[Deutschland]
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[Fortsetzung] Revolution angewandt worden und mit Erfolg; die Revolution ist in Wien, wie in Paris, unter Blut und rauchenden Trümmern erstickt worden.
Aber fast scheint es, als sollte der Sieg vom 1. Nov. zugleich den Punkt bezeichnen, wo die rückgängige Bewegung umschlägt und eine Krise eintritt. Der Versuch, die Wiener Heldenthat in Preußen
Stück für Stück zu widerholen, ist gescheitert; im günstigsten Falle, selbst wenn das Land die konstituirende Versammlung verlassen sollte, hat die Krone nur einen halben, nichts entscheidenden Sieg
zu erwarten, und jedenfalls ist der erste entmuthigende Eindruck der Wiener Niederlage gebrochen, gebrochen durch den plumpen Versuch, sie in jedem ihrer Details zu kopiren.
Und während der Norden von Europa entweder schon wieder in die Knechtschaft von 1847 zurückgeschleudert ist, oder mühsam die Eroberungen der ersten Monate gegen die Contrerevolution vertheidigt,
erhebt sich plötzlich Italien wieder. Livorno, die einzige italienische Stadt, die durch den Fall Mailands zu einer siegreichen Revolution aufgestachelt wurde, Livorno hat endlich seinen
demokratischen Aufschwung dem ganzen Toskana mitgetheilt und ein entschieden demokratisches Ministerium durchgesetzt, entschiedener als je eins in einer Monarchie und so entschieden, wie nur wenige in
einer Republik bestanden; ein Ministerium, das auf den Fall Wiens und die Wiederherstellung Oestreichs mit der Proklamation der italiänischen konstituirenden Nationalversammlung antwortet. Und der
revolutionäre Feuerbrand, den dies demokratische Ministerium damit in das italienische Volk geschleudert, hat gezündet: in Rom ist Volk, Nationalgarde und Armee wie Ein Mann aufgestanden, hat das
tergiversirende, kontrerevolutionäre Ministerium gestürzt, ein demokratisches Ministerium errungen und an der Spitze seiner durchgesetzten Forderungen steht: Regierung nach dem Prinzip der
italienischen Nationalität, d. h. Beschickung der italienischen Constituante, die Guerazzi vorgeschlagen.
Daß Piemont und Sizilien folgen werden, ist keinem Zweifel unterworfen. Sie werden folgen, wie sie im vorigen Jahre gefolgt sind.
Und nun? Wird diese zweite Auferstehung Italiens binnen drei Jahren, wie die vorhergehende, die Morgenröthe eines neuen Aufschwungs der europäischen Demokratie sein? Fast hat es den Anschein. Das
Maaß der Contrerevolution ist voll bis zum Ueberlaufen. Frankreich im Begriff, sich einem Abentheuerer in die Arme zu werfen, um nur der Herrschaft Cavaignac's und Marrast's zu entgehn,
Deutschland zerrissener als je, Oesterreich erdrückt, Preußen am Vorabend des Bürgerkriegs, alle, alle Illusionen des Februar und März unbarmherzig vom Sturmschritt der Geschichte zertreten. —
Wahrlich, das Volk könnte aus neuen Siegen der Contrerevolution nichts mehr lernen!
Möge es die Lehren dieser letzten sechs Monate bei der kommenden Gelegenheit rechtzeitig und furchtlos anwenden.
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@facs | 0826 |
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] Köln, 29. Nov.
Die Lakaien-Natur deutscher Professoren wird in den gelehrten Herrn zu Berlin und Halle in ihrem Ideale übertroffen. Vor diesem Knechtssinn steht der russische Leibeigene beschämt da. Der fromme
Buddhist, der gläubig die Excremente seines Dalai-Lama hinunterschluckt, er hört verwundert die Sage von den Berliner-Hallischen Buddhisten, deren Prostitution vor dem Königthum „von Gottes
Gnaden“ ihm als Fabel erscheint. Er glaubt erst an die Wirklichkeit, wenn man ihm die Adressen der Berliner und Hallischen Professoren an den König von Preußen, resp. vom 24. und 21. Nov.,
nebst den eigenhändigen Unterschriften vorzeigt.
„Es war die Freiheit der Berathung aufgehoben, das Leben der Abgeordneten bedroht, die Würde der Versammlung, die Ehre der Nation geschändet, und die wohlmeinendsten und gerechtesten
Vorschläge, dieser Schreckensherrschaft ein Ziel zu setzen, scheiterten an dem Widerstande derer, denen sie diente.“
Mit diesen und ähnlichen frechen Lügen und mit den hündischsten Versicherungen angestammter Treue fabriziren 80 Berliner Professoren — unter ihnen Hengstenberg, Schönlein, Ehrenberg, Böckh,
die beiden Grimm etc. — eine Adresse an den König, worin sie ihm für die Gewaltschritte des Brandenburgischen Ministeriums ihren gelehrten Beifall zuiahen.
Aehnlich lautet die Adresse von 19 Hallischen Professoren, die aber die Komik so weit treiben, daß sie nebenbei von dem „Ernst ihres Berufes“ sprechen.
Des Pudels Kern in beiden Adressen ist eine unbeschreibliche Wuth über die Steuerverweigerung. Sehr begreiflich! Keine Steuern mehr — und die privilegirte Gelehrsamkeit macht
Bankerut. Diesem geldgierigen Professorengeschlecht darf nur im Entferntesten der Beutel bedroht werden, so steht die ganze Wissenschaft in Feuer und Flammen. Ihr Monopol wurzelt im Königthum
„von Gottes Gnaden.“ Sie schreiben ihm Ergebenheitsadressen, d. h. sie sind ihrem eigenen Monopol bis zum Tode ergeben. Erringt das Volk den schließlichen Sieg, so werden die Herren
trotz alles „Ernstes ihres wissenschaftlichen Berufes“ sich schnell auf Seite der jetzt von ihnen so sehr verdammten Volkssouveränetät zu stellen wissen. Das Volk wird ihnen aber dann
sein „zu spät!“ zurufen und der ganzen Misere der privilegirten Gelehrsamkeit ein rasches Ende bereiten.
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@facs | 0826 |
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] Köln, 28. November.
Das Organ der Potsdamer Kamarilla, die berüchtigte „Kreuzritterin“, belehrt uns, daß es in Preußen „zwei ganz verschiedene Völker“ giebt, welche hier nach einander
auftreten. Das Eine wird von dem gottbegnadeten Blatte also charakterisirt:
„Zuerst jener geistig-lächerliche Haufe, geführt von ein Paar Dutzend ehrgeiziger Schurken, gefolgt von einem Schwarm in ihrer Armseligkeit und Feigheit links und rechts zappelnder
Magistrate, ähnlich den Hanswurst-Figuren unserer Buchbinder; ‥‥ gefolgt von einem Haufen Industrierittern aller Art, von der mildesten (Abgeordneter Milde)
Eitelkeitskränze binderischsten (Pinder — welch' geistreiches Potsdamer Wortspiel!) Gattung bis zu eigentlichsten Taschendieben und Wegelagerern herab — dies ist das
erste Volk,“
Will der Leser nun auch das zweite preußische Volk sehen? Voici.
Es ist „dies brave, bedächtige, gesetzliche, selbst gegen Esel, wie du (erstes Volk) bist, gesetzliche Volk, was aber bei seiner Gesetzlichkeit eine helle, feurige Liebe zu seinem Könige
(„von Gottes Gnaden“), zu dem Andenken seiner braven Verfahren (also keine Abschaffung des Adels und was drum und dran hängt), zu dem Ruhme und Ehrenbestande seines herrlichen,
jugendfrischen, sieggekrönten Heeres (l. G. im Schauspielhause zu Berlin) hat“, dieses Volk, „welches gar nicht begreift, wie du Esel (erstes Volk) dazu kömmst, gegen den Grafen
Brandenburg zu bellen“ (die königl. preußischen Esel bellen: Fortschritt im christlich-germanischen Staate).
Der Wahlspruch dieses zweiten preußischen Volkes ist: „dem Esel die Peitsche und dem Hunde der Knüttel.“ Dasselbe Volk, welches seit dem März die Praxis dieses Wahlspruchs auf einige
Wochen unterbrechen ließ, „rückt nun in die Reihe der Mitsprechenden ein“ und dankt dem Hrn. Brandenburg, daß er den ersten Schritt gethan, „es von dem Schmutzgesindel zu
reinigen, was auf seiner Haupt klebte, nämlich von dir (erstes Volk).“
Dieses zweite Volk fühlt sich „wie in einem duftenden Kräuterbade erquickt, daß es endlich Thaten, und zwar preußische (ja wohl, ächt-preußische!) Thaten sieht. Denn „binnen 8
Tagen wird sich Jedermann überzeugen können, daß ein populäreres Ministerium, als das des Grafen Brandenburg, in Preußen nicht zu finden ist.“
Dies die neueste Entdeckung der braven „Kreuzritterin mit Gott, für König und Vaterland!“
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@facs | 0826 |
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43
] Trier, 27. Novbr.
Wir rücken dem Belagerungszustande von Tag zu Tag näher. Unser Regierungspräsident Sebaldt hat entweder den Befehl von oben, Trier à tout prix in Belagerungszustand zu versetzen, oder er
selbst geht daauf los, sich die Falten eines Diktatorgewandes zu gewinnen.
Die Waffen unserer im Frühjahr aufgelös'ten Bürgerwehr lagen bisher auf dem Rathhause. Sebaldt läßt den Gemeinderath sich erklären, ob er dafür stehe, daß diese Waffen nicht mißbraucht
würden. Da der Stadtrath in seiner bornirten Aengstlichkeit eine solche Erklärung verweigerte, entfaltete sich urplötzlich die gesammte Militärmacht der Stadt; die Ulanen machten Patrouillen durch die
Umgebung; die Artillerie stand auf dem Palastplatze mit ihrem Geschütz; die Infanterie hielt einen großen Theil der Stadt besetzt.
Kein Mensch außer Sebaldt, verstand dies Manöver, bis einer der Gemeinderathsvorsteher auf das Rathhaus gerufen und aufgefordert wurde, das Waffendepot zu öffnen. Als sich dieser weigerte, erzwang
man den Schlüssel mit Gewalt, drang in das Depot ein und nahm die Waffen, das Eigenthum der Stadt, um sie in das Militärwaffendepot zu transportiren. Die Bürger ärgerten sich, blieben aber ruhig. Am
andern Tage beschloß der Gemeinderath, die geraubten Waffen wieder zu verlangen und im Falle der verweigerten Herausgabe, den Weg Rechtens einzuschlagen. Das ist das Höchste, wozu unsere Stadträthe
fähig sind.
Ferner ließ Sebaldt eine Extrabeilage der hier erscheinenden, demokratischen Flugblatter, durch einen Gensd'armen dem Kolporteur wegnehmen. Drei Tage darauf läßt der Untersuchungsrichter den
Drucker derselben in's Gefängniß führen. Den Grund zu diesem Verfahren gab ein Brief aus Schlesien ab, worin es heißt, daß Niederschlesien losbrechen werde, um Wien und Berlin zu rächen, daß
Breslau der Centralpunkt werde für die deutsche sociale Republik. Bei dem Redakteur der Flugblätter, S. Imandt, wurde Haussuchung gehalten, indeß ohne Erfolg; S. Imandt sollte auch verhaftet werden,
er entzog sich der Justiz.
Noch mehr von Sebaldt. Da Louis Simon zur Freude der Trierer hier eingetroffen, wollte man einen Fackelzug veranstalten; der krawallsüchtige Diktatur-Kandidat Sebaldt untersagte ihn. Wir
haben gewiß die beste Gelegenheit, uns in dem passiven Widerstande zu üben.
Soeben geht ein Zug durch die Straßen zu Ehren Rob. Blum's und aller Gefallenen in Wien, und zugleich ziehen zwei Compagnien 26ger nebst zwei Geschützen nach dem benachbarten Bernkastel.
Daselbst war gestern der Teufel los. Der Korrespondent der Kölnischen Zeitung, Advokat Bolz, in Begleitung von 300 Soldaten, war von Sebaldt als Regierungskommissär dorthin gesandt; nachdem er die
Beamten und Gemeindevorsteher gehörig bearbeitet, erkannte er, daß all sein Wirken bei dem Bernkastler Volke fruchtlos sein würde, so lange der Führer der demokratischen Partei daselbst, Coblenz, der
Steuerzahlung entgegen arbeiten könnte. Also sollte Coblenz verhaftet werden. Die 300 M. Soldaten waren zu dem Ende vor dem Hause des Demagogen aufgestellt. Coblenz widersetzte sich; die Glocken in
Berukastel und in den nahen Ortschaften läuteten Sturm; es schaaren sich viele mit Gewehren, Sensen und Piken bewaffnete Männer und Frauen zusammen; das Militär zieht sich zurück, Bolz wird geprügelt,
Coblenz bleibt in Freiheit. Das geschah gestern Nachmittag; gestern Abend kehrte der für's Vaterland geprügelte Korrespondent der Kölnischen Zeitung hierher zurück; das eben abgehende Militär
soll Bernkastel züchtigen, wohl in Belagerungszustand setzen. Man hat Lust, in bewaffnetem Zug, den wackern Bernkastelern zu Hülfe zu ziehen. Aber wir sind behext von der Phrase des passiven
Widerstandes. In Saarbrück haben das einrückende Militar und Kommissäre des H. Sebaldt eine ähnliche Revolte hervorgerufen. Auch dorthin ist militärische Verstärkung beordert.
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@facs | 0826 |
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126
] Andernach, 24. Nov.
Auch bei uns sind jetzt die Folgen einer Revolution eingetreten. Und wenn man fragt, worin die uns schuldgegebene Revolution bestehe, so halten die Reaktionäre uns entgegen, daß am letzten Sonntage
eine Volksversammlung hier gehalten, bei dieser eine Adresse entworfen und abgehandelt worden, welche das Verfahren der Nationalversammlung gegenüber den Anmaßungen der Krone und des Ministeriums
vollkommen billige. In Folge dessen sind wir heute mit einem Militär-Exekutions-Kommando von 150 Mann beglückt worden, weil nämlich jene Adresse — risum teneatis amici — Befürchtungen
für das hiesige Landwehrzeughaus erregte. Wahr an dieser Sache ist, daß zwar auf Waffen von keiner Seite spekulirt wurde, der ärmere Theil der hiesigen Bevölkerung jedoch unpräjudicirlich meinen
wollte, „zu den im Zeughause befindlichen Livree-Stücken habe das Volk das Tuch und den Macherlohn bezahlt, und es habe daher einigermaßen ein Recht, sich mit Kleidungsstücken für den kommenden
Winter zu versehen.“ Wir haben uns mit der uns näher liegenden Frage zu befassen, wie unsere ungebenen Gäste in kürzester Frist weiter zu spediren seien. Auf dem Wege des Rechtes wird
dies sobald nicht gehen, wohl aber auf jenem des Gesetzes. Ich meine, daß den Soldaten nur das, was ihnen gesetzlich zusteht, aber auch nichts weiter, zu verabreichen sei, und stehe
dafür, daß sie dann bald von selbst fortlaufen werden.
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@facs | 0826 |
[unleserlicher Text] Gerresheim, den 27. Nov.
Das System der Volksentwaffnung ist auch in unserm Städchen schon zur Ausführung gekommen. Unsere sehr gut organisirte Bürgerwehr ist des Dienstes enthoben von dem Schellfischfreunde Herrn Spiegel
unter Zusage freundlicher Unterstützung durch den Communisten Drigalsky. Der dienstenthebende Erlaß ist dadurch motivirt, daß der Chef der Bürgerwehr am 18. d. M. einer antibrandenburgischen
Volksversammlung beigewohnt und ohne Rücksicht auf seine Eigenschaft als Chef in eine aus drei Personen bestehende Deputation gewählt wurde, die den Auftrag hatte, den hiesigen Beamten die allerwärts
gestellte Frage vorzulegen, welche Stellung sie der Nationalversammlung gegenüber einzunehmen gedächten, worauf befriedigende Antworten und, jetzt freilich anders interpretirte, Ehrenwörter erfolgten.
Das Offizierkorps der Bürgerwehr hat einen Protest eingereicht.
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@facs | 0826 |
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28
] Münster, 27. Novbr.
Die Absicht des hochverrätherischen Ministerii, nach und nach alle größeren Städte in Belagerungszustand zu erklären, um die spärlichen Märzerrungenschaften abzuringen, wird auch hier bald erreicht
werden. Als Mittel dazu muß hier Aufhetzung des Militärs gegen die Bürger dienen, wodurch man Konflikte herbeizuführen hofft, welche einen willkommenen Anlaß zur Erklärung des Belagerungszustandes
darbieten. Da nun die hiesige Garnison mit Ausnahme des aus der getreuen Mark stammenden Theils der Husaren sehr bürgerfreundlich, ja fast vollständig demokratisirt ist, so hat der mit dem
kommandirenden General v. d. Gröben und dem Regierungs- und interimistischen Oberpräsidenten v. Bodelschwingh befreundete interimistischen Oberbürgermeister v. Olfers in Gemeinschaft mit diesen
Personen ein Bataillon des Mindener 15. Inf.-Reg., welches eben aus Köln, wo es sich durch seine Brutalität bereits ausgezeichnet hatte, zurückberufen war, hierher kommen lassen. Das Bataillon langte
gleichzeitig mit den Deputirten zu dem am 18. hier begonnenen Provinzialkongreß an, nachdem es in Hamm scharf geladen. Gleich am ersten Abend begannen diese Fünfzehner die Bürger, nicht minder
aber auch die von ihnen mit dem ein Schimpfwort seinsollenden Ehrentitel „Demokraten“ belegten Soldaten des hiesigen 13. Inf.-Reg., auf welche die täglich auf dem Appell vorgelesenen
Schmähartikel gegen die Nationalversammlung und die unter sie vertheilten, o Schmach! bei einem hiesigen Buchhändler, dem Verleger des servilen Westfälischen Merkurs, gedruckten, die wildeste Rache
gegen das „Demokratengesindel“ athmenden Pamphlete bisher nicht den mindesten Eindruck gemacht haben, zu vexiren. Desto mehr Eindruck machten dieselben auf die Fünfzehner und die aus der
Mark stammenden Husaren, und um diesen Eindruck noch zu erhöhen, wurden und werden dieselben jeden Abend von ihren Offizieren und Feldwebeln resp. Wachtmeistern, (aus welchen Fonds?) regalirt. Dies
Verfahren hat ihnen solchen Muth eingeflößt, daß sie schon anfangen, am hellen Tage mit Bürgern anzubinden und daß namentlich Fünfzehner auf öffentlichem Markte bekannte Demokraten geohrfeigt
haben. Ein Bürger, dem solches widerfuhr, beschwerte sich beim Bataillonskommandeur, und was geschah? „Der Kommandeur belobte auf dem Appell die Thäter vor dem ganzen Bataillon und hieß sie
vortreten, damit er ihnen die Hand geben könne, was auch geschah.“ Daß ein solches Benehmen, das einen Bestandtheil der gerühmten preußischen Disziplin ausmacht, die Soldaten zu noch größeren
Heldenstreichen encouragiren mußte, versteht sich von selbst und so werden die Ereignisse des gestrigen Abends Niemand überraschen. Um 6 1/2 Uhr zogen trunkene Haufen von Fünfzehnern, worunter auch
einige Husaren, mit gezücktem Säbel durch die Straßen, wo sie jeden Vorübergehenden insultirten, zur Knappschen Reitbahn, in der eine Volksversammlung abgehalten ward. Nachdem sie von Außen die
Fenster eingeworfen, drangen sie unter wildem Geschrei und „ich bin ein Preuße“ brüllend, ein und hieben ohne Weiteres auf die Anwesenden ein. Die wehrlose Menge bat um Schonung, aber
die wilde Horde schonte weder Greis noch Kind, wüthete vielmehr gleich tollen Hunden. Wie viele tödtliche Verwundungen vorgefallen sind, ist noch nicht konstatirt, einem Bürger ist der Kopf gänzlich
gespalten. Erst als Alles vorüber war — die Mordscene währte über eine halbe Stunde — erschienen einige Offiziere vom 15. Regiment auf dem Kampfplatz, obgleich die Kunde von dem
Mordanfall, wenn derselbe, wie zu vermuthen, nicht gar von ihnen ausgegangen, ohne Zweifel sofort in die benachbarte Kaserne, in der die Fünfzehner zum Theil einquartirt sind, gedrungen war. Man kann
sich die Wuth des Volkes denken, dasselbe lief racheschnaubend durch die Straßen unter dem Rufe: „Bürgerwehr heraus!“ viele Wehrmänner eilten auch mit ihren Waffen herbei, obgleich das
Kommando der Bürgerwehr, welches dieselben nur zu Ehren des Reichsverwesers und des Königs bestimmt glaubt, nichts von sich hören noch sehen ließ, und wer weiß, was passirt wäre, wenn nicht der
kommandirende General sogleich hätte Generalmarsch schlagen und sämmtliches Militär in die Kaserne ziehen lassen. Die Bürgerschaft will die sofortige Entfernung des fremden Bataillons beantragen. Arme
Bürgerschaft! Dasselbe ist ja gerade zu dem Zwecke hier, um dich im Zaum zu halten. Ich bin überzeugt, man wird das Bataillon seines Patriotismus wegen noch beloben. So ist es denn jetzt dahin
gekommen, daß man ohne Lebensgefahr nicht mehr über die Straße gehen darf. Der Belagerungszustand wird nicht lange ausbleiben.
Nachschrift. Vormittags 11 1/2 Uhr. So eben höre ich, daß auf dem Markte Bürger und Soldaten des 15. Inf.-Reg. in vollem Kampf mit einander begriffen sind. Der kommandirende General reitet
unter meinem Fenster vorbei dorthin; der Generalmarsch ertönt. Auch für die Bürgerwehr wird Allarm geblasen. Ich eile auf den Sammelplatz.
Nachmittags 3 Uhr. Ich begebe mich auf einen Augenblick nach Hause, um meinen Bericht fortzusetzen. Der Kampf von diesem Morgen ist allerdings ernstlich gewesen; Arbeiter, mit Aexten,
Hämmern und Knitteln bewaffnet, hatten furchtbar unter den Fünfzehnern gewirthschaftet. Fünf von denselben sollen bereits todt oder am Sterben sein, zwei habe ich, während ich als Wehrmann zum Markte
eilte, an mir auf einer Bahre vorbeitragen gesehen; über 40 sollen blessirt sein und haben sich die meisten nur unter dem Schutze von Dreizehnern, die das Volk überall hoch leben ließ, retten können.
Die Arbeiter sollen mit einer beispiellosen Tollkühnheit auf die in großen Haufen auf dem Markte versammelten Fünfzehnern losgegangen sein und ihnen die Gewehre entrissen oder zerbrochen haben Als ich
auf dem Markte ankam, war der Kampf vorbei und kein Fünfzehner mehr zu sehen. Eben vorher hatte das Volk die Thüren eines Hauses, in dem es einen Offizier dieses Regiments am Fenster stehen gesehen,
erbrochen, und der Offizier wäre unfehlbar ermordet worden, wenn nicht zeitig genug die Bürgerwehr angelangt wäre. Die Stadt bot einen düstern, drohenden Anblick. Alle Läden, fast alle Häuser waren
geschlossen, Arbeiterhaufen zogen mit drohendem Rachegeschrei durch die Straßen; die Bürgerwehr selbst hatte sich auf einen Kampf gefaßt gemacht und, freilich ohne Befehl, scharf geladen. Der
geängstigte Magistrat ließ an den Straßenecken Plakate anschlagen, worin er den Vorwurf, als habe er die Fünfzehner hereingerufen, als unwahr bezeichnete, und unter der Bitte an die
„Gutgesinnten“ dafür zu sorgen versprach, daß die Fünfzehner die Stadt verließen. Ueberall wurden diese Plakate vom aufgeregten Volke und von der Bürgerwehr abgerissen und zerfetzt. Der
Magistrat und das Kommando der Bürgerwehr begab sich zum kommandirenden General, um ihn zu bitten, die Fünfzehner sofort aus der Stadt zu entfernen.
Nachmittags 5 1/2 Uhr. Der kommandirende General hat erklärt, dem Wunsche nach Entfernung der Fünfzehner nicht sogleich willfahren zu können, weil die Untersuchung des gestrigen Vorfalls
hier an Ort und Stelle geschehen müsse, hat aber versprochen, die Fünfzehner stets in den Kasernen zu konsigniren. Ich möchte denselben auch nicht rathen, sich sehen zu lassen. Uebrigens sollen von
jetzt an starke Bürgerwehrpatrouillen Tag und Nacht die Straßen durchziehen. Man befürchtet aber noch gegenseitige blutige Konflikte, da die gegenseitige Erbitterung zu groß ist, und als das Ende vom
Liede die Erklärung des Belagerungszustandes.
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@facs | 0826 |
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065
] Münster, 28. Nov.
Ueber die Vorfälle hierselbst schweigt der „Merkur“ gänzlich, als wäre nichts vorgefallen; wahrscheinlich hat ihm Niemand einen Artikel über das, was unter seinen Augen vorgeht,
zugestellt.
Gestern Morgen sammelten sich viele Haufen von Bürgern, und verlangten die Entfernung der 15er, die ihnen schon gestern versprochen war. Statt dessen zeigten sich gerade diese Truppen bewaffnet. Es
wurden mehrere ergriffen und hart mitgenommen. Das Volk holte den Feind aus einer Schutzwache der 13er heraus.
Da die Militärbehörde den Haß kennt, den das Volk auf die 15er hat, so wäre deren Konsignirung die höchste Pflicht gewesen. Hiernächst trat die Bürgerwehr unter die Waffen, und hielt die Ruhe
aufrecht, weil kein Soldat des 15. Regiments sich blicken ließ. Am Abende hatten sich jedoch einige Mann, sowie auch Artilleristen, mit ihren Waffen aus den Kasernen begeben und zeigten sich mit
entblößten Klingen auf dem Markt. Sie wurden sofort verhaftet. — Die Anarchie ist unter den Truppen!
Was es heute geben wird, weiß der Himmel. — Schlimm, daß das Kriminalgericht sich hat verleiten lassen, gestern Abend einen hier sehr beliebten jungen Mann, einen
Ober-Landesgerichts-Referendar, einzuziehen, wegen eines vor 10-12 Tagen ausgegebenen Plakats einer Volksversammlung von 3000 Mann. Dasselbe ist höchst unschuldig, enthält weniger als jede
oppositionelle Zeitung täglich bringt, und würde wohl nirgend solche Schritte veranlaßt haben.
Vielleicht freut sich aber die Militärbehörde sehr, daß sie einberichten kann, es seien hier aufrührerische Plakate verbreitet worden, das Militär deshalb aufgebracht u. s. w. — Gegen
das Militär enthielt aber das Plakat nichts, auch leben wir noch jetzt mit den 13ern und der Artillerie sehr gut.
[0827]
Der Magistrat hat öffentlich erklärt, daß er gegen die Heranziehung der 15er protestirt habe. Er sollte aber besser seinen Polizeimann von Hove kontrolliren, der, wie das Gerücht sagt, die
aufregende Plakate „des Heeres an die Demokraten“ hat drucken und vertheilen lassen.
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@facs | 0827 |
Ollmütz, 23. Nov.
Die Minister sind aus Kremsier zurückgekehrt und arbeiten fleißig an dem Programm, das sie Samstag dem Reichstag vorlegen werden.
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@facs | 0827 |
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X
] Berlin, 25. Nov.
Die Erklärung des Abgeordneten Steinbeck in Nr. 203 des Preußischen Staats-Anzeigers. „Der Königl. Stadtphysikus Dr. Steinbeck, Abgeordneter für den Westhavelländischen Kreis und die Kur-
und Hauptstadt Brandenburg,“ hat das als Antwort auf seine Einberufung an den Präsidenten der Nationalversammlung, Herrn v. Unruh, gerichtete Schreiben vom 21. d. M. unter der Ueberschrift:
„Erklärung,“ in den Preuß. Staats-Anzeiger rücken lassen, weil „die Ehre und Würde eines Abgeordneten,“ ihm die Veröffentlichung dieses Schreibens gebiete.
Nachdem Herr Steinbeck in diesem Schreiben zunächst erklärt hat, daß er dem Rufe „aus Gründen der Ueberzeugung und des Gewissens,“ nicht nachkommen könne, ergeht er sich in Invectiven
gegen die Nationalversammlung und sagt unter Anderem, daß dieselbe „ihm nicht auf derjenigen Höhe des Standpunktes zu stehen scheine, welcher durch wahre Vaterlandsliebe und persönliche
Selbstverleugnung“ begründet werde, und welcher dadurch die nothwendigen Bedingungen für das Wirken eines wahrhaften Vertreters der Nation enthalte; und weiter unten: „daß dieselbe (die
Nationalversammlung) die wahren Bedürfnisse des Volks nicht erkannt habe, vielmehr scheine, durch Selbstsucht verblendet, die Noth und die Bedrängnisse der Nation vergessen und die wahrhafte Liebe für
das Vaterland unter dem Einflusse des Terrorismus gänzlich verloren zu haben.“
Um diese Erklärung des Abgeordneten Steinbeck richtig würdigen zu können, namentlich seine „Gewissenstreue,“ seine „Vaterlandsliebe,“ seine
„Selbstverleugnung“ und sein „Wirken als wahrhafter Vertreter der Nation,“ fühle ich mich verpflichtet, folgendes über die Thätigkeit des Abgeordneten Steinbeck bei der
Nationalversammlung zu veröffentlichen.
Einer Kommission oder einer Central-Abtheilung hat der Abgeordnete Steinbeck nicht angehört, und überhaupt neben den gewöhnlichen, regelmäßigen Arbeiten eines Abgeordneten, außergewöhnliche nicht
zu verrichten gehabt. Die einem jeden Abgeordneten zukommenden regelmäßigen Arbeiten bestehen bekanntlich in der Theilnahme an den Abtheilungs- und an den Plenar-Sitzungen.
Was erstens die Abtheilungs-Sitzungen betrifft, — höchst wichtig, weil in ihnen die Gesetze vorberathen werden, — so hat der Abgeordnete Steinbeck dieselben anfangs nur unregelmäßig,
in den letzten Monaten aber fast gar nicht besucht. — Anlangend zweitens die Thätigkeit des Herrn Steinbeck in den Plenar-Sitzungen, so läßt sich, da derselbe als Redner nicht aufgetreten ist,
nur aus den namentlichen Abstimmungen mit Bestimmtheit ersehen, ob und wann Herr Steinbeck diesen Sitzungen beigewohnt hat. Es folgt deshalb zu diesem Zwecke nachstehendes Verzeichniß der namentlichen
Abstimmungen, mit dem Bemerken, daß, da die Plenar-Sitzungen seit Ende September, nachdem in den Abtheilungen hinreichend vorgearbeitet war, erst wieder zahlreicher gehalten und seitdem zugleich, bei
der Wichtigkeit der Beschlüsse, häufige namentliche Abstimmungen vorgekommen sind, dieses Verzeichniß mit dem 28. September beginnt, und bei jeder Sitzung zugleich bemerkt ist, ob Herr Steinbeck in
derselben gefehlt hat oder anwesend war.
Am 28. September 61. Sitzung gefehlt. |
Am 29. September 62. Sitzung gefehlt. |
Am 30. September 63. Sitzung gefehlt. |
Am 3. Oktober 65. Sitzung gefehlt. |
Am 4. Oktober 66. Sitzung gefehlt. |
Am 6. Oktober 68. Sitzung anwesend. |
Am 7. Oktober 69. Sitzung gefehlt. |
Am 9. Oktober 70. Sitzung gefehlt. |
Am 11. Oktober 72. Sitzung gefehlt. |
Am 12. Oktober 73. Sitzung gefehlt. |
Am 13. Oktober 74. Sitzung gefehlt. |
Am 14. Oktober 75. Sitzung gefehlt. |
Am 16. Oktober 76. Sitzung gefehlt. |
Am 20. Oktober 81. Sitzung anwesend. |
Am 21. Oktober 82. Sitzung gefehlt. |
Am 23. Oktober 83. Sitzung gefehlt. |
Am 24. Oktober 84. Sitzung gefehlt. |
Am 25. Oktober 85. Sitzung anwesend. |
Am 26. Oktober 86. Sitzung gefehlt. |
Am 27. Oktober 87. Sitzung gefehlt. |
Am 30. Oktober 89. Sitzung anwesend. |
Am 31. Oktober 90. Sitzung anwesend. |
Aus dieser Uebersicht erhellt, daß Herr Steinbeck seit dem 28. September bis Ende Oktober (vom 1. November ab, hat er Urlaub genommen) in 17 Sitzungen gefehlt und 5 besucht hat. Erwägt man, daß
seit Ende September die wichtigsten Gesetze, seit dem 12. Oktober namentlich die Verfassung berathen, so leuchtet die „Gewissenstreue“ des Abgeordneten Steinbeck ein, mit welcher
er „als wahrhafter Vertreter der Nation“ gewirkt hat. Erwägt man ferner, daß der Abgeordnete Steinbeck stets die vollen Diäten, also für 5 Sitzungen im Monat Oktober 93 Thlr., und im
Ganzen seit dem 22. Mai mit den Reisekosten gegen 500 Thlr. bezogen hat, so ist die Entscheidung gegeben, wen die vom Abgeordneten Steinbeck gebrauchten Phrasen:
„daß man nicht auf
derjenigen Höhe des Standpunktes stehe, welcher durch wahre Vaterlandsliebe und persönliche Selbstverleugnung begründet wird,“ und
„daß man, durch Selbstsucht verblendet, die Noth und die Bedrängnisse der Nation vergessen, und die wahrhafte Liebe für das Vaterland gänzlich verloren habe,“
treffen, ob
diejenigen Abgeordneten, welche in Sturm und Kampf ausgeharrt, und nicht nur ihre Kräfte dem Wohle des Vaterlandes dargebracht, sondern auch ihre Existenz daran gesetzt haben? oder den Herrn Steinbeck
selbst?
Vom Standpunkte des Rechts aber frage ich den Dr. Steinbeck, was ist derjenige, der sich für nichtgethane Arbeit bezahlen läßt?
Die öffentliche Stimme mag darüber urtheilen, ob ein solcher noch von seiner „Ehre“ und „Würde“ sprechen kann; sie mag ihm auch diejenige Bezeichnung beilegen, welche
ihm noch dafür gebührt, daß er die Stirne gehabt hat, aus seinem Verstecke herauszutreten, um pflichtgetreue Abgeordnete zu schmähen.
Berlin, den 25. November 1848.
Schneider, Abgeordneter und Schriftführer der Nationalversammlung.
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[
!!!
] Frankfurt, 27. November.
Sitzung der National-Versammlung. Vicepräsident Riesser präsidirt.
Vor der Tagesordnung theilt der Vicepräsident der Versammlung ein Schreiben des Reichsjustizministeriums mit. Dasselbe besagt, daß das peinliche Verhöramt in der Lichnowsky-Auerswaldschen
Mordgeschichte in Erfahrung gebracht hat, daß ein Abgeordneter eine kurz nach der Ermordung in der Henseltschen Gastwirthschaft gehörte auf diesen Mord bezügliche Aeußerung gehört haben soll. Besagten
Abgeordneten möchte nun das peinliche Verhöramt gern ermitteln.
Präsident meint, die Verlesung des Schreibens würde wohl genügen.
Lewisohn (Grünberg) frägt das Reichsministerium, was geschehen sei, um dem Beschlusse der Versammlung gemäß, auf die Einsetzung eines volksthümlichen Ministeriums in Preußen hinzuwirken? Die
andern Beschlüsse Betreff Preußens (z. B. die Null- und Nichtigkeitserklärung der Steuerverweigerung) habe der Reichsverweser und das Ministerium dem deutschen Volke (in der letzten Proklamation)
bestens anempfohlen, aber von diesem Beschlusse sei keine Rede. Und doch sei die Steuerverweigerung nur eine Konsequenz des Ministeriums Brandenburg, da ja dieselbe nur für die Dauer dieses
Ministeriums ausgesprochen. Wenn man also dieses schnell beseitige, so werde der fernere Beschluß der National-Versammlung von selbst ausgefuhrt werden. Zuletzt meint Lewisohn, er bemerke dem
Ministerium voraus, daß dessen gewohnliche Antwort, „es werde alles geschehen, was geschehen könne,“ ihm nicht genügen wird. (Allgemeine Heiterkeit).
Der Gesesgebungsausschuß zeigt an, daß er mit 10 Stimmen gegen 4 sich nicht für kompetent halt, den ihm überwiesenen Antrag von Wesendonk „wegen Aufhebung des Belagerungszustandes von
Düsseldorf“ zu begutachten. Die Majoritat dieses Ausschusses will den Antrag dem sogenannten Biedermannschen Ausschuß, welcher auch einen Antrag von Grubert „wegen des Berliner
Belagerungszustandes“ zu begutachten hat, überweisen.
Nachdem einiges für und wider diese Ansicht gestritten worden, geschieht nach dem Wunsche der Majorität und drei Tage sind also für Düsseldorf glücklich verloren.
Wesendonk bittet den Biedermannschen Ausschuß, wenigstens jetzt schnell zu berichten, da auf diese Weise schon drei Tage verloren seien. (Sehr naiv).
Dahlmann zeigt an, daß der Verfassungsausschuß mit dem Entwurf über den künftigen deutschen Reichstag (Staaten- und Volkskammer) zu Ende gekommen ist, und denselben nachstens vorlegen
wird.
Beseler zeigt an, daß demnachst die zweite Lesung der Grundrechte werde beginnen können, da der Ausschuß der Verfassung mit der Revision, so wie mit dem Einfuhrungsgesetz zu Ende ist.
Auch der Bericht uber die Mediatisirungsfrage wird zur Anzeige gebracht.
Schoder spricht den Wunsch aus, die zweite Lesung der Grundrechte schon am nächsten Montag zu beginnen.
Wernher von Nierstein (Ministerialkandidat) poltert deklamatorisch dagegen.
Schoders Antrag geht zurück.
Lassaulx (der beruhmte Professor) stellt den dringlichen Antrag:
„zu dem Gesetz zum Schutz der Abgeordneten gegen Verhaftung etc. ein Ausnahmegesetz zu machen, welches in
gewissen Fällen die Verhaftung von Abgeordneten ohne Frage zuläßt.“
Hr. Lassaulx meint ohne Zweifel mit Hinweisung auf Schlöffels Wirken in Schlesien.
Bei der Dringlichkeitsfrage erhebt sich nur die Linke; Rechte und Centren klatschen Bravo uber diese Verhöhnung des Lassaulxschen Antrags.
Eben so ergeht es einem ahnlichen faden Antrage von Beda Weber.
Man geht um 11 Uhr zur Tagesordnung
Tagesordnung.
1. Ergänzungswahlen für 2 Ausschüsse.
Für den Verfassungsausschuß sind diesmal Abgeordnete der Linken als Kandidaten vorgeschlagen. Reh von Darmstadt, Löwe aus Kalbe. Reh wurde mit 245 Stimmen gewählt.
2. Bericht des
Finanzausschusses über den vom Abgeordneten Beseler gestellten Antrag bezüglich der baaren Vergütung für die den deutschen Truppen im Reichsdienste geleistete Naturalverpflegung.
Berichterstatter ist Eckart. Der Antrag des Ausschusses lautet:
„Die hohe National-Versammlung wolle dem Reichsministerium gegen seinerzeitigen, vollständigen Nachweis über den
wirklichen Bedarf und die Verwendung einen Kredit bis zu der in dem Budget postulirten Summe von 1,750,000 Fl. zu dem Ende bewilligen, damit die unmittelbar zu zahlende baare Vergütung für die
tarifmäßigen Naturallieferungen, welche die im Reichsdienste befindlichen Truppen von ihren Wirthen zu fordern haben, sofort geleistet werde“
Vogt spricht gegen diesen Antrag; er findet es allerding nöthig, den Leuten, welche durch Truppenanhäufungen aus strategischen (!) Gründen mit Einquartirungen belastet worden sind, eine
Entschädigung zu geben Aber diesem Ministerium will er keinen Heller bewilligen. Schaffen Sie das Ministerium ab, sagt er, und wir werden nichts gegen die Bewilligung des Geldes haben.
(Heiterkeit)
Salzwendel spricht für den Antrag, und meint, wie denn das Ministerium bezahlen soll, wenn ihm kein Geld bewilligt wird? Er sucht die Nothwendigkeit der Truppenanhäufungen darzuthun und
bittet um Bewilligung des Geldes zur Unterdrückung der Anarchie.
Ruhl aus Hanau (Schluß! Schluß!) gegen den Antrag hat einen andern Antrag gestellt, welcher natürlich verworfen werden wird. Der Kriegsminister hätte zwar gesagt, die Einquartirung sei sogar
eine Wohlthat für die Bürger; — dies wäre eine eigene Wohlthat! — Die vorgeschlagene landesübliche Entschädigung sei eine sehr geringe. Sehr häufig koste ein Soldat dem Bürger 1 fl.
täglich, wahrend z. B. Hessen 14 krz. gut thut. Mancher Tagelöhner, der 4 fl. wöchentlich verdient, muß 7 fl. für seine Einquartirung zahlen. (Ein Soldat hinter mir auf der Gallerie sagt: Unsinn:) Er
wünscht Entschädigung, und zwar genugende, aber zugleich seien die Maaßregeln zurückzuziehen, welche die Einquartirungen nöthig machen. In jedem Staat von der Republik bis herab zur Despotie werden
genügende Entschädigung gezahlt. Man werde ihm zwar entgegnen, der Staat der hier gebildet wurde, sei in der Entwickelung begriffen, er seinerseits müsse aber gestehen, er sei auf die Loswickelung
dieser Entwickelung gar nicht neugierig. (Gelächter.)
Jucho aus Frankfurt ist für die Bewilligung des Geldes in einer rührenden aber kurzen Rede, zu deren Ende er sagt:
„Geben Sie nur erst das Geld, nachher können Sie mit dem
Ministerium machen, was Sie wollen.“ (Gelächter.)
Schmerling, (Minister). Das Ministerium war vorbereitet auf noch stärkere Angriffe wegen der Truppenanhäufungs-Maaßregeln. Er (Schmerling) habe aber gerade wegen diesen Maaßregeln aus den
geschützten Orten Dankadressen erhalten. (Horribles Gelächter.) Nur eine kleine aber verwegene Partei mißbillige die Maaßregeln. (Rechts bravo.) Was der Burgermeister von Hanau (Rühl) über die
schlechte Vertheilung der Einquartirung gesagt, konne dem Ministerium nicht zugerechnet werden, da ja die Lokalbehörde die Vertheilung der Einquartirung auf sich hätte. Wenn diese dabei mit gewissen
Rücksichten verfuhre, so konne das Ministerium nichts dafür. (Links: Zur Ordnung) Ruhl will daß Riesser den Minister zur Ordnung ruft. Tumult. Riesser frägt Schmerling, ob er den Bürgermeister von
Hanau mit dieser Anspielung gemeint habe?
Schmerling: Bewahre! In ganz Hanau ist ja kein Mann Reichstruppen. (Großes Gelachter rechts.)
Der Minister sagt ferner, daß das Ministerium 18 Kreuzer per Tag als Entschädigung für einen Mann Einquartirung festgesetzt habe, was genügend erscheine. Uebrigens habe die Versammlung zu allen
diesen Maaßregeln dem Ministerium bereits ihr Vertrauen ausgesprochen.
Vogt stellt den Antrag:
„Das Ministerium solle die (von Schmerling) erwähnten Dankadressen auf den Tisch des Hauses legen. (Allgemeine Heiterkeit.)
Die Debatte wird geschlossen und der Ausschußantrag (S. oben.) angenommen. Vogts Antrag mit schwacher Majorität verworfen. (Schmerling stimmte dafür.)
Nro. 3. der Tagesordnung. Berathung über den Entwurf des Verfassungsausschusses:
„Das Reichsgericht.“
Vor der Berathung bemerkt von Soiron daß der Verfassungsausschuß einen Antrag von Schneer über die formelle Berathungsart der ganzen Verfassung zu dem seinigen gemacht hat.
Nach diesem Antrag wird vor jedem Paragraphen erst die Diskussionsfrage gestellt, und nur wenn 100 Mitglieder für die Diskussion stimmen, eine solche zugelassen.
Der Antrag wird von der Versammlung angenommen.
Hierauf geht man zu einer allgemeinen Debatte über den Entwurf, das Reichsgericht, bei welcher sich Moritz Mohl, Breuning und Plathner gegen den Entwurf; Tellkampf, Zachariä und Mittermeier für
denselben aussprechen. In der ganz ledernen bei leerem Haus geführten Debatte sprach nur Herr Mittermeier, warm für das Reichsgericht. Man sagt, er hoffe Präsident desselben zu werden. Die im Saale
zurückgebliebenen Deputirten unterhalten sich über das eben allgemein verbreitete Gerücht von der Erschießung des Windischgrätz.
Hierauf geht man zur speziellen Debatte über die §. 8. Ueber §. 1. wird nicht diskutirt Der Paragraph lautet:
„Die dem Reiche zustehende Gerichtsbarkeit wird durch ein
Reichsgericht geübt.“
Die Abstimmung wird noch ausgesetzt.
Ueber §. 2. beschließt man zu diskutiren, vertagt sich aber nachdem Arndts aus München gegen den §. und Linde aus Mainz für denselben bei gänzlicher Theilnahmlosigkeit gesprochen haben.
Den Wortlaut des Entwurfs morgen bei der Abstimmung.
Die Sitzung wurde um 2 Uhr geschlossen.
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@facs | 0827 |
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!!!
] Frankfurt, den 27. Novbr.
Die Todtenfeier für Blum von Seiten des Parlaments wird wahrscheinlich gar nicht stattfinden, weil ein Theil der Commission nur eine kirchliche Feier will mit der sich der andre Theil (zumal
Raveaux) nicht begnügen. —
Ferner: Rodbertus und Berg, die wie sie wissen hier anwesend sind, sind von den vereinigten Clubs der Rechten (bis zum Würtenberger Hof) im Weidenbusch Saale, wo diese Clubs Sitzung hatten
furchtbar verhöhnt worden. Zumal von Plathner, Graf Schwerin u. a. — Rodbertus hielt eine Rede zur wahren Schilderung der Berliner Zustände und wurde verlacht und ausgezischt. Bassermann hielt
eine Gegenrede und wurde beklatscht. — Nur der Abgeordnete Schultze (Delitsch) legte Protest ein gegen diese Behandlung der Abgeordneten Rodbertus und Berg. —
Unser Ministerium ist so schreckhaft, daß es gestern eine Todtenfeier für Blum in Offenbach theilweis verhinderte. — Nur eine kirchliche Feier fand statt. Als die Frankfurter Turner mit
einer florbehangenen schwarz-roth-goldenen Fahne daselbst einziehn wollten, wurde ihnen am Bahnhof besagte Fahne von den Reichstruppen weggenommen, welche Offenbach in pomphafter Masse
umpatrouillirten. — Zu einem Skandal kam es nicht. —
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@facs | 0827 |
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] Frankfurt a. M., 27. Novbr.
Der Abg. Mor. Hartmann hat der „A. Z.“ in Augsburg folgende Erklärung zugeschickt:
„Ihr Blatt vom 19. d. sagt in einem von Frankfurt datirten Berichte über mich, ich hätte an dem Kampfe in Wien keinen, werkthätigen Antheil“ genommen. Ihr Korrespondent glaubt mir
vielleicht mit diesem Berichte der jetzigen österreichischen Regierung gegenüber gefällig zu sein — ich aber muß diese Gefälligkeit auf Kosten meiner Ehre dankend, doch entschieden ablehnen.
Denn allerdings hielte ich es für eine Ehrlosigkeit, wenn ich mich an einem Kampfe nicht betheiligt hätte, den ich für den gerechtesten hielt, der meinen politischen Ueberzeugungen nach, alle meine
Sympathien besitzen mußte. Ich erkläre hiermit offen, daß ich mich vom Momente meiner Ankunft bis zum Fall des heldenmüthigen Wiens mit allen mir zu Gebot stehenden geistigen und körperlichen Kräften
dem Kampfe angeschlossen habe, und daß ich den für feige oder stumpfsinnig halte, der mitten in dieser großartigen Bewegung von ihr nicht ganz und gar ergriffen worden wäre. Bin ich doch eigens nach
Wien gereist, um in diesem großen Kampfe für Freiheit und Nationalität meine Sympathien „werkthätig“ zu bezeugen, und hatte diesen Entschluß schon gefaßt, bevor meine Partei mich zu
ihrem Abgeordneten ernannte. Aus dem Umstande, daß ich glücklicher war, als meine Kollegen Blum und Fröbel, darf weder Ihr Korrespondent noch Ihr Publikum zurückschließen auf meine Werkthätigkeit in
Wien. Ich war eben nur glücklicher und vom Zufall mehr begünstigt.
Indem ich Sie bitte, diese Zeilen in Ihrem Blatte abdrucken zu lassen, bleibe ich etc.
Frankfurt a. M., 22. Nov. 1848.
Moritz Hartmann.
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@facs | 0827 |
Von der ungarischen Gränze.
Am 20. hörte man von der ungarisch-östreichischen Gränze bei (ungarisch) Neudorf, Marchegg gegenüber, heftigen Kanonendonner, und Nachmittags stand jenes Dorf in Flammen.