[Deutschland]
@xml:id | #ar141_004 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
[Fortsetzung] Mord Hinzielendes gefunden werden. (Der Kommunismus ist bei unseren märkischen Beamten natürlich Hochverrath laut des Bundestagsbeschlusses vom vorigen Jahre). Also, um Gotteswillen etwas
Kommunismus herausgestöbert. Und denken Sie sich! was Niemanden gelang, ist Hrn. Zahn, unserem Bürgermeister gelungen. Dieser brave Mann, welcher gewiß nicht das Pulver erfunden hat, soll gleichwohl
im Handwerkerverein „ein wenig“ Kommunismus entdeckt haben!
Es gehört aber auch die feine Spürnase des Hrn. Zahn dazu. Die Verdienste des Hrn. Möller sind schon anerkannt
worden (wenn es wahr ist, daß Hr. Möller Minister geworden); Herr Reesen wird seinen Lohn bei der Eisenbahn finden; er kann sich darauf verlassen. Aber wie kann Hr. Zahn belohnt werden, wenn der rothe
Adlerorden abgeschafft werden soll?
@xml:id | #ar141_005 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
Wien, 7. Nov.
Auf die vom Stadt-Kommando an Jelachich übergebenen Klagen mehrerer Einwohner, welche sich über Exzesse und
Beschädigungen durch kroatische Truppen beschweren, hat der Ban folgendes erwidert: „Mein armes Vaterland hat zur Rettung der Gesammt-Monarchie unermeßliche Opfer gebracht. Kroatien hat seine
Söhne in der bedrängtesten Zeit auf eigene Kosten bewaffnet, und der unglückliche General Latour mußte sein Leben schändlicherweise aufgeben, als er sich endlich herbeiließ, anzuerkennen, daß die
Kroaten kaiserliche Truppen seien. Wien und die kaiserliche Burg ist durch meine Truppen erstürmt worden, eine Stunde später, und die Rebellen hätten die Burg, wie es offen im Reichstag durch
Schuselka verkündet worden war, so wie die ganze Stadt, in Flammen gesetzt. Die Truppen lagern noch heute im Freien, und sind der strengsten Witterung ausgesetzt. Wenn einzelne Exzesse vorgefallen
sind, so sind sie Folge der schrecklichen Wuth der Soldaten über die verletzte Kapitulation, ein ewiger Schandfleck der Wiener Bevölkerung. Man möge die Entschädigung bei den Rebellen
suchen.“
Der Feldmarschall-Lieutenant v. Welden ist zum Gouverneur von Wien ernannt worden. Der Gemeinderath macht bekannt, daß arbeitslose und bedürftige Individuen an bestimmten Orten,
die durch besondere Anschläge bezeichnet werden würden, Arbeit bekommen könnten.
Die ärarische Brücke an der Donau ist wieder fahrbar gemacht und an der Wiederherstellung der Eisenbahnbrücke
wird fleißig gearbeitet. ‒ Wer unter den entwaffneten Proletariern kriegstauglich anerkannt wird, den steckt man sogleich in die gelichteten Reihen des Militärs. ‒ Uebrigens herrscht
jetzt in Wien unter der Bevölkerung die Stille eines Friedhofes. ‒ Ein Gerücht ging umher, daß Smolka und Borrosch verhaftet worden seien, um über die Mörder Latour's Auskunft zu
ertheilen. Wir halten dies aber für ein Schreckenmärchen. ‒ Eine andere Nachricht erzählt, daß sich die Studenten durch Verkleidung und Rasiren der Bärte ganz unkenntlich gemacht und dadurch
zum Theile den Truppen, so wie auch dem gegen sie im letzten Augenblicke aufgestachelten Proletariate entgangen seien. Viele geriethen dennoch in die Haft des Windischgrätz. Durch eine strenge
Hausvisitation forschte man nach Pulver und Waffen, so wie nach den Gravirten, von denen eine lange Liste angefertigt ist. Die Meisten derselben sind Journalisten. ‒ Seit dem 22. Oktober sind
bei 100,000 Menschen von Wien weg. Viele derselben werden wohl von den Familien vergeblich zurückerwartet. Die Zahl der Gefallenen wird von den Bezirks-Aerzten auf 6000 berechnet. ‒ Das
Proletariat hat im Ganzen dem Grundsatze: „Heilig sei das Eigenthum!“ nach dem Zeugnisse aller, die sonst nicht seine Freunde sind, gehuldigt. Man wußte, welche Schätze an Metall und
Banknoten in der Bank lagen und Niemand ließ eine bedrohliche Aeußerung hierüber fallen. ‒ Die Verhaftungen dauern fort. Unter den bereits eingezogenen Personen nennt man die Frankfurter
Deputirten Blum und Fröbel. ‒ Professor Füster, Oberkommandant Messenhauser und sein Generalstäbler Fenneberg, ‒ Hauk, Grüzner, Taufenau, Berger, Terzky, Redakteur der Gassenzeitung u.
m. a., die bei der ultra-radikalen Journalistik betheiligt waren, sind verhaftet worden. ‒ Der Kommandant der akademischen Legion, Aigner, zog den Tod der Gefangenschaft vor, und hat durch
einen Schuß seinem Leben freiwillig ein Ende gemacht. ‒ Die meisten Reichstagsdeputirten erhoben Pässe und sind von Wien abgereist; ob in die Heimath oder nach Kremsier, ist uns nicht
bekannt.
Die obige Mittheilung meldet, daß Messenhauser gefangen sei, eine andere behauptet aber: „Die Häupter des Aufstandes hat man noch nicht. Bem, Messenhauser, Haugh, Schütte,
Pulszky, Becher und Tausenau werden noch gesucht. Der Mörder Latour's ein Schlosser, ist ergriffen. Der Nationalgardist Padowani, Ranftls Bruder, und die lange zuvor als Nationaleigenthum
erklärte Perin sind verhaftet. Im Odeon sollen durch Einsturz viel Studenten das Leben eingebüßt haben. Das Burgthor ist wie ein Sieb durchlöchert, einige Säulen beschädigt. In der Facade der Burg
stecken 80 Kugeln. In's Schwarzenberg'sche Palais fielen zwei Brandraketen nieder, ohne zu zünden. Eine Bombe hingegen zerschmetterte im Zimmer der Fürstin das ganze chinesische
Porzellan. Der Hauptangriff hatte vom Burg- und Kärtnerthor stattgefunden. Der Banus machte nach Einnahme der innern Stadt eine Fahrt durch die Burg, Kohlmarkt und den Graben. Seine Truppen, mit
Ausnahme von 5 Bataillons Gränzern, welche einstweilen in Wien bleiben, marschiren schon gegen Ungarn. Die Reichstagsabgeordneten schicken sich zur Reise nach Kremsier an. Selbst diejenigen, welche
den Protest unterzeichneten, wollen gehen. Der Präsident will dann erst alles einpacken lassen, wenn der Bescheid über die Vorstellung einlangt. Zeitungen dürfen nicht erscheinen; daß Montag ein
Abendblatt der Wiener Zeitung erschien, geschah in Folge besonderer Bewilligung des Windischgrätz. Den Reichstagssaal ließ General Cordon sperren. Heute und morgen ist Generalnachsuchung nach Waffen
und Verdächtigen. Der Adjutant Bem's wurde sammt seiner schönen Frau aus seinem Verstecke, einem Stalle des Gasthauses zum Erzherzog Karl, hervorgeschleppt. Juden, vorher an der Spitze der
Bewegung, machen jetzt die Angeber. Eine Masse des Proletariats wurde unter die Kroaten gesteckt und an die ungarische Gränze geschickt. Der Kommandant des ungarischen Korps wurde gestern
gefänglich eingezogen. ‒ In aller Frühe wurden heut die Frankfurter Deputirten der Linken, Fröbel und Blum, aus ihrem Hotel zur Stadt London abgeholt und in's Hauptquartier nach
Schönbrunn gebracht. Gestern wurden Emissäre Kossuth's, Namens Berger und der Redakteur der Gassenzeitung, Terczky, festgenommen. Morgen zieht bereits eine Abtheilung der kroatischen Armee in
ihre Heimath zurück. Aus Ungarn fehlen alle direkten Nachrichten, da die Posten unterbrochen sind. Kossuth, Pazmandy und Pulszky leiten die dortigen Angelegenheiten.
[(Bresl.
Z.)]
@xml:id | #ar141_006 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
Wien, 7. Nov.
Preßburg, welches den ersten Angriff der kaiserl. Armee zu bestehen hatte, soll sich, so wurde erzählt, gleich bei der ersten Aufforderung des
Generals Zerbelloni ergeben haben.
Bis heute konnten die Eisenbahn- und Dampfschifffahrts-Gesellschaften von Fürst Windischgrätz noch immer nicht die Erlaubniß erhalten, die staunenswerth großen
Massen von Waarengüter aller Art, in welchen auch die Kroaten das Plündern nicht sparten, befördern zu dürfen. Aller Handel und Gewerbe sind für lange gänzlich gelähmt und die Geldnoth wird mit jedem
Tage fühlbarer und drückender. Noch nie hat es das industrielle gewerbthätige Wien so schwer gefühlt, zu welchem wichtigen und bedeutenden Export Italien und Ungarn Gelegenheit und Mittel darbieten,
und welche fühlbare Theuerung die Absperrung Ungarns und dadurch auch die der Donaufürstenthümer in den nöthigsten Nahrungsmitteln hervorruft.
[(A. O. Z.)]
@xml:id | #ar141_007 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
Wien, 7.
Nov.
Der Belagerungszustand hat uns mitten in der großen Stadt gleichsam in eine Einöde versetzt. Zeitungen verirren sich zu uns gar keine mehr. Seit 24 Tagen wissen wir von der Außenwelt nicht
das Mindeste mehr; ja wir könnten es nicht einmal behaupten, ob das alte Europa noch ganz am alten Flecke stehe; sich oder seine Formen bereits umgewendet habe.
Briefliche Nachrichten, welche
uns von einem Offiziere der im südlichen Ungarn stehenden magyarischen Armee zukamen, versichern, daß ungarische Truppen bereits siegreich in Kroatien eingerückt sein sollen.
Man erzählt sich
hier, daß in Linz, der Hauptstadt Oberöstreichs, eine Revolution ausgebrochen sei und daß das Volk alle Adligen, die sich von Wien dahin geflüchtet hatten, so wie das Militär aus der Stadt verjagt
habe. Baron Welden ist auf die Dauer des Belagerungszustandes zum Gouverneur von Wien ernannt. Der ehemalige Minister Schwarzer wurde gestern verhaftet.
@xml:id | #ar141_008 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
Ollmütz, 3. Nov.,
Abends.
Die Nachrichten über die Erhebung der Landleute in den deutschen Bezirken Schlesiens nehmen an Gewicht und Schreckbarkeit immer zu. Es treten ganz dieselben Scenen ein, wie bei der
galizischen Revolution vom Jahre 1846. Die Obrigkeiten und die obrigkeitlichen Aemter sind lebensgefährlich bedroht, und von den kaiserl. Behörden verlangt das Landvolk nur immer Geld! Geld! Das
Militär, von dem ich Ihnen schrieb, daß es aus Teschen dem Aufstande entgegenzog, hat bis jetzt die Ruhe nicht herstellen können, die Flamme wächst und brennt immer mehr. Republikanische Wiener von
der einen und Polen von der andern Seite schüren fleißig am Brande. Der Hof gedenkt wahrscheinlich wenigstens über den ganzen Winter hier zu bleiben. Dies deutet auch die Veränderung mit dem hiesigen
Telegraphen an. Dieser weilt bei dem eine gute Viertelstunde von der Stadt entlegenen Bahnhofe. Nun wird er aber trotz vieler Schwierigkeiten bis in die Stadt in die Nähe des Hofes, und zwar in die
schöne neugebaute Mineurkaserne geführt.
[(A. D. Z.)]
@xml:id | #ar141_009 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
Olmütz, 7. Nov.
Heute sind 14 Gefangene von der ungarischen Armee aus Göding hier eingebracht worden. Der
General Simonic steht bei Göding und zieht Verstärkungen an sich, um gegen die Ungarn mit Nachdruck operiren zu können. ‒ In Kremsier ist der Reichstagsordner Jelen mit den
Vorbereitungen für die daselbst beginnenden Reichstagssitzungen beschäftigt. Diese werden im Lehnsaale stattfinden. Die Sitze für die Abgeordneten werden amphitheatralisch übereinandergebaut und dem
Präsidentenstuhle gegenüber Gallerien für etwa 300 Personen eingerichtet werden.
[(Br. Z.)]
@xml:id | #ar141_010 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
Ratibor, 6. Nov.
Von den Operationen der kaiserl. Truppen gegen
Ungarn ist bis jetzt nichts Sicheres bekannt geworden; dagegen werden uns bereits die Streitkräfte der Ungarn ziemlich genau angegeben. Die Magyaren sollen im Stande sein, dem Feinde jeden Augenblick
3-400,000 Mann, darunter an 60,000 reguläre Truppen, entgegenzustellen. Letztere bestehen hauptsächlich aus übergetretenen italienischen Regimentern. ‒ Kossuth ist in seinem Lande allmächtig,
und seine Beredsamkeit zaubert nicht nur die Mannschaften in begehrter Anzahl herbei, sondern verwandelt auch seine Feinde in seine Freunde. So hat sich ‒ authentischer Mittheilung zufolge
‒ in einer Versammlung ein für 50000 fl. erkaufter Meuchelmörder befunden. Als dieser aber Kossuths Rede gehört, fühlte er sich so begeistert, daß er ihm Alles entdeckte. Bei der Defensive der
Ungarn wird der Kaiser sich wohl in Unterhandlungen einlassen müssen, wie Sachverständige meinen; geschieht dies nicht, so dürften wir in Bälde im Südosten, einen Vernichtungskampf der Nationalitäten
erleben, wie die Geschichte ihn nur selten aufzuweisen hat. Schon jetzt werden von Augenzeugen entsetzliche Schandthaten erzählt.
[(Sch. Z.)]
@xml:id | #ar141_011 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
Breslau, 8. Nov. Abends 9
1/2 Uhr.
Eben erhalten wir noch die Wiener Post und zwar von Zeitungen, außer der Wiener Zeitung noch den Oestreichischen Lloyd! Warum der Wendenfürst Windischgrätz letztere Zeitung von dem
Belagerungszustande emanzipirt hat, geht aus dem Leitartikel derselben hervor, welcher uns begreiflich machen soll, daß die Sache der Freiheit bei dem Untergange Wiens keinen Schaden genommen hat. Da
die Wiener Zeitung als das anerkannte „amtliche“ Organ mit einer solchen Deduktion keinen Effekt gemacht hätte, mußte man irgend ein anderes Blatt erscheinen lassen, welches schamlos
genug wäre, der Reaktion Liebesdienste zu erweisen. Der Oestreichische Lloyd hat sich dieser Bevorzugung würdig gemacht.
Die Wiener Zeitung enthält wieder eine Anzahl amtlicher Bekanntmachungen
von besonderm Interesse; wir heben nur einige hervor: 1) F.-M.-L. v. Welden ist zur Leitung der für Erhaltung des Belagerungszustandes nöthigen Maßregeln unter dem Titel eines Gouverneurs berufen
worden; 2) Loyalitätsadresse der Bürger Korneuburgs an Windischgrätz.
[(A. D.-Z.)]
@xml:id | #ar141_012 |
@type | jArticle |
@facs | 0724 |
Schweidnitz, 5 November.
An die Männer des schlesischen
Gebirges.
Mitbürger! Das Schrecklichste ist geschehen! Der Verrath hat gesiegt, Wien ist gefallen und Tausende unserer Brüder, die für das heiligste Gut der Menschheit: die Freiheit gekämpft,
sind erbarmungslos hingeschlachtet; selbst der zarten Frauen, der unschuldigen Kindlein hat man nicht geschont, sondern mit Hyänenwuth sie zerfleischt.
O es ist ein Verbrechen begangen worden,
das Nichts auf dieser Welt zu sühnen vermag, selbst nicht der Schutt der Throne, von denen herab der Brudermord dekretirt ward. Das fühlende Menschenherz zerspringt voll Wehmuth, wenn es an
all' die Gräuel denkt, welche die fluchwürdigste Reaction, die nichtswürdigste Herrschsucht in den jüngsten Tagen verübt; die treueste Mannesbrust kocht über voll Wuth ob des teuflischen
Verraths Derer, denen das großherzige Volk bei seinem Freiheitssiege im März mitleidig das Dasein geschenkt; sie kocht über voll Wuth ob des gräßlichen Blutbades, das Jene über das Volk gebracht,
welche die heilige Pflicht übernommen hatten, die Freiheit zu schützen, die Bildung zu fördern und den Wohlstand des Volkes zu heben, die aber aus Dankbarkeit für Das, was ihnen die Großmuth des
braven Volkes belassen, diesem mit vergifteten Dolchen, mit Kanonen und scharfgeschliffenen Schwertern, mit Schändung, Brand und Mord lohnen.
Mitbürger! Wer trägt aber die meiste Schuld an
all' dem Elend, welches jetzt über unsere Brüder in Oesterreich ‒ und auch über uns hereingebrochen?
Wir selbst tragen sie. Denn wir waren zu gutmüthig, zu leichtgläubig, zu
sorglos. Wir unterließen es, der Schlange den Kopf zu zertreten, als es noch Zeit war; wir beteten das goldene Kalb auf seinem Throne an, und bedachten nicht, daß wir Götzendienst verrichten; wir
lauschten den Tönen des Krokodills und ließen uns in seinen Rachen locken.
Ha! Was ist nicht Alles schon in den jüngsten Monden geschehen, und was kann nicht Alles noch geschehen? Wollen wir
weiter schlafen und das Klirren der Mordwerkzeuge unserer teuflischen Feinde nicht hören und beachten? Wollen wir sorglos die Hände im Schooße liegen und uns die Haut von den Knochen ziehen, den
letzten Blutstropfen aus unsern Adern saugen lassen? Wollen wir die Tyrannen fortschlachten und die asiatische Knute zur Herrschaft über uns freie Männer bringen lassen? Soll denn in der That ein
Völkerstamm nach dem andern hingemordet, das freie schöne Deutschland in eine Schlächtergrube verwandelt, das civilisirte Europa zum Golgatha der Barbarei gemacht werden??
Nein! Nein und tausend
Mal Nein!
Nun wohlauf denn! Laßt uns sühnen, was wir verschuldet! Laßt uns Gericht halten, ehe es „zu spät“ wird!
In Polen war das große Trauerspiel der Contre-Revolution
begonnen, in Schweidnitz, Mainz, Prag und anderen Städten Deutschlands einzelne Scenen aufgeführt und in Wien der zweite Akt dieses Tnauerspiels vollendet. Jetzt sind wir an der blutigen Reihe.
Berlin und Schlesien werden der Schauplatz des dritten Aktes sein.
Darum auf, Ihr wackern Männer des Gebirges! Auf! rüstet Euch, damit Euch der Schlag nicht unvorbereitet trifft! Bedenkt, wie
man bisher Euer Dasein, Eure Existenz gesichert, wie man mit dem Hungertuche für Euch gesorgt hat! Bedenkt, wie all' Euer Bitten ungehört, wie all' Euer Mühen und Sorgen vergebens
gewesen, wie so viele Eurer Brüder und Schwestern dem Elend und dem Hungertode zum Raub geworden sind! Und durch wen? Durch die, für welche Ihr bisher Tag und Nacht gearbeitet, für welche Ihr gedarbt
und gehungert, die Ihr mit Eurem Herzblut getränkt, mit Eurer nackten Brust geschützt habt, und zwar ‒ wie Ihr seht ‒ nur deshalb, damit sie Eure Freiheit untergraben, Euch und Eure
Brüder morden können.
Auf! Männer des Gebirges! Machet die Sache Oesterreichs zu der Eurigen! Helfet die deutsche Sache, helfet die Sache der Freiheit retten! In Berlin will in diesen Tagen die
Natterbrut „Kamarilla“ den Schlag gegen das Volk ausführen, über dem sie seit Monden brütet. Berlin soll wie Wien ein zweites Magdeburg werden; unter seinen Trümmern soll die Freiheit
begraben werden. Und die Schlesier sollen das große Leichentuch weben.
Mitbürger! Duldet dies nicht! Eure Schmach wäre ohne Gränzen, die Nachwelt würde Euch fluchen, so wie sie Euch lohnen wird,
wenn Ihr für die Freiheit und Menschlichkeit Euren schützenden Arm jetzt erhebt. Unsere Berge können uns nicht mehr schützen, wir müssen uns und die Unsrigen selbst schützen! Auf! Laßt uns darum
handeln, ehe es „zu spät“ ist.
Damit wir aber nicht vereinzelt handeln und so am Ende aufgerieben werden, damit wir vielmehr vereint den nahenden Stürmen und Ungewittern gleich
einer ehernen Mauer die Spitze bieten können, ist es nothwendig, daß wir uns über die Schutz- und Vertheidigungs-Maaßregeln besprechen und verständigen.
Wir fordern demnach alle Führer der
demokratischen Partei, alle Präsidenten der demokratischen Vereine, der Landwehr- und Bürger-Vereine, so-
[0725]
wie die Deputirten der Kreis-Rustikal-Vereine im schlesischen Gebirge auf, sich künftigen Sonnabend den 11. d. Mts., früh 8 Uhr, im Gasthause zu Kynau ‒ auf der Straße zwischen Schweidnitz und
Neurode ‒ versammeln zu wollen.
Schweidnitz, den 5. November 1848.
Der demokratische Verein. Im Auftrage: I. M. Petery.
@xml:id | #ar141_014 |
@type | jArticle |
@facs | 0725 |
[
*
] Erfurt, 5. November.
Ein Zeichen von dem regen demokratischen Leben, welches in unserer Stadt herrscht und seinen Mittelpunkt im Buchhändler Berlepsch findet, möge folgendes an unseren Straßenecken klebendes Plakat
geben.
Bürger von Erfurt!
Das Ministerium Pfuel hat seine Entlassung eingereicht. Der König hat sie angenommen und den General Brandenburg mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Die Ernennung dieses Mannes zum
Minister-Präsidenten hat eine furchtbare Aufregung im Preußischen Volke hervorgerufen. Die National-Versammlung hat deshalb eine dringende Adresse an den König entworfen und überreichen lassen mit der
Bitte, die Ernennung des General Brandenburg, der das Vertrauen der Nation nicht besitzt, zurückzunehmen und ein neues volksthümliches Ministerium zu ernennen. Das Schicksal Preußens, Deutschlands, ja
halb Europa's liegt in der Wagschaale. Die Krone wird entscheiden, ob Revolution oder Ausbau einer demokratischen Verfassung auf friedlichem Wege. Die Zeit drängt und mit ihr die Maßnahme der
Nation. Zu dem Ende berufen wir auf
Heute Sonnabend Mittag 1 Uhr
und
Morgen Sonntag Nachmittags 3 Uhr
die Bewohner der Stadt und des Landes zu einer
Volksversammlung auf den Graden
ein. ‒ Erscheint zahlreich!
Erfurt, den 4. November 1848.
Der Vorstand des Bürger-Hülfs-Vereins.
Die Ordnerschaft des demokratischen Vereins.
@xml:id | #ar141_015 |
@type | jArticle |
@facs | 0725 |
[
!!!
] Frankfurt, 9. November.
Sitzung der National-Versammlung. (Präsident von Gagern.)
Tagesordnung:
Abstimmung über §. 12 des Verfassungsentwurfs und Berathung der folgenden Paragraphen.
Vor der Tagesordnung.
Präsident liest ein Schreiben vom Abgeordneten Moritz Hartmann aus Wien mit der Anzeige an die Nationalversammlung, daß Blum und Fröbel in ihrer Wohnung zu Wien am 4. Novbr. verhaftet worden
sind. (Tiefe Stille.)
Wesendonk interpellirt den Justizminister, „welche Schritte zum Schutz der in Wien durch Windischgrätz standrechtlich verhafteten Abgeordneten (Blum u. Fröbel) gethan habe? Wesendonk
verlangt das Wort hierüber. Die Versammlung beschließt einstimmig, es ihm zu geben.
Präsident zeigt mehrere Flottenbeiträge an, u. a. 125 fl. von den Deutschen aus Paris! Mehrere Berichte werden erstattet, unter andern einer von Mittermaier für den Ausschuß, welcher sich
mit der allgemeinen Deutschen Wechselordnung beschäftigt. Der Ausschuß beantragt die in Leipzig festgestellte Wechselordnung ohne alle Aenderung anzunehmen. (Lautes Bravo!)
Folgen andere unbedeutende Berichte, welche über mehrere begutachtete Anträge von Mitgliedern der Linken (wie immer) Tagesordnung beschließen.
Peukert (Kriegsminister, den wir nach undenklicher Zeit einmal wiedersehn), beantwortet eine Interpellation des Abgeordneten Mohr wegen übermäßiger Einquartierung des Kreises Rheinhessen.
Antwort: Die Centralgewalt in vollster Uebereinstimmung mit der hessischen Regierung hat 4000 Mann nach Rheinhessen gelegt, was für diesen großen Kreis nicht viel sei. Diese seien so locirt, daß auf
eine Familie etwa 1 Mann Einquartirung käme, wofür sobald als möglich per Mann täglich 18 Kreuzer (5 Sgr. preußisch) gezahlt werden würde. (Bravo im Centrum).
Mohr von Ingelheim beruhigt sich bei dieser Antwort nicht, sondern stellt einen dringlichen Antrag, der als nicht dringlich an den Wehrausschuß geht. ‒
Justizminister v. Mohl beantwortet Wesendonk's Interpellation (S. o.) Die Kenntniß der Verhaftung hat er zwar nur erst aus den Zeitungen, ‒ hat aber alsbald an das
österreichische Ministerium geschrieben, und auf das Reichsgesetz vom 10. Oktober hingewiesen, wonach alle Abgeordneten überall und unter allen Umständen unter Schutz der Nationalversammlung stehen,
und nur mit Genehmigung dieser verhaftet werden können. Uebrigens glaubt das Ministerium Recht gethan zu haben, seine desfallsigen Forderungen nur an das österreichische Ministerium und nicht an
Windischgrätz gestellt zu haben, weil mit Letzterem das Reichsministerium nichts zu schaffen hat. (Bravo im Centrum).
Wiesner (und 20 Andere) beantragen dringlich:
1) den Belagerungszustand von Wien aufzuheben;
2) den Wiener Reichstag in seine Rechte einzusetzen;
3) Alle Untersuchungen gegen die edlen Freiheitskämpfer (Gelächter im Centrum) niederzuschlagen.
Präsident: Ob dieser Antrag dringlich? (Gelächter). Kaum die halbe Linke erhebt sich, der Antrag geht an den österreichischen Ausschuß, bis er darin vor Alter und Unmuth schwarz und gelb
geworden sein wird
Tagesordnung.
Man erschöpft sich in einer langweiligen Debatte über die Fragestellung zu §. 12 des Entwurfs.
§. 12. „Der Reichsgewalt steht die gesammte bewaffnete Macht Deutschlands zur Verfügung.“
Minoritäts-Erachten: „Den Umfang der Reichsgewalt über die gesammte bewaffnete Macht Deutschlands bestimmt der Abschnitt von der Reichswehr.“ (Wigard, Schüler, Blum).
An die Stelle dieses wie Sie sehen sehr radikalen Paragraphen will der Wehrausschuß (mit dem preußischen Oberst Stavenhagen und anderen hohen Militärs nebst Anhang) folgende Bestimmungen
setzen:
a) Ueber eine allgemeine, für ganz Deutschland gleiche Wehrverfassung ergeht ein besonderes Reichsgesetz.
b) Die gesammte deutsche bewaffnete Macht zu Lande und zur See steht unter der oberen Leitung und Aufsicht nach den Bestimmungen dieses Gesetzes (§. a.)
e) Den Befehl über die einzelnen Theile der Landmacht führt die Reichsgewalt, im Frieden in der Regel nur mittelbar durch die betreffenden Landesregierungen; sie kann jedoch, wenn sie Gefahr im
Verzuge sieht, und es für das Reichsinteresse erforderlich erachtet, auch im Frieden verlangen, daß ein größerer oder geringerer Theil der Truppen unter ihren unmittelbaren Befehl trete.
d) Ueber die allgemeine Vertheilung (Dislokation) der Truppen im Frieden hat die Reichsgewalt zu entscheiden, soweit dabei nach ihrem Ermessen die Sicherheit des Reiches in Frage kommt.
e) Für den Krieg und im Kriege hat die Reichsgewalt die unmittelbare und ausschließliche Verfügung über die gesammte deutsche Wehrkraft in allen ihren Theilen.
Hierzu kommen mehrere Amendements einzelner Abgeordneter.
§. 12 nach dem Antrag des Verfassungsausschusses wird mit großer Mehrheit angenommen, Wehrausschuß und Minoritätserachten und alle Amendements verworfen.
§. 13. (Herr Simson präsidirt). Man hat beschlossen, über denselben zu diskutiren, und wie! ‒ Die Rednerliste wenigstens will ich Ihnen nicht vorenthalten: für den §. des Entwurfs:
Mittermaier, Soiron, Biedermann, Tellkampf, Reichard, Siegel. Gegen den Entwurf: Wedekind, Max Simon, Graf Reichenbach, Scheller, Schwarzenberg, Raumer, Mölling, Rösler, Wydenbrugk, Holland, Grävell,
Frese, Graf Schwerin.
Der Reigen beginnt mit Mittermaier, dem Berichterstatter des Verfassungsausschusses.
Ich fürchtete eine lange Diskussion; aber man hatte es bald satt, und schloß die Debatte nach kaum 1/2 Stunde.
§. 13. (nach dem Verfassungs-Ausschusse). „Das Reichsherr besteht aus der gesammten zum Zweck des Kriegs bestimmten Landmacht der einzelnen deutschen Staaten. Der Reichsgewalt steht es zu
die Größe und Beschaffenheit derselben zu bestimmen. Diejenigen Staaten welche als Contingent weniger als 6000 Mann stellen, geben in Beziehung auf das Heerwesen ihre Selbstständigkeit auf und werden
in dieser Beziehung entweder unter sich in größere Ganze verschmolzen, welche dann unter unmittelbarer Leitung der Reichsgewalt stehen, oder insofern diese Verschmelzung nicht für angemessen befunden
wird, einem angrenzenden größeren Staate angeschlossen. In beiden Fällen haben die Landesregierungen dieser kleineren Staaten keine weitere Einwirkung auf das Heerwesen, als ihnen von der Reichsgewalt
oder dem größeren Staate übertragen wird.
Dazu kommen die Anträge des Wehrausschusses und viele Amendements. ‒ Das von Grävell ist diesmal von Radowitz, Vinke, v. Bally, Graf Schwerin, Merk, Reda Weber etc. unterstützt. Sie sehen,
um gewisse Zwecke zu erreichen, geschehen sogar Wunder! ‒
Von vorneherein erklärt die Versammlung, daß durch den Inhalt des §. 13., falls er angenommen wird, der Mediatisirungsfrage auf keine Weise präjudizirt werden sol. ‒ Der §. 13. nach dem
Verfassungs-Ausschusse (wie oben) wird angenommen; und Nichts weiter. Sieg des Verfassungs-Ausschusses über den Wehrausschuß; Sieg der Professoren über die Kriegsleute. ‒ Man geht zu §. 14.
Auf die Diskussion verzichtet man. Nach dem Verfassungsentwurf heißt er: „Die Reichsgewalt hat in Betreff des Heerwesens die Gesetzgebung und die Organisation; sie überwacht deren Durchführung
in den einzelnen Staaten durch fortdauernde Controle. Den einzelnen Staaten steht die Ausbildung ihres Kriegswesens auf Grund der Gesetze und Anordnungen des Reichs zu. ‒ Sie haben die
Verfügung über ihre bewaffnete Macht, soweit dieselbe nicht für den Dienst des Reichs in Anspruch genommen wird.“ ‒
(Zu §. 14.) Minoritätserachten. Statt dieses Paragraphen möge folgende Bestimmung aufgenommen werden:
„Der Reichsgewalt steht die Gesetzgebung in Bezug auf die Gleichmäßigkeit der Organisation des Heeres zu. Sie überwacht deren Durchführung in den einzelnen Staaten durch fortdauernde
Controle.
„Den einzelnen Staaten steht die Ausübung ihres Kriegswesens auf Grund der Gesetze und Anordnungen der Reichsgewalt zu.“
(Scheller. Detmold. Mühlfeld. v. Rotenhan.)
Zweites Minoritätsgutachten:
Die Reichsgewalt hat die Gesetzgebung, Leitung und Oberaufsicht über die gesammte bewaffnete Macht Deutschlands.
Die Reichsgewalt bestimmt die jedesmalige Größe der im Dienst zu haltenden Wehrmannschaft.
Der Reichsgewalt steht das Recht der Vertheilung der bewaffneten Macht zu, so weit dies der Reichsschutz und die innere Ordnung und Sicherheit fordert.
Eine Verlegung des Reichsheeres eines Reichskreises in einen anderen, soll in Friedenszeiten nicht statt finden.
(Wigard. Schüler. Blum.)
§. 14. nach dem Verfassungsausschuß wird angenommen, alles übrige verworfen.
§. 15. wird ohne Diskussion angenommen. Er lautet: „In den Fahneneid ist die Verpflichtung zur Treue gegen das Reichsoberhaupt und die Reichsverfassung an erster Stelle
aufzunehmen.“ ‒
Minoritätserachten: (Schüler, Wigard, Blum.) „Die Reichsheere schwören Treue der Verfassung des Reiches.“ Verworfen.
§. 16. wird ohne Diskussion nach dem Wehrausschuß angenommen. Er heißt: „Alle durch Verwendung von Truppen zu Reichszwecken entstehenden Kosten, welche die Ausgabe für den durch das Reich
festgesetzten Friedensstand übersteigen, fallen dem gesammten Reich zur Last.“ ‒
§. 17. ebenfalls ohne Diskussion nach dem Wehrausschuß mit 224 Stimmen gegen 178 angenommen. ‒ Er lautet: „Ueber eine allgemeine für ganz Deutschland gleiche Wehrverfassung, ergeht
ein besonderes Reichsgesetz.“ ‒
§ 18 nach dem Verfassungsausschuß lautend: „Die Ernennung der Generale geschieht auf Vorschlag der Einzelregierungen durch die Reichsgewalt.“ Die Diskussion wird beschlossen. Falk,
Graf Reichenbach, Wedekind, Scheller, Teichert sollen sprechen und verzichten der Reihe nach unter Gelächter aufs Wort.
Radowitz bittet Statt des Entwurfs der Verfassung, den Antrag des Wehrausschusses anzunehmen mit seinem Amendement.
§. 18 nach dem Wehrausschuß: „Die Besetzung der Befehlshaberstellen und die Ernennung der Offiziere jeden Grades, welche nach den Bestimmungen des Reichsgesetzes bei den Kontingenten der
Einzelstaaten kommen kann, bleibt nach Maßgabe der hierauf bezüglichen Anordnungen jenes Gesetzes den betreffenden Landesregierungen überlassen, nur wo die Kontingente zweier oder mehrerer Staaten zu
großeren Ganzen kombinirt sind, ernennt die Reichsgewalt unmittelbar die Befehlshaber dieser größeren Körper.
„Für den Krieg ernennt die Reichsgewalt die kommandirenden Generale der auf den verschiedenen Kriegstheatern operirenden Armeen und selbstständigen Korps, ebenso das Personal der
Hauptquartiere dieser Armeen und Korps.“
Amendement Radowitz: „Die von den Einzelregierungen zu ernennenden Generale werden der Reichsgewalt zu gleichzeitiger Ernennung und Patentirung als Reichsgenerale
vorgeschlagen.“
Schüler empfiehlt statt des Vorschlags des Verfassungsausschusses ein Minoritätserachten von Wigard, Blum, Schüler.
v. Möhring ganz wie Radowitz.
v. Stavenhagen, Berichterstatter des Wehrausschusses, empfiehlt den Antrag des Wehrausschusses.
Mittermaier, (für den Verf-Ausschuß), erklärt die Anträge des Wehrausschusses für dem Prinzip des Partikularismus zuneigend. (Widerspruch.) Ja, meine Herren, es ist einmal nicht anders.
(Heiterkeit.) Der Antrag des Verfassungsausschusses (s. oben) wird angenommen trotz Radowitz und Konsorten.
Dazu ein Minoritäts-Erachten von Scheller, Detmold etc., welches den Vorschlag vom Wehrausschuß und Radowitz und Konsorten zur Hinterthür hereinbringt. (Links Aufregung.)
Das Minoritäts-Erachten lautet: „Für den Krieg ernennt die Reichsgewalt die kommandirenden Generale der auf den verschiedenen Kriegstheatern operirenden selbstständigen Korps, sowie das
Personal der Hauptquartiere dieser Armeen und Korps. Angenommen.
§. 19. Antrag des Verfassungs-Ausschusses. „Der Reichsgewalt steht die Befugniß zu, Reichsfestungen anzulegen und, insoweit die Sicherheit des Reiches es erfordert, vorhandene Festungen
gegen billige Ausgleichung, namentlich für das überlieferte Kriegsmaterial, zu Reichsfestungen zu erklären.
Die Reichsfestungen werden auf Reichskosten unterhalten.“
Wird ohne Diskussion angenommen.
Auch auf die Diskussion über §. 20 verzichtet man. Man eilt!
Nach Antrag des Verfassungs-Ausschusses lautet er:
„Die Seemacht ist ausschließlich Sache des Reiches.
„Der Reichsgewalt liegt die Sorge für die Ausrüstung, Ausbildung und nterhaltung der Kriegsflotte, der Kriegshäfen und Seearsenale ob.
„Die Ernennung der Flottenoffiziere geht allein vom Reich aus.“
(Zu §. 20.) Minoritäts-Erachten I. Statt des ersten Absatzes dieses Paragraphen werde gesagt: „Die Kriegsflotte ist ausschließlich Sache des Reichs.“ (Scheller, Detmold,
Mühlfeld)
Nach einer Mischung von den Anträgen des Verfassungs- und Marine-Ausschusses, sowie des Nauwerk'schen Antrags lautet er:
„Die Seemacht ist ausschließlich Sache des Reichs. Es ist keinem Einzelstaate gestattet, Kriegsschiffe für sich zu halten, noch Kaperbriefe auszugeben. Die Bemannung der Flotte bildet einen
Theil der gesetzlich festgestellten Wehrmacht, sie ist jedoch unabhängig von der Landmacht. Diejenigen Staaten, welche Mannschaft für die Flotte stellen, erfüllen dadurch einen Theil der ihnen
obliegenden Bundeswehrpflicht. ‒ Die Ernennung der Offiziere und Beamten der Seemacht, geht allein vom Reiche aus. (Dieser Satz ist Nauwerk's Amendement, unter großer Heiterkeit
angenommen.) Der Reichsgewalt liegt die Sorge für die Ausrüstung, Ausbildung und Unterhaltung der Kriegsflotte, für die Anlegung, Ausrüstung und Erhaltung von Kriegshäfen und Seearsenalen ob. ‒
Ueber die zur Errichtung von Kriegshäfen und Marine-Etablissements nöthigen Enteignungen, sowie über die Befugnisse der dabei anzustellenden Reichsbehörden, bestimmen die zu erlassenden
Reichsgesetze.“
[unleserlicher Text] Hierauf vertagt man die Sitzung um 2 Uhr bis morgen. ‒ Also acht Paragraphen in einer Sitzung durch- und angenommen. Was soll man dazu sagen?
@xml:id | #ar141_016 |
@type | jArticle |
@facs | 0725 |
Mannheim, 7. Nov.
Sicherlich ist Ihnen schon etwas über eine Verschwörung unter den nassauer Soldaten zugekommen. Mir wurde von verschiedenen Seiten und sogar aus gut unterrichteten Quellen versichert, daß sie
wirklich bestanden habe und deren Ziel Ermordung des Obersten und noch einiger Offiziere gewesen sein soll. Die Untersuchung ist, diesen Nachrichten zufolge, in vollem Gange; fast täglich wird ein
Transport Gefangener geschlossen hierhergeführt und in dem ehemaligen Zuchthause in Verwahr gebracht. Ich hoffe, Ihnen später vielleicht Verbürgteres mittheilen zu können, wenn von dem Verlaufe der
Untersuchung, welche in Heidelberg geführt wird, mir etwas zukommt.
[(D. Z.)]
@xml:id | #ar141_017 |
@type | jArticle |
@facs | 0725 |
Schleswig, 7. Nov.
Nachdem die Mitglieder des Bureaus, wie wir aus zuverlässiger Quelle vernehmen, von der Regierung genügende Aufklärung über die gegenwärtige Lage der Dinge erhalten haben, sind dieselben der
einstimmigen Ansicht gewesen, daß durch die Proteste der Kommissare der gesicherte Rechtsbestand, namentlich auch des Staatsgrundgesetzes, für den Augenblick nicht gefährdet und das öffentliche Recht
des Landes nicht bedroht sei. Es ist daher beschlossen worden, für jetzt die Versammlung nicht zu berufen.
[(S. H. Z.)]
Französische Republik.
@xml:id | #ar141_023 |
@type | jArticle |
@facs | 0725 |
[
19
] Paris, 8. Nov.
Der „zahnlose Löwe“ ist in der That am Abend seiner Tage. Die Präsidentschaft der biedern Assemblée war der Mist, auf dem er sich zur Ruhe legte, und die boshafte Rache seiner
royalistischen Ex-Gegner, welche ihm das Gnadenbrod von 10,000 Fr. per Monat versagten, kann füglich als der letzte Tritt des Grauchen auf den sterbenden König der honetten Bestien angesehen
werden.
„Scheint die Sonne noch so schön,
Einmal muß sie untergehen.“
Und für Ehren-Marrast ist sie bereits so weit untergegangen, daß sie noch einmal die ferne Montagne seiner Blüthezeit am „National“ beleuchtet, um den Marquis der Republik in seinem
jetzigen Sumpf desto tiefer in Schatten zu stellen.
Hr. Jules Gouache, ehemaliger Gerant der Reforme, hat es unternommen, die Vergangenheit und Gegenwart des großen Namens in anschaulicherweise nebeneinander zu stellen; Hr. Staatsprokurator
Hecker in Köln, der unerreichbare Kunstkenner historischer Aktenstücke, würde sagen, Gouache hat Hrn. Marrast „konstituirt“. In der That, die kleine Broschüre Gouache's:
„Les violons de M. Marrast“ beschränkt sich darauf, alle Melodien wieder anzuschlagen, die Hr. Marrast unter Louis Philippe und jetzt unter der honetten Republik abgeleiert hat, und wenn
die Konstituirung dieser „Violinen des Hrn. Marrast“ ebensosehr, wie alle Dilettantenstudien Ihrer Kölnischen Violinen-Geiger, einem muthwilligen Charivari gleicht, so ist das nicht die
Schuld des Hrn. Gouache.
Hören wir z. B. was Hr. Armand Marrast, der Freund Cavaignac's und Vertheidiger aller Verfolgungen der demokratischen Presse seit den Junitagen, noch kurz vor der Revolution über die
Freiheit der Presse sagte. „Die revolutionäre Presse,“ schrieb er in dem Werk: „Paris révolutionaire“, „ist kein Hebel der Anarchie, sondern ein Mittel der
Organisation, und darum gerade wurde sie geächtet und verfolgt, so lange das Monopol und die Privilegien herrschten, diese Blüthen einer gesetzlichen Ordnung, die sich nur auf Bajonette
stützen kann.“ Was hält Hr. Marrast demnach von der neuen „Ordnung der Dinge“, dieser eben votirten honetten Konstitution, die unter der Herrschaft des Belagerungszustandes
berathen wurde und die Verfolgung der ganzen demokratischen Presse nöthig hatte? „Die freie Urberzeugung der Brutalität unterordnen,“ sagte Hr. Marrast weiter, „das heißt dem
Egoismus und den schlechten Leidenschaften die Staatskarriere öffnen; das heißt das gesellschaftliche Leben in den Magen, in den Appetit, in die profitwüthige Habsucht koncentriren; das heißt nach
beiden Seiten hin demoralisiren, zum Vieh verdummen.“ Und Hr. Marrast klatschte der Unterdrückung der Braie Republique, des Lampion, des Proudhonschen Representant du Peuple Beifall! Hr.
Marrast hatte Recht hinzuzufügen: „Das ist die Regierungswirthschaft seit 30 Jahren,“ ‒ das Jahr 1848 mit eingeschlossen.
Hr. Marrast ist der parlamentarische Löwe der honetten Bourgeois-Republik; die Herrschaft der Krämer und Beutelschneider, wie sie die unter Hrn. Marrast und dem Belagerungszustande berathene
Constitution garantirt, ist für ihn die wahre gesetzliche „Ordnung der Dinge“. Hören wir, was Hr. Marrast in dem Buche: «Vingt jours de secret» über die Bourgeoisie sagt.
„Die Bourgeoisie ist weder der Kopf, der denkt, noch das Herz, das schlägt, noch die Nerven, die arbeiten; sie ist die träge, nutzlose Fettmasse an dem sozialen Körper, welche sich gleichwohl
aus den besten Säften nährt. Die Devise der Bourgeoisie ist nicht die
Ordnung, sie begreift dies Wort nicht; es ist die Ruhe ‒ die Ruhe mit einer bestimmten Eskorte von Vergnügungen,
Schauspielen, Zerstreuungen und andern Früchten einer Civilisation, die sie der Auswucherung und Aussaugung der Arbeit verdankt ‥‥ ‒ Die Bourgeoisie exploitirt den Fortschritt der
Völker, sie
[0726]
schafft ihn nie; sie ist nie revolutionär, aber sie provocirt die Revolution; ihre Taktik ist, den Sieger zu plündern, wenn er ihr nicht mit Gewalt entgegentritt… Nicht das Volk, sondern die
Bourgeoisie ist verantwortlich zu machen für die Fehler unserer ersten Revolution. Die Bourgeoisie war es, die der Reaktion vom Jahr III sekundirte, wie sie dem Wohlfahrtsausschusse sekundirt hatte;
die Bourgeoisie war es, die dem Ehrgeiz des ersten Konsul huldigte, das Kaiserthum einräucherte und den Kaiser verrieth; sie war es, welche die mit Gewaltthätigkeiten und Schandthaten besudelten
Generale der Restauration einführte; sie war es, die alle jene Beamten lieferte, die aus der Gerechtigkeit eine Metze der Polizei machten; sie war es, die aus Furcht vor den Folgen ihres eigenen
Egoismus und aus Rache über ihre Zurücksetzung in Aemtern und Würden (1830) das Volk zu Hülfe rief; sie war es, welche den Sieg des Proletariats stahl, um sich der von ihr selbst verurtheilten
Privilegien zu bemächtigen; sie war es, welche eine unerhörte Civilliste dem Volke auf die Schultern wälzen ließ und den Staat an den Abgrund des Verderbens treibt…
Die Bourgeoisie ist feig;
die Gewalt und die Brutalität bezeichnen ihre Spuren. Die Toaste der demokratischen Banketts sind ein sanftes Säuseln neben diesem groben Donnerwetter, und vieleicht war dies der Grund, weshalb
der geliebte Benjamin der Bourgeoisie an jenem Tage nicht präsidiren wollte, wo Hr. Denjoy, der kühne Neffe des Hrn. Salvandy, das Gouvernement wegen der Banketts von Toulouse und Bourges
interpellirte.
Und die Juni-Insurrektion? Man weiß, wie Felix Pyat vor 4 Tagen in seiner vortrefflichen Rede über das droit au travail von dem Präsidenten Marrast dreimal zur Ordnung gerufen wurde, weil er
‒ unerhörter Frevel! ‒ „die Juni-Insurgenten in Schutz zu nehmen wagte.“ Hören wir, wie der ehemalige Redakteur des National bei Gelegenheit der ersten Juni-Insurrektion
unter Louis Philipp (Kloster St. Mery) die Insurrektion legitimisirte und verherrlichte. „Wißt ihr,“ sagte Hr. Marrast in dem Prozest der zweiundzwanzig Angeklagten, „wißt ihr,
wer diese Leute sind, die hier vor Gericht stehen, und die, welche bereits fehlen? Es sind dieselben, deren Herzen und Arme ihr in der Juli- (Februar-) Revolution annahmet, dieselben, welche sich
damals wie heute, voll Unerschrockenheit, groß im Heldenmuth, größer noch durch Aufopferung zeigten. Wenn der Sieg sie gekrönt hätte, ihr würdet ihre Namen in die ehernen Tafeln des Pantheons graben.
Aber das Gesetz! Ja wohl, das Gesetz ist immer für den Sieger, denn er macht es. Lassen wir das Gesetz. Um was handelt es sich in diesem Prozeß? Um eine Insurrektion. Um was handelte es sich im Juli
(Februar) ? Um eine Insurrektion. Welches waren damals die handelnden Personen? Diejenigen, welche die honette Gesellschaft verstößt, verläugnet, unterdrückt. Welches sind sie heute? Lest ihre
Geschichte: es ist die nämliche Veranlassung, das nämliche Interesse, das nämliche Prinzip. Die Juni-Insurrektion wurde provocirt durch ein System, welches Polen, Italien, Belgien verrathen,
und dieselbe Revolution, der das Gouvernement sein Dasein verdankt, beschimpft und verleugnet hat!“
Nichts fehlt an diesem Bild als die Jahreszahl 1848. Und als die biedern Geschworenen, die in allen Ländern gleich verächtliche Bourgeois-Jury, über die gefangenen Demokraten ihr Schuldig
gesprochen, schrieb Herr Marrast weiter: „Edles Gesetz, das immer bereit ist, wenn es das Volk zu ermorden gilt, immer lügenhaft, wenn es von seiner Beschützung spricht! Verspricht das Gesetz
nicht, die Angeklagten durch ihres Gleichen richten zu lassen? Und wer sind hier ihres Gleichen? Es sind diejenigen, welche arbeiten, um sich jeden Tag um die Früchte ihres Fleißes betrogen zu sehen.
Es sind die in allen Ateliers, überall im Lande und in den Städten zerstreuten Proletarier, die wahren Triebfedern alles dessen, was man die Civilisation nennt, die Männer des Volks, welche ihr
überall findet, wo es Leiden zu erdulden giebt, überall geächtet, wo die Frucht der Arbeit gesammelt wird‥‥. Das Gesetz bestraft die Anstifter und Anfacher des Bürgerkriegs: aber
bedenkt, daß es noch eine Art von Bürgerkrieg giebt, einen stillen, geräuschlosen, mörderischen Bürgerkrieg, der Tag für Tag seine Opfer verschlingt; einen Verwüstungskrieg, der den Hunger und die
Pest zur Seite hat, und dessen Schlachtfeld ihr nie übersehen werdet; einen Bürgerkrieg, der begonnen hat mit der Usurpation, und sich fortpflanzt durch die Schacherwuth und den Egoismus; einen
Kannibalenkrieg, den ein Theil der Gesellschaft unaufhörlich, unerbittlich gegen den andern führt!“ Und Herr Marrast rief den jungen Montagnard Pyat zur Ordnung, weil er von
„Klassenunterschieden spreche, und die Klassen gegen einanderhetze!“ Es hat sich seit jener Verurtheilung der Demokraten vom Kloster St. Mery nichts geändert; die Besiegten des Juni sind
gemordet, geächtet, auf die Galeeren geschmiedet, transportirt, und Hr. Marrast, für den die Februarrevolution gemacht wurde. Hr. Marrast tanzt mit Frau von Lamoriciere.
Wenn man weiß, wie Hr. Marrast schon vor der Februarrevolution allmählig zu Odillon-Barrot desertirte, dann der dynastischdoktrinären Alliance Maleville und Hauranne schmeichelte und endlich dem
„unnachahmlichen Redner“ Thiers sein Kompliment machte, wenn man weiß, wie der „National“ vor dem 22. Februar die Bankettbewegung mehr als zweideutig behandelte, so wird
man nicht erstaunen, daß der „zahnlose Löwe,“ der Angeklagte von 1834, die Stimmen des Hrn. Thiers und Falloux, Odillon-Barrot und Duvergnier de Hauranne zur Präsidentschaft der
Assemblee erhielt.
Aber der „Marquis der Republik“ fühlt sich trotz dieser Glorie nicht glücklich. Hr. Marrast hat eine Ahnung von dem baldigen Ende seines Glanzes: der 10. Dezember, der Tag der
Erwählung des Präsidenten, könnte auch für ihn verhängnißvoll sein. Und die Versammlung selbst, fast scheint es, als ob auch sie die nahende Katastrophe des alten Löwen fühle, denn sie hat seine
Aufopferung zu belohnen verschmäht, und man betrachtet ihn bereits wie ein Möbel, dem man einen andern, unscheinbaren Platz anweisen muß. In der That, die Präsidentschaft ist eine Last, und Herr
Marrast gleicht in ihr einem Gymnasiasten, der zum Erstenmal eine steife Halsbinde angelegt hat, und Jedem, der ihn von der Seite anredet, seine ganze Figur zuwendet.
Großbritannien.
@xml:id | #ar141_024 |
@type | jArticle |
@facs | 0726 |
[
*
] London, 9. Nov.
Die Parlamentswahl der West-Riding von Yorkshire veranlaßt die Times zu einigen Bemerkungen über diesen reichsten und bedeudendtsten Wahlbezirk von ganz England. Sie erinnert daran, wie die
fleißigen Bewohner von Leeds, Wakefield, Sheffield, Bradford und ähnlichen Sitzen der Industrie, stets die hervorragendsten Männer auf den Schild gehoben und wie es diesen ein besonderer Triumph
gewesen sei, wenn sie schließlich im Wahlkampf gesiegt hätten.
So habe die West-Riding mit Hintansetzung aller aristokratischen Namen einen Henry Brougham und einen Cobden in's Parlament gesandt und wohl stehe es ihr zu, sich auch heute als Ersatz für
den scheidenden Lord Morpeth, nach den bedeutendsten Männern des Landes umzusehen. Wenn die Bevölkerung der West-Riding daher in diesem Augenblick den zwar talentvollen, aber noch sehr jungen und
unerfahrenen Charles Fitzwilliam in den Vordergrund stellt, so sieht die Times hierin nicht die richtige Wahl für einen Distrikt, der mit seinen 20,000 Kaufleuten, Fabrikanten und Pächtern, mehr als
jeder Andere, wirkliche Kenntnisse und Erfahrungen über einen alten Namen entscheiden lassen müßte.
Diese Bemerkungen der Times erinnern uns lebhaft an die Wahlkämpfe, die in frühern Jahren unter unseren eigenen Augen in der WestRiding vorgingen. Sie boten das interessanteste und belehrendste
Schauspiel dar, was man in England haben konnte. Wie die WestRiding seiner Zeit der eigentliche Herd der Reform und katholischen Emancipations-Agitation war, so wurden in ihr auch die Hauptschlachten
des Freihandel-Feldzuges geschlagen.
Bei der Wahl Lord Morpeths, sehen wir einst auf dem Markte von Wakefield, einen der gewaltigsten dieser Kämpfe. Die ganze West-Riding hatte ihre Politiker gesandt; alle Straßen, die zu dem
Marktplatz führten, waren gedrängt voll von Menschen und ob es auch vom Himmel in Strömen herabregnete, so verließ doch von 10 Uhr Morgens bis 5 Uhr Nachmittags Niemand seinen Platz. Die riesigen
Fabrikanten von Bradford und Halifax, die gewandteren Kaufleute von Leeds und die stämmigen Farmer aller zwischen Hull, York und Normantan liegenden Gehöfte waren in dichten Massen zugegen, um für uns
wider die Wahl eines Kandidaten zu streiten, dessen Ernennung man von seinem Auftreten für den Freihandel abhängig machte.
Mit aller Energie hatten die Protektionisten ihr Feld vertheidigt, aber die Schüler Cobden's und Bright's gewannen mit jedem Augenblicke mehr an Terrain.
Da kam den Protektionisten plötzlich die beste Freundin, die Kirche zu Hülfe. Der Vikar von Wakefield ließ nämlich mit einem Male alle Glocken der nahen Hochkirche läuten und mit dem
fürchterlichsten Lärm übertönten sie die Stimmen der unglücklichen Redner. Aber die Lungen der Freetrader waren ausdauernder als die Glocken der Kirche. Während drei vollen Stunden wetteiferten sie
mit dem Geläut des Thurmes; da verstummten endlich die Glocken, die Freetrader hatten gesiegt und Lord Morpeth wurde gewählt.
@xml:id | #ar141_025 |
@type | jArticle |
@facs | 0726 |
[
*
] Dublin, 9. November.
Darcy Magee, einer der Chefs der letzten irischen Insurrektion, der glücklich nach New-York entkam, hat kürzlich einen Brief in amerikanischen Blättern veröffentlicht der die genausten Details über
das gescheiterte Unternehmen enthüllt. Wir geben denselben wörtlich:
„Drei Data muß man in Betreff der letzten irischen Bewegung festhalten: den Monat Februar, wo die Revolutionen des Kontinents ihren Anfang nehmen ‒ den 24 July, wo die
Habeas-Corpus-Acte suspendirt wurde ‒ und die Zeit der Erndte, die in Irland erst im September beginnt.
Im vergangenen Februar gab es zwei Parteien in Irland, die eine Aenderung des Gouvernements verlangten, die Moralforce Repealer und Jung-Irland.“ Diese Parteien entstanden im July 1846, als
die Jung-Irländer gestützt darauf, daß es gesetzlich sei Blut zu vergießen um politische Rechte zu erringen, sich von der Repeal Association trennten.
Vor dieser Zeit war Daniel O'Connell ein eben so unumschränkter Herrscher in Irland, als es Nicolaus Romanoff in Rußland ist. Die Alten verehrten ihn seiner Vorsichtigkeit wegen; die Jungen
weil England ihn fürchtete und haßte. Viele Protestanten unterstützten ihn aufrichtig, weil er liberal war; die Kotholiken vergötterten ihn als den Mann, der ihre Altäre wieder aufbaute und den Arm
und die Zunge der Geistlichkeit löste. Zwei tausend katholische Geistliche, in jedem Dorfe, in jedem Kreuzweg, waren seine Kapitäne und Magistratspersonen. Sein Wort war einzig und allein Gesetz im
Lande und Kinder wurden nach seinem Namen getauft wie nach dem Namen eines Heiligen.
Dieser mächtige und beliebte Mann lehrte während seiner letzten Lebensjahre, daß die Freiheit auch nicht einen Blutstropfen werth sei und die große Majorität der Geistlichen und des Volkes nahm
diese Lehre an. Aber eine neue Generation war in Irland entstanden, die ihr eigenes Gouvernement wünschte und dasselbe nöhigenfalls mit den Waffen in der Hund zu erobern beschloß.
Als O'Connell daher im July 1846 der Repeal Association seine „Friedens-Resolutionen“ einreichte, trennte sich Jung-Irland von seinen bisherigen Alliirten und gründete im
Januar 1847 „die irische Konföderation,“ aus der, veranlaßt durch die Bewegung des Kontinents, die jüngste Insurrektion entsprang. Im Jahre 1847 machte Jung-Irland in allen Städten
Propaganda und zwar mit Erfolg, da das Beispiel Pius IX. und die Revolutionen des vergangenen Frühjahrs zu Thaten anspornten. Ueberall während der letzten 6 Monate verbanden sich die Bewohner der
Städte zu einem gewaltsamen Sturz der britischen Herrschaft.
Diese Organisation der Städte bestand aus 500 Klubs, mit ungefähr 30,000 waffenfähigen Menschen. Von diesen war beinahe die Hälfte im July mehr oder weniger im Besitz von Waffen; die andre Hälfte
verschaffte sich dieselben so rasch als möglich. In Gegenden, wo das Geld rar war und wo die Waffen viel kosteten, habe ich halbbeschäftigte Arbeiter gesehen, die es sich am Munde absparten, um ein
Gewehr zu kaufen. Jeder Klub war in Sektionen von 10 Mann getheilt, mit einem Anführer an der Spitze jeder Sektion, der seine zehn Mann persönlich kannte. Viele dieser Klubs wurden entwaffnet; eine
große Menge Gewehre rettete man aber und Klubs und Sektionen bestehen noch bis auf den heutigen Tag, so daß also bei der ersten Gelegenheit, ein neuer Aufstand rasch zu organisiren ist.
Die Agitation der Konföderirten drang indeß nicht bis in die Landbevölkerung hinein. Manche Gründe lassen sich hierfür anführen. Vor allen Dingen hatte die Hungersnoth von 1846 u. 47 die Leute
entsetzlich erschlafft. Die glühende Beredsamkeit eines Mitchell, Duffy und Meagher rührte die Landbewohner wohl, aber sie riß dieselben nicht zu Thaten hin.
Das Gouvernement sah, daß wir die Städte organisirten und in unsere Gewalt bekamen, daß wir aber noch nicht das Herz des Landes getroffen. Es wußte, daß das Klub-System höchst wirksam ist, wo die
Bevölkerung dicht aufeinander wohnt, daß es aber unpassend für die Landdistrickte ist. Das Gouvernement sorgte daher für sich in zweierlei Weise, indem es seine Streitkräfte in Städten koncentrirte,
und alle Mittel aufbot, um die Vereinigung der katholischen Geistlichkeit mit den revolutionären Leitern zu verhindern.
In diesem letztern Punkte fand das Gouvernement eine Hauptstütze in der Weise, wie John O'Connell sich der Bildung einer „Irischen League“ widersetzte. Diese League wurde von
den besten Geistlichen und Bürgern gegründet, und sollte sowohl die Repeal-Association, wie die Conföderirten, in sich aufnehmen. Ihr wirkliches Resultat würde gewesen setn, daß Jung-Irland und die
Geistlichkeit, die beiden Elemente der irischen Politik, sich miteinander vereinigt hätten. O'Connell griff aber diese League auf jede Weise und in der unwürdigsten Manier an, und brandmarkte
sie als unkatholisch, so daß die katholische Geistlichkeit, mit Ausnahme des muthigen und beredten Bischof von Derry, die kaum gebildete League aufgab und sie dem Gouvernement gegenüber durchaus im
Stich ließ.
Die irische Geistlichkeit hatte ihre guten Gründe für dieses Verfahren. Die blutigen Junitage in Paris, die in Rom herrschende Anarchie, das mehr oder weniger Nichtvorbereitetsein des Volkes, die
Metzelei, die man erwartete, und das theilweise Mißrathen der Erndte, alles das konnte sie für ihre Maßregeln anführen. Jedenfalls vereitelte sie aber dadurch die Revolution, daß sie fortwährend ihr
Mißlingen predigte. In Carrick, Castlereagh, Tipperary und Clare predigte sie gegen ein Ergreifen der Waffen und zwar mit Erfolg.
Die Koncentration der Truppen in den Städten und Flecken zwang nun die Conföderirten zu einem Guerillakrieg. Die Situation einer irischen Stadt, im vorigen August, mag aus folgendem Beispiele
hervorgehen. In Dublin ist, wie in den meisten irischen Städten, eine Alt- und eine Neu-Stadt. Die Leute des Gouvernements wohnen in der Neu-Stadt, und beherrschen ihre offenen und regulären Straßen
von öffentlichen, sehr festen Gebäuden aus. In der Alt-Stadt leben dagegen die Rebellen, welche man leicht mit Kartätschen und Bomben vernichten kann, ohne auch nur den übrigen Quartiers zu schaden.
In Dublin war die Garnison im Durchschnitt 10,000, am 22. Juli aber 15,000 Mann stark. Um diese zu schlagen, hätte man sie, wie einst die Spanier die Napoleonischen Soldaten, entweder auf solche
Punkte locken müssen, wo nur Infanterie agiren konnte und wo die rohe Masse des Volkes mehr auf demselben Fuße mit den Truppen stand, oder man hätte hintereinander, wie die Athener Athen und die
Russen Moskau, die Städte in Brand stecken müssen.
Sicher würde dies auch geschehen sein, wenn aus dem Innern des Landes, wohin die Leiter der Partei sich der Aufhebung der Habeas-Corpus-Akte wegen verfügt hatten, die Nachricht eingetroffen wäre,
daß der Kampf begonnen habe. Aber die Landdistrikte wollten sich nicht ohne die Geistlichkeit erheben, und die Geistlichkeit war entweder geradezu feindlich gesinnt, oder doch wenigstens dem ganzen
Unternehmen zuwider.“
So weit Magee. Unsre Leser wissen bereits das Resultat der ganzen Bewegung. Smith O'Brien, der hervorragendste unter den Jung-Irländern, suchte trotz der Abneigung der Land-Bevölkerung die
Provinz Tipperary zum Aufstande hinzureißen. Seine und seiner Kollegen Anstrengungen gelangen aber nur theilweise und scheiterten deßwegen. Nicht allein Smith O'Brien, sondern auch fast alle
andern Führer der Insurgenten, Duffy, O'Donohoe, Martin, Meagher u. s. w. wurden theils bei dem Zusammenstoß der Truppen und der Insurgenten, theils auf der Flucht gefangen und bei den noch
fortdauernden Prozessen in Clonmel zum Tode verurtheilt.
Der Brief Magee's, in dem er die hochverrätherischen Plane seiner Genossen zugesteht, dürfte bei den noch schwebenden Prozessen für die Angeklagten eben nicht von Nutzen sein und so sehr wir
uns auch freuen, die obigen Details aus der Feder eines bei der Insurrektion sehr betheiligten zu besitzen, so müssen wir doch gestehen, daß wir den Brief Magee's lieber nicht veröffentlicht
gesehen hätten.