Deutschland.
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] Köln, 11. November.
Die europäische Revolution beschreibt einen Kreislauf. In Italien begann sie, in Paris nahm sie einen europäischen Charakter an, in Wien war der erste Widerschlag der
Februarrevolution, in Berlin der Widerschlag der Wiener Revolution. In Italien, zu Neapel, führte die europäische Contre-Revolution ihren ersten Schlag, in Paris ‒ die Junitage ‒
nahm sie einen europäischen Charakter an, in Wien war der erste Widerschlag der Juni-Contre-Revolution, in Berlin vollendet sie sich und kompromittirt sie sich. Von Paris aus wird der gallische
Hahn noch einmal Europa wach krähen.
Aber zu Berlin kompromittirt sich die Contre-Revolution. In Berlin kompromittirt sich alles, selbst die Contre-Revolution.
Zu Neapel das Lazzaronithum verbunden mit dem Königthum gegen die Bourgoisie.
Zu Paris der größte historische Kampf, der je stattgefunden. Die Bourgoisie, verbunden mit dem Lazzaronithum, gegen die Arbeiterklasse.
Zu Wien ein ganzer Bienenschwarm von Nationalitäten, der in der Contre-Repolution seine Emancipation vermuthet. Dazu geheime Tücke der Bourgeoisie gegen die Arbeiter und akademische Legion.
Kampf in der Bürgerwehr selbst. Endlich ‒ Attaque von Seiten des Volkes, die der Attaque von Seiten des Hofes einen Vorwand giebt.
In Berlin nichts von alledem. Die Bourgeoisie und das Volk auf der einen Seite ‒ die Unteroffiziere auf der andern.
Wrangel und Brandenburg, zwei Menschen ohne Kopf, ohne Herz, ohne Tendenz, reiner Schnurrbart ‒ das ist der Gegensatz dieser quängelnden, klugthuenden, entschlußunfähigen
National-Versammlung.
Willen! sei es auch der Wille eines Esels, eines Ochsen, eines Schnurrbarts ‒ Willen ist das einzige Requisit den willenlosen Quänglern von der Märzrevolution gegenüber. Und
der preußische Hof, der keinen Willen hat, so wenig wie die National-Versammlung, sucht die zwei dümmsten Menschen in der Monarchie auf, und sagt diesen Löwen: Vertretet den Willen.
Pfuel hatte noch einige Gran Gehirn. Aber vor der absoluten Dummheit schrecken die Raisonneurs der Märzerrungenschaften zurück.
„Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergeblich,“
ruft die betroffene National-Versammlung aus.
Und diese Wrangels, diese Brandenburgs, diese vernagelten Hirnschädel, die wollen können, weil sie keinen eigenen Willen haben, weil sie wollen, wie ihnen befohlen wird, die zu dumm
sind, an Befehlen irre zu werden, die man ihnen mit bebender Stimme, mit zitternder Lippe giebt, auch sie kompromittiren sich, indem sie nicht zum Schädeleinstoßen kommen, das einzige
Geschäft, dem diese Mauerbrecher gewachsen sind.
Wrangel bringt es nicht weiter, als zu gestehen, daß er nur eine Nationalversammlung kennt, die Ordre parirt! Brandenburg erhält Unterricht im parlamentarischen Anstande und, nachdem
er mit seinem rohen, widerlichen Unteroffiziersdialekt die Kammer empört hat, läßt er den „Tyrann übertyrannisiren“ und parirt Ordre der Nationalversammlung, indem er demüthigst um das
Wort bittet, das er so eben noch nehmen wollte.
„Wär' ich doch lieber eine Laus in Schaafswolle, Als solch' tapfre Dummheit!“
Die ruhige Haltung von Berlin ergötzt uns; an ihr scheitern die Ideale des preußischen Unteroffiziersthums.
Aber die Nationalversammlung? Warum spricht sie nicht die mise hors de loi aus, warum erklärt sie die Wrangels nicht für vogelfrei, warum tritt kein Deputirter mitten unter Wrangels Bajonette und
erklärt ihn in die Acht und haranguirt die Soldateska?
Die Berliner Nationalversammlung blättere den Moniteur nach, den Moniteur von 1789 ‒ 1795.
Und was thun wir in diesen Augenblicken?
Wir verweigern die Steuern. Ein Wrangel, ein Brandenburg begreift, ‒ denn diese Wesen lernen arabisch von den Hyghlans ‒ daß sie einen Degen tragen und eine Uniform und Gehalt
beziehen. Woher aber der Degen und die Uniform und das Gehalt, das begreifen sie nicht.
„Es giebt nur noch ein Mittel das Königthum zu besiegen, ‒ nämlich bis zur Epoche der Anti-Junirevolution zu Paris, die im Dezember stattfinden wird.
Das Königthum trotzt nicht nur dem Völker-, es trotzt dem Bürgerthum.
Besiegt es also auf bürgerliche Weise.
Und wie besiegt man das Königthum in bürgerlicher Weise?
Indem man es aushungert.
Und wie hungert man es aus?
Indem man die Steuern verweigert.
Bedenkt es wohl! Alle Prinzen von Preußen, alle Brandenburgs und Wrangels produziren kein ‒ Kommißbrod. Ihr, ihr produzirt selbst das Kommißbrod.
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Berlin, 9. November.
Die nachstehend verzeichneten Mitglieder der National-Versammlung haben sich durch feige Flucht der Abstimmung über die Beschlüsse der heutigen Sitzung entzogen. —
Weggelaufene Deputirte am 9. Novbr.
Althaus, Bürgermeister. Arnold, Gutsbesitzer, Danzig. v. Auerswald, Minister, Frankfurt. Blockhagen, Erzpriester. Berghaus, Gen.-Prokurator. Brehmer, Oberlehrer. Brüninghaus, Gutsbesitzer. v.
Brünneck, Ober-Burggraf. Bumbke, Curatus. Burckhardt, Ortsrichter. Blodan, Gutsbesitzer. v. Borries, Landrath. Clausen, Gymnasial-Lehrer. Dahmen. Dallman, Kolonist. v. Daniels, Geh.
Ober-Revisions-Rath. Diesterweg, Justizrath. Diethold, Bürgermeister. v. Enkevort, Kreis-Deputirter. Feldhaus, Schullehrer. Fließbach, Bürgermeister. Funcke, Dr. med., Recklinghausen. Gellern,
Justizrath. Gelshorn, Kaplan. Graeff, Appelations-Gerichtsrath, Düren. Groddeck, Justizrath. Gartz, Stadtgerichts-Direktor. Hanisch, Bauer. Harkort, Kaufmann. Haugh, Landgerichts-Rath. Herholz,
Erzpriester. Herrmann, Kommis. Hesse, Geh. Finanz-Rath (Solingen). Hofer, Bauer. Hesse, Bürgermeister (Marburg). Jonas, Prediger (Potsdam). Kehl, Justiz-Kommissär. Keiser, Kolonist. Kette, Geh.
Ober-Regierungs-Rath. Kochs, Landgerichts-Rath. Kruhl, Gymnasial-Direktor. Kühlwetter, Minister. Küpfer, Legations-Rath. Kunz, praktischer Arzt. Baron v. Kleist, Landrath. Knoblauch, Geh. Finanz-Rath.
Lensing, Kanonikus. Lingnau, Gymnasial-Oberlehrer. Lohmann, Land- und Stadtgerichts-Rath. Mätzke, Geh. Ober-Regierungs-Rath. v. Meusebach, Regierungs-Assessor. Meyer, Kaufmann. Milde, Kaufmann.
Mrozik, Pastor. Müllensiefen, Kaufmann. Müller, Ortsvorsteher (Solingen). Müller, Unter-Staats-Sekretär (Siegen). Neubarth, Ortsrichter. Neuenburg, Ober-Landes-Gerichts-Rath. Dr. Niemeyer, Direktor.
Ostermann, Ober-Landes-Gerichts-Assessor. Pelzer, Friedensrichter. Pieper, Fleischermeister. Preuß, Dekan. Pleger, Oberschulz. Packenius, Ober-Prokurator. Radtke, Gerichtsmann. Rehfeid, Diakonus.
Reese, Land- und Stadt-Gerichts-Rath. Rombey, Gutsbesitzer. Riedel, Geh. Archiv-Rath, Prof. Rintelen, Geh. Ober-Tribunals-Rath (Meschede). Rintelen, Ober-Landesgerichts-Rath (Paderborn). Ritz,
Regierungs-Rath. v. Reichmeister, Landrath. Rottels, Dr. phil. Sarnes, Friedensrichter. Schadt, Justiz-Amtmann. Scheidt, Kaufmann. Schmidt, Amtmann (Beeskow). Spanken, Gerichts-Rath. Schmitz, Pastor.
Schütze, Justiz-Kommissär. Schulz, Pastor (Marienburg). Semrau, Freischulze. Simons, Geh. Justiz-Rath. Stachelscheid, Amtmann. Sümmermann, Landwirth. Stiller, Kreistaxator. v. Schleicher,
Gutsbesitzer. Tamnau, Justiz-Kommissär. Trip, Bürgermeister. Tüshaus, Oberlandes-Gerichts-Rath. Ulrich, Geh. Ober-Tribunals-Rath (Soest). Upmeyer, Oekonom. Wenger, Pastor. Westermann, Justiz-Rath.
Windhorst, Justiz-Kommissär.
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Berlin.
Die Vorgänge in der Nacht vom 9. Auf den 10. November. Die Nationalversammlung soll mit militärischer Gewalt aufgelöst werden. Während der Nacht sind dem Präsidenten der Nationalversammlung
folgende Schreiben zugegangen:
1. Schreiben des Grafen Brandenburg.
Ew. Hochwohlgeboren haben dem Staatsministerium in dem Schreiben vom heutigen Tage von dem Inhalte mehrerer Beschlüsse Mittheilung gemacht, welche die Nationalversammlung gefaßt haben soll, nachdem
die Verlegung der Versammlung bereits erfolgt war. ‒ Ich halte mich verpflichtet, Sie darauf hinzuweisen, daß dergleichen Beschlüsse nicht nur völlig ungesetzlich und deshalb nichtig sind,
sondern daß auch die Abgeordneten, welche daran Theil genommen, sich der Bemaßung von Hoheitsrechten und eines Vergehens an der Verfassung schuldig gemacht haben.
Indem ich Ew. Hochwohlgeboren überlasse, den Inhalt dieses Schreibens zur Kenntniß der Abgeordneten zu bringen, welche die gesetzliche Schranke überschritten und dem Befehle Sr. Majestät des Königs
den schuldigen Gehorsam verweigert haben, gebe ich Ihnen zu erwägen, daß Sie sowohl, wie die Abgeordneten, welche die Rechte der Krone so schwer verletzt haben, die volle Verantwortung trifft, wegen
der aus diesem ungesetzlichen Schritt etwa entstehenden unglücklichen Folgen.
Berlin, den 9. November 1848.
Der Minister Präsident (gez.) Graf v. Brandenburg.
An den kön. Regierungsrath Herrn v. Unruh.
2. Abschrift einer Requisition des Polizeipräsidiums an das Bürgerwehr-Kommando.
Der Herr Minister des Innern hat in Erwägung:
daß ein Theil der zur Nationalversammlung berufenen Mitglieder, ungeachtet der auf Befehl Sr. Maj. des Königs erfolgten Vertagung, die Berathung fortgesetzt und dadurch die der Versammlung
zustehenden Befugnisse überschritten und die Rechte der Krone verletzt,
mir die Weisung ertheilt, Ein Hochlöbl. Kommando zu ersuchen, die Fortsetzung dieser ungesetzlichen Berathungen zu verhindern. Es wird Einem Hochlöbl. Kommando bekannt sein, daß einige Mitglieder
der Nationalversammlung über Nacht in dem bisherigen Sitzungssaal verbleiben, und daß die Berathungen morgen früh um 9 Uhr fortgesetzt werden sollen. Es kommt daher zunächst darauf an, allen nach dem
Sitzungssaal zurückkehrenden Abgeordneten der Nationalversammlung den Zutritt zu diesem Lokal zu versagen und zu diesem Zweck alle Zugänge zu demselben abzusperren, dabei jedoch auf den ungehinderten
Ausgang der innerhalb des Gebäudes befindlichen Abgeordneten Rücksicht zu nehmen.
Indem ich mich beehre, Ein Hochlöbl. Kommando zu ersuchen, diese Maßregel durch ein starkes Kommando Bürgerwehr in Ausführung zu bringen, bemerke ich ergebenst, daß ich beauftragt bin, einer
gefälligen Antwort bis morgen früh um 6 Uhr entgegenzusehen. Für den Fall, daß eine solche in der gedachten Zeit nicht eingeht, soll angenommen werden, daß Ein Hochlöbl. Kommando nicht beabsichtige,
dieser Reguisition Folge zu geben, vielmehr den königl. Behörden lediglich überlasse, die geeignet scheinenden Maßregeln selbst zu ergreifen.
Berlin, den 6. November 1848.
Das Polizei-Präsidium. v. Bardeleben.
An das Hochlöbl. Kommando der Bürgerwehr.
3. Antwort des Bürgerwehr-Kommando's auf diese Requisition.
Indem das unterzeichnete Kommando den Empfang von Ew. Hochwohlg. Schreiben vom gestrigen Tage hiermit bescheinigt, beehrt es sich in Uebereinstimmung mit den Bataillonskommandeuren der Berliner
Bürgerwehr Folgendes zu erwiedern:
Nach §. 1. des Bürgerwehrgesetzes ist der wesentliche Beruf der Bürgerwehr, die verfassungsmäßige Freiheit und die gesetzliche Ordnung zu schützen. Wenn nun auch das Land zwar noch keine
Verfassung hat, so ist doch die Nationalversammlung durch das Patent des Königs zur Vereinbarung der Verfassung mit der Krone, ausdrücklich nach Berlin berufen, und auch das Wahlgesetz vom 8. April d.
J. ordnet das Zusammentreten der Nationalversammlung in der Hauptstadt an. Wenn nun diesen Gesetzen und den Beschlüssen der Nationalversammlung entgegen, die Krone nicht nur die Verlegung der
Versammlung von Berlin nach Brandenburg, sondern auch deren Vertagung auf 17 Tage dekretirt, so muß die Bürgerwehr hierin eine Gefährdung der durch Gesetze und königl. Versprechen dem preußischen
Volke gewährleisteten Rechte und Freiheiten erblicken, mithin die Aufgabe für sich erkennen, für diese Freiheit, nicht aber gegen dieselbe einzutreten. Dies letztere würde aber
geschehen, wenn die Bürgerwehr der Majorität der Nationalversammlung in der Freiheit ihrer Versammlungen und ihrer Beschlußnahme sich gewaltsam entgegenstellen wollte.
Wenn schon aus diesem, völlig legalen und durchgreifenden Grunde das unterzeichnete Kommando nicht in dem Falle sich befinden kann, der Requisition Ew. Hochwohlg. Folge zu geben, so wird ihm dies
noch überdies durch die Vorschrift des §. 65. des Bürgerwehrgesetzes ausdrücklich untersagt. Dieser §. verordnet nämlich ganz bestimmt,
daß die Bürgerwehr, sobald es der im §. 1. angegebene Zweck erheischt, auf Requisition des Gemeindevorstehers oder der von ihm delegirten Gemeindebeamten, sowie der demselben vorgesetzten
Kreisbehörde in Dienstthätigkeit tritt.“
Der §. 128. desselben Gesetzes bestimmt ferner, daß bis zur Einführung der neuen Kreis- und Bezirksordnung die den Bezirks-oder Kreisvertretungen beigelegten Verrichtungen von den Regierungen und
Landräthen wahrgenommen werden sollen. Das Kommando vermag nun einmal aus dem Bürgerwehrgesetze für den Minister des Innern kein Recht zu erfinden, die Requisition der Bürgerwehr durch eine königl.
Behörde anzubefehlen; sondern es ist der Meinung, daß selbst im Falle eines solchen Befehls die Gemeindebehörde der Stadt Berlin nicht übergangen werden darf und endlich kann es Ew. Hochwohlg.
als einem einzelnen königl. Polizeibeamten nicht die gleiche Befugniß zugestehen, wie sie durch das Gesetz den Regierungen, d. h. den Regierungskollegien bis zur Einführung der neuen Kreis- und
Bezirksordnung beigelegt worden ist.
Das Kommando der Bürgerwehr bedauert hiernach, indem es sich allein auf den Boden des Gesetzes stellt, Ew. Hochwohlg. Requisition von gestern nicht entsprechen zu können, kann jedoch nicht umhin,
zugleich entschiedene Verwahrung gegen jede gesetzwidrige Verwendung militärischer Kräfte zur Beschränkung der Versammlungs- und Berathungsfreiheit der Nationalversammlung oder gar gegen die
Unverletzlichkeit der Personen der Volksvertreter hiermit einzulegen.
Berlin, den 10. November 1848.
Das Kommando der Bürgerwehr.
gez. Rimpler.
An den Königl. Polizei-Präsidenten Herrn v. Bardeleben.
Hochwohlgeboren.
4. Schreiben des Bürgerwehr-Kommando's an den Präsidenten.
Ew. Hochwohlgeboren überreicht das unterzeichnete Kommando Abschrift der so eben eingegangenen Requisition des Polizei-Präsidiums vom gestrigen Tage und stellt mit Rücksicht auf den Inhalt dieses
Schreibens die ganz ergebenste Bitte:
Es wolle Ew. Hochwohlgeboren gefallen, wo möglich auf heute morgen um 5 Uhr die sämmtlichen Vertreter des Preußischen Volkes nach dem Sitzungssaale zu berufen, indem es so der Bürgerwehr am
Leichtesten werden wird, den der hohen Versammlung gebührenden Schutz zu übernehmen und ein blutiges Zusammentreffen zu vermeiden.
Das Bürgerwehr-Kommando:
Rimpler.
Berlin, den 10. November 1848.
An den Präsidenten der Nationalversammlung.
Vertreter des Volks.
Die Arbeiter Berlin's sagen Euch Dank für die Pflichttreue, mit der Ihr die Anmaßungen treuloser Rathgeber der Krone zurückgewiesen habt!
Die blutig errungenen Freiheiten des Volkes werden würdig durch Euch vertreten.
Die Arbeiter Berlin's sind bereit und gerüstet Eurem Rufe Folge zu leisten, wenn man es wagen sollte, die Rechte des Volkes in seinen Vertretern zu verletzen; sie bieten Euch ihren Arm und
ihr Herzblut gegen jeden Feind, der Hochverrath üben wollte an Euch und an den Freiheiten des Volkes!
Berlin, den 9. November 1848.
Das Berliner Bezirkscomite der deutschen Arbeiter-Verbrüderung. Bisky, Vorsitzender, Oschatz, Schulz, Büttner, Eichel.
Das Kattundrucker-Gewerk. Das Klempner-Gewerk. Das Weber-Gewerk. Das Buchbinder-Gewerk. Die vereinigten Arbeiter
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in den Kattunfabriken. Das Schuhmacher-Gewerk. Das Gürtler-Gewerk. Das Seidenwirker-Gewerk. Die Goldschmiede. Das Töpfer-Gewerk. Das Maurer-Gewerk. Das Zimmer-Gewerk. Das Maler-Gewerk.
Die Instrumentenmacher. Das Messerschmiede-Gewerk. Die Maschinenbauarbeiter. Die Schriftgießer. Das Tischler-Gewerk. Die Büreauschreiber. Das Raschmacher-Gewerk. Das Tuchmacher-Gewerk. Die Mechaniker.
Das Drechsler-Gewerk. Die Dachdecker. Das Steinsetzer-Gewerk. Die Wagenlackirer. Das Korbmacher-Gewerk. Das Bürstenmacher-Gewerk. Die Formstecher.
NB. Die Vollmachten der Repräsentanten obiger Gewerke sind beim Sekretariat der Versammlung niedergelegt.
Der Präsident hat sogleich die Mitglieder der National-Versammlung zu einer außerordentlichen Sitzung auf Morgens 5 Uhr zusammenberufen lassen.
Die meisten von den zurückgebliebenen Abgeordneten haben abwechselnd die ganze Nacht im Sitzungslokal zugebracht. Um 2 Uhr wurden auch die fehlenden Mitglieder herbeigeholt.
Um 4 Uhr wurde die gesammte Bürgerwehr allarmirt. In diesem Augenblick beginnt die außerordentliche Sitzung der National-Versammlung.
Der Magistrat hat in einer außerordentlichen Nachtsitzung beschlossen, den König durch eine Adresse dringend zu bitten, die Verlegung der National-Versammlung zurückzunehmen.
Es heißt, daß in der geheimen Hofbuchdruckerei die Plakate bereits gedruckt werden, durch welche der Belagerungszustand über Berlin verhängt werden soll.
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Berlin, 10. Nov.
Außerordentliche Sitzung der Nationalversammlung. Morgens 5 Uhr.
Der Präsident Unruh eröffnet die Sitzung um 5 Uhr Morgens mit dem Bemerken, daß die Nachrichten, welche in der Nacht an ihn eingegangen, das Präsidium dazu veranlaßt haben, mit der
Wiedereröffnung der gestern vertagten Sitzung nicht erst bis 9 Uhr zu warten. Das Protokoll der gestrigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Ein Schreiben des Abg. Daniels zeigt an, daß er auf Grund des § 12 des Wahlgesetzes und der königl. Botschaft sich am 27. in Brandenburg einfinden werde, daß er die, während dieser Zeit
gefaßten Beschlüsse nicht als bindend anerkenne, und dagegen einen Protest mitunterzeichnet habe, dessen Original sich in den Händen des Abg. Tamnau befinde.
Der Präsident erklärt, daß ihm dieser Protest nicht mitgetheilt worden, daß er aber vermuthe, es sei dies jener Protest, welcher gestern als Straßenplakat erschienen.
Weiter zeigt der Präsident an, daß er von den gestern gefaßten Beschlüssen dem Staatsministerium Kenntniß gegeben, und daß ihm darauf eine Antwort des Grafen Brandenburg zugekommen, welche nicht an
den Präsidenten der Nationalversammlung, sondern an den Regierungsrath v. Unruh gerichtet sei. Er wolle sie verlesen lassen. ‒ (Der Sekretär verliest das Schreiben des Grafen Brandenburg. Siehe
unser erstes Extrablatt unter Nro. 1.)
Nach geschehener Verlesung sagt der Präsident: Ich glaube nicht, daß die Nationalversammlung Veranlassung hat, auf dieses an mich persönlich gerichtete Schreiben irgend wie einzugehen.
Weiter werden die von dem Kommando der Bürgerwehr dem Präsidenten zugekommenen Schriftstücke durch den Sekretär v. Plönnies verlesen. (Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 2, 3, 4.)
Endlich wird auch noch die Adresse der Arbeiter mitgetheilt. (Siehe ebenfalls unser erstes Extrablatt.)
Der Peäsident. Die Adresse ist von einer großen Anzahl von Gewerken durch ihre bevollmächtigten Vertreter unterzeichnet worden.
Präsident. Es ist ferner noch eine Deputation des Magistrats vor kurzer Zeit hier gewesen.
Ich habe die Herren Vicepräsidenten Bornemann, Philipps und Waldeck ersucht, zugegen zu sein. Die Deputation des Magistrats theilte mit, daß der Magistrat eine Adresse an Se. Maj. Den König noch am
heutigen Morgen richte, worin er auf das Dringendste bäte, die Verlegung der National-Versammlung nach Brandenburg zurückzunehmen und den Konflikt, der seit gestern eingetreten ist, zu beseitigen. Die
Deputation fügte hinzu, daß sie nicht umhin könne, den Wunsch auszusprechen, daß von Seiten der hohen Versammlung versöhnende Schritte geschehen, und namentlich möge die National-Versammlung auch
dahin wirken, daß nicht Blut vergossen werde. Ich habe darauf der Deputation erwiedert, daß ich ihr zunächst nur meine persönliche Ansicht mittheilten könne. Was den letzten Theil ihrer Aeußerung
anlangte, so stimmte ich damit vollkommen überein. Ich wäre entschieden der Meinung, daß ein von der National-Versammlung provozirtes Blutvergießen der guten Sache nur schaden könne. Ich wäre der
Meinung, daß die Ruhe, welche gestern den Tag über in Berlin stattgefunden hat, das Interesse der guten Sache gefördert, und jeden Vorwand zu Zwangs- und Gewaltmaßregeln, zur Erklärung eines
Belagerungszustandes fortgenommen hat. Ich würde für meine Person es ferner für meine Pflicht halten, in diesem Sinne zu wirken; ich wäre entschieden der Meinung, daß hier zwar passiver Widerstand
geleistet werden könne, und daß die wahre Entscheidung über die schwere Krisis, welche durch die jetzigen Rathgeber der Krone hereingebrochen ist, in der Hand des Landes liege. So lange die Presse, so
lange das Vereinigungsrecht nicht von Neuem geknebelt sei, habe das Land das Mittel in den Händen, selbst ohne Blutvergießen den Sieg über die jetzigen Bestrebungen der Reaktion herbei zu führen.
(Lautes Bravo der ganzen Versammlung) Wenn die Reichen, wenn alle Associationen, wenn alle Wahlbezirke, wenn alle größeren Städte sich auf das Entschiedenste erklären, wenn sie unserer Ansicht
beitreten, wenn sie Proteste gegen das Benehmen des jetzigen Ministeriums erlassen, wenn dies vom ganzen Lande geschieht, dann ist kein Zweifel, daß das Erfolg haben muß. Ist das Land oder ein großer
Theil des Landes dieser Meinung nicht, nun, meine Herren, dann hat das Land es zu verantworten, wenn die eben aufblühende Freiheit wieder verdorrt. Ich habe auf den ersten Theil der Aeußerung des
Magistrats erwiedert, daß ich es nicht der Würde der Nationalversammlung angemessen fände, irgend einen Schritt zu thun, welcher auf ein Nachgeben der Nationalversammlung hindeutete. (Lebhaftes
Bravo.)
Ich bin ferner der Meinung, daß man mit solchen Schritten gerade das Gegentheil erreichen würde. ‒ Man würde glauben, die National-Versammlung und mit ihr das Land werde sich den
ungesetzlichen Schritten, welche geschehen sind, ganz fügen. Ich habe der Deputation des Magistrats ferner mitgetheilt und ich bringe es auch hiermit zu Ihrer Kenntniß, daß ich es für meine
Schuldigkeit gehalten habe, in Gemeinschaft mit einem Ihrer Vicepräsidenten, Bornemann, am verflossenen Freitage uns bei Sr. Maj. anmelden zu lassen. Wir wollten dem Könige abermals Gelegenheit
bieten, wahre und bestimmte Nachrichten sowohl über die Ansichten der Nationalversammlung als auch über die Lage des Landes und den obwaltenden Verhältnissen zu vernehmen, um jeden anscheinenden Grund
zu Konflikten zu beseitigen. Wir haben dem Gen. v. Willisen dies ausdrücklich gesagt, und ich habe hinzugesetzt, daß er die Abgeord. Bornemann und Unruh melden möchte. Willissen hat mir darauf
geantwortet, daß Se. Majestät der König verhindert sei, uns zu sprechen. Ich habe geglaubt, wie ich vorher erwähnt habe, daß dieser Schritt in meiner Pflicht lag, nicht als Ihr Präsident, sondern in
der Pflicht eines wahren Vaterlandsfreundes. Ich habe geglaubt, daß dem König diese Gelegenheit gegeben werden müsse, um zu hören, wie die Sachen wirklich stünden. Diese Gelegenheit ist nicht benutzt
worden. Von da ab habe ich aber auch jede Zumuthung, einen zweiten Schritt dieser Art zu thun, abgelegt. Ich habe mich nicht für ermächtigt gehalten, als Ihr Präsident mich nochmals melden zu lassen,
weil ich nicht wissen konnte, welche Folgen dieser Schritt haben würde, und ob ich diese Folgen vor Ihnen vertreten könne. In Beziehung auf den Inhalt der verlesenen Schriftstücke, kann ich von Neuem
nur wiederholen, daß es nach der reiflichsten Ueberlegung meine feste Ueberzeugung ist, wir dürfen, wenn wir den Boden im Lande nicht verlieren wollen, den Gewaltschritten der Krone passiven
Widerstand entgegensetzen. Jeder Tropfen Blut, durch unsere Schuld vergossen, kann die Lage der Dinge nicht verbessern; er kann uns schaden. Ich habe vorher meine Motive bereits näher
auseinandergesetzt, ich kann auch den Beschluß, den Sie am 2. November wegen des Schutzes der Versammlung gefaßt haben, nicht so verstehen, als ob ich in Folge dieses Beschlusses verpflichtet wäre,
die Bürgerwehr zum Kampfe für uns irgendwie zu veranlassen.
Ich kann diesen Beschluß nicht so verstehen, als ob Sie, meine Herren, sich umgeben wollten mit einer Mauer bewaffneter Bürger, welche nach der Ansicht tapferer, aber einsichtsvoller Männer, der
überlegenen, rohen Gewalt nicht zu widerstehen im Stande sind. Dasselbe werden wir erreichen, wenn wir nur passiven Widerstand leisten, und uns hier nur durch die Gewalt von unseren Plätzen vertreiben
lassen (Allgemeines Bravo), und das Vaterland wird es erkennen, daß wir zwar bereit sind, für die Freiheit des Landes und des Volkes unseren letzten Blutstropfen zu vergießen, daß wir aber das
Bürgerblut für zu hoch halten, für zu kostbar achten, um unnütz auch nur einen einzigen Tropfen zu vergeuden. (Bravo.) Ich werde daher, meine Herren, wenn der Fall eintreten sollte, daß die bewaffnete
Macht uns gegenübertritt, keinen Schritt thun, der die Mitglieder der Bürgerwehr veranlassen könnte, aktiv uns zu schützen, ich werde im Gegentheil keinen Anstand nehmen, und ich habe bereits
Gelegenheit genommen, mich gegen mehrere Mitglieder des Bürgerwehr-Kommandos ausdrücklich dahin zu äußern, daß nach meiner persönlichen Ansicht derjenige Theil der Bürgerwehr, welcher an unserem
Versammlungshause zu unserem Schutze aufgestellt ist, nur passiven Widerstand leisten solle, daß wir aber unsere Plätze nicht verlassen. Meine Herren! In diesem Sinne werde ich verfahren (Bravo.) Der
Erklärung des Berliner Bezirks-Comités der Arbeiter kann ich nur dasselbe entgegensetzen, was ich in Beziehung auf die Bürgerwehr gesagt habe. Wir sind weit entfernt, meine Herren, wenn ich
Ihre Meinung richtig aufgefaßt habe, diese Männer, deren Kraft und deren Muth dem Vaterlande gehört, zu veranlassen oder auch nur es zu dulden, daß sie zur unrechten Zeit und am unrechten Ort diese,
dem Vaterlande gewidmeten Kräfte opfern. (Bravo!)
Der Präsident. Es sind dringende Anträge eingegangen, die ich der Prioritätskommission überwiesen. Ich werde die Beschlußfähigkeit der Versammlung konstatiren lassen. Hierauf erfolgt der
Namensaufruf. Es sind 218 Mitglieder zugegen. Die Versammlung ist somit beschlußfähig. Nach und nach wächst die Zahl auf 225.
Hierauf wird der Antrag eingebracht, daß der Präsident diejenigen Mitglieder, welche ohne Urlaub oder ohne durch Krankheit verhindert zu sein, sich der Theilnahme an der Berathung entzogen haben,
auffordern möge, unverweilt ihrer Pflicht nachzukommen.
Wollheim will die Dringlichkeit motiviren. Man ruft ihm von der Rechten zu, die Dringlichkeit wird nicht bestritten. Wollheim verzichtet hierauf aufs Wort. Der Präsident (Bornemann) Ich
eröffne die Diskussion. Man ruft: Schluß! Schluß!
Schulz (Delitzsch): Ich weiß, es bedarf dessen nicht, den Antrag hier vor Ihnen zu motiviren, aber es ist nöthig, daß auch das Land die Motive kenne. Wir leben in einem großen Momente,
deswegen sind wir dem Lande die genaueste Rechenschaft schuldig über Alles, was wir thun. Durch die Entfernung vieler Mitglieder ist ein bedeutender Theil des Landes nicht vertreten. Wir werden durch
diesen Antrag in legaler Weise ihren Wählern über das Benehmen dieser Vertreter Nachricht geben. Aber wir sind diesen Antrag auch uns selbst schuldig. Sie haben gehört, wie die Behörden es wagen, mit
uns umzugehn. Der Absolutismus taucht wieder auf. Man behandelt uns wie Herrendiener, die man hierhin und dorthin schiebt, die gehorchen müssen; man spricht von einer sogenannten Nationalversammlung.
Wir müssen denen, die es gewagt haben, so mit uns zu reden, zeigen, daß wir wirklich die Nationalversammlung sind, daß wir Vertreter einer Nation von 16 Millionen sind, und daß wir unser Ansehen zu
wahren wissen. (Bravo!) Der Antrag wird einstimmig angenommen.
Der Präsident Unruh: Da Weiteres im Augenblick zur Verhandlung nicht vorliegt, und ich die Berathung der gewöhnlichen Tagesordnung in diesem Augenblick nicht für geeignet halte, so gebe ich
den Mitgliedern anheim, ungestört im Saale zu verweilen, ohne die Sitzung zu unterbrechen.
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103
] Berlin, 10. Nov.
Von 6 bis 9 1/2 Uhr Morgens waren die Abgeordneten zwar im Saal anwesend, jedoch wurde die Berathung nicht fortgesetzt. Um 9 1/2 Uhr verkündet der Präsident Unruh, daß die Sitzung fortgesetzt wird.
Der Namensaufruf ergiebt, daß 251 Mitglieder anwesend sind. Man geht zu der Tagesordnung, der Fortsetzung der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung der Feudatlasten, über.
Getzler (einer von der Rechten übrig gebliebenen) protestirt in seinem und im Namen seiner politischen Freunde gegen alle Beschlüsse, welche und in materiellen Fragen getroffen werden, weil
keine Räthe der Krone anwesend waren. Sie würden sich der Abstimmung enthalten.
Parrisius entgegnet in klarer Rede auf die Albernheiten des Abgeordneten Getzler.
Plönnies, der bisher zur äußersten Rechten gehörte, sich aber seit gestern mit allen Beschlüssen der Nationalversammlung einverstanden erklärt hat, nimmt das Wort: Die Erklärung des
Abgeordneten Geßler bezieht sich nicht auf mich und meine Freunde, nicht alle Mitglieder der sogenannten Rechten sind seiner Ansicht. Die Versammlung ist meiner Ansicht nach vollkommen berechtigt, das
auf der Tagesordnung befindliche Gesetz zu berathen.
Schulze von Minden schließt sich dem an.
Bornemann schlägt vor, den Petitionsbericht zu berathen, weil die Versammlung zu aufgeregt sei, um das wichtige Lastengesetz zu berathen.
Die Versammlung willigt ein und man nimmt den Petitionsbericht vor. Um 12 Uhr ist man damit fertig. Bis 3 Uhr unterhält sich die Versammlung in Privatgesprächen. Da kommt die Nachricht an, daß die
Garderegimenter zum Brandenburger und Potsdamer Thor eingerückt seien. Auch die Garde-Artillerie rückt ein.
Waldeck, Rodbertus etc. stellen den Antrag: Die Versammlung wolle beschließen:
„daß eine von dem Präsidenten zu ernennende Kommission von 5 Mitgliedern zur sofortigen Redaktion einer Proklamation an das preußische Volk zur Aufklärung über die von der Staatsregierung
erfolgte Beeinträchtigung der Rechte des Volkes und der Nationalversammlung niedergesetzt werde. “
Dieser Antrag wird nach kurzer Diskussion fast einstimmig angenommen. Nur Kunth und Maaßen von der Rechten sprechen sich dagegen aus. Berg meint, diese Proklamation ist vielleicht das Testament
dieser Versammlung. Der Präsident ernennt die Abgeordneten: Elsner, Pilet, Moritz, Zachariae und Schulze von Minden als die 5 Mitglieder der Kommission (von jeder Fraktion einen.)
Der Namensaufruf ergiebt, daß 252 Mitglieder anwesend sind, Während dieser Zeit marschiren die Truppen unter Wrangel's Befehl vor den Sitzungsaal der Nationalversammlung und besetzen den
großen Platz (Gensd'armenmarkt) an allen vier Ecken. An jeder Ecke ein Bataillon. Die Artillerie fährt nur vor den Augen der Nationalversammlung vorüber, um derselben Schrecken einzujagen. Die
Artillerie hätte ganz gut den graden Weg durch die Leipziger Straße passiren können.
Die Bürgerwehr bleibt ruhig in ihrer eingenommenen Stellung, ringsum dicht am Schauspielhaus. Jeden Augenblick erwartet man im Sitzungssaal der Nationalversammlung, daß Wrangel eindringen würde, um
die Versammlung zu sprengen, aber es bleibt noch alles ruhig.
Berg. Der Augenblick drängt, ich habe mir deshalb erlaubt, das Siegel der Nationalversammlung aus den Händen der Unterbeamten zu nehmen und lege es in die Hände des Präsidenten nieder.
Die Proklamation ist während dieser Zeit von der Kommission redigirt worden. Abgeordnete Pilet verliest dieselbe, sie lautet: „An das preußische Volk!
Das Ministerium Brandenburg, welches gegen die fast einstimmig ausgesprochene Erklärung der Nationalversammlung die Leitung der Geschäfte des Landes übernommen, hat seine Thätigkeit damit begonnen,
daß es einseitig die Verlegung der Sitzungen der Nationalversammlung nach Brandenburg befohlen. Die Versammlung der preußischen Volksvertreter hat diesen Eingriff in ihre Rechte dadurch
zurückgewiesen, daß sie mit großer Majorität den Beschluß gefaßt hat, ihre Berathung in Berlin fortzusetzen; sie hat zu gleicher Zeit erklärt, daß der Krone das Recht nicht zustehe, die Versammlung
wider ihren Willen zu vertagen, zu verlegen oder aufzulösen, und daß sie diejenigen verantwortlichen Beamten, welche der Krone zur Erlassung jener Botschaft gerathen haben, nicht für fähig erachte,
der Regierung des Landes vorzustehen, vielmehr dafür halte, daß dieselben schwerer Pflichtverletzung gegen die Krone, gegen das Land und gegen die Versammlung sich schuldig gemacht habe. Das
Ministerium Brandenburg hat in Folge dieser Ereignisse die Versammlung für eine ungesetzliche erklärt und die Anwendung militärischer Gewalt angedroht, um die Fortdauer der Berathung zu hemmen. In dem
schweren Augenblicke, wo die gesetzliche Vertretung des Volkes durch Bayonette auseinandergesprengt wird, rufen wir Euch zu, haltet fest an den errungenen Freiheiten, wie wir mit allen unseren Kräften
und mit unserem Leben dafür einstehen. Aber verlaßt auch keinen Augenblick den Boden des Gesetzes. Die ruhige und entschlossene Haltung eines für die Freiheit reifen Volkes wird mit Gottes Hülfe der
Freiheit den Sieg sichern.“
Großer und allgemeiner Beifall folgt der Verlesung dieser Proklamation. Die Zuschauer auf den Tribünen stimmen mit ein. Die Proklamation wird ohne Debatte einstimmig angenommen. Neuer
Beifall von allen Seiten und von den Zuschauertribunen.
Rodbertus stellt den Antrag, in der Tagesordnung fortzufahren, wird angenommen.
Nr. 13 des § 1 wird verlesen. Der Berichterstatter Pilet motivirt denselben. Eine Menge Amendements zu dieser Nummer kommen zur Unterstützung und nach einer kurzen Debatte beschließt man, alle
Amendements an die Centralabtheilung zu verweisen, damit dieselbe einen Bericht darüber erstatte.
Während dieser Berathung unter Vorsitz des Vicepräsidenten Bornemann sammeln sich ungeheuere Menschenmassen auf dem Platze. Das Militär steht ruhig da. Das Volk bringt der Bürgerwehr und dem
Kommandanten Rimpler Lebehochs und verhöhnt Wrangel, er möge doch seinen Pferden des Gras, welches auf den Straßen wächst, abfressen lassen u. s. w.
Um 4 1/2 Uhr erscheint der Präsident Unruh wieder und macht die Mittheilung, daß er von Rimpler folgenden mündlichen Bericht erhalten habe. Es sind große Truppenmassen um den Sitzungssaal
aufgestellt. Rimpler habe den General Thümen (Kommandant von Berlin) gefragt, welche Ursachen diese Truppenaufstellung habe. Dieser habe ihn an Wrangel gewiesen, da alles auf höhern Befehl geschehe.
Wrangel antwortet, daß er seine Truppen gern in die Quartiere rücken lasse. ‒ Rimpler: Dem stehe ja nichts entgegen. ‒ Wrangel: Zuvor müsse sich jedoch die Bürgerwehr zurückziehen.
‒ Rimpler: Die Bürgerwehr müsse die Nationalsammlung schützen. ‒ Wrangel: Auch ich will die Nationalversammlung schützen. ‒ Rimpler: Wie lange werden die Truppen auf diesem Platze
bleiben? ‒ Wrangel: Meine Truppen sind gewöhnt, zu bivouakiren; ich verlasse diesen Platz nicht eher, als bis die Abgeordneten diesen Saal verlassen haben und wenn ich 8 Tage hier bivouakiren
soll. ‒ Rimpler: Die Bürgerwehr würde vierzehn Tage hier bleiben, wenn es die Nationalversammlung wünsche.
Der Präsident Unruh schlägt vor, in Folge dieses Berichtes ein Schreiben an Wrangel zu richten, daß sich die Versammlung seinen Schutz verbäte, indem sie ihn nicht bedürfe.
Auf dieses Schreiben läßt Wrangel mündlich zurück erklären: Die Truppen würden unter keiner Bedingung die freie Cirkulation hemmen. Der Austritt der im Saale Anwesenden sei gestattet, er würde
jedoch kein Mitglied der Nationalversammlung wieder hereinlassen. Er kenne keine Nationalversammlung. Auch eine schriftliche Antwort werde er nicht geben, da er keinen Präsidenten der
Nationalversammlung hier anerkenne. Er erklärt nochmals, den Platz nicht zu verlassen, bis alle Abgeordnete den Saal verlassen haben und er werde dafür sorgen, daß Niemand wieder hineinkomme.
Die Nationalversammlung protestirt gegen die, gegen dieselbe angewendete militärische Zwangsmaßregeln. Sie beschließt, sich bis morgen früh 9 Uhr zu vertagen und morgen Früh zu versuchen, wieder in
diesen Saal hineinzukommen. Wenn dies unmöglich gemacht würde, werde man sich in einem andern Saal versammeln.
Um 5 Uhr verlassen alle Abgeordnete in corpore den Sitzungssaal und begeben sich ungehindert in die Parteisitzungen. Sie werden jubelnd und mit tausendfachen Hurrah's vom Volke empfangen und
begleitet. Die Bürgerwehr zieht ab, gleichzeitig das Militär.
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103
] Berlin, 10. Nov., 8 Uhr Abends.
Das Militär ist ungehindert heute Nachmittag in die Stadt eingerückt und hat einige Wachen besetzt. Das königl. Wort, daß ohne Zustimmung der Stadtbehörden kein Militär einrücken soll, ist heute
eigenmächtig gebrochen worden. Die Kamarilla hoffte dadurch einen Kampf zu provoziren, um Berlin dann in Belagerungszustand erklären zu können. Die Minister hatten die Plakate, wodurch der
Belagerungszustand erklärt werden sollte, schon heute Vormittag in der Deckerschen Oberhofbuchdruckerei drucken lassen.
Berlin konnte sich heute 50,000 Mann mit 200 Kanonen nicht widersetzen.
[0729]
Bekanntmachung.
Im Einverständnisse mit der hohen Nationalversammlung, die unter allen Umständen die Provokation zu einem Bürgerkrieg vermieden wissen will, hat das unterzeichnete Kommando, die Majore der
Bürgerwehr und die Führer der fliegen Corps einstimmig beschlossen, der in unsere Standt rückenden Militärmacht sich gewaltsam entgegenzustellen. Sie fordern das Volk von Berlin, welches ihnen
so viele Beweise seines Vertrauens gegeben, auf, in eben dieser Weise zu verfahren. Dieser friedliche Widerstand gegen eine nicht berechtigte Uebermacht, wird sicher der Sache der Freiheit zum
endlichen und gewissen Siege verhelfen. In diesem Sinne beschwören sie daher ihre Mitbürger, auch diesmal mit der Bürgerwehr Hand in Hand zu gehen. Berlin, den 12. November 1848.
Das Kommando der Bürgerwehr, die sämmtlichen Majore der Bürgerwehr und die sämmtlichen Führer der fliegenden Corps.
Rimpler.
Bekanntmachung.
Auf Anweisung des königl. Staatsministerii wird Folgendes zur Kenntniß der Bewohner Berlins gebracht. Obgleich Sr. Majestät der König mittels Allerhöchster Botschaft vom 8. d. M. die Verlegung der
zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Versammlung nach Brandenburg und deren Vertagung bis zum 27. d. M. angeordnet hat, fährt ein Theil der Versammlung fort, hier beisammen zu bleiben und
Beschlüsse zu fassen. Die Regierung Seiner Majestät befindet sich deshalb in der Nothwendigkeit einem solchen, die Rechte der Krone beeinträchtigenden Verfahren auf das Entschiedenste entgegen zu
treten, und hat zu dem Ende beschlossen, da die Bürgerwehr, als die zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung zunächst verpflichtete Instanz, ihre Mitwirkung bestimmt versagt hat, die hiesige
Garnison so bedeutend zu verstärken, daß nicht nur die Behufs Aufrechterhaltung des Königl. Befehls wegen Verlegung der Nationalversammlung nach Brandenburg und wegen ihrer Vertagung erforderlichen
Maßregeln durchgeführt werden können, sondern daß auch die überhaupt seit längerer Zeit im hiesigen Orte vorgekommenen Störungen der öffentlichen Ordnung und Beeinträchtigungen der Freiheit künftig
unterdrückt werden können. Das Einrücken der Truppen, welche zur Verstärkung der Garnison bestimmt sind, wird schon heute Statt finden und darf von dem gesetzlichen Sinne der Bürgerschaft, welche
anerkennen wird, daß Gesetz und Ordnung die Hauptbedingungen sind der Wohlfahrt der Stadt und des Staates, mit Zuversicht erwartet werden: daß sie den einrückenden Truppen in keiner Weise hinderlich
entgegen treten werden. Ausdrücklich und auf das Feierlichste wird zugleich versichert, daß Sr. Maj. Regierung diese Maßregel nur ergriffen hat, um die Erfüllung der Verheißungen, welche dem preuß.
Volke zur Befestigung seiner Freiheit und zur Erlangung einer wahrhaft volksthümlichen Verfassung gemacht sind, und welche heilig gehalten werden sollen, zu beschleunigen, keineswegs aber, um Rechte
und Freiheiten des Volkes, in irgend einer Weise zu beeinträchtigen Berlin, 10. Nov.
Königl. Polizi-Präsidium, v. Bardeleben.
Bekanntmachung. Das soeben eingerückte Militär ist nicht von den Communalbehörden oder deren Deputirten (dem bisherigen Sicherheitsausschuß) requirirt worden.
Berlin, 10. Nov. Der Magistrat. Die Stadtverordneten.
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Bromberg.
Die Regierung zu Bromberg verfügt in Nr. 45 ihres Amtsblattes, wie folgt:
„In Bezugnahme auf das Gesetz vom 23. Juli c. (soll heißen 1847) über die Verhältnisse der Juden und in Folge höherer Bestimmung, bringen wir hiermit zur allgemeinen Kenntniß, daß von der
Emanation des Gesetzes ab nach Inhalt des §. 1 die Freizügigkeit inländischer Juden, außer bei den nichtnaturalisirten Juden der Provinz, keiner weitern Beschränkung unterliegt.
Die unserm Verwaltungsbezirke angehörigen Juden, welche ihren Wohnsitz in andere Landestheile verlegen wollen, müssen aber in Gemäßheit der Vorschriften des Gesetzes sub §§. 29. 33 etc. bei
ihrer Niederlassung in den alten Provinzen des Staares zuvörderst nachweisen, daß sie die Naturalisation für das Großherzogthum Posen erlangt und ihre Korporationsverpflichtungen gegen die jüdische
Gemeine, welche sie bisher angehört, abgelöst haben.
In diesem Behufe haben selbige der Polizei-Obrigkeit des Ortes, wo sie ihren Aufenthalt nehmen wollen, das Naturalisations-Patent und eine Bescheinigung der betreffenden Regierung des
Großherzogthums Posen über die erfolgte Abfindung wegen ihrer Verpflichtungen diejenige Synagogen-Gemeinde, der sie bis dahin angehört, einzureichen.
Die Polizeiobrigkeit hat die Niederlassung im Orte zu versagen, wenn jene Nachweise nicht vorgelegt werden, und den betreffenden Juden bleibt alsdann überlassen, die Gestattung eines vorläufigen
Aufenthalts nachzusuchen. Dergleichen Ablösungsurkunden sind jedesmal von dem betheiligten Individuo der Polizeiobrigkeit des Sitzes der Synagogengemeinde, welcher dasselbe bisher angehört, zur
weiteren Veranlassung einzureichen.
Sämmtliche jüdische Eingesessene unseres Verwaltungsbezirks werden angewiesen, sich hiernach strenge zu achten, und vor Nachtheilen gewarnt, welche eine willkürliche Uebersiedelung für sie zur
Folge haben muß.
Bromberg, den 20. Okt. 1843.
Königl. Regierung.
Abtheilung des Innern.“
Dieselbe Nummer des erwähnten Amtsblattes enthält folgende Bekanntmachung:
„Um allen Zweifeln zu begegnen, wird hierdurch ausdrücklich in Erinnerung gebracht, daß der durch Allerhöchste Verordnung v. 5. December 1845 auch für die Provinz Posen publizirte Beschluß
der deutschen Bundesversammlung v. 5. Juli 1832 noch besteht und daß demgemäß namentlich das öffentliche Tragen von Kokarden und Aufstecken von Fahnen in andern Farben als in den preuß. und resp.
Deutschen strafbar ist.
Wir bringen weiter zur öffentlichen Kenntniß, daß die Uebertretung der Eingangs bezeichneten gesetzlichen Bestimmungen, mit einer Geldstrafe bis 50 Thlr. Oder mit verhältnismäßiger Gefängnißstrafe,
polizeilich geahndet wird.
Bromberg, den 30. Oktbr. 1848.
Königl. Regierung.
Abtheilung des Innern“
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!!!
] Frankfurt, 10. November.
Sitzung der National-Versammlung.
Tagesordnung:
Verfassungs-Entwurf Artikel IV.
Vor derselben theilt der Präsident Gagern der Versammlung mit, daß auf das Schreiben an den Abgeordneten Arnold Ruge seitens des Büreau (S. eine frühere Sitzung) von demselben binnen 4
Wochen keine Antwort erfolgt, und er nunmehr als ausgetreten betrachtet werden müsse.
Wesendonk reklamirt dagegen und erregt Widerspruch.
Wartersleben beweist, daß er (Ruge) nach der Geschäftsordnung als ausgetreten zu betrachten.
Nach einiger Debatte, wobei unter andern Falk erklärt: „Ruge habe den Breslauer Wählern sein Mandat mit dem Motiv zurückgeschickt“ daß in Frankfurt doch nichts Gutes mehr zu Stande
käme; (Heiterkeit) ‒ beschließt die Versammlung, Herrn Ruge als ausgetreten zu betrachten und seinen Vertreter einzuberufen (Aufregung).
Der Finanzausschuß berichtet durch Wichmann über einen Antrag: „die Centralgewalt übernimmt das ganze Creditwesen Deutschlands ‒ Banknoten ‒ Papiergeld etc. ‒ Antrag des
Ausschusses. Tagesordnung. ‒ Der Bericht wird gedruckt.
Berger (interpellirt): welche Maßregeln ergreift endlich das Reichsministerium, daß die rückständigen österreichischen Wahlen für die Nationalversammlung (und zwar ohne Einfluß der dortigen
Büreaukratie) alsbald bewerkstelligt werden? ‒ Zu dieser Interpellation ist Berger veranlaßt, durch ein sehr erbauliches Schreiben eines österreichischen Gudernialrathes, worin die
österreichischen Obrigkeiten dringend ersucht werden, doch ja bei den noch rückständigen Wahlen darauf zu sehen, daß keine Demokraten, sondern nur erprobt gutgesinnte Männer gewählt werden.
Eisendonk bemerkt, daß mehrere Stimmzettel (mit Nein! von der Linken) in den stenographischen Berichten nicht abgedruckt worden sind. ‒ Es erweist sich nach längerer Debatte, daß dies
ein Versehen der Drucker ist. Warum dies Druckversehen grade Mitglieder der Linken betrifft, weis man nicht)
Tagesordnung.
Artikel III. des Verfassungs-Entwurfs.
§ 21. „Die Schifffahrtsanstalten am Meere und in den Mündungen der deutschen Flüsse (Häfen, Seetonnen, Leuchtschiffe, das Lootsenwesen, das Fahrwasser u. s. w.) sind der Fürsorge der
einzelnen Uferstaaten überlassen; sie unterhalten dieselben aus eignen Mitteln.“
§. 22. „Die Reichsgewalt hat die Oberaufsicht über diese Anstalten und Einrichtungen. Es steht ihr zu, die betreffenden Staaten zu gehöriger Unterhaltung derselben anzuhalten, auch
dieselben aus den Mitteln des Reichs zu vermehren und zu erweitern.“
§. 23. „Die Abgaben welche durch die Seeuferstaaten von den ihre Schifffahrtsanstalten benutzenden Schiffen und deren Ladungen erhoben werden, dürfen die zur Unterhaltung dieser Anstalten
nöthigen Kosten nicht übersteigen. Sie unterliegen der Genehmigung der Reichsgewalt.
§. 24. In Betreff dieser Abgaben sind alle deutschen Schiffe und deren Ladungen gleich zu stellen. Eine höhere Belegung fremder Schifffahrt kann nur von der Reichsgewalt ausgehen. Die Mehrabgabe
von fremder Schifffahrt fließt in die Reichskasse.
Man beschließt die Diskussion über die 4 Paragraphen zusammen.
Hildebrandt von Gießen beginnt sie. Er erklärt sich gegen die Anträge des Verfassungsausschusses und will, daß die des volkswirthschaftlichen an die Stelle treten. (Sollte dies geschehen, so
gebe ich Ihnen diese Anträge später bei der Abstimmung.)
Graf Wartensleben für die §. §. des Verfassungsausschusses. Er will eine kräftige Centralgewalt als Schutzwall gegen die Tyrannei der Einzelstaaten ‒ aber keine Centralisation wie
der landwirthschaftliche Ausschuß. ‒ §. 24. will er gestrichen haben
Eisenstuck für die Anträge des volkswirthschaftlichen Ausschusses. Heute zum erstenmale entscheidet man über eine große materielle Frage des Volks. Ein Hauptgrund gegen die Anträge des
Verfassungsausschusses sei die Erfahrung. Wir würden ein ungeheures Beamtenheer wie in Frankreich bekommen. ‒ Anstalten, die dem allgemeinen Verkehr dienen, in Privathände zu geben, und seien
es auch Corporationen, sei sehr gefährlich. ‒ Die Oberaufsicht der Centralgewalt allein genüge nicht, diese würde wohl auf dem Papier stehen bleiben. Die großen Summen, die dergleichen
großartige Staatseinrichtungen erfordern würden, darf man bei so gewaltigen Unternehmungen gar nicht in Anschlag bringen. ‒ Ich werde, sagt er schließlich, Unitarier sein in allen materiellen
Fragen. Der Verfassungsausschuß gibt höchstens eine leidliche Reform des Staatenbundes.
Merk (ein reicher Kaufmann aus Hamburg) ergeht sich in den gemeinsten Phrasen gegen den Vorredner. ‒ spricht für den Verfassungsausschuß und beweist durch Thatsachen, Zahlen seine
Paradoxen. ‒ (Nach Merk ruft ein großer Theil des Centrums Schluß.
Grumprecht empfiehlt die Anträge der Minorität des volkswirthschaftlichen Ausschusses. Er weist Inconsequenzen der Majorität des volkswirthschaftlichen Ausschusses nach, und meint, er hätte
Grund, vielfach Argwohn gegen denselben zu haben. (Oho links!) Es sei zu unterscheiden zwischen Regierungs- und Verwaltungsrechten bei Uebertragung an die Centralgewalt. Die ersteren will er
entschieden an die Centralgewalt übertragen, die Verwaltungsrechte gar nicht. ‒ Geben sie der Centralgewalt viel zu administriren, so haben wir den Polizeistaat in wenig Jahren wieder.
(Centrum: sehr wahr!) (Haben wir ihn denn schon einmal verloren?)
Ritze aus Stralsund empfiehlt die Anträge des Verfassungsausschusses.
Schulze von Liebau spricht für ein von ihm gestelltes Amendement. (Wenn es angenommen wird, gebe ich es später. Der Schlußruf beginnt zu ertönen.)
v. Vinke für die Anträge des Verfassungsausschusses. ‒ Mit Heftigkeit greift er den volkswirthschaftlichen Ausschuß an. Zum Schluß seiner Rede bekennt sich v. Vinke zu dem Grundsatz:
„Alles für das Volk, und so viel als möglich durch das Volk. Nach ihm wird die Debatte geschlossen.
Moritz Mohl: Berichterstatter des volkswirthschaftlichen Ausschusses meint unter andern die Versammlung sei seit dem Mai furchtbar zurückgekommen, und ganz heftig auf dem Wege der Reaktion.
(Widerspruch im Centrum gegen diese einfache Wahrheit) Früher hätte man es für eine Unmöglichkeit gehalten gegen eine Zoll- und Handelseinheit Deutschlands zu sprechen, wie dies heute geschehen. Man
habe dem volkswirthschaftlichen Ausschuß vorgeworfen, er wolle ein Heer von Beamten schaffen, ‒ grade das Gegentheil: er und seine Anhänger wollen ein Heer von Beamten abschaffen, und daher der
große Widerspruch. (Naiv aber wahr!) Auch mit Zahlen und ganz offiziellen Zahlen, erweist er, (Mohl) daß der Banquier Merk sich in seinen Zahlenaufstellungen colossal geirrt (oder colossal gelogen)
hat, indem er gesagt, Frankreichs Schiffahrt sei herabgekommen. Dieselbe sei aufs doppelte gestiegen seit 1825. Unter lautem Bravo links führt Hr. Mohl den Banquier Merk tüchtig ab.
Mohl hält eine sehr sachkundige und ausgezeichnete Rede, das Centrum sucht ihn durch Schlußruf und Unterbrechung zu stören. (Wärmster Beifall links und Gallerie.)
Waiz aus Göttingen (für den Verfassungsausschuß Berichterstatter) hält gleichfalls eine lange Rede für seine Anträge, und rühmt es vorzüglich, daß der Handelsminister von Dukwitz Antheil an
den Berathungen des Verfassungs-Ausschusses genommen. Dieser sei mehr werth wie der ganze volkswirthschaftliche Ausschuß. Gegen die Centralisation spricht Waiz energisch.
Abstimmung.
Der Antrag des volkswirthschaftlichen Ausschuß ist statt der §. 21 ‒ 24 dem Artikel IV. folgende Fassung zu geben:
„Die Schiffarthsanstalten am Meere und in den Mündungen der deutschen Flüsse (Häfen, Seetonnen, Leuchtschiffe, das Lothsenwesen, das Fahrwasser) sind Reichssachen und werden durch Fürsorge
der Reichsgewalt unterhalten. Die Reichsgewalt bestimmt die dafür zu erhebenden Abgaben, hinsichtlich welcher alle deutschen Schiffe gleich zu behandeln sind. Es ist der Reichsgewalt überlassen,
fremde Schiffe höher zu belegen als die deutschen. Ueber das Nähere der Ausführung ergeht ein Reichsgesetz.“
Dieser Antrag wird mit 286 Stimmen gegen 145 (die ganze Linke) verworfen.
Nach dem Verfassungsausschuß werden angenommen mit großer Majorität die §§. 21, 22. (ganz wie oben).
Ad §. 23 und 24 (s. oben.) hat die Minorität des volkswirthschaftlichen Ausschusses das Amendement gestellt: die Worte „und deren Ladungen“ wegzulassen. Mit diesem Amendement tritt
die Minorität des volkswirthschaftlichen Ausschusses den 3 Paragraphen des Verfassungsausschusses bei. Dies Amendement wird verworfen und §. 23 und 24 (also der ganze Artikel IV.) nach dem
Verfassungsausschuß, wie oben angenommen.
Hiernach wird um 2 Uhr die Sitzung geschlossen. Montag nächste Sitzung. Tagesordnung, Fortsetzung der Verfassung.