Französische Republik.
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] Herr Cavaignac.(Fortsetzung.)
„Hr. Cavaignac hätte die Insurrektion vom 23. Juni verhindern können, er hat sie nicht gehindert, weil es in seiner Berechnung lag, sie großartig und gefährlich genug zu machen, um den Sturz
der Exekutivkommission zu beschleunigen und an die Nothwendigkeit der Diktatur glauben zu machen.“
Oeffnen wir den ersten Band der „Untersuchungskommission über die Juni-Ereignisse.“ Das erste Dokument, das uns auffällt, ist der Bericht des Bürgers Bauchart.
Pag. 38 lesen wir:
„Vor dem 23. Juni hegten die Kurzsichtigsten und wenig Erahrensten keinen Zweifel über eine bevorstehende Explosion. Vor dem 17. Juni schon hatte man einen Brief an Blanqui in
Vincennes aufgefangen, worin ein Schlag angekündigt war.“
Adelswald, Volksrepräsentant erklärte: „Während der vier Tage des Kampfes wurde der Zeuge angehalten durch Leute, die erklärten, von St. Quentin zu kommen und nach der Präsidentschaft
geführt zu werden verlangten. Unterwegs erzählten sie, daß die Nationalgarde auf Paris losmarschire, die Linie aber nicht marschire, was alle Welt in Erstaunen setze.“
Dies Erstaunen wird aufhören, wenn man Folgendes liest. Man höre Hrn. Bertrand Lieutenant in der zweiten Legion:
„Den 23. Juni wurden wir nach Port-Saint-Denis gesandt, wo wir eine Barrikade ohne Kampf wegnahmen. Aber nach Wegnahme der Barrikade wurden wir mit einem wohlgenährten Feuer begrüßt aus dem
Hause Jouvin. Als wir dort ankamen, fanden wir weder Mobile noch Linie, die erst um 2 1/2 Uhr anlangte.“
Hrn. Bertrand folgt Hr. d'Haussonville, Exdeputirter; er drückt sich so aus:
„Den 23. Juni handelte es sich darum, Truppen nach Paris zu schicken. Am Samstag waren mehre Abtheilungen versammelt im Hauptorte des Cantons. Ich ging nach Melnn. Der Präfekt sagte, daß er
keine Befehle erhalten habe. Ich rieth ihm, die Nationalgarden nach dem Hauptorte des Departements zu berufen. Er weigerte unter dem Vorwande, daß keine Befehle da seien. Man konnte 10,000 Mann
versammeln, Nationalgarden, Linientruppen und sie den andern Tag nach Paris besorgt haben. Der Präfekt entschied sich endlich; er unterzeichnete den Befehl. Aber bald besann er sich
wieder und statt uns diese Befehle anzuvertrauen, mir und den mit mir gekommenen Personen, erklärte er uns, daß er sie durch die gewöhnlichen Ordonnanzen, durch die Gensd'armen, verschicken
würde. Ich ahnte sogleich, daß die Befehle nicht an den Ort hrer Bestimmung gelangen würden und wirklich wurden Gegenibefehle ausgetheilt.“
Joubert, ehemaliger Direktor der Pariser Octroi berichtet:
„Hätten wir die geringste bewaffnete Macht am Freitag den 23. Juni mit uns gehabt vor zwei Uhr Nachmittag, so würden wir die Errichtung der Barrikaden verhindert haben. Da die
Nationalgarden keine Linientruppen ankommen sahen, wurden sie entmuthigt und die Mehrzahl begab sich nach ihrer respektiven Wohnung zurück. Die Insurgenten waren sehr schwankend, die große
Barrikade, die am Freitag Abend durch die Linie und die Nationalgarde weggenommen worden war, wurde erst wieder aufgebaut um 5 Uhr Morgens am 24. Juni.“
Lalanne, Direktor der Nationalateliers sagt aus:
„Ich berichtete, daß, wenn man nicht unmittelbar eine große Maßregel ergriffe, eine Krise unvermeidlich wäre.“
Herr Marie ist Justizminister, sein Zeugniß ist also nicht verdächtig und wird nicht in Abrede gestellt werden. Hört es:
„Am 22. Juni, da ich die Agitation bemerkte, schrieb ich eigenhändig an den Kriegsminister Cavaignac: Der Tag und der Abend waren sehr stürmisch; das flößt mir Besorgnisse für morgen ein.
Ergreifen Sie alle nöthigen Maßregeln. Man hat mir gemeldet, daß morgen um 6 Uhr Arbeiter in großer Anzahl sich auf dem Pantheonplatze versammeln würden; schicken Sie zwei Regimenter Infanterie
und ein Regiment Cavallerie nach dem Luxemburg. Der General war also in Kenntniß gesetzt. Und seit dem Morgen des 23. Juni ward ihm das Generalkommando übertragen.“
Seit dem 22. Juni also, Herr Marie erklärt es, war der Kriegsminister aufgefordert, alle nothwendigen Maßregeln zu ergreifen; seit dem 23. war dem Herrn Cavaignac das Generalkommando übertragen; er
war also im Besitze aller militairischen Gewalt, der das Dekret der Nationalversammlung vom 23. Juni nichts hinzufügte.
Die Deposition des Herrn Marrast, Maires's von Paris, ist naiv; sie lautet:
„Die Barrikaden wurden ganz gemüthlich aufgeworfen.“
Und warum wurden sie ganz gemüthlich aufgeworfen? Warum verhinderte man nicht ihre Entstehung?
Aber dieß ist nicht so naiv als es scheint. Der Zweck dieses Geständnisses ist, indirekt die Commission anzuklagen und auf ihre Glieder die ganze Verantwortlichkeit für das Unzureichende der
Maßregeln, für den Mangel an Maßregeln zurückfallen zu lassen. Der Zweck ist, das Dekret vom 24. Juni zu rechtfertigen, welches dem General Cavaignac die ganze exekutive Gewalt übertrug, seine
Diktatur zu legitimiren, endlich sich selbst als den Retter von Paris, als den Retter der Ordnung, der Gesellschaft hinzustellen!
So geschickt das Gewebe des „National“ gesponnen ist, sind seine Fäden doch durchsichtig.
Wenn die Barrikaden nicht gemüthlich aufgeworfen worden wären, wenn die Exekutivkommission sich nicht der Unvorsicht, der Nachlässigkeit oder des geheimen Einverständnisses verdächtig
gemacht hätte, so wäre weder ein Mittel noch ein Vorwand dagewesen, ihr die Macht zu entreißen, um sie zu geben — wem? Dem Kriegsminister, den die Exekutivkommission am Vorabende mit dem
Generalkommando bekleidet hatte, dem erlauchten Degen des National.
(Schluß folgt.)