Französische Republik.
@xml:id | #ar142-2_018 |
@type | jArticle |
@facs | 0738 |
Paris, 11. Novbr.
(Erstes Manifest Cavaignac's.) Die Steeple-Chase Royal — zu Deutsch, das Wettrennen nach der Krone unserer jungfräulichen Republik, hat begonnen.
In Form eines Rundschreibens an sämmtliche Civil- und Militärbeamten tritt Cavaignac, dieser Gewährsmann aller Ordnungsfreunde, als Kandidat für die Präsidentschaftsstelle auf. Das Schreiben ist zu
lang, um es hier wörtlich übersetzen zu können, doch lassen wir vorläufig folgende Stellen als Selbstkritik sprechen:
Paris, 10. Novbr.
„Bürger (Beamten). Die Nationalversammlung hat durch ein definitives Votum das von ihr mit so ausdauernder und gewissenhafter Energie unternommene Werk beendet. Die republikanische
Verfassung ist genehmigt und die (morgige) Promulgation wird dem Volke den Text dieses Grundgesetzes selbst verlautbaren, das künftig seine Geschicke lenken soll. In einem so wichtigen Falle wünsche
ich mich ausnahmsweise, was wohl der Ernst der Umstände erklärt, mit Ihnen direkt in Verbindung zu setzen, der Sie je nach Maßgabe Ihrer Stellung berufen sind, zu dem wichtigen Wahlwerk beizutragen
und um Ihnen die Bürgschaften und neuen Kräfte anzudeuten, welche die Verfassung Ihrem Amte gibt.“
Nachdem auf diese Weise den Beamten und Offizieren neue Bürgschaften und neue Kräfte wie süßer Honig versprochen, folgt eine tausendste Erklärung über die Februarrevolution und der gegen sie
„vergeblich“ erhobenen Mai- und Junistürme. Mit diesen ewigen Widerholungen wollen wir den Leser verschonen. Wahrhaftig possirlich ist es aber zu sehen, wie sich Cavaignac auf das
allgemeine Stimmrecht stemmt — gerade diesen Stein des Anstoßes, über den er den Hals brechen dürfte. „Das allgemeine Stimmrecht, ruft er aus, darin liegt die ganze
Februarrevolution!“ Es wird sich zeigen, ob die Arbeiter und Bauern, d. h. die große Masse des Stadt- und Land-Proletariats stimmen und für wen sie stimmen werden? General Cavaignac dürfte für
seine Aufopferung bitter enttäuscht werden.
An starken Hieben und Fußtritten auf die Sozialisten und Kommunisten fehlt es in diesem Rundschreiben wahrlich nicht.
„Ausgearbeitet (heißt es darin) im Angesichte aufrührerischer Theorien — soll heißen: in Gegenwart Leroux's und Proudhon's — welche Eigenthum, Familie und alle
möglichen und heilsamen Bedingungen der Arbeit angreifen, hatte die Verfassung nicht nöthig, diese ewigen Grundsätze, auf welchen alle Rechte beruhen, von Neuem zu stärken. Sie brauchte sie nur zu
konstatiren, anzuerkennen und durch feierliche Erklärung zu bestätigen. Ihr Inhalt fügt darum Ihrer Amtsthätigkeit in dieser Beziehung nichts bei. Jede Zeit hat ihre Irrthümer und Gefahren. Sie kennen
die Irrthümer, die Gefahren unserer Epoche. Sie werden daher fortfahren, Sie mit der Ergebung zu bekämpfen, welches die Republik Ihrer Seits zu erwarten das Recht hat.“
Die Bonapartisten und Legitimisten kommen viel gnädiger weg. „Das Land leidet — heißt es im Rundschreiben — und einige wenig aufgeklärte Menschen sind nur zu sehr geneigt, ihre
Leiden und Entbehrungen den Grundsätzen der republikanischen Regierungsform selbst zuzuschreiben. Bestreben Sie sich, diese fünesten Tendenzen zu bekämpfen u. s. w.“
Schließlich wird der Geistlichkeit Weihrauch gestreut: „Die Nationalversammlung hat bestimmt, daß die Verfassungsverkündigung einen religiösen Charakter trage. Die Regierung faßte diesen
Gedanken zuerst und hofft auf Ihre Unterstützung. Die Verfassung gewährleistet jedem Bürger die freie Ausübung seines Religionskultus und hält das ewige Gesetz der Gewissensfreiheit fest. Sie werden,
das weiß ich, bei allen Dienern der Kirche mit patriotischem Eifer unterstützt werden u. s. w. Sie haben dem Minister, unter dessen Departement Sie gehören, über den Erfolg der
Verfassungs-Promulgation Bericht zu erstatten.
(gez.) General E. Cavaignac.“
— Der Moniteur enthält heute das Programm zu dem morgigen Verfassungsfeste.
— Das vorläufige Manifest Cavaignac's an die Beamten- und Militärwelt ist aus der Feder Dufaure's geflossen. Cavaignac händigte dem Minister gestern mehrere beschriebene
Blätter ein, die dieser mit Hülfe Viviens ganz umschrieb und nach seinem Geschmack zustutzte. Cavaignac, der feine Diplomat, läßt Alles geschehen.
— Der Siecle ist ganz entzückt über das Cavaignac'sche Rund-
[0739]
schreiben. Die „Presse“ erklart dieses Entzücken auf folgende Weise: „Man geht mit dem Plane um, die Kultusangelegenheiten von dem öffentlichen Unterricht zu trennen und ein
eigenes Ministerium daraus zu bilden, dessen Portefeuille für Hrn. Perrée, Haupteigenthümer des Siekle, bestimmt ist.“
Dieser Perée ist ein christlicher Jude, der durch Wucher und enorme Zinsprellereien sehr reich und angesehener Börsenmann (jetzt Volksvertreter) wurde.
— Die Ausschüsse der Klubs haben sich für den Kampfer-Doktor Raspail im Donjou zu Vincennes als Präsidenten der Republik entschieden. Ledru-Rollin bietet Alles mögliche auf, um sich mit dem
Volk auszusöhnen. Aber Proudhon sagt: Ich will nicht! Und Hr. Rollin wird Mühe haben, diesen Widerspruch zu besänftigen.
— Die Todtenfeier, die zu Ehren der gefallenen Wiener heute in der Notre-Dame-Kirche stattfinden sollte, ist auf übermorgen in der Kirche von St. Merry verschoben.
— So eben erscheint ein republikanischer Almanach für 1849, unter dessen Herausgebern Beranger, Louis Blanc, Lamenais, Ledru-Rollin, Felix Pyat, E. Quinet, Raspail, Jean Reynaud und George
Sand genannt sind. Das Buch adressirt sich ganz an's Volk (wie dies die Namen der Redakteurs auch schon erwarten lassen), und ist durch einen geringen Preis (1/2 Fr.) auch den Aermern
zugänglich. La Reforme erwähnt desselben mit den größten Lobsprüchen.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 10. Novbr. Anfang 1 Uhr. Präsident Marrast.
Die Bänke sind so leer, daß Marrast zum Namensaufruf schreiten läßt. Etwa 200 Deputirte (meistentheils Freunde Marrast's) sind in die Departements geeilt, um die Cavaignac's
Präsidentenwahl Propaganda zu machen.
Nach Verlesung der Namen wird die Versammlung beschlußfähig. (555) St. Brieuc und Montauban (zwei Städte) und die Departements Finistere, Seine, Tarn und Garonne erhalten die Genehmigung, sich
außerordentlich zu besteuern, um ihr hungriges Proletariat zu beschäftigen.
Die Versammlung will die Budgetsdebatte wieder aufnehmen.
Lignier, Berichterstatter des Ausschusses für Departements und Gemeindeverhältnisse, ersucht die Versammlung, doch erst die dringenden Kreditverlangen für jene Verhältnisse im Betrage von
146 Millionen Franken zu erledigen. Die Kredite seien von den Generalräthen und Stadtbehörden längst geprüft u. s. w.
Die Summe von 146 Millionen wird genehmigt und die Versammlung kehrt zum Büdget zurück. (Kapitel: Ministerium des öffentlichen Unterrichts.)
Charles Dupin hatte sich gestern etwas gegen die Reformen und Ersparnisse ereifert und gewaltig dem vorigen Unterrichtsminister Vaulabelle gegrollt, weil er im Verein mit dem
Finanzausschusse gewagt hatte, die Vorrechte und fetten Gehälter der Herren Professoren beschneiden zu wollen. Die Pariser Universität hat nur das mit dem Bauernstande gemein, wenn man sie am
Geldbeutel ergreift, so schreit sie gewaltig.
Victor Hugo, Charlemagnc, Bourbeau, Souvaire, Barthelemy nehmen an der allgemeinen Diskussion Theil, aus der wir allerdings eine Menge allgemeiner Phrasen zu übersetzen hätten, wenn Deutschland
überhaupt jetzt glaubt, sich mit Gemeinplätzen zu übersalben.
Endlich wird die allgemeine Diskussion geschlossen, und der Kredit von 353,000 Fr. für die Unterhaltungskosten der Universität (unter Kapitel 4) zur Berathung gezogen. Der Finanzausschuß will 18000
Fr. abziehen.
Bayer bekämpft einen so bedeutenden Abzug.
Baulatignier, Deslongrain gerathen in großen Eifer und streiten sich noch wegen des Abzugs von 18.600 Fr.
Das Ersparnißsystem des Finanzausschusses rücksichtlich des Ministerialbüdgets für den öffentlichen Unterricht fand lebhaften Widerspruch. So wurde z. B. vorgeschlagen von den Lehrergehalten der
kaum ins Leben gerufenen Normalschulen die Summe von 30,000 Fr. abzuziehen.
Freslon, Unterrichtsminister, bemerkt mit Bedauern, daß sich die Versammlung in 2 Lager spalte, in ein universitätfreundliches und in ein universitätfeindliches. Dieser Zwiespalt müsse seit
dem 24. Februar aufhören.
Die Debatte über neue Anträge auf Gehaltsabzuge der akademischen Lehrergehalte ruft einen Professor aus dem mittäglichen Frankreich, Gartien Arnand auf die Bühne.
Derselbe beginnt die Vorlesung eines voluminösen Manuscripts.
Die Versammlung verliert indessen die Geduld nnd verschiebt die zweite Hälfte dieses Vortrags auf morgen.
Die Sitzung wird um 1/4 vor 6 Uhr aufgehoben.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 11. November. Anfang 1 Uhr Präsident Marrast.
Es sind kaum hundert Deputirte anwesend. Sie stecken alle in den Conferenzsälen. Marrast läßt sie holen.
Eschevery wünscht, daß man die Eintrittskarten zum morgigen Fest durch die Huissiers austheilen lasse.
Marrast: Sämmtliche Glieder haben sich an die Quästur zu wenden.
Vivien legt einen Gesetzentwurf auf das Büreau, der jedem Inhaber einer Minen-Conzession die Erwerbung einer zweiten Conzession verbietet. (Sehr gut).
Ferner wird ein Ausschußgutachten rücksichtlich der Ausbeutung der Bahn von Vierzon nach Bec d'Allier niedergelegt.
Die Versammlung nimmt mehrere Anträge von Departements (Lot und Garoum etc.) vor, die um die Erlaubniß bitten, sich Behufs der Beschäftigung ihres Proletariats übersteuern zu dürfen.
Stimmen: Aber wir sind ja nicht beschlußfähig! Die Bänke sind leer!
Marrast: Ich werde über den ersten Antrag sogleich das Skrutin eröffnen lassen
Diese Maßregel verbreitet sich wie der Wind und die Deputirtrn eilen aus den Conferenzsälen herbei, um abzustimmen. Sobald sie aber ihre Namen in die Urne geworfen, verlassen sie wieder ihre Plätze
und kehren in die Nebensäle zurück, wo stark gekannegießert wird. Wir erfahren bei dieser Gelegenheit, daß am nächsten Montag ein ganzer Schwarm von Deputirten in die Departements abreist, wodurch
dann wohl gezwungene Ferien eintreten werden.
Die Departements Loire und Cher, Unter-Seine, Somme etc. erhalten die Erlaubniß zur Uebersteuerung aus ähnlichem Grunde wie oben.
Deville nahert sich der Bühne (Aufsehen). Ich habe die Ehre, Ihnen im Namen der studirenden Jugend von Paris, 2000 an der Zahl, einen Antrag auf vollständige Befreiung der Mai- und Juni-Insurgenten
zu überreichen. (Oh, oh! zur Rechten. Beifall vom Berge).
Somit zerfallen die Gerüchte von selbst, welche heute meldeten, die Studenten wollten uns bestürmen und uns gleich dem 18 Brumaire zum Fenster hinauswerfen.
Die Petition geht an den Petitionsausschuß zur Begutachtung.
Die Versammlung will hierauf die Büdgetdebatte wieder aufnehmen.
Marrast läßt aber vorher einen Kredit von 500,000 Frks. zum Ankauf von Zuchthengsten zur Genehmigung bringen.
Stimme: Dieser Gegenstand ist für den Ackerbau wichtig und doch sitzt der Ackerminister nicht auf seinem Platze!
Marrast: Dann kehren wir zum Büdget zurück! (Unterrichtsdepartement).
Man entsinnt sich, daß Cavaignac mit einem Federstriche 7 Akademien abschaffte
Vaulabelle vertheidigt diese Maßregel. Gatei-Arnauld und mehrere Professoren bekämpfen sie.
Nach langer Debatte wird der Antrag Arnould's:
„Die sieben Akademien, welche das Dekret vom 7. September aufhob, mit den alten Jesuiten bestehen zu lassen“
verworfen. Die 7 Akademien bleiben unterdruckt.
Marrast: Es verlangen abermals 26 bis 30 Glieder Urlaub (Oh, oh!)
Lherbette donnert gegen diese propagandistischen Reise-Emissäre (es sind meistens alle Ledru Rollin'sche Commissarien) und stellt den Antrag, es solle über diese Urlaubsgesuche geheime
Abstimmung erfolgen.
Dieser Antrag wird unterstützt.
Das Skrutinium dauert 3/4 Stunden und ergibt folgendes Resultat:
Zahl der Stimmenden 532.
Gegen die Urlaube 196.
Für dieselben 336.
Die Urlaube sind somit bewilligt. Die Versammlung, die 500 zählen muß, um beschlußfähig zu sein, wird bald gezwungen aufgehoben sein.
Marrast: Ich ersuche die Versammlung, morgen mit ihren Schärpen sich um 81/4 Uhr früh einzufinden, um dem Promulgationsfest beizuwohnen.
Die Sitzung ist um 1/46 Uhr aufgehoben.