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] Berlin, 11. Nov. Abends 1/4 vor 8 Uhr.
Gegen 6 Uhr wurde bekannt, daß an Rimpler der Befehl ergangen sei, bis Morgen 4 Uhr alle Waffen der Bürgerwehr abzuliefern. Die Versammlung beschloß indessen:
1) daß General Brandenburg ein Hochverräther sei; 2) daß die Bürgerwehr ihre Waffen nicht abzugeben und im Nothfall Gewalt mit Gewalt zu vertreiben habe; 3) daß jeder Offizier, der
gegen die Bürger zu feuern befehle, des Landesverrathes angeklagt werde. ‒ Außerdem wurde eine Commission zur Berathung der Steuerverweigerung ernannt.
Die Versammlung hatte schon in ihrer Morgensitzung eine Kommission ernannt, um die Steuerverweigerung zu berathen.
Als die Nationalversammlung vor dem Schauspielhause erschien, fand sie den Eingang versperrt. Im Innern desselben bivouakirte eine Compagnie Soldaten, deren Hauptmann Herrn v. Unruh den Eintritt
weigerte. Die Nationalversammlung begab sich von da nach der Aula, wo ihr ebenfalls der Eintritt verwehrt wurde. Sie tagte dann im Hotel de Russie.
11. November Abends. Die Nationalversammlung verlegte ihre Nachmittags-Sitzung in's Schützenhaus in der Lindenstraße. Am Montage wird sie das Kölnische Rathhaus beziehen. Wie ich
höre, hat die Börse Credit angeboten, und die Stadtverordneten wollen Garantie für die Diäten leisten. Mehrere Deputationen [von Spandau, Magdeburg, Pommern] sind angekommen, um das Recht der
Versammlung anzuerkennen.
Während des Verlaufs des Tages ist eine „Proklamation“ des Königs erschienen, kontrasignirt von den Ministern. Diese Proklamation, die an ähnliche Proklamationen Don
Miguels erinnert, sucht die Vertagung der Nationalversammlung zu rechtfertigen. Eine zweite königl. Verfügung löst die Bürgerwehr auf und eine dritte ernennt Rintelen, Chefpräsident des
Oberlandesgerichts zu Naumburg, zum Justizminister.
Das königliche Ober-Tribunal, nachdem Herr Bornemann demselben die Frage vorgelegt: ob der Krone das Recht zustehe, die hier Namens des ganzen Landes versammelte National-Versammlung zu
vertagen, zu verlegen oder zu schließen, hat einstimmig mit „Nein!“ geantwortet.
In Berlin circulirte das Gerücht, zu Breslau sei das Militär aus der Stadt geschlagen und das Hotel Brandenburg's zerstört worden.
Wir schenken diesem Gerüchte keinen Glauben, da ein uns so eben zugekommener Breslauer Brief, d. d. 11. November Nachts 1 Uhr nichts davon enthält. Der Hauptinhalt dieses Briefes ist folgender:
Der Centralausschuß der Bürgerwehr in seiner Sitzung vom 10. Nov. beschließt, den Magistrat (und die Stadtverordneten) zu veranlassen, daß er allgemeine Bewaffnung aller waffenfähigen Männer sofort
bewirke und erkläre, die National-Versammlung unter allen Umständen anzuerkennen und zu beschützen und nur in ihr den Sitz der Regierung zu erblicken. Einer an ihn abgesandten Deputation erklärte der
Oberpräsident, er werde den Rechtsboden nicht verlassen, werde aber nie etwas gegen die National-Versammlung unternehmen, noch einem solchen Unternehmen die Hand bieten. Er werde sein Amt niederlegen
sobald man etwas Rechtwidriges von ihm verlange. Die Nothwendigkeit der Vertagung der Nationalversammlung erkenne er nicht an.
Diesen Erklärungen trat der anwesende Polizeipräsident bei. Ein Recht zur Auflösung der Kammer gestehe er nicht zu und werde sofort sein Amt niederlegen, wenn etwas der Art geschehe.
Der Centralausschuß der Breslauer Bürgerroehr erklärt sich für parmanent.
Indem die Natonal-Versammlung den Premier-Minister Brandenburg zum Hochverräther erklärt hat, hört die Steuerverpflichtung von selbst auf, da man seine hochverrätherische Administration
nicht mit Steuern unterstützen darf. ‒ Die Steuereinzahlung ist also jetzt Hochverrath, die Steuerverweigerung erste Pflicht des Bürgers.