Deutschland.
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] Köln, 28. Nov.
Die „N. Rh. Ztg.“ sagte in ihrer Nummer vom 17. November:
„Und nun gar die Juden, die seit der Emancipation ihrer Sekte, wenigstens in ihren vornehmen Vertretern, überall an die Spitze der Contrerevolution getreten sind, was harrt
ihrer? Man hat den Sieg nicht abgewartet, um sie in ihr Ghetto zurückzuschleudern.“
Wir citirten damals Bromberger Regierungserlasse. Eine noch schlagendere Thatsache haben wir heute zu berichten. Die große Freimaurerloge zu den drei Kronen in Berlin — bekanntlich
ist der Prinz von Preußen oberster Leiter der preußischen Freimaurerei, wie Friedrich Wilhelm IV. oberster Leiter der preußischen Religion — hat die Loge Minerva zu Köln in
Inaktivität erklärt. Warum? Weil sie Juden affiliirt hat. Zur Nachricht für die Juden!
Ein uns zufällig zu Gesicht gekommenes Circulär des Ministerii Brandenburg an sämmtlich Regierungskollegien, fordert dieselben auf, Massenverhaftungen gegen die Führer der Klubs zu
bewerkstelligen.
Aus guter Quelle versichert man, daß Köln, Düsseldorf, Aachen u. s. w. Reichstruppen und zwar Oestreicher zum Weihnachtsangebinde von unserm Allergnädigsten erhalten werden.
Wahrscheinlich Kroaten, Szereksaner, Czechen, Raizen, Serben u. s. w., damit auch in der Rheinprovinz wie in Wien „Ordnung und Ruhe“ hergestellt werde. Die Rheinprovinz gränzt
übrigens, so heißt es, nicht an Rußland, sondern an Frankreich. Zur Nachricht für den Allergnädigsten!
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] Düsseldorf, 27. Nov.
Ein neuer Weg, um Ungesetzlichkeiten gesetzlich zu machen! Am 22. d. M. wurde hier der Belagerungszustand ausgesprochen resp. mit der Entwaffnung der Bürgerwehr den Anfang gemacht, und heute
läßt Hr. Spiegel eine, jene Entwaffnung „anordnende“, Friedrich-Wilhelm-Manteufflische Cabinetsordre, d. d. Bellevue 25. Nov., als Beilage zur Düsseldorfer Zeitung an die
entwaffneten Abonnenten gratis verabreichen!!!
Cantador hat einen Erscheinungsbefehl für morgen erhalten.
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Düsseldorf.
Die Unterredung einer Deputation mit dem Regierungs-Präsidenten Herrn von Spiegel.
Am 20. c. kam uns gegen Abend die Nachricht zu, man habe im hiesigen Regierungs-Kollegium, den ganzen Nachmittag über, wegen des am nächsten Morgen über die Stadt zu verhängenden
Belagerungszustandes berathen, wobei sieben Mitglieder des Kollegiums sich gegen und drei, darunter der Regierungspräsident selbst, sich für diese Maßregel ausgesprochen hätten.
Wir hielten es für unsere Schuldigkeit, uns sofort zu dem Letzteren zu begeben, um ihn sowohl über die Gründe zu diesem seinem angeblichen Antrage, als über einige andere, das Gemeinwohl
betreffende Punkte zu befragen.
Der in der Stadt allgemein herrschende aufgeregte Zustand schien uns keineswegs eine genügende Veranlassung zu der angedeuteten Gewaltmaßregel. Sollte denn eine Stadt wie Düsseldorf, deren Bewohner
jederzeit eine lebhafte Betheiligung an den politischen Zuständen des Vaterlandes an den Tag gelegt, parteilos bleiben, während der ganze preußische Staat durch ein unpopuläres Ministerium und dessen
Verordnungen und Maßregeln in zwei große Parteien, in die des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel und in jene der von der Gewalt bedrohten Nationalversammlung, zerfiel! Bei so außerordentlichen
historischen Ereignissen die Bewegung der Gemüther mit großartigen polizeilichen Maßregeln zügeln zu wollen, schien uns eben so ungeeignet als ungerecht, um so mehr, als dem mißliebigen Ministerium
von keiner Seite, ja nicht einmal aus seinem eigenen Schooße, eine lange Dauer geweissagt wurde. Um dieses Ministeriums willen sollte — vielleicht kurz vor seinem Hinscheiden — über
unsere Stadt ein Zustand verhängt werden, der im grellsten Widerspruche mit den Anforderungen und dem Aufschwunge unserer Zeit steht! Um dieses Ministeriums willen sollte eine Bürgerwehr aufgelöst
werden, welche im Bewußtsein ihrer Pflicht, nach dem Grundparagraphen des betreffenden Gesetzes, zum Schutze der verfassungsmäßigen Freiheit in die Schranken zu treten gewillt war!
Doch kommen wir nun auf die Unterredung mit dem Herrn Regierungspräsidenten.
Wir Unterzeichnete und der von uns hinzugebetene stellvertretende Oberbürgermeister, Herr Dietze, ließen uns gegen fünf Uhr bei dem Präsidenten anmelden. Er empfing uns freundlich.
„Herr Prasident,“ nahm Cantador das Wort, „es ist uns so eben mitgetheilt worden, man habe im Regierungs-Kollegium darauf angetragen, über unsere Stadt den
Belagerungszustand zu verhängen. Wir nehmen uns die Freiheit, bei Ihnen anzufragen, ob dies der Fall sei und welche Gründe zu solcher Maßregel vorliegen.“
Der Präsident: Meine Herren, ich kann Sie versichern, daß dies nicht der Fall ist. In einer so bewegten Zeit, wie die jetzige, tauchen allerlei Geruchte auf. — — —
Einer der Deputation: Sie verzeihen, Herr Präsident, wir haben sogar das Stimmenverhältniß des Collegiums für und gegen diese Maßregel erfahren; man sagte uns, daß sieben dagegen und drei
dafür gestimmt.
Der Präsident: Meine Herren, ich versichere Sie, so lange Sie sich, wie bisher, auf gesetzlichem Boden bewegen, haben Sie dies nicht zu befürchten. Wie leicht man jetzt allerlei Gerüchte
sofort für wahr ausgibt, geht schon wieder daraus hervor; daß in der heutigen Zeitung gesagt wird, der Oberpräsident, Herr Eichmann, habe sich bei mir zum Nachtessen befunden, als ihm jene Katzenmusik
gebracht worden. Es ist dies nicht der Fall; der Herr Oberpräsident war vielmehr mit mir zugleich in die Kaserne zum Herrn General von Drigalski gebeten.
Spohr: Ja, Herr Präsident, auch deßhalb wollten wir Sie befragen, da Sie an jenem Abend die Ordre gaben, daß, wenn die Herstellung der Ruhe, d. h. die Beseitigung der Katzenmusik, nicht
binnen einer halben Stunde durch die Bürgerwehr erfolgen würde, sofort das Militär requirirt werden solle.
Präsident: Lieber Herr Spohr, das war nur so eine Drohung, das würde doch nicht geschehen sein.
Groote: Herr Präsident, ich muß gestehen, es scheint mir dies doch etwas stark, wegen einer Katzenmusik, die einem Oberpräsidenten gebracht wird, die ganze Stadt in die gefährlichste Lage zu
bringen. Wie leicht hätte durch das unbefugte Einschreiten des Militärs ein blutiger Konflikt herbeigeführt werden können.
Herr Dietze (sehr ernsthaft): Herr Präsident, wegen dieser Angelegenheit habe ich die entschiedenste Verwahrung einzulegen. Sie haben mich, den Chef der hiesigen Polizei, dabei gänzlich
umgangen. Das darf ich nicht zulassen. Sie hätten allerdings die ganze Stadt in die größte Gefahr bringen können. Meine Sache war es, wenn die Polizei nicht ausreichte, die Bürgerwehr zu requiriren.
Das darf nicht wieder vorkommen.
Präsident (sehr freundlich): Ich bitte Sie, meine Herren, nehmen Sie die Sache nicht so von der schlimmsten Seite. Sie kennen mich ja, wie gut ich es mit den Bürgern meine. Ich will Ihnen
den ganzen Hergang der Sache erzählen, und Sie werden sehen, wie unschuldig er ist. — Ich war bei dem Hrn. General v. Drigalski in die Kaserne auf Kabeljau oder Schellfisch — ich weiß es
wahrhaftig nicht mehr — mit Kartoffeln gebeten und da war denn auch der Oberpräsident und der Herr v. Mirbach. Da wurde uns gemeldet, was vor der Wohnung des Herrn Oberpräsidenten
vorgehe. Ich ersuchte den Herrn v. Mirbach, an den Polizei-Inspektor deßhalb das Erforderliche zu verfügen. Er fertigte das Schreiben aus, ich unterschrieb es — es wurde mit dem Divisionssiegel
gesiegelt — aber ich kann sie versichern, ich habe es nicht einmal gelesen.“
Groote: Wie, Herr Präsident, in einer so ernsten Zeit und in solcher Angelegenheit unterschreiben Sie eine Verfügung, ohne sie zu lesen!
Präsident (besänftigend): Nun, sehen Sie, ich hatte das dem Herrn v Mirbach überlassen. — — —
Cantador: So? dem Herrn v. Mirbach, dieser durchaus mißliebigen Persönlichkeit, die man außerdem mit unter Denen nennt, die den Belagerungszustand herbeiwünschen. Herr Präsident, die
hiesigen Behörden besitzen schon sehr wenig Vertrauen beim Volke, Herr v. Mirbach aber ist fast allgemein gehaßt.
Ein Anderer: Herr v. Mirbach ist derselbe, der die Märzrevolution ein Strohfeuerchen nannte.
Groote: Herr Präsident, ich muß sie wirklich bitten, sich in solchen Fällen nicht durch den Herrn v. Mirbach bestimmen, noch vertreten, noch überhaupt beeinflussen zu lassen.
Präsident: Nein, meine Herren, nein, Sie können sich darauf verlassen, Herr v. Mirbach hat gar keinen Einfluß. — Uebrigens bitte ich sehr, diese Sache nun zu vergessen; es soll
künftig nicht mehr vorkommen, daß ich Sie, Herr stellvertretender Oberbürgermeister, übergehe, und eben so werde ich, Herr Cantador, immer erst die Bürgerwehr auffordern lassen. — Lassen wir
dies jetzt, Sie wissen, wie sehr mir das Wohl der Bürgerschaft am Herzen liegt. Ich glaube, ich habe dies jederzeit bewiesen.
Clasen: Herr Präsident, ich muß auf unsere erste Frage noch einmal zurückkommen. Sagen Sie uns offen, wie es sich mit dem Gerücht von dem Belagerungszustand verhält, unter welchen
Eventualitäten derselbe eintreten wird, ob Sie ihn zu verhängen gesonnen sind, oder ob derselbe allein von dem General Herrn Drigalski ausgehen wird. Wir müssen darüber das Publikum beruhigen.
Präsident: Sie wissen, wie gesagt, liebster Herr Clasen, wie ich Alles aufbiete, einen solchen Zustand zu verhüten.
Spohr: Herr Präsident, das scheint mir eine ausweichende Antwort auf die Frage des Herrn Clasen zu sein: Sagen Sie uns offen und ehrlich, was an der Sache ist.
Präsident: Ja, meine Herren, ich will ganz offen gegen Sie sein. So lange Sie, Herr Cantador, sich auf dem gesetzlichen Boden verhalten, so lange Sie nicht weiter gehen, als Sie bis jetzt
gegangen sind, so lange Sie mich nicht absetzen, oder eine provisorische Regierung einsetzen wollen, so lange Sie nicht die Regierungskassen von der Bürgerwehr besetzen lassen, oder einen Angriff auf
die Kaserne machen: so lange haben Sie von mir nichts zu befürchten. Und selbst dann noch — ich gebe Ihnen die feierliche Versicherung — würde ich Sie vorher, meine Herren, zu mir bitten
lassen, Ihnen das Ungesetzliche ihres Schrittes vorstellen, und jede Gewaltmaßregel unterlassen, wenn Sie Ihrerseits zurückgehen würden. — Ja, glauben Sie mir, ich bin ein ehrlicher Mann, und
ich würde, wenn Sie schon dem Militär gegenüberständen, dazwischen treten und zu einer friedlichen Lösung Alles aufbieten. [Fortsetzung]
[Deutschland]
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@facs | 0818 |
Anderer Seits muß ich Ihnen aber auch vorstellen, was Sie, Herr Candator, riskiren, wenn Sie vom passiven zum aktiven Widerstand übergehen. Von der einen Seite muß ich Ihnen sagen, Sie werden auf
diesem Wege nichts ausrichten können. Taglich trifft mehr Militär hier ein. Ich bin zwar davon nicht so genau unterrichtet, doch hat man mir erzählt, es würden morgen noch einige Bataillone hier
anlangen; auch spricht man von Reichstruppen — ja, es sollen wirklich Reichstruppen an den Niederrhein kommen — ich weiß dies freilich so wenig wie Sie genau, allein es heißt so. Was
wollen Sie da machen? Selbst wenn Sie für einige Tage einen Sieg erringen können, so müßten Sie doch bald unterliegen; man wurde Sie total einschließen. Daran ist also nicht zu denken. Außerdem würde
die ganze Mark Ihnen auf den Hals kommen. Ja, ich darf Ihnen sagen, — und sollen mir die Lippen verdorren und der Fußboden unter meinen Füßen versinken, wenn es nicht wahr ist, — es sind
noch keine sechs Stunden her, da standen auf derselben Stelle, wo Sie jetzt stehen, Deputationen von Elberfeld, von Mülheim, aus der Mark und andern Gegenden, die mir erklärten, man würde von dort aus
zur Hülfe der Regierung aufbrechen, sobald dies verlangt werde. Ich sagte aber, das wäre fern von mir, ich würde meine Hand zu keinem Bürgerkriege hergeben. So steht die Sache, meine Herren.
Cantador: Herr Präsident, unsere Umgebung, unsere Landschaft würde auch auf der andern Seite nicht zurückbleiben.
Präsident: Man würde diese Zuzüge abzuschneiden wissen, sie nöthigenfalls mit Kartätschen empfangen, sie wurden gar nicht bis hierher kommen. Aber lassen Sie mich ausreden. So sieht es von
der einen Seite aus; von der andern, Herr Cantador, fallen Sie, sobald Sie den passiven Widerstand verlassen und zum aktiven übergehen, wozu Sie die Nationalversammlung nicht aufgefordert hat, Sie
also dieselbe auch nicht mehr im Rücken haben, als Empörer unter Art. 4 des Code Napoleon. Dort liegt der Code Napoleon — ich kann nicht dafür, aber ich muß Ihnen sagen, dann würden Sie, und
Sie alle meine Herren, die sich an der Empörung betheiligt hätten, eine Kugel an den Kopf bekommen.
Cantador: Herr Präsident, wir haben geschworen mit der National-Versammlung, mit der gesetzlichen Freiheit zu stehen und zu fallen. Wir wollen nicht die Anarchie, sondern nur den Sturz eines
hochverrätherischen Ministeriums. Wir werden keinen Kampf provoziren, wir bereiten uns aber auf den Kampf vor und werden ihn aufnehmen, wenn es nicht anders geht, wenn wir dazu aufgefordert werden.
Uebrigens schreckt mich weder die Drohung mit einer Kompagnie Schützen noch eine Drohung mit der Guillotine. Wir werden den Umständen nach handeln und gewiß nicht leichtsinnig einen blutigen Kampf
beginnen.
Präsident: Liebster Herr Cantador, ich muß Ihnen offen gestehen, ich höre Sie sehr gerne so in Begeisterung von der Freiheit reden; Sie fühlen das tief und ich bin auch einigermaßen mit
Ihnen einverstanden, aber — aber halten Sie sich beim passiven Widerstand. (Einige der Deputirten sprechen ebenfalls für den passiven Widerstand).
Der Präsident fährt fort: Glauben Sie mir, Herr Cantador, Sie kommen mit dem passiven Widerstand weiter als mit einem Kampfe, dem eine sichere Niederlage bevorsteht, durch welchen Sie dem
bald weichenden Ministerium Brandenburg noch vorher einen Sieg verschaffen. Glauben Sie mir, ich habe die Unterschrift des Ministers Brandenburg noch nicht zu Gesichte bekommen. Dies Ministerium kömmt
gar nicht dazu, Verfügungen zu erlassen; es hat immer nur zu kämpfen und abzuwehren. Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden, dies Ministerium kann sich nicht halten; ja ich sage Ihnen, wenn es sich noch
länger als acht bis zehn Tage hält, dann kündigen ihm sämmtliche Behörden den Gehorsam auf. Deshalb, meine Herren, warten Sie die Sache ruhig ab. Was mich persönlich betrifft — ich bin 23 Jahre
Soldat gewesen — so mag da vorkommen, was da will, ich werde ruhig hier in meinem Zimmer bleiben und nicht von der Stelle weichen. *) Was hätten Sie auch damit gewonnen, wenn Sie mich beseitigen wollten, Sie würden sofort einen andern Präsidenten
bekommen, der viel schlimmer sein würde als ich.
Groote: Herr Präsident, Sie haben sich jetzt offen ausgesprochen, wir wollen dasselbe thun. Die Bürgerwehr hält die Maßregeln des jetzigen Ministeriums für ungesetzlich und sich für
verpflichtet, ihnen den passiven Widerstand entgegen zu setzen. Man hüte sich jedoch, Konflikte zwischen Militär und Civil hervorzurufen; es könnten diese die Brandfackel in die Stadt schleudern. Eine
Auflösung der Bürgerwehr würde ein unbegründetes Verfahrrn sein, da die Bürgerwehr jede Anarchie mit Kraft zu unterdrücken gewillt ist.
Cantador: Herr Präsident, auf Ihre Versicherung hin macht sich die Bürgerwehr hiermit stark, für die Ruhe und Ordnung der Stadt einzustehen und jedem anarchischen Auftritt mit aller Kraft
entgegen zu treten.
Präsident: So gehen wir, bester Herr Cantador, Hand in Hand. Der passive Widerstand ist ein ganz schönes Wort, bleiben Sie dabei, besuchen Sie mich, so oft Sie wollen, wenn Sie mir irgend
etwas zu sagen haben
Clasen: Ich habe Ihnen, Herr Präsident, noch ein Ansuchen zu stellen. Wie Sie wissen, ist das hier nicht beliebte Bataillon des 13. Regiments hieher zurückgekehrt. Es steht zu befürchten,
daß, so wie damals, so auch jetzt Konflikte stattfinden werden, die man jetzt benutzen könnte, den gefürchteten Belagerungszustand herbeizuführen. Wir bitten Sie deshalb, mit dem Hrn. General v.
Drigalski Rücksprache nehmen zu wollen und ihn zu veranlassen, die geeigneten Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen.
Der Antrag wird von den andern unterstützt.
Spohr: Ich finde es an und für sich unrecht, gerade in jetziger Zeit das Bataillon wieder hieher zu verlegen, als beabsichtige man den Konflikt.
Cantador: Der Ansicht bin ich auch.
Präsident: Nun, meine Herren, ich will mich noch heute Abend um 9 Uhr deshalb zum Herrn General begeben. Ich werde Alles aufbieten, einen Ausbruch von Feindseligkeiten zu verhüten.
Einer der Deputation: Man hat uns ferner, Herr Präsident, gesagt, daß Sie seit einigen Tagen eine vollständige Wache zur Nachtzeit im Regierungsgebäude aufziehen lassen. Man hat von 26 Mann
gesprochen. Es scheint, Sie befürchten etwas, Sie glauben die Kasse nicht sicher. Wie verhält sich dies?
Cantador: Sollte dies der Fall sein, so bitte ich, von einer Bürgerwehrwache Gebrauch zu machen.
Präsident: Meine Herren, auch diese Sache ist nicht so schlimm, wie Sie dieselbe ansehen. Der General v. Drigalski schrieb mir vorgestern, es wäre etwas unbequem, den Posten an der
Regierungshauptkasse von solcher Entfernung aus beziehen zu lassen und ersuchte mich deshalb, ihm für sechs Mann, ich sage: nur für sechs Mann Ablösung, ein Zimmer im Gebäude selbst anzuweisen.
Einer der Deputation: Nur sonderbar, daß jetzt auf einmal die Entfernung so bedeutend geworden!
Präsident: Ich versichere Sie, so hat mir der General geschrieben.
Spohr kann sich eines Lächelns nicht enthalten, die andern sehen sich etwas räthselhaft an Der Präsident läßt sich jedoch nicht irre machen, wiederholt in andern Redensarten das schon früher
Gesagte und schließt endlich mit den Worten: „So, meine Herren, hoffe ich, werden wir Freunde bleiben, (er reicht jedem Einzeln die Hand) und auch Sie Herr Dietze, wir wollen schon wieder
Freunde werden.“
Herr Dietze: Ja, Herr Präsident, das darf aber nicht wieder vorkommen.
Groote: Sie werden, Herr Präsident, doch erlauben, daß wir Ihre Erklärung in Betreff des Belagerungszustandes und der andern Punkte zur Mittheilung bringen, denn deshalb sind wir doch
hierher gekommen
Präsident (unklar): O ja, gewiß, so weit dies erforderlich.
Die Deputation entfernte sich unter den freundschaftlichsten Versicherungen des Herrn Präsidenten.
Umstände können selbst eine Indiskretion zur Pflicht machen. Wir halten uns durch das auf diese Unterredung gefolgte Verfahren des Herrn Präsidenten verpflichtet, vorstehenden möglichst genauen
Abdruck der gepflogenen Verhandlungen der Offentlichkeit zu übergeben. Man vergleiche die in demselben enthaltenen ipsissima verba des Herrn Präsidenten mit den Eingangsworten des
Belagerungspublikandums, man vergleiche sie mit der Bekanntmachung desselben vom 22. d. M. Nur ein Tag liegt zwischen jener Unterredung und diesen Erlassen. An diesem Tage ereignete sich in ganz
Düsseldorf nichts politisch Bemerkenswerthes, als daß vier Bürgerwehr-Offiziere an das hiesige Postamt einige höfliche Fragen richteten, um die aufgeregte Menge mit gutem Gewissen beruhigen zu können.
Den Regierungs-Präsidenten setzte man nicht ab, auch keine provisorische Regierung ein. Die Bürgerwehr besetzte nicht die Regierungskassen und machte auch keinen Angriff auf die Kaserne: dennoch
verhängte der Herr Präsident den Belagerungszustand.
Als charakterische Merkmale der ganzen Begebenheit sind, a) das in dem Belagerungspublikandum offen gelassene Datum und b) die in demselben fehlende Erwähnung des Vorfalls an der Post, der doch den
Ausschlag gegeben haben soll, zu betrachten. Aus letzterm geht hervor, daß das Aktenstück, wenn nicht schon früher, so doch am 21. Mittags gedruckt gewesen sein mußte. Am 20. Abends um 7 Uhr
versicherte uns der Präsident, er denke nicht daran, den Belagerungszustand auszusprechen.
Wir beschuldigten den Letztern öffentlich der Wortbrüchigkeit, er nannte dies Verläumdung. Das Publikum urtheile.
Düsseldorf, den 24. Nov. 1848.
Lor. Cantador.
P. C. T. Spohr.
Lor. Clasen.
Alf. Groote.
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Der Regierungspräsident Herr v. Spiegel sagt in Nr. 308 d. Bl. unterm 23. Nov:
„Am Abende des 21. November wurde von Seiten einiger Bürger sowohl, als durch Offiziere der
Bürgerwehr ein Attentat auf die königl. Post verübt, das die Verhinderung der Absendung von Geldern des Staates zum Zweck hatte“
„— — Nach diesem Attentat, von welchem ich zuvor die Gewißheit aus sicherster Quelle amtlich feststellen ließ, war ein solcher Schritt u. s. w.“
Meines Wissens versteht man in aller Welt unter „Attentat“ einen gewaltsamen Angriff. Insofern nun dem Herrn von Spiegel dies zugleich mit der Angabe, wir hätten die Absendung von
Staatsgeldern verhindern wollen, amtlich festgesetzt worden ist, erkläre ich für meine Person, der ich vom Chef der Bürgerwehr mit unter jenen Offizieren beordert war, das Posteigenthum mit allen zu
Gebote stehenden Mitteln zu schützen, also auch dadurch zu schützen, daß ich falsche Gerüchte zu wiederlegen suchte; — der ich ferner an die Postbeamten nur die höflichste Anfrage richtete und
in kein anderes Lokal eingetreten bin, als in die, so viel mir bekannt, jedem ehrlichen Manne Behufs Nachfrage offen stehende Packkammer — das die angebliche amtliche Feststellung eine amtliche
Lüge ist, gegen welche ich mit allen gesetzlichen Mitteln zu Felde ziehen werde.
Indem ich mich im Uebrigen auf den bereits von uns in Nr. 307 dieses Blattes veröffentlichten wahren Hergang dieses Vorfalles beziehe, bemerke ich nur noch, daß der Herr Ober-Postdirektor
Maurenbrecher, an den doch zunächst die amtliche Mittheilung ergangen sein wird, in einem Schreiben vom 21. d. Mts. an das Kommando der Bürgerwehr mit keiner Silbe eines Attentats erwähnt, sondern
sich nur über unbefugtes Nachfragen, unzulässige Kenntnißnahme von Adressen und Sachen u. dgl. beklagt.
Die Zeitungs-Redaktionen, welche die Darstellung des Herr von Spiegel aufgenommen, wollen gefälligst auch meine Erklärung aufnehmen.
Düsseldorf, den 25. Nov. 1848.
Lorenz Clasen.
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@facs | 0818 |
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15
] Elberfeld, 25. Nov.
Ein wichtiger Tag, der heutige. Es war Stellvertreterwahl für Berlin. Gewählt wurde Hr. Kommerzienrath v. d. Heydt, wie das von unsern heulenden wupperthaler Wahlmännern zu erwarten stand. Der
Gewählte versprach, noch heute Abend nach Brandenburg abzureisen. Sie fragen, wie dieser Mann es wagen kann, während der wirkliche Deputirte, Bredt, fortwährend in Berlin ist, nach Brandenburg zu
gehen? Nun, ich antworte darauf, indem ich Sie an die politische Laufbahn dieses Herrn in den letzten Jahren erinnern. Als Mitglied des rheinischen Provinzial-Landtags trat er so servil auf, daß es
fast den Servilen selbst zu arg wurde. Sein damaliges Verhalten ist in der alten Rhein. Zeitung auf's Trefflichste geschildert worden. Kam 1847 der vereinigte Landtag. Herr v. d. Heydt tritt
hier als Mitglied der liberalen Opposition auf. Dafür bekommt er später vom Könige von Preußen, bei dessen Anwesenheit in Elberfeld, Fußtritte, Sie kuriren ihn so vollständig, daß er wieder als
schwarzweißer Mitstreiter figuriren und den andern Wupperthalern gleichen Gelichters voranheulen kann. Das ist der Mann, der jetzt als Stellvertreter nach Brandenburg eilt!!
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@facs | 0818 |
[
*
] Münster, 27. November.
„Uns ist so kannibalisch wohl,
Als wie 12,000 Säuen.“
Davon haben wir auch hier eine Probe gehabt. Gestern Abend drangen 60-80 Mann des kürzlich hierher zurückverlegten 15. Infanterieregiments — aus dem Mindenschen — bewaffnet in eine
ruhige Volksversammlung und jagten dieselbe durch Hauen und Stechen auseinander. Widerstand war nicht möglich, weil der Ueberfall theils zu plötzlich, theils gut organisirt war. Ein Unteroffizier war
der Führer. Viele ruhige Bürger sind mehr oder weniger — einige sehr bedeutend — verwundet. Die Aufregung war furchtbar und ist nur durch das Versprechen des Generals v. d. Groeben, daß
strengste Untersuchung und sofortige Entfernung des Regiments stattfinden solle, besänftigt worden.
Schon mehrere Tage hieß es, daß den Soldaten viel Schnapps gegeben sei und gestern Morgen waren durch unbekannte Menschen die aufregendsten Plakate unter die Soldaten vertheilt, zu deren Druck sich
besonders der hiesige Buchhändler Coppenrath, eine Milchschwester des Hrn. Dümont, hergiebt.
Wo er das Geld herbekömmt, denn umsonst thut er nichts, ist Jedermann ein Räthsel. Der letzte Funken, der noch für das frühere Preußen hier glimmte, ist erloschen. Bisher ist nicht die geringste
Reibung zwischen Militär und Bürgern vorgefallen und die Volksversammlungen verliefen stets in der musterhaftesten Ordnung.
Gerade den Rednern in denselben ist es wesentlich zuzuschreiben, daß das Volk seinem Grolle gegen die hier befindlichen weggelaufenen Deputirten nicht Luft gemacht hat, denn dieser war so heftig,
daß eine Bürgerwehrversammlung, aus der großen Mehrheit der Bürgerwehr bestehend, einstimmig beschloß, der fortgelaufene Deputirte Tüshaus sei nicht mehr würdig, Mitglied der Bürgerwehr zu sein.
Daß der Belagerungszustand gelingen wird, steht nicht in Aussicht. Zu den Aufregungen des Militärs soll auch der Militärprediger Menk beigetragen haben; er ist Vorstand des katholischen Vereins,
der theils wegen seiner Leiter, theils wegen seiner Deputirtenwahl-Manöver in Mißkredit gekommen.
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@facs | 0818 |
[
*
] Münster, 27. Novbr.
Die Ruhe kehrt nicht wieder; das Volk ist trotz aller Ermahnungen in furchtbarer Aufregung. Soldaten des 15. Regiments, welche heute ganz frech mit Seitengewehren über die Straßen gingen, sind
verwundet. Das Volk verlangte schon gestern Entfernung der 15er, allein wie wir hören, hat der bei den Bürgern verhaßte Magistratsvorstand, der bekannte v. Olfers, aus den Gefühlen eigener Sicherheit
sich dagegen erklärt. Wären die 15er heute Morgen ausgezogen, so hatten wir Ruhe. Das leidet aber wohl „die Ehre“ nicht!! Preußen, Preußen, was bist du übel berathen.
Die Aufregung ist um so größer, je verhaßter der hiesige Regierungspräsident von Bodelschwingh ist.
Man erzählt sich mit Bestimmtheit, daß die 15er gestern absichtlich ein Kind erschlagen haben.
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@facs | 0818 |
[
*
] Münster, 28. Nov.
Ein heute eintreffender Reisende versichert, Münster sei in Belagerungszustand erklärt. Wir müssen die Bestätigung abwarten.
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@facs | 0818 |
[
X
] Berlin, 25. November.
Der Abgeordnete Grabow ist unermüdlich in Versuchen, noch eine friedliche Ausgleichung zwischen Krone und Volk zu bewirken.
Er machte gestern allen Fraktionen der Berliner Nationalversammlung einen Vorschlag dahin: Daß des Königs Majestät das Ministerium Brandenburg entlassen und dies der Versammlung mit dem Hinzufügen
bekannt machen solle, daß er bereit sei, ein neues volksthümliches Ministerium zu ernennen, zu dem Behufe aber genöthigt sei, die Versammlung noch auf 8 Tage zu vertagen,
Grabow stellte die Frage: Ob die Fraktionen, wenn eine solche königliche Botschaft ergeht, geneigt seien, dem König ihren Dank dafür auszusprechen und diese Vertagung anzunehmen? Er erklärte
dies für den letzten Versuch, den er im Interesse des Friedens noch machen wolle und daß, wenn dieser mißglücke, er kein weiteres Mittel kenne. Gleichzeitig versicherte er allen Fraktionen mit der
größten Bestimmtheit, daß er am Montag nicht nach Brandenburg gehen werde, sondern Dienstag nach Hause zurückkehren wolle, um sein Mandat niederzulegen, wenn ein friedlicher Vergleich bis dahin nicht
gelingen sollte.
Alle Fraktionen nahmen diesen Vorschlag an, mit der einzigen Maßgabe, daß einige derselben statt der Vertagung nur eine Aussetzung der Sitzungen gestatten wollten und daß man die Fassung der
Dankerklärung sich noch vorbehielt.
Während dies verhandelt ward, erschienen die Abgeordneten Hesse (Solingen) und Meusebach, als Deputirte der ausgetretenen Fraktion (Rechte) im Hotel de Russie und erklärten dort, daß
ihre Partei diesen Vorschlag Grabow's nicht annehme.
Ihre Fraktion (gegen 60 Mitglieder) wären fest entschlossen, Montag nach Brandenburg zu gehen und zwar aus zwei Gründen; einmal, weil sie dem Ministerio Brandenburg dadurch Gelegenheit geben
wollte, sich in Bezug auf das erhaltene Mißtrauens-Votum zu rechtfertigen und dann, weil ihre Fraktion der Ansicht sei, daß die Versammlung hier unter den Bajonetten nicht frei berathen könne. Der
letzte Grund klingt höchst sonderbar, wenn man erwägt, daß gerade diese Fraktion die Unfreiheit der Versammlung stets aus dem Mangel von Bajonetten abgeleitet hat.
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@facs | 0818 |
Berlin.
Brigade-Befehl. Ich empfehle den Eintritt in die Kaserne strenger zu kontrolliren, namentlich, wenn ein Nicht-Militär, der in der Kaserne selbst nicht wohnt, hereingelassen werden will und
Jemanden, vom Feldwebel abwärts besuchen will,
[0819]
so wird derselbe zum Feldwebel oder Unteroffizier du jour desjenigen, den er besuchen will, geführt und von diesem wird die Erlaubniß dazu gegeben; diese haben auch den Besuch zu kontrolliren. Gilt
der Besuch einem der Herren Offiziere, so muß ein Wachtmann den Fremden bis zum Offizier begleiten.
Berlin den 26. Nov. 1848. gez. v. Geyl, General-Major.
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@facs | 0819 |
[
X
]Berlin, den 25. Nov.
Aus Culm gehen uns folgende amtliche Nachrichten zu: Die Regierung des Königs hat gesucht, den Berathungen der Versammlung zur Vereinbarung der Verfassung, durch Verlegung nach Brandenburg, den
Schutz zu gewähren, dessen sie in Berlin entbehrten.
Diejenigen Mitglieder der National-Versammlung, welche sich dieser Anordnung ohne irgend einen Grund des Rechtes oder der Zweckmäßigkeit widersetzten, haben in ungerechter Anmaßung der höchsten
Gewalt die Fahne der Empörung gegen den König ergriffen.
Bewohner der Preußischen Lande! wir erfahren daß Menschen welche ihr Heil in gesetzlosen Zuständen suchen, diese Veranlassung benutzen, um Euch über die Absichten der Regierung zu belügen; Euch die
Heiligkeit der von dem Könige gemachten Versprechungen zu verdächtigen und ein treues Volk zum Abfall von seinem rechtmäßigen Herrscher zu verleiten.
Auf der einen Seite steht der König, der fest entschlossen ist, Euch unverkürzt die Vortheile und Freiheiten zu gewähren, welche sein Königliches Versprechen, verheißen hat und der den Tag herbei
wünscht, an welchem diese Freiheiten förmlich festgestellt sein werden; auf der andern Seite stehen rebellische Abgeordnete, welche der Beendigung des Verfassungswerks fortwährend Schwierigkeiten
entgegen stellten und jetzt zur Befriedigung ihres eigenen Ehrgeizes offen und heimlich bemüht sind, den König vom Throne zu stoßen und damit das Vaterland in Krieg und Verderben zu stürzen.
Ihr Bewohner der Preußischen Provinzen müßt Euch jetzt entscheiden, ob Ihr mit dem Könige nach göttlichen und menschlichen Gesetzen leben, oder ob Ihr ohne den König in den Zustand blutiger und
rechtloser Verwirrung fallen wollet, dem die Feinde des Gesetzes und der wahren Freiheit, unter Täuschungen aller Art, Euch zu Eurem eigenem Verderben entgegen führen wollen.
Wir glauben fest, daß die große Mehrzahl des Preußischen Volkes in treuer Anhänglichkeit an den König keinen Augenblick wanken wird, aber wir wissen, daß die Lügner und Verführer thätig unter Euch
sind, und deshalb warnen wir die Schwankenden unter Euch, damit nicht der Arm der strafenden Gerechtigkeit die Verblendeten zugleich mit den Schuldigen erreiche.
Berlin, den 17. November 1848.
Vorstehendes wird im Auftrage des Herrn Ministers des Innern hierdurch zur allgemeinen Kenntniß gebracht.
Culm, den 21. November 1848.
Königl. Landraths-Amt. v. Schrötter.
Mitbürger!
Das hiesige Königliche Landraths-Amt hat angeblich im Auftrage des Herrn Minister des Innern gestern einen Aufruf von Berlin vom 17. d. Mts. zur allgemeinen Kenntniß gebracht, welcher die in Berlin
tagenden Abgeordneten des Preußischen Volks als Rebellen darstellt, die bemüht sind, den König vom Throne zu stoßen und damit das Vaterland in Krieg und Verderben zu stürzen.
Zunächst haben wir die triftigsten Gründe es zu bezweifeln, daß das Königliche Landraths-Amt einen Auftrag des Herrn Minister des Innern zur Veröffentlichung dieses Aufrufs erhalten hat, zumal
derselbe keine Unterschrift trägt. Wer die Wahrheit für eine gute Sache sagt, darf sich nicht scheuen, seinen Namen dazu herzugeben.
Demnächst dürfen wir Euch kaum sagen, daß die in dem Aufrufe enthaltenen Anschuldigungen offene Unwahrheiten sind; es fällt unseren Abgeordneten nicht bei, irgend wie gegen den König sich
aufzulehnen. Sie streiten nur mit den Waffen des Gesetzes für die Rechte des Volkes, dessen Wohl und Wehe auch das Wohl und Wehe des Königs ist. Es handelt sich gegenwärtig in Preußen in keiner Weise
um einen Abfall vom Könige, dem wir alle treu ergeben sind, sondern nur darum, daß es einer alles Recht, alles Gesetz mit Füßen tretenden Partei, welche sich zwischen den König und das Volk gedrängt
hat, ferner unmöglich gemacht wird, ihre für Beide gleich verderblichen eigennützigen Pläne auszuführen.
Mitbürger seid wachsam und prüfet, was Lüge und was Wahrheit ist.
Culm, den 22. November 1848.
Döring. Fink. Knorr. E. Eitner. H. Alberty. Ba.chmann. Wollenschläger. Utesch. F. Rauch. Groch. Werner. F. Reichhold.
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Erfurt, 25. Nov.
Der preußische „Moniteur“ berichtet über die Erfurter Ereignisse:
Am 24. d. Mts. sollte die 1ste und 4te Kompagnie des erfurter Landwehr-Bataillons eingekleidet werden. Schon am Abend vorher hatte die demokratische Partei daselbst alle Mittel in Bewegung gesetzt,
um dies zu hintertreiben. Als am 24. d. Mts. Vormittags 123 Mann der erfurter Kompagnie sich gestellt hatten und die Einkleidung beginnen sollte, drängte sich der Pöbel in großen Massen hinzu. Es
wurde die Bürgerwehr aufgefordert, den Platz vor dem Zeughause frei zu machen. Nachdem hierüber 1 1/2 Stunden vergangen waren, während welcher Zeit die zusammenberufene Garnison aufs vielfachste
insultirt worden war, erklärten die Bürgerwehr-Kommandeure, sie könnten nicht allein den Platz nicht säubern, sondern sie müßten auf das bestimmteste erklären, daß selbst die Bürgerwehr gesonnen sei,
sich der Einkleidung und dem Militär, wenn letzteres dieselbe mit Gewalt durchsetzen wollte, mit den Waffen in Hand zu widersetzen. Nachdem den Bürgerwehr-Kommandeuren nochmals eine Frist gegeben
worden war, um die Bürger anderen Sinnes zu machen, erklärten dieselben abermals für nichts einstehen zu können. Inzwischen war bereits ein Zug Kürassiere, der nach dem Wilhelmsplatz rücken sollte,
von dem Volke mit Steinen und Schüssen angegriffen worden, und da gleichzeitig sich die Wuth des Pöbels, der mit Sensen, Aexten etc. bewaffnet war, immer mehr steigerte, so wurde von dem Kommand. und
Regierungs-Präsidenten die Stadt in den Belagerungszustand erklärt. Es rückte hierauf eine halbe Schwadron Kürassiere gegen die Zusammenrottung vor, welche das Zeughaus bedrohte und auf die
gesetzliche Aufforderung nicht wich, vielmehr die Kürassiere mit Schüssen, Steinwürfen und Stichen von allen Arten Waffen empfing. Der sie führende Lieutenant von Krug erhielt hierbei 4 Schüsse, ohne
jedoch dadurch verletzt zu werden. Die hierauf nachrückende Infanterie erhielt Feuer aus dem Haufen und aus den Häusern, sie erwiederte dies Feuer und es fand nun ein Straßengefecht statt, in welchem
die Truppen bald Sieger waren. Eine Barrikade in der Auguststraße wurde von der Artillerie beschossen, dann von der Infanterie genommen. Viele Häuser, aus denen auf die Truppen geschossen worden war,
wurden gestürmt. Die Truppen sind hierbei ohne Unterschied mit dem größten Bravour aufgetreten. Der Verlust der Truppen beträgt: 6 Soldaten todt, 1 Offizier, 1 Unteroffizier, 7 Soldaten verwundet,
darunter 1 Unteroffizier und 3 Soldaten gefährlich. 2 Pferde todt und mehrere verwundet. Die Zahl der todten und verwundeten Rebellen ist noch nicht ermittelt; 102 derselben, darunter die
gefährlichsten Führer, befinden sich gefangen auf dem Petersberg. Die Truppen bivouakiren auf den Plätzen und werden von den Bürgern auf das zuvorkommendste und freundlichste verpflegt.
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*
] Breslau, 25. Nov.
In einem hiesigen Blatt lesen wir heute folgende Erklärung, betitelt: „Steuerverweigerungssache.“
„In dem am gestrigen Tage Seitens des Hrn. Fürstbischofs v. Diepenbrock an die schlesischen Katholiken gerichteten salbungsreichen Aufrufe ergeht an uns die dringende Mahnung, den von Berlin
ausgehenden sündhaften Verlockungen zur Steuerverweigerung schon um deshalb kein Gehör zu schenken, weil Christus ausdrücklich geboten: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist,“ und
jegliche Steuerverweigerung als diesem Ausspruche zuwider, uns der ewigen Verdammniß zuführen würde.
Diese Ansprache unseres geistlichen Oberhirten hat in uns, wie natürlich, die ernstesten Betrachtungen erweckt, welche logisch die lebhaftesten Besorgnisse nicht für das eigene, sondern das
jenseitige Schicksal sowohl des Hrn. Fürstbischofs als überhaupt das des gesammten keine Steuern zahlenden Klerus im preußischen Staate hervorriefen, indem die frommen Herren aus purem Eifer
für unser Seelenheil das ihrige wahrzunehmen vergessen zu haben scheinen.
Wir beschwören deshalb die gesammte hohe und niedere Geistlichkeit Schlesiens und der übrigen Provinzen, nicht um des guten Beispiels wegen, sondern hauptsächlich um deshalb, damit sie der ewigen
Verdammniß entgehe, von heute ab „dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist,“ d. h. gleich uns übrigen Himmelskandidaten dem Staate Steuern zu entrichten, damit wir im Jenseits
gemeinschaftlich mit unseren geliebten Seelenhirten dereinst die ewigen Freuden genießen mögen.
Oberschlesien, 22. Nov. 1848.
Mehrere Katholiken Oberschlesiens, die von Jugend auf Steuern zahlen.“
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24
] Breslau, 25. Nov.
Gab es je eine erbärmliche Stadtverordnetenversammlung, so ist es die hiesige. Der Royalismus tropft ihr wieder aus allen Poren, die blos einige Tage lang von Furcht und Schrecken vor dem Auftreten
des Volkes verstopft waren. Dieselben Stadtverordneten, die sich vor einigen Tagen in einer Adresse ganz für die Nationalversammlung erklärt, waren in ihrer gestrigen Sitzung nahe daran, in einer
Adresse an den König ein reuiges pater peccavi zu stammeln. Schaam oder Furcht ließen zur genauen Noth den Antrag verwerfen.
Die Stadtverordneten hatten auch beschlossen, daß die Steuern zwar forterhoben, aber Seitens der Kommune in Verwahr gehalten würden, bis die Nationalversammlung anders beschließe. Diesen ihren
früheren Beschluß nahmen sie gestern mit 42 gegen 36 Stimmen zurück. Wir haben zwar von der hiesigen Bourgeoisie niemals viel gehalten; daß sie aber so inkonsequent, feig und hündisch auftreten würde,
hatten wir gleichwohl nicht erwartet. Durch ihren gestrigen Beschluß ist sie gerichtet; sie hat sich selbst den Hals abgeschnitten. Heute wird die Versammlung über den Antrag ihrer freiwilligen
Auflösung berathen. Der Ausgang wird zeigen, ob sie ihren Zustand erkennt. Es ist nicht blos der der Auflösung, sondern der Verwesung.
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Cöslin.
Mitbürger!
Obschon ein äußerer Feind, soweit uns bekannt ist, die Grenzen des theuren Vaterlandes nicht bedroht, obschon wir gesetzlich nur verpflichtet sind, gegen einen solchen Feind zu der Waffe zu
greifen, sind wir doch der Ordre, welche uns uns jetzt zu den Fahnen gerufen hat, gefolgt, und haben den Rock des Bürgers mit dem des Soldaten vertauscht. Aber beruhigt Euch, Mitbürger, wir werden mit
dem Rocke nicht unsere Gesinnung ändern; wir wissen, daß unsere Vertreter in Berlin die heiligen Rechte des Volkes vertheidigen, daß Sie nur das Beste des Landes und das wahre Wohl des Königs
wollen.
Wir werden den Lügen derer nicht glauben, welche aus eigennützigen Absichten uns bereden wollen, daß unsere Mitbürger in Berlin und in andern Provinzen Verräther und Empörer sind. —
Glaubt uns, Mitbürger, wir werden unsere Waffen nicht gegen unsere Brüder wenden, nicht ihr Blut vergießen. Wir wissen, daß wir dadurch einen Mord begehen würden, für den wir vor dem
Richterstuhle des Allerhöchsten dereinst Rechenschaft ablegen müssen, vor welcher uns kein menschlicher Befehl schützen kann.
In dieser Gesinnung scheiden wir von Euch, in dieser Gesinnung, — rufen wir, indem wir unseren Führern folgen, Euch unser Lebewohl zu! —
Cöslin, 20. November 1848.
Die Landwehrmänner des 2ten Bataillons 9ten Landwehr-Regiments.
Vorstehende Erklärung ist von 2 Offizieren, vielen Unteroffizieren und einigen Hundert Gemeinen, welche an der Abendsitzung der Bürgerversammlung Theil nahmen, mit dem größten Enthusiasmus
abgegeben, und unterzeichnet worden. Es spricht sich darin die Gesinnung fast sämmtlicher Wehrmänner aus. Vergeblich versuchten einige reaktionäre Führer dieselben für das Königthum zu
fanatisiren.
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Tilsit, 20. Nov.
[(Echo a. M.)]
Von mehreren glaubwürdigen Personen von der „russischen Grenze,“ die wir namhaft machen könnten, wenn wir nicht befürchten müßten, diese Personen in große Gefahr zu bringen, ist uns
Folgendes übereinstimmend mitgetheilt worden:
In sämmtlichen Russischen Zeitungen befindet sich eine Erklärung des Kaisers, in der er mit Bezug auf den gegenwärtig in Preußen zwischen der Krone und dem Volke ausgebrochenen Kampf versichert:
Er, der Kaiser werde unter keinen Umständen dulden,„daß seinem geliebten Schwager von dem aufständischen Volke irgend welche Rechte genommen, und irgendwie seine Macht geraubt werde; um
denselben zu schützen, werde er auf den ersten Wink mit seinen 500,000 Mann braven Truppen einrücken, um in Preußen die Ordnung wieder herzustellen“ — Dieselben Personen
versicherten, „daß das Militär überall marschfertig und zum Einrücken bereit sei.“ Auch wollten sie bereits wissen, „daß für die Straße von Tauroggen und Schmaleningken
Kosaken-Regimenter bestimmt wären, die den Befehl erhalten würden, direkt auf Tilsit zu marschieren.“
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24
] Wien, 24. Nov.
Der größte Theil der weggenommenen circa 70,000 Gewehre wird von hier weggeschafft nach Ollmütz, Linz etc. Daß Oedenburg von den kaiserlichen Truppen besetzt worden, wird durch eine amtliche
Mittheilung bestätigt. Nachrichten aus Siebenbürgen vom 14. sagen, daß der Kommandirende, F. M. L. Buchner, Maro-Basarhely besetzt habe.
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*
] Wien, 24. November.
Das allergnädigste Handschreiben des Kaisers Nikolaus an Jellachich lautet:
„Ihre edlen Bestrebungen, General, um die Grundsätze der gesellschaftlichen Ordnung und der Gleichberechtigung, welche durch eine zügellose, an den empörendsten Exzessen schuldig gewordene
Partei mit Füßen getreten wurden, vor einem Schiffbruche zu retten, haben Ihnen gerechte Ansprüche auf Meine Achtung erworben. Ich folgte mit lebhafter Sympathie Ihren geschickten Operationen seit dem
Tage, wo Ihr Patriotismus Sie die Waffe ergreifen ließ, um in Ungarn den umwälzenden Tendenzen zu widerstehen. Ihre talentvollen Bewegungen führten Sie unter die Mauern Wiens, gerade im Augenblicke
eines entscheidenden Kampfes. Der Sieg, an welchem Sie einen so glänzenden Antheil nahmen, wendete sich auf Seiten des guten Rechts. Indem Ich die Wichtigkeit der Dienste, welche Sie und die Ihnen
anvertrauten braven Truppen so eben erwiesen haben, vollkommen würdige, und indem es Mir am Herzen liegt, Ihnen einen Beweis Meiner völligen Anerkennung darüber zu liefern, habe Ich Sie zum Ritter des
heiligen Wladimirordens erster Klasse ernannt, dessen Insignien nebst Patent Ich Ihnen anbei übersende. Ich ergreife diese Gelegenheit, um Ihnen die Versicherung der Theilnahme und der besonderen
Achtung auszudrücken, die Ich Ihnen unabänderlich gewidmet habe.
Zarskoe-Selo, den 29. Oktober (10. Nov.) 1848.
Nikolaus.“
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*
] Wien, 17. November.
Die Triestiner haben nun definitiv in ihrem Gemeinderathe beschlossen, die Neuwahl für Frankfurt einstweilen zu sistiren, bis sie sehen werden, wie es Frankfurt verstehe, seiner Deputirten
Unverletzlichkeit zu schützen.
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Zittau, 22. November.
Sicherm Vernehmen nach werden in den nächsten Tagen die der Lausitz benachbarten Gränzorte Böhmens von österreichischen Truppen aller Waffengattungen besetzt werden, um die Recrutirung, welche in
jenen Ortschaften vielfachen Widerstand gefunden hat, ja in manchen völlig vereitelt worden ist, gewaltsam durchzusetzen. Bereits vorgestern sind 1000 Mann Infanterie und zwei Batterien Kanonen in
Reichenberg eingerückt, und größere Truppenmassen, wie es heißt, Kroaten, sollen diesen unverweilt folgen und bis zum Städtchen Grottau, eine halbe Stunde von Zittau entfernt, vorgeschoben werden. Der
Kommandant dieses Truppenkorps hat den gemessenen Befehl, die Stadt Reichenberg, sobald sie den geringsten Widerstand versuche, sofort in Belagerungszustand zu erklären und sodann mit
unnachsichtlicher Strenge zu verfahren.
[(Leipz. Z.)]
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14
] Darmstadt, 24. Novbr.
Wenn Sie das Glück hatten, den Verhandlungen des Vorparlaments beizuwohnen, so erinnern Sie sich vielleicht eines schwatzhaften alten Mannes, der sich stets mit großer Selbstgefälligkeit mit den
Worten: „Jaup aus Darmstadt“ ankündigte. Derselbe schwatzhafte Alte ist jetzt unser Ministerpräsident. Unter dem alten System galt er für einen freisinniger Mann, d. h. er sprach
viel von Geschwornengerichten, besuchte die Germanistenversammlungen und feierte bei 4000 Fl. Pension ein für das Land gerade nicht wohlfeiles Märtyrerthum. Sobald Hr. Jung im Laufe dieses Sommers
Minister geworden war, bekam er, wie alle Minister der Bourgeoisie, die fixe Idee, sich dem Hofe für das in ihn gesetzte rührende Vertrauen als „Mann der That“ zu zeigen, wie
Zeitungsartikel melden, als deren Verfasser die böse Welt ihn selbst nennt. Er unterdrückte die freien Gemeinden, er versetzte fast alle demokratischen Zeitungen in Anklagezustand, und ließ die
Demokraten zu Dutzenden in seine Staatsnothställe einsperren. Als Hr. Jaup an's Ruder kam, waren die Provinzen Oberhessen und Rheinhessen fast gänzlich demokratisirt; Hr. Jaup als „Mann
der That“ und Nachfolger des „kühnen Griffs“ wußte Rath zu schaffen: er benutzte den 18. September, diesen Allerseelentag der Reaktion, und ließ die Häupter der Gießner
Demokratie, darunter A. Becker, Redakteur des „jüngsten Tags“, einstecken; gegen andere demokratische Blätter, wie die „Neue Deutsche Zeitung“, wurden Preßprozesse anhängig
gemacht. Trotz der sogenannten „Märzerrungenschaften“, auf die man sich hier zu Lande lange Zeit etwas zu Gute that, schleppte noch die unter dem alten System des Census und der
büreaukratischen Intriguen gewählte Kammer ihr langweiliges Dasein fort — dieselbe Kammer, aus deren Mitte einst der Mann mit dem „kühnen Griff und den buschigen Augenbrauen“, der
bekanntlich so großen Ueberfluß an Zuversicht und so großen Mangel an Einsicht hat, als Minister von Hessen-Darmstadt hervorgegangen war. Im Laufe des Sommers verließen die Rheinhessischen Deputirten
Zitz, Mohr, Bohlen und Grode die Kammer, weil ihr längeres Fortbestehen die Volkssouveränetät beeinträchtige. Ihr Austritt ward von ihren Kollegen nicht genehmigt. Aber am Ende fanden es die Herrn
doch selbst nicht mehr gerathen, dem Volkswillen, der ein neues Wahlgesetz und eine konstituirende Versammlung verlangte, länger zu widerstreben. Sie forderten selbst ihre Auflösung. Hr. Jaup aber
trat eines schönen Morgens in die Kammer, und verlas nach einer langathmigen Einleitung ein großherzogliches Rescript, worin den „lieben, getreuen Ständen“ der Wunsch untergeschoben
ward, „zu ihren gewohnten heimathlichen Beschäftigungen zurückzukehren.“ Die Opposition reckte schon die Köpfe, um das Wort zu nehmen; aber Hr. Jaup empfahl sich den Herren zu Gnaden und
schlich fort wie die Katze vom Taubenschlag. Die Kammer war vertagt, die „N. Deutsche Zeitung“ meinte, sie wäre geprellt; aber Hr. Jaup verstand diesen Ausdruck, der eigentlich foppen
bedeuten sollte, unrecht, und machte wegen seiner abhanden gekommenen Amts- und Dienstehre einen Preßprozeß anhängig.
Auf den 21. November nun wurden die Kammern wieder einberufen, um ihnen das „Wahlgesetz im liberalsten Sinne,“ das er versprochen hatte, vorzulegen. In diesem Wahlgesetz ist zwar für
die 2. Kammer der Vermögenscensus aufgehoben, aber für die aktive Wahlfähigkeit ein Alterscensus von 25 Jahren, für die passive von 30 Jahren festgesetzt, während man doch bei uns mit 21 Jahren schon
volljährig ist. Die zweite Kammer vertritt dagegen nach altem Schnitt den großen Grundbesitz; um in sie gewählt zu werden, muß man 40 Jahren zählen und jährlich 100 Fl. direkte Steuern zahlen; zahlt
mun nur 30 Fl., so muß man 5 Jahre lang Beamter gewesen sein. Also eine Vertretung des Geldadels und der hohen Büreaukratie, die, wenn sie wirklich zu Stande käme, alle freisinnigen Beschlüsse der
zweiten Kammer überflüssig machen würde. Dies das „Wahlgesetz im liberalsten Sinne“, welches der „Mann der That“ erlassen. Die erste Sitzung am 21. November war sehr
stürmisch; Zitz, Mohr und Bohlen wurden wegen ihres Wiedererscheinens angefeindet, aber die Gallerieen jubelten Zitz ihre Bravo's zu; es ertönten sogar Hochs auf Hecker, was den Präsidenten,
welcher mit der ersten Liebe des Jünglings für die Geliebte für Tages- und Geschäftsordnungen schwärmt, so sehr verdroß, daß er mit „bewaffneter Macht“ drohte, und in der nächsten
Sitzung diese Drohung in Gestalt von 10 Konstablern mit weißen polizeilich gestempelten Binden und armdicken Knüppeln verwirklichte. Die hessischen Soldaten werden von Tag zu Tag demokratischer; hier
in Darmstadt betheiligen sie sich sehr fleißig an dem demokratischen Volksleseverein, und prügeln ihre Offiziere durch, wenn sie ihnen zu reaktionär sind. So hatten wir gestern Abend hier einen
bedeutenden Militärkrawall, wobei die Gemeinen zu Gunsten eines liberalen Offiziers, den die Oberoffiziere ausstoßen wollten, Demonstrationen machten. Nachdem sie dem liberalen Lieutenant eine
Nachtmusik gemacht hatten, stürmten sie die Kaserne und befreiten einen Kameraden, der, weil er mit Hecker in Verbindung gestanden, 21 Jahre Zuchthaus bekommen hatte. In allen Kasernen hört man hier
Heckerlieder singen.
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@facs | 0819 |
Dürkheim a. d. H., 22. Nov.
Der hiesige Volksverein hat vorgestern eine Adresse an die deutsche Nationalversammlung beschlossen, worin unter Anderm ausgesprochen wird, daß das Verhalten der provisorischen Centralgewalt, sich
stützend auf die Majorität der Nationalversammlung, bei allen wichtigen Momenten der Entwickelung der allgemein deutschen sowie der besondern Verhältnisse einzelner deutschen Staaten, durchaus nicht
geeignet sei, das Vertrauen der Mehrzahl des deutschen Volkes zu erhalten und zu befestigen. Gegen aus dem Volke hier und da auftauchende Erscheinungen der Gesetzlosigkeit, sei sie entschieden, der
Gesetzlosigkeit von Oben aber nicht entgegengetreten. Die Adresse verweist auf den schleswig-holsteinischen Krieg, auf Wien, die Hinrichtung Blum's und auf die preußische Frage. Wenn sich
nunmehr die Centralgewalt und die Nationalversammlung nicht offen, ehrlich und entschieden auf die Seite des mißhandelten Volkes stellen und nicht energische Maßregeln gegen die con trerevolutionären
Bestrebungen der preußischen Regierung ergreifen würden, dann sei das schwache Vertrauen auf beide im Volke gänzlich verschwunden, und es müsse dieses auf anderm Wege sich erringen, was es von der
Nationalversammlung und der Centralgewalt für immer gesichert glaubte.
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