Französische Republik.
@xml:id | #ar159-2_013 |
@type | jArticle |
@facs | 0848 |
[
12
] Paris, den 30. Nov.
„Die Philosophen bringen mich noch so weit, daß ich am Ende in die Messe gehe.“ Setzen wir an die Stelle der Philosophen die Republikaner, und die Sache bleibt immer noch richtig. Was
nicht in Frankreich Alles möglich ist! Cavaignac eilt dem Papste, der Kirche, der christlichen Religion zu Hülfe: die republikanische Regierung, die ruhig Messina in Flammen hat aufgehen lassen, und
Oestreich den Kroaten Preis gegeben hat, diese republikanische Regierung eilt dem Papste zu Hülfe, um dem Stellvertreter Christi, dem Nachfolger Petri zu seinem rechtmäßigen Throne, dem rechtmäßigen
aller Throne von Gottes Gnaden zu verhelfen, um den geistigen Reichsverweser wieder in das Reich des Geistes einzusetzen. Und alles dieses weiter nichts als eine ultramontane Reklame, von Seiten
Cavaignac's um Präsident zu werden! Wahrhaftig, aus lauter Verzweiflung möchte man in die Messe gehen.
In der Person Pius IX. sind bekanntlich 2 Personen vereinigt, der geistige und der weltliche Herr, der Scepter und die Tiare. Die Franzosen sagen: Nicht den Scepter wollen wir retten, sondern die
Tiare: Nicht in die Politik wollen wir interveniren, sondern in die Religion. Der Gott ist in Gefahr. Es handelt sich um den Papst als Oberhaupt der Kirche, und nicht um den Fürsten. Die Römer sagen
grade umgekehrt: Nicht mit dem Papste haben wir zu thun, sondern mit dem Fürsten. Dem geistigen Herrn wollen wir kein Haar auf dem Haupte krümmen; er soll ungeschoren bleiben. Wir wollen den
politischen Herrscher stürzen. Die Politik ist im Spiel und nicht das Dogma, und ihr Franzosen mit Cavaignac an der Spitze, die Ihr mit Eurem Systeme der Nicht-Intervention Italien gemordet habt, Ihr
bekommt auf einmal eine so zarte Sorgfalt für die Rettung Gottes! Dahinter muß etwas anderes stecken! Und die Italiener haben Recht. Hinter dem Gotte steckt etwas anderes, und dieses Andere ist die
Präsidentschaft Cavaignac's. Was hat nun aber die Präsidentschaft Cavaignac's mit dem Papste und incl. mit dem Gotte zu thun?
So weit ist's nunmehr gekommen mit den Franzosen, seit dem unglücklichen Siege über die Juni-Insurgenten, daß sie nur noch zu wählen haben zwischen einem Ochsen und einem Schurken, zwischen
Cavaignac und Napoleon. Die Wahl der hohen Finance der großen Bourgeois ist nicht zweifelhaft. Wir lieben keinen von beiden, gesteht das „Journal des Debats“ offen ein. Keiner von beiden
hat unsere Sympathien. Aber da uns keine andere Wahl übrig bleibt, da wir in die traurigen Alternative gestellt sind, zwischen dem Ochsen und dem Schurken zu wählen, so stimmen wir ehrliche Banquiers
für den Schurken. Er hat die Ordnung des Papiergeldes und die Ruhe der Curse gerettet: Ein Schurke ist immer besser als ein Ochs, zumal wenn dieser Ochs Tausend von Treibern hinter sich hat. Der Ochs
hat alle Bauern hinter sich und Tausende von unzufriedenen Arbeitern, denen in der Unmöglichkeit ihren Candidaten Raspail für den Augenblick durchzubringen, ebenfalls keine andere Wahl übrig bleibt,
als zwischen dem Schurken und dem Ochsen. Ihre Wahl ist nicht zweifelhaft. Sie stimmen für den Ochsen, dem sie jede mögliche Richtung geben zu können hoffen.
Da also hinter dem Ochsen die Bauern, hinter den Bauern der Pfaffe, hinter dem Pfaffen der Pabst nnd hinter dem Pabst der Gott steht, so geht der Schurke ein Bündniß ein mit dem Gott, um die Bauern
dem Ochsen abtrünnig zu machen. Der Gott ist das Gutheißen der schlechten Umstände, die Resignation unter dem Drucke der Steúern. Und da Cavaignac unter dem Vorwande Gott zu retten, den Pabst und
mit dem Pabste die Pfaffen rettet, so verlangt er von den letztern, daß sie die Bauern bewegen, die 45 Centimes sich gefallen zu lassen, den Gott gutzuheißen und den Cavaignac als Oberhaupt
anzuerkennen.
Es gibt Republikaner vom Vorabend und vom andern Tage. Bonapartisten vom Vorabend gab es eigentlich nie; wenigstens waren die reinen Bonapartisten, die Bonapartisten von Geburt in sehr geringer
Anzahl. Bonapartist ist man über Nacht geworden. Der Ochse interessirte die Leute auf der Stelle für sich, aus Haß gegen den Cavaignac, den Republikaner vom Vorabend,
[0849]
„den Republikaner von Geburt“, welcher der Auserwählte der Königlichen von aller Ewigkeit her geworden. Aber inmitten dieses Treibens taucht eine andere Kandidatur auf, schrecklich und
drohend, wie die Juni-Insurrektion. Es ist „die Kandidatur Raspail's“. Die Montagnards, die so viel gethan, um Ledru-Rollin als demokratischen Kandidaten durchzubringen, sind
bereit, sich einem demokratischen Kongreß aus den Klubs aller Departements bestehend, zu unterwerfen, und Raspail anzuerkennen, wenn er die Majoritat im Kongresse hat. Ochsen und Schurken zittern; die
Debats eifern giftiger als je: denn der Insurgent von den Maitagen wird die Juni-Insurrektion wieder zu Macht und Ehren bringen!
@xml:id | #ar159-2_014 |
@type | jArticle |
@facs | 0849 |
Paris, 30. Nov.
An der heutigen Debatte über Italien nehmen folgende Redner Theil: Ledru-Rollin, Montalembert, Senard, Falloux, Montreuil, Treveneue, Pascal (aus Aix), E. Quinet, Jules Favre, Drouin de Lhuys,
Sarrans, Billault, Charles Dupin u. A.
Auf den Galerien sind alle Plätze längst vergeben.
— Das hiesige Kabinet hatte dem Londoner die Maßregeln rücksichtlich Rom's angezeigt und um schleunige Antwort gebeten. Gestern Abend ist ein außerordentlicher Kurier mit dieser
Antwort eingetroffen.
— Bugeaud, Ney (Moskawa) etc. treten in die Kammer und werden von der Rue de Poitiers mit offenen Armen empfangen.
— Cavaignac vertheilt im heutigen Moniteur wiederholt mehrere Dutzend Ehrenlegionkreuze an Offiziere der Mobilgarde und Linie.
— Die beiden Oberspione, welche Senard, Exminister des Innern, zur Ueberwachung der spanischen Patrioten in die mittäglichen Gränzdepartements schickte, heißen Vidocq junior und
Labrièr-Quetier. Ihre Strenge z. B. gegen das Haupt der spanischen Patrioten, Exminister Escosura, ging so weit, daß ihre Gensd'armen sogar die Suppe auf dem Tische Escosura's mit der
Säbelspitze umrührten, um sich zu überzeugen, ob auch dort keine Korrespondenzen verborgen?!… Das that die 1848ger Republik gegenüber den Königinnen Isabella und Maria Christine mit ihrem
Leibhusar Narvaez!!
Dieses Faktum steht im Moniteur universel vom 30. Novbr.
— Der Moniteur beginnt heute eine erste offizielle Statistik des Pariser Hungers. Leider ist dieselbe nicht vollständig; sie betrifft nur die Fleischvertheilungen, gegen welche das
Dominikanerblatt „Ere nouvelle“ einige Beschwerden erhoben hatte. Laut dieser Statistik werden in diesem Augenblick blos an Fleischbons 30,181 Rationen per Tag an 2062 verschiedene
Hanshaltungen vertheilt, deren jede 29 Centimen kostet (im Ganzen 1436 Frk 40 Cnt. per Tag). Hinzu treten 2280 Frk. monatliche Gehalte an die Beamten, welche mit Vertheilung der Almosen bearftragt
sind. Früher geschah diese Vertheilung durch 400 sogenannte wohlthätige Bürger, welche kein Gehalt bezogen. Da ergab sich aber eine tägliche Schmuggelei von 1892 Fleischrationen, deren Kostenpreis
obige Gehalte bei Weitem überstieg. (Moniteur vom 30. Nov.)
— „‥‥ Cavaignac muß in Anklagezustand versetzt werden! ruft das Blatt Ledru-Rollin's aus und begründet diesen Antrag in folgender Weise: Nach der
Verfassung hat der Präsident der Republik kein Recht, ohne Genehmigung der Nationalversammlung auch nur ein Bataillon über die Gränze marschiren zu lassen. Cavaignac, der noch keineswegs Präsident der
Republik ist, sondern noch ganz und gar von dem absoluten Willen der Nationalversammlung abhängt, stürzt das Land in eine bewaffnete Intervention, deren Folgen durchaus nicht zu berechnen, da die
Gründe, auf denen sie beruht, sich als falsch erwiesen haben. Das Volk von Rom hat ein Ministerium verjagt, an dessen Spitze ein Mann stand, welcher sich rühmte, „die Revolution überall zu
ersticken;“ es hat die Schweizergarde aufgelös't und eine Nationalversammlung verlangt, welche, aus allgemeinem Stimmrecht hervorgegangen, eine Verfassung entwerfe; nichts ist im
Quirinal verändert, wozu das Volk kein Recht hätte. Der Papst ist um kein Haar breit in seiner religiösen Freiheit und Macht geschmälert; er kann seinen Seegen urbi et orbi nach wie vor aussprechen;
den Gläubigen die Höllenthore nach wie vor schließen oder öffnen. Aber er darf nicht länger weltlicher Fürst ohne alle Verantwortlichkeit und Regierungskontrolle bleiben. Was soll also
Courcelles mit seinen 3500 Mann in der Mündung der Tiber? Hr. Bastide hat das mit seinem Gebieter Cavaignac zu verantworten. Frankreich, das der Reaktion nimmer vergiebt, daß sie seine Schwester,
Oberitalien, unter den Schlägen Oestreich's bluten läßt, wird nicht zugeben, daß seine Kinder zu Schergen des Papstthums herabsinken und die gewechselten Wachtposten einer schweizerischen
besoldeten Leibgarde einnehmen. Was soll aus dem Prinzip der Volkssouveränetät und Völkerfreiheit werden, wenn eine solche Kabinetspolitik noch länger geübt wird?“
— Den Hrn. Guizot und Duchatel steht nun kein Hinderniß mehr entgegen, frei und ungehindert nach Frankreich zurückzukehren und dort der Einführung des neuen 4jährigen Königthums beizuwohnen;
denn der hiesige Obergerichtshof erließ gestern eine Ordonnanz, wonach der gepflogenen Voruntersuchung gemäß kein Grund zur Verfolgung der Februarminister Louis Philipp's gesetzlich vorliegt.
Bravo! Das heißt konsequent handeln.
— National-Versammlung. Sitzung vom 30. November. Anfang 1 Uhr. Präsident Marrast. Der Zudrang ist sehr stark. Nach Verlesung des Protokolls nimmt Joly das Wort.
Joly: Ein Brief, den ich rücksichtlich der unglücklichen Spanier erhalten, die auf der G[unleserlicher Text]elette Montanera in die Verbannung geschickt werden sollten, sich aber im Angesichte der
französischen Küste empörten und den Kapitain zur Landung in Bordcaux zwangen, wo sie ausgeliefert worden, meldet mir, daß 15 davon zum Tode, 15 zur Galeerenstrafe und die Uebrigen zur Verbannung in
die Havannah verurtheilt worden sind. Die 15 Todesurtheile liegen dem Generalkapitain noch zur Bestätigung vor; ich ersuche den Minister des Aeußern, sich für diese Unglücklichen zu verwenden und ihre
Begnadigung zu erwirken.
Stimme: Aber der Minister ist ja noch nicht hier.
Cavaignac, der in diesem Augenblicke in den Saal tritt, verspricht dieses Begnadigungsgesuch, d. h. die Verwandlung der Todesstrafe in Galeerenstrafe sofort abgehen zu lassen.
Hierauf geht die Versammlung zur Tagesordnung über, nämlich zur Debatte über Italien.
Ledru-Rollin: Bürger, Rom ist ruhig. Diese Ruhe war vom Minister des Auswärtigen leicht vorauszusehen. Sie haben die Depesche gelesen. Die ersten Schüsse gegen das Volk fielen von den
Schweizern, dann erst schritt die Bürgerwehr ein, dann erst entschied das Volk, die Waffen nicht früher niederzulegen, als bis das Fremden-Ministerium abgedankt habe. Harcourt, unser dortiger
Gesandter, schreibt, er wolle erst abwarten, welchen Gang die Ereignisse nähmen, ehe er sein Verfahren einschlüge. Das Volk hatte den Rossi als Fremden getödtet; die Schweizer waren so verhaßt, eben
weil sie Fremde sind und in diesem Willen beruhigt es sich nicht früher, als bis das Ministerium gestürzt und die Schweizer entlassen sind. Hoffentlich sehen Sie hierin keine bloße Emeute. Nein, es
war eine Revolution, die ein vollkommen zu billigender Fremdenhaß erzeugt hatte. Und in diesem Moment schickt das Ministerium fremde Uniformen nach Rom, wirft es französische Truppen zwischen Papst
und Volk! Heißt das nicht eine europäische Gährung herbeiführen? Muß das Volk nicht Eure Truppen hassen? Hättet Ihr (zu Cavaignac gewandt) den Papst oder auch nur seinen hiesigen Nuntius berathen, sie
würden Euch selbst von der Expedition abgerathen haben. Erlaube man mir, daß ich den wahren Sinn der Expedition auseinander setze. Man hat Euch gesagt, die Maßregel geschehe lediglich im Interesse und
zum Heil der Person des Papstes. Dem ist keineswegs so; wenigstens wäre der Vorwand lächerlich, da Niemand dem Papste etwas zu Leide thun wollte. Die Revolution war nur gegen das weltliche Regiment
desselben gerichtet. Wie kam es nun, daß diese Bewegung, die mit dem politischen Morde Rossi's begann, so große Aufregung in Paris verursachte, während die Ermordung Robert Blum's das
Ministerium so kalt ließ? Rossi's Blut galt also theurer, als das des Demokraten Blum? Leugnet es nicht, Eure Expedition verräth eine rein politische und nicht kirchliche Farbe. Aber wenn Ihr
nun einmal im Verein mit Radetzki handeln wolltet, warum fragtet Ihr nicht erst die National-Versammlung, ob sie eine solche Politik genehmige? Ihr seid nichts als Werkzeug der National-Versammlung.
(Unterbrechung.) Nichts als Werkzeug! Ihr kompromittirt das franzosische Volk, ohne daß Ihr vorher seine Vertreter berathschlagtet. (Beifall vom Berge).
Montalembert, einer der Häupter der Ultramontanen, setzt in langer Rede auseinander, daß durchaus keine Analogie zwischen dem Charakter der Februar-Revolution und der römischen Insurrektion
(Unterbrechung zur Linken) herrsche. Er lobt die Absicht des Ministeriums, tadelt aber die Art der Ausführung.
Edgar Quinet fürchtet sehr, daß man die französische Republik einer Gefahr zuführe, die er bei Weitem höher anschlägt, als das Kabinet sie sich vorgestellt zu haben scheint.
Charles Dupin vertheidigt die Regierung wegen ihres raschen und weisen Entschlusses.
Jules Favre ist keineswegs der Ansicht, daß die römische Bewegung einen blos religiös-katholischen Charakter trage, wie Montalembert behauptet. Die dortige Entwickelung sei entschieden
politisch. Er bedauert das französische Geld, Blut und Ehre.
Dufaure übernimmt die Vertheidigung des Kabinets. Er löst zunächst die oberitalienische Frage von der römischen und weist nach, daß keine Zeit vorhanden gewesen, die National Versammlung vorher zu
konsultiren. Er liest mehrere Depeschen. Wir können, wirft man uns vor, fuhr Dufaure nach Verlesung der Depeschen fort, Oesterreich erzürnen und es veranlassen, ebenfalls vor Rom zu erscheinen. Wie
aber, wenn uns Oesterreich zuvorgekommen wäre? Dann hatte uns man mit Recht mit Vorwürfen überhäuft und sie wären dann völlig begründet gewesen. Wir wollen keinen Krieg. Wir haben nur unsere Pflicht
gethan. Uebrigens fürchtet die Republik den Krieg nicht, sie wurde ihn vielmehr mit Glück fuhren. (Beifall zur Rechten).
Larochejaquelin: Meine Parteistellung ist kritisch. Ich möchte zuerst dem Kriegsminister die Frage stellen: ob die Flotille abgefahren ist?
Minister: Ja!
Larochejaquelin: Wohlan, dann erkläre ich, daß Sie Ihre Vollmachten überschritten. (Sensation. Tumult).
Poujoular: Man spricht von Conciliation zwischen Papst und Volk. Ich besitze Nachrichten, welche melden, daß ein Glied der römischen Kammer den Antrag stellte, dem Papst durch öffentlichen
Akt die Unterwerfung zu bezeugen. Lucian Bonaparte, der in Rom eine gewisse ultra-demokratische Rolle spielt, hat sich aber solcher Demonstration widersetzt und der Antrag ist verworfen worden.
Favre ergreift wiederholt das Wort
Cavaignac besteigt die Bühne und erklärt durch Daten, daß die National-Versammlung keineswegs umgangen worden. Am Dienstag sei sie benachrichtigt worden; hatte sie die Schritte nicht
genehmigt, dann wäre es immer noch Zeit gewesen, den Befehl zurückzunehmen.
Larochejaquelin will noch sprechen, kann aber des Lärmens wegen nicht. Man schreit: Zur Tagesordnung! Zur Tagesordnung!
Trevenenc schlagt eine sogenannte motivirte Tagesordnung vor, die dem Ministerium günstig ist und mit 480 gegen 63 Stimmen angenommen wird.
Schluß 1/4 vor 6 Uhr.
Nationalversammlung. Sitzung vom 1. December. Anfang 1 1/3 Uhr. Präsident Marrast.
Reibell, ein beruhmter Wasserbaumeister und Deputirter der Manche, reicht Krantheits halber seine Demission ein.
An der Tagesordnung ist das rektifizirte Büdget von 1848. Die Versammlung war bis zum 8. Kapitel des Marine-Büdgets (See-Justiz) vorgeruckt.
Dieses Kapitel wird angenommen.
Ebenso Kapitel 9.
Kapitel 10 (Kosten des bekannten afrikanischen Geschwaders zur Unterdruckung des Sclavenhandels). Dieselben belaufen sich auf 3 Millionen Franken jährlich.
Billault bekämpft diesen Kredit, weil er seinen Zweck nicht erfülle. Diese Geschwader seien zur Unterdrückung des Negerhandels unzureichend. Selbst das englische Parlament uberzeugte sich davon. Es
sei also jetzt der günstige Augenblick, die schweren Kosten jener Flotille im Einverstandniß mit dem englischen Kabinet zu verweigern. Statt den Schacher zu tilgen, verschlimmert man nur die Lage der
unglücklichen Sklaven, weil man allerlei List gebrauche, um jene Kreuzer zu umgehen.
Dann, ein halber Mohr, theilt diese Ansimt nicht.
Schoelcher, der bekannte Sklavenfreund, halt seine Jungfernrede. Er protestirt mit menschenfreundlicher Warme gegen jede Schwachung jenes Geschwaders, wonach dieser Menschenhandel wieder eine
fürchterliche Ausdehnung nehmen wurde.
Lacrosse erklärt sich als keinen Vertheidiger dieses infamen Handwerks, aber er findet den von Frankreich und England adoptirten Modus mangelhaft und gefährlich, weil er die P[unleserlicher Text]st unter der
Schiffsmannschaft erzeuge.
Mortreull unterstutzt Billauits Vorschlag. Man möge nach England schreiben.
Verninae, Marine-Minister, verspricht das Geschwader zu vermindern, sobald er sich mit England verständigt haben werde, ohne deshalb den infamen Handel irgendwie zu erleichtern.
Kapitel 10 geht endlich durch.
Die nächsten beiden Kapitel boten nichts Interessantes. Dagegen wurde die Kolonialverwaltung lebhaft besprochen.
Lavavasseur, ein reicher [unleserlicher Text]heder aus Dieppe und Havre, will wissen, ob der Minister an die Möglichkeit der Einführung des allgemeinen Stimmrechts in den Kolonien glaube? und so nicht die Eigenthümer
(Pflanzer) daselbst die höchste Gefahr laufen? Der Redner verlangt Garantien. Er spricht indessen so heiser, daß man kaum das zehnte Wort versteht.
Dain, der Mohr, hält eine vortreffliche Gegenrede. Die Kolonien verlangten Schulen und wurden sich die Freiheit nimmer entreißen lassen.
Inmitten der Budgetdebatte erscheint Cavaignac.
Cavaignac steigt auf die Bühne; Bürger Repräsentanten! Die Regierung hat so eben folgende Depesche erhalten:
„Marseille, 28. Nov. 6 Uhr. Aus Civita Vecchia vom 24. Nov. 3 Uhr
Nachts. Der französische Konsul an den Minister des Auswärtigen in Paris. Der Papst ist plötzlich am 24. Novbr. 5 Uhr Abends von Rom abgereist. Er hat sich auf dem Tenarre eingeschifft und begibt sich
nach Frankreich. Rom ist ruhig und indifferent.“ (Sensation.)
Die Versammlung nimmt die Büdgetdebatte wieder auf.
Poujonlat unterbricht die Büdgetdebatte. Ich erzählte gestern, daß sich Lucian Bonaparte im römischen Parlament einer Ergebenheitsadresse an den Pabst widersetzt habe, die Hr-Potentiani
beantragte. Zwei Verwandte Lucianis, welche in diesem Saale sitzen, haben mir vorgeworfen, daß ich das Faktum entstellt hätte. Ich zeigte darauf dem Hr. Peter Bonaparte das betreffende Journal
Rom's, welchem ich die Thatsache entnommen und schlug ihm vor, es im Original zu lesen, um sich von der Wahrheit zu überzeugen.
Lyerbette: Aber was geht das die Nationalversammlung an?
Poujoulat: Man fragt, was das die Versammlung angehe? Ich antworte darauf, daß mir daran liegt, als kein Entsteller der Wahrheit zu gelten. (Ah! Ah!)……
Peter Bonaparte nährt sich der Bühne, spricht mit dem Redner einige Worte, worauf letzterer herabsteigt.
Die Versammlung kehrt zum Büdget zurück.
Die Besprechung des Rechtes des Marinebüdgets verfließt ohne Bedeutung.
Man geht zum Finanzbüdget über.
Fould eröffnet die Generaldiskussion mit einer langen Philippika gegen die Goudchauschen und Tronve-Chauvelschen Finanzpläne: Einkommensteuer, Erbschaftssteuer, Abschaffung der lästigen
Getränkekontrolle, die Hr. Fould am meisten bedauert u. s. w.
Trouve Chauvel erwidert ihm, daß er am Finanzplan pro 1849 festhalte.
Hier tritt eine neue Unterbrechung ein. (2. Depesche).
Vivien, Staatsbautenminister, zeigt im Namen des Ministeriums an, daß Bürger Freslon, Unterrichts- und Kultusminister, nach Marseille abgeschickt worden, um Pius IX., der von Rom sich nach
Gaeta (auf neapolitanischem Gebiet) geflüchtet und die Absicht zu erkennen gegeben habe, nach Frankreich zu kommen. Der Tenare habe ihn dort aufgenommen und nach Marseille gebracht.
Proudhon und Pyat sind nirgend zu sehen.
Die Sitzung wird um 6 Uhr geschlossen.