Deutschland.
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Edition: [Karl Marx: Der Stadtrat, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
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] Köln, den 20. Nov.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
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] Köln, 20. November.
Die Berliner Post ist gestern Abend ausgeblieben.
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] Düsseldorf, 17. Nov.
Gestern wurde unter dem stürmischsten Jubel der Bevölkerung der ehemalige Chef der Bürgerwehr, Lorenz Cantador, für die Tage der Gefahr zum provisorischen Chef ernannt.
Durch die Wahl dieses Mannes von seltener Entschiedenheit und der erprobtesten Tüchtigkeit hat die Bürgerwehr mehr als durch alle Adressen an den Tag gelegt, welche Haltung sie einschlagen will.
Gestern Abend noch erklärte sich das Offizierkorps für permanent, die Offiziere verbleiben beständig in Uniform, die Wachen bleiben Tag und Nacht besetzt, Tag und Nacht werden von der Kommission
Kugeln gegossen und Patronen verfertigt, den Privatleuten werden die Gewehre abgeholt und unter die Arbeiter vertheilt, stündlich kömmt eine Deputation von den Bürgergarden der Landgemeinden an, um
ihren sofortigen Zuzug der Bürgerwehr zuzusichern. In wenigen Tagen kann hier der ernstlichste Kampf ausbrechen. Ob man uns zu Hülfe kommen wird? Schmach über die Rheinprovinz, wenn sie auch die
Ohrfeigen geduldig hinnimmt, die man uns in Berlin täglich ertheilt. Und doch habe ich gerade zu Ihrem Köln das Zutrauen, daß es ruhig zusehen würde, wie Düsseldorf niedergehauen wird bis auf den
letzten Mann.
Heute früh wurde folgende Proklamation von dem Chef der Bürgerwehr an die Garden der benachbarten Landgemeinden durch Eilboten versandt:
Mitbürger!
Die Stunde ist gekommen, wo die Bürgerwehr sich zu gemeinschaftlichem Wirken vereinen muß. Das Commando der Bürgerwehr Düsseldorfs fordert daher sämmtliche Bürgergardisten der Umgegend Düsseldorfs
und der benachbarten Gemeinden auf, sich
am Sonntag den 19. Novbr., Morgens 9 1/2 Uhr,
in der Alleestraße zu Düsseldorf mit Ihren Waffen zu einer Musterung einzufinden.
Sämmtliche Herren Chefs der resp. Bürgerwehren werden dringend ersucht, das Geeignete zu dem Zwecke veranlassen zu wollen.
Düsseldorf, den 17. Novbr. 1848.
Der provis. Chef der Bürgergarde,
Lor. Cantador.
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] Bonn, 19. Nov.
Die Besetzung der Thore durch die Bürgerwehr hat nicht stattgefunden, weil der Zweck dieser Besetzung auf viel einfacherem Wege erlangt ist. Der Oberbürgermeister hat nämlich, als er von dem
Beschlusse der Bürgerwehr Kenntniß erhalten, erklärt, daß er (hört! hört!) nichts gegen die Steuerverweigerung einzuwenden habe, und den Steuerdienern befehlen werde, alle denen, die ihre
steuerpflichtigen Sachen ohne Zahlung einführen wollten, die Passage freizugeben. Um diesem Beschlusse auch die gehörige Geltung zu verschaffen, hat ein Piquet Bürgerwehr das Zollhaus besetzt. Morgen
wird an unsere Thore das von der Bürgerwehr ausgehende Plakat angeheftet werden: Die Steuerverweigerung gesetzlich! — Zugleich ist die Bewaffnung der Studentenwehr, wo nicht schon auf morgen,
doch jedenfalls in den nächsten Tagen festgestellt.
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] Cleve, 18. Nov.
Daß „die Reaktion vor Wuth schäumt“, geht unwiderleglich aus den vier blamablen Artikeln des gestrigen Staatsanzeigers hervor. Der erste brüstet sich ganz gewaltig mit
Zustimmungsadressen, die „in nicht geringerer Anzahl“ eingelaufen sein sollen, als die im entgegengesetzten Sinne. Man will nur einige der ersteren Richtung mittheilen und
verzeichnet deren wirklich 40, sage vierzig. Wenn aber wirklich mehr als diese 40 eingelaufen sind, dann ist die Auswahl so ungeschickt als möglich getroffen, denn unter diesen 40 hervorgehobenen
finden sich: 19. von dem konstitutionellen Verein zu Diersfondt bei Wesel. Dieser Verein besteht bekanntlich aus dem Grafen Stolberg, dessen Rentmeister, Jäger, Kutscher etc., 7. von Einwohnern zu
Altengolm bei Fürstenwalde, 9. von den Einwohnern zu Vasewalk, 20. von den Einwohnern zu Wrietzen. Wir werden dem Ministerium in den nächsten 40 Tagen Mißtrauensadressen lediglich aus hiesigem Kreise
einsenden.
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] Crefeld, 17. Nov.
Eine im Schooße der hiesigen Bürgerschaft beschlossene Zustimmungsadresse an die Nationalversammlung in Berlin ist mit 2870 Unterschriften versehen, am 14. d. an den Präsidenten der Versammlung,
Hrn. v. Unruh, abgesandt worden.
Das Gesindel im Preußenverein hingegen hat eine Adresse an den „Allergnädigsten, Großmächtigsten“ abgeschickt. Am Schlusse „ersterben“ 1100 Individuen, inklusive Frauen
und Kinder, die bereits geboren sind, oder doch noch im Laufe dieses Jahres geboren werden.
Unserm Vertreter in Berlin, Herrn Pastor Schmitz in Bockum, der zu den flüchtig gewordenen Abgeordneten gehört, wurde am 15. d. Abends in Anerkennung seiner Verdienste eine Katzenmusik
gebracht.
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] M. Gladbach, 17. Nov.
In einer zahlreich besuchten Bürgerversammlung wurde gestern einstimmig eine Adresse an unsern Deputirten für Berlin, Regierungsrath Ritz, beschlossen, worin demselben angezeigt wird, daß er das
Vertrauen seiner Urwähler nicht besitzt, und aufgefordert wird, sein Mandat niederzulegen. Gleichzeitig wurde beschlossen, die Wahlmänner zu einer Zusammenkunft aufzufordern, um das Weitere zu
veranlassen. Bereits am 13. d. wurden zwei, mit 750 Unterschriften bedeckte Adressen an die Nationalversammlung in Berlin abgeschickt, worin derselben für ihre wackere Haltung der entschiedenste
Beifall gezollt wird. Seit einigen Tagen wird von der Gegenpartei eine Unterthänigkeits-Adresse an das Ministerium Brandenburg von Haus zu Haus allen Protestanten zur Unterschrift vorgezeigt, die
jedoch nur von Pietisten und Stockpreußen gebilligt, von den übrigen Protestanten jedoch entschieden mißbilligt wird.
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] Kreuznach, 18. Nov.
Die hochverrätherischen Uebergriffe der Camarilla in die Freiheiten des Volkes haben in Kreuznach alle Gemüther empört und alle Parteien vereinigt, natürlich die ausgenommen, die aus Dummheit oder
Habsucht das alte System wünschen. Es wurden bereits zwei Volksversammlungen gehalten. Auf der ersten wurde eine Adresse an die Nationalversammlung berathen und angenommen. In derselben wurde
vollkommene Zustimmung zu den Beschlüssen der Nationalversammlung ausgesprochen und versichert, daß wir mit Gut und Blut fur sie einstünden. Der konstitutionelle Verein, der immer etwas Apartes haben
will, erließ ebenfalls eine zustimmende Adresse. Die zweite Volksversammlung, die besuchteste in Kreuznach, erließ nochmals eine Adresse, welche die Nationalversammlung anging, die Steuerverweigerung
zu dekretiren. Zu gleicher Zeit wurde ein Sicherheitsausschuß gewählt, welcher aus 15 Mitgliedern besteht. Derselbe hat auch die Aufgabe, mit den größern Städten der Rheinprovinz in Veebindung zu
treten, um gemeinschaftliche Schritte zu thun.
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] Wesel, 18. Nov.
An den Gemeinderath der Stadt Köln. Da die Ereignisse in unserm Vaterlande mehr wie je eine Verständigung sämmtlicher Vertreter der Gemeinden der Rheinprovinz zu gemeinschaftlichem Handeln nöthig
machen, so hält es der Gemeinderath der Stadt Wesel für seine Pflicht, den Gemeinderath der Stadt Köln hierdurch aufzufordern:
eine Versammlung der Abgeordneten der Stadt- und Landgemeinden der
Rheinprovinz zu berufen und das Erforderliche in dieser Beziehung schleunigst veranlassen zu wollen.
Wesel, den 17. November 1848.
Der Gemeinderath.
An den Gemeinderath der Stadt Köln.
NB. Diese Aufforderung ist am 17. Abends zur Post gegeben worden.
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Koblenz, 18. Nov.
In Folge des heute bekannt gewordenen Erlasses der Nationalversammlung, die Verweigerung der Steuerzahlung betreffend, sind heute Morgen schon eine Menge Vieh und Mehl zu den Thoren der Stadt
größtentheils unversteuert eingebracht worden. Die Steuerbehörde verlangte nur eine Deklaration; Geld forderte sie nicht, wenn sie keines erhielt.
[(Rh. u. M.-Ztg.)]
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] Arnsberg, 14. Novbr.
Herr Gelshorn!
Wir unterzeichneten Wahlmänner und Urwähler des Wahlbezirks Arnsberg erklären hiermit, daß Sie durch Ihre bisherigen Abstimmungen in der Nationalversammlung klar gezeigt haben, wie Sie zur Lösung
Ihrer Aufgabe: die Vertretung der wahren Volksinteresse, nicht befähigt, oder nicht Willens sind, daß Sie namentlich durch Ihr feiges Verlassen des Sitzunglocals am 9. November, sich unwürdig bewiesen
haben, uns fernerhin noch bei der Nationalversammlung zu vertreten. Wir fordern Sie auf, Ihr Mandat sofort in die Hände Ihrer Wähler zurückzugeben.
Arnsberg, den 14. Novbr. 1848.
945 Unterschriften.
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] Soest, 16. Nov.
Folgendes von 113 Wahlmännern und Urwählern Soest's unterzeichnete Mißtrauensvotum ist dem Herrn etc. Ulrich zugesandt.
An den Deputirten Hrn. Geh. Ob.-Trib.-R. Ulrich in Berlin.
Aus den offiziellen Berichten der öffentlichen Blätter und den Verhandlungen der Nationalversammlung haben die unterzeichneten Wahlmänner ersehen, daß Sie nie die Interessen des Volks und seiner
Errungenschaften durch Ihre Abstimmung gewahrt haben. Sie haben im Gegentheil immer mit der Reaktion und den Dienern des Absolutismus gestimmt. Sie haben unser Vertrauen völlig verloren. Die
unterzeichneten Bürger, Wahlmänner und Urwähler von Soest drücken Ihnen daher pflichtmäßig ihr Mißtrauen aus und ersuchen Sie, sofort Ihr Mandat in die Hande der Urwähler zurückzugeben.
Soest, den 16. Novbr. 1848.
(Folgen die Unterschriften.)
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Stettin.
Die bevorstehende Zusammenberufung der Pommerschen Landwehr (2te und 9te Regiment und Garde-Landwehr-Bataillon) ist ungesetzlich. Der § 8 des Gesetzes vom 3 Sept. 1814
bestimmt:
„Die Landwehr des ersten Aufgebotes ist bei entstandenem Kriege zur Unterstützung des stehenden Heeres bestimmt, sie dient gleich dieser im Kriege im In- und Auslande,
im Frieden ist sie dagegen, die zur Bildung und Uebung nöthige Zeit ausgenommen, in ihre Heimath entlassen.“
„Ferner setzt die Landwehrordnung vom 21. November 1815 in der Einleitung und in § 1 fest: An den mäßigen Umfang des stehenden Heeres schließt sich künftig die Landwehr, zwar immer zur
Vertheidigung des Landes bereit, doch nur versammelt, wenn ein feindlicher Anfall und die eigene Bildung es nothwendig macht.“
„Die Landwehr bildet einen Theil der bewaffneten Macht, sie tritt indeß nur bei ausbrechendem Kriege und bei den jährlichen Uebungen zusammen.“
Bereits sind durch die hiesige Regierung den betreffenden Behörden die Einstellungsordres für die Wehrmänner zugegangen, und wir fragen, dürfen Anordnungen eines Ministeriums, welches von den
treuen Vertretern perhorrescirt und des Landesverraths beschuldigt ist, ausgeführt werden? Das Ministerium, welches das ganze Land gegen sich aufgebracht hat, ruft die Landwehr zusammen. Ein
zweifelhaftes Experiment. Will man aber die Wehrmänner, die jetzt zerstreut in den Städten und auf dem Lande leben, vor den Einflüssen der Wühler sichern? Soll der Landwehr die Entscheidung für die
Krone abgedrungen werden, ehe die Bewölkerung sich gemeinsam wie ein Mann auf den Willen der Nationalversammlung erheben muß?
[(Osts. Z.)]
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@facs | 0773 |
Stettin, 16. Nov.
Die Landwehrmänner werden hier einzeln eingekleidet und dann nach Garz spedirt, weil man sich fürchtet, die Einkleidung in pleno vorzunehmen. Die Einstellungsordr von einem volksfeindlichen, des
Hochverraths beschuldigten Miniesterium ausgegangen, hat hier die größte Aufregung hervorgerufen Weil 4 Minister sich auf ihren Sitzen behaupten wollen, müssen 10 Bataillons, jedes zu 800 Mann, also
8000 Mann in unserer Provinz Weib und Kind verlassen, ihre Beschäftigungen aufgeben,
[0774]
um zur Stütze jenes Ministeriums zu dienen. Das heißt wahrlich viel verlangen. In einer Landwehrversammlung, die gestern in der Postschen Reitbahn, freilich auf nicht sehr parlamentarische Weise Stadt
fand, wurde die Frage verhandelt, ob man sich stellen wolle oder nicht, und ein großer Theil der Wehrmänner erklärte, bis auf Weiteres der Einstellungsordre passiven Widerstand entgegen zu setzen.
Diese Nacht war das hiesige Zeughaus mit einer Militärabtheilung besetzt und gestern ein Theil der Armaturgegenstände aus dem Landwehr-Zeughause in den Waffensaal des Schlosses gebracht.
Man hat übrigens bereits nach Garz 2 Eskadrons Kürassire beordert, um für alle Fälle gegen die dort zusammentretende Landwehr gerüstet zu sein.
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@facs | 0774 |
Brrlin.
Dem Polizei-Präsidenten von Bardeleben zu Berlin, unter Entbindung von seinem bisherigen Amt, ist die kommissarische Verwaltung der erledigten Regierungs-Präsidentenstelle zu Arnsberg ubertragen
und der bisherige Ober-Regierungsrath v. Hinckeldey zum Polizei-Präsidenten von Berlin ernannt.
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@facs | 0774 |
Berlin.
Die Staatsministerial Kommission zur Begutachtung der Demarkationslinie im Großherzogthum Posen (bestehend aus Geh. Ober-Finanzrath Costenoble, Geh. Rath Macklean, Staatsanwalt Friedberg, Abg. Geh.
Rath Seidel, Abg. Major v. Voigt-Rendtz und Abg. v. Meusebach) hielt heute morgen in Gegenwart des Reichskommissarius General Schäfer Sitzung und verständigte sich über eine Linie, welche nur in
wenigen, durch strategische Rücksichten gebotenen Punkten von der Pfuelschen Demarkationslinie abweicht. General Schäfer reist morgen nach Posen zur definitiven Regulirung an Ort und Stelle. Major v.
Voigts begleitet ihn als Kommissarius des preuß. Staatsministerii.
[(N. Pr. Z.)]
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@facs | 0774 |
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] Brünn, 15. November.
Ihr Blatt brachte nach der Oder-Zeitung bereits einen Bericht der in Wien geschehenen, alle jemals dagewesenen Barbareien Asien's gewiß übertreffenden Veruchtheiten aber Ihre Leser müssen
einen Bu[unleserlicher Text]iris, einen Tschintschiskhan, einen Kamby[unleserlicher Text]s, Nero, Sardanopal, sie müssen die als fabelhaft bekannten Grausamkeiten aus den Reisebeschreibungen über die sogenannten Wilden des innern
Afrika's und Brasilien's sich in's Gedächtniß zurückrufen, um mit einem Schlage, mit einer Geistesübersicht alle die namenlosen Scheußlichkeiten unserer modernen Vandalen, alle
die Todesrieseln erzeugenden Greuelscenen sich einigermaßen vorstellen zu können, welche der Thron der deutschen Habsburger in Wien an einem civilisirten Volke hat verüben lassen, und ohne Erweichen
mit der immer erneuten Wuth des unerhörtesten Kannibalismus noch täglich, stündlich an ihm verüben läßt. — Wenn die Bestien-Wuth der Czechen besänftigt erscheint, so kann dies gewiß als der
sicherste Beleg angesehen werden für das Unbeschreibbare, was Wien hat ertragen müssen, und immer gesteigerter noch fortwährend erduldet.
Wien hatte schon längst die Ueberzeugung gewonnen, daß es nach außen hin in seinem heiligen Kampfe von allen Seiten verlassen war und in Deutschland nur von wiederkäuenden Thieren angestiert wurde;
es erfuhr seit dem 26. Oktober von Minute zu Minute bestimmter, daß im Innern der Stadt und Vorstadte der schwarzgelbe Verrath übermächtig sein Unwesen betrieb und es zum Fall bringen mußte. —
Dafür nur dieses.
Nach dem 23. Oktober entfernten sich sämmtliche Gesandtschaften und überließen ihre Landsleute schutzlos dem über die Stadt hereinbrechenden Verhängniß. Von den deutschen Gesandtschaften war
natürlich nichts Anderes zu erwarten und ich begab mich daher auf den Minoritenplatz in das prachtvolle Palais der französischen Republik, auf dessen Thor ich die Inschrift zu finden hoffte:
„Gebiet der französischen Republik“. — Eine Windischgrätzische Kugel auf diesem Boden, dachte ich, muß einen Höllenbrand entzünden; von diesem Boden aus könnte Wien's
Freiheit, müßte, ist der Name Republik kein Hohn, wenigstens die allgemeine Menschlichkeit Schutz gegen einen Wütherich finden, der in der brutalen Nachahmung Cavaignac's ein unsinniger
Bluthund geworden ist. — Mit dem Erstaunen der Indignation fand ich über der Thüre des republikanischen Gesandtschafts-Palastes jedoch nur die Bourgeois-Aufschrift: „In diesem Hause
befinden sich Gegenstände der französischen Gesandtschaft“, und vernahm, noch mehr entrüstet, vom Hausmeister, daß der Gesandte und sein Personal sich bis nach dem Bombardement aus der Stadt
entfernt hätten. — Wer hätte glauben können, daß die Infamie der gallischen Bourgeois auch hier, wo es sich doch nur um die ersten Bourgeois-Rechte dem verrostetesten Feudal- und
Polizeistaats-Unwesen gegenüber handelte, sich also überbieten würde, in der ganzen sich vertheidigenden Bevölkerung Wien's nur raubbegieriges Lumpenproletariat, in dieser Vertheidigung selbst
nur ein Verbrechen zu erkennen und sich vor dieser Bevölkerung, vor Europa mit einem racheschnaubenden Ungeheuer einverstanden zu erklären, wider welches selbst die konstitutionelle Erbärmlichkeit
eines österreichischen Reichstags sich gestemmt hatte! Will denn Frankreich keine Großheit, keine Ehre, keine Schmach und keine Schande mehr unterscheiden? Das Volk von Wien zeigte sich um so
erbitterter über die beispiellose, alle seine Erwartungen verhöhnende Passivität des republikanischen Repräsentanten, als es in seiner Verzweiflung, wie alle unterdrückten Völker, von dem
französischen Volke immer noch seine endliche Erlösung erwartet. Windischgrätz ließ seine Bomben und Brandraketen darum ebenso unnachsichtig auf den Boden der französischen Republik hinwerfen, wie auf
den des armen Volks, und das Dach des französischen Palais soll tüchtig mitgenommen worden sein. Ueberall an den Palästen des Adels, an den Kramläden der Bourgeoisie waren in diesen Tagen wieder die
Worte zu lesen: „Unter dem Schutze des hohen Reichstags“ oder, „Heilig ist das Eigenthum“; der Gesandte der französischen Republik wußte unter dem Hinwürgen der
bescheidensten Freiheit also nichts Anderes zu thun, als sich dem Kannibalismus des Thron-, Feudal- und Bourgeois-Absolutismus mit einer gleichen Phrase innigst anzuschließen.
Ich kann nicht umhin, einen Gegensatz hervorzuheben, der hell in's Licht stellt, wie tief die Civilisation der Bourgeoisie unter alle bekannte Barbarei hinabgesunken ist. Der türkische
Gesandte ist unter den erheblichen der einzige gewesen, welcher der Aufforderung des Windischgrätz, Wien auf 3 Tage zu verlassen, nicht entsprochen hat Er wohnt, weil er einem türkischen Vorurtheil
zufolge nicht in der Stadt wohnen darf, in der Leopoldstadt. Als die Kroaten unter dem furchtbaren Morden der Szeresaner daselbst eindrangen, sturmten sie, gewiß nicht ohne Fingerzeig von oben, in die
Wohnung des türkischen Botschafters, erschossen seinem Heiducken, plünderten Alles aus, mißhandelten, wie man behauptet, den Botschafter selber und nöthigten ihn, mit seinem Personale die Flucht in
die Stadt zu ergreifen. — Man ist um so begieriger auf die Folgen dieser Insulte, als der Botschafter abgereist sein soll. Auf den Befehl des Windischgrätz muß die Gemeinde Wien den von den k.
k. Banditen verübten Schaden, überhaupt allen Schaden, alsbald ersetzen. — Einem Sekretär der preußischen Gesandtschaft ist der Arm zerschmettert worden; die Freude der Gesandtschaft über den
Windischgrätzischen Sieg wird jedoch nicht nur dieses, sondern auch den Umstand leicht verschmerzen lassen, daß das Gesandtschafts-Hotel von den Kugeln, Kartätschen, Bomben und Brandraketen der
mitverschworenen Meuchelmörder am 31. Oktober ganz gehörig verwüstet worden ist.
Was den angeblichen Bruch der Kapitulation anbelangt, mit welchem Windischgrätz, freudig wie ein blutlechzender Tiger, alle Gräuel rechtfertigt, die seit Ueberwindung der Stadt geschehen sind und
noch fortgesetzt werden, so will ich darüber nur folgendes bemerken: Reichstag, Gemeinderath, Klubs, Studentenkomite und Oberkommando der Garde hatten das Volk zu einem Widerstand bis auf den letzten
Mann aufgefordert und entflammt. Als es aber nun wirklich zum blutigsten Ernste kam, wechselten mit wenigen Ausnahmen all' diese Heroen die Farbe und begannen in fortwährenden Deputationen mit
schwarzgelber Unterwurfigkeit dem sie verhöhnenden Würgengel zu Füßen zu kriechen, um im Wege der Unterhandlung eine Milde zu erflehen, welche von einem Windischgrätz durchaus nicht zu erwarten war.
Auf diese Weise waren bis zum 31. Okt. mehrere Kapitulationspakte entstanden, über welche das kämpfende Volk, da auch von anderer Seite der schnödeste Verrath immer unverschämter hervortrat, die
tiefste Entrüstung laut zu erkennen gab. Es hatte die Vorstadte mit unglaublichem Muth, mit unerhörter Anstrengung vertheidigt, bevor sie in die Gewalt des 120,000 Mann starken Feindes geriethen, es
wollte auch die Ehre der Stadt selbst retten und entschloß sich am Nachmittag des 31., von fast allen seinen Fuhrern verlassen, zu einer Gegenwehr der Verzweiflung von den Basteien herab. Man bot ihm
Geld an, wenn es die Waffen ablege, allein mit Verachtung wies es dies Ansinnen zurück und begann um 3 Uhr ein mörderisches Feuer auf die um die Glacis aufgestellten k. k. Truppen, welches während
drei Stunden mit solchem Nachdruck fortgesetzt wurde, daß an eine Uebergabe der Stadt an diesem Tage noch nicht zu denken gewesen ware, wenn nicht die Nationalgarde hinterlistig das Burgthor geöffnet
und so das Hereinströmen des Militärs möglich gemacht hatte.
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@facs | 0774 |
Wien, 14. Nov.
Ich sende Ihnen die heut publizirte Kundmachung der Centralkommission der Stadtkommandantur, wichtig wegen des nicht vorzuenthaltenden Geständnisses, daß die allgemeine Entwaffnung trotz des
Standrechtes — und dieses ist hier keine Fiktion geblieben — nur unter starkem Geiste des Widerstandes vor sich geht und bis jetzt zur Ablieferung nur eines geringen Theiles der
Aerarialfeuergewehre und andern Waffen gefuhrt hat.
Der Oestreichische Lloyd bringt die reformirte Ministerliste: Fürst Felix Schwarzenberg, Präsidium und auswärtige Angelegenheiten, Graf Stadion, Inneres; General Freiherr v. Cordon, Krieg; Kraus
Finanzen; v. Bruck öffentliche Arbeiten und Handel, zeither getrennt; Thienfeldt Ackerbau; Justiz und Kultus noch unbesetzt; Prof. Helfert, stark czechisch nuancirt, das einzige Mitglied, das
durchgängig und auch da der Linken scharf entgegentrat, wo die Czechen mit ihr liebäugelten.
Auf den Basteien werden Befestigungsarbeiten eifrig betrieben; am rothen Thurmthor erhebt sich eine Palisadenwand und Laufgräben werden bis zur Vorstadt Landstraße hin geführt. An den Mauern aber
zieht sich der Draht eines elektromagnetischen Telegraphen, der Kasernen, Kriegsministerium und alle Hauptredouten verbindet. Von Ungarn sind wir abgeschnitten, nur bis Oedenburg geht noch eine
Briefpost, sonst hat jede Verbindung aufgehört, hauptsächlich durch die von ungarischer Seite realisirte Zerstörung der sammtlichen Wege und Straßen, eine Sperre, die sich im Preise des Weizens,
Leders, Talg etc. schon fühlbar macht und sicherlich bald noch grausamer auf uns zurückfallen wird. Denn unmaßgeblich wird sich das k. k. Kriegsheer dermalen auf eine Blokade des Landes beschränken
müssen, da ein reguläres Vorgehen in der vorgeruckten Jahreszeit fast unmöglich. Vom 6. bis 9. waren in das Spital der barmherzigen Brüder (Leopoldstadt) 161 Verwundete und 132 Todte gebracht. Von den
beiden Hingerichteten außer Blum war Sternau, Oberst der Mobilgarde und Jelovicki (ehemals k. k. Artillerist), Adjutant Bem's und Obrist der Artillerie im Generalstabe. Messenhauser hat sich
wirklich freiwillig gestellt und im Gemeinderath einen warmen Fürsprecher gefunden.
[(Br. Z.)]
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@facs | 0774 |
Wien.
„E. ist sehr unangenehm wahrgenommen worden, daß die in der Proklamation Seiner Durchlaucht des Herrn Feldmarschalls Fürsten zu Windisch-Grätz vom 1. November 1848, § 3, angeordnete
allgemeine Entwaffnung nicht mit jenem Eifer und mit jener Bereitwilligkeit durchgeführt werde, welche man zu erwarten berechtigt war.
Bei Vergleichung der seit den Märztagen aus den kaiserlichen und aus den burgerlichen Zeughausern an die Nationalgarden des Weichbildes von Wien und seiner Umgebung theils abgegebenen Feuerwaffen,
theils seit dem 6. Oktober sowohl durch das Proletariat, als durch Nationalgarden aus dem k. k. Zeughause herausgenommenen Feuer-, Hieb- und Stichwaffen, mit jenen Gattungen Waffen, die seit dem 2.
November d. J. an die verschiedenen Waffen-Depots, und zwar an das k. k. Zeughaus und an das k. k. Neugebäude abgegeben wurden, hat man aber ersehen, daß von den Aerarial-Feuergewehren und anderen
Waffen ein noch geringer Theil abgeliefert wurden.
Die gegebene Frist von 48 Stunden zur Ablieferung der Waffen, ist schon mehrmals abgelaufen, und daß bisher noch keine Hausdurchsuchung stattgefunden hat, mag den Bewohnern Wiens einen Beweis von
der Schonung geben, mit der man noch gegen sie verfahren wollte
Aber auch die schonende Rücksicht muß endlich doch ihre Gränzen haben, und da bei k k. Central-Commission der Stadt-Commandantur nun der strenge Befehl zugekommen ist, die Entwaffnung mit allem
Nachdruck durchzuführen, so wird die gegenwartige wiederholte, aber auch letzte Aufforderung an die Bewohner Wiens zur Ablieferung der Waffen erlassen, die sie binnen 24 Stunden zu bewirken haben,
nach deren Ablauf Hausdurchsuchungen stattfinden werden, deren Folgen sich diejenigen, bei denen was immer für Waffen gefunden werden, nur selbst zuschreiben mußten, gegen welche das standrechtliche
Verfahren eingeleitet werden würde.
Die 24stündige Frist wird am 14. November um 10 Uhr früh beginnen, und zur gleichen Stunde am 15 November d. J. ihr Ende erreichen.
Sollten Feuer- Hieb- und Stichwaffen an die Grundgerichte der Belagerungsbezirke abgeliefert worden sein und bei selben noch deponirt liegen, oder waren auch Waffen von Administrationen der
Aerarial- oder Privatgebäude bis zur Ablieferung in die Verwahrung ubernommen worden, so haben die Grundgerichte und die Administrationen diese Waffen sogleich in die Deposicorien des k. k. Zeughauses
oder des Neugebäudes abzuliefern, und sie werden für den schnellen Vollzug verantwortlich erklärt.
Wien, am 13 November 1858.
Vom Vorstande der k. k. Central-Commission der Stadt-Commandantur Frank, k. k. General-Major.
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@facs | 0774 |
[
!!!
] Frankfurt, 18 Nov.
Extrasitzung der Nat.-Verf.: (Raveaux hat seine Gesandtschaft in die Hände der Centralgewalt zurückgegeben, unter der zu dienen er mit seiner Pflicht, Ehre und Gewissen nicht
verträglich hält.
Vor der Tagesordnung.
Präsident zeigt den Eintritt von 4 neuen Mitgliedern an.
Schmerling (Reichsminister) theilt mit, daß Bassermann zurückgekommen ist, und nachstens dem Hause einen umfangreichen Bericht vorlegen wird
Vizepräsident Simson und Hergenhahn werden heute nach Berlin gehen, um dort permanent im Sinne der Beschlüsse des Hauses über die preußischen Zustande zu verfahren.
Auf der Tagesordnung stehen 1. die v Rappardschen Anträge, 2. Artikel 6 des Verfassungsentwurfs.
Die Anträge lauten folgendermaßen:
Die hohe Nationalversammlung wolle beschließen, die Centralgewalt aufzufordern:
1) Den Reichskommissär Bassermann abzuberufen,
2) gleichzeitig eine Reichskommission mit dem Auftrage nach Berlin abzusenden:
alle Mittel anzuwenden, um einen gewaltsamen Zusammenstoß der Militärgewalt mit dem Volke zu verhüten,
3) die preußische Regierung zu nöthigen, die von der preußischen Landesversammlung für gesetzwidrig erklärten Verfügungen zurückzunehmen, namentlich die Vertagung und Verlegung der preußischen
Landesversammlung, die Auflösung und Entwaffnung der Bürgerwehr, den Belagerungszustand der Stadt Berlin, die Beschränkung der freien Presse und des Associationsrechts.
Unterstützt von: Max Simon. Fr. Vischer. Schoder. Hehner. Jucho. Schulz aus Darmstadt. Hildebrand. Eckert a. Bromberg. H. R. Claussen. Schott. Gravenhorst. Melly. Haggenmüller. Geigel. Federer. Mayer
a. Ottobeuern. Ahrens. v. Reden. Vogel a. Guben. Riehl. Blumröder. Freudentheil. Nicol. Reh. Benedey.
Schulze aus Darmstadt, Vogt und Nauwerk haben ergänzende Zusätze beantragt.
Rappard glaubt, daß in dieser Frage keine Parteien sein werden. Alle Stande Preußens haben sich für die Versammlung gegen die Krone erklart. Zwischen Fürsten mag Zwietracht sein, aber
zwischen Volksvertretern solle man die Saat der Zwietracht nicht säen. Ich liebe die Republik, aber ich und meine Freunde wir wollen ernstlich die kostitutionelle Monarche, weil as preußische Volk sie
will.
Zu meinen Antragen stelle ich das Amendement, die hohe National-Versammlung wolle der Berliner National-Versammlung ihre Sympathie zu erkennen geben.
Präsident unterbricht die Debatte, indem er Bassermann das Wort zu seinem Reisebericht giebt
Brutus-Bassermann (halbweinend): Er beginnt seinen Bericht damit, daß er schaudernd darauf hinweist, wohin es mit der Frechheit der Berliner Versammlung gekommen. Der Zustand den er auf der
Straße um die Versammlung fand, hat ihn erschreckt. Er hat furchtbare Gestalten auf der Straße gesehen
Mit allem Moglichen hat er sich in Berlin in Verbindung gesetzt (nur mit der National-Versammlung in corpore nicht und mit dem Volke noch weniger!) Der Zustand in Berlin sei sehr unerfreulich. Die
Presse gehe weit ueber die Freiheit hinaus An den Schaufenstern der Buchhändler hat er republikanische Büchlein auf rothem Papier gedruckt, ausgestellt gesehen, mit Tire[unleserlicher Text]k[unleserlicher Text]pfern auf denen an
Laternenpfahlen aufgeknüpfte Menschen zu schauen. Die Mitglieder der Rechten, mit Stricken und Dolchen bedroht, verdanken nur dem Zufall ihr Leben. Eine rothe Fahne sei vor dem Schauspielhause
aufgesteckt gewesen u. s. w.
B[unleserlicher Text]utus hat die neuen Herren Minister gesprochen. Er fand sie ganz ruhig und gefaßt. Seine Geschäfte zu vollziehen war ihm unmöglich. An Reaktion sei in Berlin gar nicht zu denken. Eine solche sei
überhaupt unmöglich. (Hohngelachter.)
Ob das Ministerium nach der Krise zurücktreten werde, weiß er nicht zu sagen, — Thatsachen fur das Mißtrauen gegen dasselbe habe er keine einzige finden konnen.
Brutus ist beim Könige gewesen. — Was man mit Königen gesprochen, wiederzusagen sei nicht Sitte (Bravo), aber so viel könne er sagen: „Er (Bassermann) fand den König deutscher gesinnt
als er hoffte! (Gelächter) Der König wolle Deutschland und seine Gesittung wahren. Merkwürdig gefaßt sei der König gewesen aufs Aeußerste. (Soll heißen: Bombardement!) — Auch hier sah B. keine
Reaktion.
Als Wrangel einzog, habe die Stadt ein ganz anderes Ansehn gewonnen. (Furchtbares Gelachter!) Die Bürger hätten ein langentbehrtes Gefühl der Sicherheit gefuhlt. (Erneutes Hohngelächter! Bassermann
selbst lacht über seinen Bericht!)
Friedensunterhandlungen mit Unruh und Grabow seien ihm nicht gelungen (!). Folgende Friedensbedingungen haben die Mitglieder dieses Theils (schoner Theil!) der Versammlung gestellt:
- 1) Verbannung aller königl. Prinzen aus dem Lande.
- 2) Verhaftung aller Minister und Wrangels.
- 3) Erklärung derselben für Hochverräther.
- 4) Völlige Unterwerfung des Monarchen unter alle Beschlüsse der Versammlung, bis zur Vollendung der Verfassung.
- 5) Entfernung allen Militärs aus Berlin.
Eine Vermittelung sei jetzt nicht mehr denkbar, er habe sie vergebens versucht
Abermals macht B. auf die Frechheit der Berliner Straßenplakate und auf die rothen Träume der Laternenrepublikaner aufmerksam. — Vermittelung sei unmöglich. Entweder Unterwerfung des Volks
(soll heißen Bombardement), oder Annahme der obigen Bedingungen. — Er sei für's Erstere (Wer zweifelt?) Von der Berliner Versammlung hofft er nichts fur die wahre Freiheit nichts für die
Einheit. Er hielt es für seine Pflicht zurückzukehren, und da er von seinem Standpunkte die von der National-Versammlung wegen der Berliner Verhältnisse gefaßten Beschlüsse (vom 15. d M.) nicht
auszuführen für Recht hielt, hat er dem Reichsverweser seine Entlassung als Unterstaatssekretair gegeben. (Auf wie lange?) Die rechte Halfte der Versammlung klatscht, die Linke zischt mit den
Gallerien um die Wette.
Wernher von Nierstein stellt den präjudiziellen Antrag, „die Rappardschen Anträge an den Ausschuß zu verweisen.“ (Konsequenz der Bassermannschen Rede).
Venedey will von Bassermann wissen, welcher Abgeordnete in Berlin ihm die obigen Bedingungen mitgetheilt?
Bassermann (in großer Verlegenheit) hält es für unpassend, hier den Namen zu nennen, will dem Ausschuß den Namen sagen.
Wernhervon Nierstein empfiehlt seinen Antrag
Raneaux. (Beifall begrüßt sein Erscheinen als Abgeordneter). Ich begrüße (sagt er ihr Zögern in diesem Falle nicht. Deutschland will wissen, was von Ihnen in dieser Sache geschieht. Fassen
Sie einen energischen Beschluß (rechts Unterbrechungen) Fassen Sie einen Beschluß, mag er ausfallen wie er will. Welches Unheil haben wir den Ausschüssen nicht zu verdanken! Aber Sie wollen auch hier
zögern, bis Berlin bombardirt ist. (Tumult. Stürmischer Applaus). Hier an demselben Platz, haben Sie es schon vergessen? (in der reformirten Kirche) befahl der Fünfziger-Ausschuß einem Fürsten, seine
Beschlüsse auszuführen, und einem Ministerium, welches abdanken wollte, zu bleiben. Wollen Sie zur Umstimmung dieser Angelegenheit erst wieder ein fait accompli erwarten, die bei uns schon so traurige
Rollen gespielt haben. Sie können ihr Zögern nicht verantworten vor Deutschland Deutschland hat Oesterreich (durch Sie) verloren! (Tumult) Preußen wird Deutschland auch verlieren! (Rauschender
Beifall). Noch will Preußen keine Republik, aber Ihr Zögern stößt es mit Gewalt in dieselbe. Durch Ihr Zögern verlieren Sie die ganze Achtung der Nation! (Vinke widerspricht — die Gallerie
klatscht Beifall. Man schreit wiederholt Raumer!)
In namentlicher Abstimmung werden nach dem Antrage Wernhers von Nierstein mit 261 gegen 172 Stimmen Rappards und alle bezüglichen Anträge an den Ausschuß gewiesen.
Unter andern stimmten Mevissen, Osterrath, Rob. Mohl, Reichensperger, Riesser, Laube, Soiron, Welker, Biedermann, Clemens, Dahlmann, Fuchs, Jordan (Berlin) für die Verzogerung, resp
Ausschußverweisung.
Zimmermann von Spandau beantragt, wenigstens den Ausschuß bis 4 Uhr Nachmittags berichten zu lassen.
Sauken (vom Ausschuß) meint, man müsse hier mit deutscher Gründlichkeit verfahren. (Furchtbares Gelächter. Solche Verhöhnung erlaubt man sich gegen Berlin). Vor Montag könne der Ausschuß
nicht berichten.
Zimmermann von Spandau: Man müsse befürchten, daß mittlerweile der Bassermannsche (Lügen-) Bericht in die Welt gesprengt würde, um Deutschland zu täuschen Er bittet flehentlich, den Bericht
heute um 4 Uhr Nachmittags fertig zu haben und zu berathen. (Gelächter im Centrum).
Venedey: Wenn Sie bis Montag warten, wird zu Ihrem Beschluß keine Courage mehr gehören. (Tumult Beifall.)
Riesser, der Vicepräsident, (wüthend mit gesträubten Haaren): Niemand darf sich erdreisten, hier zu sagen, wir hätten nicht die Courage, hier einen Beschluß zu fassen. (Tumult. Links:
Riesser hat das Wort nicht! Präsident hat beliebt, es ihm zu geben Links: Willkur! Lärm).
Nauwerk bittet, den eben gefaßten Beschluß der Verweisung der Rappardschen Anträge an den Ausschuß zurückzunehmen. (Das Centrum lacht ihn aus).
Die Linke reicht zwei Proteste gegen Bassermann's (Lügen-) Bericht ein.
Der Antrag von Zimmermann aus Spandau wird verworfen.
Ein Antrag von Heisterberg: „bis um 7 Uhr Abends zu berichten und dann in einer Abendsitzung zu beschließen“, wird verworfen.
Ein Antrag von Zimmermann aus Stuttgart und Wigard: „Morgen, Sonntag, mindestens eine Extrasitzung für die preußischen Angelegenheiten zu halten,“ wird verworfen. (Links: Pfui!
Scheußlich!)
Rappard (um seinen Antrag nicht so mißbrauchen zu lassen) zieht ihn zurück (Bravo Links.)
Vogt, Nauwerk und Schultz aus Darmstadt ziehen ihre Amendements dazu ebenfalls zurück.
Präsident. Herr Fröbel hat mich schriftlich ersucht, ihm heut das Wort zu einem Bericht zu erstatten. Ich habe ihm geantwortet, daß ich der Meinung bin dieser Bericht sei lieber schriftlich
einzugeben. (Aber für Bassermanns Berichte ist Zeit.) Herr Fröbel hat darauf erwiedert: „er würde solange nicht im Sitzungssaal erscheinen, bis in seiner und Robert Blums Angelegenheit ein
Beschluß gefaßt sei.“ — Ich frage deshalb die Versammlung, ob sie gegen meine Ansicht ist Herrn Fröbel zu hören? — Die Versammlung beschließt fast einstimmig, ihm das Wort zu
geben. —
Fröbel, von furchtbarem, endlosem Jubel und Beifall begrußt, erstattet
[0775]
einen langen, sehr gemäßigten ruhigen Bericht über seine und Blum's Reise nach Wien etc. — Veranlassung der Reise war eine Sendung der Linken (Donnersberg und deutsches Haus) zur
Uebergabe einer sympathisirenden Adresse an den Wiener Reichstag, Gemeinderath, Studenten und Oberkommandant. Am 17. Oktober kamen sie in Wien an. — Sie erfullten ihren Auftrag und wollten am
20. abreisen. Frobel bekam keinen Paß vom sachsischen Gesandten. — Sie nahmen Passierscheine, reisten aber nachher nicht ab, weil sie nicht glaubten, ohne Mißhandlungen durch die Soldaten zu
kommen, welche gerade solche Passierscheine als Freibriefe der Mißhandlung benutzten. Sie entschlossen sich mitzukämpfen. — Am 26 Oktober wurden sie von der Oberkommandantur, Blum zum Hauptmann
der 1., Fröbel zum Hauptmann der 3. Compagnie des Elitenkorps ernannt; mit der Hauptaufgabe die Ruhe in der Stadt zu sichern. Bald wurden sie anders verwendet, auf die gefahrvollsten Punkte gegen die
äußeren Feinde gestellt; — in's ärgste Feuer, ohne selbst schießen zu dürfen, — Blum und Fröbel fanden sogar die Patronen, die ihre Leute bekamen, mit Sägespänen gefüllt; —
sie glaubten deßhalb daß Verrath im Spiel sei, und nahmen am 29. ihre Dimission. — Von da nahmen sie keinen Antheil mehr am Kampfe. Alle entgegenstehenden Nachrichten erklärt Fr bel fur
unwahr.
Vom 29. Oktober bis 4. November verhielten sie sich ganz passiv. — Am 2. November verlangten sie vom Commandanten von Wien General Tschoritsch einen Geleitschein zur Abreise. — Dieser
wies sie an den General Cordon. Am 3. schrieben sie an Cordon. — Als Antwort verhaftete man sie den 4. früh in den Betten. Auf der Rückseite ihres Schreibens an Cordon war der Verhaftsbefehl
ausgestellt. — Sie protestirten als Abgeordnete. — Umsonst. —
Vom 4. bis 8. wurden sie eingesperrt, aber nachsichtsvoll behandelt Sie schrieben nach Frankfurt an den
Präsidenten der Nationalversammlung [wo ist der Brief?]. Mit ihnen sperrte man einen Spion ein unter der Firma eines Mitgefangenen, der ihnen alle Details entlockte, und sie zu einem energischen
Protest an Windischgrätz überredete, als das einzige Mittel ihrer Rettung. Sie erließen diesen Protest den 8. Abends. Die Antwort darauf war am 9. früh die Erschießung Blum's. Zwei Stunden
hatte man ihn verhört. — Folgen die Einzelheiten des Frobel'schen Verhörs und seiner gefänglichen Behandlung bis zum 11. Abends. Am 11. Abends wurde er zum Strick verurtheilt — in
ein und demselben Dekret aber völlig begnadigt [???] Von der Polizei wurde er sofort aus Wien und bis zur sächsischen Grenze eskortirt
Präsident verweist diesen Bericht an den Ausschuß für die österreichischen Angelegenheiten.
Hierauf geht man zur Tagesordnung über [1 Uhr] und der Art. VI. der Verfassung [Vom Eisenbahnwesen] wird größtentheils nach den Anträgen des Verfassungsausschusses folgendermaßen angenommen ohne
Diskussion.
Art. VI. [§. 29-32].
§. 29. Die Reichsgewalt hat über das gesammte deutsche Eisenbahnwesen das Recht der Gesetzgebung und Oberaufsicht, soweit sie es zum Schutze des Reichs und im
Interesse des allgemeinen deutschen Verkehrs für nothwendig oder zweckmäßig erachtet.
§. 30. Unter denselben Voraussetzungen hat die Reichsgewalt das Recht, Eisenbahnen anzulegen oder deren Anlage zu bewilligen, sowie vorhandene Eisenbahnen auf dem Wege der Enteignung zu erwerben.
Die Benutzung der Eisenbahnen steht der Reichsgewalt jederzeit gegen Entschädigung frei.
§. 31. Bei der Anlage oder Bewilligung von Eisenbahnen durch die einzelnen Staaten ist die Reichsgewalt befugt, den Schutz des Reichs und das Interesse des allgemeinen deutschen Verkehrs
wahrzunehmen. — Der Reichsgewalt steht die Gesetzgebung und Oberaufsicht über die den allgemeinen deutschen Verkehr vermittelnden oder zum Schutz des Reichs nothwendigen Heer- und Landstraßen,
ingleichen über die Erhebung von Chaussee- und Wegegeldern und ähnlichen Abgaben auf solchen Straßen zu.
§. 32. Der Reichsgewalt steht das Recht zu, zum Schutz des Reichs oder im Interesse des allgemeinen deutschen Verkehrs, Landstraßen zu bauen, Kanäle anzulegen, Flüsse schiffbar zu machen oder deren
Schiffbarkeit zu erweitern.
Sie hat für die Unterhaltung der so gewonnenen Verkehrswege zu sorgen.
Die bei derartigen Fluß- und Kanalbauten gewonnenen Vorladungen gehören dem Reich.
Schluß der Sitzung nach 2 Uhr.
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@facs | 0775 |
[
*
] München, 13. Novbr.
In und um München werden bedeutende Truppenmassen zusammengezogen, angeblich, um den bald zusammentretenden Landtag gegen den Terrorismus „von unten“ zu schützen. Se. baierische
Majestät hofft unter ihren Generälen ein Windischgrätz'chen zu finden, um etwaige Freiheitsgelüste der Deputirten abzukühlen. Auch Baiern will seine Restauration machen.
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@facs | 0775 |
Stuttgart, 11. Nov.
Nach den Berichten der Kammer bezog der König Friedrich vom Jahr 1806-1816, also in zehn Jahren:
Fünfzehn Million, vierhundert sechsundvierzigtausend einhundert und acht Gulden aus der
Staatskasse.
Der König Wilhelm von 1817-1848, also seit 31 Jahren:
Siebenundzwanzig Million, zweimalhunderttausend Gulden.
Das war für die zwei Herren allein; an Apanage, Witthum und Heirathsgüter zahlte das Volk der Königsfamilie, seit 1806 13,774,565 Gulden.
Die Abgabe, ohne die der Staat leicht bestehen könnte, macht also seit 42 Jahren allein in Würtemberg, einem Volke von 2 Millionen Einwohner 54,421,053 Gulden.
Daher die vielen Steuern!?
Das kleine Land Würtemberg zahlt seit 42 Jahren:
54,421,053 Gulden.
für seine Königsfamilie, und der Staat Nordamerika, der größer als ganz Europa ist, seinem Präsidenten 63,500 Guld.
[(M. A. Z.)]
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@facs | 0775 |
Karlsruhe im Novbr.
Die Kammer der Abgeordneten hat dieser Tage die Amnestiefrage erörtert. Der Antrag der Kommission ging auf Ertheilung von Amnestie mit Ausnahme der Anstifter des ersten Aufruhrs und mit gänzlicher
Ausnahme der Leiter des Struveschen Aufruhrs. Kuenzer trug dagegen auf allgemeine Amnestie mit Ausnahme der Leiter des Struveschen Aufruhrs an und wurde von der Linken unterstützt. Der
Kommissionsantrag wurde jedoch mit 31 gegen 17 Stimmen angenommen.
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@facs | 0775 |
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*
] Rastatt, 17. Nov.
Täglich fallen Prügeleien zwischen der östreichischen und badischen Garnison vor. Der Haß zwischen diesen „Reichstruppen“ ist so stark, daß wir jeden Tag eine förmliche Schlacht
erwarten Die Grausamkeiten der k. k. Truppen in Wien sind die Hauptursache dieses Streites, da die badischen Soldaten öffentlich ihren Abscheu gegen den Idioten Ferdinand und seine Henkersknechte an
den Tag legen.
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@facs | 0775 |
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] Kassel, 16. Nov.
In einer gestern hier gehaltenen, mehrere Tausend starken Volksversammlung wurde beschlossen, daß bei der jetzigen Lage der Dinge unsere Regierung aufgefordert werden solle, alsbald eine
durchgreifende Volksbewaffnung ins Leben treten zu lassen, um im Fall der Noth der Reaktion und Contrerevolution mit bewaffneter Hand in den Weg zu treten. Die Versammlung beschloß ferner, die
Regierung um sofortige Einberufung der neu gewählten Stände anzugehen, damit das Volk das gesetzliche Organ seines Willens zur Seite habe. Nachdem sodann Windischgrätz als Landesverräther und Mörder
erklärt und dem Volkscomite aufgegeben worden war, das Parlament zu Frankfurt aufzufordern, seiner Ehre wegen die Bestrafung dieses Mannes sich am Herzen liegen zu lassen, wurde endlich folgender
Zuruf an das preußische Volk einstimmig angenommen:
Preußen, Brüder!
Mit bitterem Schmerz, mit Ingrimm sahen wir seit Monden schon der Revolution unseres Frühjahrs, die der heldenmüthige Kampf Berlins besiegelt hatte, Hohn sprechen. Wir wußten es also zuvor, daß die
Saat, welche von den Händen der Volksverräther in Wien gesäet wurde, auch in Berlin, in Preußen, in ganz Deutschland ausgestreut würde.
Preußen! Euere National-Versammlung hat in diesen Tagen den Gelüsten der Reaktion „Halt!“ zugerufen, die Souveränität des Volks wieder zu Ehren gebracht. Deutschlands Zukunft liegt in
ihren Händen.
Ihr werdet den Schirm und Herr unserer Freiheit nicht verlassen; der Kampf gegen die Tyrannei muß zu Ende gekämpft werden; wir alle, ganz Deutschland wird auf den Kapfplatz treten.
Brüder! Diesmal nur noch eine Losung:
Freiheit oder Tod!
Kassel, am 15. November 1848.
Im Namen der Volksversammlung:
Das Volkscomite.
Französische Republik.
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@facs | 0775 |
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19
] Paris, 18. Nov.
General Cavaignac, der die verzweifeltsten Pygmäensprünge nach der Präsidentschaft der Republik macht, um in Vereinigung mit den kaiserlich-königlichen Mordhunden Windischgrätz, Jellachich,
Brandenburg die „wahre Ordnung“ des Säbels in Europa herzustellen, hat sich nach dem Abfall der Armee einen neuen Bundesgenossen zu erwerben gewußt: — das Pfaffenthum. Hat nicht
daß Christenthum zu jeder Zeit eine „streitende“ und eine „lehrende“ Kirche gehabt? War nicht der heilige Loyola Soldat und Pfaffe zugleich, als Pfaffe Soldat und als
Soldat Pfaffe? Auch ist die „auf den Felsen gebaute“ Christenkirche nicht ganz unabhängig von den Stürmen der profanen Weltpolitik. Seine bischöfliche Gnaden von Orleans, Monseigneur
Fayet hat also ganz Recht, wenn er sich für einen Augenblick von dem hohen Sitz seiner „Stellvertreterschaft Gottes“ begibt und als Bettelmönch Allmosen für das weltliche Wohlergehen des
General Cavaignac sammelt. Alles im Intrresse der „ewigen Kirche“, welche in der Wahl des General Cavaignac zum Präsidenten der Republik ihre besten „Garantien“ sieht, also
durch eine andere Wahl in ihrer heiligen „Ewigkeit“ gefährdet wird. Kann es einen innigeren Bund geben? Der Säbel Cavaignac's schützt die gefährdete „Ewigkeit“ der
Kirche, denn die Vergangenheit Cavaignac's, der im Juni die gefangenen Insurgenten massenweise im Dunkel der Nacht abschlachten ließ, gibt die „besten Garantien“ fur die
Aufrechthaltung der „heiligen“ christlichen Prinzipien; und die Kirche schafft für die fernere weltliche Herrschaft Cavaignac's, denn die Diktatur seines Säbels steht bereits so
tief in der öffentlichen Verachtung, daß ihr nur noch überirdische Mittel aufhelfen können. Einstweilen nehmen wir aus dem Rundschreiben des Bischofs, welches die Geistlichen zur Anwendung ihres
„legitimen Einflusses“ für die Kandidatur Cavaignac's auffordert, Akt uber die Thatsache, daß die Junischlächterei die „besten Garantien“ nicht nur fur die
„bürgerliche Ordnung“ sondern auch fur die „heilige Religion der Liebe“ bietet. Zugleich aber erklärt Monseigneur Fayet in diesem Rundschreiben, daß die Empfehlung der Wahl
Cavaignac's, welcher der „Religion und der Ordnung“ mehr Garantien als irgend ein anderer Kandidat biete, nach reiflicher Berathung von „sämmtlichen Bischöfen und
Geistlichen der Nationalversammlung“ ausgehe. Diese Behauptung ist eine kleine Unwahrheit, denn der Abbé Leblane erklärt in den heutigen Journalen in seinem und seiner Kollegen Namen, daß sie
mit der Kandidatur Cavaignac's nicht übereinstimmten und dies in der Wahlversammlung der Geistlichen dem Präsidenten Bischof Fayet selbst ausgedruckt hätten. Indeß hat der ehrwurdige
Prälat nicht sowohl als „untrüglicher Stellvertreter Gottes“, sondern als weltlicher Bettelmönch Cavaignac's, diese unschuldige Luge ausgebeutet; gerade wie Hr. Cavaignac nicht
als „reiner Republikaner“ die Clique-National, welche unter Louis Philipp gegen den „legitimen Einfluß“ der Geistlichen in Wahlintriguen das wuthendste Geschrei erhob,
sondern als Grundpfeiler der christlichen Liebes-Religion an die Hülfe des Clerus appellirt. Als Thatsache hinsichtlich der kirchlichen Garantien Cavaignac's kann ich Ihnen mittheilen, daß der
Juniheld alle 14 Tage pünktlich zur Beichte und zum „Abendmahl“ geht. Eine andere Thatsache, die ich aus vollkommen zuverlässiger Quelle habe, ist folgende: Sie wissen, daß die Garde
mobile nach dem Junisieg uber die Arbeiter von den Bourgeois-Weibern dafur auf ruhrend dankbare Weise belohnt wurden; die Folge davon war, daß sich eines Morgens die halbe Pariser Bourgeois-Welt mit
jener berühmten Krankheit vergiftet fand, an welcher Pangloß, der Lehrer Candide's, nach dem Einfall der Panduren litt. Der Mobilen-Chef Cavaignac ist in diesem Augenblick mit demselben
keuschen Uebel behaftet, und man versichert mir, daß dies die wahre Veranlassung war, weshalb er das Constitutionsfest so früh verlassen mußte. Pangloß hatte die Krankheit bekanntlich von dem
westphalischen Kammermadchen, welches sie von einem Panduren empfing, der sie einer Marquise verdankte, die einen Pagen liebte, der mit einem Jesuiten zu thun hatte: In wie weit vielleicht der
gegenwartige Zustand des Kirchenritters Cavaignac zu den obenerwahnten „Garantien“ berechtigt, vermag ich Ihnen jedoch nicht ausführlich darzuthun. —
In der gestrigen Sitzung des Revolutions-Klubs (Rue Montesquieu) wurde wieder auf das Heftigste über die Kandidatur Ledru-Rollin's und Raspail's gestritten. Die Sitzung sollte um 7
1/2 Uhr beginnen, aber die kleine Straße war schon von 5 Uhr an von Hunderten von Arbeitern belagert. Bürger Hervé präsidirte und ermahnte die Redner vorsorglich zur Mäßigung. Gleich der zweite
Redner aber griff den „Sieur“ Ledru-Rollin mit der größten Erbitterung an. Ein Anderer, dessen Namen ich nicht verstand, erklärte sich für einen „persönlichen“ Freund
Ledru-Rollin's, versicherte aber unter dem Beifall der Arbeiter, daß er „als Demokrat“ nur Raspail seine Stimme geben könne. Als nach ihm ein Anhänger Ledru-Rollin's mit
der Behauptung auftrat, Ledru-Rollin sei „länger Sozialist als Raspail“, entstand wieder der furchtbarste Tumult. Drei Redner führten darauf mit großer Heftigkeit die Sache Raspails, der
im Jahre 1834 bei der Assisenverhandlung gegen die Gesellschaft der „Menschenrechte“ mit dem Zeugen Vignerte zu dreijähriger Gefängnißstrafe verurtheilt worden sei, weil er den
Generalprokurator einen „elenden Lügner“ nannte, und dessen Schriften von jeher das droit au travail proklamirten. Die Versammlung trennte sich, nachdem ein Redner noch zu einem
Vereinigungsversuch des Central-Komite's mit der Montagne aufgefordert hatte; die Arbeiter ließen draußen Raspail und die demokratische Republik hochleben. —
Ueber Cavaignac ist ein Blatt: Le général Cavaignac devant la commission d'enquête erschienen und sofort konfiszirt worden. Ich werde Ihnen morgen ausführliche Mittheilung daraus
geben.
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@facs | 0775 |
[
12
] Paris, 16. Nov.
Wie man doch so dumm sein kann, den dummen Burschen von Napoleon, zum Präsidenten wählen zu wollen! So klagt der Berg, so klagen die Sozialisten. Daß ein Thiers, daß ein Girardin, daß die
Legitimisten einen solchen Strohmann vorläufig anpreisen, um ihn später mit ihrem Götzen zu vertauschen, daß will man gerne gelten lassen. Aber daß fast alle Bauern, daß gutgesinnte Demokraten, daß
geborne Republikaner einen kaiserlichen Hanswursten zum Präsidenten der Republik machen wollen, daran werden sie alle irre, die Kammer, die Cavaignac'sche Partei, sowie die Anhänger
Ledru-Rollins und Raspails. Nach allen Theilen Frankreichs werden Emissäre ausgeschickt, um die Verirrten zu belehren, aufzuklären; aber da kläre Einer 20 Millionen Bauern auf! Louis Napoleon ist kein
Mann, das ist ein Namen, ein verschollener Namen, der keine Bedeutung mehr hat. Das wollen sich die Bauern nicht sagen lassen. Louis Napoleon keine Bedeutung? Ihr wißt nicht, was Napoleon bedeutet.
Louis Napoleon, das bedeutet, keine Steuern mehr, keine Hypotheken, keine 3 Prozentige; Louis Napoleon ist ein Name? Gut! Der da heißt Louis Napoleon, das will heißen kein Marrast, kein
Cavaignac, kein Rothschild, kein Fould. Louis Napoleon bedeutet Alles, nur nicht Louis Napoleon! Louis Napoleon, das ist die Dummheit? Recht! Diese personnifizirte Dummheit setzen wir 20 Millionen
Bauern Eurer bürgerlichen Weisheit entgegen. Was habt Ihr mit Eurer bürgerlichen Weisheit zu Wege gebracht? Das schrecklichste Elend im ruhigen, latenten Zustande, in Form von Hypotheken und
Staatspapieren. Wir wollen von dieser ruhigen Ausbeutung nichts mehr wissen, gleichviel ob sie sich in das republikanisch-verschossene Gewand von Marrast, oder in den patriarchalischen Mantel des
Königthums von Gottes Gnaden hüllt. „Metternich fort mit Dir! Rothschild und Staatspapier …
Louis Napoleon ist das Loosungswort, die Parole, welche die Bauern zusammenrottet, und sie in die Bewegung hineinschleudert. Er ist der Mann, der sie von ihrer verschuldeten Scholle losreißen soll,
weil er durch seinen Namen, durch den Namen seines Onkels die Landbewohner mobiler macht als alle Mobilgardisten. Was die Andern anbetrifft, die für Louis Napoleon stimmen, so sind sie schon durch die
Alternative dazu gezwungen. Weil sie eben nicht für Cavaignac stimmen wollen, müssen sie für Napoleon stimmen, um eben ihre Stimme nicht zu verlieren. Nun kommen noch die Nebenrücksichten der
verschiedenen Parteien, von denen jede eine Seite in Napoleon auffaßt: die Invaliden die kaiserliche Seite, die Legitimisten die legitimistische, Thiers vielleicht die orleanische, und Girardin
die Post- und Ministerseite! (Er soll Postdirektor und Cavaignac Kommandant des Invalidenhauses unter Napoleon werden): Wer weiß? Jedenfalls ist nie ein einseitigerer Mann vielseitiger aufgefaßt und
besprochen worden: nie gab es eine einseitigere Vielseitigkeit, und eine vielseitigere Einseitigkeit als die Kandidatur Napoleon.
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@facs | 0775 |
Paris, 17. November.
Seit zwei bis drei Abenden hat Paris äusserlich wieder seine Aprilwahlmiene angenommen. Zahlreiche Gruppen bilden sich im Faubourg St. Denis, Faubourg St. Martin, auf dem Börsenplatze und vor den
Passagen des Boulevards Montmartre, um sich für oder gegen Cavaignac, für oder gegen den „Prinzen“ heiser zu schreien.
Bemerkenswerth für den Charakter dieses Wahlschwindels ist, daß man in all' diesen Haufen keine einzige Blouse erblickt. Man sieht nur Civilröcke und Bürgerwehr-Uniformen lebhaft
diskutiren.
Das ist der schlagendste Beweis, daß sich das gesammte Proletariat verteufelt wenig um die Präsidentenwahl kümmert.
— Die Zusammenrottungen auf Straßen und öffentlichen Plätzen gehen lediglich von den Bonapartisten aus. Das Arbeitsvolk verhält sich passiv. In Folge dieser Zusammenrottungen bleiben für
heute Abend einige Regimenter in den Kasernen konsignirt; ebenso ist einigen Legionen der Bürgerwehr vom Oberkommando der Befehl zugegangen, sich auf den Mairieplätzen bereit zu halten. Cavaignac
scheint entschlossen, dieser bonapartistischen Propaganda unter freiem Himmel ein Ende zu machen.
— Ein Schrei des Entsetzens durchfuhr gestern Abend ganz Paris, als die Abendblätter die Gräuel in Wien mittheilten. Die demokratischen Blätter zeigten in großer Schrift an: „Die
europäische Demokratie zählt zwei Martyrer mehr: Robert Blum und Messenhauser.“ Die Entrüstung gegen die Grausamkeiten der östreichischen Hofjustiz ist allgemein. Hoffentlich wird sie den
deutschen siegreichen Demokraten zur Lehre dienen — bemerken die Blätter.
— Unsere Nationalversammlung ist heute nahe daran, ihre Büdgetdiskussion nicht fortsetzen zu können, weil kaum 500 Glieder noch in Paris sind. 294 sind auf Urlaub und etwa 100 bekleiden
Gesandschaftsposten oder werden auf andere Weise dem Dienste entzogen. Darum haben Marrast und die Rue de Poitiers in süßer Uebereinstimmung den Beschluß gefaßt, sämmtliche Glieder die sich seit
länger als 14 Tagen auf Urlaub befinden, auf die Kurialbänke zurückzurufen. Der Moniteur enthält heute die diesfällige Note. Ebenso alle größeren Journale.
— Der Moniteur widerlegt die Behauptung daß der König von Preußen dem Vertreter der franz. Republik in Berlin, Bürger Emanuel Arago, den schwarzen Adlerorden verliehen habe.
— Eine Verordnung des Kriegsministers erklärt alle diejenigen Minen-Conzessionen Algeriens als erloschen, welche Aktiengesellschaften zur Ausbeutung ertheilt wurden, bisher aber nicht Hand
ans Werk legten, noch sich verpflichten, dies binnen heute und drei Monaten zu thun.
— Gestern wurde ein eilster Zug Emigranten, 852 Köpfe stark, nach Algerien eingeschifft.
— Aus dem so eben erschienenen Bankbericht geht ein abermaliges Sinken des Pariser Wechselverkehrs von 62 Millionen auf 58,994,789 Frk. 10 Cent. während der letzten acht Tagen hervor.
National-Versammlung. Sitzung vom 17 November. Anfang 1 Uhr. Präsident Marrast.
Die Bänke sind wieder Erwarten ziemlich besetzt. Mehrere Glieder verzichten großmüthig auf die ihnen bereits bewilligten Urlaube, um dadurch die Versammlung beschlußfahig zu erhalten.
Mehrere Ausschußgutachten verschiedener Natur werden dem Präsidenten Marrast überreicht.
An der Tagesordnung ist außerordentlicherweise zunächst ein Gesetzentwurf, der die Montereau-Troyes'sche Bahngesellschaft ermächtigt, die vollendete Bahnstrecke von Montereau nach Melun (auf
der Hauptlinie von Paris nach Lyon) provisorisch auszubeuten.
Eine allgemeine Diskussion findet gar nicht statt. Der Entwurf wird ohne Weiteres genehmigt.
Ein zweiter Entwurf wird demnächst vorgenommen. Er hat zum Zweck, die Bahnarbeiten zwischen Vierzon und Bec-d' Allier fortzusetzen, welche in Folge der Zahlungslosigkeit der betreffenden
Gesellschaft in's Stocken gerathen waren und viele Arbeiter auf's Pflaster geworfen hatte. Der Finanzminister verlangt den nöthigen Kredit, um die Arbeiten vollenden zu können.
[0776]
Diese Gelder werden in Rücksicht auf das brodlose Proletariat ebenfalls ohne Weiteres bewilligt.
Ein dritter Entwurf enthält eine ähnliche Verlegenheit der Aktiengesellschaft zwischen Bordeaux und Teste. Um auch dieser Noth abzuhelfen, votirt die Versammlung die Kredite, welche nothig sind, um
diese Bahnstrecke bis zum 1 Juni 1849 fahrbar zu machen.
Nach Erledigung dieser 3 Kredite erhält Bineau das Wort um im Namen des Finanzausschusses sein Gutachten über die Anträge abzugeben, welche gestern noch nachträglich in Bezug auf Doppelämter bei
Professoren und Künstlern von Deslongrais, Flocon und Anderen gestellt wurden
Flocon trägt darauf an, daß Niemand zwei Aemter zugleich verwalten und dafür das Gehalt beziehen durfe.
Bineau und der Ausschuß findet diese Meinung zu absolut und räth der Versammlung den gestrigen Mitelweg (nach Deslongrais und Anderen) beizubehalten.
Dies geschieht. Die Absolutheit fällt durch und die Versammlung nimmt den Ausschußantrag im Sinne Deslongrais an, d. h. in Zukunft sollen mehrere Aemter eines Professors zusammen nicht mehr als
12,000 Franken jährlich eintragen dürfen.
Hierauf kehrt die Versammlung zum Büdget des Ministeriums des Innern zurück
Kapitel 2 Etablissements- und Unterhaltskosten für die Akademie der schönen Kunste
Antony Thouret schlägt einige Ersparnisse vor, fällt jedoch durch.
Ebenso Sauvaire Barthelemy.
Kapitel 11 wird angenommen.
Kapitel 12 (Kunstwerke) desgleichen.
Kapitel 13 (Monumente) dito.
Hier sollen 200,000 Franken erspart werden. Dagegen eifert Maleville bedeutend. Dufoure desgleichen.
Die 200,000 Franken bleiben stehen.
Kapitel 14 (Kunstprämien) angenommen.
Kapitel 15 (Kunstunterstützung) desgleichen
Kapitel 16 (That[unleserlicher Text]runterstützungen)
Kapitel 17, 18, 19, 20, 21, 22 und 23 geben zu keiner Debatte Veranlassung.
Kapitel 24 bestimmt 1 Million zur Unterstützung politischer Flüchtlinge.
Angenommen
Kapitel 25 und 26 für heimische politische Märtyrer und ihre Familien.
Angenommen.
Kapitel 22 (Präfektengehalte) ruft einen schrecklichen Skandal hervor.
Der Ausschuß schlägt eine Ersparniß von 13600 Franken vor.
Luneau benutzt diese Gelegenheit, um seine Galle gegen das Bankett in Toulouse auszuschütten Er will wissen, warum jener Prafekt versetzt werde. Wie kommt es, daß man ihn in ein anderes Departement
schickt? . .
Astaix aus der Linken: Wie kommt es, daß Sie Mouchard sind? (Tumult)
Marrast: Ich rufe Sie zur Ordnung!
Astaix auf der Tribüne, erzählt unter unzähligen Unterbrechungen, daß Cazavan Präfekt von Toulouse ein tüchtiger Republikaner sei, und daß er sich jenem Bankett deshalb nicht entgegengesetzt habe,
weil man in jenem Departement legitimistische Verschwörungen angezettelt und sogar gewagt habe, die weiße Lilienfahne der alten Bourbonnen öffentlich aufzustecken. Leider sehe er, daß Männer, die sich
nicht Radikale nannten, jetzt als Vertheidiger dieser legitimistischen Umtriebe aufwerfen und die Republik mit Füßen treten. Diesen Feinden werde er energisch gegenübertreten, sie stigmatisire
stigmatiser (Für diesen Ausdruck wird er von Neuem zur Ordnung gerufen)
Luneau und Dufoure eilen zur Bühne
Dufoure, Minister, erzählt nun seinerseits die Hergänge in Toulouse und billigt das Benehmen des Präfekten beim Bankett vollständig. Cazavan sei ein braver Mann und von ihm in die Vendee geschickt
worden, wo sich vielleicht ähnliche legitimistische Gelüste zeigen konnten
Luneau unterbricht und behauptet, der Minister sei gezwungen gewesen, Cazavan in die Vendee zu schicken, weil man ihn überall zurückgestoßen. Taschereau habe ihm dies gesagt. ……
Taschereau, mit seinen Luchsaugen, stiert den Minister an und will sprechen. Dufoure scheint verlegen und erklärt, wie er nicht begreife, daß Taschereau so etwas gesagt haben konne. Marrast sitzt
wie auf Nadeln. Man ruft: zur Tagesordnung! und Marrast läßt zum Budget zurückkehren, worauf nach kurzer Debatte die Sitzung um 6 Uhr geschlossen wird.
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Paris, 18. Nov.
Die Präsidentenwahl und die Revolution in Deutschland halten alle Welt in Spannung.
— Die Bonapartisten haben ihren Hauptsitz vom Boulevard Montmartre (Passage Jouffroy) in die Flittesche Reitbahn, Chaussee d'Antin, verlegt. Dorthin strömten gestern viele Tausende.
Ein ehemaliges Glied des Blanqui-Klubs sprach fast 2 Stunden zu Gunsten des Bürgers Louis Bonaparte, der doch wenigstens das Volk noch nicht verrathen habe und übrigens ja auch ein halber
Sozialist sei, wie aus seinem Buche „De l'Extinction du Pauperisme“ hervorgehe. Sobald er geendet, brach ein förmlicher Sturm gegen die Bühne los. Alle Welt wollte sprechen.
Endlich gelang es einem jungen Arbeiter, Namens Lehmann (ein Deutscher?) sich Gehör zu verschaffen und auf der Bühne zu behaupten. Er griff mit außerordentlicher Energie die Kandidatur Louis
Bonapartes an und ergoß sich ganz ohne Scheu gegen denselben. Auch dieser Arbeiter war Glied des Blanquiklubs. Er suchte der Versammlung zu beweisen, daß Hr. Louis gar nichts gethan habe, was ihn der
allgemeinen Stimme empfehle, noch viel weniger könne ein Sozialist für ihn stimmen, da man seine Vorschläge in jener Broschüre durchaus nicht originell und praktisch fände. Der junge Redner sprach
ungemein heftig und während er einer Seits Beifall erntete überschrieen die Andern, die Forcenirten, die Bravo's. Der Lärmen ward fürchterlich. Hundert Kehlen riefen nach der Erlaubniß zu
sprechen. Die Bühne drohte zusammenzubrechen, die Schelle des Präsidenten vermochte diesem Wogen keinen Halt zu gebieten. Alles drängte nach dem Bureau. Man hörte die gräßlichsten Flüche und
Verwünschungen gegen Louis Bonaparte, gegen Cavaignac, gegen Ledru-Rollin, gegen alle Kandidaten sammt und sonders, ausstoßen und sie zum Teufel jagen. Der Tumult nahm so zu, daß der Präsident des
Klubs erklärte, er musse die Sitzung aufheben und die Schließung des Klubs könne unmöglich fehlen.
Zwischen 10 und 11 Uhr Nachts zerstreute sich die zahllose Menge, die namentlich durch den inneren Skandal herbeigelockt worden und mächtig angeschwollen war.
— In einer andern Gegend der Stadt fand zu derselben Zeit ein ähnliches Gedränge statt. Hunderte von Männern begehrten Einlaß in den Montesquieusaal, wo Hervé den alten Barbesschen
Revolutionsklub zusammengerufen hatte. Da indessen schon um 7 Uhr der Saal (der etwa mit seinen großen Galerien 5000 Menschen faßt) zum Ersticken voll war, so konnte Niemand mehr eingelassen werden
und da gab es eine Verstockung der Straße. Exzesse sind indessen nicht vorgefallen.
— Die heutigen Journale beuten mit wahrer Inbrunst das Skandälchen in der gestrigen Nationalversammlung aus. Jedes natürlich nach seiner Farbe. Hier in aller Kürze die trockene
Thatsache:
Luneau, has alte Kammerglied und jetzt von der Vendee in die Nationalversammlung geschickt, benutzte die gestrige Budgetdebatte (Präfektengehalte), um das Ministerium zu tadeln, daß es den rothen
Republikaner Cazavan als Präfekten von Toulouse in die fromme Vendee geschickt habe, nachdem ihn kein anderes Departement hätte annehmen mögen. Astaix, diese Anfeindung der rothen Republik anhörend,
konnte sich nicht enthalten dem Ankläger zuzurufen: „Aber wie kommt es doch, daß sie ein solcher Spürhund sind?“ Man stelle sich das Geheul vor, das die gesammte Rue de Poitiers gegen
diesen Ausdruck erhob, ungeachtet ihn Luneau mit stiller Verachtung hinnahm und ihn gar keiner Berücksichtigung wurdigen wollte.
Diese Katzbalgerei wird nun heute in allen Blättern, namentlich in der retrograden Partei, bis zum Eckel breitgetreten und es sollte nur wundern, wenn man nicht abermals auf Pistolen losgänge.
— Neapel in Belagerungszustand erklärt! Darüber meldet ein Morgenblatt (Révolution démocratique et sociale vom 18. Nov.) Folgendes:
„Die Epoca, Journal in Rom, kommt soeben in unsere Hände. Sie zeigt an, daß Depeschen aus Neapel in Rom eingetroffen seien, welche melden, daß Neapel in Belagerungszustand erklärt worden
sei, und zwar in Folge eines allgemeinen Aufstandes der Provinzen Calabrien und Pullien, die gegen die Hauptstadt marschiren und die Republik proklamiren wollten.“
— Der Uhrmacher Naundorf (Ludwig XVII. auch Herzog der Normandie genannt) wendet sich an die Nationalversammlung, um die Erlaubniß zu erhalten, nach Paris kommen und dort seine
Vaterschaftspapiere auftreiben zu dürfen. Dieser Prätendent wohnte früher bei Berlin und später in Crossen an der Oder.
— Der gestrige Hofball bei Marrast war zahlreich und glänzend, besonders viel Bürgerwehr aus der Fremde. Das Konzert wurde stark applaudirt. Es sangen die Damen vom Operntheater
Ugaldi, Sabatir und Hr. Oktave. Der Tanz begann um 9 und dauerte bis 1 Uhr. Dufaure, Minister des Innern, und ein großer Theil von Deputirten seiner Farbe wohnte dem Feste bei. Die Legitimisten sind
außer sich, weil sich das Gerücht verbreitet, daß Marrast seine Kinder in der Wiege des Grafen von Paris, die ihm die Stadt Paris schenkte, schlafen lasse.
— An den Präsidenten der Nationalversammlung.
„Mein Herr! Ich bin seit zwei Tagen nicht in der Nationalversammlung erschienen, weil mich ein Unwohlsein bei mir zurückhält. Empfangen Sie den Ausdruck meiner Hochachtung.
Paris, 17. Novbr. 1848.
(gez.) Louis Napoleon Bonaparte.“
— Morgen soll das eigentliche Verfassungsfest für das Volk durch die ganze Republik stattfinden. Der Stadtrath läßt große Vorbereitungen hier treffen.
— Mehrere Deputirte der französischen Nationalversammlung haben laut die Absicht kund gethan, das Ministerium über die Ermordung Robert Blum's zu interpelliren.
Nationalversammlung. Sitzung vom 18. Novbr. Anfang 1 Uhr. Präsident Marrast.
Ein Glied des Kriegsausschusses legt den Bericht über den Antrag Lamoricieres zur Aushebung der ordentlichen 80,000 Mann nieder.
De Ranc[unleserlicher Text] übergibt eine Protestation vieler Einwohner von Algier gegen die Art und Weise, wie dort die Stadtraths- und Bürgerwehrwahlen laut des Gesetzes vom 16 August d J vollzogen worden
seien.
Marrast: 16 Glieder verlangen Urlaub [Oh! Oh!].
Stimmen: Dann sind wir ja nicht mehr beschlußfähig! (Doch, doch, nein!)
Man zählt oberflächlich und findet keine 500 Glieder.
Die Sitzung muß suspendirt werden.
Zwanzig Minuten später wird sie vollzählig (500) und kann wieder aufgenommen werden.
Marrast: 9 neue Glieder bitten um Urlaub. (Oh! Oh!) Widersetzt man sich (Lärm).
Ercheverry verlangt, daß man seinen Antrag rücksichtlich der Urlaube sogleich diskutire (neuer Lärm).
Bezin unterstützt die Dringlichkeit, sonst könne man nicht fortberathen.
Clement Thomas: Der Ercheverry'sche Antrag besteht darin, die erforderliche Majorität auf 451 herabzusetzen; ich halte diese Radikalreform für gefährlich und unnutz. Es treffen täglich neue
Glieder aus den Provinzen ein und dadurch bleiben wir immer vollzählig. (Ja, ja, nein, nein!)
Marrast: Will man die 9 Urlaube bewilligen?
Die Versammlung bewilligt sie und geht zur Tagesordnung über, ohne für den Ercheverry'schen Antrag die Dringlichkeit auszusprechen.
Den Departements Finiste[unleserlicher Text]re, Isère, Taru, Loire und Cher, Sarthe und Garonne wird die Erlaubniß ertheilt, sich übersteuern zu dürfen, um Kapitalien zur Beschäftigung ihres Proletariats
aufzutreiben und resp. zu tilgen.
Hiernach wird das 1848er Budjet wieder aufgenommen und zwar bei dem Prafektenkapitel (Ministerium des Innern), das gestern so großen Skandal hervorrief. Es handelt sich um Feststellung der Gehalte,
der Prafekte und Unterprafekte.
Santeyra, Barthelemy, Senard, Besnard und Dufaure diskutiren lebhaft. Ihr Streit gibt manch' belehrenden Aufschluß. So erfährt man daraus, daß das Beamtenheer des Ministerialressorts des
Innern allein jährlich 27,000,000 Fr. kostet. „Sie wollen, wandte sich Dufaure ironisch an den Finanzausschuß, am Ministerium des Innern allein 37 Millionen sparen, wie wollen Sie das
anstellen, da dessen ganze Börse nur 27 Millionen zahlt?
Barthelemy: Nicht der Finanzausschuß, sondern Hr. Goudchaux habe obige Ziffern berechnet und Ersparnisse für nothig erklärt, wenn man dem Bankerott vorbeugen wolle.
Goudchaux: Das Wort Bankerott führt mich auf die Bühne. Allerdings habe ich obige Ersparnisse vorgeschlagen, aber nicht im Jahre 1848 sondern 1849 sollen und müssen 33 Millionen im Gesammtressort
(nicht blos in den zu 27 Millionen veranschlagten Personalressorts erspart werden, wenn man dem Bankerott vorbeugen wolle.
Endlich stellt man die Gehalte der Unterpräfekten auf 6000 Fr. für große und auf 4- bis 3000 für kleinere Städte fest.
Ein Posten von 180 000 Fr. für Ledru-Rollin'sche Präsidenten-Commissarien wird verschoben. Dann tritt die Versammlung in das Budget der Präfekturrathe.
Die Diskussion des Budgets der Präfekturräthe hat kein Interesse für Deutschland.
Lamoriciere, Kriegsminister, unterbricht die Diskussion für einige Minuten. Bürger, sagt er, Sie bestimmten die Zahl der Auswanderer nach Algerien pro 1848 auf 12,000 Köpfe. Es haben sich
aber 13,500 einschreiben lassen. Ich trage darauf an, Ihren Beschluß zu ändern und die ursprüngliche Zahl auf 13,500 zu erhöhen.
Der Antrag wird genehmigt.
Die Versammlung kehrt zu dem Budget zurück, immer noch Ressort des Ministeriums des Innern.
Bedeau ersetzt Marrast auf dem Präsidentenstuhle.
Kapitel 28 (Polizei-Kommissariengehalte) wird genehmigt.
Kapitel 29 (Präfektur-Administration) wird nach kurzem Widerspruch angenommen.
Kapitel 30. (Verwaltungs-Inspektoren in die Departements). Der Ausschuß schlägt die Aufhebung von fünf Inspectoren für die sogenannten Wohlthätigkeitsanstalten vor.
Boder protestirt dagegen.
Barthelemy unterstützt die Ersparniß. Es gäbe zu viele Sinekuren.
Senard leugnet das nicht, will aber die Inspektoren beibehalten wissen, namentlich die Aerzte, die unter seinem Ministerium jenen Anstalten beigefügt worden.
Dufaure, Minister, verspricht einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Klagen abhelfe und den Almosendienst regele. Wir werden also nächstens eine organisirte Bettelei haben. Auch die
Findelkinder sollen in dieses neue Departement geschlagen werden. Eben so die Gefängnisse.
Dr. Gerdy (vom National) verliert noch einige Worte.
Die Sitzung wird um 6 Uhr geschlossen.