[Deutschland]
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[Fortsetzung] nahme, welche sie dem preuß. Volke bewiesen, gedankt zugleich aber auch erwähnt wurde, daß die Majorität des Vertrauens im Volke durchaus entbehrte. Beschlüsse, heißt es darin, welche des Volkes
Rechte vernichten, weiß sie zu fassen; durch „Phrasen und Reichskommissare“ glaubt sie des Volks Rechte zu garantiren.
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[
X
] Berlin, 1. Dez.
Gestern Abend hat Wrangel dem Gastwirth Mylius wirklich das Haus geschlossen, und, nachdem die Soldaten dasselbe von allen menschlichen Wesen gesäubert hatten, die Thüren unter Siegel gelegt.
Ein Gardelieutenant rannte vorgestern auf der Straße seinen Ellbogen einem ehrsamen Berliner Bürger in die Rippen. Gleich darauf gab er demselben auch noch eine Maulschelle mit den Worten:
„Sie Flegel, können Sie nicht die Augen aufthun, wenn Ihnen ein Offizier begegnet? He da! (zweien in der Nähe stehenden Konstablern zurufend) arretirt mir den Kerl.“ Gesagt, gethan, der
gestoßene und geohrfeigte Mann wurde ins Gefängniß abgeführt.
Alle diese Schandthaten geschehen offenbar in keiner andern Absicht, als das Volk zu einem Aufstande zu provoziren, und dann ein Blutbad wie in Wien anzurichten. Man ist auch in der größesten
Verlegenheit wegen der Soldaten, die, massenweise in den Kasernen und den öffentlichen Gebäuden zusammengepfercht sind, und vom Ungeziefer fast aufgefressen werden. Die Kerle sind von den Offizieren
systematisch für ihren König fanatisirt worden, und sie fragen tagtäglich: (da sie aus ihrer unbehaglichen Lage herauszukommen wünschen) „Geht es denn noch nicht bald los, laßt uns doch endlich
drauf schlagen.“
Dieser Zustand kann natürlich nicht lange mehr fortdauern, da die Soldaten sonst unzufrieden werden, man sie auch weder von Berlin zu verlegen, noch bei den Bürgern einzuquartieren wagt.
Der edle v. Gagern scheint sich hier ganz in dem Bereiche des Wahrheitsfreundes Bassermann zu bewegen. Gestern ist er in Brandenburg auf der Tribüne im diplomatischen Korps gesehen worden. Auch
soll er sich dort mit den Hauptführern der Rechten angelegentlich unterhalten haben. Bei dem Präsidenten Unruh oder einem andern der hier gebliebenen Abgeordneten hat er sich bis jetzt nicht blicken
lassen. Der gute Mann sollte doch das „audiatur et altera pars“ nicht außer Augen lassen. Oder will man, wie die Fürsten, absichtlich Augen und Ohren nach der Seite hin verschließen, wo
allein die Wahrheit zu finden ist?
Es scheint, daß die Herren Reichskommissarien nur Augen für rasches Fahren und schreckhafte Gestalten haben, wie solche der würdige Unterstaatssekretär Bassermann in den Straßen Berlins gesehen
haben will.
Von den vor einigen Tagen erwähnten Kanonenschlägen dürfte einer noch politische Wichtigkeit erlangen. Dieser flog in der Nähe der Malmenes'schen Knabenerziehungsanstalt auf und war
unbekannten Ursprungs. Bemerkenswerth aber ist es, daß in demselben Augenblick wo der furchtbare Knall vernommen wurde, ein Ulanenoffizier mit einem Ulanen an die Thorwache des Schönhäuser Thores
hinausgesprengt kam und rief, es sei so eben auf ihn geschossen worden, der Schuß sei aus dem Garten gekommen gekommen und er habe die Kugel pfeifen hören. Man hatte schon den ganzen Tag hindurch mit
Verwunderung die ungewöhnlich starke Besetzung dieser Wache betrachtet, natürlich daß jetzt, wo Alles mißtraut, auch Mißtrauen über diesen Auftritt laut wurde. Das Militär durchsuchte die benachbarten
Häuser und Gärten, fand aber eben so wenig einen Schützen, als ein Gewehr, als eine Kugelmarke in der geradeüber liegenden Stadtmauer. Auffallen würde es gar nicht, wenn wir morgen nun eine
Bekanntmachung läsen, etwa des Inhalts: daß auf Patrouillen und Wachmanschaften außerhalb der Thore scharf geschossen worden sei und daß in Folge dessen verordnet werde. etc. — — Es
ist jetzt Alles möglich.
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14
] Berlin, 1. Dez.
Am 30. November, Abends 9 Uhr, befanden sich im Speisesaale des Mylius Hotel die unten verzeichneten elf Personen im harmlosen Gespräch beim Glase Bier und Wein. Plötzlich wird die Thür
aufgerissen, und hereinstürmte der Major Graf v. Blumenthal, gefolgt von Offizieren und Soldaten, und befahl den Anwesenden, sofort den Saal zu verlassen. Die Protestationen derselben, daß diese
Gewaltmaßregel um so weniger gerechtfertigt sei — da man es nur auf Abgeordnete des Volks abgesehen zu haben scheine — die Gegenwärtigen aber hiesige Bürger und im Hotel wohnende Fremde
seien, wurde nicht berücksichtigt, vielmehr der Befehl unter Androhung der Gewalt wiederholt. Nachdem die Gäste den Saal verlassen, wurde derselbe von einem bereitstehenden Polizeibeamten versiegelt
und sämmtliche Anwesende durch die im Hause und vor der Thür stehenden Soldatentrupps förmlich zum Hause hinaus getrieben. Auf die Frage der Vertriebenen: „Bei wem man sich über diesen Vorfall
beschweren könne?“, entgegnete der Major: „Auf der Kommandantur, wohin Sie mir sogleich folgen können.“ Dieselben verfügten sich auch dahin, und ließen um Aufnahme eines
Protokolls bitten, indem sie sich auf den Major Grafen v. Blumenthal beriefen. Es kam ihnen die Antwort: „Der Hr. Major habe Niemanden herbestellt.“ Auf das einstimmige Zeugniß der
Vertriebenen erfolgte jedoch eine abermalige Meldung, und darauf durch einen Beamten in Begleitung eines Offiziers der Bescheid: „Der Herr Major kann Sie wohl herbestellt haben, aber der Herr
General nimmt sie doch nicht an.“ Auf weiteres Befragen: „Ob es denn für den Bürger gar keine Behörde mehr gäbe, welche seine Beschwerde annähme?“, wurde die barsche Antwort:
„Zum Polizeipräsidenten.“
Noch bekunden die Unterzeichneten zu größerer Genauigkeit, daß sie den Major um Aufnhme eines Personenverzeichnisies im Saale vergebens baten, und ihm bemerkten, daß nur drei Abgeordnete unter
ihnen seien.
Das billige Verlangen der Gäste: ihr angefangenes Abendessen wenigstens im vordern, kleinen Gastzimmer beendigen zu dürfen — wurde jedoch vom Major barsch verweigert und die gänzliche
Entfernung aus dem Hotel befohlen.
Berlin am 30. November 1848.
(Im Protokoll folgen die Namen, Stand und Wohnort).
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*
] Berlin.
(Proclamation.)
Mitbürger!
Als durch die Revolution der Märztage der lange geknechtete Volkswille zur Geltung gekommen war, da habt Ihr die Preußische National-Versammlung hierher entsendet mit dem Auftrage, in gesetzlicher
Ordnung den Neubau der Verfassung zu gründen. Es war Euch nicht zu thun um ein leeres Constitutions-Schema, neben welchem die alte Willkür, die alle Pulse des Volkslebens hemmenden alten Werkzeuge der
Adels- Beamten- und Militär-Herrschaft in voller Thätigkeit hätten bleiben können. Ihr verlangtet eine neue Begründung, nicht nur in dem eigentlich politischen System, sondern auch im Gemeinde-,
Verwaltungs-, Gerichts- und Militär-Wesen. In diesem Sinne hat die National-Versammlung ihre Aufgabe erfaßt und sich mit Ernst und Ausdauer ihrer Lösung gewidmet, mehr gehemmt als gefördert durch die
drei rasch auf einander folgenden Ministerien. In die Nothwendigkeit versetzt, an die Stelle des von der öffentlichen Meinung gerichteten Verfassungs-Entwurfs des Ministeriums Camphausen denjenigen
der Verfassungs-Commission zu setzen, hatten wir den letzteren durch Bearbeitung in den Abtheilungen und Central-Abtheilungen zur ununterbrochenen Berathung in den Plenar-Versammlungen gereift. Auch
die Gemeinde-Ordnung, die bis jetzt noch nicht einmal von dem Ministerium vorgelegte Kreis- und Bezirks-Ordnung wären in kurzer Zeit zur Verhandlung in der Versammlung vorgearbeitet gewesen. Eben so
verhielt es sich mit dem Grundsteuer-Gesetze, dessen Zweck dahin ging, der Ungleichheit in der Besteuerung der einzelnen-Provinzen, der Belastung des kleineren Gutsbesitzers vor dem größeren, ein Ende
zu machen; wir haben diese Gesetzesvorlage noch in den letzten Tagen des Drangsals zur Berathung im Plenum beendigt. Ein Gesetz über die Abschaffung der Lasten des bäuerlichen Grundbesitzes
beschäftigte jetzt eben die Versammlung. Der heilige Ernst ihres Berufs hatte sich mehr und mehr in derselben entwickelt. Der Beschluß vom 7. September über den Stein'schen Antrag zeigte
zugleich ihre Entschlossenheit, die eigene Würde zu wahren und an die Reform des ganz außerhalb des Gesetzes der Neuzeit stehenden Offizier-Wesens endlich die Hand zu legen. Klar mußte es allen
Privilegirten, allen Büreaukraten, allen Herrendienern, allen Anhängern des alten Militär- und Polizei-Staates werden, daß es mit dieser Versammlung nicht möglich sei, neben dem Scheinbilde des
Constitutionalismus, die alte Willkür-Herrschaft fortzusetzen, das Volk wieder um die Früchte der Revolution zu bringen. Daher verdächtigen sie auf jede Weise die National-Versammlung, beschuldigen
sie der Unthätigkeit, erhoben das Geschrei nach der bloßen, hohlen Constitutions-Form, beuteten die politische Unreife, die Furcht des Burgers vor dem Proletarier, diese in Deutschland ganz
unbegründete Furcht, aus, benutzten einzelne Gesetz-Ueberschreitungen, um vermöge der widergesetzlichen Erfindung des Belagerungs-Zustandes im tiefsten Frieden, ein Werkzeug vorzubereiten zur
Unterdrückung der blutig errungenen Freiheiten, der Presse, des Vereinigungs-Rechts. Zur Täuschung der Provinzen deutete man die in Zeiten der Aufregung unvermeidlichen, vereinzelten Excesse dahin,
die Versammlung sei terrorisirt. Dichter und dichter, mit steigender Verschwendung der Staatsgelder, wurde zugleich das Netz militärischer Umstrickung um die friedliche Hauptstadt gezogen. Als nun die
Versammlung auch in der Berathung der Grundrechte den entschiedenen Willen zeigte, die Früchte der Revolution zur Geltung zu bringen, als sie die Hand an die Feudalrechte legte, Adel, Titel und Orden
aufhob, als sie sich des unterdrückten Wiens annahm, da schien es der Reaction die höchste Zeit zu sein, durch Beseitigung dieser Versammlung dem Volke die Hoffnungen zu nichte zu machen, deren
Erfüllung nach wenigen Monaten bevorstand. Da trat die Soldatengewalt unverhüllt auf in dem Ministerium Brandenburg
Die eigenmächtige Verlegung und Vertagung der Versammlung, das wiederholte gewaltsame Auseinandersprengen derselben durch die Bajonette, die Dictatur Wrangel's, der Belagerungszustand
Berlins im Frieden und ohne Aufruhr, die Auflösung und Entwaffnung der Bürgerwehr, die Vernichtung der Preßfreiheit und des Vereinigungsrechts, die Verletzung des Gesetzes zum Schutz der persönlichen
Freiheit, das sind die Thaten dieser Gewalthaber. — Wir, Eure Vertreter, haben dem Despotismus den Widerstand geleistet, die in unserer Macht lag. Schritt vor Schritt folgten wir den Maßregeln
dieses Ministeriums und erklarten sie für ungesetzlich. Als letzte Waffe des leidenden Widerstandes sprach die National-Versammlung diesem des Hochverraths angeklagten Ministerium die Befugniß ab,
Steuern zu erheben und über Staatsgelder zu verfügen. — Dabei haben wir wiederholt die Hand zur Ausgleichung des Confliktes geboten und nichts weiter verlangt, als die Aenderung des
Ministeriums und die ungestörte Fortsetzung unserer Berathungen in Berlin. — Alles jedoch ohne Erfolg
Jetzt, wo die regelmäßige Zusammenkunft der Volksvertreter durch ungesetzliche Gewalt verhindert wird, vereinigt die Regierung die Abgeordneten, welche ihren Auftrag verkennen, zu einer,
jedes gesetzlichen Ansehens entbehrenden, Versammlung in Brandenburg. Sie bedenkt nicht, daß Alles, was die Minderheit vornehmen mag, von vornherein null und nichtig ist, daß auch die etwaige
Vermehrung der jetzt so geringen Zahl der dort Versammelten an der Gesetzlichkeit nicht das Mindeste ändern könnte, daß die einzige Grundlage derselben die Bajonette bleiben werden. Sollte, wie
behauptet wird, die Gewalt im schlimmsten Falle, dem Lande eine Verfassung octroyren (aufdrängen) wollen, so würde eine solche Verfassung nicht die geringste Gültigkeit haben. Denn es ist die
Errungenschaft des März, daß nur mit den gewählten Vertretern des Volks die Verfassung festgestellt werden darf. Nur wir, die hier in Berlin constituirte National-Versammlung, sind jetzt diese
Vertreter. Jede Auflösung dieser Versammlung ist ungesetzlich und daher rechtlich wirkungslos. Feierlich protestirt die National-Versammlung gegen alle Akte der Regierung, welche durch die
außerordentlichen Militär-Anstalten wöchentlich Millionen des Staatsvermögens, vergeudet, lediglich zur Knechtung der Nation. Feierlich erklärt dieselbe, daß die Regierung, ganz abgesehen von der
bereits beschlossenen Steuerverweigerung, vom 1. Januar 1849 ab über keinen Pfenning verfügen darf, da wir das Budget noch nicht bewilligt haben. — Harret Ihr Mitbürger indessen muthig aus,
scheidet die Selbstsucht aus Eurer Mitte, stählt Eure moralische Kraft, welcher das gesetzlose Beginnen Eurer Unterdrücker endlich doch unterliegen muß.
Es lebe die Freiheit! Es lebe das Vaterland!
Berlin, den 27. November 1848.
Die Abgeordneten der National-Versammlung:
Anwandter. Arnold. Arntz. Bading. Baltzer. Bauer. Bazynskl. Beeck. Behnsch. Berends. v. Berg. Beck. Bliesner. Borchardt. Born. Brill. v. Brodowski.
Becker. Bloem. v. Bruchhausen. Bunzel. Baumgart. D'Ester. Dierschke. Dittrich. Döring. Dziadeck. Ebel. Eichner. Elsner. Esser. Nees von Esenbeck. Euler. Friedrich. Funke. Fischer. Gladbach.
Gräff. Grün. Grebel Guittienne. Gorzolka. Hänel. Haußmann. Haußmann. Heisig. Herold. Hermann. Hildenhagen. Hildebrandt. Hoferichter. Hoyoll. Horn. Humann. Heinatz. Hahnrieder. Jacoby. Jung. Jung.
Juncker. Iwand. Kabus. Kaul. Keiffenheim. Kittelmann. Klingenberg. Kneip. Köhler. Körfgen. Krackrügge. v. Kraszewski. Krause. Krüger. Kuhr. Kunz. Kutzner. Kaliski. Laraß. Laßwitz. Lentz. v. Lipski. v.
Lisiecki. Lebermann. Lellek. Maager. Mann. Matze. Matthaei. Meßrich. Mildner. Moldenhauer. Mros. Mülhens. Müller. Müller. Nickel. Otto. Paap. Packeiser. Pankow Pax. Peters. Philipps. Pilet. Pinoff.
Plath. Plönnis. Pheiffer. Quandt. Raentsch. Raffauf. Graf Reichenbach. Reinige. Reinicke. Reuter. Richter. Riedel. Riel. Riemann. Rodbertus. Rötscher. Rüdiger. Rochow. Schaffraneck. Schell. Schmidt.
Schmidt. Schmidt. Schneider. Schoen. Scholtz. Schornbaum. Schramm. Schramm. Schulz. Schulze. Schultze. Schwickerath. Siebert. Skiba. Sohrweide. Specht. Steffarowicz. Stein. Strybel. Szumann Simon.
Schuck. Schafferl. Taczarski. Teichmann. Temme. Teske. Thiede. Toebe. Trapzieski. Ulrich. Vissers. Voigt. Waldeck. Weichsel. Willenberg. Witt. Wollheim. Woday. Wollschläger. Zenker. Zorn.
Zeidler.
Durch militairische Besetzung des Bureaux der National-Versammlung und der Privatwohnung des Secretairs Hildenhagen, welcher die Sammlung der Unterschriften in Auftrag hatte, ist die weitere
Einzeichnung der in Berlin anwesenden Deputirten verhindert worden.
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*
] Berlin, 2. Dez.
Der Präsident v. Unruh hat gestern von Brandenburg aus sämmtliche Mitglieder der Nationalversammlung zur heutigen Sitzung einberufen. Die hier anwesenden Mitglieder des linken Centrums und ein
Theil der Linken, wie Jung, Grebel, Körfgen u. A. sind diesem Rufe heute Morgen gefolgt und nach Brandenburg gereist. Da jedoch die gestern im Dom zurückgebliebene Rechte mit 72 gegen 61 Stimmen
beschlossen hat, sich bis Donnerstag zu vertragen, so wird die in Brandenburg versammelte Opposition, unter dem Präsidium Unruh's heute nur eine Privatberathung halten und sich wo möglich mit
der Rechten dahin verständigen, daß Montag die Sitzungen der Nationalversammlung unter Vorsitz des Hrn. v. Unruh beginnen können.
Dr. A. Hexamer, Mitglied des Central-Ausschusses der deutschen Demokraten, hatte als Schreiber des Justizraths Pfeiffer, von der hiesigen Polizei die Erlaubniß zum bleibenden Aufenthalt. Der neue
Polizeipräsident, Hr. Hinkeldey, hat sich jedoch veranlaßt gefunden, Hexamer, ohne Angabe irgend eines Grundes, aus Berlin zu verweisen. Letzterer hat seine bisherige Wohnung verlassen und sich nach
seinem Vaterland (was ist des Deutschen Vaterland?) begeben. Am Tage seiner Abreise besuchte er noch einen, im Mylius Hotel Nr. 29 logirenden Freund. Da aber Mylius Hotel, als der gewöhnliche
Versammlungsort der Linken, Tag und Nacht von Spionen jeder Art umgeben ist, so wurde auch Hexamers Anwesenheit auf dem Zimmer Nr. 29 dem Polizeipräsidenten hinterbracht. Sofort erschien ein
Konstabler, der sich ohne Weiteres nach Nr. 29 begab. Das Zimmer war verschlossen. Er ließ es sich ohne Weiteres öffnen und wollte die dort befindlichen Reise-Effekten eines eben angekommen Fremden,
als die Hexamers mit Beschlag belegen. Nur mit Mühe ließ sich der Konstabler überzeugen, daß Hexamer nicht im Hotel wohne und die vorgefundenen Effekten, wie das die Namensbezeichnung beweise, dem
Rittmeister Kuhr gehören. So befolgt unsere Polizei die Habeas-Corpus-Acte; sie dringt in Privatwohnungen und verfügt Beschlagnahme ohne richterlichen Befehl.
Der vorgestern von einem Polizei-Offizianten, unter Beihülfe einer Kompagnie Soldaten versiegelte Gesellschaftssaal im Hotel Mylius ist gestern Nachmittag, ohne daß der Besitzer einen Schritt
deshalb gethan hätte, wieder entsiegelt worden.
Die pommersche Landwehr ist heute hier eingerückt, um einige andere von hier abgegangene Bataillone von der Linie zu ersetzen. Der Prinz von Preußen mit seinem Sohne und seiner ganzen Suite war
eigens von Babelsberg dazu hierher gekommen, um vereint mit dem General Wrangel diese Landwehrregimente zu empfangen und feierlichst einzuholen. Es war seit dem 18. März das erste Mal, daß der Prinz
von Preußen wieder mit stolzen herrischen Blicken durch die Straßen Berlins ritt. Wer dieser prinzlichen Suite, mit ihren Alles zu vernichten drohenden Blicken auf den Straßen heute begegnete, dem ist
es klar geworden, daß es noch Menschen gibt, welche seit dem 18. März weder etwas gelernt noch etwas vergessen haben.
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@facs | 0852 |
Frankfurt a. d. O., 27. Nov.
Die Steuerverweigerung hat hier, wie in vielen anderen Orten, den Wendepunkt der Gesinnungsostentation herbeigeführt. Eine äußere Veranlassung hierzu geben mehrere traurige Konflikte mit dem
Militär, namentlich mit Soldaten des 10. Regiments. Am vergangenen Freitag drangen nämlich circa 80 Mann unter Anführung eines Unteroffiziers, zum Theil bewaffnet, in das Lokal, in welchem der
demokratische Verein sich versammelte und überfielen die Anwesenden mit Schlägen und Säbelhieben, so daß sich dieselben flüchten mußten, weil thatsächlich ihr Leben bedroht war. Die Soldaten hatten
das Attentat förmlich organisirt. Sektionsweise waren sie vom Kasernenhofe abmarschirt und sektionsweise kehrten sie nach vollbrachter Heldenthat jubelnd und singend zurück. Am anderen Tage erneuten
sich die Exzesse, als ein Unteroffizier ein Plakat abriß und dafür von einem Bürger handgreiflich gezüchtigt wurde. Es entstand eine Straßenprügelei, bei welcher sich auch Offiziere als Zuschauer
einfanden. Soldaten suchten einen Flüchtiggewordenen in einem Hause, in welches sie gewaltsam eindrangen und alle Protestationen des Wirthes wegen Verletzung des Hausrechts höhnend zurückwiesen. Auch
hierbei war ein Major auf dem Hofe unthätiger Zuschauer. — Die Klage ist freilich eingeleitet, aber man weiß ja, welche Resultate dergleichen Klagen und Untersuchungen haben —
Ausdrücklich müssen wir bemerken, daß die Landwehr, das 8. und 20. Regiment, auf Seiten der Bürger stand. Das 10. Regiment war gestern in der Kaserne konsignirt. — Fast täglich marschirt hier
Landwehr nach Schlesien durch; am Sonnabend das nach Görlitz, gestern das nach Löwenberg, heute das nach Hainau und Bunzlau bestimmte Bataillon.
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@facs | 0852 |
Stettin, 28 Nov.
In Colberg will man unter den Artilleristen Bestrebungen entdeckt haben, welche mit der bestehenden militärischen Ordnung nicht im Einklang stehen. Ein Offizier, der früher in die Annekesche
Angelegenheit verwickelt war, soll versetzt und eine Anzahl von Unteroffizieren in Untersuchung gezogen seyn. Ein höherer Offizier, welcher die Bestrebungen nicht rechtzeitig entdeckte, ist
suspendirt. Die Denunciation erfolgte durch ein Schreiben aus Colberg nach Berlin. Das Stettiner Gen.-Commando muß täglich von hier aus an das Staatsministerium berichten.
[(B.
N.)]
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@facs | 0852 |
Posen, 26. Nov.
Der Ingenieur-Lieutenannt Rüstow, der Verfasser der kleinen Brochüre: „Brief eines demokratischen Offiziers“ ist heute auf Befehl des General v. Steinäcker vom Dienste suspendirt. Die
nächste Veranlassung zu dieser Maßregel hat jedenfalls die Betheiligung des genannten Herrn, dessen ausgezeichnete militärische und allgemeine Bildung übrigens von allen Seiten anerkannt wird, am
hiesigen demokratischen Verein und an einer Kollekte für die National-Versammlung gegeben. — Gestern wurden ihm folgende Fragen vorgelegt: haben Sie den Brief eines demokratischen Offiziers
verfaßt? Sind Sie Mitglied des hiesigen demokratischen Vereins? Haben Sie für die National-Versammlung 1 Rth. bezahlt? Herr Rüstow beantwortete jede der Fragen mit ja und heute früh wurde ihm
eröffnet, daß er wegen schwerer Beleidigung des Offizierstandes und um Excesse zu verhüten, vom Dienst suspendirt sei. Die Bedeutung des letzten Grundes zu begreifen, ist nicht möglich. Von wem
befürchtet man Excesse denen vorgebeugt werden soll? Jedenfalls wird Herr Rüstow demnächst vor ein Ehrengericht gestellt werden. So befolgt man den Pfuelschen Ministerial-Erlaß!
[(Osts.
Z.)]
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@facs | 0852 |
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33
] Brünn, 29. Nov.
Von der deutschen Bewegung wird man aus den hiesigen Zeitungen kaum etwas gewahr. Sie bringen blos das, was in ihren Standrechtskram paßt, mit Weglassung alles andern. Und wenn einmal etwas
demokratisches berichtet wird, so fällt diese Henker-Presse mit einer wahren Hyänenwuth über die Thatsache her. So z. B. die „Presse“ über den Beschluß der Frankfurterin, Blum eine
Todtenfeier zu halten, über das toskanische und päbstliche Ministerium. Wer einem seinen französischen Zeitungsabsolutismus mitunter noch Geschmack abgewinnen kann, dem muß es gleichwohl übel werden,
wenn er hier unter diese Hetze infamer Literaten kommt, deren hundsföttische Seele fortwährend einen Geifer ausspritzt, dessen Urquelle immer die Gesinnungslosigkeit, der Schachergeist ist.
Der Reichstag in Kremsier ist ein Spott geworden; die Czechen behaupten ihre alte Rolle, wofür sie von Frau Sophie gut bezahlt werden sollen. Die Verlesung der Protokolle vom 30. und 31. Oktober
ist, weil daraus eine Anerkennung der Revolution gefolgert würde, verworfen worden. Auf Interpellationen wird keine Antwort mehr ertheilt, und dem Reichstag überhaupt nicht erlaubt, zahlreiche
Sitzungen zu halten. Es kommen viele Mißtrauensvota der Wähler vor, die meistens freisinnig sind. Darum spruzt auch die infame Presse dagegen; sie will die Umgekehrten, denn der Reichstag soll
purifizirt werden. Man will alle Bildung, alle Gesinnung herausgeworfen haben, und dafür blos Czechen und andere Irokesen drinn behalten.
Die Aristokratie strengt ihre letzte Kraft an, sich wieder zu Geltung zu bringen, doch es ist aus mit ihr. Sie steckt bis über die Ohren in Schulden, ist gänzlich den Juden zinsbar. In Oesterreich
wird sich daher eine Bourgeoisie entwickeln, die, da sie bisher rein wie das Vieh auferzogen worden, an Infamie alles überbieten wird, was der Westen Europa's je hervorgebracht. Vielleicht
herrscht sie dann um so kürzere Zeit. Schon Metternich hat sich auf die Bourgeois stützen müssen und die Kamarilla thut es, ungeachtet es anders scheinen mag, noch mehr. Wir wollen sehen, was zuerst
zusammenkracht; denn daß Oesterreich in seinem jetzigen Zustande lange verbleibt, ist unmöglich.
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121
] Wien, 29. Nov.
Europa ist voll von dem Zivio, von der siegreichen Macht der Kroaten. — Kroaten in Italien, Kroaten in Ungarn, Kroaten in Wien. Sie fehlen nur noch in Berlin. Und dennoch ist Kroatien ein
kleines und noch dazu menschenleeres Land. Woher also diese ungeheure Kroatenarmee? Darauf antwortet das Volk: die Hälfte dieser Kroaten sind —
Russen, die über Galizien und rundum die
Donaufürstenthümer in Bauerntrupps eingeschwärzt, dann eingekleidet und auf diese Weise als Kroaten in die verschiedenen Armeen gebracht worden sind. — Mir selbst sagte vor einigen Tagen ein
slavischer Soldat, indem er auf seine Uniform zeigte: „deutsch“, und, indem er nun mit dem Finger das Gesicht berührte: „Nuß“. Betteln und diese beiden Worte, das war seine
ganze Sprache. — Danach erwarten Sie mit Sicherheit die Niederlage der armen Magyaren; sie können sich bei dem spartanischsten Muthe nicht zugleich halten, wider Oesterreich und die
russisch-türkische Intervention. Die Kroaten der Türkei sind nämlich ebenfalls im österreichischen Heere. Der Gesandte der französischen Bourgeois-Republik benimmt sich dabei, als ob die Sache ganz
ohne Bedeutung wäre; sein Sekretariat macht unterdessen sogar recht gute Börsengeschäfte. — Noch niemals wurde in den Straßen und Häusern soviel gebettelt, als nun; man glaubt sich in Brüssel;
die Konkurrenz der Kroaten entzieht dabei dem armen Volke manchen Kreuzer. Statt der vielen politischen Plakate und Zeitungen, die früher Morgens die Straßenecken bedeck-
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ten, lies't man jetzt neben standrechtlichen Proklamationen fast nur Zerstreuungsanzeigen und Sprachlehrerempfehlungen. — Die Zwanziger standen vorgestern 8 pCt. auf der Börse, und die
Bank selber soll 5 pCt. dafür geben; die Münze prägt deren Tag und Nacht, man sagt für 20,000 Fl. täglich; aber es hilft nichts, die Zwanziger werden in einigen Tagen gänzlich verschwunden sein. Wie
ich höre, will die Bank Papierzwanziger emittiren, um die silbernen aus ihren Verstecken zu bugsiren. 1 und 2 Guldenstücke sind schon seit dem März unsichtbar geworden. Die Zwanziger sollen von den
Juden mittelst Bestechung aus dem Lande, meist nach Hamburg, geschleppt, dort eingeschmolzen und dann als Silberbarren von der Bank zu enormen Preisen wieder angekauft werden. Ein fideler Schacher.
— Die Ausfuhr von Militärtuch ist verboten worden, und das Aerarium bestimmt den Fabrikanten die Preise für's Inland. Ein Spaßvogel hat sich den Scherz erlaubt, dem Gemeinderath zu
denunziren, der ganze Wienfluß liege voll Waffen; es entstand Heulen und Zähneklappern, und der Gemeinderath will nun im Ernste den ganzen Wienfluß abgraben lassen. Sämmtliche Kanäle hat er bereits
durchsuchen lassen. — Vorgestern ging hier das Gerücht, Radetzki habe Mailand verlassen müssen. Das erste literarische Ferkel Wien's, Bäuerle, ist wieder aufgelebt und wüthet in seiner
Theaterzeitung mit der unerhörtesten Gemeinheit wider die Demokratie. Auch sein Milchbruder Saphir, ist mit seinem Pfützen-Humor wieder auferstanden. Das neue Ministerium ist hier angekommen, verhält
sich aber sehr still.
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24
] Wien, 29. November.
Ueber den hiesigen Gemeinderath ist eine wahre Adressenwuth gekommen. Windischgrätz und Welden haben bereits den „tiefgefühltesten, ehrfurchtvollsten Dank,“ für ihre unglaubliche
„Milde und Gnade“ von diesen schwarzgelben Vögeln zugekrächtzt erhalten.
Nach diesen Beiden kam die Reihe an Jellachich. Ihm drückt der Gemeinderath, in „tiefgefühlter Pflicht,“ seine „innigste Bewunderung, seinen wärmsten Dank“ aus.
„Ihr rasches Erscheinen vor den Mauern Wiens,“ heißt es weiter, „in einem Zeitpunkt der härtesten Bedrängniß … hat es allein möglich gemacht, den Ausbrüchen ungezügelter
Parteiwuth ein baldiges Ziel zu setzen u. s. w.“
Nach Jellachich wird Feldmarschall-Lieutenant v. Czorich ebenfalls beadresst.
Gestern kam eine Deputation der k. k. Nationalbank zu Windischgrätz und überreichte ihm ebenfalls in einer Adresse ihren „gerührtesten Dank für das segensvoll Vollbrachte.“
Wann diese Adressenwuth der „Schwarzgelben“ aufhören wird, läßt sich schwer bestimmen.
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!!!
] Frankfurt, 2. September.
Sitzung der National-Versammlung in der reformirten Kirche.
Tagesordnung.
1. Berathung über den vom Abgeordneten Francke, Namens des volkswirthschaftlichen Ausschusses erstatteten Berichts, die Aufhebung der Flußzölle betreffend.
2. Berathung über den Bericht des Abgeordneten Francke, die Beschwerde der Segelschiffer betreffend.
3. Berathung des vom Verfassungsausschusse vorgelegten Entwurfs: der Reichstag.
Riesser präsidirt.
Der österreichische Ausschuß erstattet durch Sommaruga Bericht über den bekannten Antrag von Zimmermann aus Spandau. Der Antrag des Ausschusses lautet:
„Die
National-Versammlung wolle in Erwägung der hohen Wichtigkeit, daß das deutsche Volk über die Grundhältigkeit der im Antrage des Herrn Zimmermann von Spandow enthaltenen Angaben, über angeblich bei den
letzten Ereignissen in Wien stattgehabten Vorgänge durch eine vollkommen unbefangene Erhebung des wahren Sachverhaltes Aufklärung erlange, das Reichsministerium auffordern, den nach Oesterreich
abgesendeten Reichskommissären ungesäumt den Auftrag zu ertheilen, an Ort und Stelle den Thatbestand der in Folge der Wiener Ereignisse gemeldeten Gräuelthaten auf das Genaueste zu erheben und darüber
zu berichten, in wie weit das Gesetz gehandhabt ist, um die Urheber solcher Handlungen zur Strafe zu ziehen.“
Der Bericht wird ein andermal berathen werden.
Wiener interpellirt das Reichsministerium über die vor längerer Zeit erfolgte Sendung der Magyaren an die National-Versammlung Behufs eines völkerrechtlichen Bündnisses. Bei der bedrängten
Lage Ungarns und der Gefahr, die daraus für die materiellen Verhältnisse von ganz Deutschland entsteht, frage ich, welche Vorkehrungen zum Schutz der Handelsbeziehungen Deutschlands zu Ungarn hat das
Reichsministerium getroffen, und welche Maaßregeln, um diesem Lande den Frieden zu verschaffen?
Folgen noch 3 bis 4 Interpellationen an den Kriegsminister, die ich bei der Beantwortung geben werde.
Lassaulx interpellirt den Justizminister, was er gethan habe in Bezug auf einen Artikel der Reichstagszeitung: „Ueber die Ermordung Robert Blums und die Mehrheit der
Reichsversammlung.“ Die berüchtigte Stelle, vor der Lassaulx sich entsetzt, lautet ungefähr: „Windisch-Grätz hätte nicht gewagt, Rob. Blum zu ermorden, wenn nicht National-Versammlung
und Centralgewalt die jämmerlichste Ohnmacht gezeigt hätten.“ (Links: Jawohl! Riesser ruft den zur Ordnung, der „jawohl“ gerufen hat. Tumult.) Lassaulx nennt den Verfasser jenes
Artikel einen knabenhaften Verläumder u. s. w. (Links furchtbarer Tumult. Präsident ruft Lassaulx nicht zur Ordnung.) Lassaulx fährt auf die ordinärste Weise fort, sich über den Verfasser jenes
Artikels in der Reichstagszeitung auszusprechen.
Rösler von Oels erhebt Anklage gegen den Vicepräsidenten wegen seines Benehmens. In zwei Beschwerden, die er an den Geschäftsordnungsausschuß verwiesen haben will, klagt er den Präsidenten
Riesser an: 1. Lassaulx nicht zur Ordnung gerufen zu haben, trotzdem derselbe sich Schimpfwörter auf der Tribüne erlaubt hat, und 2. selbst sich über einen Artikel der Reichstagszeitung, der noch
keiner gerichtlicher Verurtheilung unterlegen, in beschimpfender Weise ausgesprochen zu haben.
v. Herrmann präsidirt.
Vicepräsident Riesser erklärt sich mit Rösler von Oels einverstanden und sagt, er werde heute zum letzten Male präsidiren, da er selbst fühle, daß er nicht die nöthige Ruhe dazu besitze. (Bravo der
Centren. Trommeln links).
Der Handelsminister giebt einige Erläuterungen auf eine Interpellation.
Schmerling beantwortet eine Interpellation von Wesendonk wegen der preußischen Angelegenheiten. Die Reichskommissäre seien in Berlin thätig und wie er (der Minister) hofft, mit Erfolg.
Justizminister Mohl auf die Interpellation von Lassaulx: Der fragliche Artikel ist dem Gericht zur Beschlußnahme überwiesen. Auf eine Interpellation von Berger wegen des Wiener
Belagerungszustandes: die Aufhebung der sämmlichen Ausnahmezustände in Wien und Oesterreich seien beim österreichischen Ministerium durch das gesammte Reichsministerium beantragt. Er (Mohl) habe sich
auch noch speziell an den österreichischen Justizminister wegen der Proklamation des Generals Cordon gewendet und seine Mißbilligung über die in dieser Proklamation enthaltenen Drohungen
ausgesprochen. (Wird natürlich viel nutzen!) Auf eine Interpellation von Blumröder wegen des Cirkulars in Betreff aller politischen Vereine in Deutschland. Die Vereine haben sich über diese Maßregel,
die blos zu statistischer Uebersicht getroffen, beim Reichsministerium nicht beschwert. Sie hätten dies mit ihren Einzelregierungen abzumachen, an welche das Cirkular ergangen. Wenn gewisse Vereine
nicht auf die Forderungen des Reichsministeriums einzugehen geneigt wären, so hätte die Sache dabei ihr Bewenden! (Bravo im Centrum).
Gegen 11 Uhr geht man zur Tagesordnung über.
1. Bericht des volkswirthschaftlichen Ausschusses, die Flußzölle betreffend. (Der Berichterstatter ist Franke).
Zu dem Entwurf des volkswirthschaftlichen Ausschusses sind eine Anzahl Amendements, unter andern ein präjudizielles von Lette gestellt, welches beabsichtigt, die ganze Angelegenheit der
Centralregierung zu beliebigem Ermessen zu überweisen.
Ueber diesen Präjudizialantrag soll sich eine Diskussion erheben.
Eisenstuck protestirt gegen eine solche, ehe nicht der Ausschußentwurf selbst diskutirt ist.
Der Berichterstatter Franke führt hierauf nachfolgenden Entwurf ein:
§ 1.
„Alle schiffbaren Flüsse, welche verschiedene deutsche Staaten durchströmen oder begränzen, sind auf deutschem Gebiete bis ins Meer für deutsche Schifffahrt frei von allen das Schiff oder die
Waare treffenden Zöllen und Abgaben mit Einschluß der Brückendurchlaßgelder.
„Gleiches gilt von der Holzflößerei auf den vorgedachten schiffbaren Flußstrecken. Von fremden Schiffen und deren Ladung dürfen nur durch die Reichsgewalt Wasserzölle u. dgl. Abgaben erhoben
werden und fließen solche in die Reichskasse.“
§ 2.
„Die bisherigen Hafen-, Krahn-, Waag-, Lager-, Schleußen u. dgl. Gebühren in den an diesen Flüssen gelegenen Orten bleiben bis auf weitere Anordnung bestehen.“
§ 3.
„Die Erhaltung und Verbesserung des Fahrwassers, so wie des Leinpfades der bezeichneten Flüsse liegt dem Reiche ob. Doch haben bis auf weitere Verfügung durch das Reich, die Einzelstaaten,
welchen die Unterhaltung dieser Flüsse bisher oblag, dieselbe auch ferner zu beschaffen, unter Oberaufsicht einer von der provisorischen Centralgewalt sofort niederzusetzenden Flußschifffahrtsbehörde
und gegen Erstattung der von dieser gebilligten Ausgaben aus der Reichskasse.“
§ 4
„Bis zur Erlassung einer Flußschifffahrtsordnung durch die Reichsgesetzgebung bleiben die bestehenden Schifffahrtsakten und Regulative, mit Ausnahme der auf die genannten Zölle und Abgaben sich
beziehenden Bestimmungen, in Wirksamkeit.“
§ 5.
„Hinsichtlich der Benutzung der Wasserstraßen, Schifffahrtanstalten, so wie hinsichtlich aller in diesem Gesetze erwähnten Abgaben, sollen alle Angehörigen des deutschen Reichs völlig gleich
gehalten werden; insbesondere darf kein Unterschied in der Art stattfinden, daß dadurch eine Begünstigung der Angehörigen, der Schiffe der Landungsplätze oder des Handels des einen deutschen Staats
vor denen des anderen bewirkt wird.“
§ 6.
„Vorstehendes Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1849 in Wirksamkeit.“
§ 7.
„Ob und in welcher Weise den eizelnen Staaten, Gemeinheiten oder Personen für den Wegfall der reinen Einnahmen aus den aufgehobenen Zöllen und Abgaben eine Entschädigung zu gewähren sein mögte,
wird durch ein Reichsgesetz entschieden werden.“
Franke spricht sich natürlich gegen den Präjudizialantrag entschieden aus.
Moritz Mohl spricht zuerst für die Aufhebung der Flußzölle und gegen den Präjudizialantrag Im Interesse der Partikularinteressen sei es allerdings, die Flußzölle nicht aufzuheben. Es sei ein
wahrer „Rattenkönig“ von Privatinteressen vorhanden, welcher der Annahme der Aufhebung aller Flußzölle entgegenstände. (Im Centrum ruft einer Schluß! Links eine Stimme: Das ist ja
schändlich bei einer so wichtigen Verhandlung!) Mohl geht die einzelnen Paragraphen des Entwurfs durch, gegen die er nichts Erhebliches einwendet. Zum Schlusse sagt er, man möchte dies Gesetz
annehmen, um doch endlich einmal dem deutschen Volke die erste materielle Erleichterung zu verschaffen (Bravo links).
Der Handelsminister Duckwitz spricht einige Worte zur Versammlung, in denen er empfiehlt, die Angelegenheit der Flußschifffahrt und Aufhebung der Flußzölle der Centralgewalt zu überweisen.
Man möge ihm das Vertrauen schenken, die Sache in seine Hände zu nehmen, er habe von jeher seine Pflicht gethan, das beweise seine Vergangenheit. Er gelobe, diese Sache so ernstlich und schnell wie
möglich und wie es das deutsche Volk nur verlangen könne, zu Ende zu bringen
Schluß der Debatte. — Jucho verlangt namentliche Abstimmung.
Raveaux reicht eine Erklärung ein, wonach die Stadt Köln für die Aufhebung der Flußzölle petitionirt hat. Die Erklärung erfolgt deshalb, weil Mohl Köln unter den Stadten genannt hat, die ein
Partikularinteresse in dieser Angelegenheit hätten.
Bei der Abstimmung wird Lette's präjudizieller Antrag abgelehnt, dagegen der von Fallati und Genossen eingebrachte, lautend:
„die hohe Reichsversammlung wolle beschließen, daß die Centralgewalt aufgefordert werde, die zur Aufhebung der Belastung der deutschen Flüsse, so wie zur Sicherung der Erhaltung und
Verbesserung der Wasserstraßen in Deutschland erforderlichen Gesetzesentwürfe in möglichst kurzer Zeit vorzulegen“
angenommen.
Die Linke protestirt gegen diese Abstimmung, da M. Mohl die namentliche Abstimmung für alle Anträge verlangt hat. Dieser Protest erregt einen halbstündigen Tumult und endet fruchtlos für die Linke,
indem die Majorität endlich unter Getrommel und Geschrei die fernere Tagesordnung durchsetzt. Da der Tumult aber nicht aufhört, stimmt man nochmals darüber ab, ob die Versammlung das Verfahren und die
Abstimmungsweise des Präsidenten fehlerhaft findet?
Diese Frage wird verneint. Ebenso die Frage, ob über noch fernere Zusatzanträge (gestellt von der Linken) abgestimmt werden dürfe, mit 229 Stimmen gegen 194.
Viele Abgeordnete der Linken protestiren zu Protokoll gegen die Gültigkeit des angenommenen Antrags von Fallati.
Mittlerweile ist es 1/2 2 Uhr geworden.
Nr. 2 der Tagesordnung.
Bericht des volkswirthschaftlichen Ausschusses, betreffend die Beschwerden über die Dampfschifffahrt auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen. Berichterstatter ist Franke.
In einer kurzen Debatte sprechen Franke, Kolb aus Speyer, Moritz Mohl, von Herrmann (gegen den Ausschußantrag, für die Genehmigung der Petitionen der Segelschiffer).
Fallati (Unterstaatssekretär) verspricht im Namen des Ministerii genügende Erledigung dieser Angelegenheit bei Annahme der Anträge des Ausschusses.
Raveaux: (Schluß! Schluß!) wundert sich, daß auch diese Angelegenheit, von der das Wohl von 1000 Familien abhängt, durch Schlußruf abgeschnitten wird, weil die Zeit vorgerückt ist. (Es ist
nämlich die Zeit des Mittagsessens.) — Unterbrechungen. — Er spricht sich entschieden gegen die Ausschußanträge und für die Schiffer aus, die er einen Stand von freien und braven Bürgern
nennt, welcher am Rand des Abgrunds steht. — An der einseitigen Ertheilung von Konzessionen und Monopolen liegt der eigentliche Grund der Verarmung dieses Standes. Der Schifferstand hat keine
Vertretung, aber die Herren Unternehmer von Dampfschifffahrtsgesellschaften haben ihre Vertreter überall. Raveaux will die Angelegenheit noch einmal an den Ausschuß.
Franke empfiehlt die Ausschußanträge. —
Der Ausschuß beantragt:
1) „Die Nationalversammlung wolle beschließen, es sei die Centralgewalt zu ersuchen, dem Reichsminister des Handels aufzugeben, wegen Entwerfung einer neuen
Flußschifffahrts-Ordnung, durch die Reichsgesetzgebung, sobald als irgend thunlich, die erforderlichen Einleitungen zu treffen und hierbei die vorliegenden Anträge in geeigneter Weise zu
berücksichtigen.“
2) „Die Centralgewalt zu ersuchen, nach vorgängiger näherer Prüfung bei den betreffenden Einzelnstaaten dahin angelegentlich zu wirken, daß die Verschiedenheiten, welche in der Zollbehandlung
und sonstigen Abfertigung, sowie in der Besteuerung zwischen Segelschiffen und Güterdampfschiffen etwa bestehen, baldmöglichst resp. für beseitigt erklärt und auf eine der Gerechtigkeit entsprechende
Weise abgeändert werden.“
3) Diese Angelegenheit, um zur kräftigsten Verwendung bei den Einzelstaaten vorzuschreiten, der Centralgewalt zu überweisen.“
Alle drei Ausschußanträge werden angenommen, der von Raveaux auf Vertagung und genauere Begutachtung verworfen.
Ad 3 der Tagesordnung (S. oben) hat Watzdorf (Sachsen) einen präjudiziellen Antrag gestellt.
„Die Berathung über den Entwurf vom Reichstag nicht eher zu beginnen, bis vom
Verfassungsausschuß das Gutachten über die Organisation der vollziehenden Gewalt erstattet worden ist.“
Dahlmann (Namens des Verfassungs-Ausschusses) empfiehlt die Verwerfung des Antrags; er sagt, entweder ich kenne unser Vaterland nicht, oder die Annahme dieses Antrages wurde beantwortet
werden durch einen Schrei der Entrustung. (Bravo und Zischen.)
Fröbel spricht für die Annahme.
Waiz dagegen.
Watzdorf modifizirt seinen Antrag. — Aber mit oder ohne Modifikation, der Antrag wird verworfen.
Dahlmann macht im Namen des Verfassungs-Ausschusses folgende Anträge:
1) Wöchentlich zwei Sitzungstage hintereinander der zweiten Berathung der Grundrechte und zwei Tage der
Verfassung zu widmen.
2) Auch für den Entwurf: „Der Reichstag“ eine zweite Lesung anzuordnen.
3) Bei §. 3 des Reichstages auch die Frage von der Mediatisirung auf die Tagesordnung zu setzen.
Wigard spricht dagegen und verlangt, die nächste Woche ganz der zweiten Lesung der Grundrechte zu widmen.
Langerfeld für die 3 Ausschußanträge.
Pattai aus Oesterreich sehr energisch für Wigards Wunsch. Es wurde schon eine so ungeheure Zeit für Interpellationen und dringliche Anträge verbraucht (Centren ja! ja!), aber seine Partei
(die Linke) wurde mit denselben doch nicht aufhören können, so lange dieses unselige Ministerium an der Spitze der Geschäfte stünde. (Tumult im Centrum). Oder meine Herren, haben wir je eine
Interpellation oder einen dringlichen Antrag eingebracht, der nicht zur Ehre Deutschlands wäre? (Gelächter rechts — Bravo links.) Nehmen Sie schnell die Grundrechte vor, damit das deutsche Volk
doch ein Andenken an uns hat, denn ich fürchte, daß unsern Arbeiten hier doch nächster Tage ein Ziel gesetzt werden wird. (Aufregung) Machen Sie deshalb, daß das Volk mehr von uns behält, als eine
mitleidige Erinnerung. (Lärm).
Hierauf werden die 3 Anträge des Verfassungsausschusses angenommen.
Ein Zusatz von Eisenstuck:
„Jede Woche eine fünfte Sitzung zur Berathung der auflaufenden Ausschußberichte zu bestimmen“
wird auch angenommen.
Nach einem widrigen Zwist über die nächste Tagesordnung, der noch eine Stunde wegnimmt, wird für Montag festgesetzt:
1) Präsidentenwahl.
2) Berathung über den Entwurf „der Reichstag.“
Die Sitzung wird um 4 Uhr geschlossen.
Ueber den stenographischen Bericht der heutigen Sitzung muß das deutsche Volk seine Freude haben.
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@facs | 0853 |
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*
] Frankfurt, 2. Dez.
Der von Hartmann, Fröbel, Wiesner etc. am 30. Nov. eingebrachte „dringliche Antrag“ lautet:
In Erwägung, daß Ungarn als freier und selbstständiger Staat berechtigt ist, jeder Art Verträge und Bündnisse zu schließen,
In Erwägung, daß dieser Staat durch Lage, Geschichte und Sympathien der einzige und natürlichste Bundesgenosse Deutschlands ist,
In Erwägung, daß die heldenmüthigen Maggiaren gleich bei Zusammentritt der National-Versammlung Deutschland durch eine eigene Gesandschaft Freundschaft und Bündniß angeboten,
In Erwägung, daß die National-Versammlung bei mehreren Gelegenheiten auf die Wünsche und Anerbietungen der Maggiaren bereitwillig einzugehen schien, und die zeitherigen traurigen Schicksale der
Maggiaren an diesem Verhältnisse nichts ändern dürften,
In Erwägung endlich, daß Hülfe zur rechten Zeit doppelte Hülfe ist und schon das bloße Bündniß mit Deutschland des hartbedrängten Landes moralische Kraft heben würde:
beschließt die hohe National-Versammlung:
„Die hohe Centralgewalt aufzufordern, sofort die nöthigen Schritte zu thun, um mit dem heldenmüthigen und unglücklichen Volke der Maggiaren
ein Schutz- und Trutzbündniß zu schließen.“
Moritz Hartmann. Eisenmann. Rank. Julius Fröbel. A. Wiesner Gritzner. Hagen. Titus. v. Trützschler.
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@facs | 0853 |
Darmstadt, 30. Novbr.
Das von hier verlegte zweite Regiment ist nach dem Ehrenbreitenstein bestimmt, da die preußischen Truppen als mobile Kolonnen Subsistenzmittel für das rebellische Königthum beitreiben müssen. Es
erfuhr seine Bestimmung erst in Vilbel, im Augenblick des Abmarsches. Die Offiziere sollen hier am Abend vor dem Abmarsche verpflichtet worden sein, nicht von demselben zu sprechen. Hr. Peucker war am
Morgen des Abmarsches hier und hielt eine Rede an die Soldaten, in welcher er ihnen für die nächste Gelegenheit das Standrecht in Aussicht stellte.
[(N. D. Z.)]
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@facs | 0853 |
Gießen, 1. Dez.
Heute früh sind unsere September-Gefangene, Becker, der Redakteur des „Jüngsten Tages,“ und Genossen, wie es heißt, gegen Abgabe ihres Ehrenwortes, sich vor Gericht zu stellen, ihrer
Haft wieder entlassen worden. Man hofft deshalb, daß ihnen doch nicht Schweres werde zu Last gelegt werden können.
[(Fr. J.)]
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@facs | 0853 |
Meiningen, 29. Nov.
Das Herzogthum Meiningen ist jetzt seiner ganzen Länge nach, von Saalfeld bis nahe an Salzungen, mit Reichstruppen (sächsischer Infanterie und Artillerie) besetzt. Seit einigen Tagen gehen hier
Transporte gefangener Soldaten des in dem Herzogthum Koburg liegenden großherzogl. Weimarschen Kontingents durch, welche der Theilnahme an einem republikanischen Komplotte beschuldigt sein
sollen.
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@facs | 0853 |
[
*
] Schwarzburg, 30. Nov.
Die konstituirende Landesversammlung des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt hat in ihrer 24. Sitzung, den 20. Nov., folgenden Beschluß gefaßt:
§. 1. Der bisherige Adelsstand ist mit seinen Vorrechten abgeschafft.
§. 2. Der Staat kennt keine Adelstitel mehr.
§. 3. Alle zum Besten des Adels etwas Besonderes verordnenden gesetzlichen observanzmäßigen Bestimmungen sind aufgehoben.
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Detmold, 29. Nov.
In diesen Tagen hat das Kollegium der Stadtverordneten in Lemgo mit 9 Stimmen (die Ausschlagsstimme des Präsidenten mitgerechnet) gegen 8 den Beschluß gefaßt, die Stadt als reichsunmittelbar der
deutschen Nationalversammlung anzutragen, und eine Adresse abgefaßt, die Abgeordneter Vogt übergeben soll.
Der Kongreß der vereinigten lippeschen Volksvereine hat kürzlich ein Mißtrauensvotum gegen die Majorität in der Reichsversammlung zu Frankfurt beschlossen und nicht minder unsern Abgeordneten
Schierenberg in einer Adresse aufgefordert, sich von der Majorität, und damit von der Politik v. Schmerling's loszusagen oder sein Amt niederzulegen.
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@facs | 0853 |
Altenburg, 30. November.
Heute ist mit der officiellen Anzeige des Todes unserer Herzogin den Ständen mitgetheilt worden: daß heute unser Herzog zu Gunsten seines Bruders, des Prinzen Georg, die Regierung niedergelegt und
Letzterer dieselbe angenommen hat. Mit diesem Akt hat sich auch unser Ministerium wieder geändert. Der Geheimrath Dr. von Gabelentz, welcher bis zur Auflösung des weimarischen Landtags dort
Landtagsmarschall war, ist erster, Graf Louis Beust zweiter und Hr. Sonnenkalb dritter Minister. Der zeitherige dritte Minister, Hr. Cruciger, geht als Legationsrath nach Frankfurt a. M.
So ist also auch hier die Reaktion in vollem Gange.
Von welcher Seite der neue deutsche Landesvater das Regieren auffaßt, läßt sich aus seiner Antritts-Erklärung entnehmen. Wir zitiren hier den Schluß der letztern, jedoch keineswegs aus blos
politischen, sondern ebenso aus stylistischen Gründen:
„Wir versehen Uns demnach zu sämmtlichen Bürgern und Unterthanen in den Städten und auf dem Lande, allen Vasallen, Dienern und Beamten und überhaupt allen Unseren Erblanden Angehörigen,
welches Standes, welcher Würde und welches Wesens sie immer sein mögen, daß sie Uns von nun an für ihren rechtmaßigen und einzigen Landesherren so willig als pflichtmäßig erkennen, Uns unverbrüchliche
Treue und Gehorsam leisten und in allen Stücken sich, wie es pflichtbewußten Unterthanen gebührt, gegen Uns bezeugen werden, wogegen ihrer Aller Bestens auf alle Weise zu befördern und eine auf
Gerechtigkeit, Liebe und Wohlwollen gestützte Regierung zu führen Unser ernstes Bestreben und Unsere theuerste Regentenpflicht sein wird.
Sammtliche Stellen und Behörden im Herzogthum haben übrigens ihre Verrichtungen nach ihren aufhabenden Amtspflichten ohne Unterbrechung und Veränderung fernerhin fortzusetzen und die amtlichen
Ausfertigungen von nun an unter Unserem Namen und Titel, wo solches vorgeschrieben ist, zu erlassen.
Wir verbleiben Unseren gesammten Unterthanen und Dienern mit Herzoglicher Huld und Gnade wohl beigethan.“
Gegeben in Unserer Residenzstadt Altenburg, am dreißigsten November des Jahres Eintausend Achthundert und Achtund vierzig.
Georg, Herzog zu Sachsen-Altenburg. von der Gabelentz. Graf Louis Beust. Sonnenkalb.“
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@facs | 0853 |
Schleswig-Holstein.
Zuruf der Soldaten und Unteroffiziere des 7. Schleswig-Holsteinischen Infanterie-Bataillons an die Preußischen Soldaten, welche für Schleswig-Holstein gefochten haben:
Kameraden!
In einem verhängnißvollen Augenblick ergeht aus der Mitte eines Heeres, mit dem Ihr noch vor kurzem für eine gute Sache Beschwerden und Gefahren getheilt habt, an Euch ein warnender Zuruf. Wiederum
steh Ihr gerüstet da; die nächste Stunde schon kann eine blutige Katastrophe herbeiführen. Aber nicht gegen die Feinde Deutschlands und der Freiheit sind dieses Mal Eure Waffen gerichtet, sondern
gegen das Herz des eigenen Landes, gegen Euer eigenes Fleisch und Blut, gegen die, welche die neu
[0854]
errungenen Rechte Eures Volkes zu wahren berufen sind. In diesem Augenblick ist es unsere Pflicht, Euch, unsere Brüder und Kameraden, aus der unseligen Verblendung zu reißen, in die man Euch mit
Arglist verstrickt hat.
Auf der einen Seite steht Euer König, an dem Ihr mit Hingebung hängt, dem Ihr Treue geschworen habt. Wie gerne möchte man Euch einreden, daß Ihr Euch durch diesen Schwur verbunden hättet,
blindlings. sklavisch dem Willen dieses einen Mannes zu gehorchen. Dem ist nicht so. Ihr habt nicht der Person des Königs den Treuschwur geleistet, — Ihr habt in dem Könige Eurem Vaterlande
geschworen, ihm nur, solange er ein würdiger Vertreter desselben ist. — Ist er das? Ist es redlich, ist es königlich gehandelt, wenn er, der 1847 bei Eröffnung des ersten Landtages feierlich
die Worte sprach: „ich will nicht, daß eine Konstitution sich zwischen mich und die Vorsehung dränge,“ der im März 1848, diesem Prinzipe getreu, sein Volk niederschießen ließ, als es die
Konstitution verlangte; der dann, plötzlich die Rolle tauschend, in der deutschen Trikolore erschien und proklamirte, Preußen gehe fortan in Deutschland auf, und solle so freie Institutionen erhalten,
wie irgend ein deutscher Staat; der sich bald darauf den Schein gab, hier in Schleswig-Holstein die Rechte eines unterdrückten Volkes zu vertheidigen! — ist es königlich, ist es ehrlich,
— wenn eben dieser Fürst jetzt, wo die junge Freiheit wieder zu unterliegen droht, ein Ministerium an die Spitze seines Staates stellen will, welches den Errungenschaften der Neuzeit
entschieden feindlich ist, wenn er die von 16 Mill. Preußen gewählten Volksvertreter, da sie gegen diesen unerhörten Machtstreich protestiren, erst durch List zu entfernen sucht, und dann, da sie wie
Männer auf ihren Plätzen bleiben, durch seine Soldaten herausschleppen läßt, wenn er die Bürgerwehr, der er eben die Waffen in die Hand gegeben und welche sie nie geschändet hat, entwaffnen, wenn er
eine ruhige Stadt, seine Vaterstadt, das Herz seines Reiches, in Belagerungszustand erklärt?
Das hat Euer König gethan, hat es gethan — durch Euch. Kameraden! Euch, selbst Preußen, hat er zu Henkersknechten an Preußens Freiheit ausersehen! Bis jetzt habt Ihr gehorcht, Euer Land
sieht mit bitterm Schmerz, mit Indignation, mit Wuth auf seine verblendeten Söhne, die da sind, das Vaterland zu schützen, nicht einer Tyrannenlaune zu fröhnen! Noch ist es Zeit! Noch schreit nicht
vergossenes Bürgerblut zum Himmel um Rache, noch ist die Brandfackel nicht in Eure Hauptstadt geschleudert! Sehet es an, dieses Berlin, dieses Volk, welches Ihr morden sollt. Großartig steht es in
diesem Augenblicke da! Es stürmt kein Zeughaus, es baut keine Barrikaden, ruhig erwartet es, wie weit die physische rohe Gewalt es gegen das Recht treiben wird. Aber eben so männlich besteht es auf
diesem seinem Rechte! es ist ihm theuer, denn es ist mit Blut erkauft! Nie und nimmer mehr wird es sich dasselbe abschmeicheln oder abtrotzen lassen! Die Bürgerwehr kehrt ihre Waffen nicht gegen Euch,
aber läßt sie sich auch nicht aus den Händen winden! — Ein freier Mann gibt die Waffen nicht ab, die er mit Ehren getragen hat! Eure Vertreter umgeben sich nicht mit einem Zaun von Bajonetten,
aber sie weichen auch nicht von ihrem Platze, bis ihr sie herabzerrt. So steht Euer Volk da, ruhig, kühn, die Brust Euch preisgegeben, die kein anderer Panzer schützt, als der des Rechtes! Wohlan!
stoßet zu, wenn Ihr das Herz dazu habt!
Kameraden! Ihr habt in unserem Lande gefochten für die Freiheit, kehret Eure ruhmvollen Waffen nicht gegen die Freiheit des Vaterlandes! Ihr seid keine Söldlinge; dem Söldling ist es gleich,
wogegen er kommandirt wird; er hat keine Gesinnung. Wollt Ihr auch Söldlinge sein? Höret endlich einmal auf, reine Soldaten zu sein, ohne anderen Inhalt, als einige hergebrachte soldatische Tugenden;
schließt auch Ihr Euch der großen Gegenwart an, werdet Bürger, Deutsche, Söhne des Jahres 1848! Ihr sollt Eure Waffen nicht gegen den König kehren, aber bei Gott! Ihr sollt sie auch nicht zu
Henkerbeilen an Euren Vätern und Brüdern machen. Stellt Euch offen auf die Seite des Volks, auf die Seite seiner anerkannten Vertreter, die ja nichts anderes wollen, als was das Volk will, und ein
Theil dieses Volkes seid ja doch auch Ihr! Es handelt sich nicht um einen Straßenauflauf, um eine Pöbel-Emeute — das Volk ringt um seine Rechte, und gegen den ausgesprochenen Willen von 16
Millionen Menschen stemmt sich ein einzelnes Individuum an, welches keinen anderen Vorzug hat, als den, daß es König heißt! Erkläret Eurem König, daß Ihr Eure Waffen nicht gegen den Willen der Nation
erheben werdet, daß Ihr vielmehr darin den Beruf des Kriegers erkennt, die Freiheit, die das Volk errungen, die der Fürst bestätigt hat, gegen äußere wie innere Feinde bis zum letzten Blutstropfen zu
vertheidigen.
Die Soldaten und Unteroffiziere des 7. Schleswig-Holsteinischen Infanterie-Bataillons.
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@facs | 0854 |
[
X
] Triest, 28. Novbr.
Der Tod Ibrahim Pascha's erfolgte zu Cairo in der Nacht vom 9.-10. d. Mts., nachdem er einige Tage in völlig bewußtlosem Zustande dagelegen. Sein Leichenbegängniß war nicht sowohl
einfach, als vielmehr auffallend ärmlich. Nur wenige Truppen waren ausgerückt und von andern Personen auch nicht viele erschienen. Er war 1789 geboren. Von seinen 3 Söhnen studieren 2 in Paris, der
mittlere befindet sich in Cairo. Sie erben zu gleichen Theilen das hinterlassene Vermögen, das zu den bedeutendsten im Oriente gehört.
Die Nachricht von Ibrahim Pascha's Ableben empfing sein Vater mit dem Ausruf: „Schade!“, sprach aber sofort von andern Dingen und zwar irre, wie gewöhnlich.
Es versammelte sich gleich nach dem Tode Ibrahims ein Divan, in welchem beschlossen wurde, Mehemed Alis Enkel, Abas Pascha aus Mecca und Said Pascha, nunmehr Mehemed Alis ältesten Sohn
herbeizuholen, die Geschäfte im Namen des Präsidenten des Divans zu betreiben und von Allem alsbald an die hohe Pforte zu berichten
Der Beschluß wurde den Konsuln der 4 Großmächte mitgetheilt, die nicht säumten, sogleich die Nachricht an ihre resp. Höfe weiter zu befördern.