Deutschland.
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] Köln, 13. November.
Der „Redakteur en chef“ der „Neuen Rheinischen Zeitung“ hat so eben einen neuen Erscheinungsbefehl von dem hiesigen Instruktionsgericht für den 14. November
erhalten.
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] Köln, 13. Nov.
Wie einst die französische Nationalversammlung ihr offizielles Sitzungslokal verschlossen fand und in dem Ballspielhause ihre Sitzungen fortführen mußte, so die preußische
Nationalversammlung im Schützenhause.
Der im Schützenhause gefaßte und von uns nach unserm Berliner ⊙-Korrespondenten im heute Morgen ausgegebenen Extrablatte mitgetheilte Beschluß, wonach Brandenburg zum Hochverräther
erklärt ist, findet sich nicht im Berichte der „Kölnischen Zeitung.“
Indessen geht uns so eben der Brief eines Mitgliedes der Nationalversammlung zu, worin es wörtlich heißt:
Die Nationalversammlung hat einstimmig (242 Mitglieder) erklärt, daß Brandenburg sich durch diese Maßregel (die Auflösung der Bürgerwehr) des Hochverraths schuldig gemacht habe, und ein jeder,
welcher zu der Ausführung dieser Maßregel aktiv oder passiv mitwirkt, als Hochverräther zu betrachten sei.
Die Glaubwürdigkeit Dumont ist bekannt.
Indem die Nationalversammlung Brandenburg zum Hochverräther erklärt, hört die Steuerverpflichtung von selbst auf. Einer hochverrätherischen Regierung schuldet man keine
Steuern. Wir werden unsern Lesern morgen ausführlich mittheilen, wie man es in dem ältesten konstitutionellen Lande, in England, bei ähnlichen Collisionen, mit der Steuerverweigerung
hält. Uebrigens hat die hochverrätherische Regierung selbst dem Volke den richtigen Weg gezeigt, indem sie sofort der Nationalversammlung die Steuern verweigerte (die Diäten u. s. w.)
und sie auszuhungern sucht.
Der oben erwähnte Deputirte schreibt uns ferner:
„Die Bürgerwehr wird ihre Waffen nicht abgeben.“
Der Kampf scheint also unvermeidlich und es ist die Pflicht der Rheinprovinz mit Männern und Waffen der Berliner Nationalversammlung zu Hülfe zu eilen.
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] Köln, 12. Novbr.
So eben erheitert uns ein Artikel der Kölnischen Zeitung! „Unsere Lage“, ist diese Tartine überschrieben. *** Köln, 11. Nov.“
Wir kennen diese *** Artikel, ganz Köln kennt sie, ganz Deutschland, ganz Australien. Manche alte Jungfer ist schon dabei eingeschlafen, mancher alte Stadtrath hat schon darüber genießt und mancher
Fromme hat sich schon halb krank darüber gelacht.
„Was mag Herr Brüggemann zu den neuen Berliner Ereignissen sagen?“ fragten wir uns heute Morgen, als wir mit andächtiger Seele dem Bette entstiegen. „Jesus, Maria,
Joseph! wie wird dem armen Manne zu Muthe sein ‒“ und sofort machten wir mit dem ersten besten Bekannten eine Wette, daß wir am Abende einen Leitartikel zu Gesichte bekommen würden, wie
die Welt ihn noch nie gesehen habe.
Unsre Wette ist gewonnen. Hr. Brüggemann hat sein Mögliches geleistet. Sein Leitartikel über das Ministerium Brandenburg-Manteuffel ist werth, daß er im Walraf'schen Museum mit alten Waffen,
Steinen und Knochen für die spätesten Enkel der heiligen Stadt Köln aufbewahrt wird.
Hr. Brüggemann schildert uns in wenigen Worten alle Schrecken der Gegenwart: die königliche Botschaft, die Verlegung und die Vertagung der Versammlung, das Auftreten des Minister-Präsidenten und
den Protest der Repräsentanten. „Dies sind Thatsachen“ ‒ heißt es dann wörtlich ‒ „und wir müssen uns ruhig eingestehen: unter ihnen lauert ‒ kaum noch
vermeidlich ‒ das unermeßliche Unglück einer neuen Revolution!“
Eine neue Revolution! Das ist hart für einen Brüggemann. Mit fliegenden Haaren, mit stieren Augen und, nicht zu vergessen, mit dem allerschönsten Katzenbuckel sehen wir den armen Mann durch das
Dumont'sche Redaktionszimmer laufen und vergebens nach dem Reste alter Weisheit suchen, nach irgend einem Auswege aus dieser schlimmsten der Fatalitäten.
Mit Paris konnte man schon fertig werden; mit den Juniinsurgenten ließ sich leicht genug umspringen. Ein halbes Dutzend Schimpfworte auf die Arbeiter-Banditen, auf diese Brandstifter und
Vitriolungeheuer genügten, um die Sache zum Schluß zu bringen, und das Gemüth unseres Freundes zu beruhigen und die Spalten der Kölnischen Zeitung zu füllen. Auch mit Wien war die Geschichte nicht so
schwer. Vierzehn Tage lang hintereinander zeigte man den gläubigen Lesern an, daß das arme Wien bombardirt werde, daß Wien brenne ‒ „Wird Wien doch einmal brennen!“ dachte Hr.
Dumont ‒ „und dann hast du Recht“ ‒ und Hr. Dumont hatte Recht.
Aber Berlin? Das ist schlimm, daß ist ein kitzlicher Punkt. Hr. Brüggemann reibt sich die Stirn. Endlich blitzt es in seinem Schädel auf und mit Salbung fährt er fort: „Wir wollen heute
nicht anklagen, nach keiner Seite hin! Mit andern Worten: „Wir wollen heute noch gar nichts sagen.“
Großer Politiker! Bescheidener Brüggemann! Aus reiner Bescheidenheit will Hr. Brüggemann der Weltgeschichte nicht vorgreifen. Am allerwenigsten denkt er daran, vor dem Eintreffen der nächsten Post
zu einem Urtheil zu kommen. Erst die Post, mit netten runden Fakten lös't Hrn. Brüggemann die Zunge und das einzige, wozu er sich einstweilen ermannen kann, ist der kühne Ausspruch: „Das
Grundübel, das böse Verhängniß war gegenseitiges Mißtrauen.“
Wir überlassen es unsern Lesern zu errathen, was das Grundübel des Hrn. Brüggemann ist ‒ ‒
Doch der ehrenwerthe Mann sammelt sich: „Die einzige Rettung des Rechtsbodens der Vereinbarung, wenn eine solche noch möglich ist, würde in der Anerkennung eines höhern
Schiedsrichters liegen.“
„Und daß der Herr Brüggemann wieder herum auf dem alten Rechtsboden stolpere.“ (N. Rh. Z. v. 13. Oktober).
Wir schrecken freudig zusammen. Ja, wahrhaftig, indem er plötzlich auf seinen Rechtboden losstolpert, hat Hr. Brüggemann den Stein der Weisen gefunden und als echter Quacksalber setzt er nun auch
noch das lindernde Pflaster auf die Geschwüre seines kranken Artikels. Dieses lindernde Pflaster besteht in nichts anderm als in der Anerkennung der „Reichsgewalt“ in der Anerkennung
eines „Reichskammergerichts“ mit seinem modrigsten Plunder.
„Das Reichskammergericht für zweifelhafte Fragen des Staatsrechts, für die Entscheidung des Rechtsstreites zwischen Fürsten und Ständen lebt nicht mehr; aber ist nicht in der
Reichsgewalt der Anfang einer neuen so heilvollen Instanz wiedergeboren.“
Herr Brüggemann ist zu Ende. Wie wird sich ein Mohl, ein Bassermann, ein Schmerling freuen, wenn sie die wohlmeinenden Absichten unseres Freundes erfahren. Hr. Brüggemann: Reichskammergerichtsrath!
Das wird ihre Antwort sein. Die Leute, die Wien ruhig brennen und untergehen sehen, werden den Literaten der Kölnischen Zeitung zu retten wissen.
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] Köln, 13. Novbr.
Die Berliner Ereignisse haben allen Spaltungen der politischen Parteien unserer Stadt ein Ende gemacht. Es gibt nur noch eine Partei, der die ganze Stadt angehört, nur eine Partei,
die voller Entrüstung über das Attentat der Contrerevolution, fest entschlossen ist, ihr Hand in Hand mit der Nationalversammlung, auf's entschiedenste entgegenzutreten.
Schon am Samstag Mittag wurde im Eiser'schen Saale eine Volksversammlung gehalten, in der man Arbeiter, Kaufleute und Beamte in buntem Gemisch durcheinander wogen sah. Redner aller Stände
bestiegen die Tribüne und rasch einigte man sich über die folgende Adresse an die Nationalversammlung:
„Die unterzeichneten Bürger von Köln erklären, daß sich die Versammlung zur Vereinbarung der preußischen Verfassung durch den am 9. d. M. gefaßten Beschluß: „„Der Krone
nicht das Recht zuzugestehen, die Versammlung wider ihren Willen zu vertagen, zu verlegen oder aufzulösen ‒ ““ den Dank des Volkes verdient hat, daß die Unterzeichneten diesem
Beschlusse ihre volle Zustimmung geben und durch alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel dahin wirken werden, demselben Geltung zu verschaffen.“
Gestern Mittag trug diese Adresse etwa 7000 Unterschriften, und große Menschenmassen sammelten sich überall an den Straßenecken, wo der Inhalt der Adresse in Plakaten zur allgemeinen Kenntniß
gebracht wurde.
Die Versammlung des Eiser'schen Saales hatte indeß beschlossen, auch dem Stadtrathe das Resultat der Debatte anzuzeigen und ihn zu fragen, ob er sich der Adresse der Volksversammlung
anschließen wolle. Eine Deputation verfügte sich zu dem Ende auf das Rathhaus. Die Versammlung erklärte sich in Permanenz.
Bei einer so wichtigen Angelegenheit war es nicht anders zu erwarten, als daß der Stadtrath, wenn er nicht schon aus eignem Antriebe einen Beschluß gefaßt hatte, sich wenigstens durch die
Deputation der Volksversammlung zu einem sofortigen Schritte veranlaßt sehen würde. Leider zeigte es sich aber auf's Neue, daß die gute Stadt Köln in ihrem Gemeinderath ein wahres non plus
ultra von Schwäche und Saumseligkeit besitzt, denn auf den zweimaligen Aufruf des Vorsitzenden trat die beschlußfähige Anzahl Mitglieder nicht zusammen. Erst als der dritte Aufruf erfolgt war und der
Stadtrath also gemäß der Gemeindeordnung bei jeder Mitgliederzahl Beschlüsse fassen konnte, stürzten auch die ärgsten Heuler des Gemeinderaths auf ihren Posten, um nun wo möglich die Sache noch zu
hintertreiben.
Daß dies wirklich so der Fall war, geht aus der Abstimmung über die Adresse der Volksversammlung hervor, indem 11 Gemeinderäthe dagegen stimmten und 10 dafür. Da indeß der Vorsitzende, Herr Schenk,
ebenfalls dafür stimmte und seine Stimme den Ausschlag giebt, so wurde die Adresse angenommen. Zu dem Worte „Mittel“ machte man noch den Zusatz: „gesetzliche“.
Dafür stimmten die Herren: Broix, Becker, Schmits, Schneider, Boecker, Raveaux, Riffarth, Classen, Guilleaume und Klein. Dagegen: die Hrn. Stupp, Du-Mont (von der Kölnischen
Zeitung), Groote, Reusch, Frank, Michels, Schnitzler, Heimann Nückel, Hagen und Compes.
Bemerkenswerth ist noch, daß Hr. Stupp allen juristischen Scharfsinn aufbot, um die Annahme der Adresse der Volksversammlung als eine höchst gefährliche Maßregel darzustellen.
Das Verlangen der Volksversammlung, daß der Gemeinderath für sofortige Rückgabe der den Bürgern widerrechtlich entzogenen Waffen, Sorge tragen möge, wurde auf die nächste Tagesordnung, für heute,
Montag den 13., verschoben.
Die Herren Klein und Classen sind von Seiten des Gemeinderaths zur Ueberreichung der Adressen der Volksversammlung und des Stadtraths bereits nach Berlin abgereist.
Die Volksversammlung bleibt in Permanenz.
Auf das Benehmen des Gemeinderaths Joseph Dumont müssen wir namentlich aufmerksam machen. Während er in Nro. 305 der Kölnischen Zeitung vom Sonntag den 12. November, seinen Literaten Brüggemann in
einem Leitartikel sagen läßt: „Wir wollen heute nicht anklagen, nach keiner Seite hin,“ um sich auf diese Weise den Rücken frei zu halten, und je nach dem Ausgang der Geschichte,
grade wie bei den Wiener und Pariser Ereignissen den Mantel nach dem Winde zu hängen, wüthet er bereits unter der Hand in der Gemeinderathssitzung gegen einen Beschluß der das Entweder-Oder der ganzen
Angelegenheit in sich begreift.
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103
] Berlin, 11. November.
Heute Morgen um 9 Uhr versammelten sich gegen 250 Mitglieder der Nationalversammlung aus allen Fraktionen in Mylius Hotel und zogen 9 1/2 Uhr unter dem Jubel des versammelten Volkes nach dem
Schauspielhaus um im bisherigen Sitzungssaal der Versammlung zur Fortsetzung der Berathungen einzuziehen.
Der Präsident Unruh und die Vicepräsidenten befanden sich an der Spitze des Zuges und fanden die Thür verschlossen Der Präsident Unruh verlangte laut, daß die Thür geöffnet werde.
Eine Stimme von innen antwortete: daß auf Befehl des Staatsministeriums Niemand eingelassen werden dürfe.
Unruh verlangt, daß Jemand herauskomme, da er nicht gewohnt sei, durch das Schlüsselloch zu unterhandeln.
Die Stimme von innen antwortete: Ich bin der Commandant des Hauses und bin von höherer Stelle beauftragt, diesen Posten zu halten. Hierauf hielt es der Präsident Unruh nicht für angemessen, länger
zu unterhandeln und sprach: Ich protestire feierlichst gegen die gegen uns angewendete Gewalt und fordere alle Anwesenden auf, sich mit mir nach dem Hotel du Russie zu begeben. ‒ Dort
angekommen, eröffnete der Präsident Unruh die Versammlung durch eine Rede. Er erinnerte an die 16 Millionen Preußen, die in diesem Augenblick ihre Blicke auf diese Versammlung richten. Daher ist es
nothwendig, daß dieselbe auch ferner ihre regelmäßigen Sitzungen fortsetze; eine noch so kurze Suspension der Sitzungen wäre eine faktische Auflosung. Schon sind Adressen aus vielen Städten des Landes
angekommen, welche ihre Zustimmung zu den Beschlüssen der Nationalversammlung zu erkennen geben und zum Ausharren in unserem guten Rechte auffordern. Die Schützengilde und die Stadtverordneten haben
uns ihre Localitäten angeboten. Ich schlage vor, daß wir uns Nachmittags 3 Uhr im großen Saale des Schützenhauses zur Fortsetzung unserer vertagten Sitzung versammeln. Die gegenwärtige Sitzung können
wir wohl blos als eine vorbereitende Versammlung betrachten. ‒ Letzteres findet jedoch Widerspruch. Mehrere Redner wünschen, daß auch diese Sitzung als eine Fortsetzung der gestern vertagten
angesehen werde.
Waldeck gibt endlich den Ausschlag. Er nimmt das Wort: Nicht die Mauern, nicht die Steine bilden die Nationalversammlung, sondern wir, die Abgeordneten des Volks, wir, mit dem Vertrauen des
Volks, wo wir uns auch befinden werden, bilden wir die Nationalversammlung. Ich ersuche daher auch den Präsidenten, die Form zu beobachten und die Worte auszusprechen: „Die Sitzung ist
eröffnet.“ Wer mit mir übereinstimmt, erhebe sich. ‒ Die ganze Versammlung erhebt sich und der Präsident eröffnet die Sitzung. Die Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung muß noch
einstweilen ausgesetzt werden, weil der Sekretär Plönnies erklärt, es sei ihm noch nicht möglich gewesen, das Protokoll zu beenden, indem ihm noch einige Aktenstücke fehlen, die er sich erst
verschaffen müsse, da er dieselbe aus dem Büreau nicht mehr erhalten konnte, welches schon gestern Abend verschlossen war.
Der Präsident beantragt, daß eine Kommission zur Aufnahme eines beglaubigten Protokolls über die Vorfälle an der Thür des Sitzungssaals aufgenommen werde. Wird einstimmig angenommen. Der Präsident
ernennt die Abgeordneten Kirchmann, Jakobi und Blöm zur Aufnahme des Protokolls. ‒
[0734]
Der stattfindende Namensaufruf ergibt, daß 242 Mitglieder anwesend sind. Im Laufe der Sitzung melden sich noch mehrere Abgeordnete.
Auch der Zugführer der Bürgerwehr, welcher heute Nacht im Schauspielhause die Wache kommandirte, erscheint vor der obengenannten Kommission, und läßt sich zu Protokoll vernehmen. Heute morgen
zwischen 3 und 4 Uhr hörte er hinter sich einen ungewöhnlichen Lärm und gleich darauf drängt eine Truppenmasse, welche zu den Hinterthüren Einlaß gefunden, auf die Wache ein, und fordert die
Bürgerwehrwache auf, das Haus zu verlassen. Als sich dieselbe weigerte, sagt der Commandirende: Wollen sie der Gewalt weichen oder nicht? Hierauf mußte die Wache der Bürgerwehr das Schauspielhaus
verlassen. ‒ Auch gegen diesen Akt der Willkür beschließt die Versammlung zu protestiren.
Als Bornemann meint, man möge doch nicht so viel protestiren, sagt Phillips: Wir müssen protestiren fort und fort, gegen jeden Gewaltstreich, damit man einst unsern Kindern nicht
sage, dein Vater war einer von denen, welche das Vaterland verrathen haben. (Beifall).
Kühnemann trägt darauf an, in den nächsten Tagen keine Sitzungen zu halten, damit erst die Meinung des Landes vollständig entgegen genommen werden kann.
Berg: Zunächst trage ich darauf an, daß in dem neuen Lokale auch für die Minister Plätze reservirt werden, dann aber habe ich gegen den vorigen Redner zu bemerken, daß wir allerdings an das
Land appellirt haben, daß aber jetzt, wo das Recht auf der Spitze der Bajonette steht, der gesammte Staatsorganismus krankt; es fehlt ihm der belebende Geist, der Geist des Rechts. Sollte er wieder
gefunden, oder sollte er sich eine neue Form bilden, in jedem Falle müssen wir dafür sorgen, daß dieser belebende Geist nicht fehle, daß der organisirten Anarchie ein organischer Widerstand entgegen
trete. Wir müssen oft und immer zusammenkommen, damit das Volk immer weiß, wo seine Vertreter sich befinden, und daß diejenigen, die es sich frei gewählt hat, es nicht verlassen haben! (Stürmisches
Bravo).
Schulze von Delitsch: Ich will nur noch auf eins aufmerksam machen. Wenn wir auseinander gehen, so heißt das, die Revolution, den Straßenkampf prvoziren.
Waldeck: Sie haben gehört, daß wir Alle darüber einig sind, daß wir zusammen bleiben. Wir müssen dies eben so wie bisher thun, um fortwährend zu wachen und die Rechte des Volks zu
schützen.
Auf den Antrag des Abg. D' Ester wird der Petitionskommission der Auftrag gegeben, über die einkommenden Adressen, welche über die Ereignisse der letzten Tage handeln, täglich einen Bericht
darüber erstatten und drucken zu lassen.
Wachsmuth stellt den Antrag:
„Die National-Versammlung beschließt, daß sie gegen die Verdrängung der Bürgerwehr aus dem Sitzungslokale durch Militär, als einen Akt roher Gewalt, Verwahrung einlege.“
Wird einstimmig angenommen.
Die nächste Sitzung findet Nachmittag 3 Uhr im Saale des Schützenhauses statt.
Schluß der Sitzung 12 Uhr.
Um 4 1/4 Uhr wird die Nachmittagssitzung im Schützenhause mit Verlesung der Protokolle der zwei letzten Sitzungen eröffnet. Der Namensaufruf ergiebt, daß 247 Mitglieder anwesend sind; einige ließen
sich durch Krankheit entschuldigen
Die Stadtverordneten lassen durch eine Deputation, welche vom Präsidenten im Vorsaal empfangen wird, ihre Lokalität anbieten. Die Versammlung spricht ihren einstimmigen Dank den Stadtverordneten
aus, wird aber ihre jetzigen Lokalitäten innebehalten, da dieselben geräumiger sind. Auch der gesammten Bürgerwehr wird der einstimmige Dank der Versammlung für das lobenswerthe Verhalten in den
letzten Tagen und den Schutz, welchen sie der National-Versammlung angedeihen ließ, ausgesprochen. (Stürmischer Beifall).
Hierauf wird der Bericht über die eingegangenen Adressen verlesen. Sämmtlich sprechen sie sich dahin aus, daß die National-Versammlung fortfahren solle, auf dem betretenen Wege fortzugehen und den
reaktionären Schritten der Minister und der Regierung entgegen zu treten.
Von Magdeburg verlangt eine Adresse die Steuerverweigerung bis eine neue, mit der National-Versammlung gehende Regierung, eingesetzt sei.(Stürmischer Beifall).
In diesem Sinne sind schon an 30 Adressen eingegangen. Das ganze Land wird mit Gut und Blut die Volkssouverainetät schützen.
Ein Protokoll über die Vorgänge im Bureau und im Saal der National-Versammlung in vergangener Nacht und heute Morgen wird verlesen. Es ist sehr ausführlich. Nur das ist bemerkenswerth, daß heute
Vormittags 9 Uhr, als die Mitglieder der National-Versammlung vor dem Schauspielhause erschienen, der wachthabende Hauptmann die Gewehre laden und die Zündhütchen aufsetzen ließ.
Rodbertus, Berg, Arntz stellen den Antrag, daß der Präsident sofort eine aus dem Präsidium der Versammlung und 16 Mitgliedern bestehende Kommission von 16 Mitgliedern ernenne, zur Abfassung einer
offiziellen Dankschrift, worin die schwere Schuld, welche das Ministerium Brandenburg auf sich geladen, dem Lande dargelegt werde.
Berg setzt auseinander, daß der Hochverrath des Ministeriums unzweifelhaft sei, daß man aber die Geschwornengerichte abwarten möge, um von ihm das Urtheil sprechen zu lassen.
Wachsmuth setzt auseinander, wie nach dem §. 330 des Allgemeinen Landrechts die Anklage des Hochverraths gegen die Minister zu erheben sei. Wenn es von dieser Versammlung nicht geschähe,
wurde das Volk, aus eigener Machtvollkommenheit die jetzt übliche Volksjustiz ausüben. Wolle man dem vorbeugen, so setze man die Minister in Anklagezustand.
Der Antrag wird fast einstimmig angenommen.
Auch ein Zusatz des Abg. Wachsmuth, zu prüfen inwiefern eine Anklage gegen die Minister zu begründen sein dürfte, wird mit großer Majorität angenommen.
Kirchmann stellt den Antrag: Alle beurlaubten und fehlenden Abgeordneten sogleich einzuberufen, und falls sie bis Montag nicht erschienen, ihre Stellvertreter einzuberufen. Einstimmig
angenommen.
Waldeck, Kirchmann, Jacoby u. A. beantragen: 1) daß die von dem Ministerium verfügte Auflösung der Bürgerwehr eine durchaus ungesetzliche Maßregel sei; 2) daß alle Civil- und Militärbeamte,
welche sich dieser Verfügung unterwerfen, sich des Verraths am Vaterlande schuldig machen; 3) dies sogleich durch den Druck bekannt zu machen.
Waldeck verliest die dem Bürgerwehr-Kommando zugegangenen Aktenstücke, welche die Auflösung der Bürgerwehr ausspricht, weil dieselbe die Nationalversammlung geschützt habe. ‒ Dies ist
die Fortsetzung des Attentats, welche schon hier mit Hochverrath bezeichnet worden ist. Die Absicht dieser Brut wird aber vereitelt werden, sie will das Leichentuch, welches über Wien ausgedehnt ist,
auch über Berlin ziehen. Aber die Kamarilla hat sich diesmal verrechnet. Das großartige Benehmen des Volkes von Berlin wird die errungenen Freiheiten erhalten. Er fährt in begeisternder Rede fort und
endet mit dem größten Beifall.
Wachsmuth schlägt noch das Zusatzamendement vor: die Regierung aufzufordern, diese Maßregel sofort zurückzunehmen; auch das Volk und die Bürgerwehr von Berlin aufzufordern, so lange in
ruhiger Haltung zu verharren.
Der Antrag mit dem Zusatzamendement wird einstimmig angenommen.
Waldeck, Philipps u. A. beantragen: daß das Ministerium Brandenburg weder zur Verwendung der Staatsgelder, noch zur Erhebung der Steuern berechtigt sei.
Unruh. An dem denkwürdigen gestrigen Morgen sagte ich Ihnen, daß das Land jetzt seine Stimme erheben müsse. Die nächsten Städte haben dies gethan. Magdeburg, Stettin und andere Städte haben
dies bereits gethan. Die Steuerverweigerung ist das letzte gesetzliche Mittel und der passive Widerstand den wir anwenden können. Ernennen wir daher eine Kommission von acht Mitgliedern, welcher es
überlassen bleiben soll, den rechten Augenblick abzuwarten, diesen Antrag ins Leben zu rufen. Einstimmig angenommen.
Die Sitzung wird auf morgen Nachmittag 2 Uhr angesetzt.
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103
] Berlin, 11. November.
Um das reaktionäre Kabinet in Sanssouci noch mehr in seinen verschrobenen Ideen zu verstärken, ist Bassermann als Reichskommissär von Frankfurt hier angekommen. Die geistesschwache Centralgewalt
sieht ganz Deutschland durch eine Brille an, sie setzt Preußen, den ganzen preußischen Staat mit seiner vom Volke getragenen Nationalversammlung in eine Kategorie mit dem kleinen Herzogthum Altenburg.
Bassermann ist hierher geschickt, um gegen die Ausführung aller Beschlüsse, welche gegen den Willen der deutschen Centralgewalt gefaßt werden, zu protestiren. Dr. Große, ein alter Republikaner,
bekannt vom Hambacher Fest, besuchte heute Morgen seinen alten Freund, den Bassermann, und war erstaunt, in ihm einen solchen Reaktionär à tout prix zu finden. Er wolle hier eine Vermittlung
versuchen, sagte Bassermann, aber die Nationalversammlung müsse zuerst in Brandenburg sein. Hier in Berlin würde sie unter dem Einfluß der Demokraten, dieser Anarchisten, stehen. Eine Aenderung des
Ministeriums hält er kaum für nothwendig; Unruh als Minister, wäre eine Unmöglichkeit, der ist ja ein Revolutionär! So spricht der deutsche Reichnkommissär. Er macht aber mit diesen seinen Ansichten
der Centralgewalt und die Versammlung in der Paulskirche nur lächerlicher. Kein Mensch denkt mehr an Frankfurt.
Was die Stimmung der Stadt Berlin anbetrifft, so herrscht hier die Ruhe, die einem Sturme vorhergeht. Alle, selbst unsere Bourgeoisie, unsere reiche Kaufmannschaft, die Börse sind entrüstet über
die ungesetzlichen Schritte Sr. Maj. Regierung. Man macht sich damit vertraut, daß es mit der Monarchie auf immer vorbei ist. Die Börse hat der Nationalversammlung einen unumschränkten Kredit
angeboten. Dies wird der Nationalversammlung sehr gelegen kommen, denn die Staatskassen sind ihr für diesen Augenblick verschlossen. In allen Kreisen beeifert man sich, der Nationalversammlung in
jeder Hinsicht entgegenzukommen. Die Stadtverordneten und die Schützengilde bieten ihre Lokalitäten und ihren Schutz der Nationalversammlung an; die ganze Bürgerwehr hat beschlossen die Versammlung
bis auf den letzten Mann zu schützen.
Grabow, der beurlaubte frühere Präsident der Nationalversammlung ist hier angekommen, entrüstet über die Schritte der Regierung. Er hat sogleich seine Zustimmung zu allen Beschlüssen, welche in den
letzten Tagen von der Nationalversammlung gefaßt wurden, erklärt. Er ist um 3 Uhr zum Könige nach Potsdam berufen worden. Er will dem Grafen Brandenburg sagen, daß er ihn für einen Schuft erklärt,
wenn er nicht augenblicklich seine Stelle niederlegt.
Wir gehen einer endlichen Lösung der großen Frage entgegen, welche uns das Frühjahr 1848 gestellt hat. Selbst diejenigen, welche bisher die besten Royalisten waren, versichern unter diesen
Umständen, sei die Republik das einzige Rettungsmittel für Deutschland. Viele Abgeordnete haben bereits an ihre Wähler die Aufforderung zur Steuerverweigerung abgesandt. In einigen Tagen wird
das ganze Land in Feuer und Flamme stehen. Schon cirkulirt das Gerücht, daß sich Breslau in vergangener Nacht erhoben, das Militär aus der Stadt getrieben und eine provisorische Regierung
eingesetzt hat.
So eben um 5 Uhr Abends verbreitet sich die Nachricht, die Auflösung der Bürgerwehr ist dem Kommandanten derselben, Rimpler, bereits angezeigt. Sie habe gegen den Befehl der Behörden, die
Nationalversammlung geschützt, demnach gegen einen Paragraphen des Bürgerwehrgesetzes, welche ungesäumte Erfüllung aller Befehle fordert, sich vergangen.
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@facs | 0734 |
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14
] Berlin, 4. November.
Hier einige Anekdoten. Mit Hrn. Wrangel ist gestern viel Spaß getrieben worden, besonders wegen des berühmten Graswuchses in Berlin. Mehrere vornehme Herren, die sich erdreisteten, vor dem Helden
die Hüte zu lüften, waren genöthigt, diese im Kothe wiederzusuchen, weil das souveräne Volk sie ihnen vom Haupte schlug. Einigen Damen aber, die so zärtlich waren, den Herren Lieutenants Blumensträuße
zuzuwerfen, wurden die seidnen Kleider zerrissen und obendrein erhielten sie die unzweideutigsten Spitznamen. Eine Scene edlerer Art passirte unter den Linden. Dort zog dem einrückenden Militär ein
großer Volkshaufen vorauf und wo sich in den Fenstern der Palläste Figuren mit wehenden Tüchern zeigten, da erhob das Volk ein Wuthgeheul und streckte die geballten Fäuste empor. Aus einem der Fenster
flog ein Blumenkranz, der sich ein Grenadier auf den Helm schlang. Da hielt plötzlich die Menge still, und rief dem vorreitenden Offizier zu, er solle dem Grenadier gebieten, den Kranz abzunehmen,
oder man werde sich dem Weiterziehen widersetzen. Major und Grenadier gehorchten. ‒ Heute morgen amusirte sich ein Herr Baron damit, dem Volke mitzutheilen: daß die Nationalversammlung eine
Schweineversammlung sei, wofür ihn denn das Volk mit einer ungeheuren Tracht Schläge belohnte, und ihn zu Mylius schleppte, wo er als Meerwunder der Versammlung vorgestellt wurde.
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14
] Berlin, 11. November.
Die Magdeburger Deputation, bestehend, aus drei ruhigen alten Männern, wurde heute durch Dr. Große bei dem Reichskommissarius Bassermann eingeführt Hr. Bassermann rechtfertigte in seiner
Unterredung die Schritte des Königs, allein die ruhigen Bürger Magdeburgs erklärten ihm auf's Entschiedenste, daß die Regierung gesetzlos handle, und sie als Vertreter der Provinz jedenfalls,
wenn es Noth thue, die Steuern verweigern würden. Dadurch hätte dem Bassermann ein Licht aufgehen können, wenn dies möglich wäre.
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X
] Berlin, 11. Nov.
In der vorigen Nacht hat das Militär die Bürgerwehr aus dem hiesigen Schauspielhause vertrieben und ein ganzes Regiment Soldaten hineingelegt. In dem Hotel de Russie empfing die
Nationalversammlung die Deputationen der Städte Breslau, Frankfurt, Magdeburg u. s. w., welche die feierliche Versicherung aussprachen, daß die Bewohner der benannten Städte mit Gut und Blut die
Beschlüsse der Nationalversammlung vertheidigen würden.
Es ist jetzt dringendstes Bedürfniß, nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande Volksversammlungen zu halten. Die Bauern müssen gleich an ihre Söhne schreiben, das dieselben
einen Verrath am Vaterlande begehen, wenn sie die Regierung im Kampfe gegen die Nationalversammlung und die blutig errungenen Volksfreiheiten unterstützen wollten.
Morgen wird die Nationalversammlung auf Ersuchen des hiesigen Magistrats im Kölnischen Rathhause ihre Sitzung halten, und vom Magistrat und den Stadtverordneten im feierlichen Zuge aus dem
Schützenhause dahin begleitet werden.
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Berlin.
Beim Austritt aus dem Sitzungslokal des Hotel de Russie empfängt die Abgeordneten wieder der jubelnde Zuruf des Volkes: „Es lebe die Nationalversammlung, es leben unsere treuen
Vertreter!“ ‒ Der Präsident dankte dem umstehenden Volke mit den Worten:
„Die Vertreter des Volkes stehen im Begriffe, alle gesetzlichen Mittel zu erschöpfen. Was aber auch geschehen möge, sie stehen und fallen mit der Freiheit!“
Unter dem donnernden sich durch die Massen hinwälzenden Beifallssturm verließen die Mitglieder den Platz, um sich in den Fraktions-Versammlungen über die ferneren Maßnahmen für heute Nachmittag zu
berathen.
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*
] Berlin, 11. Novbr.
Von allen Seiten strömen Anerkennungs- und Huldigungsadressen der Nationalversammlung zu. Wir erwähnen u. a. die Adresse von Anklam, Münchenberg (für den Lebuser Kreis), Striegau in Schlesien,
Breslau, Spandau, Stettin u. s. w.
Von Magdeburg aus sind folgende Manifestationen ausgegangen:
Bei Ereignissen, wo der ruhige Gang unserer politischen Entwicklungen vielleicht auf die Dauer mehrerer Generationen hinaus in Frage gestellt ist, wie in diesem Augenblick, halten wir es für die
Pflicht jedes guten Bürgers, die Vertreter der Nation darüber nicht in Zweifel zu lassen, ob ihre Beschlüsse mit den Wünschen des Volkes Hand in Hand gehen. Deshalb sprechen wir Einer Hohen
Versammlung es kurz und bündig aus:
„daß Ihre in der Sitzung vom 9. Novbr. gefaßten Beschlüsse unsere ganze Zustimmung haben.“
Wir halten uns überzeugt, daß Eine Hohe Versammlung bei Fassung dieser Beschlüsse Sich in Ihrem vollen Rechte befunden hat, daß Sie auch ferner feststehen, Sich von keiner Seite her einschüchtern
lassen und den unveräußerlichen Rechten des Volkes nichts vergeben wird.
Magdeburg, 10. November 1848.
Die Stadtverordneten-Versammlung zu Magdeburg.
Die Magdeburger Bürgerversammlung von nahe an 2000 Mitgliedern faßte am 10. den Beschluß: die Nationalversammlung möge sofort und namentlich, vor einer eventuell gesetzwidrigen Auflösung derselben
durch rohe Gewalt, beschließen: daß das gegenwärtige, durch Verfassungsverletzung strafwürdige Ministerium Staatsausgaben zu machen und Steuern zu erheben nicht befugt sei, und daß das Land bis zur
Ernennung eines neuen verfassungsmäßigen mit der Majorität der Nationalversammlung gehenden Ministeriums jede Steuereinzahlung verweigere.
Eine Zuschrift der Magdeburger Bürgerversammlung vom 10. d. mit mehr als 3000 Unterschriften versehen, erklärt: „Wir, versammelte Bürger Magdeburgs, protestiren feierlich und mit allem
Nachdruck gegen diesen Staatsstreich; wir erkennen das Recht, ja die Pflicht der Nationalversammlung, sich diesen Befehlen eines Ministeriums, welches also das ganze Volk zum blutigsten Kampf
herausfordert, nicht zu fügen, vollkommen an und sprechen derselben für ihr standhaftes Beharren den unumwundensten Dank und die unbedingte Anerkennung aus.
Proklamation.
Der in meiner Haupt- und Residenzstadt Berlin seit geraumer Zeit herrschende gesetzlose Zustand, der das ganze Land in den Abgrund der Anarchie zu stürzen drohte hat Mich genöthigt, auf den Rath
Meiner verantwortlichen Minister, die zur Vereinbarung der Staatsverfassung berufene Versammlung nach Brandenburg zu verlegen und dieselbe, damit diese Maßregel ausgeführt werden könne, bis zum 27.
dieses Monats zu vertagen. Aus demselben Grunde habe Ich die Truppenmacht in dieser Meiner Haupt- und Residenzstadt ansehnlich verstärken, auch die dortige Bürgerwehr mit Rücksicht auf ihr
ungesetzliches Verhalten in Gemäßheit des §. 3 des über die Errichtung der Bürgerwehr unter dem 17. Okt. d. J. ergangenen Gesetzes bis zu deren Reorganisation auflösen müssen. Ich bin Mir wohl
bewußt, daß diese Maßregeln mannigfacher Mißdeutung ausgesetzt und von einer Umsturz-Partei dazu mißbraucht werden können, auch bei sonst gut gesinnten Staatsbürgern Besorgnisse über den Vollbestand
der Meinem Volke gewährten Freiheiten hervorzurufen. Ich bin Mir aber eben so klar bewußt, daß Preußens und Deutschlands Zukunft diesen Schritt von Mir und Meiner Regierung zu fordern berechtigt war.
Ich wende mich deshalb in dieser entscheidenden Zeit an das ganze Land, an Euch Meine treuen Preußen Alle, mit der Zuversicht, daß Ihr den ungesetzlichen Widerstand, den ein Theil Eurer Vertreter,
uneingedenk ihrer wahren Pflichten gegen Volk und Krone, der Verlegung der Nationalversammlung entgegenstellt, ernst und entschieden mißbilligen werdet. Ich mahne Euch, nicht Raum zu geben den
Einflüsterungen, die Euch glauben machen, Ich wolle Euch die in den Märztagen verheißenen Freiheiten verkümmern, Ich wolle wieder ablenken von dem betretenen konstitntionellen Wege!
Preußen! Ihr, die Ihr noch feststeht in dem alten guten Vertrauen zu Mir, Ihr, die Ihr noch ein Gedächtniß habt für die Geschichte Meines königlichen Hauses und seiner Stellung zum Volke, Euch
bitte Ich, daran ferner festzuhalten, in guten wie in bösen Tagen! Ihr aber, die Ihr schon darin zu wanken beginnt, Euch beschwöre Ich, Halt zu machen auf dem betretenen jähen Pfade und abzuwarten die
Thaten, die da folgen werden! ‒ Euch Allen aber gebe ich nochmals die unverbrüchliche Versicherung, daß Euch nichts verkümmert werden soll an Euren konstitutionellen Freiheiten, daß es Mein
heiligstes Bestreben sein wird, Euch mit Gottes Hülfe ein guter konstitutioneller König zu sein, auf daß wir gemeinsam ein stattliches und haltbares Gebäude errichten, unter dessen Dache, zum Frommen
Unseres preußischen und ganzen deutschen Vaterlandes, Unsere Nachkommen sich ruhig und einträchtig der Segnungen einer echten, wahren Freiheit Jahrhunderte lang erfreuen mögen!
Dazu wolle Gott seinen Segen verleihen!
Sanssouci, den 11. November 1848.
(gez.) Friedrich Wilhelm.
(kontrasignirt) Graf v. Brandenburg. v. Ladenberg.
v. Strotha. v. Manteuffel.
Wir Friedrich Wilhelm, v. G. G., König von Preußen etc.
Nachdem Wir die Verlegung der zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Versammlung nach Brandenburg a. d. H. angeordnet, hat ein Theil dieser Versammlung dieser Anordnung zuwider in ungesetzlicher
Weise hier die Berathung fortgesetzt. Die Bürgerwehr der Stadt Berlin hat aber nicht nur durch eine Erklärung ihres Kommandeurs die Weigerung ausgesprochen, den Maßregeln der Staatsregierung gegen
dieses gesetzwidrige Beginnen die erforderliche Unterstützung zu gewähren, sondern auch thatsächlich die ihre ungesetzlichen und wirkungslosen Berathungen fortsetzenden Mitglieder der
Nationalversammlung fortgesetzt unter ihren Schutz genommen. So sehr Wir es nun beklagen, gegen die Bürgerwehr Berlins, welche, bei einzelnen Gelegenheiten in anerkennenswerther Weise für die Ruhe und
Sicherheit der Stadt gewirkt hat, mit den Uns obliegenden gesetzlichen Maßregeln voranschreiten zu müssen, so sind Wir dennoch verpflichtet, einem solchen, die Ordnung gefährdenden Widerstreben ein
Ziel zu setzen. Wir verordnen daher auf den Antrag Unseres Staatsministeriums und in Gemäßheit des § 3 des Gesetzes über die Errichtung der Bürgerwehr vom 17 Okt. d. J., welcher dahin lautet:
„Durch kön. Verordnung kann aus wichtigen, in der Auflösungsordre anzugebenden Gründen die Bürgerwehr einzelner Gemeinden oder Kreise ihres Dienstes enthoben oder aufgelöst werden.
„Die Dienstenthebung darf nicht länger als 6 Monate dauern. Im Fall einer Auflösung muß die Verordnung wegen der neuen Organisation binnen 3 Monaten erfolgen.“
was folgt:
Die Bürgerwehr der Stadt Berlin ist hiermit aufgelöst, und die betreffenden Behörden sind mit der sofortigen Ausführung dieser Verordnung beauftragt.
Gegeben Sanssouci, den 11. November 1848.
(gez.) Friedrich Wilhelm.
(kontrasignirt) Graf v. Brandenburg. v. Ladenberg.
v. Strotha. v. Manteuffel.
‒ Der König hat dem bisherigen Justizminister Kisker unter Entbindung desselben von der Leitung der Geschäfte des Justizministeriums seine frühere Stelle als Chefpräsident des
Oberlandesgerichts zu Naumburg wieder übertragen, und den Abgeordneten Geh. Ober-Tribunalsrath Rintelen zum Staats und Justizminister ernannt.
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Berlin.
Bei der Besetzung mehrerer Wachen in der hiesigen Hauptstadt durch Truppen wird es erforderlich, das Publikum auf die betreffenden Bestimmungen des Gesetzes über den Waffengebrauch des Militärs vom
20. März 1837 aufmerksam zu machen:
Dieselben lauten:
§. 1. Das in unserem Dienste zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit auftretende Militär ist berechtigt, auf Wache und Posten, die Patrouillen, Transport- und allen
andern Kommandos, auch wenn solche auf Requisition oder zum Beistande einer Civilbehörde gegeben werden, in den nachstehenden §§. 2-6. bezeichneten Fällen von seinen Waffen Gebrauch zu machen.
§. 2. Wird das kommandirte Militär bei einer der erwähnten Dienstleistungen angegriffen, oder mit einem Angriff gefährlich bedroht, oder findet es Widerstand durch Thätlichkeit oder gefähr-
[0735]
liche Drohung, so bedient sich dasselbe seiner Waffen, um den Angriff abzuwehren und den Widerstand zu überwältigen
§. 3. Wenn das Militär bei einer solchen Dienstleistung zur Ablegung der Waffen oder anderer zum Angriffe oder zum Widerstande geeigneter, oder so nst gefährlicher Werkzeuge auffordert, und es
wird dieser Aufforderung nicht sofort Folge geleistet, oder es werden die abgelegten Waffen oder Werkzeuge wieder aufgenommen, so macht das Militär von seinen Waffen Gebrauch, um den ihm schuldigen
Gehorsam zu erzwingen.
§. 6. Jede Schildwache (die Ehrenposten mit eingerechnet) hat sich zum Schutze der ihrer Bewachung anvertrauten Personen oder Sachen nöthigenfalls der Waffen zu bedienen.
Berlin, 10. November 1848.
Kön. Gouvernement. Für den Gouverneur:
(gez.) v. Thümen. Königl. Polizei-Präsidium.
Generalmajor und Kommandant. v. Bardeleben.
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Berlin.
Der Magistrat erließ folgende Bekanntmachung:
„Wir bringen hiermit zur Kenntnißnahme unserer Mitbürger, daß wir in Folge eines in der vergangenen Nacht gefaßten Beschlusses heute Morgen eine Deputation an Se. Majestät abgeordnet haben,
um unsere ehrerbietige Vorstellungen gegen die Verlegung der Nationalversammlung nach Brandenburg anzubringen.
Berlin, 10. Nov. Der Magistrat.
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20
] Berlin, 10. Nov.
Lassen Sie mich die Ereignisse des Tages kurz berichten. Schon um 5 Uhr Morgens hielt die Nationalversammlung eine Sitzung, zur Entgegennahme der an den Präsidenten Unruh theils von Hrn.
Brandenburg, theils von Rimpler eingelaufenen; höchst wichtigen Schreiben, die Ihnen wohl bereits bekannt sind. Noch in der Nacht hatte der Magistrat, diese vorsündfluthliche Behörde Berlins, nach
Potsdam deputirt, um Sr. Maj. seine „ehrerbietigen“ Vorstellungen zu machen. Diese Vorstellungen haben indeß, wie wir hören, Nichts gefruchtet.
Die Bürgerwehr war wieder um das Schauspielhaus aufgestellt; ihr Kommando und Generalstab hatte jedoch beschlossen, den einrückenden Truppen keinen glwaltsamen Widerstand zuleisten. Die Aufstellung
war also nichts, als eine Komödie. Schon gestern Abend waren mehrere Thorwachen zurückgezogen worden; ein Zeichen, daß es der Bourgeoisie schon gestern mit ihrem Widerstande nicht Ernst war. Aber noch
mehr! Als den Kommunalbehörden heut die Anzeige vom Einmarsch der um die Stadt liegenden Truppen gemacht wurde, da beschloß das Bürgerwehrkommando den „passiven“ Widerstand, soweit
auszudehnen, daß es Patrouillen durch alle Straßen schickte, damit jeder Versuch seitens des Volkes, Barrikaden zu bauen, auf der Stelle vereitelt würde. Das ist unsere tapfere Bourgeoisie!
Die Truppen sind nun heut Nachmittags nach 2 Uhr an mehreren Punkten in die Stadt gerückt. Das 2. Garderegiment marschirte zum Brandenburger Thore herein die Linden entlang nach dem Schlosse zu und
postirte sich im Luftgarten, hat jedoch bis zu diesem Augenblicke das Schloß selbst noch nicht besetzt. Dem Regimente folgten mehrere Batterien Artillerie. Um dieselbe Zeit das kaiserl. Alex.-Reg.
nach dem Gensdarmenmarkte, ebenso von mehreren Batterien Artillerie gefolgt und cernirte im Verein mit dem Garderegiment das von Bürgerwehr umgebene Schauspielhaus. Bei diesem Truppentheile befand
sich auch jener Kartätschenheld, „der noch nie sein Wort gebrochen“, der das Gras wachsen sieht und hörte. Wrangel konnte es nicht über sich bringen zu schweigen. Der Alte hielt eine
Rede an die „guten Bürger“, die er aufforderte, mit dem Militär Hand in Hand die Nationalversammlung auseinanderzutreiben. Höllisches Gelächter des versammelten Volkes. Als Hr. Rimpler
ihm erklärte, er werde mit der Bürgerwehr nicht eher den Platz räumen, als bis die Sitzung der Nationalversammlung geschlossen sei, erwiederte Wrangel: „Auch ich werde bleiben, und sollte ich 8
Tage warten. Ich bin an's Bivouaikiren gewöhnt und die Truppen auch. Uebrigens kenne ich keine Nationalversammlung.“ Wieder Gelächter des Volks. ‒ Endlich gegen 5 Uhr ward die
Sitzung geschlossen. Unter nicht endenwollendam Hurrah der Volksmengverließen die Abgeordneten den Sitzungssaal. Jetzt zog die Bürgerwehr ab; bald folgte auch das Militär, das bei den Hauseigenthümern
Quartier bezieht. Bis jetzt sind 15,000 Mann eine gerückt; wie sich der Polizeipräsident (v.) Bardeleben ausdrückt, zur Verwirklichung der königl. Verheißungen. Jeder Hauseigenthümer, welcher
1000 Thlr. Miethzins bezieht, erhält 4-5 Mann in's Quartier.
Die Stimmung des Volks, obgleich eine sehr erregte, gab sich heut doch durchaus nicht im Toben und Schreien kund. Nur beim Einmarsch der Garden erhoben sich Fäuste und Stöcke gegen die
Aristokraten, die aus ihren Palais den Garden mit weißen Tüchern zuwehten. Die ganze Bewegung ist bis zu diesem Augenblicke nichts als eine Bourgeois-Manifestation. Der Arbeiter hat sich bis jetzt
wenig daran betheiligt. Der Brennpunkt des Ganzen ist leider immer noch die Nationalversammlung, von der sich wenig mehr, als vom Wiener Reichstag erwarten läßt. Man sagt, die Nationalversammelten
hätten vor, wenn sie von hier durch die Bajonnette vertrieben würden, jeder in seinen Wahlkreis zu gehen, um dort die Steuerverweigerung zu organisiren.
Plakate, worin das Vaterland in Gefahr erklärt wird und die Würfel fallen, sind in Masse an den Ecken. Auch Hr. Held läßt sich wieder hören; indem er dem Volke vorwirft, daß es seinen
verläumderischen Gegnern so leicht geglaubt habe, brüstet er sich zugleich mit seiner Sehergabe, die Alles, wie es gekommen, vorausgesehen. Er erklärt, daß er in dieser Krise als Privatmann und
guter Demokrat seine Pflicht thun werde; das Volk aber weist er an die demokratischen Volksredner, (die Blauen) als da sind die Brüder Benary, Arnold Ruge, Oppenheim, Mey, Ottensohn etc. ‒ Der
Magistrat zeigt an, daß die Truppen nicht durch die Kommunalbehörden requirirt seien, und Hr. Rimpler endlich ermahnt zur Ruhe.
Unsere Bourgeoisie muß, wie man sieht, noch bittere Lehren empfangen, ehe sie klug wird; wenn sie es überhaupt je wird. Ein großer Theil der Bürgerwehr, vornemlich aber die Preußen sind erfreut
über die Ereignisse des heutigen Tages. Sie jubeln schon an allen Ecken und Enden, ob des unter dem Schutze der Bajonnette wiederkehrenden „Vertrauens“. Die Bourgeoisie ist für Nichts zu
schlecht. Sie wird jede Niederträchtigkeit gegen die Freiheit mit Händeklatschen vollführen, wenn nur die Kurse an der Börse steigen.
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20
] Berlin, 11. Nov.
Unsere Lage hat sich im Wesentlichen wenig geändert. Die einmarschirten Regimenter sind bei den Bürgern einquartirt, die Wachen von Militär besetzt und die Ordre vom 20. März 1837 über den Gebrauch
der Waffe vom Gouvernement und Polizeipräsidium bekannt gemacht. Hr. Wrangel residirt im Schlosse, durch ein Spiel des Zufalls in denselben Zimmern, wo in den Märztagen die Verwundeten lagen. Wrangel
möchte gern Windischgrätz spielen, findet aber vor der Hand gewiß zu seinem großen Aerger keine Veranlassung dazu. Die fliegenden Korps, die entschlossen waren, für die Noth von den Waffen Gebrauch zu
machen, mußten ihre Schießwaffen visitiren lassen und erhielten von der Nationalversammlung Befehl, von jedem Gewaltschritte abzustehen. ‒ Interessant von heut ist die Scene, als der Präsident
der Nationalversammlung an dem verschlossenen Schauspielhause mit dem innenwachthabenden Offiziere durchs Schlüsselloch parlamentirte. Hr. v. Unruh erklärte, daß er nochmals gegen diesen
Gewaltstreich „protestire“, es übrigens unter seiner Würde halte, noch länger durchs Schlüsselloch zu sprechen. (Bravo, Bravo, Bravo!) In corpore und unter Vivats zogen nun die
Deputirten nach der Aula der Universität; aber auch die Wissenschaft wollte eben so wenig wie die Kunst der Politik ihre Hand reichen. Die Deputirten mußten von der verschlossenen Aula abweichen und
begaben sich nach dem Hotel de Russie. ‒ Dieses etwa sind die hauptsächlichsten Vorgänge des heutigen Tage. ‒ Die Straßen waren wieder ungewöhnlich belebt; die Soldaten trugen das Meiste
zu dieser Belebung bei. ‒ Die Aufregung, die das Gerücht von der Entwaffnung am heutigen Abende hervorgerufen hat, ist grenzenlos. ‒ Das Kriminalgericht soll beschlossen haben, in diesem
kritischen Momente keinen politischen Prozeß anhängig zu machen.
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109
] Düsseldorf, 12. Novbr.
Auf die Ankunft der neuesten Berliner Nachrichten, fand gestern Abend sofort eine äußerst zahlreiche Volksversammlung in der Bockhalle Statt. Die Volksversammlung erklärte sich bis auf Weiteres für
permanent und erließ folgende Adresse an die Berliner National-Versammlung die noch heute mit vielen tausend Unterschriften bedeckt wird.
An die preußische National-Versammlung zu Berlin.
Das Vaterland ist in Gefahr. Fünfzehn Millionen haben Ihnen die Wahrung ihrer mit Strömen von Blut errungenen Freiheit anvertraut. Fünfzehn Millionen erwarten, daß Sie kein Titelchen dieser
Freiheit verloren gehen lassen werden, bis der letzte Tropfen unseres und Ihren Blutes verspritzt ist. In diesem Augenblicke, der uber die Geschichte Preußens entscheidet, und indem wir Ihnen die
feurigste Anerkennung für die männliche Entschlossenheit aussprechen, die Sie bewiesen haben, mahnen wir Sie nochmals an die ungeheuere Verantwortlichkeit, die auf Ihnen lastet. In Ihre Hand ist es
gegeben, das Vaterland zu retten. Indem wir auf die rauchenden Trümmern Wiens hinweisen, beschwören wir Sie, nicht gleichfalls aus einer falschen Mäßigung und Scheu den Fluch auf sich laden zu wollen,
das Vaterland aus Schwäche verrathen zu haben. Die Krone hat sich über das Gesetz gestellt; sie steht außer dem Gesetze. Es ist Ihre Pflicht jetzt endlich den Kampf zu einem entscheidenden Ende zu
führen, den Kampf mit einer treulosen und verrätherischen Macht, welche wie die Geschichte Deutschlands seit dem 18. März auf jedem Blatte gezeigt hat, nur den ihr geeigneten Augenblick erwartet, um
räuberisch über die Freiheit des Volkes herzustürzen. Von dem Augenblicke an, der uns die neuesten Nachrichten brachte, erkennen wir keine andere Autorität und Behörde, kein anderes Gesetz mehr an,
als den Willen der National-Versammlung.
Auf Ihren Aufruf, auf einen Wink von Ihnen wird sich im ganzen Rheinlande der Landsturm erheben und nach Berlin eilen, um dort für die Freiheit zu siegen, oder sich für sie in Stücken hauen zu
lassen. Ergreifen Sie den Augenblick, erlassen Sie den Aufruf, wir beschwören Sie, ehe es zu spät ist.
Einer hohen National-Versammlung erwartungsvoll ergebene.
Düsseldorf, den 14. November 1848.
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@facs | 0735 |
Frankfurt a. d. O., 10. Nov.
In einer heut zusammenberufenen Bürgerwehr-Versammlung wurde der Antrag gemacht, eine etwa beabsichtigte Truppenbeförderung auf jede Weise zu verhindern, worauf der zeitige Kommandeur,
General-Lieutenant von Pochhammer, sofort sein Kommando niederlegte. An seine Stelle wurde interimistisch Herr Assessor Pape gewählt. Eine Deputation begab sich zu dem kommandirenden General von
Weyrach, und theilte ihm die Ansicht der Bürgerwehr mit, worauf derselbe erklärte, es sei ihm zwar kein solcher Befehl zugegangen, sollte es aber geschehen, so würde er sich schon Bahn zu machen
wissen. Der Magistrat und die Stadtverordneten haben ebenfalls eine Adresse an den König beschlossen, worin die Schritte der Regierung als gefahrdrohend für das ganze Land und für die Freiheit
geschildert werden. Eine andere Adresse an die Nationalversammlung hat heute über 2000 Unterschriften erhalten, und ist bereits abgegangen.
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@facs | 0735 |
Frankfurt a. d. O., 10. Nov.
Die königliche Botschaft, welche am gestrigen Tage der Nationalversammlung ihre Vertagung und Verlegung nach Brandenburg ankündigte, hat hier, als Zeichen eines offenen Bruchs der Krone mit der
Volksvertretung, die größte Aufregung hervorgerufen. Es zirkulirt bereits nachstehende Adresse an die Nationalversammlung:
„Einverstanden mit dem Beschlusse, den die Hohe Nationalversammlung auf die königliche Botschaft wegen Ihrer Verlegung und Vertagung am 9. d. M. gefaßt hat, erklären wir hierdurch
feierlichst, daß wir mit allen Kräften Ihren darin ausgesprochenen Willen zu unterstützen und Ihre Ehre, die die Ehre des ganzen Volkes ist, zu wahren bereit sind.“
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Halle, 9. Nov.
Gestern Abend haben wir einen kleinen Tumult gehabt, provocirt von Genossen des Preußenvereins. Mit Stocklaternen an der Spitze marschiren Landwehrmänner aus diesem Verein, aus dem goldenen
Pflug, dem Sitzungslokale desselben, nach der Wohnung des Landwehrkommandeurs Alvensleben, singen da das Preußenlied und Heil dir im Siegerkranz, und beurkunden durch vielmalige Hochs, im Gegensatz zu
der Haltung und den Beschlüssen einer letzthin abgehaltenen Landwehrmännerversammlung im Bahnhofe, ihre unbedingte Ergebenheit und Bereitwilligkeit, auch gegen „innere Feinde“ sich
gebrauchen lassen zu wollen. Den Schluß aber sollte eine Katzenmusik machen, dem Bürger Weißgerber, als Veranlasser dieser Versammlung, zugedacht; auf dem Wege dahin wurden sie aber von Lanziers und
andern Demokraten empfangen; die Stadtlaternen verschwanden im Nu, und eine Schlägerei begann, in welcher Letztere das Feld behaupteten. Es wurde Generalmarsch geschlagen; indeß zerstreute sich doch
die Masse und nur kleine Trupps blieben bis spät in die Nacht auf den Beinen.
[(D. A. Z.)]
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@facs | 0735 |
Wien, 8. Nov.
Der Verkehr gewinnt nach und nach an Lebhaftigkeit; der Postenlauf ist wieder in den regelmäßigen Gang gebracht; Briefe kommen und gehen unaufgehalten an die Orte ihrer Bestimmung, nur Zeitungen
werden uns noch immer keine gebracht; ein Umstand, welcher besonders jenen fühlbar wird, welche ihre Mußestunden mit dem Lesen auswärtiger Zeitungen zubringen. Außer der Wiener Zeitung erscheinen
bereits mit Bewilligung des Militär-Kommando's: die Presse ‒ die Geißel und der österreichische Lloyd. ‒ Ein neues konservativ-politisches Journal, herausgegeben von Herr Xyrin
Endlich, wird uns am 10. d. M. durch das Erscheinen seiner ersten Nummer beglücken.
Die Stimmung im Volke bleibt fortwährend düster; der frühere heitere lebenslustige Frohsinn der Wiener ist ganz verschwunden, und hat sich in einen ernsten, man möchte sagen spartanischen Charakter
umgewandelt. Das Militär kampirt noch immer in der Stadt. Die Waffen haben sich aber bereits vermindert. Die Offiziere halten sich von den Bürgern streng abgesondert; aber auch von Letzteren wird ihre
Gesellschaft vermieden. Das Aussehen der Jelachich'schen Truppen ist wirklich schauderhaft; wir konnten uns einen Theil der österreichischen Armee nicht in einem solchen Zustande denken. Die
meisten dieser Soldaten tragen keine Wäsche und hüllen ihren Körper in Hosen mit einem Ueberwurf von Halina nach Art der bekannten in Deutschland herumziehenden sogenannten Rastelbinder. Bewaffnet
sind sie gut.
Jener Hauptmann, welcher am 6. Oktober die Wache im Hofkriegsraths-Gebäude hatte, wurde, weil er den Grafen Latour mit seiner Wache nicht schützte, sondern ihn der Wuth der aufgereizten Menge
überließ, vor ein Kriegsgericht gestellt.
Der gewesene kommandirende General Graf Auersperg hat seine Entlassung genommen, weil man ihm den Vorwurf machte, sein Einschreiten sei am 6. Oktober nicht energisch genug gewesen, um den Aufstand
zu unterdrücken.
Man spricht hier, der Kaiser gedenke sein Hoflager von Ollmütz nach Prag zu verlegen. Verschiedene Hofchargen, welche von hier im Laufe der letztern Tage nach Prag sich begeben, geben diesem
Gerüchte einige Wahrscheinlichkeit.
Es hat hier Jemand berechnet, daß sich in diesem Augenblicke zwei Drittheile der Bevölkerung des österreich'schen Kaiserstaates im Belagerungszustand versetzt befindet. Diese Annahme ist
glaubwürdig, wenn man die große Ausdehnung Ungarn's und Italien's und die starke Bevölkerung zu Wien und zu Lemberg in's Auge faßt.
In früherer Zeit wurde man von den Sicherheitsbehörden zur Vermeidung von Feuersgefahren hart bestraft, wenn man in den Straßen Wien's Taback oder Cigarren rauchte. Jetzt lodern hell auf die
Wachtfeuer so nahe an den Hüusern und unter den Hausthoren, daß sie die Mauern schwärzen, aber Niemand denkt an eine Feuersgefahr. Wie sich doch die Zeiten so schnell ändern können.
Das Belagerungs-Kommando hat gestattet, daß von heute an einige Linien zur freien Frequenz geöffnet werden können. Wir glauben aus allen diesen Zugeständnissen schließen zu können, daß der
Belagerungszustand nicht gar zu lange währen dürfte.
Das Kriegsministerium hat verfügt, daß die Demolirungsreverse bei Häuserbauten auf der Bastei in Wien gänzlich aufgehoben werden.
Der Kaiser hat angeordnet, daß die kriegsrechtliche Behandlung der bei dem letzten Wiener Aufstande betheiligten Individuen aufzuhören habe und daß ein Jeder derselben der ordentlichen
Kriminaluntersuchung zu übergeben ist.
Dem gewesenen Nationalgarde-Ober-Kommandanten Messenhauser soll der Prozeß wegen Hochverrathes gemacht werden. Der Gemeinderath hat sich wegen möglichst schonender Behandlung für denselben an den
Marschall verwendet.
In Kremsier wurden die Lokalitäten zur Abhaltung des Reichstages bereits adoptirt. Das Schloß zu Kremsier hat gegen 160 vollständig möblirte Zimmer. Im Städtchen selbst ist auch kein Mangel an
Wohnungen für die Reichstagsdeputirten. Von den Ministern sollen immer 3 in Kremsier anwesend sein. Man glaubt, das Verfassungswerk könne zu Kremsier in wenigen Wochen zu Stande gebracht werden.
Aus der Umgebung Wien's werden viele durch die Dominien verhaftete Leute nach Wien gebracht, welche während der Unruhen in Wien bemüht waren, das Landvolk zum Landsturm zu bewegen.
[(A. O.-Z.)]
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@facs | 0735 |
Wien, 8. November.
Die Abgeordneten der Linken scheinen ihren Vorsatz, gegen Verlegung des Reichstages nach Kremsier noch weiter zu protestiren, aufgeben zu wollen, da sie sich dadurch unmöglich machen würden.
‒ Man spricht heute vom Eintritt des Grafen Stadion in's Ministerium an Bach's Stelle. ‒ Von heute an ist der Verkehr zwischen den vor den Linien gelegenen Ortschaften und
Stadt und Vorstädten frei gegeben. ‒ Gestern sind zahlreiche Raketenparks auf der Nordbahn nach Ungarn transportirt worden, die Truppen koncentriren sich bei Göding und es heißt, daß am 12. d.
M. der Angriff beginnen soll. ‒ In Südungarn ist Essegg in die Hände der Magyaren gefallen. ‒ Der neu ernannte Gouverneur von Wien, F.-M.-L. v. Welden, wird zwischen heute und morgen
erwartet, man fürchtet seine Strenge, die aus den Ereignissen vor Treviso und Palma nuova bekannt ist. ‒ Auch Juwelen-, Gold- und Silberläden sind nun eröffnet; die größeren Plätze gleichen
aber alle Feldlagern. Die nächtliche Beleuchtung durch die Bivouaksfeuer kömmt bei der mangelnden Gasbeleuchtung sehr zu Statten. ‒ Minister Kraus ist gestern nach Ollmütz berufen worden, ein
sicherer Beweis, daß er im Ministerium verbleibt. ‒ Baron Anselm Rothschild weilt fortwährend in dem nahe gelegenen Penzing, wo er sich die ganze Zeit hindurch aufgehalten. Ein neues Anleihen
steht wohl in ziemlich naher Aussicht.
[(A. O.-Z.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0735 |
Wien, 8. November.
Man erzählt allgemein von dem schlimmen Geiste der nächsten Orte der Umgebung Wiens: Gumpoldskirchen, Mödling, Brüh. Kaum der fünfte Theil der Waffen ward hier auf die erste und zweite Aufforderung
abgeliefert. Gumpoldskirchen mußte drei Mal besucht werden. Erst als ein Husarenoberst mit Infanterie und einem Kästchen Raketen ankam und drohte die Mühle (Depot der verborgenen Waffen) anzuzünden,
kamen alle Gewehre zum Vorschein. Wiederholte Mahnungen mußten an die Mödlinger ergehen, bis die Sereczaner anrückten und mit ihren Handscharen an die Fenster der Häuser klopften. Auf dieses Zeichen
fing man an, die Gewehre und andere Waffen durch die Fenster hinauszureichen. Sehr zweideutig sollen sich die Beamten der Südbahn benommen haben. ‒ Das Anrücken der Ungarn ward durch ungeheure
Feuer auf dem Eichkogl, am Eisernen Thore etc. dem Landsturm angekündigt. Am Eisernen Thore wurde ein Bauer bei einem Feuer ertappt, welches 12 Klastern im Umfang hatte.
[(B. C.)]
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@facs | 0735 |
Döbling, 5. November.
Die Schlechtigkeit und Gemeinheit gehen schon auf dem breiten Stein. Aufhängen, erschießen, einfangen die Kerle, wird breitmäulig perorirt, wie im ehemaligen Polizeistaat, und in den sieben freien
Monaten lernten die Leute noch nicht, daß Ideen nicht mit Kugel und Blei vernichtet werden.
Einstweilen wird das Häscherhandwerk mit Beihülfe verbitterter Einwohner fortgetrieben, und die Zahl der Inhaftirten soll sich auf 3000 belaufen. In der innern Stadt fanden noch keine
Quartierdurchsuchungen Statt, sondern blos jene Localitäten die angezeigt waren, wurden durchsucht; so hatten sich in Daums Elysium an 150 Personen versteckt, und an der Universität fand man nur
proletariatsmäßig gekleidete Leute, deren Hände und Füße aber keine schwere Arbeit vermuthen ließen. Brünner Garden und steirische Schützen wurden mit den Waffen gefangen. Als mehre Arbeiter gebunden
über die Straße escortirt wurden, klatschte man aus Fenstern und Thorflur; unwillig aber drehte sich der begleitende Offizier mit den Worten: Schämen Sie sich; denn die Burschen haben sich tapfer und
unerschrocken, werth einer guten Sache gehalten. Ein Soldat weiß das selbst am besiegten Feinde zu achten; die Einwohner (Bourgeoisie) hingegen haben blos die Drohungen und den Uebermuth des
bewaffneten Proletariats vor Augen.
[(C. Bl. a. B.)]
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@facs | 0735 |
Mödling bei Wien, 5. Nov.
Heute Nachts wurde der bekannte Wiener Reichstagsabgeordnete Pater Füster, der Abends hier angekommen war, um sich wahrscheinlich weiter zu begeben, von Seite des Militärs verhaftet.
Derselbe war wohl mit einem Passirscheine versehen, allein es scheint, daß man zu seiner Festnehmung besondere Weisung hatte. Gleich bei seiner Ankunft in Mödling wurde ihm ein Corporal zu
seiner Bewachung beigegeben und in der Nacht dann das Gasthaus, in welchem er abgestiegen war von Militär besetzt, worauf seine Verhaftung erfolgte. Sechs andere Reisende (Italiener) wurden, da sie
zugleich mit Füster hier ankamen und in demselben Hause eingekehrt waren, anfangs ebenfalls angehalten, jedoch später wieder freigelassen. (Füster war bekanntlich der Revolutionsprediger der
Aula.)
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@facs | 0735 |
Prerau, 8. November.
Die Aussichten haben sich für die kaiserlich österreichische Regierung seit einigen Tagen wieder bedeutend verschlechtert. General Simonic ist am 4. wirklich bei Holicz im Trentschiner Komitat von
einem ungarischen Corps total geschlagen worden und mit Hinterlassung sämmtlichen Geschützes und Gepäckes bei Göding über die mährische Grenze geflüchtet. Man hat ihm alle disponiblen Truppen aus
Mähren zu Hülfe geschickt; da aber im schlesisch-mährischen Gebirge ein sehr bedeutender Bauernaufstand ausgebrochen ist, wohin ebenfalls, wie ich selbst gesehen, viele Truppen gesendet worden sind,
so mag die Unterstützung für Simonic nicht hinlänglich gewesen sein, denn so-
[0736]
eben läuft die Nachricht ein, daß derselbe gestern in der Nähe vo Göding bei Bisenz abermals geschlagen worden ist. Gegenwärtig ist ganz Mähren bis auf die Besatzung von Ollmütz und die gegen die
Gebirgsbauern und Ungarn stehenden Corps von Truppen entblößt und alle Bahnhöfe frei.
Windischgrätz steht mit 60-70,000 Mann zwischen Wien und der ungarischen Grenze; ihm gegenüber an der Leytha Kossuth; in Wien Jellachich mit den Croaten. Die Stimmung der deutschen Oesterreicher
ist sehr bedenklich, sie scheinen durch den Fall von Wien keineswegs niedergeschlagen, sondern nur erbittert zu sein, und das Wort Republik scheint immer klarer vor ihre Augen zu treten, während auch
ihre Aeußerungen viel freimüthiger sind, als man glauben sollte. Von der Studentenlegion, den Mobilgarden und den Provinzialkorps, die in Wien gekämpft haben, weiß man hier noch nichts Bestimmtes. Aus
Oberösterreich und den Provinzen jenseits der Donau kamen blos Gerüchte, aber keine Nachrichten hierher. Einem solchen Gerüchte zufolge soll in Steyermark ein Aufstand ausgebrochen und ein
kaiserlicher General bei Bruck an der Murg geschlagen worden sein. Faktisch ist, daß starke Truppensendungen nach Steyermark erfolgt sind. Ich überlasse es Ihnen die Möglichkeiten und
Wahrscheinlichkeiten zusammenzustellen. Soviel steht fest, daß wir blos das Vorspiel einer Katastrophe gesehen haben und keine 24 Stunden voraus zu bestimmen sind. Noch ist Wien nicht
verloren!
[(A. O. Ztg.)]
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@facs | 0736 |
Prag, 8. Nov.
Auch heute bekamen wir wieder keine Briefe aus dem Süden, da der Nachmittagstrain erst um halb 9 Uhr ankam, und wir uns abermals mit der Ausgabe der Post bis auf morgen gedulden müssen. ‒
Der Rückzug Simonics bestätigt sich. Er war mit etwa 6000 Mann, darunter 3 Eskadronen Reiterei und 12 Kanonen, aus Galizien bis Tyrnau vorgedrungen. Ungarische Kundschafter hatten die ganze Stellung
und Schwäche des Simonic'schen Armeekorps verrathen und die magyarische Armee, an 20,000 Mann stark, machte einen Angriff. Simonic, dessen Truppen durch den langen Marsch und die immerwährenden
Plänkeleien, die sie auf ihrem Wege zu bestehen hatten, ganz und gar ermattet und desorganisirt waren, zog sich vom ungarischen Boden bis nach Göding zurück. Den ganzen acht Meilen langen Rückweg
hatte er mit den verfolgenden Ungarn zu kämpfen, und verlor dabei zwei Kanonen. Die Brücke über die March bei Göding ist abgeworfen, und der ungarische Befehlshaber hat erklärt, daß er, so lange
Simonic auf östreichischem Gebiet verharre, durchaus nicht angreifen wolle, doch sobald ein Angriff auf ungarischen Boden gemacht werde, werde er rücksichtslos in Mähren einbrechen Die Macht der
Ungarn soll eine sehr bedeutende sein, bei Göding allein sollen gegen 40,000, bei Preßburg an 60,000 Mann stehen. Simonics und Jelachichs Truppen aber sind kaum 40,000 Mann stark. Es sind darum auch
schon bedeutende Verstärkungen ihnen zugeschickt worden, von Wien aus mehre Batterien und eine Raketenbatterie. Auch von Prag gingen schon mehre Truppenabtheilungen zur Operationsarmee gegen Ungarn ab
und erst heute Abend ist das 6. Jägerbataillon, welches noch um 11 Uhr Vormittags die Wache bezogen hatte, plötzlich abberufen und mit der Eisenbahn nach Mähren befördert worden.
[(C. Bl. a. B.)]
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!!!
] Frankfurt.
Bericht des Petitions- und Prioritäts-Ausschusses über den Antrag des Abgeordneten Jahn auf Veranlassung einer Untersuchung gegen Mitglieder der konstituirenden National-Versammlung.
Berichterstatter: Abg. Wachsmann.
Der Abgeordnete Jahn hat in der 89. Sitzung der hohen National-Versammlung vom 2 Oktober d. J. an das Reichsministerium folgende Fragen gestellt:
Ob die Gesellschaft des deutschen Hofes vor dem Ausbruche des Aufruhrs pflichtmäßig angezeigt, daß die Empörer und Hochverräther mit ihr in Unterhandlung gestanden und ihr Anträge gemacht?
Warum der Belagerungszustand nicht gebührend gehandhabt werde, wozu namentlich ein Einschreiten gegen die zügellose Presse gehöre, die, wie die Reichstags-Zeitung, den letzten Aufruhr in Schutz
nehme.
Nachdem der Reichsminister des Innern erwidert hatte:
Auf die erste Frage des Herrn Jahn muß ich mit einem bestimmten „Nein“ antworten. Aaf die zweite, welche die Aufrechthaltung des Belagerungszustandes betrifft, muß ich erwiedern, daß
die Justiz thätig sein wird, alle Schuldigen zu ermitteln und zu bestrafen und daß wir das volle Vertrauen haben, die Justiz werde ihre Pflicht vollständig erfullen,
stellt der Abg. Jahn sofort folgenden Antrag:
„In Erwägung,
„daß nicht nur einzelne Mitglieder des Verfassungs-Reichstages, sondern zwei ganze Bruchtheile nicht nur durch das allgemeine Gerücht und die Zeitungen des Inlandes und Auslandes der
Theilnahme am letzten Aufruhre bezüchtigt werden;“
„In Erwägung,
„daß die Mitglieder dieser Bruchtheile vor und während des Aufruhrs mit den Häuptlingen in vertraulicher Verbindung gestanden, sogar die Zurückziehung des Militärs verlangt;“
„In Erwägung,
„daß von jenen Mitgliedern dem Aufruhr Vorschub geleistet worden, und noch jetzt das Unternehmen vertheidigt und beschönigt wird,“
„beschließt der hohe verfassunggebende Reichstag, die sämmtlichen Mitglieder der sogenannten Linken zur Untersuchung ziehen zu lassen, sie bis zu ausgemachter Sache aus der Versammlung zu
entfernen, und ihre Stellvertreter einzuberufen.“
Auf den ersten Blick stellt sich der Antrag als nicht logisch schlüssig dar. Während in der ersten Prämisse von „zwei ganzen Bruchtheilen“ der National-Versammlung, in den beiden
anderen von „Mitgliedern dieser Bruchtheile“ ohne alle nähere Angabe, was unter den „Bruchtheilen“ verstanden sein solle, die Rede ist, ist eine Untersuchung gegen
„die sämmtlichen Mitglieder der sogenannten Linken“ beantragt.
Abgesehen von der Unschlüssigkeit, erscheint der Antrag in allen seinen Theilen unstatthaft. Die beantragte Untersuchung kann nur vor die zuständigen Gerichte gehören, und wenn das Absehen des
Antragstellers darauf gerichtet sein sollte, daß eine gerichtliche Untersuchung von dieser hohen Versammlung veranlaßt werde, so würde auch dieses offenbar ganz außer deren Wirkungskreise liegen.
Selbst durch die Einleitung einer Untersuchung wurde der Antrag auf einstweilige Entfernung der verheiligten Abgeordneten aus dieser hohen Versammlung nicht gerechtfertigt und eine Einberufung der
Stellvertreter für die Dauer der Untersuchung nicht statthaft werden.
Auch läßt sich nicht verkennen, daß der Antrag seiner Form und seinem Inhalte nach ungehorig ist; in ersterer Beziehung bedarf es nur einer Hinweisung darauf, daß so vage aufgestellte, nicht näher
begründete, und zum Theil auf Folgerungen des Antragstellers beruhende Satze nicht geeignet sind, einen Antrag zu motiviren, dessen Zulassung durch die hohe Versammlung für diese und einzelne
Mitglieder unabsehbare Folgen haben konnte. Die Ungehörigkeit des Antrages in seinem Inhalte liegt insbesondere darin, daß Behauptungen darin positiv aufgestellt worden sind, deren Richtigkeit erst
durch die beantragte Untersuchung ermittelt werden müßte, und welche vorher in solcher Weise aufzustellen, die Befugniß mangelt.
Der Ausschuß stellt hiernach den Antrag:
„die hohe Versammlung wolle beschließen, daß über den Antrag des Abgeordneten Jahn in Betrach dessen Unschlüssigkeit und Unstatthaftigkeit, so wie dessen Ungehörigkeit nach Form und Inhalt
zur motivirten Tagesordnung überzugehen sei.“
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Innsbruk, 4. Nov.
So eben wurde in der Ständeversammlung folgende, durch die nach Ollmütz gesandte Deputation überbrachte Antwort des Kaisers auf die überreichte Ergebenheits-Adresse verlesen:
An den ständigen Ausschuß des tyrolischen Landtages, die Landesbehörden und Bürgerschaft von Innsbruck. Ollmütz, 30. Oktbr. Die Eingabe vom 15. d. M., in der Ihr Mir die Treue, Hingebung und
Anhänglichkeit der Bewohner Euerer Provinz darbringt, konnte Mich zwar nicht überraschen; denn stets und noch in neuester Zeit hat Tyrol diese Gesinnungen auf das Glänzendste bewährt; aber zu
besonderm Troste in diesen Tagen schwerer Prüfung gereicht sie Meinem tiefbetrübten Herzen. Es hat mir wohlgethan, zu vernehmen, daß während in andern Theilen Meines Reiches die von den Feinden der
Ordnung ausgestreute Saat des Mißtrauens bereits zur blutigen Ernte gereift ist, unter jenem biedern Alpenvolke die ererbten Tugenden fortleben in ungeschwächter Kraft, und die Künste der Verführung
bisher nichts vermocht haben über sein unerschütterliches Gottvertrauen, seine treue Liebe zu dem Kaiserhaus, sein muthiges Ausharren in der Stunde der Gefahr. ‒ Auf die Anfragen, welche
weiterhin in Eurer Eingabe enthalten sind, werdet Ihr die Antwort mittlerweile in Meinen Manifesten vom 16., 19. und 22. d. M. gefunden haben.
Vor Allem muß die gestörte Ordnung hergestellt werden, um sodann auf den von Mir gewährten und mit Meinem kaiserlichen Worte verbürgten Grundlagen den Neubau des konstitutionellen Oesterreich zu
beginnen. Eine besondere Aufmerksamkeit wird hiebei dem Gemeindewesen zu widmen sein. Ich gedenke ihm die möglichst freie Bewegung innerhalb der natürlichen Gränzen zu sichern. Um aber ein so großes
und wichtiges Unternehmen ‒ die Wiedergeburt des gemeinsamen freien Vaterlandes ‒ zum Besten meiner Staaten baldigst zu vollenden, bedarf es des kräftigen Zusammenwirkens von Regierung
und Reichstag. Mich mit Räthen Meiner Wahl zu umgeben, die zugleich auf das Vertrauen der Wohlgesinnten gerechten Anspruch haben, wird Meine nächste Sorge sein, sowie ich bereits die konstituirende
Versammlung nach einem Punkte verlegt habe, wo sie ihrem wichtigen Berufe unbeirrt und in voller Freiheit nachkommen könne. ‒ Und somit hoffe ich, daß das große Werk Unsern vereinten
Bestrebungen mit Gottes Hülfe gelingen werde, und wir einer bessern Zukunft mit Zuversicht entgegen sehen können. Ferdinand. Wessenberg.
[(Bl. f. T.)]