Französische Republik.
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Paris, 21. Nov.
Sind wir gut unterrichtet, so wären der Regierung mehrere Depeschen zugegangen, welche ihr anzeigen, daß die Promulgation der neuen Verfassung in mehreren Städten durch den Ruf: Es lebe der neue
Kaiser! Nieder mit der Bourgeois-Republik! u. s. w. unterbrochen worden.
Ueber Marseille ist der Regierung gestern Abend die Nachricht zugekommen, daß der Vicekönig von Egypten, Mehmed Ali, gestorben ist. Einige Morgenblätter behaupten, es sei vielmehr sein Sohn,
Ibrahim Pascha, gestorben. Man erwartet heute oder morgen nähere Berichte über dieses übrigens längst vorhergesehene Ereigniß. Ibrahim mag vielleicht ebenfalls krank sein, daher das
Mißverständniß.
— In der Finanzwelt geht das Gerücht, die Nordbahn werde die 12 Millionen Franken, welche sie dem Staate von den ihm schuldigen 57 Millionen Franken 1849 zahlen soll, wahrscheinlich nicht
bezahlen können. Dies hieße aber den Nationalbankerott erklären, darum werden Herr Rothschild und die hohe Bank wohl Rath schaffen.
— Von Louis Bonaparte ist eine von ihm schon früher ausgearbeitete Broschüre: „Geschichte der Kanone in den modernen Armeen,“ im Buchhandel angekündet. Die
„Reform“ frägt: will uns dieser Mensch etwa einen 18. Brumaire systematisch einbläuen?
(Rede Ledru Rollins auf dem Bankett am 19. Nov. im Chateau rouge, dem der ganze Klub beiwohnte:
„Bürger! Lassen Sie uns auf die Universaldemokratie anstoßen (Beifall). Möchte Ihr Beifall in der ganzen Welt wiederhallen, damit die große Wahrheit in Aller Herzen dringe: die
Morgenröthe der Volksregierungen d. h. wahrhaft demokratisch-sozialer Freistaaten bricht heran! Ja, sie bricht heran und mit ihr die Abschaffung des Elendes, die Rehabilitation des Proletariats. Die
demokratisch-soziale Republik wird die Verbrüderung aller Menschen, die einzige Religion die es auf Erden geben soll, verwirklichen; sie wird alle Sekten lösen und alle Völker in eine einzige große
Familie verbinden. Damit diese Morgenröthe zur baldigen Tageshelle werde, ist vor allen Dingen Einigkeit unter den Demokraten nöthig: von der Einigkeit der franz. Demokraten hängt zunächst das
Schicksal der Welt ab. Sehen wir nicht, sowie die franz. Demokratie nur um eine Schritt stillsteht oder zurückweicht, erhebt sich die Reaktion und gefährdet die Entwicklung der Völker auf lange. Man
prüfe die Geschichte der letzten acht Monate: Das Volk jagt den Elenden weg, der es gewagt hatte, seine Rechte mit Füßen zu treten. Auf den Barrikaden wählt es sich eine neue Regierung. Diese
Regierung stellt ihre Grundsätze in einem Manifest vor der ganzen Welt dar. Sie Alle kennen diese Grundsätze. Wollten sie erobern? Nein. Die franz. Republik führt keine Kriege um einige Meilen Landes.
Aber sie verhieß allen Völkern Unterstützung, welche gleich ihr die Ketten der Sklaverei brechen und sich eine vernünftige und naturgemäße Regierungsform geben wollten. Befreiung Italiens und
Bruderbund mit Deutschland, so lauteten die Anträge und Beschlüsse der provisorischen Regierung im Schoße der Nationalversammlung. Wie hat sich das Alles geändert, seitdem die Reaktion sich des
Regierungsruders bemächtigte und die Demokratie stillstand? An der spanischen Gränze liefert die franz. Regierung die edelsten Söhne, welche bei uns Asyl suchen, an den Soldatenchef Narvaez, der sie
wie Hunde erschießen läßt (Tobender Beifall). Italien erhob schlug sich wie die Helden des Alterthums in Mailand und verjagte die Oestreicher. Entschlossene Handlung von Seiten der franz. Republik und
die ganze Halbinsel wäre frei gewesen. Statt dessen bebt man zurück und nimmt zu Protokollen seine Zuflucht, jetzt seufzt Italien wieder unter dem Joch seiner Unterdrücker. Radetzki brandschatzt und
keine Stimme erhebt sich in Frankreich (Tiefer Eindruck in der Versammlung). Die Donaufürstenthümer pflegten stets geheime Verbindungen mit Frankretch, wir brauchen jene Freunde gegen die
Eroberungssucht Rußlands. Was thut Rußland? Es wirft 80,000 Mann in jene Gegenden, saugt sie aus und wir wagen nicht einmal ihm zuzurufen: Hinaus aus diesen Provinzen! Berlin erhebt sich kaum vier
Wochen nach uns, und statt es in seinen Kampf gegen das Königthum zu unterstützen, paktisirt man mit ihm und läßt es stark genug, um jetzt die Nationalversammlung zu sprengen.
Doch, hört es, Berliner, ist auch das französische Kabinet nicht mit Euch, so habt Ihr doch das französische Volk für Euch! (Beifall.) Wien erhebt sich und auch dort kämpft das Volk heldenmüthig
gegen den starrsten Absolutismus … Es unterliegt aber, und unsere Armee von 60,000 Mann sieht von den Alpen herab ruhig zu, wie sich die Wiener verbluten! Furchtbare Erinnerung: ein Mann der
Freiheit, dessen Hand ich zu drücken die Ehre hatte, fällt als Opfer der Rache eines Windischgrätz; es lebe Blum, es lebe seine Gattin und Kinder. (Der ganze Saal schreit: Rache für Blum! Es lebe
Deutschland! Es leben die Wiener und Berliner!) O, Blum! möge sich dein Geist bei diesem Beifallssturm erhoben fühlen: der Gedanke an deinen Tod wird allen Deutschen das Schwert in die Hände geben,
womit sie alle ihre Unterdrücker vertilgen werden. (Anhaltender Beifall).“
Der Redner setzt unter immer steigendem Interesse seine Rundschau aller Ereignisse in- und außerhalb der Republik fort und beschwört noch einmal alle Demokraten, sich zu einigen, damit die
Universal-Demokratie recht bald in's Leben trete.
Das Bankett dauerte von 3 1/2 Uhr bis 8 Uhr Abends. Cavaignac hatte viele Truppen dahin beordert. Der ganze „Berg“ war anwesend.
— Bei einem Verleger der Rue du Cherche Midi ist die erste Lieferung einer Bildergalerie der vorzüglichsten Junikämpfer erschienen.
— Seit vorgestern wird ein neues kleines hochrothes Blatt, „die Natterzunge“, ausgerufen. Bastide, Thiers, Marrast, Louis Napoleon, Genoude u. A. werden darin tüchtig
gegeißelt. Doch ist die Sprache ziemlich anständig.
— Proudhon's „Peuple“ erscheint vom 23. d. an täglich. Es ist ihm gelungen, die Kaution zu vervollständigen.
— In Paris bildet sich in diesem Augenblick unter Anführung der Chefs der verschiedenen sozialistischen Schulen sowie unter dem Schutze einer großen Zahl von Eigenthümern und Handelsleuten
der Kern einer kolossalen Verbrüderung unter dem Namen: „Soziale Conföderation,“ deren Zweck unbedingte Abschaffung des Elendes und die es durchsetzen will, daß in alle europäische
Verfassungen das Recht auf Arbeit eingeschrieben werde. Dieser großartige Verband würde seine Thätigkeit nicht blos auf Paris und das Gebiet der französischen Republik erstrecken, sondern auch auf
alle Länder Europas ausdehnen, wo die Sozialisten bereits Verzweigungen haben. Diese Conföderation wird im nächsten Frühjahr einen europäischen Kongreß eröffnen, in welchem endlich einmal einige
Einigkeit in die sozialistischen Dogmen gebracht werden soll. Jede industrielle und wissenschaftliche Klasse würde einen Vertreter herschicken. Das Proudhon'sche Blatt „La Peuple“
verspricht nächstens seinen Lesern die Statuten dieser Conföderation mitzutheilen.
— Die Nadelstiche, denen Marrast seit seiner Thronbesteigung unaufhörlich ausgesetzt ist, veranlassen ihn endlich heute, folgenden Brief an die Urheberin all' dieser Stiche,
„Gazette de France,“ zu richten:
Paris, 19. Nov, 1848.
Herr Redakteur. Ihr Journal sammelt mit einer wahrhaft erstaunenswerthen Gewissenhaftigkeit all' die sonderbaren Gerüchte, die über mich mündlich oder schriftlich ausgesprengt werden. Bald
setze ich mich auf den Stuhl Ludwigs XIV. im Hoftheater zu Versailles; bald wohne ich in den ehemaligen königl. Forsten einem Treibjagen bei und heute lese ich in Ihrem Blatte, daß ich den Vortritt
vor den Gesandschaften verlangt, daß ich einen Schreibtisch von Gold und Perlmutter aus einem Schlosse in mein Präsidentschaftshotel hätte bringen lassen etc.
Ich will diesem albernen Geschwätz nicht die Ehre erweisen, es als Verläumdung zu erklären, ebensowenig will ich Ihnen selbst die Ehre erweisen, anzunehmen, daß Sie ein Wort davon glauben. Es liegt
also auf der Hand, daß Sie mich nur angreifen wollten; aber es scheint mir, als hätte ich Ihnen doch nicht so ganz unbekannt sein sollen, um mich die Rolle eines lächerlichen Narren spielen zu lassen.
Wenn Ihnen meine Vergangenheit wirklich das Recht dazu gab, so war es Ihrerseits allzugütig, mich dies nicht schon in dem Augenblick fühlen zu lassen, wo ich noch die Feder führte. Setzen Sie also,
ich bitte Sie, doch ein wenig gesunden Sinn und guten Geschmack bei einem ehemaligen Mitbruder voraus, dessen Ideen, Sitten und Gefühle weder die Zeit noch die Revolutionen geändert haben.
Ihr Mitbürger
(gez.) A. Marrast.
National-Versammlung. Sitzung vom 21. November. Anfang 1 1/2 Uhr. Vizepräsident Lacrosse ersetzt den Präsidenten Marrast.
Lacrosse: Ich ersuche die Versammlung, jetzt das Scrutin wieder zu beginnen, das gestern Abend über Artikel 1 des Gesetzentwurfs des Finanzausschusses rücksichtlich der Entschädigungen der
Sparkassen und Schatzbonsträger eröffnet wurde, aber annullirt werden mußte.
Victor Grandin: Ist denn die Versammlung jetzt beschlußfähig? Ich schlage vor, eine zweite Urne auf die Bühne zu stellen und das Scrutin so lange offen zu lassen, bis die Versammlung
beschlußfähig.
Lacrosse: Das wäre ein neuer Modus, der nicht reglementsmäßig; ich kann darum auf ihn nicht eingehen. Uebrigens scheint mir und dem Bureau die Versammlung beschlußfähig
Die Wärter schreiten zur Abstimmung, welche folgendes Resultat giebt:
Zahl der Stimmenden 511. Für den 1. Artikel des Finanzausschusses (welcher den Cours der Renten ändert) 405 Dagegen 106.
§ 1 des Artikels 1 des Dekrets, dessen Wortlaut wir gestern mittheilten, ist somit angenommen, d. h. die Sparkassen und Schatzbonsrentencourse sind auf 71 Fr. 10 Ct. (für die 5pCt.) und 46 Fr. 40
Ct. (für die 3pCt.) festgestellt und die Differenzen sollen ausgeglichen werden
Dieser Gegenstand ist wichtig, denn er birgt den Nationalbankerott in seinem Bauche. Es handelt sich, wie die Debats diesen Morgen sehr speziell nachweisen, um die Bagatelle von 600 Millionen
Fr.
Hier unterbricht Cavaignac die Debatte. Er steigt auf die Bühne.
Cavaignac (tiefe Stille): Bürger! beginnt er, Niemandeen unter Ihnen ist es ein Geheimniß, daß derjenige Ihrer Kollegen, welchem Sie die Vollziehungsgewalt übertragen, seit mehreren Monaten
und namentlich in letzter Zeit Gegenstand der heftigsten Angriffe und Verläumdungen ist. Ich weiß wohl, daß mich das Amt, das Sie mir übertrugen, zum Dulden und Ertragen bestimmt. Aber letztere wurden
in den letzten Tagen so heftig, daß ich die Versammlung damit beschäftigen muß. Ich war stets gewohnt, der Luge offen entgegen zu treten, wenn sie sich ohne Maske mir gegenüber zeigte. Damit nun die
von meinen Kollegen (Barthelemy, Garnier-Pages, Paguerre, Lamartine etc.) gemachten Enthüllungen ganz an das Tageslicht gezogen und erörtert werden konnten, bitte ich Sie, den nächsten Donnerstag als
Tag zur diesfälligen Diskussion festzusetzen
Nach dieser Einleitung tritt der General in eine Beleuchtung der bekannten Erklärung des Lamartinschen Klubs und berührt die Vorwürfe, die ihn wegen der Propagandathätigkeit für seine
Präsidentenwahl treffen.
Garnier-Pages erklärt sich gegen einige Aeußerungen. Der General hat gesagt, er habe bisher geschwiegen, um seinen Freund (Lamartine) zu schonen. Wir verlangen, daß er spreche, damit man
sehe, daß wir stets loyal waren.
Joly: Lamartine muß anwesend sein. Ich beantrage Vertagung bis zu seiner Rückkehr.
A. Rousseau und Ledru-Rollin nehmen das Wort Letzterer verlangt, daß auch Marie, Justizminister, zugezogen werde. (Ja, ja! Nein!)
Die Versammlung beschließt, dieser parlamentarischen Schlacht den Sonnabend zu widmen und kehrt zur Tagesordnung zurück.
Eine unbeschreibliche Aufregung herrscht noch im Saale. Es gelingt der Schelle des Präsidenten nur mit Mühe, die zur Diskussion nöthige Stille herzustellen.
Die Versammlung nimmt nach einer Pause die Debatte über den § 2 des Artikels 1 des neuen Dekrets über die Schatzbons und Sparkassenbüchelchen-Reluition wieder auf.
Dieser Paragraph lautet:
„Die Differenz der bisherigen Börsencourse der 5pCt. Rente wird vom 7. Juli 1848 an gerechnet und vom 1. Januar 1850 an, ausgezahlt.“
Goudchaux hatte eine Aenderung vorgeschlagen, zieht sie aber zurück.
Der Paragraph und demnächst der ganze Artikel 1 geht endlich durch.
Eben so die Artikel 2, 3, 4 und 5, die lediglich von der Umwandlungsform handeln.
Charamaule trägt darauf an, daß die Vergütung der erlittenen Verluste nur den Inhabern jener Fonds zu Gute kommen soll, welche sie in jener Epoche wirklich besaßen.
Trouve Chauvel, Finanzminister, so wie der Berichterstatter des Finanzausschusses, erklären diese Ermittelung für unmöglich.
Mauguin unterstützt den Antrag
Deeselbe wird zu Abstimmung gebracht und angenommen. (Sensation.)
Artikel 6 verfügt die Gründung eines Amortisationsfonds.
Wird angenommen.
Das Gesammtgesetz kommt nun zur Abstimmung und wird durch Aufstehen und Sitzenbleiben angenommen.
Die Sitzung wird um 6 Uhr geschlossen.