Deutschland.
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Edition: [Karl Marx: Sieg der Kontrerevolution zu Wien, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
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] Köln, 6. Nov.
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Wien, 2. Nov.
Ich höre so eben, daß heute zum ersten Male nach 14 Tagen Posten angekommen sind, und daß auch wir wieder durch die Gnade des Fürsten Windischgrätz für die Außenwelt existiren dürfen. Also vor
Postabgang nur wenige Zeilen. Fürst Windischgrätz hat, nachdem der gestrige Tag bloß den Verhaftungen gewidmet war (man spricht von mehreren Hunderten), endlich eine Proklamation erlassen, in welcher
er die früheren Bedingungen als durch den Bruch der Kapitulation für vernichtet erklärt und daher neue anordnet: im Wesentlichen Auflösung der Legion für immer, der Nationalgarde für unbestimmt;
Suspendirung aller Blätter und Vereine; mehr als 10 Menschen dürfen nicht beisammen stehen, die strengsten Untersuchungen sind wegen Waffen und Individuen, die den Zweck ihres Hierseins nicht
nachweisen können, angeordnet. ‒ Der Reichstag hat sich auf 14 Tage prorogirt. Die Deutschen wollen hier zusammenkommen, aber Jeder fühlt und weiß es, daß der Reichstag jetzt nicht hier
bestehen darf. Windischgrätz erklärt den hiesigen Reichstag für eine Partei und weist auf jenen, der in Kremsier zusammenkommen wird, als auf den einzig legalen hin. Gestern hatten sich die Deputirten
versammelt. Fürst Felix Schwarzenberg ritt vorbei, ließ die Thüre zuschlagen und alle Eingänge zu den Tribünen militärisch besetzen, sie mußten eine geheime Sitzung halten. ‒ Das Ministerium
soll gebildet sein: Wessenberg, Präsident ohne Portefeuille; F. Schwarzenberg, Aeußeres; Bach, Inneres; Buchner, Krieg; Helfert, Unterricht; Bruck, Handel. Der Zustand der Stadt ist der
schrecklichste; das Spioniersystem in voller Blüthe; die unbedeutendsten Leute werden auf der Straße gefangen. Die Stadtthore noch immer gesperrt, jede Kommunikation mit den Vorstädten aufgehoben.
[(B. Z. H.)]
Wir knüpfen an diese Nachrichten folgende der Breslauer Ztg. entnommenen Mittheilungen:
Am 1. November Mittags gegen 11 Uhr ist Wien von den kaiserlichen Truppen vollständig besetzt worden. Am 30. v. M. hatte die Uebergabe der Stadt bereits begonnen, indem einzelne Korps die Abgabe
der Waffen angefangen hatten. Als (wie wir berichtet haben) die Ankunft der Ungarn vom Stephansthurm signalisirt wurde, entbrannte der Kampf von Neuem, obschon früher bereits der Gemeinde-Ausschuß
unter der Bedingung der Waffenniederlegung dem Proletariat den Unterhalt bis nach Herstellung geordneter Zustände versprochen, und Messenhauser dem Gemeinde-Ausschusse bereits zuvor erklärt hatte, daß
er unter solchen Umständen von der Vertheidigung der Stadt abstehen wolle. Die Entwaffnung hatte in der Leopoldstadt begonnen und weiße Fahnen hingen aus; diese vertauschte man mit rothen und begann
wiederum ein heftiges Feuer in der Wieden, in Mariahilf und dem Schottenfelde. Am Nachmittage dieses Tages, so wie am 31. Morgens blieb es still. Gegen 9 Uhr früh am 31. machte Windischgrätz mittelst
Plakat bekannt, daß die Ungarn 21.000 Mann stark bei Schwechat geschlagen seien und daß Fürst Lichtenstein mit 10,500 Mann ihnen nachsetze. Um 12 Uhr an diesem Tage fielen neuerdings Schüsse von der
(rothen) Bastei, dem Lamm gegenüber. Der Kampf hatte indeß nur die Natur einer Plänkelei angenommen. Das Lamm und das Stierbeck'sche Kaffeehaus lagen voll kaiserlicher Jäger, welche auf die
Bedienung der städtischen Batterien geschossen. Um 3 Uhr begann eine furchtbare Kanonade, besonders in Mariahilf und dem Schottenfeld. Sie hörte auf, als es hieß, die Linie sei genommen. Nunmehr
eilten die Garden gegen 4 Uhr auf die Basteien zur Vertheidigung, worauf es bis 6 Uhr still blieb. Da gerieth die kaiserliche Burg in Brand, ohne daß der Entstehungsgrund des Feuers bekannt geworden
ist. Das fürstlich Kolowrat'sche Haus und die Kapuzinerkirche ist durch Bomben zerstört.
Neun Kompagnien Nationalgarde löschten das Feuer in der Burg. Gegen 1 Uhr Nachts wurde das Burgthor mit einigen Schüssen aus Vierundzwanzigpfündern gesprengt und die Truppen rückten in die Stadt,
ohne daß ein großes Gefecht stattgefunden hätte. Die Kroaten standen auf dem Graben. Da man in der Leopoldstadt nichts von dieser Besetzung der Stadt erfahren hatte, erwartete man den Wiederbeginn des
Kampfes in der Wieden. Allein zwischen 10 und 11 Uhr rückten die Truppen in großen Massen ein, ohne daß eine weitere Vertheidigung stattgefunden hätte. Das Gerücht, als wolle die Legion mit 10,000
Mann die Universität auch dann noch vertheidigen, bestätigte sich nicht. General Bem soll gefangen sein.
Schließlich noch einige Proklamationen vom 29sten bis 31. Oktober:
1. Mitbürger! Ich habe die Vertrauensmänner der Kompagnieen versammelt gehabt, ich habe mit ihnen gesprochen, ob ein Verzweiflungskampf stattfinden solle, oder die Unterwerfung unter die nun
einmal nicht zu leugnende Uebermacht des Gegners. Der Verzweiflungskampf, um es mit der nackten Wahrheit des Soldaten zu sagen, hieße so viel, als die Blüte der Bevölkerung unter den gegenwärtigen
Verhaltnissen auf die Schlachtbank fuhren. Jetzt, da es kein diplomatisches Geheimniß mehr ist, das ich mit bekümmertem Herzen in meiner Brust zu verschließen hatte, kann ich unsere Schwäche offen
darlegen, nämlich: mit der angestrengtesten Thätigkeit, mit der Schwendung von Geldmitteln haben wir nur so viel Munition erzeugen önnen, daß für vier Stunden allgemeiner Vertheidigung Vorrath mehr da
st. ‒ Unter solchen Verhaltnissen kann man es auf keinen Sturm ankommen lassen. Die Verantwortung vor Gott und Menschen wäre zu unerläßlich, ich kann sie nicht auf mein Gewissen nehmen ‒
Mitbürger! Vertrauet mir, als ehrlicher Mann habe ich nur den Verhältnissen gemäß gestimmt. ‒ Es wird jetzt meine Angelegenheit sein, mit männlicher Offenheit mich an den Herrn Feldmarschall zu
wenden und ihm beim Abschlusse der Convention den vollen Inhalt der Verheißungen Sr. Majestät zu Gemüth zu führen.
Wien, 29. Oktbr. 1848.
Messenhauser, provisorischer Ober-Commandant.
II. Der heutige Tag ist wieder in Aufregung vollbracht worden. ‒ Man hat das anrückende Heer der Ungarn fechtend gesehen: es ist aber leider für das Schicksal der Stadt zu spät gekommen. Die
Ungarn fochten heute, wie man jetzt gewiß weiß, bei Schwadorf. Sie sollen nicht gesiegt haben. Wenigstens hat man von 3 Uhr an von einer Fortsetzung des Kampfes nichts sehen können! ‒
Mitbürger! Ihr habt heute wieder gezeigt, daß Ihr kampfbereit für Ehre und Freiheit dasteht, wenn auf irgend eine sichere Aussicht auf Sieg und Erfolg zu rechnen ist. ‒ Ich bin es mir schuldig
zu erklären, daß unsere Lage am Abende die alte ist. Der Feldmarschall hat erklärt, daß, wenn bis heute Abend 8 Uhr die Unterwerfung nicht angezeigt ist, er die noch nicht besetzten Vorstädte mit
aller Energie angreifen und nöhigenfalls in einen Schutthaufen verwandeln würde. ‒ Diese Kundmachung ist alsogleich zu verlautbaren, und die Bezirke haben mir in der kürzesten Zeitfrist den
Entschluß der Garden schriftlich mitzutheilen, nämlich: ob sie die Waffen strecken wollen oder nicht.
Wien, am 30. Oktober 1848, 8 Uhr Abends.
Messenhauser, provisorischer Ober-Commandant.
III. Das unterzeichnete Ober-Commando der Wiener Nationalgarde protestirt hiermit feierlichst gegen jede Zumuthung, als seien die am 31. Oktober Nachmittags von Seiten einzelner mobiler Corps gegen
die kaiserlichen Truppen begonnenen Feindseligkeiten auf seinen Befehl geschehen. Es fordert den loblichen Gemeinderath auf, ihm zu bezeugen, daß es im Gegentheil seit früh Morgens fortwährend mit der
Entwaffnung der Garden beschäftigt, mehrere Geschützpiecen mit Lebensgefahr der Betheiligten von den Basteien schaffen und sich die Herstellung des Friedens und der Ruhe mit aller möglichen Energie
angelegen sein ließ. Es erklärt sich daher nochmals entschieden gegen jede Anschuldigung, als hätte es einen Capitulationsbruch begünstigt oder gar anbefohlen.
Wien, am 31. Oktober 1848.
Fenneberg, Stellvertreter. Messenhauser, provisorischer Ober-Commandant.
IV. Mitbürger! Der Gemeinderath der Stadt Wien hat von jenem Zeitpunkte an, als der hohe Reichstagsausschuß demselben aufgetragen hatte, in Vereinigung mit dem Nationalgarde-Ober-Commando
die Stadt in Vertheidigungszustand zu setzen, alle strategischen Maßregeln dem Ober-Commando überlassen, ohne dasselbe in irgend einer Weise hierin zu beirren, vielmehr dasselbe auf jede ihm
zustehende Weise auf das kräftigste unterstützt und in Allem dem Wunsche seiner Mitbürger zu entsprechen gesucht. ‒ Bereits am 26sten Abends wurden die Vertreter der gesammten Volkswehr um ihre
Ansicht über die Lage der Stadt befragt und neuerlich am 29sten Abends der Ober-Commandant eingeladen, sich nach dem Kampfe des 28sten über die Lage der Stadt zu erklären. ‒ Nachdem derselbe
erklärt hatte, nur eine oder zwei Stunden die innere Stadt mehr halten zu können, nachdem sich die Vertrauensmänner der sämmtlichen Volkswehr für den Frieden ausgesprochen hatten, die Vorsteher des
Handelsstandes und mehrerer Innungen ebenfalls auf Uebergabe der Stadt drangen, hiermit alle hierzu berufenen Vertheidiger der Stadt und der größte Theil des Bürgerstandes selbst seinen Willen
ausgesprochen hatte und die Stadt von Fürst Windischgrätz mit einer Beschießung bedroht war, war der Gemeinderath verpflichtet, diesen deutlich und klar ausgesprochenen Willen seiner Mitbürger zu
erfüllen, und so wie er mit ihnen die herbe Wunde fühlt, welche durch zeitweilige Aufhebung der constitutionellen Zustände der Freiheit geschlagen wird, war er doch auch noch bedacht, seinen
Mitbürgern wenigstens materiell den Uebergang in diese Periode zu erleichtern. Sogleich begab sich eine Deputation von Gemeinderäthen und Abgeordneten der gesammten Volkswehr zu Herrn Fürsten
Windischgrätz, um demselben die auf diese Weise ausgesprochene Unterwerfung der Stadt kundzugeben, welche derselbe auch annahm, so daß die Capitulation als geschlossen anzusehen war. ‒ Nun hat
der Herr Fürst einer am Morgen des 30sten bei ihm eingetroffenen Deputation nachstehende neuerliche Bedingungen mitgetheilt, welche die Art der Entwaffnung betreffen:
Die Proklamation Sr. Durchlaucht des Herrn Feldmarschalls Fürsten v. Windischgrätz vom 23. Oktober 1848 und die zum Punkte 3 derselben an den Gemeinderath erlassene Erläuterung vom 26. Oktbr. 1848
bleiben in ihrer vollen Wirksamkeit, sind von der Stadt vollständig durchzuführen, und es werden denselben nachstehende Bestimmungen beigefügt: 1) Auf dem St. Stephans-Thurme ist vor Allem eine große
Kaiserlich österreichische Fahne aufzuziehen, und bei allen Linienthoren sind weiße Fahnen, zum Zeichen der friedlichen Unterwerfung, auszustecken. 2) Der Feldzeugmeister, Baron Recsey und alle in
Gewahrsam gehaltenen Militärs und Beamten sind in allen Ehren nach Hetzendorf zu geleiten. 3) Rücksicht ich der bezirksweisen Entwaffnung sind die Kanonen aus der Stadt und demjenigen Theile der
Vorstädte, welche vom Kärnthner-Thore und der Hauptstraße Wieden auf der Straße zur Spinnerin am Kreuz links liegen, in die Rennweger Artillerie-Kaserne, jene, welche von dieser Straße rechts
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liegen, zur Schönbrunner Schloß-Hauptwache abzuführen. Alle anderen Waffen sind von den einzelnen Corps bezirksweise zu sammeln, unter einer behördlichen Intervenirung in der Stadt im K. Zeughause, in
den Vorstädten, in jedem Gemeindehause längstens binnen 12 Stunden niederzulegen, wo sie dann der nächsten vom Militair besetzten Kaserne commissionaliter zu übergeben sein werden. Sämmtliche Munition
ist alsogleich, je nach dem Orte ihrer gegenwärtigen Niederlegung, an die Truppen-Commandanten des Neugebäudes, des Schönbrunner Schlosses, der Türkenschanze und jenem in der Leopoldstadt zu
übergeben. 4) Sämmtliche Baarschaften und Kassen, die sich in den Händen der Nationalgarden und bewaffneten Körper befinden, sammt den Rechnungen, sind ohne Verzug vom Gemeinderathe zu übernehmen und
vom Uebergeber und Uebernehmer gesiegelt aufzubewahren. 5) Von der im Absatze 3 erwähnten Entwaffnung ist vor der Hand jener Theil der Nationalgarde auszunehmen, der bis zum Einrücken der Kaiserlichen
Truppen durch den Gemeinderath zur Bewachung der Kaiserlichen Hofburg, der Gesandschaften und der Gebäude zu bestimmen sein wird, welcher Theil ordnungmäßig abzulösen kommt. Dasselbe gilt auch von
jenen Wachen, welche der Gemeinderath zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung aufzustellen, für nothwendig findet, sowie auch von der Sicherheitswache. 6) Die Waffen der aus Grätz, Brünn und
Linz in Wien unter ordentlicher Führung anwesenden Nationalgarden sind abgesondert abzulegen, und es werden die ihnen eigenthümlichen Waffen in ihre Heimatorte geschickt werden. 7) Der Gemeinderath
hat bis 8 Uhr Abends den 30. October 1848 die Annahme der in den vorstehenden Punkten enthaltenen Bestimmungen, bei sonstiger Fortsetzung der bisherigen militairischen Maaßregeln, an Se. Durchlaucht
den Fürsten Windischgrätz anzuzeigen, sowie auch nach dieser Annahme längstens bis 12 Uhr Vormittags am 31. Oktober 1848 die vollständige Durchführung sämmtlicher Bedingungen der Eingangs erwähnten
Proklamation und der Bestimmung der Erläuterung, sowie der vorstehenden Punkte, angezeigt sein müssen. Hauptquartier Hetzendorf am 30. Oktober 1848, um 3 Uhr Nachmittags. Im Namen und Vollmacht Sr.
Durchlaucht des Herrn Feldmarschalls Alfred Fürsten zu Windischgrätz:
Cordon m. p.
Nachdem der Herr Ober-Commandant erklärt hat, daß von Seiten der ungarischen Armee keine Hülfe mehr zu erwarten sei, indem dieselbe geschlagen und das Feuer seit 5 Uhr von jener Seite verstummt,
hiermit keine Veränderung in der Lage der Stadt eingetreten und keinerlei Aussicht auf eine Verbesserung derselben gerechtfertigt ist, und der Gemeinderath bis 8 Uhr Abends des 30sten sich über die
unbedingte Annahme der Bedingungen ausgesprochen hat, widrigenfalls die Stadt und die Vorstadte beschossen und in Brand gesteckt werden würden, sieht sich derselbe genothigt, seine Mitbürger
aufzufordern, ihrem bereits früher ausgesprochenen Willen nachzukommen und ihm die Rettung der Stadt vor Zerstörung möglich zu machen. Die Einleitungen zur geforderten Niederlegung der Waffen werden
getroffen und hiervon Herr Fürst Windischgrätz in Kenntniß gesetzt. In Folge dessen ist auch die Ablieferung der Kanonen zu veranlassen, wobei Herr Fürst Windischgrätz die Deputation aufgefordert hat,
dieselben zu bezeichnen, damit seiner Zeit dasselbe Geschütz den Bürgern Wiens zurückgestellt werden konne, wobei denselben wiederholt feierlich versichert wird, daß die Errungenschaft des 15. März
und Mai durch den vorübergehenden Belagerungszustand nicht geschmälert oder aufgehoben werde, wofür das Kaiserliche Wort bürge.
Wien, den 31. Oct. 1848.
Vom Gemeinderath der Stadt Wien.
V. An die Nationalgarden der Hauptstadt Wien. Im Nachhange zur Procklamation vom 30. October, 8 Uhr Abends, sehe ich mich verpflichtet, bekannt zu geben, welche Ursachen mich bestimmen, zu
der Vermittelung mit Sr. Durchlaucht dem Feldmarschall Hrn. Fürst Windischgratz anzurathen. ‒ Es fehlte seit drei Tagen schon an Munition, welche verrätherisch von mehreren Individuen
theilweise unterschlagen wurde. Mangel an Lebensmitteln machte sich fühlbar und wäre in längstens zwei Tagen sehr drückend geworden. Die Geschützbedienung wurde von Tag zu Tag weniger. Der Mangel an
geschulten und geübten Truppen, welcher die Entsendung von Succurs an die bedrohten Punkte unmöglich machte, indem die Garde bisher nur den Beruf hatte, sich bloß in ihrem Bezirke zu vertheidigen,
wobei ich auch dankend jener Garden gedenke, welche mit muthiger Aufopferung überall hin sich verwendeten. Weitere Motive waren: Die wiederholte Versicherung, daß die von Sr. Majestät dem Kaiser
gewährleisteten Volksrechte nicht beeinträchtigt werden sollten; ‒ die bestimmte Ueberzeugung, daß das nicht gerufene ungarische Heer der Zahl nach im Mißverhältnisse zur jetzt cernirenden
Truppenmacht stehend, keinen Entsatz der Stadt bringen konnte. Die durch fortgesetzten bewaffneten Widerstand unvermeidliche Zerstörung des Wohlstandes unserer herrlichen Stadt, das gränzenlose Elend
der armen Klasse bei herannahendem Winter, der gestörte Verkehr und Handel, alle die Gräuel eines vorauszusetzenden Bürgerkrieges mit den entsetzlichen Folgen ‒ Vom Standpunkt der
Menschlichkeit und Vernunft, ehrlicher Ueberzeugung und verständiger Beurtheilung mußte ich für eine Capitulation stimmen, denn Wien mit einer halben Million Einwohner und die ganze Bevölkerung
Oesterreichs lag auf der einen Waagschale ‒ Fügung in ein zwar hartes aber vorübergehendes Loos auf der andern. Hier hatte Verstand und Gewissen zu entscheiden ‒ sanguinische Wallungen
sind in solchen Momenten Verbrechen am Volke. ‒ Die heute von Sr. Durchlaucht dem Feldmarschall Fürsten Windischgrätz zurückgekehrte Deputation brachte das Versprechen mit, daß die im März und
Mai errungenen Freiheiten nicht geschmälert u. die fürs Volkeingetretenen Militairs möglichst mild behandelt werden, ferner, daß der National-Garde ihre eigenthümlichen Waffen und Geschütze bei
Reorganisation der Garde gleich zurückgestellt werden sollen. ‒ Garden aus Wien! Ich harrte bei Euch aus, während der mit blutiger Flammenschrift in die Geschichte gezeichneten Oktober-Periode.
Wenn zwanzig mühevolle Tage, wenn zwanzig schlaflose Nächte, wenn der redlichste Wille, Euch zu dienen, wenn die durch viele Hemmnisse benachtheiligten Anstrengungen einigen Werth haben, so hoffe ich,
daß Ihr auf mein Wort höret und mit dem Muthe das Unabwendbare ertragen werdet, welchen Ihr den feindlichen Kugeln gegenüber bewiesen habt. ‒ Ich trete von meinem harten Posten mit dem
Bewußtsein treuer Pflichterfüllung zurück, und danke Euch Kameraden für das Vertrauen und die heldenmüthige Hingebung im Dienste fürs Volk und Volksrechte.
Wien; am 31. Oct. 1848.
Ernst Haug, Chefd es Generalstabes der Wiener Nationalgarde.
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Prerau, 2. Nov.
Die Berichte der Reisenden sind zu widersprechend. Wien sei schon am 31. Nachmittags um 6 Uhr übergeben worden, die Aula sei gestern gefallen, nachdem in das Burgthor zwei Breschen geschossen und
die Armee Windischgrätz's und Jellachich's ohne Widerstand sich über die innere Stadt verbreitet hatten. Dort seien 600 Soldaten geblieben, aber beim rothen Thurme habe die Nationalgarde
freiwillig die Gewehre gestreckt, die Studenten seien alle entflohen (?). Andere dagegen berichten, daß die Einnahme Wiens erst um 11 Uhr Abends am 31. erfolgt sei, nachdem von 9 Uhr früh bis Abends
um 6 1/2 Uhr 10,700 Kanonenschüsse gefallen seien und jede einzelne Barrikade mit 3-7 Batterien beschossen worden war. 220 Kanonen sollen von Windischgrätz in der Stadt postirt sein und Mann an Mann
seine Truppen sich durch die Straßen ausbreiten! Die Aula habe sich noch nicht ergeben, in welcher sich die Studenten sich verbarrikadirt hätten, nachdem sie von der Nationalgarde im Stiche gelassen
worden seien. Ja es soll sogar zwischen Studenten und Nationalgarden in der Stadt gekämpft worden sein. Das Militär sei an der Taborlinie zuerst eingedrungen und die deutschen Regimenter seien dazu
gezwungen worden, indem man ihnen slawische mit geladenem Gewehre und gespanntem Hahne im Rücken aufgestellt habe. Der Wassermangel sei hauptsächlich die Ursache der Uebergabe Wiens gewesen. Am 31.
Mittags habe das Bombardement von allen Seiten begonnen und bis in die Nacht hinein gedauert. Der Durchbruch eines Hauses habe dem Militär den Eingang in die Stadt verschafft. Schon am 30. Sei der
Stadtrath von Wien entschlossen gewesen, die Stadt zu übergeben und habe 2,000,000 Gulden von Windischgrätz verlangt, um den Arbeitern die Gewehre abzukaufen.
Reisende, die aus Ungarn kommen, erzählen dagegen, daß Wien erst gestern Vormittag sich ergeben habe. Ueber die Ungarn theilten sie uns Folgendes mit:
Bei Fischamend habe Jellachich eine Brücke über die Donau geschlagen, diese sei von den Ungarn zerstört worden, worauf Fischamend in Brand gesteckt wurde. Ebenso soll Manzwürth von Jellachich
angezündet worden sein. Bei einem Angriffe auf die St. Marxer Linie seien die Ungarn zurückgeschlagen und bis Schwadorf gedrängt worden. Ebenso in Trentschin und im Neutraer Komitate, wo sie in die
Waag geworfen wurden. In Neustadt sind gestern 6000 reguläre und eben so viele irreguläre Truppen aus Galizien auf dem Marsche gegen Ungarn angelangt.
In den Vorstädten Wiens plündern und morden die Croaten mit unerhörter Bestialität. Sie verkaufen 5-Gulden Banknoten für 20 Kreuzer. In den letzten 9 Tagen und Nächten sind 23,500 Kanonenschüsse
nach und von Wien gefallen.
[(A. D. Z.)]
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Gänserndorf, 31. Oct.,
9 Uhr Abends. Leider kann ich Ihnen nur traurige Nachrichten mittheilen. Obgleich sich das Gerücht von der Uebergabe Wiens am 30. d. M., welche Fürst Windischgrätz nach Ollmütz telegraphirt, nicht
bestätigt hat, so ist kaum daran zu zweifeln, daß vielleicht schon, während ich schreibe, die beklagenswerthe Katastrophe eingetreten. Von 9 Uhr Morgens bis 1 Uhr Mittags wurde die Wieden beschossen.
Das Resultat ist noch ungewiß. Aus der Stadt wurde mit schwerem Geschütz gegen die Leopoldstadt gefeuert, welches Feuer nicht erwidert wurde. Nachmittags wurde in der Richtung des Belveders und
Schwarzenberg'schen Palais ein heftiges Bombardement gegen die Stadt unterhalten. Abends um halb 7 Uhr aber eingestellt. In der Stadt brennt es in der Gegend der Universität und des
Mehlmarktes. Die Ungarn, heißt es, sind bis Schwadorf, 1 1/2 Stunde von Wien zurückgedrängt, wahrscheinlich nur die Avantgarde. Auch heißt es, daß sich in der Nähe von Wagram Magyaren befinden. So
eben erzählen uns Reisende, daß die Burg, die Bibliothek und das Naturalienkabinet brennen sollen, daß der Thurm der Augustinerkirche eingestürzt und das Militär bis zum Stephansplatze vorgerückt.
Viele und meist unschuldige Menschen, Weiber und Kinder, sollen muthwillig gemißhandelt und gemordet werden. Von dem Aussehen der eingenommenen Stadttheile erzählt man haarsträubende Geschichten.
Namentlich wurde die Leopoldstadt von den Truppen durch Plünderung und Zerstörung hart mitgenommen. Ein Condukteur der Eisenbahn berichtet, daß er bei der Ankunft in seinem Quartier schrecklich
überrascht ward: in einem Zimmer eine geplatzte Granate und in dem andern Croaten, welche mit zertrümmerten Möbeln ein Feuer anmachten, um dabei ihr Fleisch zu kochen.
[(A. D.
Z.)]
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@facs | 0692 |
Wien, 30. Okt.
Nachstehende Kundmachung ist hier erschienen: „Von Seiten des Truppen-Divisions-Kommando des Herrn Feldmarschall-Lieutenants von Namberg ist an die Grundgerichte Leopoldstadt und Jägerzeile
folgender hoher Auftrag gekommen, als:„„Nachdem die unter mir stehenden Truppen heute und gestern alle Theile der Leopoldstadt besetzt haben, so mache ich sämmtlichen Bezirks-Obrigkeiten
der Leopoldstadt anmit bekannt, daß dieselben nach dem Wortlaute der erlassenen Proklamationen Sr. Durchlaucht des Feldmarschalls Fürsten zu Windischgrätz in Folge des eingetretenen
Belagerungszustandes der Stadt Wien und ihrer Vorstädte, mir, als der obersten Militärbehörde der Leopoldstadt, in Allem und Jedem untergeordnet und verantwortlich sind. Demnach hat alsogleich die
Entwaffnung sämmtlicher Einwohner der Leopoldstadt von den Bezirks-Obrigkeiten eingeleitet zu werden, und es ist durch den Druck sogleich zu veröffentlichen: Erstens: daß alle Schuß- Stich- und
Hiebwaffen jeder Art, so wie auch Munition, gleichviel, ob sie Privat-Eigenthum oder nicht Privat-Eigenthum sind, alsogleich von Jedermann, Nationalgarde oder nicht Nationalgarde, bei den
Bezirks-Obrigkeiten deponirt werden müssen. Eigene Waffen, so wie jene der Nationalgarde, sind mit angehefteten, vom Eigenthümer mit der eigenen Namens-Unterschrift bezeichneten und dessen Siegel
versehenen Zetteln abzuliefern. Zweitens: Alle nicht in diese zwei Kategorieen gehörigen ärarischen Waffen sind von der Bezirks-Obrigkeit, als aus dem Zeughause entwendet, mit Specification sogleich
in's Neugebäude bei Schwechat abzuliefern. Drittens: Die Lokale der Waffen-Depots sind anzuzeigen, um durch Pikets bewacht zu werden. Viertens: Derjenige, welcher Waffen und Munition versteckt
hält, verfällt dem Standrechte. Es werden deshalb militärische Visitirungen stattfinden. Fünftens: Für heute hat jeder Bezirk für die in seinem Bereiche dislozirten Truppen die Verpflegung zu liefern.
Das Fleisch wird von der Mannschaft baar bezahlt werden. Die Bezirks-Obrigkeiten wollen sich in's Einvernehmen setzen, um die gesetzliche Ordnung herzustellen und aufrecht zu erhalten. Namberg,
m. p. Feldmarschall-Lieutenant.““ ‒ wovon Jedermann zur genauesten Danachachtung und Befolgung hiermit in Kenntniß gesetzt wird. Wien, 29. Okt. 1848. Vom Grungerichte
Leopoldstadt. Klang, Richter.“
[(Schl. Z.)]
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@facs | 0692 |
Ratibor, 2. November.
Am 31. Oktober gegen Nacht ist Wien mit Sturm genommen worden. In der Aula fand man anstatt der Pulverfässer, mit denen die Demokraten gedroht haben, nur 30 Arbeiter, die sofort gerichtet
wurden. ‒ General Bem gefangen; desgleichen Messenhauser. Akademische Legion gefangen. Die Bürger übergeben mit Freuden die Waffen an das Militär. Beim Sturm bildeten Auersperg und Jellachich
die Avantgarde, Windischgrätz das Gros. Viele Gebäude brennen. Gegen 500 Proletarier sollen erschlagen sein; die andern werden zu einzelnen Trupps gefangen, entwaffnet und nach Befund
gerichtet.
[(N. Pr. Z.)]
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]Brünn, 1. Novbr.
Wir haben drei bewegte Tage hinter uns. Die Nachrichten, welche wir am 29. Okt. aus Wien erhielten, wirkten erschütternd und empörend auf die hiesige Einwohnerschaft, namentlich auf die Arbeiter.
Die letzteren zogen die Sturmglocken, verlangten Waffen und die schnellste Organisation des Landsturmes: sie wollten für die Wiener leben und sterben. Leider wurde diesen Demonstrationen mit
Aufstellung von Nationalgarde und Militär begegnet, was die Arbeiter erbitterte und noch am 29. Abends zur Demolirung der Rathhausfenster wie zur Stürmung der Kaserne der Polizeiwache veranlaßte. Tags
darauf kam es zu einem ernstlichen Konflikt. Das Volk zog vor die Maschinenfabrik des Engländlers Bracegirdle, um sich der dort verfertigten Gewehre zu bemächtigen; die Nationalgarde trat ihm
entgegen, und vertrieb es, nach einigem vergeblichem Parlamentiren, mit einer Gewehrsalve. 30 Verwundete und 2 Todte waren die Opfer des Heldenmuths der Garde. Verkündigung des Aufruhrgesetzes und
zahlreiche Verhaftungen vollendeten die Wiederherstellung der Ruhe. Heute sind die Arbeiter aus der Stadt hinausgezogen, vor der Hand, wie es scheint, ohne weitern Plan.
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Olmütz, 31. Okt.
Die böhmische Deputation hat über die Art und Weise ihres Empfanges am kaiserlichen Hoflager bereits folgenden Protest eingelegt:
„Herr Minister! Ein Gefühl der gerechtesten Entrüstung durchdringt alle Glieder der prager Deputation. Sie war berufen gewesen, um 10 Uhr vor Sr. Majestät zu erscheinen. Das wußte die
Umgebung Sr. Majestät, das wußte insbesondere der Generaladjudant Fürst Joseph Lobkowiz Angelangt in der Residenz, wurde die Deputation von einem Offizier angehalten, der angab, von der Audienz nichts
zu wissen. Der Bürgermeister allein wurde vor den Fürsten gelassen, dieser wußte also, daß die Deputation der ihr zugesicherten Audienz harre. Gleichwohl nahm man nicht Anstand, die Deputation der
böhmischen Nation, auf der Treppe, endlich in der Treppenhalle beinahe eine halbe Stunde stehen zu lassen, und der Fürst Lobkowiz erdreistete sich, der in dieser Treppenhalle harrenden Deputation vom
Korridor hinaus die neue Stunde der Audienz auf 12 ein halb Uhr anzusetzen. ‒ Wir Abgeordnete der böhmischen Nation erklären dieses Benehmen des Fürsten Lobkowiz für unwürdig, ihn selbst für
verantwortlich, und protestiren hiermit feierlichst gegen diese Art, die Deputation einer Nation zu empfangen, zu bescheiden. Wir verwahren es uns, diese Unwürdigkeit Sr. Maj. selbst zur Kenntniß zu
bringen, und auf Genugthuung zu dringen. Olmütz, den 31. Oktober 1848. (Folgen die Unterschriften.)
[(Br. Z.)]
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Olmütz, 1. Nov.
Mittags 12 Uhr. Der Ordner des zukünftigen Reichstages, Abgeordneter Jelen, war bereits hier, um mit den betreffenden Behörden wegen der Einrichtung des Reichstagssaales in Kremsier zu
unterhandeln. Der Kommissär der deutschen Centralgewalt, Welcker, hat sich gestern von hier nach Prag begeben. Auch die Abgeordneten Fische, Hawliczek, Helfert, Lasser, Mayer haben gestern Olmütz
verlassen. ‒ 4 Uhr Nachmittag. So eben werden hier folgende zwei telegraphische Depeschen durch Maueranschlag bekannt gemacht:
„I. Telegraphische Depesche. 12 Uhr 10 Minuten. 1. Nov. Feldmarschall-Lieutenant Namberg bei Wien. Die Salzgries-Kaserne, Kaiserl. Zeughaus in der Renngasse und das Kriegsgebäude unterhalb
den Wällen, Thore und Burg sind von uns besetzt. Sämmtliche Vorstädte sind besetzt und werden entwaffnet. Es herrscht volle Ruhe. Die Entwaffnung in der Stadt beginnt. Olmütz, 1. Nov. 1848. Lazanski,
Kaiserl. m. schles. Gubernial-Vice-Präsident.“
„II. Feldmarschall-Lieutenant Namberg aus Wien an den Minister v. Wessenberg. Ich lasse so eben die Verrammlungen am rothen Thurmthor wegnehmen und werde binnen einer halben Stunde die rothe
Thurm-, Bieber- und Dominikaner-Bastei mit Infanterie und Geschütz besetzt haben. Widerstand findet durchaus keiner Statt. Die Proletarier und Studenten erscheinen nirgends. Die feindlichen Geschütze
werden eben von den Wällen in das Zeughaus abgeführt, ein großer Haufe niedergelegter Gewehre liegt bei dem Rothen-Thurmwachtthor aufgeschichtet. In der Burg, im Naturalienkabinet und der Bibliothek
hat der Brand keine bedeutenden Verheerungen angerichtet. Olmütz, 1. November 1848. Lazanski, K. K. m. schles. Gubernial-Vice. Präsident.“
[(Schl. Z.)]
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]Berlin, 4. November.
National-Versammlung.
Der dringende Antrag, welcher in der gestrigen Nachmittagssitzung von den Abgeordneten Waldeck, Schulz (Wanzleben), Jacoby und Temme gestellt und dem die Priorität zur heutigen Sitzung eingeräumt
worden ist, lautet:
„Die hohe National-Versammlung wolle beschließen: sofort durch das Plenum eine Kommission von 21 Mitgliedern in der bei der Wahl der Vicepräsidenten vorgeschriebenen Art zu erwählen und
derselben den Auftrag zu ertheilen, die bedrohliche Lage des Landes in Berathung zu nehmen und darauf bezügliche geeignete Vorschläge innerhalb der Kompetenz der National-Versammlung zu
machen.“
Motive: Die Lage des Landes rechtfertigt diese Maßregel zur Genüge. Um 10 1/2 Uhr erscheinen die Minister Eichmann, Bonin und Kisker und der Viceprasident Bornemann (da der Präsident Unruh durch
Heiserkeit abgehalten ist) beginnt damit, daß er die gestern vertagte Sitzung als geschlossen erklärt und die heutige eröffnet.
Nach Verlesung des Protokolls, wird der obige Antrag verlesen.
Waldeck: Als wir vorgestern einen dem gegenwärtigen Antrag gleichen stellten, wurde es vorgezogen, eine Adresse an den König abzusenden. Wir erwarteten, daß dieser Schritt zu keinem
Resultate führen werde und wir haben uns nicht getäuscht. In der uns gestern verkündeten königl. Botschaft, welche von dem Minister Eichmann gegengezeichnet, der daher dafür verantwortlich ist, wird
unseren in der Adresse ausgesprochenen Ansichten geradezu widersprochen und dem konstitutionellen Prinzip entgegengetreten. Man beharrt darauf, den Grafen Brandenburg ein Ministerium bilden zu lassen,
welches den Wünschen des Landes noch mehr entgegentreten würde, als das gegenwärtige. Bilden Sie daher eine Kommission, welche die Aufgabe haben würde, uns Vorschläge zu machen über alle die Schritte,
welche für das Wohl des Landes und zur Abwendung der Gefahr nöthig sind. Solche wichtige Vorschläge müssen vorbereitet werden und daher ist eine Kommission nothwendig.
Ziegel spricht sich gegen die Dringlichkeit aus. Er sieht die gegenwärtige Sache nur als eine betrübende an, denn Ungesetzliches ist noch nicht geschehen.
v. Daniels für die Dringlichkeit. Er will später den ganzen Antrag als gänzlich unhaltbar verwerfen.
Kunth gegen die Dringlichkeit. Durch die Ausführung des Antrages mache sich die Versammlung zum Convent und die Kommission würde der Sicherheitsausschuß sein. Wenn es sich nicht leugnen
läßt, daß durch wühlerische Umtriebe die Ruhe und Ordnung oft gestört wird, so ist doch der großere Theil des Landes bereit, sich mit der Regierung gegen solche Aufreizungen zu verbinden. Das Land
verlangt nur die Verfassung und eine konstitutionelle Regierung.
Die Dringlichkeit des Antrags wird mit 247 gegen 114 Stimmen verworfen.
Kämpf beantragt die Vertagung der Sitzung bis Montag Vormittag 9 Uhr, da es ihm nicht angemessen erscheint, auf die Tagesordnung, den Bericht der Petitionskommission, einzugehen. Gegen den
Schluß der Sitzung muß er sich jedoch erklären, er will nur Vertagung.
Dierschke und Andere beantragen, sich mit dem Petitionsberichte zu beschäftigen.
Meusebach und die rechte Seite wollen die Sitzung heute regelmäßig geschlossen wissen und die nächste auf Montag anzuberaumen.
Berg erklärt sich gegen den Schluß aber für die Vertagung. Obgleich die Wirkung beider Anträge eigentlich dieselbe sei, so erfolgt doch aus einem Schlusse der Sitzung, daß wir Montag unsere
Sitzung mit der Berathung der Verfassung beginnen müssen. Da aber zu erwarten ist, daß sich Montag noch kein neues Ministerium hier einfinden wird, so will ich nur eine Vertagung der heutigen Sitzung
bis Montag, dann können wir mit unsern heutigen Anträgen fortfahren.
Die Versammlung beschließt sich bis Montag Morgens 9 Uhr zu vertagen:
Die äußerste Linke giebt noch eine Erklärung zu Protokoll, welche vom Sekretär verlesen wird, sie lautet:
„Der schon vorgestern gestellte Antrag, eine Kommission, die bedrohliche Lage des Landes betreffend, zu ernennen, um von ihr die Vorschläge zu erwarten, welche dem schwankenden, gefahrvollen
Zustande, in welchem das Land sich befindet, ein Ende machen sollen, mußte den Unterzeichneten in Folge der von dem Minister des Innern, Herrn Eichmann, gegengezeichneten königl. Botschaft von gestern
als eine dringende Nothwendigkeit erscheinen. In einem Augenblick der höchsten Spannung wagt Herr Eichmann darin dem fast einstimmigen Votum der Versammlung, welche durch die Annahme der Adresse die
vollständige Mißbilligung des bisher befolgten Systems aussprach, mit der Behauptung entgegenzutreten, daß die in der Adresse angedeuteten Gerüchte über die Reaktion in keiner Handlung der Regierung
sich bestätigt fänden. Ein Ministerium, unter dessen Obhut die bekannten Armeebefehle bestanden, das durch seine Erlasse auf bureaukratischem Wege das Versammlungs- und Vereinigungsrecht völlig
knechten wollte und zuletzt noch in ganz ungesetzlicher Weise mit dem Einschreiten der Militärgewalt drohte, findet der großen Mehrheit der National-Versammlung gegenüber, die ausgesprochenen
Besorgnisse unbegründet.
Es genügt ferner Herrn Eichmann, wenn das neue Ministerium sich Ansprüche auf das Vertrauen des Landes zu erwerben wissen werde, während die National-Versammlung zu dem Verlangen berechtigt sein
muß, die Leitung der Staatsregierung in den Händen von Männern zu sehen, welche sich bereits das Vertrauen des Landes erworben haben und unmöglich ruhig zusehen darf, daß dem Zufall, der durch ein
noch unbekanntes Verhalten zu begründenden Ansprüche auf dieses Vertrauen die Geschicke des Landes, besonders in einer so sturmbewegten Zeit wie die unsrige, übertragen werde. Ein Wechsel der
Personen, nicht ein Wechsel des Systems wird in Aussicht gestellt, während die National-Versammlung und das Volk entschieden das Letztere erwarten.
Die Unterzeichneten hielten es für ihre heiligste Pflicht, durch Niedersetzung der beantragten Kommission die Maßregeln aufs Schleunigste vorzubereiten, welche gegenwärtig geeignet sind, die Sache
des Landes und durch Beendigung des schwankenden, gefahrvollen Zustandes zugleich seine materielle Wohlfahrt wieder herbeizuführen. Sie wollen nicht verantwortlich sein für die Folgen einer
Versäumniß.“ (Folgen die Unterschriften des größten Theils der äußersten Linken).
Nach Verlesung dieser Erklärung wird die Sitzung bis Montag Morgens 9 Uhr vertagt.
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@facs | 0692 |
[
103
]Berlin, 4. Nov.
Das würdige Auftreten des Abgeordneten
Jacobi dem Könige gegenüber, findet die allgemeinste Anerkennung. Nicht allein die äußerste Linke, wie das nicht anders zu erwarten ist, sondern auch
28 Mitglieder der Partei Rodbertus-Berg haben Jacobi ihre Zustimmung und ihren Dank durch eine Adresse zu erkennen gegeben. Von den letztern ist es um so auffallender, da ihre Parteichefs, welche sich
mit in der Deputation befanden, ihre Mißbilligung über das Benehmen und die Worte Jacobi's dem Könige schriftlich zu erkennen gaben und in der Nationalversammlung gestern offen erklärten. Das
Benehmen der Herrn Rodbertus und Berg seit vorgestern, zielt offenbar nur dahin, sich als Minister möglich zu halten. In diesem Sinne drängen sie sich daher dem Könige förmlich auf. ‒ So viel
ist gewiß, daß
Rodbertus erklärt hat, in kein Ministerium einzutreten, welches er nicht als Ministerpräsident selbst bildet, und
[0693]
jedem andern Ministerium die stärkste Opposition zu machen.
Zu Ehren Jacobi's wird von seinen Wählern ein großer Fackelzug vorbereitet. Eine sechs Ellen lange Fahne ist dazu angefertigt, auf welcher sich folgende Inschriften befinden:
„Das ist das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen.“ „Das ist der Ruhm der freien Männer, daß sie ihnen die Wahrheit immer zurufen.“ „Dem
Abgeordneten Jacobi, zum Andenken an den 2. November.“
Morgen Abend wird dieser Fackelzug stattfinden. Er wird ein Festzug für das demokratische Berlin sein.
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@facs | 0693 |
Weggelaufene Deputirte!
Berlin, 3. Nov.
In der Abendsitzung der Nat.-Vers. vom 2 Nov. war der Antrag gestellt, so lange im Sitzungssaale besammen zu bleiben, bis die nach Potsdam an den König entsendete Deputation zurückgekehrt sei und
ihnen Bericht erstattet haben werde. ‒ Die Rechte der Versammlung und ein Theil des Centrums wollten die Dringlichkeit dieses Antrages nicht anerkennen, wurden aber mit 183 gegen 122 Stimmen
überstimmt. Da verließ eine große Anzahl der Deputirten den Saal und begab sich zum Theil in die Restaurationen, zum Theil nach Hause! Die Namen dieser Ehrenmänner, welche in einem Moment, wo der
Bürgerkrieg von der Reaktion frech begonnen werden soll, den Posten verlassen haben, auf welchen das Vertrauen ihrer Kommittenten sie ehrenvoll berufen hat, werden hierdurch öffentlich bekannt
gemacht!
Althaus, Bürgermeister. Arnold, Gutsbesitzer, (Danziger Landkreis.) v. Auerswald (für Frankfurt).
Blockhagen, Erzpriester. Bauer, (Berlin.) Brehmer, Oberlehrer. Brüninghaus, Gutsbesitzer. v. Brünneck, Oberburggraf. Bumbke, Curatus. Brüning, Friedensrichter Blodau, Gutsbesitzer.
Clausen, Gymnasiallehrer. Conditt, Land- und Stadtger.-Rath. Cösling, Kämmerer.
Dahmen. Dr. Dane. v. Daniels, G. h. Rev.-Rath. Dielitz, Professor. Diesterweg, Justizrath.
v. Enkevort, Kreis-Deputirter. Endegols, Schulinspektor. Evalt, Land- und Stadtger.-Direktor.
Feierabend, Bürgermeister. Feldhaus, Schullehrer. Fischer, Bürgermeister. Fischer, Ober Landes-Gerichts-Referendar. Fleischer, Kreisgerichts-Assessor. Fließbach, Bürgermeister. Fretzdorff,
Kaufmann. Friedrich, Gutsbesitzer. Dr. Friese, Kreis-Physikus. Dr. Funcke.
Gelshorn, Kaplan. Geßler, Land- und Stadtgerichts-Direktor. Gräff, Apell. Gerichtsrath (Düren.) Groddeck, Justizrath. Gartz, Land- u. Stadtger.-Direktor.
Hahn, Land- und Stadtrichter. Hanisch, Bauer. Harkort, Kaufmann. Hartmann, Justizrath. Haugh, Landgerichts-Rath. Hellmann, Justizrath. Hentrich, Land- und Stadtger.-Direktor. Herberty,
Gutsbesitzer. Herholz, Erzpriester. Hesse, Geb. Finanzrath. Hofer, Bauer.
Jander, Pastor (Neiße.) Jonas, Pastor.
Keferstein, Rektor, Pastor. Kehl, Justizkommissar. Klemm, Schmidt. Knauth, Dr. med. Kochs, Landgerichtsrath. Köhler, Stadtrath (Görlitz.) Konietzko, Kreissekretär. Kosch, Dr. med. Kühnemann, Land-
und Stadtgerichts-Direktor. Küper, Legationsrath. Kunth, Bürgermeister. Kutzen, Bürgermeister. Kalbersberg, Buchhändler. v. Kleist, Landrath. Knoblauch. Geh. Finanzrath.
Lensig, Kanonikus. Lüdicke, Justizrath. Lingnau, Gymnasial-Oberlehrer.
v. Meusebach, Regierungsassessor. Meyer, Kaufmann. Milde, Kaufmann. früher Minister. Mrozik, Pastor. Mullensiefen, Kaufmann. Müller, Ortsvorsteher (Solingen.)
Neuberth, Ortsrichter. Riemeyer, Dr.
Peltzer, Friedensrichter. Petereck, Schulze. Pruß, Dekan. Pleger, Oberscholz. Packenius, Oberprokurator.
Quaßnigk, Braukrüger.
Radtke, Brauer und Gerichtsmann. Rehfeld, Diakonus. Reichensperger, Landgerichtsrath. Reigers, O.-L. G.-Assessor. Richter, Kölmer. Reese, Land- u. Stadt-Ger.-Rath. Romberg, Gutsbesitzer. Riemann,
Gutspachter. Rintelen, Ober-Trib.-Rath. Rintelen, O.-L.-G.-Rath. Ritz, Reg.-Rath. Rosanowski, Gutsbesitzer. v. Reichmeister, Landrath. Rottels, Dr. phil.
Sames, Friedenrichter. Schadebrod, Pastor. Schadt, Justizamtmann. Scheden, Oberförster. Scheele, Land- und Stadt-Ger.-Direktor. Scheidt, Kaufmann. Schlink, Appell.-Rath. Schmidt, Amtmann (Beeskow.)
Spanken, Gerichtsrath. Siegers, Erbscholz. Schönborn, Lehrer. Scholz, Kreissekretär (Meseritz.) Schutze, Justizkommissar. Schulz, Pastor (Marienburg.) Schultze, Assessor (Friedeberg.) Schultze,
Assessor (Minden.) Schulte, Pfarrdechant. Schwonder, Dekonomiekommissar. Seidel, Geh. Finanzrath. Simons, Geh. Justigrath. Sperling, L.- und Stadtger.-Rath. Stachelscheid, Amtmann. Steimmig,
Fabrikant. Stiller, Kreis-Tarator. Sümmermann (genannt Schulze-Korten), Landrath. Schimmel, Rittmeister. v. Schleicher, Gutsbesitzer.
Thederahn, Schulze. Thüm, Distrikskommissar. Tietze, Erbscholtisei-Besitzer. Tüshaus, O.-L.-G.-Rath.
Ulrich, Geh. O.-Trib.-Rath. Upmeyer, Dekonom.
v. Wangenheim, O.-L.-G.-Rath. Wegener, Apotheker. Weißgerber, Appell.-Rath. Wenger, Pastor. Westermann, Justizrath. Windehorst, Justizkommissar.
Zachariä, Justizkommissar. Zimmermann, Amtmann.
(Außerdem fehlten noch mehrere Beurlaubte, Mehrere wegen Krankheit, Mehrere wegen anderweiter Behinderung und 29 Mitglieder gehörten zu der Deputation nach Potsdam.)
Es ist diesen Weggegangenen gelungen, die Versammlung beschlußunfähig zu machen, wie sie dies beabsichtigten, da es ihnen bei namentlicher Abstimmung nicht gelungen war, die Dringlichkeit verneint
zu sehen. Eine große Anzahl von ihnen stand noch in der Restauration oder lauschte und horchte an der halb offenen Thür des Saales, ohne hinein zu treten und ihrer Pflicht zu genügen. Die öffentliche
Meinung möge sie richten.
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@facs | 0693 |
Berlin, 3. Nov.
Während gestern Abend ein Theil der Bevölkerung, die wichtigen Beschlüsse der Nationalversammlung erwartend, auf dem Gensd'armenmarkte versammelt war, trug sich am Alexanderplatze ein
düstres Schauspiel zu. Zum dritten Male seit mehren Monaten hatten die Gefangenen des dort befindlichen Arbeitshauses einen gewaltsamen Einbruch versucht. Die Thüren und Fenstern erbrechend, waren sie
in Masse in den Hof gedrungen, hatten den beim Kartenspiel sitzenden Soldaten die Gewehre entrissen und einen verzweifelten Kampf begonnen. Das weithinschallende Geschrei und Gepolter zog sogleich
eine große Menschenmenge herbei, Trommelwirbel ertönte in den benachbarten Straßen, das ganze Stadtviertel gerieth in Bewegung. Erst als aus der nahen Kaserne zwei Kompagnien des 12. Regiments und vom
Gensd'armenmarkte mehrere Abtheilungen Bürgerwehr anrückten, wurde die Ruhe wieder hergestellt. Zehn der Gefangenen sollen schwer verwundet sein. Wenn wir an die haarsträubenden Schilderungen
denken, die uns vor nicht gar langer Zeit von dem Innern des Berliner Arbeitshauses, von der Behandlung und Nahrung seiner Gefangenen gemacht wurden, wenn wir bedenken, daß das Verbrechen derselben
meist nur die Armuth, die Obdachlosigkeit und das Betteln ist, so erscheint uns ihr Wunsch, einen solchen Aufenthaltsort zu verlassen, nicht unerklärlich.
[(Ref.)]
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@facs | 0693 |
Berlin.
Ein gestern Abend vertheiltes und angeschlagenes Plakat, unterzeichnet: der demokratische Klub, hat die Schaamlosigkeit, die Ungezogenheit des Abgeordneten Jacobi gegen die Person des Königs in der
Audienz der Deputation als eine Handlung zu bezeichnen, womit Hr. Jacobi sich den Dank des gesammten Vaterlandes verdient habe! und ihn und seine Kollegen zu fernerer Vertheidigung der
Volksfreiheiten aufzufordern.
[(Neue Preuß. Zeitg.)]
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@facs | 0693 |
Aus Oberschlesien.
Der Graf Limburg-Stirum hat, in polnischer Sprache natürlich, einen Hirtenbrief an das „dumme Volk“ erlassen, der an plumper und dreister Verdrehung der Verhältnisse und Thatsachen
wohl Alles übertrifft, was von der Reaktion bisher in der Art geleistet wurde. Der Brief lautet wie folgt:
„Leutchen!
Ihr seid ungeduldig, weil Euch jene sogenannten Volksfreunde viel versprochen und wenig gehalten haben. ‒ Ich komme aus Berlin, ‒ ich weiß somit, wie sich die Sachen verhalten, und
will Euch dasjenige, was ich weiß, erzählen. ‒ Schon damals, als Ihr die ungebildeten Landleute und Schreiber, die Euch betrogen und ausgesogen haben, als Deputirte nach Berlin gewählt habt,
schrieb ich Euch, daß weder die Deputirten, noch der König stehlen darf. ‒ Meine Worte lauteten: „Ihr werdet ein wenig gewinnen und die Herren vieles verlieren!“ Damals wolltet
Ihr mir nicht glauben, heute, nachdem Ihr schon 6 Monate umsonst gewartet und nichts für die Rechtfertigung jener gehegten Hoffnungen geschehen ist, werdet Ihr vielleicht denken, daß d.r Graf doch
recht gesprochen und jene Volksfreunde nur unmögliche Sachen versprochen. Weshalb thaten sie dieses? Gerade um Euch unzufrieden zu machen und um Euch, wenn Ihr so dumm und so böswillig wäret, zur
Empörung und Ungehorsam zu reizen. ‒ Diese Volksfreunde, ‒ denn ich habe deren viele in Berlin gesehen, ‒ sind Juden, Schreiber, Kommissarien, die vor der Revolution nicht einmal
eine Kartoffel zu ihrem Lebensunterhalt hatten, jetzt aber schon guten Wein trinken und hoffen, daß sie, wenn die Revolution noch länger dauert, noch mehr sich bereichern und daß sie Minister und
Landräthe werden.
Dies wissen dagegen jene weisen Männer, daß, sobald die Gesetze erscheinen und Ordnung erfolgt, sie aufhören müssen auf Eure Kosten Wein zu trinken und sich zu masten. ‒ Deswegen verhindern
sie auch so viel als möglich die Herausgabe der Gesetze, die Ruhe und Ordnung wiederherstellen würden. ‒ Unter den Deputirten in Berlin gibt es viele solcher Volksfreunde. ‒ Zu Euren
dahingekommenen unwissenden Deputirten sind jene Volksfreunde sogleich hinzugetreten und haben denselben gesagt: „Ihr müßt sagen, was wir sagen, in das einwilligen, worauf wir einwilligen,
‒ so wird Euch Alles gelingen“ Die Landleute schenkten dieser Aussage Glauben und wenn sie sogar nicht verstehen, was man in der Nationalversammlung spricht, achten sie darauf, was die
Volksfreunde thun, und wenn diese „Ja“ sagen, so sagen alle „Ja,“ und sagen diese „Nein,“ so sagen sie ebenfalls „Nein.“ ‒ Diese
Volksfreunde machen aber den Ministern und dem Konige viele Schwierigkeiten, und dieser Umstand ist es gerade, der es bewirkte, daß nach Ablauf von 6 Monaten noch kein Gesetz festgesetzt und daß es
noch lange dauern wird, bis die Befreiung erfolgt. ‒ Was die Befreiung anbelangt, so will ich Euch sagen, wie diese beschaffen sein wird: einige kleine Pflichten wird man Euch vielleicht ohne
Vergütigung erlassen. Anstatt den Grundzins und jeden andern Zins der Herrschaft zu zahlen, werdet Ihr denselben als eine gewisse Abgabe der Regierung oder vielleicht der Landschaft, wie die Herren,
zahlen müssen, und dies in diesem Verhältniß, daß diejenigen, welche der Herrschaft 10 Thlr. gezahlt, hernach der Regierung oder der Landschaft 7 Thlr. 5 Sgr. werden zahlen müssen. ‒ Die
Häusler werden Besitzer des Ortes und werden den Acker der Herrschaft nicht wiederzugeben brauchen; sie werden weder der Herrschaft zahlen noch Frohndienste thun, ‒ dafür werden sie aber der
Regierung oder der Landschaft in Verhältniß des Grundwerthes 12 oder 15 Sgr. für einen Morgen Landes als Miethe zahlen müssen. ‒ „So wird es geschehen, Leutchen:“ Ob Ihr mir
glaubet oder nicht ‒ bleibt sich ganz gleich. Ich sage Euch dieses, weil ich Euch Gutes wünsche, denn ich weiß sehr gut, daß Ihr ungeduldig seid und daß Viele Euch betrügen ‒ Niemand
Euch aber die Wahrheit sagt. ‒ Jetzt nur noch einige Worte an Diejenigen, welche vielleicht jetzt schon den Zins zu zahlen oder die Arbeit zu verrichten sich weigern. Bei der Befreiung wird der
ganze Frohndienst, den Ihr nicht verrichtet, ‒ jeder Pfennig, den Ihr nicht bezahlt, nachgerechnet werden. ‒ Glaubet mir oder nicht, später werdet Ihr dennoch sagen: der Graf hat recht
gesprochen.
Puchowice, den 10. Okt. 1848.
[(A. O.-Z.)]
Graf Limburg-Stirum.
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@facs | 0693 |
Posen, 28. Okt.
In diesem Augenblicke erfahren wir, daß die Beamten des Posener Festungsbaues alle Arbeiter zur Unterschrift der Petition um Verlängerung des Belagerungszustandes auffordern und daß sie alle
diejenigen, welche zu unterschreiben sich weigern, mit dem Verluste der Arbeit und somit mit dem Verluste ihres Lebensunterhaltes bedrohen. ‒ Auf gleiche Weise hat man alle braven, biederen
Polen im März von der Arbeit entfernt, weil sie jene Adresse an den König, die die Unabhängigkeit der polnischen Landestheile unter der preußischen Herrschaft forderte, unterschrieben haben.
[(A. O.-Z.)]
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@facs | 0693 |
[
*
] Wronke, 30. Okt.
Die Einsassen der Stadt Wronke im Großherzogthum Posen haben dem Abgeordneten Taffarski nachstehende Dankadresse übersandt ‒ die derselbe dem Hrn. Phillips, als Antragsteller, und allen
Deputirten die für das Phillip'sche Amendement, die Posener Frage betreffend, gestimmt haben, überreichen soll:
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@facs | 0693 |
Dankadresse.
Wronke, 30. Oktober.
Dem biedern deutschen Manne, dem Verfechter wahrer Volksrechte, dem Deputirten der Stadt Elbing zur preußischen Nationalversammlung, Herrn Oberbürgermeister Phillips, stattet die Stadt Wronke ihren
tiefgefühlten Dank ab, für das muthige Amendement in Betreff der Nationalrechte des Großherzogthums Posen.
Dank und Ehre dem deutschen Manne, er ist des rühmlichen Denkmahls werth, welches er sich in der Geschichte gesetzt hat. ‒ Dank endlich allen den deutschen Männern, welche das Amendement
unterstützt, für dasselbe mitgestimmt und dessen Annahme muthig durchgekämpft haben.
(Folgen die Unterschriften.)
Ungarn.
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@facs | 0693 |
Pesth, 29. Oct.
Der Regierungs-Kommissär Beöthy hat den schwarzgelben Kommandanten von Peterwardein, Henzi, abgesetzt und in Gewahrsam bringen lassen. Gleich energisch hat er mit dem Magistrat von Neusatz
verfahren. Die Raitzen scheinen jetzt überhaupt an die Unterwerfung zu denken. Der Oberst Schuplikatz, welchen sie zu ihrem Wojwoden gewählt, hat mit Beöthy Friedensunterhandlungen angeknüpft. Auch
die Csaikisten haben hierher ihren Generalauditor Raics mit Friedensanträgen gesendet. Das Repräsentantenhaus hat eine Proklamation an die verschiedenen Völker Ungarns erlassen.
In Siebenbürgen wüthet der walachische Aufstand mit ähnlicher Grausamkeit wie der raitzische. 30,000 Szäkler haben sich aber bei Maros-Varsarhely gesammelt, welche die aufständischen Walachen zu
Paaren treiben werden. ‒ Viel Sensation erregt hier ein Handbillet des Königs an Meffaros, welches eine von diesem schon im September vorgeschlagene militärische Beförderung bestätigt. Dies
Schreiben steht im vollsten Widerspruche mit dem Manifeste des Kaisers vom 16. wegen Windischgrätz's Ernennung zum Generalissimus.
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@facs | 0693 |
Preßburg, 29. Okt.
Unsere Armee befindet sich seit zwei Tagen auf östreichischem Gebiet. Gestern Nachmittag sind an zwei Stellen Vorpostengefechte gewesen, von denen wir das Kanonenfeuer bis hier hörten. Koffuth ist
selbst bei der Armee und wird allem Vermuthen nach der Zusammenstoß mit den Windischgrätzschen Truppen ein sehr ernster sein. Oberst Iwanka, der mit Depeschen an Windischgrätz gesandt wurde, ist
gefangen genommen worden. Bis zur Stunde fehlen uns seit 5 Tagen alle Posten aus Wien, und alles was man von da erfährt, beruht nur auf Hörensagen.
Wir verdanken der gefälligen Mittheilung des Hrn. Staats-Sekretärs Pulßky nachstehende „amtliche“ Mittheilung:
„Beifolgende Zuschrift wurde durch den Parlamentär Obrist Iwanka an den Fürsten Windischgrätz gesendet. Der Fürst antwortete darauf: „Mit Rebellen unterhandle ich nicht.“ Auf
seiner Rückreise wurde Oberst Iwanka von den Vorposten Jelachich's mit der empörendsten Mißachtung des Völkerrechts zu Roth-Neusidl unter solchem Vorwande, daß Fligelli auch als Parlamentär
gefangen genommen wurde, aufgehoben und trotz der Protestation seines Begleiters in der Gefangenschaft behalten. ‒ Ein solches Verfahren bedarf keines Kommentars.
Die durch Obrist Iwanka übersandte Zuschrift lautet:
An seine Durchlaucht den Hrn. Fürsten Windischgrätz!
Die Geschichte der Völker weist kein ähnliches Beispiel des Eidbruchs, des Verraths und der Gewissenlosigkeit auf, als jenes Gewebe der Umtriebe, womit eine arglistige Hofkamarilla nicht nur die
gesetzlichen konstitutionellen Rechte, sondern selbst die staatliche Existenz der ungarischen Monarchie zu vernichten trachtet.
Ungarn war stets ein freies, selbstständiges Königreich, keinem andern Staate einverleibt, keinem andern Lande unterthan.
Unter dieser Bedingniß hat Ungarn seine Königskrone dem regierenden Hause freiwillig zuerkannt, und 14 Könige aus dem Hause Habsburg haben die Selbständigkeit der ungarischen Monarchie und seine
konstitutionellen Rechte eidlich beschworen.
Diese Freiheit, diese Selbständigkeit Ungarns ist keine neue Errungenschaft der Märztage, kein Geschenk Sr. Maj. des Königs Ferdinand V., sie ist die Fundamentalbedingniß, auf der die ungarische
Königswürde des Hauses Habsburg beruht.
Und doch hat eine verbrecherische Hofkamarilla frech mit dem Königseide, frech mit dem kranken Zustande des Monarchen spielend, zur Vernichtung dieser staatlichen Existenz der ungarischen
Monarchie, Empörend in unserem friedlichen, seinem Könige stets treuen Lande angestiftet und unser armes Vaterland zum Schauplatze eines beispiellosen Greuelkrieges gemacht.
Trotz allen Anzeichen hat Ungarn Monate lang nicht glauben wollen, daß die Fäden dieses Verraths, dieser unmenschlichen Barbarei in der unmittelbarsten Nähe des Monarchen selbst gesponnen werden;
denn der gerade männliche Sinn des Ungarvolkes war unfähig, auch nur die Möglichkeit eines ähnlichen Verbrechens ahnen zu können.
Auch hat der Monarch selbst den serbischen Aufruhr für Hochverrath, sowie den Freiherrn Jelachich, der im stolzen Uebermuthe seine verbrecherischen Waffen gegen das Gesetz erhob, für einen
landesverrätherischen Empörer auf gesetzlichem Wege erklärt.
Doch als man sah, daß die arglose ungarische Nation, den Versicherungen des Königs überfest trauend, zur Vertheidigung nicht gerüstet sei, überzog der Empörer Jelachich unser Vaterland mit einem
grausamen Kriege.
Und kaum hatte er dieses gethan, wozu ihn das östreichische Ministerium unter trügerischen Vorwänden mit Geld und Waffen versah, als der Empörer zum loyalen Diener des Monarchen gestempelt wurde,
die östreichischen Truppen, die zur Wahrung des Friedens und zum Dienste der gesetzlichen Landesregierung in Ungarn und seinen Nebenländern dislocirt waren ‒ weil die ungarischen Regimenter zum
Schutze des Kaiserthrones außer Landes verwendet wurden ‒ diese östreichischen Truppen, von Ungarn genährt und besoldet, reichten auf höheren Antrieb größtentheils dem Empörer die Hand und
erhoben verbrecherisch ihre Waffen gegen das Land, das zu beschützen sie bei Eid und Ehre verpflichtet waren. Man zettelte Aufruhr und Empörung unter den slawischen und wallachischen Einwohnern
Ungarns und Siebenbürgens an; östreichische Offiziere, selbst Generäle, führen serbische Räuberhorden und aufgewiegelte wallachische Truppen an; ‒ der von Gottes strafender Hand ereilte Graf
Latour, gewesener östreichischer Kriegsminister, befahl den ungarischen Festungskommandanten, treulos ihren Eid zu brechen ‒ befahl allen Generalkommandos der an Ungarn grenzenden Provinzen,
nach Ungarn einzudringen und den Empörer Jelachich in seinem hochverrätherischen Unternehmen zu unterstützen; und damit diesen Schändlichkeiten die Krone aufgesetzt werde, verging man sich an der
öffentlichen Moral, die selbst den Barbaren heilig ist, so weit, daß man die tausendjährige staatliche Existenz Ungarns, seine von 14 Königen aus dem Hause Oestreich beschworene Konstitution mit einem
unheiligen Federstriche vertilgen und den in den Eingeweiden des Vaterlandes wühlenden Empörer Jelachich zum unbeschränkten Gebieter des so niederträchtig verrathenen Landes, zum militärischen
Despoten über das hochherzig treue Ungarn einsetzen zu wollen, und zu dieser jedes menschliche Gefühl empörenden Gewaltthat selbst die Unterschrift des kranken Monarchen zu erschleichen sich nicht
gescheut.
Doch so viele Verbrechen erschöpften endlich die Langmuth und Gerechtigkeit Gottes. ‒ Weil die ungarische Nation hochherzig auf Treue und Glauben bauend, ungerüstet stand, hat man sie
schwach geglaubt, sie wähnten den Löwen todt, der im Gefühle seiner Kraft nur schlief, Jelachich hat die Kraft der ungarischen Waffen erfahren, der historische Heldenmuth Ungarns hat sich in diesem
gerechten Kampfe gegen unerhörten Verrath mit neuem Glanze bewährt; die Armeekorps des Empörers wurden durch kleine Schaaren von Ungarn, heldenmüthigen Kriegern, ja selbst vom schnell
zusammengerafften ungeübten, kaum bewaffneten Landsturm überall geschlagen und zu 10,000 gefangen und entwaffnet, und der prahlerische Empörer Jelachich selbst mit seiner Hauptarmee durch ein einziges
Gefecht soweit gebracht, daß er sich vom völligen wohlverdienten Untergange nur durch den ehrlosen Bruch eines Waffenstillstandes, um den er selbst gebettelt, mit schneller Flucht entziehen konnte,
bis er im steten durch Grausamkeiten bezeichneten Fliehen von der ungarischen Armee verfolgt, sich hinausgeworfen hat auf das östreichische Gebiet.
Wenn die ungarische Armee dem fliehenden Feinde ohne Rast und Aufenthalt über die Leitha gefolgt, wäre er in den ersten 24 Stunden der rächenden Gerechtigkeit Gottes unterlegen.
Wir aber, gegen die man jede Rücksicht des göttlichen und menschlichen Rechtes, mit einer Reihenfolge beispielloser Gewaltthaten verletzt; haben Achtung vor dem Gebiete einer freundschaftlich
benachbarten Nation gehegt, und dem rächenden Arm unserer heldenmüthigen Armee Halt geboten, in der zuversichtlichen Erwartung, daß die östreichischen Streitkräfte Sr. Maj. des Kaisers von Oestreich,
der zugleich konstitntioneller König von Ungarn ist, die Armee des eingedrungenen Empörers entwaffnen, und so der Wiederkehr eines von unserer Seite durch nichts provocirten Bürgerkrieges vorbeugen
würden.
Wir waren berechtigt, dies zu erwarten, kraft der Satzungen des geheiligten Völkerrechts, wir waren berechtigt, dies zu erwarten im Interesse des irregeführten Monarchen, dessen Herz
zurückschaudern muß vor dem Unglück, das eine böswillige Kamarilla, frech seinen Namen mißbrauchend, über seine treuen Völker gebracht, wenn Ihm einst Gott die Kraft verleiht, die wahre Sachlage der
Dinge mit eigenen Augen sehen und frei beurtheilen zu können.
Wir wurden in unserer gerechten Erwartung getäuscht, anstatt den frech eingedrungenen Empörer, den meineidigen Verräther an der konstitutionellen Krone Ungarns zu entwaffnen und unschädlich zu
machen, hat der östreichische General Graf Auersperg sich mit
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dem Empörer vereinigt, ihn unter seinen Schutz genommen und mit den so verstärkten Kräften des Verräthers sich drohend vor Wien aufgestellt, vor der Hauptstadt jener hochherzigen Nation, mit der uns
Ungarn die Einheit des Monarchen, und die gleiche Gefahr des Verlustes unserer gesetzlichen Freiheiten zum treuen Bundesgenossen vereint.
Ja, damit nichts an dem vollen Maße der unerhörtesten Unbillen fehlen möge, kündigen uns Ew. Durchlaucht sich selbst als den Oberbefehlshaber der Armeen Sr. Maj. an, in die Sie auch die
hochverrätherischen Streitkräfte des Jelachich aufgenommen haben. Kündigen sich hiemit zum Theilnehmer der Empörung des Baron Jelachich, zum Feinde gegen die Gesetze und den konstitutionellen Thron
Ungarns an, und gehen so weit, die Offiziere der ungarischen Armee, die unter Eid zur Treue gegen die Konstitution verpflichtet sind, unter Androhung des Kriegsrechtes zum Uebergange in das Lager des
Feindes des Vaterlandes verlocken zu wollen.
Ew. Durchlaucht muß es bekannt sein, daß über die ungarische Armee Se. Maj. nur unter der Gegenzeichnung des ungarischen Kriegsministers gültig verfügen kann, und daß jede anderweitige Verfügung
durch das mit königlichem Eide sanktionirte Gesetz in keinem Falle berechtigt, sich welche Macht immer über die ungarische Armee anzumaßen, so daß ein ähnliches Vorhaben eine offen ausgedrückte, von
Seite Ungarns durch nichts provocirte Feindseligkeit gegen unser Vaterland in sich schließt.
Diese Feindseligkeit wird noch dadurch erhöht, daß Ew. Durchlaucht die Streitkräfte des fliehenden Empörers unter Ihr Kommando genommen, und sich so zum Führer der Empörung selbst gegen Ungarns
konstitutionellen Thron, seine staatliche Existenz und seine Gesetze gemacht.
Es ist demnach im Interesse des Friedens, welchen Ungarn nicht gestört, es ist im Interesse der Dynastie, daß wir ‒ obgleich zur äußersten Nothwehr gewaltig gedrungen ‒ Ew.
Durchlaucht im Namen Gottes, seiner ewigen Gerechtigkeit des Völkerrechtes und der Menschenliebe auffordern, von Ihrem unrechtmäßigen Vorhaben abzustehen, die nach Oestreich fliehend eingedrungene
Armee des Empörers Jelachich zu entwaffnen, und mit dem abzunehmenden Eide „nie mehr gegen Ungarn zu kämpfen“ unschädlich zu machen, und uns binnen 24 Stunden die Versicherung zu geben,
gegen Ungarn nichts Feindliches versuchen zu wollen.
Was aber das angedrohte Kriegsrecht betrifft, so ist dies nach so vielen Gewaltthaten des Unrechts ein so schauderhaftes Wort, an dessen Echtheit wir im Glauben an die Menschlichkeit und
Civilisation nicht glauben wollen, und geben gleichfalls Ew. Durchlaucht zu bedenken, daß derjenige vor dem unbestechbaren Richterstuhle Gottes und der Weltgeschichte dem Fluche der Menschheit
verfallen würde, der im 19. Jahrhundert das Beispiel ähnlicher Barbarei des civilisirten Europa vorführen sollte. Auch müssen wir Ew. Durchlaucht erklären, daß wir im ähnlichen Falle mit tief
betrübten Herzen Gleiches mit Gleichem zu vergelten nicht unterlassen können. Mögen hiebei Ew. Durchlaucht bedenken, daß Gott, der Beschützer der Gerechtigkeit, an 10,000 Gefangene in unsere Hände
gegeben, darunter mehrere Generäle und Oberoffiziere. Mögen demnach Ew. Durchlaucht das Gewicht Ihres unerwarteten Wortes wohl erwägen, denn all' das Blut, das vergossen würde, fällt vor des
ewigen Gottes Richterstuhle auf ihren Kopf herab.
Wir haben hiermit gesagt, was uns zu sagen Pflicht und Ehre gebot, doch erübrigt uns noch die Aufgabe Ew. Durchlaucht aufzufordern, daß Sie im Interesse des Friedens der Monarchie und im Interesse
der Pflicht gegen den Thron, an dessen Fortbestand die reaktionäre Hofkamarilla mit so unheiliger Hand rüttelt, die Belagerung Wiens alsogleich aufzuheben, die freie Verbindung dieser hochherzigen
Stadt mit Ungarn, deren gewaltsame Hemmung den gegenseitigen Handelsinteressen so nachtheilig ist, wieder herstellen zu lassen, und somit die Hauptstadt der Monarchie nicht zu den äußersten Schritten
der Nothwehr zu zwingen, welche für den Fortbestand des Thrones, dessen Erhaltung auch zu unserer Aufgabe gehört, unabsehbare Gefährdung, und über die Monarchie namenloses Unglück herbeiführen
müßten.
Wir erbitten uns durch den Parlamentär, den wir zu Ew. Durchlaucht beordernd, hiermit unter den Schutz des Völkerrechts stellen, Ew. Durchlaucht definitive Erwiederung, von der es abhängen wird, ob
Ungarn Ew. Durchlaucht als Feind zu betrachten bemüßigt sein wird.
Der Gott der Gerechtigkeit möge Sie in diesem hochwichtigen Augenblicke der Entscheidung lenken.
Gegeben im Hauptquartier der ungarischen Armee zu Pahrendorf am 25. Okt. 1848.
Ludwig Koffuth, Präsident des Landesvertheidigungs-Ausschusses.
Dionys Pazmandy, Präsident der Nationalversammlung.
Lad. Csanyi, Landes-Kommissär.
Französische Republik.
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Paris, 3. Nov.
Felix Pyat's Rede in der gestrigen Nationalversammlung über das Recht auf Arbeit ruft ein allgemeines Zetergeschrei in der konservativen Presse hervor. „Man sprach Euch
neulich“, begann Pyat auf der Bühne, „von zwei Prätendenten auf die Präsidentschaft der Republik. Ich erscheine vor Euch, um Euch von einem Dritten zu sprechen ‒ der
Arbeit.“ Man kann sich denken, welcher Sturm dieser Anfang in unserer Bourgeoiskammer hervorrief. „Es gibt Reiche und Arme“, sagte er weiter, „der Reichthum gehört
dem Volke, möge er zum Volke zurückkehren.“ An einer andern Stelle „‥‥Wir (Proletarier) wollen weder Pariser Brodzettel, noch Buzancais'sche
Guillotinenzettel‥‥ Die Februarrevolution zog auf Frankreich einen Wechsel, der unbezahlt blieb und den das Volk vier Monate nach der Ausstellung (im Juni) selbst
protestirte.“
Grandin, Dufaure, Corbon und André wetteiferten mit einander auf der Bühne, um diesen Aufruf an die „wilden Leidenschaften“ zu bekämpfen. Die „Debats“ erklären
geradezu, das Junifeuer glühe noch unter der Asche ‒ dasselbe sei mal éteint ‒ es müsse besser ausgelöscht werden. Der „Constitutionnel erklärt Pyat für einen sozialistischen
Schwärmer oder vielmehr für einen schwärmerischen Sozialisten, der den Teufel wisse was Association heiße, der die Keckheit habe, den „Meuchelmord“ zu rechtfertigen u. s. w.
Das Geheul der übrigen Blätter hat keine Bedeutung.
‒ Wir hören diesen Vormittag, daß Cavaignac in Unterhandlung stehe, das bisherige ultrareaktionäre philippistische Blatt unter La Balette, „Assemblee Nationale“, an sich zu
kaufen, um seine sehr stark gefährdete Präsidentenkandidatur zu unterstützen.
‒ Gestern wurden am Quai St. Bernard abermals 800 Kleinbürger nach Algerien eingeschifft ‒ wir sagen Kleinbürger, weil wir unter allen Emigranten nicht eine einzige Blouse bemerkten.
Alle waren zu unserm Erstaunen in fast eleganten Anzügen, sowohl Männer als Frauen.
‒ Zu Oraison (Niederalpen) haben sehr bedenkliche Unruhen wegen der 45-Centimensteuer stattgefunden. Der Einmischung des Präfekten und einer Abtheilung des 22. leichten Infanterieregiments
gelang es doch, die Volkswuth zu beschwichtigen, die sich unter dem Geschrei „Nieder mit den Tyrannen!“ Luft zu machen drohte. Aus einigen anderen Orten der Republik laufen ähnliche
Berichte über neue Ruhestörungen ein.
‒ Seit vorgestern haben wir hier eine Art demokratischen Journalisten-Kongreß. In seiner ersten Sitzung beschloß er folgende Fragen zur Berathung in den nächsten Sitzungen zu bringen: 1)
Gegenseitige politische Association aller Journale republikanischer Farbe sowohl in den Departements als in Paris. 2) Gründung einer politischen Korrespondenz auf die Grundlagen der Gegenseitigkeit
hin. 3) Gründung einer Unterstützungskasse für arbeitsunfähig gewordene republikanische Journalisten. 4) Gründung einer allgemeinen Demokratenkasse. 5) Oertliches und Speciales etc.
‒ An der Barriere Dumaine speisten gestern 800 Bürger, um sich gemeinschaftlich über die Miethsfragen und andere delikate Dinge zu besprechen. Der Entrüstung des Journal des Debats nach zu
urtheilen, hatte dieses Bürgerbankett einen entschieden sozialistisch kommunistischen Charakter. Man arbeitet daran, das Kleinbürgerthum vor seinem Sturze in das Proletariat mit dem Arbeitervolk
auszusöhnen.
‒ Gestern wurde ein Unteroffizier in Vincennes erschossen, weil er (sich mit Unrecht bestraft fühlend) einen Offizier seiner Kompagnie am 19. Aug. erschossen hatte, der ihn zur Strafe zog,
mit einem Gemeinen während des Wachtdienstes ein Glas Bier getrunken zu haben etc. Die Details dieses kriegsgerichtlichen Verfahrens sind abscheulich.
‒ Der Moniteur bringt heute wieder einen sehr niederschlagenden Bankbericht bis zum 2. Novbr. Morgens. Der Pariser Wechselverkehr fiel auf 61 Mill. Fr.; in den Sukkursalen trat
dagegen eine unwesentliche Besserung ein. Die rückständigen Wechsel übersteigen immer noch die Höhe von 22 Mill. und der Baarvorrath (d. h. die Geschäftsstockung) ist in Paris von 128 Mill. auf
131,404,797 Fr. 28 Cent. und in den Sukkursalen auf 102 1/2 Millionen gestiegen! Der Staat ist noch mit der Bagtaelle von 1,755,365 Fr. gutgeschrieben. Die Börse eröffnete auf diesen Bericht hin sehr
matt.
National-Versammlung. Sitzung vom 13. November. Vor Sitzungsanfang allerlei Gerüchte, z. B. Wien sei bis zum Glacis von den Windisch-Grätzschen Truppen erstürmt worden; das innere Wien könne
unmöglich mehr lange widerstehen, die ungarische Armee sei verschwunden u. s. w. u. s. w. Ferner hieß es, daß sich gestern während der Pyatschen Rede folgender Vorfall ereignet habe. Leon Faucher, der
berühmte Freihändler, tritt während des Pyatschen Vortrags in den Saal und ruft auf seinem Platze in der Nähe Ledru-Rollins aus: „Nun bleibt nichts als Barrikaden mehr übrig!“ Hierauf
soll Ledru-Rollin ihm sarkastisch geantwortet haben, daß er (Faucher) sicher zu feig wäre, um gegen sie zu marschiren, worauf Faucher heftig gerufen habe: „Sie sind unverschämt!“
Faucher, in der Erwartung auf Pistolen gefordert zu werden, habe Leonv. Malleville und General Changarnier, ein Paar baumlange Kerle, zu Sekundanten geladen, bis heute Mittag aber vergebens auf das
Kartel gewartet.
Unter diesen und ähnlichen Gesprächen in den Zugängen eröffnete Marrast um 1 Uhr die Sitzung.
Das Protokoll wird vorgelesen.
Martin Rey erklärt ziemlich plump, daß er zu den 86 Gliedern gehöre, die für das Recht auf Arbeit gestern gestimmt haben. Es würden gewiß viel mehr Glieder dafür gestimmt haben, allein die
Pyatsche Redeform habe viele verletzt; darum hätten viele gegen ihre innere Ueberzeugung oder gegen ihr Gewissen gestimmt.
Marrast (böse): Aber ich gab Ihnen das Wort zu einer Protokollberichtigung und Sie erlauben sich zu sagen, daß viele Glieder gegen ihre innere Ueberzeugung gestimmt hätten. Das ist nicht
erlaubt. (Zur Tagesordnung!)
An der Tagesordnung ist Artikel 28 der Verfassungsrevision, der von den Unzulässigkeiten zur Deputirtenwürde handelt und zu dem General Bedeau den Antrag stellte:
„Alle bezahlten und absetzbaren Beamten sind nicht zu Deputirten zu wählen; die unabsetzbaren oder lebenslänglichen sollen dagegen in Kadres getheilt und während ihres Mandats in
Disponibilität gestellt werden.“
Lherbette bekämpft den Antrag; Payer unterstützt denselben; Guichard desgleichen.
Dennoch wird der Antrag verworfen.
Ambert, ebenfalls ein alter Soldat wie Bedeau stellt den neuen Antrag:
„die Inkompatibilität sei weder auf die Landnach See-Armee anzuwenden.“
Diese Herren möchten eine Soldatenkammer errichten. Ambert entwickelt seinen Zusatz; der alte Deville bekämpft ihn; Larabit, ebenfalls Oberst, will die Motive zu den organischen Gesetzen verschoben
wissen. Damit dringt er durch und Artikel 28 ist erledigt.
Artikel 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42 und 43 werden rasch votirt. Dagegen bricht bei Artikel 34 der Sturm los.
Artikel 44 handelt bekanntlich vom Präsidenten der Republik. Thouret stellt den Antrag: „Kein Glied der Familien, die über Frankreich regirten, kann Präsident werden.“
Dufauor, Minister des Innern, bekämpft im Namen des Amts den Antrag und derselbe wird verworfen.
Louis Napoleon ist somit nicht ausgeschlossen.
Cavaignac nimmt nach Dufaure das Wort und erklärt, daß er ganz mit der Verfassungskommission übereinstimmen, und auf Verwerfung des Thouretschen Amendements antrage.
Mit Verwerfung des Thouret'schen Antrages auf Ausschluß aller Präsidentschafts-Kandidaten aus Familien, die jemals über Frankreich regiert hätten (offenbar nur gegen Louis Bonaparte
gerichtet) verlor die Debatte ihren anziehenden Charakter.
Die Art. 45, 46 und 47 werden rasch erledigt. Zu Art. 47 wird der neue Eid geschoben, den der Präsident der Republik im Angesichte der Nationalversammlung zu leisten haben wird.
Von Art. 48 bis 68 findet fast gar kein Widerspruch statt.
Art. 68 stellt die Verantwortlichkeit des Präsidenten und seiner Minister fest. Er wird indessen ohne Weiteres der Aenderung der Verfassungs-Commission gemäß angenommen.
Bis Artikel 91 durchaus nichts Erhebliches. Aber dieser Artikel und die nächstfolgenden (von der richterlichen Gewalt handelnd) setzen einen Haute-Cour, eine Art Pairshof, ein neues Justizgespenst,
zur Richtung der gegen die hohe Versammlung selbst gerichteten Verbrechen ein.
Mehrere Redner vom Berge protestiren im Interesse der Maigefangenen vergebens gegen dieses moderne Gespenst. Jedoch vergebens.
Pascal (aus Dax) trägt darauf an, dieses Gespenst doch erst für die Hochverrathsverbrechen nach Promulgirung der neuen Verfassung wirken zu lassen.
Vergebens! Der Antrag wird verworfen und Barbes, Raspail und Comp von diesem Gespenst gerichtet.
Schluß der Sitzung mit Art. 91 um 6 Uhr.
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Paris, 4. Nov.
Die Wahlpropaganda für den Präsidenten der Republik beschäftigt alle Gemüther. In den Ministerien herrscht eine Rührigkeit, wie wir sie seit dem Februar nicht wieder sahen. Im Kabinet
Cavaignac's werden ganze Dutzende von ambulanten Zeitungsschreibern geworben, um sie in die Provinzen zu schicken, wo sie für fette Taggelder Cavaignac'sche Stimmen werben sollen.
‒ Dufaure, Minister des Innern, erläßt im Moniteur ein „Rundschreiben an sämmtliche Präfekten“, aus dem wir folgende Stelle entnehmen:
„Herr Präfet!…… Ich mache Sie auf einen Feind aufmerksam, den Sie eifrigst bekämpfen müssen: nämlich die Theilnahmlosigkeit der Wähler. Sie werden Denjenigen, welche ein
fataler Indifferentismus von der Urne fern hält, zu verstehen geben, daß sie sich eines Vergehens schuldig machen gegen sich selbst und ihr Vaterland.
In einem Augenblicke, wo eine schlechte Wahl (Louis Bonaparte, Ledru-Rollin oder Raispail?) Alles in Frage stellen kann, was die Nationalversammlung seit 6 Monaten im Interesse der Ordnung
geschaffen; die ganze gesellschaftliche Ordnung ohne Vertheidigung so furchtbaren Stürmen von Neuem aussetzen kann, wie die des Monats Juni: in einem solchen Augenblick wäre die Achtlosigkeit und
Theilnahmlosigkeit Derer, die ein Recht zum Votiren haben, schwer zu begreifen und sie würden eine schreckliche Verantlichkeit auf sich laden: Dieses haben Sie ihnen begreiflich zu machen u. s.
w.“
Paris, 2. November 1347.
Der Minister des Innern, (gez.) J. Dufaure.
‒ Zur Beruhigung der Börsen- und Handelswelt bringt heute der Moniteur einen zwei Spalten langen Bericht über die Arbeitsverhältnisse in den Departements. Dieser Bericht enthält nichts als
allgemeine Phrasen, keine bestimmten Fakta's. Er hat im Auge des Statistikers gar keinen Werth. Am Schlusse heißt es: „Kein Zweifel, daß wenn Frankreich aus der Krisis getreten sein
wird, die seit lange unter dem falschen Schein des Wohlstandes gährte und welche die Republik nicht schuf, sondern nur zum Ausbruch brachte, dann wird der Nationalhandel, durch diese harte Probe
geläutert, sich fester und glänzender als je erheben.“
‒ Folgendes sind die authentischen Worte, in denen Cavaignac gestern die Nationalversammlung bat, den Thouretschen Antrag auf Ausschluß Louis Bonaparte's von der Präsidentenwahl zu
verwerfen. Nachdem er erklärt, daß er vor acht Monaten diesen Ausschuß gebilligt haben würde, schließt er: „Seit vier Monaten, wo mir die Nationalversammlung die Leitung der Regierungsgeschäfte
anvertraute, fühlte ich bei jeder Gelegenheit das Bedürfniß, genau zu erforschen, welches eigentlich die Meinung des Landes sei, zu wissen, wohin es eigentlich sein Vertrauen setze? Wohlan, dieses
Bedürfniß, dieser Wunsch ist jetzt zum brennenden Durste geworden. Ja, ich dürste danach, zu wissen, in wen die