Marrast.
Marrast theilt der Versammlung gleich nach dem Protokoll einen Brief des Kriegsministers Lamoriciere mit, in welchem er die Nationalversammlung benachrichtigt, daß die Wahlen für den
Präsidenten auf dem ganzen Gebiet Algeriens erst am 19. Decbr. vollendet sein können. In Folge dessen könnten die Stimmzettelkasten erst am 20. in Algier eingeschifft werden, und deren Inhalt vor dem
25. Decbr. schwerlich bekannt sein.
Diese Mittheilung verursacht einiges Erstaunen im Saale.
Die Städte Blois und Elbeuf bitten um die Erlaubniß, sich Behufs Beschäftigung ihrer Proletariats übersteuern zu dürfen.
Wird genehmigt.
Vivien, Staatsbautenminister, beantragt die Erledigung eines Gesetzentwurfs rücksichtlich des Eisenbahnzweiges von Nevers.
Wird genehmigt.
Die Versammlung geht nun zu ihrer eigentlichen Tagesordnung (dem 1848r Büdget) über.
Bineau berichtet im Namen des Finanzausschusses über mehrere letzthin angefochtene Kreditte, welche für das Ausland keinen Reiz haben.
Postdirektor Arago wird interpellirt, ob die Mallposten zwischen Straßburg und Lyon wirklich aufgehoben werden sollen? Arago erklärt, daß es allerdings seine Absicht sei, doch wolle er dieß der
Entscheidung des Ministers überlassen.
Kapitel 66, 67, 68, 75 und 81 des Finanzbüdgets geben zu geringer Erörterung Anlaß.
Hondouaire, Generalinspektor der Nationalwaldungen, wohnt als Kommissarius der Sitzung bei und hält einen langen Vortrag, durch welchen er zu beweisen sucht, daß die vom Finanzausschuß
beantragten Ersparnisse die Forstverwaltung ruiniren müssen. Er protestirt gegen die Verminderung des Beamtenpersonals und läßt durchblicken, daß der Finanzausschuß nichts vom Forstwesen verstehe.
Bineau verwahrt sich sehr aufgebracht gegen diese Vorwürfe.
Die Reduktion im Forstwesen wird genehmigt und die Fortsetzung der Debatte auf morgen vertagt.
Ehe die Sitzung geschlossen wird, läuft uns ein außerordentliches Blatt des Nouvelliste von Marseille in die Hände, welches anzeigt, daß Pius IX. in Malta unter engl. Flagge gelandet sei.
Wenn irgend etwas obige Depesche bestätigt, so ist es das Stillschweigen Cavaignacs während der ganzen Sitzung. Es heißt, Pius der IX. habe gesagt, daß er unmöglich in einen Staat gehen könne, der
eben im Begriff einen Napoleon zu wählen, während ihn ein Napoleon (Lucian) aus Rom vertrieben.
Die Sitzung wird um 6 Uhr geschlossen.